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Siebenter Theil
Erstes Capitel.
Die Flucht

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Von diesem Augenblicke an war die Flucht, wie wir gesagt haben, beschlossen und auf demselben Abend des 21. December festgesetzt.

Man kam überein, daß der König, die ganze königliche Familie – mit Ausnahme des Kronprinzen, seiner Gemahlin und seiner Tochter – Sir William, Emma Lyonna, Acton und die vertrautesten Diener des Palastes auf dem »Vanguard« die Ueberfahrt nach Sicilien machen sollten.

Der König hatte, wie man sich erinnern wird, Caracciolo versprochen, daß, wenn er Neapel verließe, dies nicht anders geschehen solle, als auf dem Schiffe dieses Admirals. Durch die Furcht aber wieder unter das Joch der Königin gebeugt, vergaß er sein Versprechen und faßte aus zwei Gründen einen andern Entschluß.

Der erste dieser Gründe, der von ihm selbst ausging, war die Scham, die er dem Admiral gegenüber empfand, Neapel zu verlassen, nachdem er versprochen, daselbst zu bleiben.

Der zweite, welcher von der Königin ausging, war, daß Caracciolo, die patriotischen Prinzipien des ganzen neapolitanischen Adels theilend, den König, anstatt ihn nach Sicilien zu führen, den Jakobinern ausliefern könnte, die, sobald sie sich im Besitze einer solchen Geißel sähen, ihn dann zwingen würden, die Regierung einzusetzen, welche sie wollten, oder die noch schlimmer, ihm vielleicht den Proceß machten, wie die Engländer mit Karl dem Ersten und die Franzosen mit Ludwig dem Sechzehnten gethan.

Als Trost und zur Entschädigung für die ihm entzogene Ehre beschloß man, daß der Admiral die haben solle, später den Herzog von Calabrien mit dessen Familie und Gefolge nach Sicilien zu bringen.

Man unterrichtete die alten Prinzessinnen von Frankreich von dem gefaßten Entschluß, forderte sie auf, mit Hilfe ihrer sieben Leibgarden nach eigenem Belieben für ihre Sicherheit zu sorgen, und schickte ihnen fünfzehntausend Ducati, um ihnen die zu ihrer Flucht nothwendigen Geldmittel zu gewähren.

Nachdem man diese Pflicht gegen sie erfüllt, bekümmerte man sich nicht weiter um sie.

Den ganzen Tag über schaffte man die Schmucksachen, das Geld, die kostbaren Geräthschaften, die Kunstwerke und Statuen, welche man mit nach Sicilien nehmen wollte, in den geheimen Gang hinab.

Der König hätte gern auch seine Känguruhs mitgenommen, aber dies war ein Ding der Unmöglichkeit und er begnügte sich damit, daß er sie durch einen eigenhändigen Brief der Fürsorge des Obergärtners von Caserta empfahl.

Der Verrath der Königin und Acton's, wovon der Brief des Kaisers ihm den Beweis geliefert, lag ihm schwer auf dem Herzen. Er blieb in seine Gemächer eingeschlossen und weigerte sich, irgend Jemand zu empfangen, möchte es sein wer es wollte.

Diese Instruction ward auch streng in Bezug auf Francesco Caracciolo befolgt, welcher, da er von seinem Schiffe aus das Kommen und Gehen und die Signale an Bord der englischen Schiffe gesehen, sogleich argwohnte, daß etwas im Werke sei, eben so auch in Bezug auf den Marquis Vanni, welcher, nachdem er die Thür der Königin verschlossen gefunden und durch den Fürsten von Castelcicala erfahren, daß die Abreise im Werke sei, verzweiflungsvoll an die Thür des Königs zu pochen kam.

Dieser hatte einen Augenblick lang die Idee, den Cardinal Ruffo kommen zu lassen und als Begleiter und Rathgeber auf der Reise mitzunehmen. Er hatte jedoch die feindselige Gesinnung, welche zwischen Ruffo und Nelson herrschte, recht wohl bemerkt.

Uebrigens ward, wie man weiß, der Cardinal von der Königin gehaßt, und Ferdinand gab, wie immer, seiner Ruhe vor den zarten Rücksichten der Freundschaft und der Dankbarkeit den Vorzug.

Dabei sagte er sich, daß der Cardinal als kluger Mann sich recht wohl allein aus der Affaire ziehen würde.

Die Einschiffung ward auf sieben Uhr Abends festgesetzt. Demgemäß ward verabredet, daß sämtliche Personen, welche sich in Gesellschaft der Majestäten auf dem »Vanguard« einschiffen sollten, sich um zehn Uhr in dem Gemache der Königin zu versammeln hätten.

Schlag zehn Uhr trat der König ein, seinen Hund an der Leine führend.

Es war dies der einzige Freund, auf dessen Treue er sich verlassen konnte, und deshalb nahm er ihn mit.

Er hatte auch an Ascoli und Malaspina gedacht, aber er hatte auch zugleich bei sich gemeint, daß diese ebenso wie der Cardinal sich allein aus der Affaire zu ziehen wissen würden.

Er sah sich in dem großen, nur schwach erleuchteten Raum um – man hatte nämlich gefürchtet, daß eine helle Erleuchtung die beabsichtigte Flucht verrathen könne – und er sah, daß sämtliche Flüchtlinge in verschiedene Gruppen vereinigt oder vielmehr zerstreut standen.

Die Hauptgruppe bestand aus der Königin, ihrem Lieblingssohne, dem Prinzen Leopold, dem jungen Prinzen Albert, den vier Prinzessinnen und Emma Lyonna.

Die Königin saß auf einem Sopha neben Emma Lyonna, die den Prinzen Albert, ihren Liebling, auf dem Schoße hielt, während der Prinz Leopold seinen Kopf an die Schulter der Königin lehnte.

Die vier Prinzessinnen saßen theils um ihre Mutter herum, theils lagen sie auf dem Teppich.

Acton, Sir William und der Fürst von Castelcicala standen miteinander sprechend in der Brüstung eines Fensters und hörten den Wind pfeifen und den Regen gegen die Fensterscheiben anschlagen.

Eine andere Gruppe von Ehrendamen, unter welcher man die Gräfin von San Marco, die intime Vertraute der Königin, bemerkte, stand um einen Tisch herum.

Fern von Allen und in dem Dunkel kaum sichtbar, zeigte sich die Gestalt des Secretärs Dick, welcher nur erst diesen selben Tag so geschickt und treu die Befehle seines Herrn und der Königin ausgeführt, welche er hinfort auch ein wenig als seine Herrin betrachten konnte.

Beim Eintritt des Königs erhoben sich Alle und wendeten sich nach ihm herum. Er gab jedoch ein Zeichen mit der Hand, daß Jeder an seinem Platze bleiben solle.

»Laffen Sie sich nicht stören,« sagte er. »Laffen Sie sich nicht stören. Es lohnt nicht mehr der Mühe.«

Und er setzte sich in einen Lehnstuhl in der Nähe der Thür, durch welche er eingetreten war, und nahm Jupiters Kopf zwischen seine Knie.

Der kleine Prinz Albert, welcher von der Königin nicht sonderlich geliebt, die jedem Kinde so kostbare und so nothwendige Liebe, die er von seiner Mutter vergebens erwartete, bei Andern suchte, glitt, als er die Stimme seines Vaters vernahm, von Emmas Schoß herab, kam auf den König zu und bot ihm seine bleiche, ein wenig krankhaft aussehende, von einem Wald blonden Haares umrahmte Stirn.

Der König strich das Haar des Knaben auf die Seite, küßte ihn auf die Stirn und schickte ihn, nachdem er ihn einen Augenblick lang an seine Brust gedrückt und gedankenvoll betrachtet, zu Emma Lyonna zurück, welche der Knabe seine »kleine Mutter« nannte.

Dumpfes Schweigen herrschte in dem düstern Gemach, und Diejenigen, welche sprachen, thaten dies in leisem Tone.

Es war halb elf Uhr, als der Graf von Thurn, der mit dem Marquis von Nizza, dem Commandanten der portugiesischen Flotte, unter Nelsons Befehle stand, durch das kleine Pförtchen und die Wendeltreppe sich in den Palast begeben sollte. Er hatte zu diesem Zwecke den Schlüssel zu einem der Gemächer des Königs erhalten, welches mittelst einer einzigen festen, beinahe massiven Thür mit diesem Ausgang in Verbindung stand, der in den Kriegshafen führte.

Die Pendule schlug mitten unter dem herrschenden Schweigen halb elf.

Unmittelbar darauf hörte man an die Verbindungsthür pochen.

Warum pochte der Graf von Thurn, anstatt zu öffnen, da er ja den Schlüssel hatte?

Unter den Umständen, in welchen man sich befand, ward Alles, was in einer andern Situation blos eine Ursache zur Unruhe gewesen wäre, zu einer Ursache der Furcht und des Schreckens.

Die Königin zuckte zusammen und erhob sich.

»Was gibt’s?« fragte sie.

Der König begnügte sich hinzuschauen. Er wußte nichts von den getroffenen Verfügungen.

»Nun,« sagte Acton immer ruhig und logisch, »es kann ja weiter Niemand sein als der Graf von Thurn.« »Aber warum pocht er, da ich ihm ja einen Schlüssel gegeben habe?«

»Wenn Eure Majestät erlaubt, sagte er, »so will ich gehen und nachsehen.«

»Ja, gehen Sie,« antwortete die Königin.

Acton zündete ein Licht an und ging hinaus in den Corridor.

Die Königin folgte ihm mit besorgten Blicken. Das bisher unheimliche Schweigen ging in Todtenstille über.

Nach Verlauf von einigen Augenblicken trat Acton wieder ein.

»Nun?« fragte die Königin.

»Die Thür,« antwortete er, »ist wahrscheinlich lange nicht geöffnet worden und der Schlüssel ist daher im Schlosse zerbrochen. Der Graf pochte, um zu erfahren, ob es ein Mittel gäbe, die Thür von innen zu öffnen. Ich habe es versucht, aber es ist nicht möglich.«

»Was sollen wir dann thun?«

»Wir müssen die Thür einschlagen lassen.«

»Haben Sie dem Grafen Befehl dazu gegeben?«

»Ja, Madame, und er führt ihn bereits aus.«

In der That vernahm man das Getöse von kräftigen, gegen die Thür geführten Streichen und dann das Krachen der brechenden Thür.

Dieser Lärm hatte etwas Unheimliches und Furchterregendes.

Tritte näherten sich, die Thüre des Salons öffnete sich und der Graf von Thurn trat ein.

»Ich bitte Eure Majestäten,« sagte er, »um Verzeihung für den Lärm, den ich gemacht, und für die Mittel, die ich gezwungen gewesen bin anzuwenden. Das Zerbrechen des Schlüssels war aber ein Unfall, den man unmöglich voraussehen konnte.«

»Es ist eine Vorbedeutung,« sagte die Königin.

»Wenn es eine Vorbedeutung ist,« entgegnete der König mit seinem natürlichen gesunden Verstand, »so ist es auf alle Fälle die, daß wir besser thun würden, zu bleiben als fortzugehen.«

Die Königin fürchtete, daß ihr erhabener Gemahl eine Anwandlung von Willenskraft haben könnte.

»Gehen wir,« sagte sie daher hastig.

»Es ist Alles bereit, Madame,« sagte der Graf von Thurn, »ich bitte jedoch um die Erlaubniß, dem König eine Ordre mitzutheilen, welche ich heute Abend von dem Admiral Nelson erhalten habe.«

Der König erhob sich und näherte sich dem Armleuchter, in dessen Nähe der Graf von Thurn ihn mit einem Papier in der Hand erwartete.

»Lesen Sie, Sire,« sagte der Graf.

»Die Ordre ist englisch geschrieben,« sagte der König, »und ich verstehe nicht englisch.«

»Ich werde es Eurer Majestät übersetzen. Die Ordre lautet:


»An den Admiral Grafen von Thurn.

»Golf von Neapel, am 21. December.

»Die neapolitanischen Fregatten und Corvetten sind zum verbrannt werden bereit zu machen.«

»Was sagen Sie?« fragte der König.

Der Graf von Thurn wiederholte:

»Die neapolitanischen Fregatten und Corvetten sind zum verbrannt werden bereit zu machen.«

»Wissen Sie gewiß, daß Sie sich nicht irren?«, fragte der König.

»Ich irre mich nicht, Sire.«

»Und warum sollen Fregatten und Corvetten verbrannt werden, die so viel Geld gekostet und zu deren Erbauung zehn Jahre Zeit erforderlich gewesen sind?«

»Damit sie nicht den Franzosen in die Hände fallen, Sire!«

»Aber könnte man sie nicht mit nach Sicilien führen?«

»Lord Nelsons Ordre lautet einmal so, Sire, und eben deswegen habe ich die Eurer Majestät mittheilen wollen, ehe ich sie an den Marquis von Nizza befördere, welcher mit der Vollziehung beauftragt ist.«

»Sire, Sire,« sagte die Königin, indem sie sich dem König näherte, »wir verlieren kostbare Zeit um einer Bagatelle willen.«

»Zum Teufel, Madame,« rief der König. »Sie nennen das eine Bagatelle! Sehen Sie das Budget der Marine während der letzten zehn Jahre nach und Sie werden finden, daß diese Bagatelle sich auf mehr als hundertundsechzig Millionen beläuft.«

»Jetzt schlägt es elf Uhr, Sire,« sagte die Königin, »und Mylord Nelson erwartet uns.«

»Sie haben Recht,« sagte der König, »und Mylord Nelson ist nicht der Mann, der gern wartet, wäre es selbst auf einen König oder eine Königin. – Sie werden die Befehle des Mylord Nelson befolgen, Herr Graf, Sie werden meine Flotte verbrennen. Was England nicht zu nehmen wagt, verbrennt es. Ach, mein armer Caracciolo, Du hattest wohl Recht, und ich habe sehr unrecht gethan, daß ich deinen Rathschlägen nicht gefolgt bin. Gehen wir, meine Herren; gehen wir, meine Damen; lassen wir Mylord Nelson nicht warten.«

Und der König ging, das Licht aus Acton's Händen nehmend, voran.

Alle Uebrigen folgten ihm.

Nicht blos die neapolitanische Flotte war verurtheilt, sondern der König hatte nun auch seine eigene Verurtheilung unterzeichnet.

Wir haben seit jenem 21. Dezember 1798 so viel königliche Fluchten gesehen, daß es heutzutage beinahe nicht mehr der Mühe verlohnt, sie zu beschreiben. Ludwig der Achtzehnte, der am 20. März die Tuilerien verließ; Carl der Zehnte, der am 29. Juli die Flucht ergriff; Ludwig Philipp, welcher am 24. Februar dasselbe that, haben uns eine dreifache Varietät dieser gezwungenen Abreisen gezeigt.

Auch vor nur erst wenigen Jahren haben wir in Neapel den Enkel denselben Corridor wie der Großvater passieren, dieselbe Treppe hinabsteigen und den geliebten Boden des Vaterlands gegen die bittere Verbannung umtauschen gesehen.

Nur sollte der Großvater zurückkehren, während der Enkel aller Wahrscheinlichkeit nach auf immer verbannt ist.

Zu jener Zeit aber war es Ferdinand, welcher zu dieser nächtlichen verstohlenen Abreise den Weg zeigte.

Schweigend ging er entlang, aufmerksam horchend und mit pochendem Herzen.

Auf der Mitte der Treppe, an einem auf den sogenannten Riesenhügel gehenden Fenster angelangt, glaubte er Geräusch auf diesem Hügel zu hören, welcher ziemlich steil von dem Palaisplatze nach der Straße Chiatamone hinabführt.

Er blieb stehen, und da dasselbe Geräusch zum zweiten Mal an sein Ohr schlug, so blies er sein Licht aus, und Alle befanden sich nun im Finstern.

Man mußte demgemäß tastend und Schritt um Schritt die schmale, schwierig zu begehende Treppe weiter hinabsteigen. Sie war sehr steil und, da sie kein Geländer hatte, gefährlich. Indessen man gelangte ohne Unfall bis auf die letzte Stufe hinab und fühlte den freien feuchten Hauch der äußeren Luft.

Man war nun blos noch wenige Schritte von den Einschiffungsplatz entfernt.

In dem Kriegshafen war das zwischen den Steindämmen des Molo und denen des Handelshafens gefangen gehaltene Meer ziemlich ruhig.

Man fühlte aber, daß der Wind heftig wehte, und hörte das Tosen der Wogen, welche sich wüthend an den Gestade brachen.

Als man auf die Art Kai gelangte, welcher sich an den Mauern des Schlosses hinzieht, warf der Graf von Thurn einen raschen fragenden Blick gegen Himmel.

Dieser war mit schweren, rasch und tiefgehenden Wolken bedeckt. Es war als ob ein Luftmeer über dem der Erde rollte und sich herabsenkte, um seine Wogen mit dem des letzteren zu mischen.

In dem engen Zwischenraume, der zwischen den Wolken und dem Wasser vorhanden war, brausten die Stöße jenes furchtbaren Südwestwindes, welcher die Schiffbrüche und Unfälle veranlaßt, deren Zeuge der Golf von Neapel in den schlimmen Tagen des Jahres so oft ist.

Der König bemerkte den unruhigen Blick des Grafen von Thurn.

»Wenn das Wetter zu ungünstig ist,« sagte er, »so sollten wir uns in dieser Nacht nicht einschiffen.«

»Aber es ist Mylords Ordre,« antwortete der Graf »Indessen wenn Eure Majestät sich durchaus weigern –«

»Es ist Mylords Ordre! es ist Mylords Ordre!« wiederholte der König ungeduldig. »Wenn aber nun Lebensgefahr dabei ist? Wollen Sie uns für uns stehen, Graf?«

»Ich werde Alles, was in der Macht eines mit Wind und Meer kämpfenden Menschen steht, thun, um Sie an Bord des »Vanguard« zu bringen.«

»Aber zum Teufel, das ist keine Garantie. Würden Sie sich wohl in einer solchen Nacht einschiffen?«

»Eure Majestät sehen, daß ich blos auf Sie warte, um Sie an Bord des Admiralschiffes zu bringen.«

»Ich meine, wenn Sie an meiner Stelle wären?«

»Wenn ich an Euer Majestät Stelle wäre und Befehle nur von den Umständen und von Gott zu empfangen hätte, dann würde ich mir die Sache allerdings noch reiflicher überlegen.«

»Nun, fragte die Königin ungeduldig, ohne jedoch – so mächtig ist das Gesetz der Etikette – vor ihrem Gemahl in das Boot zu steigen zu wagen, »nun, worauf warten wir?«

»Worauf wir warten?« rief der König.

»Hören Sie nicht, was der Graf von Thurn sagt? Das Wetter ist schlecht, er bürgt nicht für unser Leben und sogar Jupiter gibt mir, an seiner Leine zerrend, den Rath, in den Palast zurückzukehren.«

»Nun, so kehren Sie doch dahin zurück, Sire, und lassen Sie uns Alle in Stücke reißen, wie Sie heute einen Ihrer treuesten Diener in Stücke reißen gesehen haben. Was mich betrifft, so ist mir das Meer mit seinen Stürmen immer noch lieber als Neapel mit seiner Bevölkerung.«

»Meinen treuen Diener beklage ich mehr als irgend Jemand, ich bitte Sie, mir dies zu glauben – besonders jetzt, wo ich weiß, was ich von seinem Tode zu denken habe. Was jedoch Neapel und seine Bevölkerung betrifft, so bin nicht ich es, der etwas davon zu fürchten hätte.«

»Ja, ich weiß das. Da dieses Volk in Ihnen einen Repräsentanten sieht, so betet es Sie an. Ich aber, die ich nicht so glücklich bin, mich dieser Sympathien zu erfreuen, ich gehe.«

Und trotz des der Etikette gebührenden Respects stieg die Königin zuerst in das Boot.

Die jungen Prinzessinnen und der Prinz Leopold, welche daran gewöhnt waren, der Königin mehr als dem König zu gehorchen, folgten ihr, wie junge Schwäne ihrer Mutter folgen.

Nur der kleine Prinz Albert ließ Emma Lyonnas Hand los, lief auf den König zu, faßte ihn am Arme und sagte, indem er ihn nach dem Boote fortzuzerren suchte:

»Komm mit, Papa!«

Der König war gewohnt, nur dann Widerstand zu leisten, wenn er von Jemand anders unterstützt ward. Er schaute sich um, ob Jemand da wäre, der ihm Beistand leisten könnte. Aller Augen senkten sich aber vor seinem Blick, obschon in demselben mehr der Ausdruck einer Bitte als einer Drohung lag.

Die Königin hatte bei den Einen die Furcht, bei den Andern den Egoismus zu Bundesgenossen.

Er fühlte sich vollständig allein und verlassen, senkte das Haupt, ließ sich von dem kleinen Prinzen führen, zog seinen Hund, den Einzigen, der wie er der Meinung war, daß man das Land nicht verlassen solle, nach, stieg seinerseits in das Boot und setzte sich auf eine besondere Bank, indem er sagte:

»Da Ihr es einmal Alle wollt – komm, Jupiter, komm!«

Kaum hatte der König Platz genommen, so commandierte der Lieutenant, welcher für das Boot des Königs die Stelle des Hochbootsmannes versah:

»Abstoßen!«

Zwei mit Stangen bewaffnete Matrosen stießen das Boot von dem Kai ab, die Ruder senkten sich und die Barke schwamm nach dem Ausgange des Hafens.

Die zur Aufnahme der übrigen Passagiere bestimmten Boote näherten sich eins nach dem andern dem Einschiffungsplatz, empfingen ihre edle Ladung und folgten der königlichen Barke.

Diese verstohlene Flucht in der Nacht, trotz Sturmgeheul und Wogengebraus, bildete einen schroffen Gegensatz zu jenem Freudenfest des 2. September, wo man unter den glühenden Strahlender Herbstsonne, auf dem spiegelglatten Meer, unter den Tönen von Cimarosa's Musik, bei Glockengeläute und Kanonendonner, dem Sieger von Abukir entgegengefahren war.

Kaum waren drei Monate vergangen und schon sah man, um diesen Franzosen zu entfliehen, deren Niederlage man allzufrüh gefeiert, sich genöthigt, um Mitternacht, im Finstern, bei hochgehendem Meer, die Gastfreundschaft desselben »Vanguard« in Anspruch zu nehmen, den man damals im Triumphe empfangen.

Jetzt handelte es sich vor allen Dingen darum, zu wissen, ob man ihn erreichen könnte.

Nelson hatte sich dem Eingange des Hafens so weit genähert, als die Sicherheit seines Schiffes ihm erlaubte. Dennoch war immer noch zwischen dem Kriegshafen und dem Admiralschiffe eine Viertelmeile zurückzulegen. Während dieser Fahrt konnten die Boote zehnmal umschlagen und untergehen.

In der That, je mehr die königliche Barke – und man wird uns erlauben, daß wir unter diesen ernsten Umständen uns ganz besonders mit dieser beschäftigen – je mehr die königliche Barke sich dem Ausgange des Hafens näherte, desto wirklicher und drohender erschien die Gefahr.

Das Meer warf, wie wir bereits bemerkt, unter der Gewalt des Südwestwindes, der von den Küsten Afrikas und Spaniens kommt, zwischen Sicilien und Sardinien, zwischen Ischia und Capri durchgeht, ohne von den Balearischen Inseln bis zum Fuße des Vesuv auf irgend ein Hinderniß zu stoßen, ungeheure Wellen, welche, indem sie sich dem Lande näherten, sich auf sich selbst zurückwarfen und diese gebrechlichen Fahrzeuge in ihren nassen Wölbungen zu verschlingen drohten, welche in der Finsterniß wie die Rachen gefräßiger Ungeheuer erschienen.

Als man sich der Grenze näherte, wo man aus einem verhältnißmäßig ruhigen in ein wüthendes Meer übergehen sollte, fühlte selbst die Königin, wie ihr der Muth zu entsinken und ihr Entschluß wankend zu werden drohte.

Der König saß stumm und unbeweglich, hielt seinen Hund zwischen den Knien und krampfhaft am Halse gefaßt, während er mit starrem, von der Furcht erweitertem Auge die langen Wogen betrachtete, welche wie eine Heerde Seerosse gegen den Molo anrannten, an dieser granitenen Schranke zerschellend einen unheimlichen Klageton hören ließen und einen ungreifbaren, zitternden Schaum über die Mauer spritzten, welcher in der Finsterniß wie ein Silberregen aussah.

Trotz dieses furchtbaren Schauspiels, welches das Meer darbot, versuchte der Graf von Thurn, den empfangenen Befehlen gemäß, das Hinderniß zu überwinden und den Widerstand zu zähmen.

Im Vordertheile der Barke mit jenem sichern. Gleichgewicht des Seemanns, welches nur eine Frucht mehrjähriger Schifffahrt ist, wie an den Boden angewurzelt stehend, bot er dem Wind, der ihm den Hut genommen, und dem Meer, welches ihn mit seinem Schaum bedeckte, kühn Trotz und ermuthigte die Ruderer durch den von Zeit zu Zeit wiederholten monotonen, aber festen, lauten Ruf:

»Immer frisch! immer frisch!«

Die Barke schwamm weiter.

Als sie aber an der von uns erwähnten Grenze anlangte, ward der Kampf ernsthaft. Dreimal überstieg das siegreiche Fahrzeug die Wogen und glitt den entgegengesetzten Abhang hinab, dreimal aber warf die nächstfolgende Welle es wieder zurück.

Der Graf von Thurn sah selbst ein, daß es Wahnsinn wäre, mit einem solchen Gegner zu kämpfen, und drehte sich herum, um den König zu fragen :

»Sire, was befehlen Sie? Er hatte aber nicht einmal Zeit diese Frage vollständig auszusprechen. Während der Bewegung, die er machte, während der Secunde, die er so unklug war die Führung der Barke aufzugeben, schlug eine Welle, höher und wüthemder als alle vorhergegangenen, über das Fahrzeug hinweg und bedeckte es mit Wasser.

Die Barke erzitterte und krachte. Die Königin und die jungen Prinzen, welche glaubten, ihr letztes Stündlein habe geschlagen, erhoben ein lautes Geschrei und der Hund ließ ein dumpfes Geheul hören.

»Zurück!« rief der Graf von Thurn. »Bei einem solchem Wetter in See stechen wollen, hieße Gott versuchen. Uebrigens wird das Meer gegen fünf Uhr Morgens wahrscheinlich ruhig werden.«

Die über den ihnen erheilten Befehl augenscheinlich nicht wenig erfreuten Matrosen ruderten sofort in den Hafen zurück und wollten an der nächstgelegenen Stelle des Kaies anlegen.

La San Felice Band 7

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