Читать книгу 24 literarische Leckereien - Alegra Cassano - Страница 8
Markus
Оглавление„Ach, Schatz, nun stell dich doch nicht so an. Es wird bestimmt lustig.“
Seine Mutter hatte gut reden. Sie musste ja auch nicht dorthin, sondern er.
„Du bist doch ein großer Junge, oder willst du, dass ich mit komme?“, fragte sie nach und er spürte ihre Unsicherheit. Am liebsten hätte er gesagt: „Ja! Komm mit!“, aber dann würden die anderen erst recht über ihn lachen.
„Die Jenny ist bestimmt auch da, und die Cora“, sagte seine Mutter und zupfte sein weißes Hemd zu recht. Er hatte sich schick machen müssen. Schließlich war das ja eine Weihnachtsfeier.
„Den Pastor kennst du doch auch“, plapperte sie weiter. Das war nicht das Problem. Er kannte fast alle, die dort auf der Feier sein würden und die kannten ihn.
Markus trug die Schüssel Salat, die er mitbringen sollte, zum Gemeindesaal. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen, so ganz alleine. Als er hinein ging, rutschte er auf dem Schnee aus, der unter seinen Stiefeln auf den Boden schmolz. Er machte eine wilde Verrenkung, fing sich aber wieder und den Salat hatte er auch gerettet. Gelächter schallte ihm entgegen und er bekam einen roten Kopf.
Vorsichtig ging er weiter und stellte seine Schüssel auf den Tisch, auf dem schon viele andere Speisen standen. Noch bevor er seine Jacke ausgezogen hatte, hörte er spöttische Stimmen.
„Na? Hat Mutti dich heute fein gemacht?“
Er sah an sich hinunter. Seine dunkelblaue Cordhose war ganz neu und schön warm. Das weiße Hemd sah so aus, wie das seines Vaters und er war mächtig stolz darauf, genau wie auf die blaue Fliege, die seine Mutter ihm umgebunden hatte.
„Ja“, sagte er unsicher, weil er nicht wusste, was falsch daran war, wie er herum lief.
„Da ist ja unser Spasti“, hörte er jemand anderen sagen. Dieses Wort kante er nicht, und wenn er seine Mutter danach fragte, wurde sie immer gleich wütend.
Als Markus sich traute umherzublicken, sah er Jenny, ein Mädchen aus seiner Nachbarschaft, an der Wand lehnen. Sie war immer nett zu ihm und gab ihm oft was von ihren Süßigkeiten ab. Markus Mutter erlaubte ihm nur ganz selten etwas Süßes, deshalb fand er es nett von Jenny, dass sie ihm etwas zusteckte. Das war ein Geheimnis zwischen ihnen beiden.
Markus ging auf Jenny zu und winkte schüchtern. Sie sah ihn aber anscheinend nicht.
„Hallo Jenny!“, rief Markus. Er traute sich nicht näher an sie heran, weil zwei Jungen bei ihr standen, die ihn schon oft geärgert hatten. Jenny sah ihn nicht an. Ob sie ihn nicht gehört hatte?
„Hallo Jenny!“, rief Markus noch einmal.
„Dein Freund ruft nach dir“, sagte einer der Jungen, die bei ihr standen und alle lachten. Markus blieb abwartend stehen. Er dachte, dass Jenny gleich zu ihm kommen würde, wenn sie mit den beiden zu Ende gesprochen hatte. Sie ging zwar nach einer Weile in seine Richtung, raunte aber nur: „Hau ab!“, und verschwand auf der Toilette.
Markus sah ihr verwundert nach. Hatte er etwas falsch gemacht? War sie böse auf ihn?
Verwirrt sah er sich nach einem Platz um, auf den er sich setzen konnte. Ganz hinten an der Wand sah er einen freien Stuhl und ging dorthin. Markus konnte nicht so gut laufen, wie die anderen. Er drehte den einen Fuß immer ganz nach außen und deswegen sah es für andere komisch aus. Die Lacher und Bemerkungen ignorierte er, obwohl sie ihm immer noch weh taten.
Kaum saß er, da kam Pastor Kunze zu ihm.
„Na, Markus, hast du Spaß? Schön, dass du da bist“, sagte der nette Mann. Markus ging jeden Sonntag mit seiner Mutter zur Kirche und kannte den Pastor gut. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er war immer noch verwirrt, wegen Jenny, deshalb sagte er nichts.
„Ich hole mir mal etwas zu trinken“, sagte der Pastor nach einer Weile, „möchtest du auch was?“
Markus schüttelte den Kopf.
„Na, Spasti, was machst du denn hier?“, fragte der große Björn und stützte sich so auf den Tisch, dass er Markus die Sicht versperrte. „Hat dir keiner gesagt, dass heute für Behinderte geschlossen ist?“
Markus runzelte die Stirn und schüttelte dann stumm den Kopf.
„Was willst du hier?“, stichelte Björn weiter, „Es will niemand etwas mit dir zu tun haben. Am besten gehst du gleich nach Hause zu Mami. Wenn du unterwegs einem Bus begegnest, zögere nicht dich davor zu werfen.“ Er lachte wiehernd. „Keiner würde dich vermissen, man!“
Markus war solche Gemeinheiten gewohnt, aber trotzdem tat es immer wieder weh, nur zeigte er es niemandem mehr.
„Lass mich in Ruhe“, sagte er, allen Mut zusammen nehmend.
„Was?“, fragte Björn laut.
Markus zuckte zusammen. Ein paar andere Jungen kamen hinzu.
„Was ist denn los?“, fragte einer. Markus traute sich gar nicht aufzusehen.
„Unser Spasti hat heute Mut gefrühstückt“, sagte Björn gehässig. „Komm mit raus, dann zeig ich dir was.“ Markus sah sich nach dem Pastor um. Er wollte nicht mit raus gehen. Björn war immer so gemein zu ihm.
„Na los!“, sagte ein anderer Junge und stieß Markus an.
„Ich will aber nicht raus“, sagte Markus leise. Da zogen ihn zwei Jungen auf die Beine. Er sah Jenny etwas entfernt stehen und hoffte, dass sie ihm helfen würde, aber sie sagte nichts, stand nur stumm da und starrte ihn an.
Sie führten ihn durch den Saal Richtung Ausgang. Es war kalt und er hatte seine Jacke nicht an. Die Treppen waren glatt und Markus rutschte aus und fiel mit seiner neuen Hose in den Schnee.
Als er aufsah, stand Cora vor ihm, seine Freundin. Sie war schon erwachsen, also jedenfalls durfte sie seit dem Sommer Auto fahren. Cora reichte ihm die Hand und half ihm hoch.
„Das ist aber auch glatt, heute“, sagte sie und putzte den Schnee von Markus Hose, „ich bin vorhin auch gefallen.“ Sie fragte Markus, ob sie sich bei ihm einhaken konnte und entschuldigte ihn bei seinen „Freunden“.
„Markus hat mir versprochen etwas mit mir zu trinken. Ihr seid doch nicht sauer, wenn ich ihn entführe?“, fragte sie und lächelte die verdutzten Jungen an. Keiner wagte ihr zu widersprechen. Cora war das schönste Mädchen der Schule. Im letzten Jahr war sie sogar Abi-Ball- Königin gewesen.
Björn konnte es gar nicht fassen, dass sie sich mit so einem wie Markus, dem Spinner, abgab.
Als die Jungen wieder hinein wollten, stellte sich ihnen der Pastor in den Weg.
„Wie heißt unser heutiges Motto, Björn?“, fragte er. Der Angesprochene zuckte die Schultern. Er war zum Essen hier und weil seine Freunde auch hier waren. Was denn für ein Motto?
„Menschen helfen Menschen“, half Pastor Kunze ihm auf die Sprünge.
„Und?“, fragte Björn patzig.
„Ich habe sehr wohl gesehen, was ihr wieder mit dem armen Markus angestellt habt. Ich wollte gerade einschreiten, als Cora mir das abgenommen hat. Trotzdem werdet ihr nicht ungeschoren davonkommen. Wenn ihr nicht wollt, dass ich mit euren Eltern rede, werdet ihr euch als erstes bei Markus entschuldigen. Dann übernehmt ihr freiwillig kleine Dienste für Markus Mutter, wie Schnee schaufeln, den Müll entsorgen und was sie euch sonst noch aufträgt.“
Die Jungen murrten laut, aber Pastor Kunze schnitt ihnen das Wort ab. Am Ende ergaben sie sich in ihr Schicksal. Schließlich wollten sie alle im Frühjahr konfirmiert werden und Stress mit den Eltern konnte auch niemand von ihnen gebrauchen.
Markus staunte nicht schlecht, als die Jungen sich der Reihe nach bei ihm entschuldigten. Er traute dem Braten nur nicht. Wenn der Pastor und Cora nicht in der Nähe waren, würden sie bestimmt wieder so gemein sein wie immer. Sogar Jenny kam und entschuldigte sich. Markus lächelte sie an. Im Verzeihen war er gut und es war ja bald Weihnachten.