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Siebenter Theil
Drittes Capitel.
Das Verhängniß
ОглавлениеLuisa hatte sich nicht in ihr Zimmer zurückgezogen, sondern in das Salvatos. In dem Kampfe zwischen der Pflicht und der Liebe hatte die erstere gesiegt, nachdem sie aber ihre Liebe der Pflicht geopfert, glaubte sie eben dadurch das Recht erworben zu haben, der Liebe ihre Thränen zu weihen.
Schon seit dem Tage, wo sie zu ihrem Gatten gesagt: »Ich werde mit Dir gehen,« hatte sie viel geweint.
Da sie nicht wußte, auf welchem Wege die Salvato ihre Briefe zusenden sollte, so hatte sie nicht an ihn geschrieben, wohl aber zwei anderweite Briefe von ihm empfangen.
Diese so feurige Liebe, diese so innige Freude, welche sie in jeder Zeile der Briefe des jungen Mannes fand, zerriß ihr das Herz, besonders wenn sie bedachte, welcher bitteren Täuschung Salvato zur Beute fallen würde, wenn er, erfüllt von Hoffnung und Gewißheit, das Fenster offen und Luisa in dem Zimmer glaubend, wo sie in diesem Augenblick so heiße Thränen des Schmerzes vergoß, Luisa abwesend und das Fenster verlassen fände.
Dennoch bereute sie nicht, was sie versprochen, oder wozu sie vielmehr sich erboten. Hätte sie noch einmal die Wahl gehabt, so würde sie jetzt, wo die Stunde der Abreise bevorstand, doch abermals so gehandelt haben, wie sie gethan.
Sie rief Giovannina.
Diese kam herbeigeeilt. Sie hatte von der Küche aus Michele gesehen und ahnte, daß etwas ganz Außerordentliches geschehen sei.
»Nina,« sagte ihre Herrin zu ihr, »diese Nacht verlassen wir Neapel. Ich beauftrage Dich, die Gegenstände, deren ich zum alltäglichen Gebrauche bedarf, zusammen und in einige Kisten zu packen. Du kennst diese Gegenstände ebenso gut als ich, nicht wahr?«
»Allerdings kenne ich sie,« antwortete die Dienerin, »und ich werde thun, was Sie mir befehlen, Signora. Vorher aber werden Sie die Güte haben, mir über etwas Aufschluß zu geben.«
»Worüber? sprich, Nina,« antwortete Luisa, ein wenig verwundert über die steigende Festigkeit, womit die Dienerin auf den ihr erheilten Befehl geantwortet.
»Nun, ich meine über die Worte: Wir verlassen Neapel, nicht wahr, so sagten Sie, Signora?«
»Allerdings sagte ich so.«
»Gedenken Sie mich mitzunehmen, Signora?«
»Wenn Du Lust hat, mitzugehen, ja; solltest Du dagegen keine Lust haben –«
Nina sah ein, daß sie ein wenig zu weit gegangen war.
»Wenn ich nur von mir abhinge, so würde ich Ihnen mit dem größten Vergnügen folgen bis ans Ende der Welt,« sagte sie »unglücklicherweise aber habe ich Familie.«
»Eine Familie zu haben, ist niemals ein Unglück, mein Kind,« sagte Luisa mit ihrer sich stets gleichbleibenden Sanftmuth.
»Entschuldigen Sie, Signora, wenn ich ein wenig zu frei mit der Sprache herausgehe –«
»Du bedarfst keiner Entschuldigung. Du hast eine Familie, sagtest Du, und diese Familie, wolltest Du sagen, wird nicht erlauben, daß Du Neapel verlässest.«
»Allerdings nicht, Signora, das weiß ich bestimmt,« antwortete Giovannina rasch.
»Aber,« fuhr Luisa fort, indem sie bedachte, daß es für Salvato weniger grausam sein würde, wenn er in ihrer Abwesenheit Jemanden fände, mit dem er von ihr sprechen könnte, als wenn die Thür verschlossen und das Haus stumm wäre, »aber würde deine Familie Dir wohl erlauben, daß Du als eine vertraute, mit der Bewachung des Hauses beauftragte Person hier bliebest?«
»O, was das betrifft, ganz gewiß!« rief Nina mit einer Lebhaftigkeit, welche Luisa, wenn sie die mindeste Ahnung von dem gehabt hätte, was in dem Herzen ihrer Dienerin vorging, die Augen hätte öffnen müssen.
Dann sich mäßigend setzte Nina hinzu:
»Es wird stets eine Ehre und eine Pflicht für mich sein, Ihrem Interesse dienen zu können, Signora.«
»Nun dann, Nina, dann wirst Du, obschon ich an deinen Dienst gewöhnt bin, hier bleiben,« sagte Luisa. »Vielleicht dauert unsere Abwesenheit nicht lange. Während dieser Abwesenheit wirst Du zu Allen, welche sich einfinden werden, um mich zu sehen – merke wohl, was ich sage, Nina – Du wirst sagen, die Pflicht meines Gemahls sei, dem Prinzen zu folgen, und meine Pflicht sei, meinem Gatten zu folgen. Du wirst sagen – denn Du, die Du selbst nicht Neapel verlassen willst, begreift besser als irgend Jemand, wie schwer mir dieser Abschied ankommt – Du wirst sagen, daß ich mit thränenden Augen mein erstes und zur Stunde der Abreise mein letztes Lebewohl jedem der Zimmer dieses Hauses und jedem der in diesen Zimmern enthaltenen Gegenstände sagte. Und wenn von diesen Thränen spricht, weißt Du, daß Du es nicht eitle Worte sind, denn Du hast sie selbst fließen sehen.«
Luisa brach bei diesen letzten Worten in lautes Schluchzen aus.
Nina betrachtete ihre Herrin mit einer gewissen Freude und benutzte den Umstand, daß Luisa, weil sie das Tuch vor die Augen hielt, nicht den flüchtigen Ausdruck lesen konnte, der über ihr Gesicht zuckte.
»Und,« hob sie zögernd an, »wenn nun Signor Salvato kommt, was soll ich diesem sagen?«
Luisa nahm das Tuch vom Gesicht und antwortete mit erhabener heiterer Ruhe:
»Daß ich ihn immer noch liebe und daß diese Liebe so lange dauern wird als mein Leben. Sage Michele, er solle nicht fortgehen. Ich habe vor meiner Abreise noch mit ihm zu sprechen und ich rechne darauf, daß er mich bis an das Boot geleitet.«
Nina verließ das Zimmer.
Als Luisa sich allein sah, drückte sie ihr Gesicht in das auf dem Bett liegen gebliebene Kopfkissen, ließ einen Kuß in der auf diese Weise bewirkten Vertiefung zurück und verließ das Zimmer ebenfalls.
Es hatte eben drei Uhr geschlagen und der Chevalier trat mit seiner gewohnten Pünktlichkeit, die durch nichts gestört werden konnte, durch die Thür seines Arbeitscabinets in das Speisezimmer, während Luisa durch die ihres Schlafzimmers hereintrat.
Michele stand draußen vor der Hausthür auf der Terrasse.
Der Chevalier suchte ihn mit den Augen.
»Wo ist denn Michele?« fragte er. »Er ist doch nicht schon wieder fort, hoffe ich?«
»Nein,« sagte Luisa, »hier ist er. Komm doch herein, Michele! Der Chevalier fragt nach Dir und ich habe auch mit Dir zu sprechen.«
Michele trat ein.
»Du weißt wohl, was dieser junge Mann gethan hat?« fragte der Chevalier seine junge Gattin, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte.
»Nein,« antwortete Luisa, »jedenfalls aber ist es etwas Gutes gewesen.«
Dann setzte sie in wehmüthigem Tone hinzu:
»In der Marinella nennt man ihn Michele den Narren. Die Freundschaft aber, die er für uns hegt, vertritt, wenigstens in meinen Augen, bei ihm die Stelle des Verstandes.«
»Ach!«, rief Michele, »das war sehr gut gesagt.«
»Es lohnt allerdings nicht der Mühe, davon zu sprechen,« fuhr San Felice mit seinem gutmüthigen Lächeln fort. »Ich bin so zerstreut, daß ich, als ich nach Hause kam, Dir nichts davon gesagt habe. Er hat mir sehr wahrscheinlich das Leben gerettet.«
»Na, wenn es weiter nichts ist!« rief Michele dazwischen.
»Das Leben gerettet! Wieso denn?« fragte Luisa mit einer auffallenden Veränderung in ihrem Ton.
»Denke Dir, daß ein Bösewicht auf mich zukam, welcher mich zwingen wollte, den Kopf jenes unglücklichen Ferrari zu küssen, und der, weil ich dies nicht wollte, mich einen Jakobiner nannte! Es ist bei jetziger Zeit sehr gefährlich, ein Jakobiner genannt zu werden. Das Wort begann auch wirklich schon eine Wirkung zu äußern, Michele aber warf sich zwischen mich und die Menge, schwang seinen Säbel und der Mann ging fort, während er, glaube ich, noch Drohungen gegen mich ausstieß. Was konnte er denn gegen mich haben?«
»Nicht gegen Sie, sondern wahrscheinlich gegen Ihr Haus. Sie erinnern sich, was Doctor Cirillo Ihnen von einem Mord erzählte, welcher in der Nacht vom 22. zum 23. September unter Ihren Fenstern verübt ward. Dieser Mensch ist nun eben einer von jenen fünf oder sechs Schurken, welcher von dem, den sie ermorden wollten, selbst so trefflich bedient wurde.«
»Ah, also unter meinem Fenster hat er die Schmarre davongetragen, welche er unter dem Auge hat?«
»Sehr richtig.«
»Dann begreife ich, daß er diesen Ort mit ungünstigem Auge betrachtet. Aber was geht die Sache mich an?«
»Eigentlich nichts, wenn sie aber auf dem Altmarkt Geschäfte abzumachen haben, so möchte ich sagen: Wenn es Ihnen gleich ist, Herr Chevalier, so gehen Sie nicht ohne mich hin.«
»Ich verspreche es Dir Und nun umarme deine Schwester, mein Sohn, und setze Dich mit uns zu Tische.«
Michele war gewöhnt an diese Ehre, welche der Chevalier und Luisa ihm von Zeit zu Zeit erzeigten. Er machte daher keine Schwierigkeiten, die Einladung anzunehmen, besonders jetzt, wo er, zum Capitän ernannt, einige der Sprossen der sozialen Stufenleiter erstiegen, welche ihn früher von seinem edlen Freunde trennten.
Gegen vier Uhr fuhr ein Wagen an der Hausthür vor und Nina ließ den Secretär des Herzogs von Calabrien ein, welcher mit dem Chevalier in ein Cabinet ging, aber fast sofort wieder herauskam.
Michele hatte gethan, als ob er nichts sähe.
Als der Chevalier wieder aus seinem Cabinet herauskam und nachdem er den Secretär des Prinzen bis an seinen Wagen geleitet, gab er Luisa einen Wink, um sie zu fragen, ob er sie Michele anvertrauen könne.
Luisa, welche wußte, daß Michele noch weit eher für sie als für den Chevalier das Leben lassen würde, antwortete mit »Ja«.
Der Chevalier sah Michele einen Augenblick an.
»Mein lieber Michele,« sagte er zu ihm, »Du wirst uns versprechen, keinem Menschen, wer er auch sei, auch ein einziges Wort von dem Geheimniß mitzutheilen, welches ich im Begriffe stehe Dir anzuvertrauen.«
»Weißt Du, was es ist, Schwesterchen?«
»Ja.«
»Und es gilt also zu schweigen?«
»Du hörst, was der Chevalier Dir sagt.«
Michele machte sich ein Kreuz über den Mund.
»Sprechen Sie. – Es ist so gut, als ob der Beccajo mir die Zunge ausgeschnitten hätte.«
»Wohlan, Michele, diese Nacht reist Alles ab.«
»Wie so, Alles? Wer denn?«
»Der König, die Königin, die königliche Familie, wir selbst.«
Luisa traten die Thränen in die Augen.
Michele warf einen raschen Blick auf sie und sah diese Thränen.
»Und nach welchem Lande reist man denn?«, fragte Michele.
»Nach Sicilien.«
Der Lazzarone schüttelte den Kopf.
»Ich habe nicht die Ehre, zu den Rathgebern des Königs zu gehören,« sagte er dann; »wenn ich aber dazu gehörte, so würde ich zu ihm sagen: Sire, Sie haben Unrecht.«
»Ach, warum hat er nicht so freimüthige Rathgeber, wie Du einer bist, Michele!« sagte Luisa.
»Man hat es ihm gesagt, hob der Chevalier wieder an. »Der Admiral Caracciolo und der Cardinal Ruffo haben es ihm gesagt, die Königin hat aber Furcht, der Minister Acton hat Furcht und in Folge des heute von dem Volke verübten Mordes hat der König beschlossen abzureisen.«
»Ah!« sagte Michele, »nun fange ich an zu begreifen, warum ich unter der Zahl der Mörder Pasquale de Simone und den Beccajo sah. Was Fra Pacifico betrifft, so war der arme Mann dabei wie ein Esel, ohne zu wissen warum.«
»Aber Michele, fragte Luisa, »dann glaubst Du also, die Königin –«
»Still, still, Schwesterchen! In Neapel sagt man dergleichen Dinge nicht, sondern begnügt sich, sie zu denken. Doch gleichviel! Der König hat Unrecht. Wäre der König in Neapel geblieben, so kämen die Franzosen nimmermehr herein. Eher ließen wir uns Alle todtschlagen. Ha, wenn das Volk wüßte, daß der König fort will!«
»Ja, aber es darf es nicht wissen, Michele. Deshalb habe ich Dich schwören lassen, nichts von dem, was ich Dir mittheilen würde, weiter zu sagen. Also, diese Nacht reisen wir ab, Michele!«
»Und mein Schwesterchen auch?«, fragte Michele in einem Tone, aus welchem er nicht alle Ueberraschung bannen konnte.
»Ja, sie verlangt selbst mir zu folgen, das gute, liebe Kind,« sagte der Chevalier, indem er seine Hand über den Tisch ausstreckte, um die Luisa's zu suchen.
»Ja,« sagte Michele, »Sie können sich rühmen, eine Heilige zur Gattin zu haben, Herr Chevalier.«
»Michele!« sagte Luisa.
»O, ich weiß, was ich sage. Und diese Nacht reisen Sie also ab? Madonna! Ich wollte, ich wäre Jemand, dann ginge ich auch mit.«
»O, komm' mit, Michele! komm' mit!« rief Luisa, welche in Michele einen Freund sah, mit dem sie von Salvato sprechen konnte.
»Unglücklicherweise ist es unmöglich, Schwesterchen,« antwortete der Lazzarone. »Ein Jeder hat seine Pflicht; Die deinige will, daß Du gehest, und die meinige befiehlt mir, zu bleiben. Ich bin Capitän und Volksanführer, und ich trage den Säbel nicht blos an der Seite, um über dem Kopfe des Beccajo die Windmühle zu machen, sondern um mich zu schlagen, um Neapel zu vertheidigen, um so viel Franzosen als möglich niederzuhauen.«
Luisa machte eine unwillkürliche Bewegung.
»O, sei unbesorgt, Schwesterchen, hob Michele lachend wieder an, »alle werde ich sie nicht umbringen.«
»Wohlan, um der Sache ein Ende zu machen,« fuhr der Chevalier fort, »wir schiffen uns heute Nacht an der »Vittoria« ein, um hinter dem Castell dell' Uovo an Bord der Fregatte des Admirals Caracciolo zu gehen. Ich wollte Dich bitten, deine Schwester nicht zu verlassen und im Nothfalle für sie im Augenblicke der Einschiffung dasselbe zu thun, was Du vor zwei Stunden für mich thatest, das heißt, sie in deinen Schutz nehmen.«
»O, in dieser Beziehung können Sie unbesorgt sein, Chevalier, für Sie würde ich mich tödten lassen, für Luisa aber ließe ich mich in Stücke reißen. Doch gleichviel, wenn das Volk etwas von dieser Abreise des Königs wüßte, so gäbe es keinen schlechten Aufruhr.«
»Also,« sagte der Chevalier, indem er sich von der Tafel erhob, »ich habe dein Wort, Michele, Du verlässest Luisa nicht eher, als bis sie im Boote ist.«
»Seien Sie unbesorgt; ich verlasse sie von hier bis dorthin eben so wenig, als ihr Schatten an einem sonnenhellen Tage, denn ich weiß heute nicht recht, was Jeder von uns mit dem einigen gemacht hat.«
Der Chevalier, welcher seine sämtlichen Papiere in Ordnung zu bringen, seine Bücher einzupacken und alle angefangenen Manuscripte mitzunehmen hatte, kehrte in sein Cabinet zurück.
Was Michele betraf, der nichts zu thun hatte, als sein Schwesterchen anzusehen, so heftete er seinen wohlwollenden Blick auf sie, und als er sah, wie zwei große Thränen still aus ihren schönen Augen die Wangen herabrollten, sagte er:
»In der That, es gibt Menschen, die ungeheures Glück haben, und der Chevalier gehört zu diesen Menschen. Mannaggia la Madonna! Affunta würde für mich nicht thun, was Du für ihn thut.«
Luisa erhob sich, aber so rasch sie auch in ihr Zimmer zurückkehrte und so schnell sie auch die Thür desselben hinter sich schloß, so hörte Michele doch das Geräusch des Schluchzens, welches sich jetzt, wo sie allein war, unaufhaltsam ihrer Brust entrang.
Wir haben schon bei einer andern Gelegenheit, als Salvato und nicht Luisa Neapel verließ, mit dem Auge die langsame ungleiche Bewegung des Zeigers auf dem Zifferblatte der Uhr verfolgt. Dieser Bewegung folgten gleichzeitig mit uns zwei Herzen, da sie aber sich eins auf das andere stützten, so erschien diese Bewegung ihnen sicherlich weniger schmerzlich, als jenem armen, alleinstehenden Herzen, welches keine andere Stütze hatte, als das Gefühl der erfüllten Pflicht.
Luisa war, wie gewöhnlich, durch ihr Zimmer blos hindurchgegangen und hatte sich auf den Fußspitzen in das Zimmer Salvato's begeben.
Als sie den Corridor durchschritt, vernahm sie mit einem gewissen Grade von Erstaunen einige Töne von Giovannina's Stimme, welche ein heiteres neapolitanisches Liedchen sang.
Bei den Tönen dieser etwas unzeitigen Heiterkeit seufzte Luisa und sagte bei sich selbst:
»Das arme Mädchen! Sie ist froh, daß die Neapel nicht zu verlassen braucht, und wenn ich frei wäre und eben so wie sie in Neapel bliebe, so würde auch ich ein fröhliches neapolitanisches Liedchen singen.«
Und sie kehrte in ihr Zimmer zurück und ihr Herz fühlte sich durch diese Heiterkeit, die zu ihrem Schmerz einen so schroffen Gegensatz bildete, noch mehr bedrückt als vorher.
Wir brauchen nicht erst zu sagen, welche Gedanken Luisas Herz beschäftigten, sobald sie einmal das Heiligthum ihrer Liebe wieder betreten hatte.
Ihr ganzes Leben ging an ihrem Auge vorüber.
Wir sagen, ihr ganzes Leben, denn in ihrer Erinnerung hatte sie erst während der sechs Wochen gelebt, wo Salvato dieses Zimmer bewohnt hatte.
Von dem Augenblicke an, wo der Verwundete auf sein Schmerzenslager getragen worden, bis zu dem, wo, auf ihren Arm gestützt, der Genesene durch das auf das kleine Gäßchen gehende Fenster das Haus verlassen, wo er, ehe er dieses Fenster verließ, in einem ersten und letzten Kusse seine Lippen auf die ihrigen gedrückt und seine Seele in ihre Brust gehaucht, von diesem Augenblicke an ging nicht blos jeder Tag, sondern auch jede Stunde des Tages, traurig oder freudig, düster oder heiter an ihr vorüber.
Und wie immer folgte sie, die Augen des Körpers geschlossen haltend, aber mit den Augen der Seele dieser langen Kette, als sie plötzlich leise an ihre Thür pochen hörte, worauf Michele in seinem sanftesten Tone ihr durch das Schlüsselloch zuflüsterte:
»Ich bin es, Schwesterchen.«
»Komm' herein, Michele, komm' herein,« sagte sie. »Du weißt, daß Du herein darfst.«
Michele trat ein. Er hielt einen Brief in der Hand.
Luisa heftete mit ausgebreiteten Armen und während ihr der Athen in der Brust stockte, die Augen auf diesen Brief.
War ihr in einem solchen Augenblicke der hohe Trost beschieden, von Salvato einen letzten Brief zu erhalten?
»Es ist ein Brief von Portici,« sagte Michele. »Ich habe ihn aus den Händen des Briefträgers empfangen und bringe ihn Dir.«
»O, gib her! gib her!« rief Luisa. »Er ist von ihm!«
Michele übergab ihr den Brief und wollte die Thür schließen. Ehe er dies jedoch that, fragte er:
»Soll ich bleiben oder soll ich gehen?«
»Bleibe, bleibe!« rief Luisa.
»Du weißt ja, daß ich vor Dir keine Geheimnisse habe.«
Michele blieb, hielt sich aber in der Nähe der Thür.
Luisa entsiegelte rasch den Brief und versuchte, wie immer, vergebens zu lesen. Die Thränen und die Gemüthsbewegung umschleierten ihre Augen mit einem Nebel, der sich erst nach einigen Sekunden ein wenig zerstreute.
Endlich konnte sie lesen.
»San Germano, am 19. December, Morgens.«
»Er ist in San Germano, oder vielmehr er war dort, als er diesen Brief schrieb,« sagte Luisa zu Michele.
»Lies, Schwesterchen,« antwortete dieser. »Es wird Dir wohlthun.«
Sie begann wieder – denn sie hatte sich unterbrochen, indem sie den Kopf zurückwarf und den Brief an ihr Herz drückte.
»San Germano, am 19. December, Morgens.
»Theure Luisa!
»Lassen Sie mich mit Ihnen eine große Freude theilen. So eben habe ich den einzigen Menschen wiedergesehen, welchen ich mit einer Liebe liebe, die der gleich ist, welche ich Ihnen geschworen, obschon sie dennoch von ganz anderer Art ist. Ich habe nämlich meinen Vater wiedergesehen.
»Was er ist und wo er ist, dies ist ein Geheimniß, welches ich selbst Ihnen gegenüber bewahren muß, welches ich Ihnen aber dennoch mittheilen würde, wenn ich bei Ihnen wäre. Ein Geheimniß vor Ihnen zu haben! In der That, ich lache selbst darüber. Hat man wohl Geheimnisse vor seiner zweiten Seele?
»Ich habe eine Nacht, von neun Uhr Abends bis sechs Uhr Morgens, bei meinem Vater zugebracht, den ich seit zehn Jahren nicht gesehen hatte. Die ganze Nacht hat er mir von dem Tode und von Gott gesprochen; die ganze Nacht habe ich ihm von meiner Liebe und von Ihnen erzählt.
»Er ist, was selten vorkommt, ein hochgebildeter Geist und ein zärtliches Herz. Er hat viel geliebt und viel gelitten, aber, beklagen Sie ihn, er glaubt nicht. Beten Sie für meinen Vater, Sie, der Engel des Sohnes, und Gott, der Ihnen nichts verweigern kann, wird ihm vielleicht den Glauben schenken.
»Ein anderes Weib als Sie, Luisa, würde sich schon gewundert haben, in diesen Zeilen nicht zwanzigmal die Worte zu finden: »Ich liebe Sie!« Aber dennoch haben Sie dieselben schon hundertmal gelesen, nicht wahr? Wenn ich mit Ihnen von meinem Vater spreche, von welchem ich mit Niemanden sprechen kann, wenn ich Ihnen meine Freude schildere, ihn wiedergesehen zu haben, nicht wahr, dann begreifen Sie wohl, daß dies nichts Anderes ist, als wenn ich mein Herz in Ihre Hände lege und vor Ihnen knieend zu Ihnen sage: »Ich liebe Sie, meine Luisa! Ich liebe Sie.«
»Ich bin also jetzt nur noch zwanzig Meilen von Ihnen entfernt, meine schöne Fee des Palmbaumes, und wenn Sie diesen Brief empfangen, werde ich Ihnen noch näher sein. Die Brigands belästigen uns, morden uns, verstümmeln uns, aber sie halten uns nicht auf. Wir sind aber auch nicht eine Armee, wir sind nicht Soldaten, die sich auf dem Marsche befinden, um in ein Königreich einzufallen und eine Hauptstadt zu erobern. Wir sind eine Idee, welche die Runde um die Welt macht. Doch, da spreche ich ja gar Politik!
»Ich wette, daß ich errathe, wo Sie meinen Brief lesen. Sie lesen ihn in unserm Zimmer, zu Häupten meines Bettes sitzend, in jenem Zimmer, wo wir uns wiedersehen werden und wo ich, indem ich Sie wiedersehe, die langen, fern von ihnen zugebrachten Tage vergessen werde.«
Luisa unterbrach sich. Thränen umflorten ihre Augen und Schluchzen erstickte ihre Stimme.
Michele eilte auf sie zu und kniete vor ihr nieder.
»Muth, Muth, Schwesterchen!«, sagte er zu ihr.
»Was Du thut, ist schön, und der gute Gott wird Dich dafür belohnen. Und wer weiß! Ihr seid beide jung. Vielleicht seht Ihr einander doch einmal wieder.«
Luisa schüttelte den Kopf.
»Nein, nein,« sagte sie mit einer Bewegung, welche ihren festgeschlossenen Augen Thränen auspreßte. »Nein, wir werden einander nie wiedersehen. Und es ist auch besser, wenn ich ihn nicht wiedersehe. Ich liebe ihn zu sehr, Michele, und erst seitdem ich beschlossen, ihn nicht wiederzusehen, weiß ich wie sehr ich ihn liebe.«
»Kurz, Du weißt,« sagte Michele, »daß in deiner Trauer etwas Gutes liegt, wenn Du ihn nicht wiedersieht. Nanno prophezeite eurer Liebe ein trauriges Ende.«
»O,« rief Luisa, »was würde ich mich an alle Prophezeiungen der Welt kehren, wenn ich lieben könnte, ohne mich eines Verbrechens schuldig zu machen!«
»Na, lies nur weiter. Dies wird besser sein,« sagte Michele.
»Nein, sagte Luisa, indem sie den zur Hälfte gelesenen Brief in ihren Busen steckte, »nein, wenn er allzu viel von dem Glück des Wiedersehens spräche, so ließe ich mich vielleicht dadurch bestimmen, von der Abreise zurückzutreten.
In diesem Augenblicke hörte sie die Stimme des Chevalier, welcher sie rief.
Sie eilte in den Corridor hinaus, dessen Thür Michele hinter ihr und hinter sich verschloß.
Die in den Salon führende Thür des Speisezimmers stand offen.
In dem Salon befand sich der Doctor Cirillo.
Eine lebhafte Röthe stieg in Luias Wangen empor. Auch der Doctor Cirillo war in ihr Geheimniß eingeweiht. Uebrigens war ihr nicht unbekannt, daß Salvato's Briefe ihr durch Vermittlung des liberalen Comités zugingen, dessen Mitglied Cirillo war.
»Theure Freundin,« sagte der Chevalier zu Luisa, hier ist unser guter Doctor, den wir seit langer Zeit nicht gesehen und der sich nach deiner Gesundheit erkundigen will. Ich hoffe, er wird damit zufrieden sein.«
Der Doctor begrüßte Luisa, bemerkte aber auf den ersten Blick die moralische Unruhe, von der sie erfüllt war.
»Sie befinden sich besser,« sagte er, »aber vollkommen wiederhergestellt sind Sie noch nicht und es ist mir lieb, daß ich heute gekommen bin.«
Der Doctor betonte das Wort heute. Luisa schlug die Augen nieder.
»Wohlan,« sagte San Felice, »ich muß Sie mit ihr allein lassen. In der That, Ihr Aerzte genießt Vorrechte, welche die Ehemänner selbst nicht besitzen. Zum Glück für Sie hab' ich etwas zu besorgen, sonst würde ich ganz gewiß nicht verfehlen, an der Thür zu lauschen.«
»Daran würden Sie sehr Unrecht thun, mein lieber Chevalier, entgegnete Cirillo, »denn wir haben einander Dinge von der höchsten politischen Bedeutung zu sagen, nicht wahr, Signora?«
Luisa versuchte zu lächeln, ihre Lippen kräuselten sich aber blos, um einen Seufzer entschlüpfen zu lassen.
»Na, vorwärts! Verlassen Sie uns doch, Chevalier!« rief Cirillo. »Die Sache ist ernster, als ich glaubte.«
Und damit drängte er San Felice zu der Thür hinaus, welche er hinter ihm verschloß. Dann kehrte er zu Luisa zurück und ergriff ihre beiden Hände.
»Nun sind wir allein, mein theures Kind,« sagte er zu ihr. »Sie haben geweint?«
»Ja, und viel!«, murmelte sie.
»Seitdem Sie einen Brief von ihm erhalten haben, oder schon vorher?«
»Vorher und seitdem.«
»Ist ihm ein Unfall zugestoßen?«
»Nein, Gott sei Dank!«
»Um so besser, denn er ist eine edle und kräftige Natur, einer jener Menschen, wie wir deren in unserm armen Königreich Neapel niemals genug haben werden. Sie haben also einen andern Grund, bekümmert zu sein?«
Luisa gab keine Antwort, aber ihre Augen wurden wieder feucht.
»Sie haben sich doch nicht etwa über San Felice zu beklagen?« fragte Cirillo.
»O!« rief Luisa, die Hände faltend, »er ist der Engel der väterlichen Güte!«
»Ich begreife. Er reist ab und Sie bleiben da.«
»Er reist ab und ich folge ihm.«
Cirillo betrachtete Luisa mit einem Blick des Erstaunens, welcher allmälig durch Thränen umschleiert ward.
»Und Sie,« sagte er zu ihr, was für ein Engel sind Sie! Ich kenne im ganzen Himmel nicht einen einzigen, dessen Namen Sie nicht würdig wären zu tragen, und welcher würdig wäre, sich den Ihrigen beizulegen.«
»Sie sehen wohl, daß ich kein Engel bin, denn ich weine ja. Die Engel weinen nicht darüber, daß sie ihre Pflicht thun.«
»Thun Sie Ihre Pflicht und weinen Sie dabei, dann ist Ihr Verdienst nur um so größer. Thun Sie Ihre Pflicht, und ich, ich werde es mir zu der meinigen machen, ihm zu sagen, wie sehr Sie ihn lieben, wie viel Sie gelitten haben. Gehen Sie und von Zeit zu Zeit sagen Sie in Ihren Gebeten ein Wort von mir. Stimmen, wie die Ihrige, haben Zutritt zu dem Ohr des Herrn.«