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II
Der Schiffbruch

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Die Schaluppe tauchte zwanzig Schritte von dem Kriegsschiffe, welches sie ausgesetzt hatte, wieder auf.

Das Wasser stand drei Zoll hoch in der Barke. Zwei Matrosen fuhren fort zu rudern; Elim und zwei andere schöpften das Wasser mit ihren Hüten aus.

Dann legten die vier Ruderer wieder eifrig Hand ans Werk. Unterdessen setzte Elim den Mast ein und hißte das kleine Segel auf.

Als er diese Arbeit beendet hatte und sich umsah, war die Flotte schon weit entfernt.

Er sah sich nun nach den Schiffbrüchigen um.

Das Brett, an welchem sich die drei Unglücklichen festhielten, sank jeden Augenblick unter; sie hatten kaum Zeit zu athmen, wenn sie wieder auftauchten, denn sie verschwanden immer schnell wieder.

»Herr Lieutenant,« sagte der Matrose am Steuer, »ich glaube, es sind nur noch Zwei.«

Elim schlug ein Kreuz, wie die Russen bei dem Abscheiden einer Seele von der Erde zu thun pflegen.

»Dann müssen wir uns um so mehr beeilen, den noch Lebenden zu helfen,« sagte er. »Nur Muth, Kinder!«

Die Schaluppe glitt leicht über das Wasser dahin und lehnte sich zuweilen so weit seitwärts auf die Wellen, daß die Spitze des Segels ins Wasser tauchte. Die Ruderer arbeiteten rüstig, aber meistens bewegten sich die Ruder außerhalb des Wassers.

»Herr Lieutenant,« sagte der Mann von neuem mit dumpfer Stimme und sich die Stirn mit dem Aermel abwischend, »es ist nur noch Einer.«

»Wir wollen diesen wenigstens zu retten suchen,« sagte der Lieutenant, indem er wieder das Zeichen des Kreuzes machte.

Dann richtete er sich auf, schwenkte sein Schnupftuch und rief dem Schiffbrüchigen in englischer Sprache zu:

»Nur Muth , Freund, haltet Euch fest – wir kommen.«

Aber kaum hatte er diese letzten Worte gesprochen, so kam das inzwischen von einer Welle verschlungene Brett ohne den Schiffbrüchigen wieder zum Vorschein.

»O der Unglückliche!« rief der Lieutenant mit Verzweiflung; »er hat nicht die Kraft gehabt uns zu erwarten. Noch zwei Ruderschläge und wir hätten ihn erreicht.«

»Hast Du gesehen, Jurko, wie er die Augen aufriß?« sagte einer der Ruderer leise zu seinem Cameraden.

»Ja,« antwortete dieser; »und wie er die Fäuste ballte.«

»Der Lieutenant hat vergessen für diesen ein Kreuz – zu schlagen,« sagte ein Dritter.

»Er ist im Stande, ihn an den Füßen zu ziehen, um ihn daran zu erinnern,« sagte Jurko lachend.

»Mit den Lebenden magst Du scherzen, so viel Du willst, Jurko,« sagte der Mann am Steuer ernst verweisend, »aber nicht mit den Todten. Dies bringt Unglück!«

»Es war nicht möglich, Andern das Leben zu retten,« sagte der Lieutenant mit lauter Stimme, die nicht nur das Geflüster der Matrosen übertönte, sondern auch trotz dem Heulen des Windes und dem Toben der Wellen deutlich zu verstehen war. »Wir müssen jetzt an unser eigenes Leben denken.«

Der junge Offizier überzeugte sich auf den ersten Blick, daß es ihm unmöglich war, gegen den Wind und die gewaltigen Wogen zu steuern, er konnte nicht zur Flotte zurückkehren. Er sah keinen andern Ausweg, als vor dem Winde zu treiben und ans Land zu gehen, daselbst zu übernachten und einen Wechsel des Windes abzuwarten, um mit der Schaluppe auf den »Wladimir« loszusteuern.

Wenn er den Versuch machte, links von der Stadt zu landen, so hatte er den günstigsten Wind, und das leichte Fahrzeug konnte schnell die Küste erreichen. Das Land, dem ihn der Sturm zutrieb, war freilich Feindesland, und wenn er erkannt wurde, hatte er den Tod oder wenigstens Gefangenschaft zu erwarten.

Elim hatte am Steuer den Platz des alten Matrosen eingenommen. Drei Mann schöpften das unaufhörlich in das Boot dringende Wasser aus, die beiden andern hielten sich aus jedes Ereigniß gefaßt. Die Schaluppe hatte eine so schiefe Stellung, daß einer der beiden Matrosen mit einem Messer in der Hand den Befehl des Offiziers erwartete, das Tauwerk, welches das Segel gespannt hielt, zu zerhauen.

Elim war indeß so ruhig, daß die Matrosen, wittert sie nicht selbst erfahren genug gewesen die Lage zu würdigen, ganz unbesorgt hätten sein können.

Es wurde völlig Nacht; aber bei dem letzten Tageslicht hatte man an einem breiten, vor dem Strande sich ausbreitenden Schaumstreifen sehen können, daß die Küste durch eine weit ausgedehnte, starke Brandung vertheidigt war.

Der Wind trieb das kleine Fahrzeug gerade gegen diese noch in der Dunkelheit sichtbare Brandung. Die über das Meer getriebene Schaluppe hätte die Flügel des Vogels, dessen Namen sie führte, haben müssen, um über diesen furchtbar tobenden Schaumwall hinwegzugleiten.

»Alles herunter!« rief Elim den beiden harrenden Matrosen zu.

Der eine Matrose ließ das Tauwerk nach; aber der Wind war so heftig, daß er es 'ihm aus den Händen riß und das losgelassene Segel so heftig hin- und herschlug, daß die Schaluppe erzitterte und ihr Vordertheil, durch das Gewicht des Segels fortgezogen, ins Meer tauchte. Doch wie ein feuriger Renner, der in eine zu tiefe Furt gerathen ist, hob sie den Kopf aus dem Wasser. Eine Wiederholung dieser gefährlichen Bewegung mußte freilich den Untergang des Schiffleins zur Folge haben.

Elim verlor keine Zeit mit Befehlen; er bückte sich rasch, ergriff eine Axt und in dem Augeublicke, wo der kleine Mast wie ein Schilfrohr gebogen wurde, hieb er mit der vollen Kraft seines Armes darauf ein. Man hörte ein lange anhaltendes Krachen und der Mast fiel mit dem Segel um.

»Alles über Bord!« rief Elim, indem er seinen Platz ein Steuer wieder einnahm.

Die Matrosen, welche die Nothwendigkeit einsahen, die Schalupppe von dieser unnützen Last zu befreien, warfen sich auf den fast ganz abgebrochenen Mast und in fünf Minuten war derselbe samt dem Segel über Bord geworfen.

Inzwischen war man der Brandung so nahe gekommen, daß man weder rechts noch links manövriren konnte. Zum Glück ragte die Klippe, auf welche die Schaluppe von den Wellen getrieben wurde, nicht aus dem Wasser hervor und Elim hoffte darüber hinwegfahren zu können.

»Alle zurück!« rief er, als die Schaluppe dem Felsen nahe war.

Die Matrosen vollzogen rasch den Befehl; die vordere Hälfte des Bootes hob sich aus dem Wasser, wie ein athemschöpfender Pottfisch und statt des Vordertheils stieß das Hintertheil auf die Klippe.

Das Boot ward zertrümmert, aber die Seeleute und ihr junger Commandant wurden vorwärts geschleudert und befanden sich in einem Wasserbecken, welches von den an den Klippen gebrochenen Wellen nicht erreicht wurde und daher im Vergleich mit der offenen See ziemlich ruhig war.

»Nur Muth, Kinder – und gerade auf die Küste zu!« rief der junge Offizier seinen Leuten zu. »Wenn Einer von Euch etwa nicht schwimmen kann oder ermüdet ist, so lehne er sich an meine Schultern.«

Aber seine Stimme verlor sich mitten im Sturm; die Wogen wälzten sich über die Brandung hinweg und verfolgten die Schwimmer, als ob sie erzürnt gewesen wären, daß ihnen die Beute entgehen wollte.

Doch die Schwimmer fühlten bald festen Boden unter ihren Füßen. Elim hielt an, um zu sehen, ob keiner seiner Leute zurückgeblieben sei. Die fünf Matrosen waren bei ihm.

»Wahrhaftig,« sagte der alte Seemann, »ich glaubte, daß uns das vergessene Zeichen des Kreuzes Unglück bringen würde. Folgen Sie meinem Rath, Herr Lieutenant, machen Sie das Versäumte wieder gut und schlagen Sie jetzt zweimal das Kreuz.

»Einen Augenblick,« sagte Jurko, »schien es mir, als ob mich der verwünschte Ertrunkene an den Füßen zöge. Ich habe ihm auch einen tüchtigen Fußtritt gegeben.«

»Willst Du wissen, Jurko , wo dein Fußtritt ist?« fragte ein Matrose, indem er sein blau unterlaufenes Auge zeigte. »Da sieh nur.«

»Du hast mich also bei den Füßen gezogen ?« fragte Jurko.

»Nun ja; wenn man tief unten im Meere ist und einen Purzelbaum gemacht hat, wie wir, so greift man was man kann.«

Während die sechs Leidensgefährten mit der den Matrosen aller Nationen eigenen Sorglosigkeit über die eben bestandenen Gefahren scherzten, erreichten sie die Deiche.

Die See tobte unter ihnen, aber sie wurden nur noch vom Schaum bespritzt, die Wellen konnten sie nicht mehr erreichen.

»Da sind wir also glücklich aus dem Wasser,« sagte einer der Matrosen; »das ist recht schön, aber wir werden hier erfrieren.«

»Warte nur bis die Kosakensonne1 aufgeht,« erwiederte Jurko, »dann kannst Du Dich an ihren Strahlen trocknen.«

»Brrr!« sagte ein Anderer, sich schüttelnd, »ich möchte eine Pfeife rauchen.«

»Schade daß Dir das nicht früher eingefallen ist,« sagte der Matrose mit dem blauen Auge; »Du hättest deine Pfeife anzünden können an den sechsunddreißig Kerzen, die ich gesehen habe, als mir Jurko auf meine Laterne trat.«

Aber die armen Teufel vermochten die Kälte nicht hinwegzuscherzen, sie standen schlotternd im Winde. Selbst Elim vermochte trotz seines Muthes und seiner kräftigen Jugend der Kälte nicht zu widerstehen.

»Stehet auf, Kinder,« sagte er zu zwei Matrosen, die sich mitten in den Schlamm gelegt hatten. »Geschwind auf! Bedenket, daß Ihr morgen in jener Welt erwachen werdet, wenn Ihr diesen Abend hier einschlafet.«

»Da sind wir, Herr Lieutenant. Was befehlen Sie?« sagten die Matrosen, sich schüttelnd.

»Vor Allem müssen wir ein Obdach suchen, wo wir übernachten können. Vielleicht finden wir brave Leute, die uns nicht verrathen, und morgen Früh können wir in einem Fischerboote zum »Wladimir« zurückkehren.«

Der muthige junge Offizier suchte seinen Matrosen eine Hoffnung zu machen, die er selbst nicht hatte, »Aber wir müssen bei einander bleiben,« setzte er hinzu. »Folget mir und sprechet leise. Bedenkt, daß Ihr russisch sprechet und daß wir in Holland sind.«

»O, ich kann holländisch,« sagte Jurko.

»Wie, Du sprichst holländisch ?« fragte Elim erstaunt.

»Wo in aller Welt hast Du es gelernt?«

»Ich bin ja Süßwassermatrose gewesen, ehe ich Seemann wurde.«

»Aber was hat ein Süßwassermatrose mit den Holländern zu thun?«

»In Casan habe ich tartarisch gelernt.«

»Und mit Holländern willst Du tartarisch sprechen?«

»Reden denn nicht alle Heiden die gleiche Sprache?«

Der junge Schiffslieutenant lachte, trotz der bedenklichen Frage über die Universalsprache, welche nach der naiven Lebensansicht des Matrosen von allen Völkern gesprochen wurde, denen nicht das Glück zu Theil geworden, sich zur griechischen Kirche zu bekennen.

Etwa zehn Minuten gingen die Matrosen, von Elim geführt, auf einem schmalen Fußpfade fort. Es war so finster, daß sie keine zehn Schritte weit sehen konnten. Von Zeit zu Zeit stand der junge Offizier still und lauschte, aber er hörte nichts als das Heulen des Windes und das Brausen der Wellen.

Endlich nachdem die Wanderer etwa eine halbe Stunde gegangen waren, hörten sie ein Getöse, welches, als sie näher kamen, sogar lauter wurde als das Brausen des Meeres. Es mußte ein reißender Strom sein, und bald erblickten sie vor sich eine dunkle Masse.

Es war eine Mühle.

Halt!« sagte Elim.

»Warum denn Halt, Herr Lieutenant?« fragte ein Matrose.

»Weil Franzosen in der Mühle sein können.

»Und wenn der Teufel darin wäre, so weiß ich keinen bessern Rath, als hineinzugehen.«

»Wenn Franzosen darin sind, wird uns schon warm werden,« meinte der Matrose mit dem blauen Auge.

»Warm!« erwiederte Jurko , »das wäre mir eben recht, denn ich bin fast erstarrt.«

»Und ich habe einen wüthenden Hunger,« sagte ein Anderer; »ich wäre im Stande in das Mühlrad zu beißen.«

»Saget eure Meinung, Kinder,« setzte Elim hinzu; »denn in unserer Lage gibt es keinen Vorgesetzten und keine Untergebenen mehr, wir sind Leidensgefährten.«

Die Matrosen beriethen sich.

»Herr Lieutenant,« sagte Jurko nach einer kleinen Weile, »wir Alle sind der Meinung, daß wir lieber alles Andere erdulden, als verhungern und erfrieren wollen.«

»Und wenn die Franzosen in der Mühle sind?«

»Nun, dann müssen wir uns mit ihnen verständigen; fressen werden sie uns nicht. Das Schlimmste was uns geschehen kann, ist Gefangenschaft.«

»Allerdings; aber es wäre noch besser, ein gutes Nachtessen einzunehmen und gut einzuschlafen und morgen an Bord des »Wladimir« zurückzukehren.

Jurko schüttelte den Kopf.

»Das wäre freilich noch besser,« erwiederte er, »aber ich glaube, Herr Lieutenant, daß Sie auf einmal zu viel verlangen.«

»Wer weiß?« sagte der junge Offizier. »Diese Mühle muß ziemlich weit von der Stadt entfernt sein, und der Müller muß uns gutwillig oder gezwungen verbergen, und wenn der Tag anbricht, wird sich finden was zu thun ist. Bewaffnet Euch mit den ersten besten Dingen, die Euch in die Hände fallen; ich habe meinen Dolch. Wir wollen leise eintreten.«

Die Matrosen brachen Stöcke aus einem Zaun. Jurko, der keinen Stock nach seinem Gefallen fand, nahm in jede Hand einen Stein.

Die Hofthür war von innen nur durch einen hölzernen Riegel geschlossen, und dieser gab bei dem ersten Druck nach.

Die Wanderer waren im Hofe. Elim suchte die Hausthür und fand sie bald.

Die nicht verschlossene Thür führte in einen dunklen Gang, aber ein Lichtstrahl drang durch eine Thürspalte.

Der junge Offizier ging auf den Lichtschimmer zu und öffnete entschlossen die Thür.

Er stand auf der Schwelle einer hellerleuchteten Küche. Auf einem großen Herde brannte ein lustiges Feuer, vor welchem eine am Spieß steckende Gans einen gar appetitlichen Duft verbreitete.

In dieser Küche herrschte echt holländische Sauberkeit. An den Wänden war spiegelblankes Kupfergeschirr und schneeweißes Porzellan auf Gesimsen aufgestellt, und in der Mitte dieses hellglänzenden Sonnensystems stand, rund wie die Erde, ein gedeckter Tisch.

Zwischen den Tellern und Gläsern standen zwei große Krüge, und der auf denselben sichtbare weiße Schaum zeigte an, daß das darin befindliche Bier eben erst eingeschenkt war.

Es war in der That ein freudiger Anblick für die bis auf die Haut durchnäßten, hungernden und vor Kälte schlotternden Seeleute. Sie fanden ein Feuer, an welchem sie sich trocknen und wärmen konnten, Speise und Trank, um ihren Hunger und Durst zu stillen.

Aber zum größten Erstaunen der sechs Seeleute war Niemand in der Küche; nur an der Thür lag ein Hund, der aber weder bellte noch sich rührte.

»Das ist ja das gelobte Land, in welches uns Gott nach überstandenen Drangsalen geführt,« sagte Jurko. »Die Hunde scheinen hier nicht einmal Nachtdienst zu haben.«

Elim öffnete eine Seitenthür und blieb sprachlos vor Erstaunen auf der Schwelle stehen. Auf einem Bett lag eine weibliche Gestalt mit verstopftem Munde und gebundenen Händen.

Er wandte sich zu den Matrosen, die ihm auf den Fußspitzen nachgeschlichen waren.

»Was bedeutet das?« fragte er.

»Sie hat wahrscheinlich zu viel geplaudert,« meinte Jurko.

»Und da liegt ein Mann,« sagte der Matrose mit dem blauen Auge, indem er über einen regungslosen Körper stolperte.

»Wahrhaftig, das ist der Müller,« sagte Jurko, der sich bückte, um besser zu sehen. »Ein hübscher Mann, und gesund wie ein Fisch.«

Der Müller ächzte; er konnte nicht sprechen, denn er war geknebelt wie seine Frau.

Unterdessen lauschte Elim an einer andern Seitenthür.

»Still!« sagte er, seinen Gefährten mit der Hand winkend.

Man hörte verworrene Stimmen, Klagetöne, Drohungen, Flüche.

Elim unterschied einige theils deutsche theils französische Wörter.

Was er verstand, schien seine Gegenwart nothwendig zu machen, denn er versuchte die Thür zu öffnen, und da er sie verschlossen fand, rüttelte er sie mit aller Gewalt. Aber die Thür gab nicht nach.

»Ouvrez!« rief er in französischer Sprache und wiederholte die Aufforderung sogleich deutsch: »Machen Sie auf!«

»Warum?« antwortete eine Stimme französisch.

»Machen Sie auf, und Sie werden es erfahren!« rief Elim durch die Thür.

»Geh zum Teufel! laß uns in Ruß!« antwortete eine Stimme, und das Schreien und Lärmen fing stärker als zuvor wieder an.

»Wollen Sie erlauben, Herr Lieutenant?« sagte Jurko, der seine beiden Steine noch trug.

Elim trat von der Thür zurück.

Jurko legte den einen Stein nieder, hob den andern mit beiden Händen hoch auf und schleuderte ihn mit aller Gewalt gegen die Thür, daß diese zerschmettert wurde.

Ein unerwarteter Anblick bot sich den Blicken der Seeleute dar.

Vier zerlumpte, halb betrunkene Kerle, welche ohne Zweifel wie Wölfe und Raben dem französischen Heere nachgezogen waren, plünderten die Stube aus. Einer von ihnen hielt seinen Säbel über dem Haupte eines in einem Lehnstuhl sitzenden bejahrten Mannes gezückt, während ein anderer diesem die Taschen durchsuchte. Ein dritter hielt einem Mädchen, das auf den Knien lag und für ihren Vater bat, sein Pistol auf die Brust. Ein vierter trank eben eine für den Abendtisch bestimmte Flasche Wein aus und füllte dabei seine Taschen mit dem zusammengerafften Silberzeug. Der fünfte versuchte in einer Ecke das Vorhängschloß eines Koffers zu zertrümmern.

»Mir nach, Kinder!« rief Elim seinen Leuten zu, indem er auf den Räuber, der das Mädchen bedrohte, losstürzte.

»Spitzbube!« schrie Jurko, indem er seinen zweiten Stein in die Rippen des Banditen schleuderte, der den Säbel über dem alten Manne gezückt hielt.

Die übrigen Seeleute sprangen mit erhobenen Stöcken hervor.

»Wir sind umzingelt!« riefen die Räuber, die gar keinen Widerstand versuchten. »Fort! fort!«

Sie zerschlugen ein Fenster und sprangen hinaus.

Das Fenster ging auf den Fluß hinaus. Das Schreien der zwei oder drei ersten machte die übrigen etwas betroffen; aber durch den Dolch des Schiffslieutenants und durch den von Jurko aufgerafften Säbel gedrängt, blieb ihnen keine Wahl, sie waren gezwungen ihren Spießgesellen zu folgen.

Alles dies war in wenigen Augenblicken geschehen.

Der alte Holländer, der im Schlafrock aus dem Lehnstuhl ausgestreckt lag, hatte Alles was vorgegangen war, mit dem größten Erstaunen gesehen.

Ein halbes Dutzend halb nackter, bärtiger Männer, welche Gott weiß welchem Volksstamme angehörten, weckten in ihm die ziemlich naheliegende Vermuthung, daß die eine Räuberbande durch die andere verjagt worden sei.

»Allmächtiger Gott!« rief er und einige verworrene, nur halb verständliche Worte, welche er stammelte, bewiesen, daß sein Gehirn wenigstens für den Augenblick heftig erschüttert war.

Aber seine Tochter war dankbarer als er, oder gab wenigstens ihren Dank in sichtbarer Weise zu erkennen. In den sechs Männern, welche gewaltsam in die Stube eingedrungen waren, hatte sie sogleich einen Vorgesetzten und fünf Untergebene erkannt. Der unerwartete Uebergang von der Furcht zur Freude war so plötzlich, ihre Freude so groß, daß sie dem jungen Offizier beinahe um den Hals gefallen wäre; aber sie besann sich doch, sie faßte seine Hand und dankte ihm mit Thränen für die Hilfe, die er ihr und ihrem Vater geleistet.

Elim machte mit der ihm eigenen feinen Haltung eine Verbeugung, das junge Mädchen machte zugleich lachend und weinend einige Knixe.

Der alte Mann, der noch immer in seinem Lehnstuhl lag, betrachtete die Beiden mit Erstaunen. Jurko und seine Cameraden hatten sich inzwischen in eine Reihe gestellt, als ob sie die Musterung erwarteten, konnten sich aber eines Lächelns nicht erwehren.

Als der Greis endlich das edle, offene Gesicht des jungen Offiziers sah, athmete er freier auf. Er richtete sich, eine Hand auf den Arm des Sessels stützend, mit einiger Mühe auf und nahm mit der andern Hand seine Nachtmütze ab.

»Mein habe ich meinen Dank zu sagen?« fragte er französisch, denn er hatte gehört, daß sich der junge russische Offizier vorzugsweise dieser Sprache bediente.

»Einem Manne, den der Sturm auf Ihre Küste geworfen hat,« antwortete Elim, »und der um Obdach und Zuflucht bittet. Ich bin russischer Offizier.«

Bei diesen Worten nahm er seinen Mantel ab und erschien in Uniform.

»Ein russischer Offizier!« erwiederte der Holländer und sank in seinen Sessel zurück, als ob ihn diese Nachricht vernichtet hätte.

»Saperlot!«

Dieser Empfang war keineswegs ermuthigend. Elim wußte, daß König Ludwig in Holland sehr viele Anhänger hatte, und es war immerhin möglich, daß der Herr vom Hause zu diesen gehörte.

Elim setzte daher hinzu:

»Kann ich hoffen, mein Herr, einen Freund oder wenigstens einen wohlwollenden Feind in Ihnen zu finden? Wenn Sie uns nicht eine Zeit lang verbergen wollen, so liefern Sie uns wenigstens den Franzosen nicht aus.«

»Erlauben Sie – erlauben Sie, junger Herr,« erwiederte der alte Mann hastig, »August van Naarvaessen ist nie ein Verräther gewesen, und alle Holländer, von dem ersten bis zum letzten, sind Freunde der Russen seit eurem großen Zar – und zumal ich, denn der Großvater meiner Frau war in Saardam der Zimmermeister Peter des Großen. Bei mir haben Sie daher mit Ihren Leuten nichts zu fürchten – einige Tage wenigstens sind Sie außer aller Gefahr – hier meine Hand darauf, und damit basta. Jetzt sagen Sie, Freund, wie heißen Sie?«

»Elim Belosor,« antwortete der junge Offizier, erfreut über die günstige Wendung, welche die Sache nahm.

»Jetzt, Freund Elim Belosor,« fuhr der alte Holländer fort, »ziehen Sie Ihre Uniform aus. Dann wollen wir bei einem Glase Wein das Weitere besprechen.«

Der Alte erhob sich endlich aus seinem Lehnstuhl.

Jurko hatte unterdessen die Frau und den Mann, welchen sie in der ersten Stube gefunden, von ihren Banden befreit. Das Frauenzimmer war die Köchin, welche nun auf Befehl des Herrn van Naarvaessen die fünf Matrosen zum Tische führte.

Für Elim sorgte der alte Holländer. Er führte ihn in ein großes Cabinet, gab ihm einen Schlafrock und trockene Leibwäsche; kurz, er pflegte ihn wie seinen leiblichen Sohn.

In zehn Minuten hatte sich der junge Offizier umgekleidet und erschien wieder in der Stube. Er war ganz verlegen, daß er sich der Tochter vom Hause im Schlafrocke und Pantoffeln vorstellen mußte. Zum Glücke entschuldigte ihn die Nothwendigkeit.

Das Abendessen wurde aufgetragen.

Elim fühlte sich ein ganz Anderer als vor einer Stunde. Was blieb ihm für den Augenblick auch zu wünschen übrig? Seine fünfundzwanzig Jahre waren mit seiner Mütze nicht in’s Wasser gefallen; er saß in einem warmen Zimmer an einer gutbesetzten Tafel, und der alte feurige Wein, vielleicht noch mehr die Gesellschaft des schönen jungen Mädchens gab ihm nicht nur seine gewohnte Heiterkeit wieder, sondern machte ihn noch munterer, als er vielleicht jemals gewesen war. Er stieß mit seinem freundlichen Wirthe an, lachte und scherzte mit der Tochter und ließ sich die trefflichen Speisen wohl schmecken; er wußte ja nicht , was ihm der folgende Tag bringen würde!

Der gute Appetit, dessen sich der junge Schiffslieutenant erfreute, unterscheidet sich freilich sehr wesentlich von allen andern Romanhelden, die weder essen noch trinken. Die Schriftsteller in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts haben gewiß an Magenverknöcherung gelitten; aber wir sind jetzt in der Mitte des Jahrhunderts , Alles hat sich dem allgemeinen Fortschritte angeschlossen. Heutzutage ist die Literatur realistisch, wie die Natur selbst. Nur der Colibri lebt von Rosenduft und Thautropfen. Die Nachtigall unterbricht ihren Gesang und fliegt vom Baum herunter, um einen Wurm von der Erde aufzunehmen.

Elim sprach, wie alle gebildeten Russen, das Französische sehr geläufig. Deutsch war überdies fast seine Muttersprache, denn seine Mutter war eine Deutsche; und da August van Naarvaessen und seine Tochter dieser beiden Sprachen vollkommen mächtig waren, so wurde das Gespräch mit der größten Leichtigkeit und Ungezwungenheit geführt.

1

Da die Kosaken ihre Streifzüge hauptsächlich in der Nacht machen, so pflegen die Nordrussen den Mond scherzweise die »Kosakensonne« zu nennen.

Elim

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