Читать книгу Zobel - Albrecht Breitschuh - Страница 14
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ОглавлениеViel zu verhandeln gab es nicht. Hannovers Ligaobmann Rudi Franz war zu den Zobels nach Stade gefahren, der Vater war mal wieder versetzt worden und Rainer hatte erneut die Schule wechseln müssen. 1.200 Mark Grundgehalt pro Monat, Prämien extra: der übliche Ausbildungsvertrag, den konnte man unterschreiben oder es bleiben lassen. Änderungen waren nicht mehr vorgesehen. Otto Zobel stellte dennoch eine Bedingung, bevor er für seinen noch nicht volljährigen Sohn unterzeichnete: Er sollte in Hannover weiter zur Schule gehen dürfen. Keine Schule, kein Vertrag! Ein Jahr hatte Rainer noch bis zum Abitur, und das war dem Vater viel wichtiger als der Fußball, von dem er ohnehin nur schwer einschätzen konnte, ob und vor allem wie lange damit Geld zu verdienen war. Rudi Franz fand das sehr vernünftig, gab Otto Zobel die mündliche Zusage, dann folgte die Unterschrift. Sein Sohn war nun Vertragsamateur und verdiente mit dem Fußball seinen Lebensunterhalt. Allerdings auf so kleiner Flamme, dass er weiter in der Amateurnationalmannschaft spielen durfte.
Die erste Unterkunft in Hannover hatte ihm sein neuer Arbeitgeber besorgt. Sie lag in der Yorckstraße, ganz in der Nähe der Trainingsplätze am Stadion. Eine Gründerzeitvilla, in der auch seine Mannschaftskameraden Peter Loof, Klaus Brune und Klaus Plischke untergebracht waren. Betreutes Wohnen für junge Fußballspieler, für jeden ein eigenes Zimmer, Bad und Küche gemeinsam. Der Verein hatte die vier in die Obhut eines älteren Ehepaars gegeben, das sich auch um die Wäsche und das Frühstück kümmerte, selbst in den noch verbliebenen Zimmern lebte und deshalb mitbekam, wenn die Untermieter erst zu vorgerückter Stunde heimkehrten. Dass sie dieses Wissen nicht für sich behielten, war Teil eines ungeschriebenen Abkommens, von dem alle etwas hatten: Hannover 96 zuverlässige Informanten, das Ehepaar pünktlich bezahlte Mieten und die Spieler das gute Gefühl, die ersten Schritte ins Berufsleben nicht ganz alleine gehen zu müssen.
Zobels Einstellung zum Fußball änderte sich durch den Vereinswechsel nicht grundlegend. Künftig mit den Großen der Branche auf einer Bühne zu stehen, war eine schöne Bestätigung seines Talents, aber von der Erfüllung eines Kindheitstraums konnte keine Rede sein. Seine Welt würde auch nicht aus den Fugen geraten, wenn sich die neue Liga als eine oder gleich mehrere Nummern zu groß erweisen sollte. Es gab noch ein Leben außerhalb des Profifußballs und das stellte ihn vor ganz andere, ebenso wenig geplante Herausforderungen: Zobel war Vater geworden, mit 19 Jahren ein ziemlich junger.
Die Begeisterung darüber hielt sich bei den Eltern seiner Jugendfreundin in Grenzen. Die ebenso junge Mutter war das, was man ohne groß zu übertreiben eine sehr gute Partie nennen durfte. Ausgesprochen hübsch, dazu noch aus bestem Hause. Ihr Vater, gebürtiger Münchener, arbeitete als Chefarzt am Krankenhaus in Uelzen und war als Vorsitzender der Deutschen Röntgenologen eine auf seinem Fachgebiet international gefragte und anerkannte Persönlichkeit. Geldfragen spielten in dieser Familie eine deutlich geringere Rolle als solche des Stils und der Etikette. Und die Frage, ob es sich bei Rainer um ihr Idealbild eines Schwiegersohns handelte, war noch lange nicht abschließend geklärt, da hatten die beiden jungen Leute auf ihre Art schon bei der Antwort geholfen.
Dass die Geburt unmittelbar bevorstand, erfuhr Rainer auf dem Frankfurter Flughafen, er war gerade mit der Amateurnationalmannschaft von einer Islandreise zurückgekehrt. Tags darauf sollte das Training bei Hannover 96 beginnen. Ohne bei seinem neuen Verein eine Nachricht zu hinterlassen, nahm er das nächste Flugzeug nach München, wo seine Freundin auf der Geburtsstation eines Krankenhauses lag. Sie in den Arm zu nehmen und seinen Sohn Holger im Leben zu begrüßen, war jetzt wichtiger als alles andere auf der Welt, wichtiger sogar als die ersten Übungseinheiten der neuen Saison.
Als Zobel drei Tage später wieder in Hannover eintraf, erhielt er neben ein paar mündlichen Glückwünschen auch eine schriftliche Abmahnung. Er überflog das Blatt Papier, ein bisschen Interesse zu simulieren konnte nicht schaden, versprach, dass so etwas nicht wieder vorkommen würde, zog sich dann um und nahm als junger Vater das Training auf.
Bei Hannover 96 wollten sie in der Saison 1968/69 größere Räder drehen. Von den letzten beiden Jahren hatten sich alle deutlich mehr erwartet. Ein neunter und ein zehnter Platz waren bei so namhaften und teuren Einkäufen wie den beiden Nationalspielern Josip Skoblar oder Jupp Heynckes zu wenig, um den auslaufenden Vertrag mit dem Trainer zu verlängern. Horst Buhtz musste gehen, für ihn kam Zlatko Cajkovski, von allen nur „Tschik“ genannt. Einer der wenigen Stars der Branche, für den 96 tief in die Tasche griff. Von 20.000 Mark monatlich war die Rede, plus Prämien, in diesen Gehaltsregionen bewegte sich außer dem früheren jugoslawischen Nationalspieler nur Österreichs Meistertrainer Max Merkel.
Aber „Tschik“ hatte bereits bewiesen, dass er sein Geld wert war: Bevor er bei 96 unterschrieb, hatte er fünf Jahre lang Bayern München trainiert, aus Maier, Beckenbauer und Müller Nationalspieler gemacht, 1967 den Europapokal der Pokalsieger nach München geholt und war zweimal DFB-Pokalsieger geworden. Von ähnlichen Erfolgen träumten sie auch in Hannover. Cajkovski war jedenfalls nicht gekommen, um wie sein Vorgänger im Mittelfeld zu versauern. Ihm schwebte ein Platz unter den ersten Vieren vor. Auch der „kicker“ zählte seine Mannschaft zum Kreis der Titelkandidaten, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass keines der „drei Asse“ ausfällt. Gemeint waren die Stürmer Skoblar und Heynckes sowie der Mittelfeldspieler Hans Siemensmeyer, der zu diesem Zeitpunkt bereits dreimal für die A-Nationalmannschaft aufgelaufen war.
Die Vorfreude auf die neue Saison war riesig, die Stadt galt als traditionell fußballverrückt. 1963, bei der Gründung der Bundesliga, hatte 96 noch gegenüber dem ungeliebten Rivalen Eintracht Braunschweig den Kürzeren gezogen, als Hannover dann mit einem Jahr Verzögerung im Oberhaus ankam, gab es kein Halten mehr. Die Mannschaft beendete die Spielzeit auf einem nicht für möglich gehaltenen fünften Platz und die über 40.000, die die Heimspiele im Durchschnitt besuchten, bedeuteten Platz eins in der Zuschauertabelle. An die Begeisterung dieser noch nicht so lange zurückliegenden Saison wollte der Verein unter Cajkovski wieder anknüpfen.
Zobel wusste, welcher Ruf diesem Trainer vorauseilte. Und er war nach der ersten Begegnung schwer beeindruckt. Klein und dick, wie er nun einmal war, erinnerte „Tschik“ nicht auf Anhieb an einen früheren Weltklassespieler, aber sobald er den Ball am Fuß hatte, war er eine Sensation. Cajkovski hatte Tricks drauf, die ihm kaum einer nachmachte und wer es trotzdem versuchte, stolperte dabei oft über die eigenen Beine. Jeder Pass, jede Flanke kam präzise dort an, wo er sie hinhaben wollte, und wenn „Tschik“ einen Ball stoppte, war es so, als hätte ein Magnet ein Stück Eisen angezogen. Wäre dieser wirklich voluminöse Ranzen nicht gewesen, der seine Trainingsjacke bis zum Äußersten spannte, hätte er eigentlich selber für die 96er auflaufen müssen.
Das Training ohne Ball fand Zobel nicht annähernd so beeindruckend, was Cajkovski da zu bieten hatte, kannte er auch von früher. Er musste viel laufen, an manchen Tagen standen Intervalle von 10 mal 200 Meter in vollem Tempo auf dem Programm, gefolgt von ein paar Dehnübungen, dann wurde gespielt. Oft acht gegen acht, meistens nur in einer Hälfte, jeder bekam einen Mann zugeordnet, an dem er sich aufreiben konnte. Taktische Dinge spielten kaum eine Rolle. Sonderlich originell war das nicht. Der wesentliche Unterschied zum SC Uelzen bestand darin, dass bei Hannover 96 nahezu täglich trainiert wurde. Montags und mittwochs einmal, dienstags und donnerstags zweimal, am Freitag das Abschlusstraining, samstags das Spiel, am Sonntag war frei. Seinen neuen Alltag beschrieb Zobel ein paar Jahre später in einem Interview so: „Ich bin spät aufgestanden und habe aufs Mittagessen gewartet. Dann habe ich aufs Training gewartet und dann aufs Abendessen und dann bin ich ins Bett.“
Vor Heimspielen übernachtete die Mannschaft in einem Gasthof am „Blauen See“ im Vorort Garbsen, ein beliebtes Ausflugsziel auch für die Zuhälter vom Steintorviertel, die ihre Wohnwagen dort aufstellten und sich von ihren kräftezehrenden Nachtschichten erholten. Wie die meisten Hannoveraner nahmen auch sie regen Anteil am Schicksal von 96, mit der Zeit entwickelte sich so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis. Man kam sich näher, unterhielt sich über das kommende Spiel und wenn Zobel unter der Woche mit seiner Familie oder Freunden durch die Stadt ging, ließ es sich kaum vermeiden, dass er von der einen oder anderen Rotlichtgröße gegrüßt wurde. Man konnte sich seine Fans nicht aussuchen und die hier gehörten zu den wenigen, die ihn als Profi von Hannover 96 erkannten. Wie die meisten seiner Mannschaftskameraden konnte Zobel ein unauffälliges Leben führen. Zwar eines mit Autogrammkarte, aber die Nachfrage hielt sich in Grenzen. Das Bild war ihm ohnehin etwas unangenehm. Am Tag vor dem Fototermin waren ihm noch die Weisheitszähne gezogen worden, richtig glücklich blickte er jedenfalls nicht in die Kamera.
Vielleicht ließ „Tschik“ nicht nach den letzten Erkenntnissen der Sportwissenschaft trainieren, in der Mannschaftsführung machte ihm aber keiner etwas vor. Die Spieler schätzten ihn, das Betriebsklima war familiär. Wann immer sich die Gelegenheit bot, gingen sie zusammen essen, meistens zum Jugoslawen, ab und zu kochte auch Cajkovskis Frau. In geselligen Runden brachte er seine Umgebung zum Lachen, vor allem, wenn er sich mit seiner abenteuerlichen Grammatik verständlich machen wollte. „Ein fröhlicher Trainer, eine fröhliche Mannschaft“, lüftete „Tschik“ einmal sein Erfolgsgeheimnis. Nicht zuletzt als Talentförderer hatte er sich einen Ruf gemacht. Er konnte mit jungen Leuten umgehen, und genau so einen Mann brauchten sie jetzt bei Hannover 96. Anders als in den Jahren zuvor hatte der Verein nur für kleines Geld eingekauft, darunter die Vertragsamateure Peter Loof und Rainer Zobel. Im Angriff waren zwei der drei Plätze an Jupp Heynckes und Josip Skoblar vergeben, gesucht wurde noch ein Rechtsaußen.
Cajkovski hatte auf dieser Position einige Kandidaten ausprobiert, so richtig überzeugen konnte ihn keiner. Beim Inter-Toto-Runden Spiel gegen den Schweizer Verein AC Bellinzona bekam der Neuling aus Uelzen seine Chance. Vielleicht nicht seine Lieblingsposition, aber das war nur zweitrangig, passte sie doch wunderbar zu Zobels oberstem Prinzip: Wo auch immer der Trainer dich aufstellt, sei so gut, dass die Mannschaft dich braucht, dass du unverzichtbar bist. Seine Vielseitigkeit zahlte sich aus. 96 gewann das Spiel locker mit 4:0, die Frage nach dem dritten Mann im Sturm war geklärt und die Fachpresse beeindruckt: „Rainer Zobel, der Amateur-Nationalspieler, ist der kommende Rechtsaußen bei Hannover 96. Von allen Möglichkeiten, die Tschik Cajkovski auf dieser Position ausprobierte, spielte er am wirkungsvollsten.“ Seinem Bundesligadebüt in ein paar Tagen stand nichts mehr im Wege.
Rechtzeitig vor Saisonbeginn hatte sich der Deutsche Fußball-Bund mit ARD und ZDF auf einen neuen Vertrag geeinigt. Der alte war ausgelaufen und es gab Vereine, denen die Fernsehbilder überhaupt nicht passten, Bayern München gehörte dazu. Deren Präsident Wilhelm Neudecker war davon überzeugt, dass die „Sportschau“ um 17:45 Uhr die Leute aus den Stadien treibe und die Einnahmeverluste weit höher seien als die gerade einmal 2.300 Mark Entschädigung pro Verein und Heimspiel. Tatsächlich strömten die Fans nicht mehr so zahlreich zu den Bundesligaspielen wie noch in den ersten Jahren. Ob es an den Fernsehbildern bereits eine halbe Stunde nach dem Abpfiff lag, darüber wurde gestritten. Am Ende entschied wie so oft das Geld, man einigte sich kurz vor Anstoß der Saison 68/69. Die ARD durfte samstags ab 18 Uhr eine halbe Stunde berichten, dem ZDF wurden ab 21 Uhr drei bis vier Bundesligaspiele zugestanden, ebenfalls in einer Gesamtlänge von maximal 30 Minuten. Die beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten zahlten dafür 1,68 Millionen Mark pro Saison, fast doppelt so viel wie bisher.
„Der Fernsehkrieg ist aus“, freute sich der „kicker“, dessen Kommentator Richard Becker seine Vorbehalte gegenüber diesem Medium aber nicht verbergen konnte: „Der Bildschirm ist ein Kind unserer Zeit. Aber ich habe etwas gegen die Mini-Ausschnitte, die dem unbedarften Betrachter das Gefühl suggerieren wollen, er könne nun mitreden und wisse alles. Diese drei oder vier Minuten pro Spiel, gespickt mit Toren und den sogenannten Höhepunkten, verfälschen den Fußball. Mit diesen Ausschnitten läßt sich alles beweisen, aber sie interpretieren den Fußball keineswegs so, wie er wirklich ist. Darin sehe ich die große Gefahr.“
Zobel sah es weniger verbissen und freute sich auf seinen ersten Auftritt in der Bundesliga, seine Mannschaft musste bei Werder Bremen antreten. Dass er im Weserstadion zur Startelf zählen würde, hatte ihm sein Trainer schon ein paar Tage vorher gesteckt. Obwohl er nicht die geringste Spur von Nervosität zeigte, forderte ihn sein Trainer am Spieltag auf, gleich nach dem Frühstück eine Art Zaubertrank zu sich zu nehmen. „Um die Nerven zu beruhigen“, so Cajkovskis fürsorgliche Begründung. Ansonsten war Flüssigkeitsaufnahme verpönt, bei Hannover 96 genauso wie bei jedem anderen Verein in der Bundesliga. Die Spieler sollten mit so wenig Wasser wie möglich auskommen, empfahl die Ernährungswissenschaft. Später bei Bayern München gab es beim Abendessen für jeden eine kleine Flasche Mineralwasser. Wer mehr wollte, ließ sich besser nicht erwischen. Beim Bier waren die Vorschriften weniger streng. „Fritz Walter ist auch ohne Wasser ausgekommen“, war so ein Spruch, den Zobel immer wieder hörte und dann entgegnete: „Der sah ja auch aus wie eine ausgetrocknete Zitrone.“
Beeindrucken konnte er seine Trainer damit nicht. Das Gebräu, das er vor seinem ersten Bundesligaspiel zu sich nehmen sollte, hieß in der Mannschaft Ochsenblut. Es sollte vor allem jüngeren Spielern Beine machen und der Name deutete mehr als nur an, dass es um die Mobilisierung der allerletzten Reserven ging. „Tschiks“ Zaubertrank bestand aus rohem Eigelb, Traubenzucker und einem ordentlichen Quantum Rotwein. Alles in einen Mixer, ordentlich schütteln – und dann runter damit. Das erste Glas hätte ihm schon fast die Schuhe ausgezogen, aber „Tschik“ wollte auf Nummer sicher gehen, schenkte nach und befahl, auch das zweite Glas Ochsenblut zu leeren. Gegen Mittag war Zobel wieder soweit in Schuss, dass er den Ausführungen seines Trainers bei der Mannschaftsbesprechung halbwegs folgen konnte: „Zobel“, hatte Cajkovski auf ihn eingeredet, ohne sich um Nebensächlichkeiten wie Satzbau oder Grammatik zu kümmern, „Sie müssen so laufen, dass diese laufen hinter Sie. Und nicht Sie hinter diese.“
Er hielt sich daran, trotzdem verlor Hannover 96 die Auftaktpartie mit 2:3. Cajkovski ärgerte sich über das Ergebnis, seinem Neuling aber zollte er großes Lob: „Bester Mann war für mich Zobel!“, teilte er den ebenfalls beeindruckten Reportern mit. Die „Hannoversche Allgemeine“ schrieb: „Von den drei Amateuren, denen Cajkovski eine Chance gab, schnitt der schmächtige Zobel am besten ab. Er hatte Witz und bewies auch mit dem Ball umzugehen.“ Zobel gehörte zu den wenigen Spielern, die die 30.000 Zuschauer daran erinnerten, warum sie ins Weserstadion gekommen waren: „Werder hat teilweise Rugby gespielt“, schimpfte Cajkovski, aber auch seiner Mannschaft wurde „Fußball nach Catchermanier“ attestiert: „Sie stürzten wie die Habichte auf den Gegner. Blinder Eifer schadet nur.“
Nach sechs Spielen wartete Hannover 96 immer noch auf den ersten Sieg und stand auf dem vorletzten Tabellenplatz. Dann schien mit Alemannia Aachen genau der richtige Gegner zu kommen, um den eigenen Anhang zu versöhnen. Die Niedersachsen spielten in der ersten Halbzeit einen berauschenden Fußball und hätten locker 8:0 führen können, begnügten sich aber mit einem 4:0. Im zweiten Durchgang bauten sie dann stark ab, sodass trotz eines 5:2-Siegs kaum einer zufrieden nach Hause ging. Irgendwie steckte der Wurm drin, die Saison kam nicht so richtig ins Rollen. Nach einer 1:2-Heimniederlage gegen Eintracht Frankfurt schwoll der Volkszorn so richtig an. Einige hundert der nur noch 18.000 Zuschauer hatten sich vor dem Stadion versammelt, weil sie mit dem Trainer ein paar ernste Worte wechseln wollten. Cajkovski hatte keinen Gesprächsbedarf und wurde auf Umwegen aus dem Stadion gebracht.
Das 1:0 gegen den späteren Meister Bayern München brachte immerhin einen versöhnlichen Abschluss der Vorrunde, aber die 96er schafften es auch in der Rückrunde nicht, sich von den Abstiegsrängen abzusetzen. Drei Spieltage vor Schluss standen sie auf Platz 11, nur zwei Punkte vor dem Tabellenletzten, dem Titelverteidiger und späteren Absteiger 1. FC Nürnberg. Ansehnlicher Fußball war unter diesen Bedingungen längst nicht mehr gefragt, nach einem 1:1 bei Schalke 04 bemerkte deren Trainer Rudi Gutendorf: „Eine solche Catchertruppe wie Hannover 96 habe ich noch nie gesehen.“ Und sein begnadeter Rechtsaußen Reinhard „Stan“ Libuda stöhnte: „Junge, Junge, was für Treter. Das hatte mit Fußball nun wirklich nichts mehr zu tun.“
Einen Spitzenplatz hatte „Tschik“ mit seiner Mannschaft angestrebt, am Ende einer enttäuschenden Saison waren alle froh, den Klassenerhalt gesichert zu haben. Zu den wenigen erfreulichen Erscheinungen zählte Rainer Zobel. Wie von seinem DFB-Trainer Udo Lattek vorhergesagt, eroberte er sich einen Stammplatz, stand in 33 von 34 Spielen in der Startelf und schoss auch vier Tore. Sein Trainer hielt ihn jetzt für so stabil, dass er Zobel künftig ohne seine Ration Ochsenblut aufs Feld schickte.
Von einem rundum gelungenen ersten Jahr konnte trotzdem nicht die Rede sein. Seine Schulkarriere lag auf Eis, der Verein fühlte sich an die mündlich gegebene Zusage nicht mehr gebunden, ein regelmäßiger Unterrichtsbesuch ließ sich angeblich nicht mit den Anforderungen an einen Bundesligaspieler verbinden. Seinem Vater machte das mehr zu schaffen als ihm selbst. Otto Zobel ärgerte sich über seine Gutgläubigkeit, er hätte sich die Zusage schriftlich geben lassen sollen und alles hätte seine Ordnung gehabt. So dachte ein Staatsdiener. Es war schon ein dubioses Milieu, in das sein Sohn da hineingeraten war.