Читать книгу Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen - Albrecht Gralle - Страница 8

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Ich fuhr nach Hannover, nachdem wir von Israel zurückgekommen waren. Dazwischen lagen Tage, an denen meine Gefühle eine Berg- und Talfahrt durchlebten. Erst allmählich begriff ich, was da auf mich zukam: Der auferstandene Christus spaziert durch das einundzwanzigste Jahrhundert, und ich bin dabei. Ich habe ihn angefasst und kann ihn mit allen Fragen löchern, die bisher niemand beantworten konnte. Ich verstand auch, warum damals viele Menschen von seiner Ausstrahlung berührt worden waren und ungewöhnliche Dinge für ihn taten.

In der ersten Nacht nach unserer Begegnung konnte ich kein Auge zutun, denn ich überlegte mir tausend Fragen, die ich ihm stellen würde: Wohin steuert die Menschheit? Ist die Erde ökologisch noch zu retten? Gibt es Sex im Himmel? Wird Schottland unabhängig? Was passiert mit den USA? Und: Können wir uns als Deutsche eine Zukunft ohne Flüchtlinge überhaupt noch leisten oder sterben wir vorher aus? Und so weiter.

Zurück nach Hannover. Viel Altstadt gibt es ja nicht, aber die Gegend um die Marktkirche herum ist mit ein paar schönen Häusern und Altstadtatmosphäre geschmückt.

Ich stieg am Kröpke aus der U-Bahn und ging zu Fuß zu unserem Treffpunkt. Es war ein frischer Herbsttag. Die Sonne schien, aber keine drückende Hitze hing über der Stadt. Ein Wind fegte ab und zu über die Markisen der Straßencafés und Geschäfte, fuhr in die Alleebäume der Georgstraße und wirbelte ein paar Blätter über den Gehsteig.

„Ich muss nach Hannover, um einen alten Freund zu treffen“, hatte ich zu meiner Frau gesagt. Noch getraute ich mich nicht, mit ihr darüber zu sprechen, dass ich ein Date mit Jeschua hätte, der gerade mal wiedergekommen sei und mich treffen wolle. Das klang mir dann doch zu bizarr, und ich war inzwischen selbst nicht mehr sicher, ob sich jemand mit mir einen Scherz erlaubt hatte. Aber die Berührung eines auferstandenen himmlischen Körpers vergisst man nicht.

So ging ich also etwas angespannt durch die Packhofstraße zum Hans-Lilie-Platz, an den Fachwerkhäusern vorbei, bis ich vor der massigen Backsteinkirche stand.

Nur zur Information: Ich bin ein einigermaßen überzeugter Christ, habe diverse Zweifel durchlebt, glaube aber inzwischen alles, was im Glaubensbekenntnis steht, und das ist heutzutage nicht selbstverständlich. Ich finde es einfach albern, Glaubensgrundsätze über Bord zu werfen, die tausendfünfhundert Jahre gegolten haben, nur weil es ein paar intellektuelle Gegengründe gibt. Was ist denn so schlimm daran, an die Jungfräulichkeit Marias zu glauben? Schließlich sieht doch jeder, dass sich der Giersch auch mühelos vermehrt, ohne Sex gehabt zu haben.

Ich will nur sagen, dass die ganzen Wundergeschichten für mich kein Problem mehr sind. Warum sollten gelähmte Leute nicht gesund werden, wenn jemand durch Handauflegung Energie in ihren Körper fließen lässt? Warum sollte nicht jemand über das Wasser gehen können? Wir schaffen es sogar, über den Boden zu schweben, wenn wir verliebt sind oder auf den Nerven anderer Leute herumzutrampeln, ohne unterzugehen. Die meisten glauben unbesehen, was die Werbung ihnen verspricht, dagegen ist eine Totenauferweckung eine Lappalie.

Ich kenne die Bibel einigermaßen. Meine Lieblingsbücher sind das erste Buch Mose, Jesaja und die Evangelien.

Ich schaute auf die Uhr: halb eins. Von Jeschua keine Spur. Ich ging um die Kirche herum, betrachtete das Lutherdenkmal und las die Worte: „Christus vivit.“

Wie wahr!

Vielleicht sollte ich hineingehen, überlegte ich, und betrat die Kirche, die zum Glück offen war.

Ich meinte vorne vor dem Altar, eine Gestalt zu sehen. Das könnte er sein.

Tatsächlich stand Jeschua vor dem Altarbild und betrachtete interessiert die Szenen aus seinem Leben, besonders die Kreuzigungsgruppe in der Mitte. Alles vergoldet.

„Hallo!“, sagte ich mit einem leichten Hall in der Stimme.

Er drehte sich um und lächelte mir kurz zu. Inzwischen war er ganz normal angezogen: lange Hose, Hemd, ein dünner Pullover und bequeme Sportschuhe. Ich hoffte, dass er das alles diesmal gekauft hatte.

„Friede mit dir“, war seine Antwort. Es war seltsam. So etwas wie eine ungewohnte Ruhe kam über mich. Ich erinnerte mich an ein Lied, das wir damals als Jugendliche gesungen hatten: Ich weiß, was Friede ist, er liegt wie zarter Tau auf meiner Haut.

„Ja … ahm … ebenfalls Friede. Da bin ich also“, sagte ich überflüssigerweise.

„Interessant, wie die Künstler diese furchtbaren Szenen vergoldet haben“, sagte er.

„Na ja, vielleicht kann man sie dann besser ertragen“, schlug ich vor.

„Mag sein“, murmelte er. „Es war hart genug für mich.“

Wir schwiegen ein paar Augenblicke. Dann sagte ich: „Mir ist es immer noch ein Rätsel, wie du das alles durchgestanden hast. Stundenlang in glühender Hitze am Kreuz hängen, die Nägel durch die Handgelenke getrieben, die Füße angenagelt. Dornen in der Kopfhaut, und man kann sich nicht kratzen … Ich würde durchdrehen.“

Er zuckte die Schultern. „Ich hatte natürlich vorher mental trainiert, um die Schmerzen aushalten zu können. Das geht bis zu einem gewissen Grad. Gedanken setzen mehr Kräfte frei, als man denkt, aber länger als ein Tag ist kaum machbar.“

„Und dann hat dich Gott auch noch verlassen“, fügte ich hinzu.

„Das ist Unsinn“, meinte er.

„Aber es steht doch im … ich glaube im Markusevangelium.“

„Oh ja, das stimmt schon. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, von Gott verlassen zu sein, weil ich alles Menschliche durchleben musste, aber natürlich war mein Vater da. In meiner schlimmsten Stunde zieht er sich doch nicht zurück, schließlich sind wir eine untrennbare Einheit. Ich bin seine menschliche Seite. Er ist immer gegenwärtig.“

„Musste sich Gott nicht zurückziehen, weil die Sünde der ganzen Welt auf dir …“

Jeschua blickte mich streng an, und ich hörte auf zu sprechen.

„Wenn Gott sich jedes Mal vor der Sünde zurückgezogen hätte, wäre die Welt gottlos geworden und schon längst untergegangen.“

„Aha“, sagte ich nur. „Aber … aber wenn Gott gegenwärtig ist, gilt das auch für die Hölle?“

„Sicher“, nickte er, „natürlich indirekt. Es gibt keine Energie, die an Gott vorbei existiert. Aber die Leute dort wissen es nicht oder wollen es nicht wissen.“

Das war mir neu, und ich musste es erst mal verdauen. Wenn Gott in der Hölle ist, dann müsste er auch in den Überschwemmungsgebieten, in der Wüste, bei den Terroristen und im Unterhaltungsprogramm des Fernsehens sein.

„Übrigens: Hast du Hunger?“, fragte Jeschua, der Auferstandene.

„Na ja, es ist Mittag und seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen.“

„Gut, dann gehen wir etwas essen“, meinte er, drehte sich um und ging den Gang zurück. Ich folgte ihm. Was sollte ich auch sonst tun als getaufter Nachfolger?

Wir fanden ein argentinisches Steakhouse in der Georgstraße, bei dem man draußen sitzen konnte.

„Ich lade dich ein!“

„Oh“, meinte ich, „vielen Dank. Wie machst du das eigentlich mit dem Geld? Wo bekommst du es her?“

„Das würdest du gerne wissen, was?“

„Das wäre praktisch.“

„Alles Materielle kann unendlich vermehrt werden, aber nur von Leuten, die sich in einer übergeordneten Dimension befinden …“

„Aber du konntest es doch vor deiner Auferstehung auch schon, oder nicht?“

„Ich bin die Ausnahme.“

„Okay.“

Der Kellner kam und erklärte uns, dass man sich einen Salatteller selbst zusammenstellen sollte, wir müssten ihm nur sagen, welches Fleisch und wie viel wir wollten.

Ich bestellte das Beste und Teuerste und dachte mir: Jemanden, der Geld vermehren kann, den kann man eigentlich kaum schädigen.

Jeschua bestellte sich Wein zu seinem Steak. Warum war er eigentlich nicht Vegetarier?

Ich nahm lieber Wasser und verzichtete auf den Wein, damit ich nicht während der nächsten Stunden müde wurde. Für mich war das ja eine Art Arbeitsessen.

„Ich habe mich oft gefragt“, fing ich an, als wir unseren Salat zusammengestellt hatten und unsere Steaks gebracht wurden, „was du eigentlich die ganze Zeit im Himmel so machst.“

Er sagte nichts und deutete auf unsere Teller.

„Erstmal essen und genießen“, meinte er.

Wir aßen schweigend.

Dann sagte er: „Ich weiß, dass du viele Fragen hast, du liebst ja die Details, aber ich möchte dich schon mal vorwarnen, dass du nicht alles verstehen wirst. Manchmal muss ich zu Bildern greifen oder zu Symbolen. Weißt du, der Himmel ist ein Ort, wo die Urbilder zu Hause sind. Was auf der Erde eine irdische Ausprägung hat, das gibt es im Himmel im Original. Stell dir vor, du hast einen wunderschönen Garten, und du entwirfst Zeichnungen davon für Leute, die so platt sind wie ein Blatt Papier ….“

Es fiel mir schwer, mir das vorzustellen.

„Zu deiner Frage: Was ich oder was wir so machen? Bei uns im Himmel ist es nicht so, dass wir mal was machen und mal nicht. Ich bin mit dem ganzen Universum verbunden, und wenn ich mich jetzt konzentrieren würde, wüsste ich, womit Menschen, Pflanzen, Tiere in einem anderen Sonnensystem und in einer anderen Milchstraße sich gerade beschäftigen. Du siehst einen himmlischen Menschen vor dir, aber ich bin nur die Oberfläche Gottes, sein abgemildertes Bild. Gott in seiner Herrlichkeit könntest du keine Sekunde ertragen …“

Er blickte mich an, und vor meinen Augen ging eine Verwandlung vor sich, Licht schien durch ihn hindurch, und die Erde begann zu beben, oder es kam mir so vor.

Ich ließ meine Gabel fallen und sagte: „Hör auf!“

Ein paar Leute drehten sich um.

„Verstehst du, die ganze Wirklichkeit ist mit mir verbunden, jede Sekunde. Wenn nicht, würde alles auseinanderbrechen. Das ist unsere Arbeit, wir halten alles am Laufen.“ Er überlegte und sagte dann: „Die Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält, um Goethe zu zitieren.“

„… und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns …“, flüsterte ich.

„So ist es!“, nickte er und trank einen Schluck Wein.

„Hm“, sagte er, „ich hätte die wirklich teure Sorte nehmen sollen, aber als Begleitung zu einem Steak ganz okay.“

„Und was hast du vor, während du deine … ahm … Inspektion oder Chefvisite machst?“

Er lächelte. „Ich inspiziere nichts. Was hier läuft, das weiß ich alles schon, aber ich muss Dinge anstoßen, Worte, wie Samen auf die Erde streuen, Anregungen geben, nach dem Rechten sehen.“

„Merkwürdig“, sagte ich. „Jemand, der allmächtig ist und mit einem Fingerschnipsen alles zum Guten wenden könnte, müsste doch keine Entwicklungen anstoßen!“

Jeschua seufzte. „Es ist immer wieder das Gleiche. Die Menschen hier verstehen einfach nicht das Konzept der Allmacht Gottes. Als Gott seine Energie von sich wegschickte, um eine Schöpfung entstehen zu lassen, schuf er gewisse Gesetzmäßigkeiten. Er hat gemacht, dass die Dinge sich machen und kann das nicht dauernd umstoßen. Er konnte die Evolution in gewisse Bahnen lenken, das schon, aber die Welt der Menschen muss sich in einer bestimmten Freiheit entwickeln können, sonst taugt sie nichts. Und deshalb muss ich Entwicklungen anstoßen und kann nur darauf hoffen, dass Menschen sie annehmen. Ich kann Menschen nicht einfach wie ein Zauberer verändern. Wäre ja auch sonst ziemlich langweilig. Wir sind allmächtig in dem Sinn, dass alle Macht von uns kommt. Aber …“, er deutete mit der Gabel auf meinen Teller. „Dein Fleisch wird kalt.“

Wir aßen weiter, und schließlich fragte ich ihn nach seinen konkreten Plänen.

„Ich werde wohl die muslimische Welt besuchen müssen“, sagte er, „da läuft gerade etwas schief. Gott ließ den Islam entstehen, um die Menschen, die den christlichen Glauben nicht annahmen, wenigstens von ihrer Vielgötterei abzubringen, aber zur Zeit läuft es wirklich aus dem Ruder.“

„Und Deutschland?“

„Deutschland ist gar nicht so schlecht. Nach der großen Katastrophe haben die Deutschen immerhin dazugelernt, aber klar, ein paar Dinge muss ich hier auch in Gang bringen …“

„Und wie … wie kommen wir da hin? Fliegen wir durch die Luft wie Superman?“

Jeschua wehrte ab: „Nein, nein, wir fliegen ganz normal mit dem Flugzeug oder reisen mit der Bahn. Ich möchte nicht auffallen.“

Oh, dachte ich, dann muss ich mit meiner Frau doch ernsthaft reden, wenn ich so oft unterwegs bin. Das wird ihr nicht gefallen.

„Ich begleite dich nach Hause“, sagte er. „Deine Frau wird es verstehen.“

Es klang, als ob er meine Gedanken hören konnte, wahrscheinlich war es auch so.

„Ich musste mich damals um Petrus‘ Schwiegermutter persönlich kümmern. Die arme Frau war vor lauter Sorge krank geworden. Kann man gewissermaßen verstehen, wenn die Männer in einem Familienbetrieb kurzzeitig ausfallen.“

Wir ließen uns noch den Nachtisch schmecken, Crème Brûlée, sehr lecker, und traten wieder auf die Georg-Straße. Zwischendurch musste ich mir sagen: Ich bin jetzt mit dem wiedergekommenen Christus unterwegs, weil alles so normal schien. Nein, es gab noch einen kurzen Zwischenfall, als ein Auto ihn streifte und der Seitenspiegel zerbrach. Pech für das Auto.

Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen

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