Читать книгу La San Felice Band 10 - Александр Дюма - Страница 1
Zehnter Theil
Erstes Capitel.
Michele der Kluge
ОглавлениеIn irgend einem Buche, ob in der Bibel oder in einem profanen Werke weiß ich für den Augenblick nicht und habe auch nicht Zeit nachzusuchen, kommt der Ausspruch vor: Die Liebe ist mächtig wie der Tod.
Dieser Ausspruch, welcher aussieht wie ein Gedanke, ist weiter nichts als eine Thatsache und zwar eine auf diese Weise nicht ganz präcis ausgedrückte.
Cäsar sagt in Shakespeare oder vielmehr Shakespeare läßt Cäsar sagen: »Die Gefahr und ich, wir sind zwei an einem und demselben Tage gebotene Löwen und ich bin der älteste davon.«
Die Liebe und der Tod sind ebenfalls an einem und demselben Tage, nämlich am Tage der Schöpfung, geboren, nur ist die Liebe am ältesten. Ehe man stirbt, hat man geliebt. Als Eva beim Anblick des von Kain erschlagenen Abel in mütterlichem Schmerz die Hände rang und rief: »Wehe! Wehe! Wehe! Der Tod ist in die Welt gekommen!» da war der Tod erst nach der Liebe eingedrungen, denn dieser Sohn, welchen der Tod soeben der Welt entrissen, war der Sohn ihrer Liebe.
Es ist daher nicht richtig, wenn man sagt: »Die Liebe ist mächtig wie der Tod!« Man maß vielmehr sagen: »Die Liebe ist mächtiger als der Tod!« denn alle Tage bekämpft die Liebe den Tod und wirft ihn nieder.
Fünf Minuten nachdem Luisa gesagt hatte: »Gesegnet seien die Dinge, welche Gott geschaffen. Was er thut, das ist wohl gethan!« hatte Luisa Alles vergessen, sogar die Ursache, welche sie zu Salvato geführt.
Sie wußte jetzt blos, daß sie bei Salvato und daß Salvato bei ihr war.
Es ward zwischen ihnen verabredet, daß sie einander erst am Abend verlassen sollten. Noch diesen selben Abend sollte Luisa den Anführer der Verschwörung sprechen und den nächstfolgenden Tag, nachdem er Zeit gehabt, Contreordre zugeben, und sich und seine Mitverschworenen in Sicherheit zu bringen, sollte Salvato den General benachrichtigen, welcher sich dann mit der Civilgewalt über die zur Vereitelung des Complotts nothwendigen Maßregeln für den Fall verständigen sollte, daß die Insurgenten trotz der ihnen von Luisa gemachten Mittheilung bei ihrem Unternehmen beharren sollten.
Nachdem man sich einmal über alles dies besprochen, überließen Salvato und Luisa sich ganz ihrer Liebe.
Sich ganz der Liebe überlassen , wenn man wirklich liebt, heißt Tauben – oder Engelsschwingen leihen, sich hoch über die Erde erheben, auf einer Purpurwolke, auf einem Sonnenstrahle ausruhen, sich betrachten, sich zulächeln, leise sprechen, das Paradies zu seinen Füßen, den Himmel über dem Haupte sehen, und zwischen den zweitausendmal wiederholten Zauberworten: »Ich liebe Dich!« die Klänge der himmlischen Sphären hören.
Der Tag verging wie ein Traum. Das Geräusch der Straße und der Beengung zwischen den vier Mauern eines Zimmers müde, nach Luft, nach Freiheit, nach Einsamkeit schmachtend, eilten sie hinaus ins Freie, welches in den neapolitanischen Provinzen gegen Ende des Januar wieder zu neuem Leben zu erwachen beginnt.
Hier aber, in den nächsten Umgebungen der Stadt, begegnete man auf jedem Schritte einem Neugierigen, einem Zudringlichen.
»Können wir nicht eine Wüste aufsuchen?« sagte Salvato lächelnd.
»Wir wollen nach Pästum fahren,« antwortete Luisa.
Ein Miethwagen fuhr vorüber. Salvato rief den Kutscher an, die beiden Liebenden stiegen ein, das Ziel der Fahrt ward genannt und die Pferde setzten sich in blitzschnelle Bewegung.
Keines von Beiden kannte Pästum. Salvato hatte das südliche Italien verlassen, ehe noch, so zu sagen, ihm die Augen aufgegangen waren, und obschon der Chevalier mit Luisa wohl zwanzigmal von Pästum gesprochen, so hatte er sie doch niemals dahin führen wollen, weil er für sie die verderblichen Einwirkungen der dort herrschenden bösen Luft fürchtete.
Jetzt dachten die beiden Liebenden nicht einmal daran. Hätte das Eine von ihnen die pontinischen Sümpfe genannt, so würde das Andere gesagt haben: »Ja, gehen wir nach den pontinischen Sümpfen,« Es war ja geradezu unmöglich, daß das Fieber in einem solchen Augenblicke Gewalt über sie hätte. Ist das Glück von allen Gegengiften nicht das wirksamste? Luisa war genau über die Oertlichkeiten unterrichtet, welche man passiert, wenn man die Runde um diesen prachtvollen Golf macht, welcher, ehe Salerno existierte, der Golf von Pästum genannt ward. Dennoch ließ sie wie eine unwissende, aber wißbegierige Schülerin der Archäologie Salvato sprechen, weil sie ihm einmal gerne zuhörte. Sie wußte im Voraus, was er sagen wollte, und dennoch war es ihr, als hörte sie Alles, was er sagte, zum ersten Male.
Was aber kein geschriebenes Buch weder dem Einen noch dem Andern hatte mittheilen können, dies war die Majestät der Landschaft, die Erhabenheit der Linien, welche sich den Augen der Reisenden entrollten, als sie an einer der Biegungen der Straße plötzlich die drei Tempel gewahrten, welche sich mit ihrer warmen, dem welken Laube ähnlichen Farbe gegen den dunkeln Azur des Himmels abhoben.
Es waren würdige Ueberreste der strengen Architektur jener am Fuße des Ossa und des Olymp gebotenen hellenischen Stämme, welche bei der Rückkehr von einem fruchtlosen Kriegszug in den Peloponnes, wohin Hyllus, der Sohn des Herkules, sie geführt, ihr Land von den Verhäbiern besetzt fanden, welche, nachdem sie die fruchtbaren Ebenen am Penrios den Lapythern und Jonierv überlassen, sich in der Tryopide niederließen, welche von dieser Zeit an den Namen Doride annahm, und hundert Jahre nach dem trojanischen Kriege den Pelasgern, welche sie bis nach Attika verfolgten, Messena und Tyrenthe, die noch heute durch ihre titanischen Rainen berühmt sind, die Argolide, wo sie das Grabmal Agamemnon’s fanden, und Latonien abnehmen, dessen Bewohner sie zu Heloten machten und wo sie aus Sparta den lebendigen Ausdruck ihres ernsten, düsteren Geistes machten dessen Dolmetscher Lykurgus ward. Sechs Jahrhunderte lang war die Civilisation durch diese Eroberer gehemmt, welche gegen den Gewerbfleiß, gegen die Wirthschaften und Künste gleichgültig oder feindselig gesinnt waren und welche, als sie in ihren messenischen Kriegen eines Dichters bedürften, den Atheniensern ihren Tyktäus abborgten.
Wie konnten diese rauhen Söhne des Olymps und des Ossa in diesen weichen, wollüstigen Ebenen von Pästum leben, mitten unter der Civilisation Großgriechenlands wo die Südwinde ihnen die Wohlgerüche von Sybaris und der Nordwind die Ausströmungen von Baja betrachten ?
Auch erbauten sie mitten unter ihren Feldern von Rosenbäumen, welche zweimal jährlich blühten, gleichsam als Protest gegen diese zierliche, vom sonischen Hauche durchdrungene Civilisation, jene drei furchtbaren Granittempel, welche unter Augustus schon in Trümmern liegend noch heutzutage das sind, was sie zur Zeit des Augustus waren.
Gegenwärtig ist von diesen Besiegern Spartas nichts weiter übrig, als diese drei Granitskelette, wo, von tödtlichen Miasmen umgeben, das Fieber herrscht, und jenes schnurgerade Mauerviereck, welches man binnen einer Stunde umgehen kann.
Die hier umherirrendem von der Malaria verzehrten Gespenster, welche mit hohlem neugierigem Blick den Reisenden betrachten, sind eben so wenig die Nachkommen jener Bewohner, als die ungesunden oder giftigen, in den faulen Sümpfen wachsenden Kräuter die Sprößlinge jener Rosenbäume sind, mit welchen der von Syracus nach Neapel gehende Reisende das Land weit und breit bedeckt sah, und von welchem der Wohlgeruch durch den Wind zu ihm herübergetragen ward.
Zu jener Zeit, wo die Archäologie noch in der Wiege lag und wo die klebrige Natter allein in den einsamen Ruinen herumkroch, gab es nicht wie heutzutage einen Weg, auf welchem man nach jenem Tempel gelangte. Man mußte vielmehr durch jene riesigen Kräuter hindurchschreiten, ohne zu wissen, auf welches giftige Gewürm man Gefahr lief den Fuß zu setzen.
Luisa schien, als man dieses faule Röhricht betreten wollte, zu zögern, Salvato aber nahm sie auf die Arme wie ein Kind, hob sie über die sonnverbrannte, trockene Ernte und setzte sie nicht eher wieder nieder, als bis man die Stufen des größten der Tempel erreicht hatte.
Ueberlassen wir sie jener Einsamkeit, welche sie so weit aufzusuchen gekommen, jener tiefen, geheimnißvollen Liebe, welche sie den Blicken Aller zu verbergen suchten und welche eine eifersüchtige Feder einem Nebenbuhler verrathen.
Sehen wir vielmehr, was die Ursache jenes Geräusches gewesen, welches die beiden Liebenden in dem Nebenzimmer gehört und wodurch sie einen Augenblick lang um so mehr beunruhigt worden, als sie sich vergebens bemüht hatten, die Ursache davon zu entdecken.
Michele war, wie man sich erinnert, Luisa gefolgt und erst aus der Schwelle von Salvatos Zimmer in dein Augenblick stehen geblieben, wo der junge Officier auf Luisa zugeeilt gekommen war und sie an sein Herz gedrückt hatte.
Dann hatte Michele sich discreterweise zurückgezogen, obschon es für ihn in Bezug auf das Gefühl, welches die beiden Liebenden gegen einander hegten, nichts Neues zu erfahren gab. Als aufmerksame Schildwache hatte er sich sodann in der Nähe der Thür niedergesetzt, um weitere Befehle von seiner Milchschwester oder von seinem Brigadechef zu erwarten.
Luisa hatte vergessen, daß Michele da war. Salvato welcher wußte, daß er auf seine Verschwiegenheit rechnen konnte, kümmerte sich nicht darum, und Luisa hatte, wie man sich erinnert, nachdem sie erst ihren Geliebten ohne nähere Erklärung zur Flucht aufgefordert ihm endlich Alles gestanden, ohne jedoch den Namen des Hauptes der Verschwörung zu nennen.
Michele aber kannte diesen Namen. Das Haupt der Verschwörung war, wie Luisa ihrem Geliebten selbst gestand, der junge Mann, der bis um zwei Uhr Morgens auf sie gewartet hatte; der ihr Haus erst um drei Uhr verlassen, und Giovannina hatte auf die Frage des jungen Lazzarone: »Was fehlt denn Luisa heute Morgen? Ist sie, seitdem ich vernünftig geworden, vielleicht närrisch geworden?« die furchtbare Bedeutung ihrer Antwort nicht verstehend gesagt: »Das weiß ich weiter nicht; sie ist so seit dem Besuche, welchen Signor André Backer ihr diese Nacht gemacht hat.«
Das Haupt der Verschwörung war sonach Signor André Backer, der Bankier des Königs, jener junge Mann, der so wahnsinnig in Luisa verliebt war.
Was war aber der Zweck dieser Verschwörung? Kein anderer, als in einer einzigen Nacht die sechs- bis achttausend Franzosen, welche Neapel besetzt hielten,und mit denselben zugleich alle ihre Anhänger zu ermorden.
Michele fühlte, wie er bei dem Gedanken an diese neue sicilische Vesper unter seiner schönen Uniform an allen Gliedern erzitterte.
Er war selbst ein Anhänger der Franzosen und zwar einer der eifrigsten. Demzufolge war er auch einer der Ersten, welche sich darauf gefaßt machen mußten, niedergemetzelt oder gehängt zu werden, denn es war ihm ja prophezeit, daß er Oberst und gehängt werden würde, und Oberst war er schon.
Wenn aber Nanno‘s Prophezeiung in Erfüllung gehen sollte, so lag Michele viel daran, daß es wenigstens so spät als möglich geschähe. Die Frist, welche ihm vom Donnerstag Mittag bis zur Nacht des Freitag gegeben war, schien ihm nicht lang genug zu sein.
Er glaubte deshalb, daß er kraft des Sprichwortes, daß es besser sei, den Teufel todtzuschlagen als sich von demselben todtschlagen zu lassen, keine Zeit zu verlieren habe, um sich gegen den Teufel zur Wehre zu setzen.
Es war ihm dies um so leichter, als sein Gewissen durchaus nicht durch die Zweifel bewegt ward, welche das Herz seiner Milchschwester beunruhigten. Ihm hatte mag keine vertrauliche Mittheilung gemacht; er hatte keinen Schwur geleistet.
Er hatte die Verschwörung erfahren, indem er an der Thür gehorcht hatte, ohne darauf ausgegangen zu sein.
Den Namen des Hauptes der Verschwörung errieth er, weil Giovannina es ihm gesagt, ohne ihm im mindesten Verschwiegenheit zu Pflicht zu machen.
Er war der Ansicht, daß er, wenn er die reaktionären Projecte der Herren Simon und André Backer sich verwirklichen ließe, in der That den Namen eines Narren verdienen würde, welchen man ihm seiner Meinung nach ohne triftigen Grund gegeben. Dagegen glaubte er, daß er in den Augen seiner Zeitgenossen sowohl als in denen der Nachwelt, ebenso wie Thales und Solon, den Namen eines Weisen verdienen würde, wenn er den Ausbruch der Gegenrevolution vereitelte und indem er das Leben zweier Menschen opferte, das von fünfundzwanzig bis dreißigtausend rettete.
Deshalb hatte er, ohne Zeit zu verlieren, das Zimmer neben dem, in welchem sich die beiden Liebenden befanden, verlassen und beim Fortgehen die Thür hinter sich geschlossen, so daß Niemand in das Zimmer treten konnte, ohne gehört zu werden.
Das Geräusch dieser sich schließenden Thier war es eben, was Luisa und Salvato beunruhigt, welche nach unruhiger geworden wären, wenn sie gewußt hätten, in welcher Absicht Michele der Narr, jetzt Michele der Weise, sich entfernt hatte.