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Die Toten

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SS-Gewinnkalkulation der Arbeitsleistung von KZ-Gefangenen

Gewinne

Durchschnittliche tägliche Verleihgebühren: RM 6,--

abzüglich Verpflegung: RM 0,60

Durchschnittliche Lebenserwartung

9 Monate = 270 x RM 5,30 = RM 1.431,--

abzüglich Kleidungsverschleiß: RM 0,10

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Gewinne aus der Verwertung einer Leiche

1. Goldzähne 3. Wertgegenstände

2. Kleidung 4. Geld

abzüglich Kosten für die Einäscherung: RM 2,--

Durchschnittlicher Nettogewinn: RM 200,--

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Gesamtgewinn nach 9 Monaten RM 1.631,--

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*

Die elektrische Klingel schrillt grell durch die Dunkelheit und reißt 41-571512 aus dem trüben Sirup des Schlafs. Er schlägt die Augen auf, die tief in sein hohlwangiges Gesicht eingesunken sind. Die düsteren Gestalten neben ihm begrüßen ihn mit eben solchen Augen. Kahle Köpfe werden benommen angehoben, steife Glieder rühren sich, Fingernägel kratzen über feuchte Bretter, als Körper sich umdrehen. Die Stromsparlampen an der Decke werden eingeschaltet, kaum hell genug, um die Finsternis halbwegs aus der Baracke zu vertreiben. Die Türen der Baracke werden lautstark aufgestoßen, und in einem Schwall kalter Luft tritt der Bokor ein, begleitet von Wachleuten. Die Wachen postieren sich schnell entlang der zwei Reihen von Schlafkojen.

Der Zauberer bleibt im Gang zwischen den Kojen stehen, eine Peitsche in der Hand. Er mustert die Körper in den Kojen, dann hebt er langsam, in einer fast theatralisch steifen Geste, die linke Hand und befiehlt mit einer Grabesstimme:

»Aufstehen! Aufstehen!«

Die Wachen stürmen mit gezückten Schlagstöcken voran, versetzen den ausgemergelten nackten Körpern Stöße und überschütten sie mit Obszönitäten. Die Leiber winden sich übereinander wie Regenwürmer in der Erde, die von der Zauberei des Bokors zum Leben erweckt wurden. Die Wachen tragen schwarze Uniformen, sind mit Pistolen und Maschinenpistolen bewaffnet und Panzern aus Kevlar geschützt. Sie tragen Helme mit hochgeklappten Visieren auf den Köpfen. Einige tragen Gasmasken auf den Gesichtern. Die Luft in der ungeheizten Baracke stinkt nach feuchter Friedhofserde, und einige haben sich nie daran gewöhnen können, auch nach jahrelangem Dienst im Lager nicht.

Die Dreifachkojen sind aus Brettern gezimmert, gestützt von Pfosten und Balken. Zwischen den Kojen ist jeweils ein halber Meter Platz. Sie erstrecken sich in zwei langen Reihen entlang der fensterlosen Wände der Hütte. Unverständliches Zeug murrend, ziehen sich die Leiber aus den Kojen, springen und fallen auf den Betonboden. Die von oben fallen über die, die aus den unteren Kojen gekrochen sind. Alles ist eine stinkende Masse aus totem Fleisch, das zuckt und tropft, sich erhebt und wankt, schläfrig dahinstolpert und unartikuliert vor sich hinmurmelt, begleitet von den Flüchen der Wachen und den Befehlen des Bokors, als sie sich entlang der Kojen aufstellen. Rechts von 41-571512 bückt sich ein Aufseher, der eine Maske trägt, zwischen die Kojen. Er trägt ein rotes Band um den linken Arm. Seine Faust umklammert einen Knüppel, der länger ist als die Schlagstöcke der anderen Wachen. Er stößt damit den Körper an, der in der unteren Koje liegt. »Steh auf, Mann!«, ruft er. Der Körper rührt sich nicht. Nach einem weiteren Stoß steht der Aufseher auf und wendet sich dem Bokor zu.

»Der hier ist hinüber«, meldet er mit einem Ekel in der Stimme, der selbst durch die Maske hörbar ist.

»Sie sind alle definitionsgemäß - wie Sie es so schön ausdrücken - hinüber, Aufseher«, sagt der Bokor und zuckt die Achseln. Der Aufseher packt den reglosen Körper am linken Handgelenk und scannt den tätowierten Barcode mit einem Lesegerät. Dann tippt er etwas in das Gerät. Das Gesicht des Bokor bleibt völlig ausdruckslos, als er sich ein Mikrophon an die Lippen hält. »Wir haben einen für die Einäscherung in 5-b.«

Unter den wachsamen Augen des Bokor stellen die Wachen die benommenen Gestalten in Reihen zu je vier Leuten auf. Einige von ihnen leisten schwachen Widerstand, heben die Hände, flennen, wimmern, als versuchen sie etwas zu sagen, ein Bitten, ein Betteln, eine Obszönität über die Lippen zu bringen, doch sie werden mit Knüppelschlägen und Stiefeltritten zum Schweigen gebracht. 41-571512 hebt nie die Hände. Er flennt nie, versucht nie etwas zu sagen, bleckt nie vergilbte Zähne in blutendem Zahnfleisch. 41-571512 ist ein gehorsamer Zombie. Zur Belohnung wird er weniger geschlagen als die anderen.

»Folgt mir!«, befiehlt der Bokor ihnen allen, dreht sich um und geht hinaus. Gehorsam wie alle anderen trottet 41-571512 in die neblige Morgendämmerung der Industrie- und Gewerbezone hinaus, schlurft und stolpert über den kalten, feuchten Asphalt. Endlose Kolonnen nackter toter Körper - Arbeitskommandos - strömen aus den Baracken und stellen sich in Reihen auf, angetrieben von den tödlichen Stimmen der Bokors und den Flüchen und zuckenden Peitschen ihrer Wachen.

Mit nahezu militärischer Präzision - soweit dies von Toten erwartet werden kann - formieren sich die Kommandos zu Brigaden, wobei vier Baracken je eine Brigade bilden. Nachdem sie sich gut zehn Minuten über den betonierten Hof gewälzt haben - umgeben von Stacheldraht, unter den überkreuzten Scheinwerferstrahlen, die wie Messer in den Nebel über dem Fluss Sava eindringen, und den starren, wachsamen Blicken von MG-Schützen, denen nichts entgeht - sind die Zombie-Brigaden schließlich bereit für den morgendlichen Appell.

*

»Können Sie unseren Zuschauern nun endlich das Geheimnis der Zombies enthüllen?«

»Wie Sie selbst sagten, ist es ein Geheimnis. Ich kann Ihnen so viel sagen: die von Zombietech, Ltd. entwickelten, patentierten Technologien kombinieren die überlieferten Weisheiten haitianischer Voodoo-Zauberer mit den jüngsten Resultaten biologischer Forschung. Diese Technologien...«

»Noch einmal bitte, zur Klarstellung für unsere Zuschauer: Zombies sind tot, ja?«

»Natürlich. Jeder Zombie ist eine klinisch tote Person, bevor das Zombifizierungsverfahren angewendet wird.«

»Ich frage dies, weil - gewissen Legenden zufolge - auch ein Lebender in diesen Zustand versetzt werden kann, nachdem er betäubt und durch Verabreichung bestimmter Drogen...«

»Nein, nein, das ist nichts als Unsinn und Aberglaube! Man kann nur einen Verstorbenen in einen Zombie umwandeln.«

»Außerdem befürchtet die Öffentlichkeit eine Epidemie. Angeblich handelt es sich um einen Virus, und sollte er freigesetzt werden...«

»Ich kann Ihnen und der Öffentlichkeit versichern, dass nicht die geringste Gefahr besteht! Zombie-Apokalypse und solcher Unfug, das ist Romero und Milla Jovovich... Hollywood und Spielekonsolen, aber es hat nichts mit der realen Welt zu tun! Die Umwandlung eines Toten in einen Zombie ist ein streng individualisiertes Verfahren. Relativ einfach und ökonomisch profitabel, aber streng individualisiert.«

*

41-571512 nimmt eine Silikon-Tastatur aus einem Kasten neben ihm und setzt sie sorgfältig in den Deckel eines Mobiltelefons ein. Er spürt im Rücken den Blick eines Wachmanns, der hinter ihm und seinen Kollegen wachsam auf und ab geht. Der Bokor ist in der Nähe. Einmal hat er mit seiner düsteren Stimme »Arbeitet! Arbeitet!« befohlen. Es gibt nicht viel für ihn zu tun. Das Fließband trägt den Handy-Deckel zum nächsten Fertigungsschritt weiter und befördert einen neuen Deckel zu 41-571512. Er nimmt eine neue Tastatur und setzt sie vorsichtig ein. Das Fließband bringt einen neuen Deckel. Er nimmt eine neue Tastatur...

Nach dem Appell bringen die Wachen die Zombies zum Frühstück. Sie werden die ganze Zeit von Bokors begleitet, von Wachen aufmerksam beobachtet, von Kameras in den Ecken hoch unter der Decke aufgenommen. Sie bekommen einen Brei auf weißen Plastiktellern vorgesetzt. Sie essen mit weißen Plastiklöffeln. »Essen!«, befiehlt der Bokor, und sie essen. Wie Maschinen schaufeln sie den Brei mit ihren Löffeln zusammen, führen die Löffel an ihre Münder und schlucken den Brei. Niemand weiß, woraus der Brei besteht, aber die Zombies werden bald wacher, als seien ihre Sinne geschärft worden. Die Befehle der Bokor sind auf einmal klar zu verstehen. Die Worte verhallen nicht mehr hohl in ihren Kleinhirnen, sondern werden zu genau bestimmten Abfolgen gelernter Operationen, die ausgeführt werden müssen. Danach führen die Wachen die Zombies in die Duschen. Zunächst übergießen sie die Zombies mit einem flüssigen Desinfektionsmittel und einem Enthaarungsmittel. Wenn der Bokor es befiehlt, verteilen alle Zombies die Substanz über ihren Körper, bis sie schäumt. Dann duschen sie mit kaltem Wasser und werden zuletzt mit warmer Luft getrocknet. Erst dann hüllen die Zombies ihre nackten Körper in weiße, kittelartige Anzüge mit großen Zombietech-Logos auf dem Rücken. Sie streifen sich graue Überschuhe über die Füße und Latexhandschuhe über die Hände und betreten, gemäß dem Befehl des Bokor, gehorsam in Viererreihen die kühle, weißgestrichene Fabrik. Hier verteilen sie sich, und jeder Zombie nimmt seinen Arbeitsplatz ein, der mit einer weißen Nummer auf einem blauen Schild über dem Fließband gekennzeichnet ist. Um genau 7:00 Uhr morgens signalisiert eine elektrische Glocke, dass das Fließband in Bewegung gesetzt wird. Der Bokor befiehlt »Arbeitet! Arbeitet!«, und die Zombies machen sich ans Werk.

Eine Schicht dauert vierzehn Stunden mit zwei fünfzehnminütigen Pausen für Latrinengänge, aber 41-571512 weiß das nicht. Er weiß nicht, wie spät es ist. Er weiß nur, ob es dunkel oder hell, Nacht oder Tag ist. Er fängt mit der Arbeit an, wenn die Glocke schellt und der Bokor den entsprechenden Befehl erteilt. Er hört mit der Arbeit auf, wenn die Glocke erneut schellt und der Bokor den entsprechenden Befehl erteilt. Zwischen den beiden Momenten, wenn die Glocke klingelt, besteht sein Leben ausschließlich aus dem sorgfältigen Einsetzen von Silikontastaturen in die Deckel von Mobiltelefonen.

Ganz plötzlich schreit der Zombie, der drei Plätze hinter 41-571512 arbeitet, ohne erkennbaren Grund drauflos. Er nimmt einen Kasten und schlägt wild darauf ein. Einzelteile verstreuen sich über das Fließband und fallen zu Boden. Wütend drischt er mit den Fäusten auf den Deckel vor ihm ein und zerschmettert ihn. Dann steht er auf, hüpft auf und ab, heult und brabbelt wie irr, während er die Plastikteile zertrampelt. Der nächste Wachmann zückt seinen Schlagstock. 41-571512 wendet seinen Blick sofort wieder dem Handy-Deckel zu, der vor ihm angehalten hat, während der Wachmann fluchend auf den Rücken des Zombies einprügelt. Der Zombie schreit und versucht sich mit den Händen gegen die Schläge zu verteidigen, die auf ihn einprasseln. »Das reicht, du Schwanzlutscher!«, schreit der Wachmann und schlägt dem Zombie quer über die Rippen. »Hörst du auf damit? Hast du mich verstanden, hörst du auf?« Die Zombies ringsum wahren Abstand, murmeln ihre unartikulierten Proteste, wagen es aber nicht, ihrem Kameraden zu helfen. 41-571512 sitzt einfach an seinem Platz und wirft nur Seitenblicke auf den Tumult links von ihm. 41-571512 sitzt immer nur an seinem Platz und schaut weder nach links noch nach rechts. Er ist ein gehorsamer Zombie. Auf diese Weise bekommt er weniger Schläge ab als die anderen.

Der Bokor läuft herbei, in Begleitung von zwei Wachen. Der Zauberer wickelt seine Peitsche auseinander und schlägt damit durch die Luft. »Ruhe!«, befiehlt er, mit einer leichten Spur Unsicherheit in der Stimme. Solche Dinge geschehen gelegentlich, und niemand weiß warum. Wer kann schon sagen, welche Schraube im Kopf eines Zombies locker ist? »Ruhe!« Diesmal klingt die Stimme des Bokors entschlossener. Aber der wild gewordene Zombie gehorcht nicht, und die beiden Wachen stürzen sich auf ihn, verprügeln ihn mit ihren Schlagstöcken und treten ihn mit ihren Stiefeln. Der erste Wachmann tritt keuchend zu Seite und greift nach seiner Pistole. »Du verfluchter Scheißkerl! Du willst mit mir Faxen machen?«

»Das reicht!« ruft der Bokor. »Beherrschen Sie sich, verstanden?« 41-571512 starrt dumpf vor sich hin, wagt es nicht einmal, der Rauferei einen Blick zuzuwerfen. Er hört nur die dumpfen Schläge und das Wimmern, das leiser wird und schließlich in ein verweintes Winseln übergeht. »Das reicht«, vernimmt er die wütende Stimme des Bokors. »Auseinander! Schluss jetzt, habe ich gesagt!«

Auf den Befehl des Bokors hin hören die Wachen auf und treten zurück, ohne ihre Blicke von dem reglosen, zusammengeprügelten Bündel abzulassen, das nur noch zittert und stöhnt. In einer theatralischen Geste reckt der Bokor eine eiserne Faust in die Höhe und gräbt die steifen Finger in die Luft. »Setzt euch«, befiehlt er den anderen Zombies, und als er, immer noch mit der Peitsche drohend, davon überzeugt ist, dass sie ihm gehorchen, wendet er sich dem Zombie zu, der auf der Erde liegt.

»Schau mich an!« Von der Faust der Bokors geführt, hebt der Zombie den Kopf. Seine Augen blicken in die des Zauberers. »Steh auf«, befiehlt der Bokor, und der Zombie steht auf. »Setz dich!« Mit einem Zucken der Peitsche zeigt der Bokor auf den freien Arbeitsplatz, und diesmal gehorcht der Zombie widerstandslos.

»Bringt neue Teile für Platz 32«, befiehlt der Bokor in sein Mikrophon, und kurz darauf bringt ein Techniker mit sichtlichem Unbehagen im Gesicht - alle haben auf den Überwachungsmonitoren gesehen, was passiert ist - einen neuen Kasten und stellt ihn neben den beruhigten Zombie. Ein anderer Techniker kehrt die Plastikscherben und verstreute Teile vom Fließband zusammen. Als sie fertig sind, entlässt der Bokor sie mit einem Nicken und befiehlt dann: »Arbeitet! Arbeitet!«

Der Zombie nimmt ein Teil aus dem Kasten, das Fließband setzt sich wieder in Bewegung, und die Produktion geht weiter.

*

»Es gibt Gegner des Verfahrens, die es als eine reine Unmenschlichkeit betrachten. Als eine moralische Verfallserscheinung unserer Gesellschaft...«

»Ich kann Ihnen versichern, dies sind die Stimmen religiöser Fanatiker und diverser Anarcho-Terroristen, Antiglobalisten und desgleichen. Lassen Sie mich eines klarstellen: ohne Zombiearbeit dürften die westlichen Wirtschaftssysteme kaum mit Regionen wie China oder Südasien oder Lateinamerika konkurrieren können. Würden Sie zwölf Stunden täglich für einen Euro arbeiten? Und das Kapital fließt dorthin, wo es Arbeit zu diesem Preis gibt oder noch billiger.«

»Zombies sind profitabel?«

»Zombies sind profitabel. Das Zombifizierungs-Verfahren selbst ist billig. Die täglichen Wartungskosten sind minimal. Nahrung, Hygiene, Arbeitskleidung - das alles fällt bei Zombies nicht sonderlich ins Gewicht. Was auch für die Unterbringung gilt - Zombies können alle erdenklichen klimatischen Bedingungen tolerieren. Ihre Lebenserwartung... Nun, das ist individuell verschieden, aber wir halten einige inzwischen schon seit Jahren in Betrieb. Und was die Moral anbelangt... Wissen Sie, ich betrachte es so: Zombietech, Ltd. ermöglicht es unseren geliebten Angehörigen, die nicht mehr bei uns sind, weiterhin produktive Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Und Sie werden mir sicher zustimmen, dass dies in unseren krisenhaften Zeiten sehr wichtig ist.«

*

Eingezwängt in einen Bewegungsspielraum von einem halben Meter zwischen den nackten Brettern unter und über ihm, starrt 41-571512 dumpf in die Dunkelheit. Er ist umgeben von stinkenden Leichen, lautem Schnarchen, gedämpftem Gemurmel. Jemand schläft unruhig, und die Bretter quietschen unter der Last eines Körpers, als er sich umdreht.

Der Schlaf will sich nicht einstellen. Es gelingt ihm nicht, in einen dichten, zähen Strudel zu versinken. In seinen Ohren hallen Schreie und Flüche und Schläge wider. 41-571512 hat keine Ahnung, was mit dem Zombie drei Plätze hinter ihm los ist. Er kennt ihn, er schläft auf den Brettern über ihm. Jeden Tag marschiert er in derselben Schlange mit ihm zur Arbeit, aber er hat ihn nichts gefragt. Die Toten sprechen nie miteinander. Die Toten gehorchen nur. Irgendwo in einem entlegenen Winkel seines Zombie-Bewusstseins spürt 41-571512, dass etwas nicht stimmt. Er kann nicht sagen was. Er spürt nur Tag für Tag, dass etwas nicht ist, wie es sein sollte, dass ihnen etwas weggenommen wurde. Das Leben? Der Tod?

41-571512 versucht sich zu erinnern, was vor den Baracken war. Wo war er, was hat er getan und wie hat er gelebt vor der Arbeit am Fließband? Er schließt die Augen und versucht aus den fernsten Winkeln seines Geistes Erinnerungen hervorzulocken. Es muss etwas vor der Fabrik gewesen sein! Aber was? Er hebt seine linke Hand und versucht die Nummer unter dem Barcode am Handgelenk zu lesen. Natürlich kann er sie im Dunkeln nicht erkennen, aber als er mit den Fingern seiner Rechten über die Haut streicht, spürt er, dass sie an dieser Stelle eintätowiert ist. Diese Nummer. Ist sie das einzige, was ihn von den anderen unterscheidet? 41-571512? Oder hatte er auch einmal einen Namen? Er versucht sich daran zu erinnern, aber es gelingt ihm nicht. So angestrengt er auch sucht, er findet nur Leere, Dunkelheit und Nebel, und auf einmal ist er darüber sehr bestürzt.

Gab es vorher jemand anderen, außer Zombies und Bokors und Wachen? Mit wem hat er gelebt vor dem Lager und dem Fließband? Und wo sind diese Leute jetzt? Er versucht sie vor seinem inneren Auge heraufzubeschwören, aber er kann nicht. Und wie ist er hierher gekommen? Wurde er zur Bestrafung hergeschickt? Und wenn ja, für welche Verbrechen? Plötzlich erfüllt ihn Angst. Wo sind diese Fragen hergekommen? Und während er sich fragt, ob es ihm überhaupt erlaubt ist, solche Fragen zu stellen, spürt er, dass die Antworten von höchster Wichtigkeit sind. Für ihn. Für all die anderen, sein Arbeitskommando und die ganze Brigade. Doch die Antworten entziehen sich ihm, ganz gleich, wie sehr er sich bemüht, wie tief er in sein Inneres abtaucht - er findet sie nicht. Und das erfüllt ihn mit Kummer und Zorn.

41-571512 liegt bewegungslos auf den Brettern, umgeben von Toten, Dutzenden Toten, und aus geschlossenen Augenlidern strömen ihm Tränen über die Wangen.

*

»Erklären Sie unseren Zuschauern, über welche geistigen Fähigkeiten die Zombies verfügen.«

»Das kommt drauf an. Die Erfahrung zeigt, dass dies mit den intellektuellen Fähigkeiten und Merkmalen der Person zusammenhängt, aus der ein Zombie geschaffen wurde. Wichtig ist, dass sie gehorchen und sich an komplexen Produktionsabläufen beteiligen können, solang der Fertigungsprozess in voneinander klar getrennte, einfache Operationen zerlegt wird.«

»Haben sie ein Gedächtnis?«

»Natürlich! Sie erinnern sich daran, was sie gelernt haben. Das ist wichtig für, sagen wir, das Essen, Duschen, Anziehen... Es wäre wirklich sehr zeitraubend, wenn wir ihnen das jeden Tag neu beibringen müssten. Und was ihre Arbeit betrifft... Es ist wichtig, dass sie jeden Tag dieselben Operationen durchführen, dass jeder Tag dem vorherigen gleicht. Plötzliche Änderungen in der täglichen Routine verwirren sie.«

»Erinnern sie sich daran, wer sie waren? Erinnern sie sich an das Leben, das sie geführt haben, als sie noch lebten?«

»Nein, diese Erinnerungen sind verschwunden, zusammen mit Emotionen und abstraktem Denken. Und das sollte eigentlich keine Überraschung sein... Sehen Sie, die uninformierte Öffentlichkeit macht einen entscheidenden Fehler. Sie betrachtet die Zombies als lebende Wesen. Aber das sind sie nicht mehr. Betrachten Sie sie als Roboter. Dinge. Werkzeuge.«

*

Sie fällt ihm in einer Schlange weiblicher Arbeiter auf, die nach dem Morgenappell zum Frühstück marschieren. Weibliche Zombies sind in ihrem eigenen Bereich der IGZ untergebracht. Aber sie gehen gleich neben den Männern zur Arbeit und wieder zurück, getrennt durch einen dreifachen Stacheldrahtzaun.

Sie muss eine Neue sein. 41-571512 hat sie noch nie unter all diesen hohlwangigen Gesichtern, leeren Blicken und hageren nackten Körpern gesehen. Und er ist sich sicher, dass sie ihm aufgefallen wäre. Er verfolgt sie aus den Augenwinkeln, ohne innezuhalten, ohne den Kopf zu wenden, ohne zu zeigen, das er die andere Schlange von Toten überhaupt wahrnimmt. 41-571512 hält immer den Kopf gesenkt, den Blick auf den Boden vor ihm gerichtet, und schaut nie nach rechts und links. Er ist ein gehorsamer Zombie. Sein Kopf ist leer. Er denkt nicht an das andere Geschlecht. Er weiß nicht einmal, was das ist. Auf diese Weise fängt er sich weniger Schläge und Tritte als die anderen ein. Aber er hat das neue Mädchen bemerkt, das Funkeln in ihren braunen Augen, das süße ovale Gesicht und die hübsche, nach oben gebogene Nase, die vollen Lippen, den Körper. 41-571512 hat keinen Zweifel, dass sie neu ist. Sie ist höchstwahrscheinlich gestern eingetroffen.

Die Schlangen kriechen unter wachsamen Blicken, angetrieben von Befehlen und Peitschenschlägen, auf die Kantine zu. Am Eingang zum Frauenbereich steht ein Aufseher mit einer roten Binde um den Arm. Er ist groß und stämmig und begrüßt jede einzelne tote Frau, die die Kantine betritt, mit einem gierigen Blick. In einer Hand hält er einen Knüppel aus verschlungenem Stacheldraht. Die Frauen ducken sich, wenn sie an ihm vorbeigehen, als versuchten sie sich so klein wie möglich zu machen, unsichtbar zu werden. Und dann bleibt sein Blick an der Neuen hängen, und er grinst kurz, kaum wahrnehmbar, aber 41-571512 entgeht seine Lüsternheit nicht. Er spürt einen Stich in der Brust, etwas Neues und Unerklärliches, das ihn mit Wut erfüllt. Und dann dreht der Aufseher den Kopf, und sein Blick richtet sich durch den Stacheldraht auf 41-571512, der sofort wegschaut. Er ist ein guter Zombie. Er erregt keine Aufmerksamkeit. Aber er hat die Abscheu des Aufsehers bemerkt und wie fest er den Knüppel umklammert hielt.

*

»Es gibt Gerüchte über sexuellen Missbrauch...«

»Das sind reine Lügen und Unterstellungen, die wir von Zombietech, Ltd. mit aller Entschiedenheit zurückweisen! Lassen Sie uns eines klarstellen: als Vorwürfe dieser Art aufkamen, haben wir sofort eine gründliche interne Untersuchung durchgeführt. Und ich kann Ihnen sagen, dass wir nicht den kleinsten Hinweis auf die Misshandlung, geschweige denn den sexuellen Missbrauch, von Zombies in Industrie- und Gewerbezonen entdeckt haben. Bewerber um eine Stelle in unseren Betrieben müssen sich ausgiebigen psychologischen Tests unterziehen, und unter keinen Umständen erlauben wir, dass unsere Zombies von Perversen und Psychopathen betreut werden. Ich versichere Ihnen, dass alles, was Sie möglicherweise über den sexuellen Missbrauch von Zombies, insbesondere weiblichen, gehört haben, nichts als ein Haufen boshafter Verleumdungen ist.«

*

Jeder neue Morgen ist ein Morgen mit ihr. Er lebt, um sie zu sehen, wenn auch nur heimlich durch den dreifachen Zaun, in einer Reihe nackter, ausgezehrter Körper. Und jeder neue Abend ist ein Abend mit ihr, wenn sie alle von der Arbeit in die Baracken zurückkehren. Ein kurzer Blick auf sie, bevor die Türen zugeschlagen werden, macht das Grau in Grau ringsum erträglich.

Auch heute morgen marschiert 41-571512 in der Schlange zur Arbeit. Er schaut nach vorn, schlurft mit den Füßen, stumm, wankend, schleppend wie der Nebel über dem Fluss Sava, der sich durch die IGZ wälzt. Und er wirft verstohlene Blicke, die dem Wachmann nicht auffallen, durch den Zaun und sucht nach ihr.

Und er findet sie, eine in einer langen Schlange von Toten: gebeugt, gebrochen, den Blick starr zu Boden gerichtet. 41-571512 fragt sich wieso, was passiert ist, warum sie sich so verändert hat. Gestern sah sie noch nicht wie eine Tote aus. Sie ging aufrecht und hatte ein Funkeln in den Augen... Was ist mit ihr passiert?

Dann erreichen die Frauen die Tore des Kantinengebäudes und gehen an ihrem Aufseher vorher. Sie ziehen sich vor seinem gierigen Blick in sich selbst zurück, bevor seine Faust den Stacheldrahtknüppel packt. Die Frau geht an dem Aufseher vorbei. Er macht eine Bemerkung und grinst. 41-571512 kann nicht hören, was er ihr gesagt hat, aber sie erstarrt plötzlich und hebt den Kopf. Wut lässt ihren Körper erzittern, und ihre braunen Augen sind voller Hass. Sie spuckt dem Aufseher ins Gesicht, eingekreist von den entsetzten Blicken der anderen Frauen ringsum.

Das Gesicht des Aufsehers verzerrt sich zu einer animalischen Grimasse. Er brüllt auf, hebt die Hand und schwingt den Knüppel. Der Stacheldraht trifft das Mädchen quer über das Gesicht, bricht ihr die Nase ab, reißt eine Wange auf, zerschneidet ihre Lippen und sticht ein Auge aus. Andere Frauen kreischen und laufen durcheinander, während der Aufseher flucht und schreit, mit seinem Knüppel zuschlägt und mit jedem neuen Schlag totes Fleisch aus dem Leib des Mädchens reißt. Sie schreit vor Schmerzen, wimmert und heult, sinkt zu einer zerschundenen, blutigen Masse in sich zusammen, während die Schläge auf sie einprasseln. Der starke Arm zerfleischt ihren Rücken und entblößt das Rückgrat. Der Stacheldraht reißt Fleischstücke von ihren Rippen. Andere Wachen schreiten ein, schieben die Frauen mit Schlagstöcken zur Seite, dirigieren sie in eine Richtung und bringen sie zum Schweigen. Jemand ruft etwas. Ein Bokor eilt herbei, holt mit seiner Peitsche aus und lässt sie auf den Rücken des Aufsehers niederfahren.

Der Aufseher blickt mit einem mordlüsternen Ausdruck in den Augen auf. Seine Faust umklammert den Knüppel, von dem Blut und kleine Fleischstücke tropfen. »Vor aller Augen, du Dummkopf?« schreit der Bokor, außer sich vor Zorn. »Willst du, dass sie alle Amok laufen, du Idiot?«

»Was zum Teu...«, knurrt der Aufseher mit Schaum vor dem Mund, aber der Bokor schlägt noch einmal zu, diesmal quer über seine Arme, und der Aufseher verstummt, zitternd vor Wut.

»Melde dich auf der Stelle in der Zentrale! Und jetzt raus hier. Ich entbinde dich von deinem Posten!« Sofort flankieren zwei Wachen den Aufseher, und auf ein Nicken des Bokors hin bedeuten sie ihm, dass er mitkommen soll. Er wirft noch einen Blick auf das blutig geprügelte Mädchen und spuckt angewidert aus, bevor er sich von den Wachen abführen lässt.

Der Bokor geht auf das Mädchen zu. Ein Wachmann sieht ihn fragend an. Der Zauberer schüttelt nur den Kopf. Der Schaden ist zu groß. Ohne ein Wort zieht der Wachmann eine Pistole und feuert zwei Schüsse in den Kopf des Mädchens ab. Andere treiben die Frauen mit Schlagstöcken zum Frühstück, während der Bokor über sein Mikrofon meldet, dass ein Zombie eingeäschert werden soll.

Erst in diesem Moment wird sich der Bokor der starren Blicke durch den Zaun bewusst, der Schlange von Männern, die stehengeblieben sind, und ihrer Wachen, die wütend ihre Schlagstöcke zücken und deren Blicke ihn streifen, bevor sie sich wieder den Zombies zuwenden. Einige Wachen legen die Hände auf ihre Pistolen und Maschinenpistolen und sind bereit, bei der leisesten Provokation zu ziehen. Und dann lässt ihr Bokor seine Peitsche knallen, hebt theatralisch eine Hand und befiehlt mit seiner düsteren Stimme: »In einer Reihe aufstellen! In einer Reihe aufstellen!«

Der Bokor muss seinen Befehl mehrmals wiederholen, bevor die Zombies sich endlich beruhigen, langsam, viel zu langsam, und widerwillig gehorchen. Unter den aufmerksamen Blicken ihrer Wachen bilden sie wieder eine Schlange. 41-571512 folgt ihnen wie in Trance, während ein unerklärlicher Schmerz seinen Brustkorb durchbohrt. Den Blick auf den Nacken des Toten vor ihm gerichtet, marschiert er zur Arbeit. Das letzte, was er hört, sind die Worte, die der Bokor über sein Mikrofon an die Wachen richtet.

»Strenge Überwachung heute, verstanden? Heute und die nächsten zwei Tage! Und diese Vollidioten da drüben werden noch von mir hören!«

*

»Freier Wille? Lächerlich. Wie kann ein Toter einen freien Willen haben?«

*

Der Schmerz wird unerträglich, zerreißt ihn von innen, brennt und ätzt wie Säure, zerrt an ihm, durchbohrt und zerfleischt ihn, während 41-571512 eine Silikontastatur aus dem Kasten nimmt und in den Deckel eines Handys einsetzt. Das Fließband trägt den Deckel weg und holt einen neuen. 41-571512 zwingt sich, nach einer neuen Tastatur zu greifen und sie in den Deckel einzusetzen. Das Fließband bringt einen neuen Deckel. Er nimmt eine neue Tastatur. Und dann verschwimmt sein Blick, eine Träne rinnt ihm über die Wange und noch eine, eine nach der anderen, und er kann nichts dagegen tun. Er sieht den geschundenen Körper des Mädchens vor sich, zerfleischt von aufgewickeltem Stacheldraht. Und das animalische Gesicht des Aufsehers, während er brüllt und ihr Fleisch mit Schlägen bis zu den Knochen aufreißt, bis sie nicht mehr wiederzuerkennen ist, bis zum Tod.

Die Augen voller Tränen, sitzt 41-571512 einfach nur da, und die Handy-Deckel ziehen ohne Tastaturen an ihm vorbei. Der Zombie neben ihm sieht ihn verwirrt an. Die Deckel stapeln sich, verursachen eine Stauung auf dem Fließband. Die Ordnung des Fließbands ist gestört, löst sich ganz auf, und eine vorhersehbare Gleichmäßigkeit schlägt in Chaos um. Der Fertigungsprozess ist unterbrochen, während die Tränen strömen und auf die Deckel tropfen.

»He!« ruft eine Stimme hinter 41-571512. »Was zum Teufel ist mit dir los? Arbeite!« Der Wachmann winkt seinem Kollegen zu und kommt mit gezücktem Schlagstock vorsichtig näher. Auch der zweite Wachmann kommt herüber, und als er die Stauung auf dem Band sieht, gibt er ein Handzeichen. Eine Glocke tönt durch die Fabrikhalle, und das Fließband hält an.

»Wir haben hier einen Aussetzer!« warnt der zweite Wachmann über sein Mikrophon.

»Arbeite, hörst du?« befiehlt der erste Wachmann, aber 41-571512 reagiert nicht, als habe er den Wachmann gar nicht wahrgenommen. Er sieht nur den zerhackten Körper des Mädchens und das Monster, das mit dem Knüppel in der Faust über ihr steht. »Komm schon, arbeite!«

»Das liegt wohl an der Scheiße, die heute passiert ist«, sagt der zweite Wachmann mit Unbehagen. Er schaut sich nervös um. Sein Blick geht zwischen 41-571512 und der anderen Wache hin und her, dann wirft er einen Blick über die Schulter. »Warte besser auf den Bokor!«

»Ja ja, der Bokor wird's schon richten! Du willst mir doch nicht sagen, dass dieser Kadaver sich verliebt hat? Arbeite, du Scheißkerl!« Der erste Wachmann stößt 41-571512 die Spitze seines Schlagstocks in die Rippen. 41-571512 zuckt zusammen, hebt den Blick und wischt sich wütend die Tränen weg. »Na los, arbeite!« fährt ihn der Wachmann noch einmal an. 41-571512 nimmt eine Tastatur aus dem Kasten, doch im selben Moment hat er wieder das Mädchen vor Augen und knirscht mit den Zähnen. Sie knacken und quietschen. Er beißt sie so fest aufeinander, dass er sie fast im blutenden Zahnfleisch zermalmt. Etwas kocht in ihm, steigt hoch und zerplatzt, etwas, das wer weiß wie lang in Ketten gelegen hat, versklavt von Obszönitäten und Tritten und Peitschenschlägen und den Befehlen einer Grabesstimme. Und schließlich bricht es unaufhaltsam aus, wie ein Vulkan. Mit einem wilden Geheul drischt der Zombie mit beiden Fäusten auf die Handy-Deckel vor ihm ein. Er zertrümmert, was er in die Finger bekommt, das Plastik zerspringt, und Splitter fliegen umher, während der Zombie zerstört, zerlegt und auseinanderreisst und eine unsagbare Befriedigung bei all der Zerstörung empfindet. Er schlägt wieder und wieder zu und greift nach dem Kasten mit den Tastaturen und wirft sie durch die Gegend. Er springt von seinem Stuhl auf, hebt ihn hoch und schleudert ihn mit unbändiger Wut gegen das Metallgestell des Fließbands, während beide Wachen Verstärkung herbeirufen und fluchend und mit hoch erhobenen Schlagstöcken auf ihn losgehen.

Schläge treffen seinen Rücken, seine Rippen, seinen Kopf, doch 41-571512 beachtet sie nicht. Zwei weitere Wachleute laufen herbei und schlagen ihn, doch 41-571512 spürt keinen Schmerz mehr. Er wirft den Stuhl, der scheppernd zu Boden fällt. Ringsum eifern ihm die anderen Zombies nach, schreien wild durcheinander und zerstören alles in Reichweite. Einer wirft mit Leiterplatten und stürzt sich dann mit Begeisterung auf die Gehäuserückseiten, in die er sie montieren soll. Ein anderer drischt mit einem Stuhl auf den Nietroboter ein. Der Tote neben ihm schleudert die montierten Mobiltelefone auf den Boden, trampelt darauf herum und zertrümmert sie zu winzigen Bruchstücken. Weiter unten am Fließband, an der Teststation, schlagen zwei Zombies die Monitore ein. An der Packstation zerreißen die Zombies Kartons, Bedienungsanleitungen und Garantiescheine. Sirenen heulen durch die Werkshalle, als 41-571512 den Arm eines Wachmanns packt, den Mann zu sich zieht, auf das Fließband wirft und sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn lehnt. Der Wachmann schreit, als 41-571512 ihm mit einem einzigen brutalen Ruck den Arm von der Schulter reißt. Blut spritzt ihm entgegen, und 41-571512 genießt das Blut, seine Farbe, den Geruch, die Wärme, die Fülle, mit der es aus der Wunde schießt und seinen dünnen Kittel durchtränkt.

Ein Wachmann feuert mit seiner Pistole. Mehrere Kugeln treffen 41-571512 im Rücken, aber er nimmt sie bloß als vage, stumpfe Piekser wahr. Zwei Zombies stürzen sich auf den Wachmann. Andere flüchten, als die Toten ihm den Helm vom Kopf reißen. Ein Toter vergräbt seine Zähne in den Hals des Wachmanns, und der andere drückt ihm die Augen aus dem Schädel. Überall fließt Blut, während 41-571512 schreit, auf das angehaltene Fließband springt, den Arm hochhebt und wild krakeelt, heult und unverständliches Zeug brabbelt. Alle Zombies in der Halle springen auf und rufen durcheinander. Ihre Schreie, die Sirene, Schüsse und Detonationen verschmelzen zu einem ohrenbetäubenden Lärm.

Die Techniker und die restlichen Wachen laufen hinaus. 41-571512 springt vom Fließband, wedelt mit den Händen und ruft allen zu, dass sie ihnen folgen sollen: hinaus, durch die Tore und in die Freiheit. Die Massen strömen aus der Fabrikhalle und werden mit Maschinengewehrsalven von den Wachtürmen beschossen. Neben 41-571512 stürzt ein Zombie zu Boden, dem ein Geschoss den Schädel zerschmettert hat und auf einer Seite das Gehirn herausquillt. Aber die Flut ist nicht mehr aufzuhalten! 41-571512 läuft über den Hof, und die Zombies folgen ihm. Während Projektile ihm um die Ohren pfeifen, holt er einen Wachmann ein und reißt ihn zu Boden. Binnen Sekunden fällt ein wütender Mob über den Mann her und reißt ihn in Stücke. Seine unmenschlichen Schreie ertrinken in einer Flut von Blut.

Die Maschinengewehre feuert weiter von den Türmen herunter. Die Zombies torkeln in einem Kugelhagel vorwärts, fallen zu Boden. Manche richten sich wieder auf, stolpern weiter, fallen wieder, erheben sich von neuem. Andere bleiben mit durchlöcherten Köpfen liegen. 41-571512 steht auf, und Blut tropft von seinem Körper, das Blut seiner Unterdrücker. Sein Blick streift über den Hof: Maschinengewehre; Tote, die sich erheben; Wachen, die um ihr Leben kämpfen oder davonlaufen, um ihre Haut zu retten; hilflose Bokors, deren Befehle niemand mehr beachtet; die Zombies; der Stacheldraht und die Freiheit dahinter; Leben; Maschinengewehre; Tod; Maschinengewehre - auf den Türmen.

41-571512 läuft weiter, springt über die leblosen Körper hinweg, stürzt sich in das Getümmel und zwängt sich durch die Massen von Toten hindurch. Ein Wachmann stellt sich ihm in den Weg und feuert mit einer Maschinenpistole auf ihn. Die Kugeln durchbohren 41-571512, halten ihn aber nicht auf. Er rammt den Wachmann, stößt ihn dabei zu Boden, entreißt ihm die Maschinenpistole und wirft sie zur Seite. Andere Zombies fangen den entwaffneten Wachmann ein, beißen ihn mit ihren verfaulten Zähnen tot und reißen ihn mit ihren dürren, knotigen Händen in Stücke. 41-571512 erreicht den Wachturm. Über ihm mähen die Maschinengewehre alle auf dem Hof nieder. Er klettert ungehindert und unaufhaltsam die Leiter hoch. In dem ganzen Gemetzel nimmt kein Wachmann ihn zur Kenntnis.

41-571512 klettert Sprosse um Sprosse höher. Und als er die letzte Sprosse erreicht, springt 41-571512 den Schützen an, reißt ihn von seiner Waffe weg und wirft ihn wie eine Stoffpuppe auf den Hof hinaus, wo er von der Masse zerrissen wird. Der Ladeschütze greift nach seiner Pistole, aber 41-571512 ist sofort bei ihm, legt ihm die Hände um den Hals und beißt ihm ins Gesicht. Die Hände drücken zu und zermalmen seinen Kehlkopf. 41-571512 beißt große Fleischstücke heraus, schluckt sie und beißt noch mehr ab, und es ist ein herrliches Gefühl! Er lacht über dem toten Körper und kichert und johlt vor Freude. Und dann packt er die Maschinenpistole und lehnt sein Gesicht an den Kolben. Er weiß nicht, woher er weiß, wie es geht, aber er drückt den Kolben an seine Schulter und fasst den Griff mit der rechten Hand. Sein Zeigefinger krümmt sich von ganz allein um den Abzug. Als Kimme und Korn auf einer Linie sind, drückt 41-571512 den Abzug. Er spürt die Rückschläge in der Schulter, aber er hat die Waffe fest im Griff, als er auf die benachbarten Türme feuert. Die Einschläge sind ohrenbetäubend. Er feuert auf den nächsten Turm. Und dann auf den dritten und letzten. Die MG-Schützen bekommen gar nicht mit, von wo sie der Tod ereilt.

41-571512 feuert und feuert, doch plötzlich verstummt das Maschinengewehr. Der Patronengurt ist am Ende angekommen, alle Kugeln sind verbraucht. 41-571512 sieht hinunter: die Menge unter ihm wälzt sich voran, steigt über die Leichen hinweg. Die befreiten Sklaven reißen das Tor nieder und strömen in die Freiheit hinaus. Eine Welle unbändiger Freude bricht alle Dämme, zerreißt alle Ketten, fegt alle Angst und Flüche und Schläge und Bosheiten beiseite. Weißer Rauch steigt aus den Türen einer der Schlafbaracken auf. Die Hütte steht bald lichterloh in Flammen, und wenig später auch die anderen. Zombies mit Fackeln in den Händen laufen umher und bejubeln die Flammen. 41-571512 blickt über den dreifachen Stacheldrahtzaun hinweg: weibliche Zombies entkommen aus ihren Werkstätten. Es ist niemand mehr da, der sie aufhalten könnte. Ihre Wachen und Bokors wurden entweder getötet, als sie den Aufstand im Männerbereich des Lagers niederzuschlagen versuchten, oder sie sind davongelaufen. Beim Anblick der befreiten Frauen ist 41-571512 wieder mit Traurigkeit erfüllt. Zu spät für das Mädchen. Aber dann wischt er sich die Tränen weg und blickt auf.

Die warme Morgensonne vertreibt den letzten Hauch der grauen Kälte. Über dem IGZ hat sich der Nebel vom Fluss Sava gelichtet. Neue Freude erfüllt 41-571512, als er von seinem Platz auf dem Wachturm den Tag begrüßt, der vor ihnen liegt. Einige Zombies bleiben stehen und heben den Blick. Sie winken ihm zu, plappern fröhlich vor sich hin, jubeln ihm zu, weil er es war, der sie vom Tod zum Leben geführt hat. Auch andere bleiben stehen und jubeln ihm zu. Rings um ihn wogt ein Meer von Freiheit, als wollten sie ihn fragen, wohin sie jetzt gehen sollen, wohin als nächstes, welchen Weg sie nehmen werden? Und vielleicht weiß 41-571512 nicht alle Antworten. Aber er weiß, dass der Albtraum vorbei ist und die Sonne das Vorzeichen eines neuen Zeitalters für sie ist: die Toten sind ins Leben zurückgekehrt. Er zieht das Oberteil seines Arbeitsanzugs aus, der mit dem Blut seines Folterers getränkt ist, und schwenkt es über seinem Kopf, ruft ihnen allen zu, dass sie sich darunter versammeln sollen, unter der roten Flagge der Freiheit.

Deutsch von Michael K. Iwoleit

Welche Farbe hat der Wind

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