Читать книгу Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann - Alex Baur - Страница 5
WÜNSCH DIR WAS
ОглавлениеAls sie an jenem Morgen in einem Wiener Hotelzimmer aufwachte, war Esther Vilar eine berühmte Frau. Wusste sie das? Zumindest eine Ahnung hatte sie. Die Spannung in der Wiener Stadthalle war noch mit den Händen zu greifen gewesen, als die Scheinwerfer und die Kameras längst ausgeschaltet waren. Alle Augen und Ohren, so schien es ihr, waren auf sie gerichtet. Esther Vilar hatte sich so schnell aus dem Staub gemacht, wie es der Anstand nur erlaubte. Der Rummel war ihr nicht geheuer. Sie spürte, dass ein Bann gebrochen war. Nur wusste sie nicht recht, in welche Richtung es nun weitergehen sollte. Kaum im Bett, war sie eingeschlafen. Nach einer traumlosen Nacht – schon lange hatte sie nicht mehr so tief geschlafen, welch wohliges Gefühl – ließ sie im Halbschlaf ihren Auftritt in der Wiener Stadthalle Revue passieren: Feministische Erbauungsliteratur … fantastische Ausrede … sexuelles Monopol … Luxusleben … Kuchen backen … geistige Tätigkeit … Dressurakte … Koffer tragen … Krieg … Sklaven … Brutinstinkt … Kindergeiseln … streunende Hunde … Straßenecke … Freier. Nein, sie hatte nichts ausgelassen. Ja, die Sendung war optimal gelaufen. Zweifellos.
Wie erfolgreich ihr Auftritt tatsächlich gewesen war, wurde Esther Vilar allerdings erst richtig bewusst, als sie an jenem Morgen auf der Suche nach einem Kaffeehaus durch die Wiener Innenstadt schlenderte. Wildfremde Menschen grüßten, als wäre sie eine alte Bekannte. Kinder, die in der Straßenbahn vorbeifuhren, zeigten ungeniert mit den Fingern auf sie. Die einen nickten ihr mit einem verschmitzten Grinsen zu, andere starrten sie verdutzt an (oder war es eher feindselig?). Ein Passant, den sie um Rat gebeten hatte, führte sie persönlich zu einem Kaffeehaus (»Aber bitte, Frau Vilar, das ist doch selbstverständlich«). Man schrieb den 31. Oktober 1971, es war ein Sonntag.
Mit einem genialen Coup über Nacht in die Sphäre der Stars katapultiert, auf wundersame Weise von der gesichtslosen Raupe zum bunten Schmetterling transformiert, den Namen unsterblich in die Annalen der Geschichte graviert. Das ist es, wovon Millionen und Abermillionen Menschen – Künstler, Unternehmerinnen, Wissenschaftler, Ärztinnen, Philosophen, Schauspielerinnen, Generäle, Helden des Alltags aller Art – jeden Tag mindestens einmal träumen. Wie viele haben sich schon aufgeopfert für diesen Traum, haben alles gegeben, sich prostituiert, sich nächtelang in ihren Betten gewälzt, sich gequält und geschunden, sich alles Mögliche und Unmögliche eingeredet und eingebildet, im Wissen darum, dass es nur ganz wenige, eigentlich nur Einzelne schaffen. Und selbst wenn sie es schaffen, dauert die Aufmerksamkeit meist nicht länger als jene flüchtigen fünfzehn Minuten zweifelhaften Ruhms, die Andy Warhol einst jedem Erdenbürger zubilligte.
Waren das nun ihre fifteen minutes – die fünfzehn Minuten der Esther Vilar? »Die Eitelkeit, der kleine Argentinier in uns allen«, schoss es ihr durch den Kopf. Vilar lachte leise auf. Ein Herr am Nebentisch, der sie schon seit geraumer Zeit aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, nickte ihr freundlich zu, sie lächelte flüchtig zurück, wandte sich aber gleich wieder ihrer Kaffeetasse zu. Sie hatte keine Lust auf Gespräche. Der kleine Tango-Argentinier in uns allen, den musst du dir merken, der ist gut. Gewiss, kein Mensch ist frei von Eitelkeit, das wusste sie nur zu gut, auch Esther Vilar nicht (eigentlich war das nicht ihr richtiger Name, doch davon später). Aber nein, sie hatte den kleinen Argentinier, mit dem sie im Übrigen einen recht unbeschwerten Umgang pflegte, ganz leidlich unter Kontrolle. Abgesehen davon war ihr die öffentliche Aufmerksamkeit eher eine Last denn eine Freude, aufjeden Fall ungeheuer. Das Aufsehen war nützlich, ja unabdingbar für ihre Karriere als Schriftstellerin, mehr nicht. Der Rummel um ihre Person würde die Auflage ihres Buches steigern. Und nichts misst den Erfolg eines Werkes so unbestechlich wie die Verkaufszahlen (über den kommerziellen Erfolg lästern nur jene, die ihn vermissen – oder etwa nicht?). Schließlich schrieb man für das Publikum (ein möglichst großes Publikum, so einfach ist das). Und ganz abgesehen davon konnte sie das Geld gut gebrauchen, nach ihrem Rausschmiss beim Pharmaunternehmen mehr denn je. Obwohl – nein, das Finanzielle hatte ihr nie wirklich Sorgen bereitet.
Tatsächlich fürchtete sie nichts mehr in ihrem Leben als öffentliche Showdowns wie jener vom Vorabend in der Wiener Stadthalle. Es war ihr erster TV-Auftritt überhaupt gewesen. Zahllose sollten folgen. Die panische Angst vor dem Rampenlicht blieb Vilar auch später als stetige Begleiterin erhalten. Lag etwa gerade hier das Geheimnis ihres Erfolgs? War es diese Urangst, die sie jeweils zu Höchstleistungen antrieb?
Jedenfalls dauerte der Hype um Vilar länger als die besagten fünfzehn Minuten, bedeutend länger, nämlich sechs Jahre, um genau zu sein. Bis sie sich selber dafür entschied, damals auf der Dachterrasse eines Hotels in Madrid, dem Schreiben ein Ende zu setzen. Es waren sechs verrückte Jahre …
Wo immer sie auftrat, diese stets freundliche, aber auch unnahbare Frau Doktor, von der man nie recht wusste, ob sie nun aus Südamerika oder aus Europa stammte, waren hitzige Debatten garantiert: zuerst in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, dann in England, in Nord- und Südamerika. In Spanien wurden sogar Bücher über sie geschrieben. Ein geschlagenes Jahr lang hielt sich ihr Erstling Der dressierte Mann nach jenem legendären Wiener TV-Auftritt in den Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste. Im spanischen Sprachraum dauerte der Boom sogar noch länger an. Das millionenfach verkaufte und in mindestens zwei Dutzend Sprachen (ein weiteres Dutzend Raubkopien nicht mit eingerechnet) übersetzte Büchlein sorgte für rote Köpfe von Istanbul bis Reykjavik, von Tokio bis Caracas. Der dressierte Mann prägte eine ganze Generation, in welche Richtung auch immer.
Gemäß den einen Umfragen stießen Vilars Thesen um den dressierten Mann mehrheitlich auf Ablehnung. Andere schienen das Gegenteil zu belegen. Es kommt halt immer drauf an, wer wen wie befragt. Wer sieht schon in die Köpfe der Menschen hinein, zumal in keinem Bereich so viel gelogen und geschummelt wird wie bei den Fragen des Geschlechts. Wenn es um Beziehungen und Sex geht, entspricht die geäußerte Meinung nicht immer (oder auch eher selten) dem tatsächlichen Empfinden. Es war auch von Land zu Land verschieden. Die Deutschen debattierten eher mit harten Bandagen, die Angelsachsen etwas kühler, bei den Lateinern wurde es oft chaotisch. Das Entscheidende aber war: Es erschien unmöglich, keine Meinung zu diesem Büchlein zu haben – man war entweder für oder gegen Vilar, dazwischen gab es nichts.
Wie war es möglich, dass ein dünnes Büchlein – eine Streitschrift, ein Pamphlet, wie sie es nannte – einer bis dahin völlig unbekannten Autorin, die bar jeder Rückendeckung allein gegen den gefühlten Rest der Welt angetreten war, einen derartigen Wirbel auslöste?
Es kommt nicht oft vor, dass ein Einzelner mit einer zündenden Idee, mit nichts als Worten und Sätzen einen Flächenbrand auslöst. Gewiss, mit den Tricks der Werbung kann man einiges steuern, und wenn das Budget nur groß genug ist, lässt sich jeder Schund an den Mann oder die Frau bringen. Doch echte Scoops lassen sich weder voraussehen noch lenken, sie passieren einfach. Als Martin Luther vor 500 Jahren seine 95 Thesen ans Tor der Schlosskirche zu Wittenberg hämmerte, war ihm kaum bewusst, dass man seinen Protestakt dereinst als Auftakt zur Reformation memorieren würde. Zweifellos hatte Karl Marx nicht weniger als eine Weltrevolution im Auge, als er 1848 mit dem kommunistischen Manifest der kapitalistischen Ordnung den Krieg erklärte. Doch wie viele Revolutionäre hatten vor Marx schon Kampfschriften verfasst, die vielleicht viel besser und eloquenter waren – und die, sofern sie überhaupt einer auch nur zur Kenntnis nahm, unbeachtet auf der Müllhalde der Geschichte landeten. Mutmaßlich haben die wenigsten, die sich auf Marx berufen, das schwer verdauliche und von Pathos nur so strotzende Manifest zu Ende gelesen, geschweige denn verstanden. Aber aus irgendeinem Grund setzte es sich durch.
Zugegeben, der Titel war genial: Der dressierte Mann! Eine solche Marke provoziert, weckt Neugierde. Schon die englische Übersetzung, The Manipulated Man, klang dagegen eher holprig und auch die spanische, El Varón Domado, nur halbwegs verheißungsvoll. Offenbar steckte doch mehr als nur Marketing und Provokation (ein Vorwurf, den sich Esther Vilar immer wieder anhören musste) in diesem Stoff. Offensichtlich hatte sie einen Nerv getroffen, einen zentralen Nerv. Und eigentlich war das Verwunderlichste an der ganzen Geschichte, dass noch keiner vor ihr auf diese Idee gekommen war.
Bleibt die große Frage: War die Aufmerksamkeit lediglich dem Zeitgeist geschuldet – oder ging es hier um etwas viel Grundsätzlicheres, etwas Universales?
Vilars Kernthese: Die Frauen sind weder benachteiligt noch unterdrückt, sie sind bloß zu faul und zu bequem, um in der Wirtschaft, in der Kunst, in der Wissenschaft oder in der Politik Führungsverantwortung zu übernehmen; für die harte und anspruchsvolle Arbeit schicken Frauen Männer vor, die sie zu diesem Zweck mit allerlei Tricks manipulieren; sie zelebrieren sich als Dummerchen, vermitteln dem Mann das Gefühl von Überlegenheit, so dass der eitle Geck gar nicht merkt, wie sie ihn an der Nase herumführen; Frauen erpressen ihre Männer in zwei existenziellen Bereichen, in denen sie ihnen weit überlegen sind: Sie kontrollieren den Sex und den Nachwuchs; das Getöse um die Ausbeutung der Frau ist nicht mehr als eine raffinierte Täuschung, deren Ziel es ist, die tradierte Rollenteilung zu zementieren; wahre Emanzipation beginnt mit der Befreiung des Mannes aus seiner von den Müttern anerzogenen Unterwerfung.
Das war auch und gerade in jener Zeit eine unerhörte Theorie. Die erste Welle von Woman’s Lib, die seit Mitte der 1960er Jahre von den USA aus über die ganze Welt schwappte, hatte Anfang der 1970er Jahre Europa erreicht. Gewiss, die Emanzen, Mannsweiber oder Suffragetten, wie sie von ihren Gegnern beschimpft wurden, waren stets auch auf Widerstand gestoßen. Doch was Vilar postulierte, entsprach nicht dem gängigen Muster der Abwehr. Sie rief die Frauen ja nicht zurück an den Herd, sondern im Gegenteil, die Frauen sollten endlich aus ihren Haushaltungen herauszustürmen und Verantwortung übernehmen. In ihrer Radikalität überholte Vilar viele Feministinnen sogar – allerdings, um beim Bild zu bleiben, nicht auf der linken, sondern auf der verpönten rechten Fahrspur. Das Problem lag aus ihrer Sicht nicht bei den Männern, sondern bei den Frauen. Sie sollten nicht darauf warten, dass ein Gentleman nach alter Väter Sitte ihnen den Vortritt ließ, sie sollten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Frauen waren keine Opfer, sondern Täterinnen.
Es gab durchaus engagierte Feministinnen, die in Vilar eine Verbündete erkannten und sich von ihrem Weckruf begeistern ließen. Doch das war eine kleine Minderheit. Vor allem gab es auch keine Bewegung, wirklich keine einzige, die sich auf ihre Seite geschlagen hätte. Esther Vilar war eine Solokämpferin, die sich nirgends einordnen ließ. Auf der politischen Ebene mag das ein Nachteil gewesen sein, der ihren Kampf aussichtslos erscheinen ließ. Auf der intellektuellen aber war es ihr vielleicht größter Vorteil. Vilar musste nie auf die Befindlichkeiten von Mitstreiterinnen Rücksicht nehmen. Das Ringen um den kleinsten gemeinsamen Nenner brauchte sie nicht zu kümmern; sie konnte sich auf die maximale Kontroverse konzentrieren. Diese große Freiheit nutzte sie gnadenlos. Diese Freiheit machte Vilar zu einer ungemein agilen und schwer berechenbaren Gegnerin im Rededuell. Und sie verschaffte ihr eine hohe Glaubwürdigkeit.
Wäre es anders gekommen, wenn Vilar sich an den Kopf einer Bewegung gestellt hätte, wenn sie Kompromisse eingegangen wäre? Vielleicht. Nur stellte sich ihr diese Frage gar nicht. Es lag nicht in ihrem Naturell. Wo sie es trotzdem versuchte, sollte sie grandios scheitern. Vilar baute allein auf die Kraft der Argumente in der offenen Debatte. Und von diesen hatte sie doch einige auf ihrer Seite – starke Argumente, die nicht so einfach zu widerlegen waren und die ihre Kontrahenten (meistens waren es Kontrahentinnen) regelmäßig aus der Fassung brachten.
Es war ja nicht so, dass die Frauen in den 1970er Jahren auf der Weltbühne von der politischen Macht ausgeschlossen gewesen wären. Schaut man zurück, fragt man sich vielmehr augenreibend, wo all die Powerfrauen von damals heute geblieben sind. In Indien, immerhin der größten Demokratie der Welt, regierte Indira Gandhi (1966 bis 1977); Golda Meir führte Israel (1969 bis 1974) durch den vielleicht gefährlichsten Krieg seiner Geschichte; in Großbritannien trimmte die eiserne Parteivorsitzende Margrit Thatcher (1975 bis 1990) die Konservativen gerade auf ihren Kurs und zettelte eine liberale Revolution an, die weit über ihr Land hinausstrahlen sollte. Gandhi, Meir, Thatcher, das waren keine Quotenfrauen, sondern Macherinnen, die sich in der Männerwelt offensichtlich durchsetzen konnten. Keine von ihnen hat sich je beklagt, dass ihr Geschlecht ein Nachteil gewesen wäre.
»Dass ich eine Frau war«, schrieb Golda Meir in ihrer Autobiographie, »hat mich nie in irgendeiner Weise behindert.« Es habe ihr allerdings auch nicht genützt, es sei einfach ohne Bedeutung gewesen. Women’s Lib war aus Meirs Sicht »ein Haufen Torheit« (a lot of foolishness). »Mächtig zu sein ist, wie eine Lady zu sein«, spottete Thatcher einmal, »wer es zur Schau stellt, ist es mit Sicherheit nicht.« Der Frauenbewegung, erklärte die eiserne Lady, schulde sie »rein gar nichts«. Genderfragen, so schrieb ihr Biograph Allan Mayer, hätten sie nur gelangweilt.
Es zeigte sich auch, dass Frauen nicht unbedingt die friedfertigeren und rücksichtsvolleren Machthaber waren. Sirimavo Bandaranaike gilt als erste demokratisch gewählte Präsidentin der Welt, sie regierte Ceylon beziehungsweise Sri Lanka von 1960 bis 1965 und von 1970 bis 1977. Ihr rücksichtsloses Vorgehen gegen die tamilische Minderheit gab den Anstoß zu einem blutigen Bürgerkrieg; die von Bandaranaike forcierten Verstaatlichungen ruinierten das Land nachhaltig. Die übelsten Despotenjener Epoche waren wohl Männer, doch diese hatten nicht selten raffgierige Frauen – wir erinnern uns an Imelda Marcos oder María de Trujillo – an der Seite, die ihren Ehegatten bei der Plünderung der Staatskassen eifrig zur Hand gingen. Auf der anderen Seite schaffte es im sozialistischen Block, wo die Gleichstellung der Frauen seit je besonders forciert wurde, nie eine Genossin zur großen Führerfigur.
Offensichtlich waren die Machtverhältnisse unter den Geschlechtern etwas komplizierter, als sie in den gängigen feministischen Lehren propagiert wurden. Was Esther Vilar predigte, war zudem mehr als hölzerne Theorie, sie konnte es mit anschaulichen Beispielen belegen.
Der dressierte Mann beginnt mit einer Geschichte aus dem Alltag. Ein eleganter Sportwagen steht mit einer Reifenpanne am Straßenrand. Doch die Besitzerin des Autos denkt nicht daran, Ersatzreifen und Wagenheber in die Hand zu nehmen, um das Malheur zu beheben. Sie setzt den dümmsten Blick auf, den sie für solche Fälle intus hat, und stellt sich neben ihr Auto. Sie muss nicht lange auf einen netten Unbekannten warten, der die missliche Lage erkannt hat und ihr zu Hilfe eilt. Sie muss ihn nicht einmal bitten. Von sich aus wirft sich der Gentleman in den Schmutz, um das Rad zu wechseln, selbstverständlich gratis. Dankbar dafür, dass er einer Dame in Not dienen durfte, öffnet ihr der Herr nach getaner Arbeit noch die Autotür und rät, den havarierten Reifen möglichst bald reparieren zu lassen. Während sie davonrauscht, reinigt er behelfsmäßig seine verschmutzten Schuhe und klopft seinen Anzug aus, schaut auf die Uhr, er ist im Verzug. Gegen seine Gewohnheit fährt er unvorsichtig schnell weiter, um die versäumte Zeit aufzuholen. Den geplanten Termin hat er gleichwohl verpasst. Doch er nimmt es mit fröhlicher Gelassenheit hin: »Nach einer Weile fängt er an, leise vor sich hinzusummen. Auf eine gewisse Art ist er glücklich.«
Eine nette Alltagszene in der Art, wie sie wohl jeder schon einmal erlebt hat oder zumindest locker nachvollziehen kann. Was Vilar mit der Anekdote illustrieren will, ist weniger nett.
»Die meisten Männer hätten sich in der gleichen Situation gleich verhalten, die meisten Frauen ebenso: Die Frau lässt den Mann – nur aufgrund der Tatsache, dass er ein Mann ist und sie etwas ganz anderes, nämlich eine Frau – bedenkenlos für sich arbeiten, wann immer es eine Gelegenheit gibt. (…) Die Frauen lassen die Männer für sich arbeiten, für sich denken, für sich Verantwortung tragen. Die Frauen beuten die Männer aus. (…) Warum werden die Frauen nicht entlarvt? (…) Alle Eigenschaften eines Mannes, die der Frau nützen, nennt sie männlich, und alle, die ihr nicht nützen und auch sonst niemandem, nennt sie weibisch. (…) Was ist der Mann? Der Mann ist ein Mensch, der arbeitet. Mit dieser Arbeit ernährt er sich selbst, seine Frau und die Kinder seiner Frau. Eine Frau dagegen ist ein Mensch, der nicht (oder nur vorübergehend) arbeitet. Die meiste Zeit ihres Lebens ernährt sie weder sich selbst noch ihre Kinder, geschweige denn ihren Mann. (…) Was immer der Mann tut, wenn er arbeitet – ob er Zahlen tabelliert, Kranke heilt, einen Bus lenkt oder eine Firma leitet –, in jedem Augenblick ist er Teil eines gigantischen, unbarmherzigen Systems, das einzig und allein auf seine maximale Ausbeutung angelegt ist, und er bleibt diesem System bis an sein Lebensende ausgeliefert. (…) [Die Männer] tun es, weil sie dafür dressiert werden: Ihr ganzes Leben ist nichts als eine trostlose Folge von Dressurkunststückchen. Ein Mann, der diese Kunststückchen nicht mehr beherrscht, der weniger Geld verdient, hat ›versagt‹ und verliert alles: seine Frau, seine Familie, sein Heim, den Sinn seines Lebens – jedwede Geborgenheit. (…) Der Mann sucht immer jemand oder etwas, dem er sich versklaven kann, denn nur als Sklave fühlt er sich geborgen – und seine Wahl fällt dabei meist auf die Frau.«
In diesem Tonfall geht es weiter, über 200 Seiten. Vilar formuliert rasiermesserscharf und in einem halsbrecherischen Tempo, kein Wort ist zu viel. Grautöne, ein Einerseits-Andererseits, Relativierung und Vorbehalte gibt es nicht. Alles ist auf den maximalen Kontrast in Schwarz und Weiß getrimmt. Widerspruch erscheint zwecklos. Denn während der Leser in seinem Kopf noch den Haken an der Sache sucht, ist ihm die Autorin schon zuvorgekommen und widerlegt seinen Einspruch, bevor er ihn zu Ende gedacht hat.
»Es gilt als erwiesen, dass Männer und Frauen mit den gleichen geistigen Anlagen geboren werden, dass es also keinen primären Intelligenzunterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Ebenso erwiesen ist aber, dass Anlagen, die nicht entwickelt werden, verkümmern: Die Frauen benützen ihre geistigen Anlagen nicht, sie ruinieren mutwillig ihren Denkapparat und gelangen nach einigen Jahren sporadischen Gehirntrainings in ein Stadium sekundärer, irreversibler Dummheit. (…) Warum benützen die Frauen ihr Gehirn nicht? Sie benützen es nicht, weil sie, um am Leben zu bleiben, keine geistigen Fähigkeiten brauchen. Theoretisch wäre es möglich, dass eine schöne Frau weniger Intelligenz besitzt als beispielsweise ein Schimpanse und dass sie sich dennoch im menschlichen Milieu behauptet.«
Starker Tobak? Das war bloß der Anfang, es kommt noch heftiger. Zarte Gemüter schnallen sich nun besser an.
«Spätestens mit zwölf Jahren – einem Alter, in dem die meisten Frauen beschlossen haben, die Laufbahn von Prostituierten einzuschlagen, das heißt, später einen Mann für sich arbeiten zu lassen und ihm als Gegenleistung ihre Vagina in bestimmten Intervallen zur Verfügung zu stellen – hört die Frau auf, ihren Geist zu entwickeln. Sie lässt sich zwar weiterhin ausbilden und erwirbt dabei allerlei Diplome – denn der Mann glaubt, dass eine Frau, die etwas auswendig gelernt hat, auch etwas weiß (ein Diplom erhöht also den Marktwert der Frau) –, doch in Wirklichkeit trennen sich hier die Wege der Geschlechter ein für alle mal. Jede Verständigungsmöglichkeit zwischen Mann und Frau wird an diesem Punkt abgeschnitten, und zwar für immer. (…) Grundlage der Ökonomie ist noch immer der Tausch. Wer eine Dienstleistung verlangt, muss etwas entsprechend Wertvolles dagegen bieten. Nun verhält es sich so, dass die Männer die exklusive Nutzung der weiblichen Vagina zu Wahnsinnspreisen hochgesteigert haben (…) Die Frauen können wählen, und das ist es, was sie den Männern so unendlich überlegen macht: Jede von ihnen hat die Wahl zwischen der Lebensform eines Mannes und der eines dummen, parasitären Luxusgeschöpfes – und so gut wie jede wählt für sich die zweite Möglichkeit. Der Mann hat diese Wahl nicht. (…) Außerhalb seiner Funktion als Ernährer misst die Frau dem Mann keinen Wert zu. (…) Die Frau kann ruhig lügen. Da sie nicht in den Arbeitsprozess eingegliedert ist, schadet die Lüge immer nur einem einzelnen Menschen – meist ihrem Mann –, und sie nennt sie, wenn sie zuweilen doch ertappt wird, auch nicht ›Lüge‹ oder ›Betrug‹, sondern ›weibliche List‹. (…) Die Gefühlsarmut der Frau zeigt sich auch darin, dass sie die Emotionen des Mannes unterdrückt, wo sie nur kann, und sich dabei noch in den Ruf bringt, gefühlvoll und sensibel zu sein. Die Tränendrüsen sind winzige Flüssigkeitsbehälter, die, ähnlich wie die Harnblase, durch Training dazu gebracht werden können, dem Willen zu gehorchen. (…) Die einzig wichtige Tat im Leben einer Frau ist die Wahl des richtigen Mannes (sie darf sich sonst überall irren, hier nicht), und deshalb trifft sie diese Wahl meist dort, wo sie die männlichen Qualitäten, auf die es ihr ankommt, am besten beurteilen kann: beim Studium und bei der Arbeit. Büros, Fabriken, Colleges und Universitäten sind für sie nichts weiter als riesige Heiratsmärkte. (…) Welches Milieu sie zum Ködern ihres künftigen Arbeitssklaven tatsächlich wählt, hängt weitgehend vom Einkommen des Mannes ab, der sich vorher für sie versklavt hatte – ihres Vaters. Die Töchter gutverdienender Männer suchen sich den Mann zum Heiraten vorzugsweise auf Hochschulen und Universitäten, denn dort bestehen die größten Chancen, einen mindestens ebensogut verdienenden Mann zu finden (außerdem ist ein Pro-Forma-Studium bequemer als eine – wenn auch vorläufige – Berufstätigkeit.). Mädchen aus weniger gutem Hause müssen sich zum gleichen Zweck vorübergehend in einer Fabrik, einem Laden, Büro oder Krankenhaus verdingen. Beide Formen des Engagements sind provisorisch – sie dauern bis zur Hochzeit, in Härtefällen bis zur Schwangerschaft. (…) Die Frau kennt keinen Kampf. Wenn sie ihr Studium abbricht und einen Universitätsdozenten heiratet, hat sie ohne Anstrengung das gleiche erreicht wie er. Als Ehefrau eines Fabrikanten wird man sie mit noch größerer Ehrerbietung behandeln als diesen. Als Frau hat sie immer den Lebensstandard und das Sozialprestige ihres Mannes und muss nichts tun, um diesen Standard und dieses Prestige zu erhalten – das tut er. Der kürzeste Weg zum Erfolg ist deshalb für sie immer noch die Heirat mit einem erfolgreichen Mann. (…) Die hässliche Frau arbeitet aus dem gleichen Grund wie der Mann: weil es sonst niemand für sie tut. Doch während der Mann mit seinem Gehalt Frau und Kind ernährt, arbeitet sie immer nur für sich selbst und nie, um mit dem verdienten Geld das Leben eines schönen jungen Mannes zu finanzieren. (…) Für die Frau muss Arbeit immer Vergnügen bleiben, und damit es so ist, braucht eine berufstätige Frau einen berufstätigen Mann. Wenn sie schon etwas tut, dann stellt sie auch Bedingungen, und eine davon ist, dass sie sich die Arbeit aussuchen kann und dass sie sie jederzeit wieder aufgeben darf. Deshalb steckt sie lieber ihr Neugeborenes in eine Kinderkrippe, als dass sie auf den berufstätigen Partner verzichtet; deshalb bleibt sie lieber selbst zu Hause, bevor sie ihren Mann zu Hause lässt und ihre Berufstätigkeit zu Zwang und Verantwortung werden könnte. (…) Für die Frau bedeutet Liebe Macht, für den Mann Unterwerfung.«
Vilars Pamphlet fällt just in eine Zeit, in der die feministische Welle, ausgelöst durch das amerikanische Women’s Lib Movement, weltweit einem ersten Höhepunkt zusteuert. Der dressierte Mann kann auch als Kampfansage an die Gender-Aktivistinnen gelesen und verstanden werden. Und auch in diesem Punkt greift Vilar bar jeder Rücksichtnahme die Befindlichkeit des zarten Geschlechts frontal an.
»Women’s Liberation ist gescheitert. Die Geschichte von der unterprivilegierten Frau war eine Fiktion, und mit einer Fiktion lässt sich kein Aufstand inszenieren. Die Leidtragenden sind wieder einmal die Männer. In einem Land, in dem der Mann von der Frau so skrupellos ausgebeutet wird wie in den USA, ist eine Bewegung, die für noch mehr Frauenrechte kämpft, eine reaktionäre Bewegung. Solange das Geschrei nach weiblicher Gleichberechtigung nicht aufhört, kann der Mann niemals auf den Gedanken kommen, dass eigentlich er das Opfer ist. (…) Die Amerikanerin ist die höchstbezahlte Ehefrau der Welt. Von allen Frauen der Welt führt sie das komfortabelste Leben. (…) Die Frau fühlt sich durch den Mann alles andere als bevormundet. (…) Der Mann ist der Frau nicht wichtig genug, dass sie sich gegen ihn auflehnt. (…) In der Welt der Frauen zählen nur die anderen Frauen. (…) Dermaßen von ihrem eigenen Geschlecht im Stich gelassen, begannen die Theoretikerinnen von Women’s Lib sich immer weiter in Details zu verstricken: ob jeder Geschlechtsverkehr mit einem Mann eine Vergewaltigung der Frau sei, ob man den vaginalen Orgasmus überhaupt akzeptieren dürfe, ob nur die Lesbierin wirklich emanzipiert sei, ob die Frauenfrage akuter sei als das Rassenproblem, usw. Angelockt von der großen Publizität, die sie dort erwartet – denn wo fällt eine hübsche Frau mehr auf als unter hässlichen? –, war mittlerweile eine ganze Reihe attraktiver ›emanzipierter‹ Frauen zur Organisation gestoßen. Und obwohl diese Frauen keine Ahnung von den Problemen haben konnten, von denen sie redeten – eine attraktive Frau wird weder im Beruf noch im Privatleben diskriminiert –, übernahmen sie doch bald die Starrollen in der Organisation. (…) Auch die Hässliche verzichtet trotz ihres Erfolges nie auf ihren Sonderstatus und erwartet mit größter Selbstverständlichkeit, dass ihre Umwelt sie – als Frau, die erfolgreich war – wie eine Art Weltwunder betrachtet. Es ist geradezu obszön, wie sehr gerade diese Frau immer ihre Weiblichkeit herausstreicht. Sie produziert sich vor Presse und Fernsehen, wo immer es geht, lässt ihren schwabbeligen Busen über ihre große Schreibtischplatte hängen und klagt, wie schwer gerade sie, als Frau, es in ihrer hohen Position habe. (…) Die emanzipierte Frau ist genauso dumm wie die anderen, aber sie möchte nicht für dumm gehalten werden: Von Hausfrauen spricht sie nur auf die abfälligste Art. Sie glaubt, allein die Tatsache, dass sie eine Arbeit ausführt, die auch eines Mannes nicht unwürdig wäre, mache sie intelligent. Sie verwechselt dabei Ursache mit Wirkung: Die Männer arbeiten ja nicht, weil sie so intelligent sind, sondern weil sie müssen. (…) Simone de Beauvoir, die mit ihrem 1949 erschienenen Werk ›Das andere Geschlecht‹ Gelegenheit hatte, das erste Buch über die Frau überhaupt zu schreiben, ließ diese Gelegenheit vorübergehen und erstellte statt dessen mit viel Fleiß ein Kompendium der Ideen Freuds, Marx’, Kants usw. über die Frau. Anstatt sich die Frauen einmal anzusehen, durchforstete sie die Bücher der Männer und fand natürlich überall Zeichen für weibliche Benachteiligung. Die Neuigkeit ihres Elaborats bestand lediglich darin, dass diesmal die männliche Meinung über die Frau die Unterschrift einer Frau trug. (…) Doch die Weichen für die anderen Schriftstellerinnen waren damit gestellt: Betty Friedan, Kate Millett, Germaine Greer, eine kopierte die andere, sie überschlugen sich in ihrem Eifer, Beweise für männliche Infamie zu erbringen – doch über ihr wirkliches Sujet, die Frau, schrieben sie nichts, was der Rede wert gewesen wäre. (…) Die Mündigkeit der Frau wurde wieder einmal nicht erreicht. Denn die Befreiung der Frau wäre die Befreiung der Frau von ihren Privilegien – doch dafür, dass das nicht passieren konnte, sorgte ausgerechnet Women’s Lib.«
Den Stoff zum dressierten Mann trug Esther Vilar schon seit vielen Jahren mit sich herum. Seit ihrer Heirat, seit der Geburt ihres Sohnes? Eine Außenseiterin war sie schon immer gewesen, auch an der Facultad de Medicina in Buenos Aires, wo damals noch wenige Frauen studierten (und noch weniger unterrichteten). Sie hatte in Argentinien harte Zeiten erlebt, doch das hatte nichts mit ihrem Geschlecht zu tun, im Gegenteil, sie fühlte sich als Frau eher privilegiert. Die Klagen über Diskriminierung, mit denen sie erst später in Deutschland konfrontiert wurde, konnte sie vor diesem Hintergrund nie wirklich ernst nehmen. Und mit der Zeit erschienen sie ihr nachgerade lächerlich, ja obszön.
Ein bestimmtes Schlüsselereignis gab es nicht. Was als Ahnung begonnen hatte, verfestigte sich über die Jahre zur Gewissheit. Und wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, auch das lag in ihrem Naturell, dann wollte sie es genau wissen, dann brachte sie die Sache zu Ende. Sie begann Zeitungsartikel zu sammeln, kaufte sich feministische Bücher (von denen sie die meisten, seien wir ehrlich, lediglich überflog). Später wurde kolportiert, sie habe ihre Thesen durch Feldforschungen in den USA vertieft. Die Wahrheit ist: Vilar kannte die Vereinigten Staaten zu jenem Zeitpunkt bloß aus dem Kino (wo sie auch ihre Kenntnisse der englischen Sprache erwarb). Entscheidend für den dressierten Mann waren am Ende die kleinen Beobachtungen und Erlebnisse des Alltags – all die unscheinbaren Begebenheiten, wie sie jeder Mensch aus eigener Erfahrung kennt –, die sie zusammenfügte und die dem Büchlein eine ungeheure Kraft verliehen, weil sie eben jeder nachvollziehen konnte.
Die Zeit war reif für Neues. Die industrialisierte Welt befand sich in einem Umbruch, wie ihn die Menschheit in so kurzer Zeit noch nie erlebt hatte. Die Wirtschaft boomte seit über einem Jahrzehnt. Der Volkswagen wurde zum Symbol einer Epoche, in der sich der einfache Arbeiter plötzlich Annehmlichkeiten leisten konnte, die vorher einer kleinen privilegierten Schicht vorbehalten waren. Das Fernsehen eröffnete eine neue Dimension der Massenkommunikation, brachte die große weite Welt in die traute Stube. Düsenflugzeuge rückten ferne Länder und Kontinente zusammen. Die Antibabypille wirkte sich nicht nur befreiend auf das Sexualleben der Menschen aus, sie machte auch die Familienplanung viel einfacher. Und es herrschte Vollbeschäftigung, Arbeitskräfte waren gesucht.
Die technologische Revolution vereinfachte auch die Arbeit im Haushalt enorm. Die Supermärkte, die allenthalben wie Pilze aus dem Boden schossen, führten nun Fertiggerichte in ihrem Sortiment, die das Kochen zum Kinderspiel machten. Die Betreuung von ein, zwei, allenfalls drei Kindern, welche dank der Pille schnell zur Regel wurden, konnte bestenfalls noch als Vollbeschäftigung eingestuft werden, bis diese zur Schule gingen. Dass die Frauen die Arbeit in den Fabriken, Büros und Chefetagen ebenso gut wie die Männer erledigen konnten, hatten sie bereits im Krieg bewiesen. Dass sie, die in ihren vollautomatisierten Haushaltungen nicht mehr viel zu tun hatten, zumindest in den Industrieländern vermehrt in die Arbeitswelt einbezogen werden mussten, stand außer Frage. Die Frage war nur, wie und in welchem Ausmaß dies geschehen sollte.
Und genau in diesem Punkt postulierte Vilar einen radikalemanzipatorischen Ansatz, wie ihn bislang noch niemand zu formulieren gewagt hatte: Männer und Frauen sollten sich alles teilen, von der Arbeit bis zur Kinderbetreuung. Und: Das Problem lag nicht primär bei den Männern, sondern bei den Frauen, die ihre Privilegien nicht hergeben wollten; als nutzlose Luxusgeschöpfe, die das von ihren Männern sauer verdiente Geld verwalteten und ausgaben, hatten sie sich bequem in ihrer Opferrolle eingerichtet; die feministischen Klagen über die Ausbeutung der Frau waren nichts anderes als ein dreistes Ablenkungsmanöver, das die herrschenden Machtverhältnisse zementieren und jede grundlegende Veränderung verhindern sollten!
Esther Vilar war 35 Jahre alt, als sie den dressierten Mann in lediglich zwei Monaten niederschrieb, in einem Zug. Oder war es eher ein Rausch? Der Stoff war da, das Schreiben ging ihr leicht von der Hand. Auch der Titel – bisweilen der anspruchsvollste Teil eines Buches – stand von Anfang an fest. Schwieriger, ungleich viel schwieriger war es, einen Verlag zu finden, der ein derartiges Pamphlet abdrucken mochte. Klaus, ihrem Ehemann, hatte sie das Manuskript erstmals vorgelegt, als es zur Hälfte geschrieben war. Er begriff sofort, dass sie einen Scoop gelandet hatte. Deutschland, meinte er, sei viel zu klein für ein derartiges Werk. Als der Text fertig war, reiste er damit nach Amerika. Nach einer Woche kam er zurück, mit leeren Händen. Vilar verschickte den dressierten Mann an zwei Dutzend deutsche Verlage. Wochen, Monate gingen ins Land, keine Zusage, keine Absage, einfach nichts. Die beiden beschlossen, das Büchlein im Eigenverlag zu drucken, im Caann-Verlag, den sie eigens zu diesem Zweck gründeten. Das war im Herbst 1970.
Es ist eine Frau, die den Bann bricht, unerwartet und ohne jede Vorankündigung. Am 22. November 1970 schreibt die bekannte Publizistin Inge Stolten im auflagestarken Nachrichtenmagazin Stern zwei Seiten über den dressierten Mann. Stolten hat Vilar nie getroffen, über welche Pfade das Büchlein in ihre Hände geraten ist, lässt sich nicht mehr ergründen. Aus politischer Sicht ist Stolten eine unverdächtige Rezensentin. Die bekennende Sozialistin und Frauenrechtlerin steht beileibe nicht im Ruch einer Konservativen. Trotzdem lässt sie sich von Vilars Thesen derart begeistern, dass sie sich diese gleich zu eigen macht. Stolten ergänzt ihre Buchbesprechung mit einer Untersuchung der bekannten französischen Frauenrechtlerin und Soziologin Evelyne Sullerot, die im Laborversuch bestätigt, was Vilar empirisch zusammengetragen hat. Sullerot hatte eine Gruppe von zufällig ausgewählten Studentinnen und Studenten gebeten, einen Tag in ihrem Leben als 50-Jährige zu beschreiben, so wie sie ihn sich im Idealfall vorstellten. Die jungen Männer schrieben alle über ihren Beruf, die Frauen sahen sich ausnahmslos als Mütter und Hausfrauen. Und keine fragte sich, ob für diese Rolle wirklich ein Universitätsstudium nötig sei.
Zwei Wochen nach der Rezension von Stolten vermeldet der Stern, dass der dressierte Mann nun doch einen großen Verlag gefunden habe und im Januar bei Bertelsmann erscheine.
1971 ist ein bewegtes Jahr. In Vietnam startet das letzte Flugzeug mit dem berüchtigten Entlaubungsmittel Agent Orange, während Ex-Beatle John Lennon sein erstes Soloalbum (Imagine) lanciert; in der DDR wird Erich Honecker zum Ersten Sekretär der Zentralkomitees der SED ernannt, in Uganda übernimmt Idi Amin Dada nach einem unblutigen Putsch die Macht, in Persien lässt der Schah Reza Pahlavi 2500 Jahre Monarchie feiern, in Chile verstaatlich Präsident Salvador Allende sämtliche Kupferminen entschädigungslos (zwei Monate später wird er von General Augusto Pinochet gestürzt); das Kurzhaar-Obligatorium bei der deutschen Bundeswehr wird abgeschafft, für Langhaarige gilt aber eine Netzpflicht; die BRD-Post weigert sich, DDR-Briefmarken mit Motiven wie Antifaschistischer Schutzwall oder Unbesiegbares Vietnam abzustempeln, der Transitvertrag zwischen Ost- und Westdeutschland kommt trotzdem zustande; in New York gewinnt Joe Frazier den Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Muhammad Ali nach Punkten, der Belgier Eddy Merckx gewinnt zum dritten Mal in Folge die Tour de France; in Hamburg und Kaiserslautern ermorden Mitglieder der »Baader-Meinhof-Bande« (RAF) die Polizisten Norbert Schmid und Herbert Schoner; Heinrich Böll lanciert seinen Bestseller Gruppenbild mit Dame; die UNO nimmt China als Mitglied auf und schließt gleichzeitig Taiwan aus, Bangladesch trennt sich von Pakistan; in Ägypten wird der Assuan-Staudamm eingeweiht, in der UdSSR stürzt das Raumschiff Sojus 11 nach erfolgreicher Mission beim Landeanflug ab, die dreiköpfige Besatzung stirbt, die amerikanische Apollo 15 landet dagegen sicher, obwohl sich einer der Fallschirme nicht öffnet; in Kanada wird Greenpeace gegründet, in Genf die internationale Hilfsorganisation Médecins sans frontières (Ärzte ohne Grenzen); in den USA wird die Rundfunkwerbung für Tabak verboten, der holländische Programmierer Ray Tomlinson verschickt das erste E-Mail der Geschichte und benutzt dabei erstmals das »Affenschwanz-Zeichen« (@); in Frankreich erklären 343 Frauen, unter ihnen Größen wie Simone de Beauvoir, Françoise Sagan, Catherine Deneuve und Jeanne Moreau, öffentlich »Ich habe abgetrieben!«, in Deutschland kopiert die Zeitschrift Stern die von Alice Schwarzer initiierte Protestaktion für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit einem legendären Cover (Größen wie Senta Berger, Romy Schneider oder Lis Verhoeven outen sich); in der Schweiz beschließt die Mehrheit der männlichen Stimmbevölkerung (65,7 Prozent), den Frauen das aktive und passive Stimmrecht zu gewähren (wobei acht Kantone die Vorlage ablehnen), in London gründet Erin Pizzey das erste offizielle Frauenhaus Europas; der Zeichentrickfilm Asterix der Gallier wird zum Kassenschlager des Jahres und überholt sogar das Hollywooddrama Love Story; im peruanischen Amazonas überlebt die 17-jährige Juliane Koepcke das Auseinanderbersten eines vom Blitz getroffenen Passagierflugzeugs sowie den Sturz aus 3000 Metern Höhe in den Regenwald fast unverletzt, nach tagelangem Marsch durch den Dschungel trifft die junge Deutsche auf Holzfäller, sie ist gerettet.
Für Esther Vilar ist es ein Jahr der Ungewissheit. Ihre Stelle als Ärztebesucherin eines Pharma-Unternehmens hat sie verloren. Mit dem Job hatte sie ihre ganze Familie während sieben Jahren über Wasser gehalten. Die Kündigung war ihr »nahegelegt« worden, wie man so schön sagt. Vilar konnte es ihrem Arbeitgeber nicht verübeln. Ihre Aufgabe – Ärzte besuchen eben, um diese über Neuheiten auf dem Markt zu informieren, wobei sie ihre Agenda frei bestimmen durfte und sich weder um den Verkauf noch um Provisionen zu kümmern brauchte – war weder besonders anspruchsvoll noch anstrengend gewesen. Im Grunde war sie als Ärztin überqualifiziert für diese Aufgabe. Doch in den letzten Monaten hatte Vilar nicht einmal mehr das minimale Plansoll erfüllt. Seit sie mit der Niederschrift des dressierten Manns angefangen hatte, konzentrierte sie all ihre Energie auf die Schriftstellerei. Etwas anderes konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen.
Bertelsmann, ein namhafter Verlag, und Stern waren schon mal ein guter Anfang. Doch das große Echo lässt auf sich warten. Im März bringt die Frankfurter Rundschau eine zweispaltige Rezension, einen Totalverriss. Titel: »Party-Geblödel einer Weitgereisten«. Diagnose: »Mit Sorgfalt wird Realität als zu ernst gemieden. ›Der Dressierte Mann‹, den Esther Vilar uns vorführt, ist kaum noch Karikatur.« Fazit: »Sollte ihr Buch den tieferen Sinn haben, aggressiv-parodistisch aufzuklären, hat es das Klassenziel nicht erreicht.« Nichts, aber auch gar nichts lässt die Rezensentin am Buch gelten. Immerhin, Vilar wird wahrgenommen.
Die Stuttgarter Zeitung urteilt eine Woche später etwas gnädiger: »Es war längst fällig, den Emanzipationsspieß einmal umzudrehen und statt der ständigen Beschimpfung des Mannes endlich eine Beschimpfung der Frau zu veranstalten.« Wer sich gegen die Ausbeutung und Beherrschung der Frau durch den Mann auflehne, müsse sich fairerweise auch gegen die Ausbeutung und Beherrschung durch die Frau stellen. »Vieles stimmt sogar, manches ist längst bekannt und das meiste bekommt in dieser Sicht einen amüsanten Touch. Mehr nicht. (…) Das Ärgerliche an dem Buch, das auch Wahrheiten für Einsichtige enthält, ist lediglich, dass die Autorin sich hemmungslos auf Allgemeinplätzen tummelt. Sie sagt ›die Frau‹ und meint eine bestimme Sorte von Frauen.« Aber diese Frauen seien nur eine Minderheit. Fazit: »Trotz allen Einwendungen jedoch bleibt das Buch eine brauchbare Diskussionsgrundlage zum Thema der weiblichen Emanzipation.«
Im Mai folgt eine wohlwollend-spöttische Besprechung im Spiegel (»Das hatte Mann schon lange mal hören wollen«). Im Juni die nächste scharfe Klatsche in der Welt: »Emanzipierte aller Länder – zerstreut Euch! Leise, bitte, und ganz unauffällig. Streicht die Vokabel Gleichberechtigung aus Eurem Wortschatz.« Amüsant sei das Büchlein wohl, aber nicht ernst zu nehmen. Als Antidot empfiehlt die Autorin »Sexus und Herrschaft – Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft« von Kate Millett. Schließlich gehe es bei der Geschlechterfrage nicht um individuelle Befindlichkeiten, sondern um »gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse«.
Diesen Vorwurf wird sich Esther Vilar noch häufig anhören müssen: Ihre Thesen seien zu einseitig, zu polemisch formuliert, sie blende das soziale Gefälle aus, es fehle die politische Vision. Damit kann sie gut leben. Wer eine Streitschrift verfasst, erwartet kein Lob, er fordert den Widerspruch vielmehr heraus. Vilar vertritt ihre Thesen zwar kompromisslos. Doch zugleich hat sie in Interviews immer wieder klargestellt, dass sie nie die alleinseligmachende Wahrheit für sich in Anspruch genommen hat. Sie will aufrütteln, zum Denken anregen, und das funktioniert nun mal nicht mit ausgewogenen Betrachtungen, die alle möglichen Eventualitäten berücksichtigen und damit jede Widerrede im Keim ersticken.
Für Vilar ist es wohlgemerkt kein Spiel, sie meint es ernst, sie glaubt an ihre Thesen. Doch sie sucht keine Anhänger. Ihr schwebt eine Kontroverse vor, in der sich jeder seine eigene Meinung bilden soll, um ein Thema, bei dem viel nachgeplappert und wenig nachgedacht wird. Und das ist ihr bis dahin höchstens im Ansatz gelungen. Allein die Tatsache, dass man sich mit ihrer These auseinandersetzte, wenn auch widerwillig, abwehrend und abschätzig, war schon alles andere als ein selbstverständlicher Erfolg. Doch das launige Geplänkel war weit entfernt von der ernsthaften Debatte, die sie sich erhofft hatte. 30 000 Mal ging ihr Büchlein in den ersten zehn Monaten über den Ladentisch. Das war zwar ansehnlich für einen Erstling, aber nicht mehr. Leben konnte sie davon definitiv nicht. Alles deutete auf ein Strohfeuerchen hin, das bald erlöschen würde.
Umso überraschender kam der Durchbruch. Er lässt sich auf den Tag, ja auf die Minute genau festmachen. Es geschah am Abend des 30. Oktober 1971, in der Wiener Stadthalle.
Den Anlass gibt die TV-Show Wünsch dir was, eine Koproduktion der öffentlich-rechtlichen Sender ZDF, ORF und SRF, die jeweils am Samstagabend zur besten Sendezeit simultan in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz ausgestrahlt wird. Die Unterhaltungssendung unter der Leitung des skandalumwitterten Glamourpaares Dietmar Schönherr und Vivi Bach ist heiß umstritten. In der Presse wird der adlige Schönherr wahlweise als »Lümmel« (Wiener Kronenzeitung), »Schaumann und Buhmann« (Spiegel) oder »Wahlhelfer der Roten« (Stuttgarter Zeitung) tituliert. Seine auf bezaubernde Art lispelnde Ehefrau Vivi Bach, eine dänische Bäckerstochter und Schlagersängerin, sorgt mit gewagten Ausschnitten und knappen Röcken für spitze Kommentare. Es laufen Wetten zur Frage, wann die Sendung, die den TV-Intendanten stapelweise Beschwerden und sehr viel Kopfzerbrechen beschert (»am Rande des Erträglichen« gemäß ORF-Direktor Helmut Zilk), abgesetzt wird. Aber mit Einschaltquoten von zeitweise über 50 Prozent aller Haushaltungen im deutschsprachigen Raum – ein heutzutage fast unvorstellbarer Wert – ist Wünsch dir was ein Blockbuster.
Diese gewaltige Beachtung ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass es im deutschen Sprachraum damals schlicht keine Alternative zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Zum andern surft die Schönherr & Bach-Show, bei der jeweils drei klassische Kleinfamilien – Vater, Mutter, zwei Kinder – aus Österreich, aus der Schweiz und aus Deutschland in einem spielerischen Wettbewerb gegeneinander antreten, stets hart am Zeitgeist. Der Siegerfamilie wird ein Wunsch erfüllt – daher der Titel der Show –, den sie am Anfang der Sendung anbringen darf, in einem bestimmten finanziellen Rahmen (5000 D-Mark) natürlich – etwa ein neuer Familienwagen, Familienurlaub auf den Kanaren, eine Familienreise zu den olympischen Spielen und dergleichen. Mit gewagten Arrangements, provokativen Einlagen, kontroversen Gästen und kalkulierten Randalen sorgen Schönherr und Bach stets dafür, dass die Presse nach der Sendung etwas darüber zu berichten hat. Wer am Montag bei der Arbeit, in der Schule ober beim Kaffeekränzchen mitdiskutieren will, muss am Samstagabend Wünsch dir was gesehen haben. Und ganz wichtig: Es wird in Farbe gesendet, was noch nicht so selbstverständlich ist.
In der Sendung vom 30. Oktober 1971 treten die Familien Ley (Österreich), Rieckhoff (Deutschland) und Elsener (Schweiz) gegeneinander an. Die Show beginnt auf einem Autobahnrastplatz, die drei Familien sitzen artig an drei Campingtischen, die Damen mit hoch toupiertem Haar, die Herren mit Nylonhemden und knalligen Krawatten, die Jungmannschaft in Jeans, daneben je ein poppiger VW-Käfer (blau, orange und gelb), im Hintergrund eine Alpenidylle. Die Aufgabe besteht nun darin, den ganzen Picknick-Kram inklusive Familie innerhalb von 90 Sekunden im Käfer zu verstauen. Elseners schlagen als Letzte die Tür des Käfers zu, doch, Überraschung, sie gehen als Sieger aus der ersten Runde hervor. Denn bewertet wird, wie wir erst jetzt erfahren, nicht die Schnelligkeit, sondern die Reinlichkeit. Und da sieht es, sorry, schlecht aus für die Leys: Sie haben eine leere Cola-Flasche liegen lassen. Das gibt Minuspunkte.
In diesem Stil geht es weiter über die nächsten 45 Minuten mit spielerisch inszenierten Wettbewerben und musikalischen Einlagen. Das Publikum im Saal darf ausnahmsweise auch mal auf die Bühne, um in die Kamera zu winken. Dabei kommt es zu einer Rangelei, die in eine kleine Saalschlacht vor laufenden Kameras mündet. Doch die vermeintlich spontane Schlägerei ist inszeniert, wie wir bald erfahren, ein Teil des Wettbewerbs: Die Kandidaten müssen nun unter acht Personen die vier Angreifer bestimmen, welche mit dem Gerangel angefangen haben, beziehungsweise die vier Opfer. Das Replay der Inszenierung bringt die Auflösung. Nicht ganz überraschend entpuppen sich die hippiehaft gekleideten Paradiesvögel als die Guten und die unauffälligen Normalos als die Bösen. Die Rieckhoffs haben falsch getippt und fliegen raus, die anderen liegen richtig. Die letzte Runde wird nun zwischen den Leys und den Elseners ausgetragen.
Die Stimmung in der Wiener Stadthalle ist bereits angeheizt, als eine unscheinbare Frau die Bühne betritt. In ihrem braven Outfit – Mittelscheitel, halblanges Haar, ungeschminkt, graues Deuxpièces mit schwarzem Lackgurt, weiße Strümpfe, grobe Absätze – hat sie etwas Schulmädchenhaftes an sich. Auf jeden Fall wirkt sie nicht wie eine 35-jährige Mutter. Die Unbekannte wird als Esther Vilar vorgestellt, ursprünglich Argentinierin, Ärztin, Feministin und Buchautorin. Ohne jede erklärende Einführung setzt Vilar zu einem Monolog an. Ihre mit starrer Mine und hoher Stimme in einem perfekten Bühnendeutsch, das sich keinem Dialekt zuordnen lässt, vorgetragenen Sätze wirken auf eine seltsam berührende Weise mechanisch, ja fast autistisch; die Gelassenheit, mit der sie diese formuliert, stehen in einem eigentümlich Kontrast zum ungeheuerlichen Inhalt:
»Es sind nicht die Frauen, die sich befreien müssen, sondern vor allem die Männer. Aufrufe zur Befreiung der Frau, wie sie zurzeit in Mode sind, sind nichts anderes als Erbauungsliteratur. Erbauungsliteratur, weil sie den Männern und den Frauen genau das sagt, was sie am liebsten hören. Den Frauen sagen sie, dass sie ja so arm sind und so unterdrückt, und das gibt den Frauen eine fantastische Ausrede, um aus dem System Ehe noch mehr rauszuholen, als sie es sowieso schon tun. Den Männern sagt man, dass sie Tyrannen seien, und die Männer hören das gern, sie halten das für ein Kompliment, sie finden das besonders männlich. Nach meiner Meinung verhält es sich im Großen und Ganzen doch ganz, ganz anders. Nach meiner Meinung werden die Männer von den Frauen hemmungslos ausgebeutet, sie werden zum Geldverdienen dressiert (zögernder Szenenapplaus, ein leises Lächeln huscht über ihr maskenhaftes Gesicht). Es ist so, dass die Frau die Macht hat, und nicht der Mann, (Geraune im Saal, jetzt redet sie bestimmter) die Frau hat die absolute Macht, sie hat sie aus verschiedenen Gründen, aber vielleicht vor allen Dingen, weil der Mann die Frau auf sexuellem Gebiet sehr viel mehr begehrt, als es umgekehrt der Fall ist. Die Frau hat sozusagen das sexuelle Monopol. Die Frau kann ihn manipulieren. Eine emanzipierte Frau wäre nach meiner Definition eine Frau, welche diese Macht, die sie über die Männer hat, in keiner Weise missbraucht. Aber solche Frauen gibt es fast nicht.«
Freundlicher Applaus.
Mutter und Tochter Elsener haben nun vier Minuten Zeit, mit Vilar die These vom dressierten Mann kontrovers zu diskutieren. Danach sind Mutter und Tochter Ley an der Reihe. Das Publikum bestimmt die Sieger – die Sieger der Samstagabendshow.
Insgesamt dauert Vilars Auftritt nicht mehr als fünfzehn Minuten, und doch wird daraus eine Sternstunde der deutschen TV-Debatte. Mutter Elsener, eine klassische Hausfrau, kann nicht mit Esther Vilar mithalten, das wird schnell klar. Doch ihre Tochter übernimmt bald das Szepter, sie kommt in Fahrt, fordert Vilar zu einer engagierten, aber gesitteten Kontroverse über die Rolle der Mutter und Hausfrau heraus (während ihre Mutter stumm und mit leicht säuerlicher Miene zuhört). Bei den Leys ist es umgekehrt, hier ist es die Mutter, die Vilar Paroli bietet. Ein Ausschnitt:
Ley: Sie finden, dass eine emanzipierte Frau den Mann nicht missbraucht?
Vilar: Das würde ich darunter verstehen. Aber es gibt fast keine.
Ley: Ich habe in meinem Leben nie den Eindruck gehabt, dass ich meinen Mann missbraucht hätte. Sondern eher (lacht verschmitzt), dass ich ihn sehr glücklich gemacht habe.
Vilar: Es ist sicher so, dass sich die Männer sehr wohl fühlen in dieser Rolle. Die Männer sind gerne Sklaven, das ist eben der springende Punkt. Die Männer versklaven sich den Frauen viel zu gerne. Sie sind auf die Frauen vollkommen angewiesen. Und sie fühlen sich am glücklichsten, wenn sie eine Frau haben, die sie beherrscht, die ihnen sagt, wann sie gut waren und wann sie böse waren, ob sie viel Geld verdient haben oder nicht, ob sie ein guter Angestellter sind oder nicht.
Ley (fröhlich): Das ist sehr allgemein. Ich habe mich mit meinen Freunden in der Studienzeit wunderbar verstanden. Ich liebe meinen Mann, ich mag seine Freunde. (Applaus)
Die unverkrampfte Gegenüberstellung von abstrakter Theorie und konkretem Erleben verleiht der Debatte Spannung, jeder kann sich etwas darunter vorstellen. Jeder kann mitreden. Vivi Bach erkennt die Brisanz und lässt der Diskussion ihren freien Lauf. Das Schlusswort überlässt sie Esther Vilar, die nun merklich entspannter redet:
»Es gäbe noch unendlich viel zu sagen. Ich habe mein Buch ›Der dressierte Mann‹ vor allem deshalb geschrieben, weil ich hoffen würde, dass die Frauen ein bisschen, ein ganz kleines bisschen menschlicher werden können. Aber das ist natürlich eine Illusion, ich weiß. Die Frauen werden vielleicht noch lange Zeit die Männer nicht als Menschen, sondern hauptsächlich als Arbeitsroboter betrachten. Es wäre wunderbar, wenn eines Tages der Tag kommen würde, an dem die Frauen ihre Liebe nicht mehr verkaufen würden, denn das ist es, was die Frauen machen, sie verkaufen ihre Liebe. Manche machen es ganz direkt, sie stellen sich an eine Straßenecke und warten auf einen Freier, andere machen es ein bisschen in verfeinerter Form, sie heiraten einen Arzt oder einen Rechtsanwalt, oder einen Abteilungsleiter, aber es kommt auf das gleiche heraus schließlich. Ich denke, die Männer können nichts unternehmen, die Männer sind den Frauen völlig ausgeliefert, sie können sich selbst nicht helfen.«
Buhrufe und tosender Applaus.
Zu den Besonderheiten von Wünsch dir was gehört, dass die Zuschauer während der Sendung ins Studio telefonieren und ihre Kommentare abgeben können. Mit etwas Glück wird man sogar live zugeschaltet und darf ein paar Sätze mit Schönherr austauschen. An jenem Abend laufen die Leitungen heiß. Hunderte von Anrufen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum gehen ein. Es gibt nur ein Thema: die Vilar und der dressierte Mann. Die meisten Anrufer äußern sich ablehnend, viele empören sich, dass man »diese Gans«, »dieses Weib, sofern man sie überhaupt als solches bezeichnen kann« überhaupt auftreten lässt. Einige wenige sind allerdings begeistert, etwa jener Schweizer, der Vilar gleich direkt ins eidgenössische Parlament delegieren möchte, wo seit einer Woche neuerdings auch Frauen zugelassen sind.
Die Bild rückt den TV-Skandal mit fetten Lettern auf die Titelseite: »Ehefrauen nicht viel besser als Mädchen von der Straße«. Das Boulevardblatt lässt die Story während Tagen hochkochen. »Zuseher drohen mit Mord«, weiß der Wiener Kurier zu berichten, 864 Anrufer hätten sich beim ORF innerhalb zweier Tage gemeldet, rund 800 von ihnen hätten sich negativ geäußert. Die Zeit lobt den Mut der TV-Macher (»Schönherr riskierte beinahe alles – und es gelang ihm beinahe alles«), meldet aber auch Zweifel an (»Ob er es vorher wusste, dass sein größtes Risiko im Auftritt von Esther Vilar lag?«). Die Kronen-Zeitung nimmt es mit einer Portion Sarkasmus: »Die personifizierte Provokation hat Schönherr den arglosen Zuschauern via Fernsehschirm ins traute Heim geschickt. Sie war nicht auf Anhieb als solche zu erkennen: ein zierliches Persönchen, scheinbar lieb und rundherum schutzbedürftig. Doch als Esther Vilar den Mund aufmachte, konnte man nicht länger zweifeln: dieses kulleraugige Wesen hat Haare auf den Zähnen. (…) Nun hat Esther Vilar, so scheint’s, die Wahl, totgeprügelt oder aufgehängt zu werden.« Das österreichischen Blatt lässt es sich trotzdem nicht nehmen, Vilars Pamphlet zum dressierten Mann gleich über mehrere Seiten im Original zu zitieren.
Als einziges Blatt kommentiert die Welt am Sonntag Vilars Auftritt mit unverhohlener Sympathie. Die Autorin Edith Geus setzt sich nicht nur inhaltlich mit den Thesen um den dressierten Mann auseinander, sie hat auch das Gespräch mit der Autorin gesucht und lässt diese ausführlich zu Wort kommen. »Natürlich habe ich überspitzt formuliert, ich musste übertreiben, sonst hätte mir keiner zugehört», zitiert sie Vilar, »ich wollte ein Gegengewicht zur Women’s-Liberation- Bewegung schaffen, die ich einfach für unfair halte.« Im Gespräch räumt sie auch ein, dass sie sich selber von der Kritik nicht ausschließe und auch nicht immer konsequent handle: »Wenn ich meinen Sohn nicht männlich erziehe, also dressiere, gilt er unter seinen Kameraden als verweichlicht. Ich kann ihn jetzt nicht zum ersten undressierten Mann erziehen. Dafür ist die Zeit noch nicht reif. Und ich will ihn nicht eines Tages dafür büßen lassen, dass seine Mutter solche Einfälle hatte.«
Doch solche Zwischentöne, das hat Vilar richtig erkannt, sind nicht gefragt. Und letztlich spielte es auch keine Rolle, ob nun die Zustimmung oder die Ablehnung überwog (Letzteres wäre vielleicht sogar noch besser gewesen). Esther Vilar, nur das zählte, war innerhalb von fünfzehn Minuten zu einer Autorin geworden, die jeder kannte im deutschsprachigen Raum, zu der jeder eine Meinung hatte – und die etwas zu sagen hatte.
Die Pointe am ganzen Hype war, dass er weder geplant noch absehbar gewesen war. Eigentlich hatte Schönherr die australische Feministin Germaine Greer für seine Sendung gebucht. Doch Greer musste kurz vor ihrem Auftritt aus gesundheitlichen Gründen absagen. In der Not rief man darauf Esther Vilar nach Wien, die bloß wenige Autostunden entfernt in München lebte. Und die scheue Frau sorgte mit ihrem ersten TV-Auftritt um ihren Erstling gleich für ein publizistisches Erdbeben im oberen Bereich der nach oben offenen Skala.
Am 8. November 1971 vermeldete der Spiegel, Esther Vilar habe nach Hunderten von Anrufen und Tausenden Zuschriften mit Drohungen aller Art kapituliert. Sie wolle nun mit ihrem Sohn Martin in Südamerika untertauchen. Doch das war eine Ente, und es sollte nicht die letzte sein. Jetzt ging es erst richtig los.