Читать книгу Coronagangster - Alex Mann - Страница 6
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ОглавлениеEin paar Stunden zuvor.
Mirko Banowani klopfte an die Tür, rieb sich mit dem Zeigefinger die Nase und schob dann beide Hände in die Taschen seiner Sportjacke.
„Wer ist da?“, fragte eine männliche Stimme von der anderen Seite der Tür.
„Mach auf Seb“, sagte Mirko, ohne die Frage direkt zu beantworten.
Für ein paar Sekunden war es still.
„Du weißt schon, dass diese Tür gleich aufgehen wird? Aber es wird entspannter laufen, wenn du sie aufmachst, kapierst du das?“
Es war immer dasselbe, dachte Mirko. Wenn er seinen zweiten oder dritten Besuch machte und die Leute seine Stimme erkannten, zögerten sie, zu öffnen. Als ob das dann noch irgendetwas zu bedeuten hätte. Immerhin wohnte Sebastian Hilbert im vierten Stock und Mirko glaubte nicht, dass er ein so guter Fassadenkletterer war, als dass er über das Fenster entkommen konnte.
Tatsächlich hörte er gleich darauf, wie ein Speerriegel geöffnet wurde, ein Schlüssel sich zwei Mal im Schloss drehte und dann ging die Tür auf.
Sebastian Hilber schaute unsicher durch den Türspalt.
„Ich musste mir nur noch was anziehen“, sagte der Hipster und zog, wie um seine Worte zu unterstreichen, am Kragen seines Hemds.
„Schon klar.“ Mirko trat durch die Tür und rüffelte die Nase. „Mann, du solltest echt öfter mal lüften. Von dem Mief allein wird man ja schon high. Ist ‘n Wunder, dass deine Nachbarn den Bullen noch nichts gesteckt haben.“
Sebastian grinste. „Och, das sind alles Studenten. Die haben sogar schon des Öfteren bei mir geklingelt und mir was abgekauft“, sagte er. Immer noch trug er lediglich das Hemd und eine Boxershorts.
„Ach ehrlich?“ Mirko ging durch die Tür ins Wohnzimmer. Die Wohnung war mit schlichten IKEA-Möbeln eingerichtet, nicht unelegant, aber eben auch billig. Ein großer Flachbildfernseher hing an der Wand. Auf einem Sideboard stand eine zertrümmerte Stereoanlage.
„Immer noch kaputt?“, fragte Mirko, ließ sich auf einen grauen Sessel fallen und nickte in Richtung der Stereoanlage.
„Ja, Mann, das war echt scheiße. Mit dem Fernseher hätte ich eher leben können, als mit meiner Anlage, zumal sie doppelt so teuer war.“
Sebastian knöpfte sein Hemd zu und steckte es sich in die Shorts.
Mirko zog eine Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche, klopfte zweimal auf die Lehne des Sessels, steckte sich dann eine in den Mund und holte ein Klappfeuerzeug hervor.
„Ej, Mann“, sagte Sebastian. „Kannst du das lassen? Das ist ‘n Nichtraucherhaushalt.“
„Nichtraucherhaushalt?“, fragte Mirko lachend und zündete die Zigarette an. „Mann, hier riechts, als hätten zwanzig Kiffer ´ne Woche lang Party gefeiert und du regst dich über ´ne Fluppe auf? Ernst jetzt?“
„Ist halt was anderes.“
„Durchaus.“ Mirko nahm einen tiefen Zug, wandte den Kopf zu der Stereoanlage und bliess dabei blauen Rauch durch das halbe Zimmer. „Was das anbelangt, ist´s nun mal Pech, aber ´ne erste Warnung ist ´ne erste Warnung. Die muss halt auch schon weh tun. Was sollte ich denn deiner Meinung nach zertrümmern? ´n Blumentopf?“
„Nein, Mann. Siehst du hier irgendwelche Scheißblumen? Man muss sich ja aber auch steigern können.“
„Hast du ´n Aschenbecher?“
Sebastian schüttelte mit dem Kopf, woraufhin Mirko einmal mit dem Zeigefinger auf seine Zigarette klopfte und ein Aschwölkchen auf den braunen Flokati rieselte.
„Du willst mir also sagen, ich hätte erst deinen Fernseher und dann deine Anlage zertrümmern sollen? Das heißt, du hast Jaschas Geld immer noch nicht?“
„Man woher denn? Es ist Scheiß-Corona. Alles hat dicht. Wie soll man denn jetzt Geschäfte machen?“
„Keine Ahnung. Hättest in ein Scheiß-Restaurant einbrechen können, die Einrichtung klauen und bei Ebay verhökern. Hast du keine Eltern?“
„Die haben schon vor Jahren aufgehört, mir Geld zu leihen.“
„Tja, Mann, dann sieht´s wirklich schlecht für dich aus, denn in dem Fall wird das heute die zweite Warnung. Und wie du selbst schon festgestellt hast, kann ich mich mit dem Fernseher nicht wirklich steigern.“
Sebastian schluckte schwer und musterte Mirko. Er war ein junger Georgier, vielleicht Ende zwanzig, mit breiten Schultern und muskulösen Armen, die durch drei Fitnessstudiobesuche pro Woche in Form gehalten wurden. Er trug Sportklamotten, ein Goldkettchen und sah wie so viele der weißen Jungs aus, die mit ihrem Look schwarze Rapper imitieren wollten, wobei sein kurzer Bürstenhaarschnitt und die kantige Physiognomie immer noch den Osteuropäer verrieten.
„Was schaust du mich so an, wie ein Schweinchen den Schlachter? Ich werd` dich ja nicht gleich umlegen.“
„Und was willst du mir abschneiden?“
„Abschneiden? Mann, du guckst zu viele Scheißfilme. Ich werd` dir nichts abschneiden und ich werd` dir auch nicht das Gesicht zu Brei schlagen. Elimar, der hätte dir schon zwei Rippen gebrochen, einfach weil er dich für ´n schwulen Hipster hält und für die Sache mit der Tür hätte er dir gleich die nächste reingewürgt. Nein, wenn man was abschneidet oder das Gesicht zu stark malträtiert, musst du ins Krankenhaus und die dort rufen gleich die Bullen und auch wenn´s echt dumm wäre, würde dabei immer das Risiko bestehen, dass die was aus dir rauskitzeln und darauf hab ich echt keinen Bock. Ich brech´ dir einen oder zwei Finger. Das kann dir auch bei ´nem x-beliebigen Unfall passiert sein.“
Sebastian schluckte vor Angst und räusperte sich sogleich, um es zu überdecken. „Kann … Jascha mir nicht ´n kleinen Aufschub gewähren? Ich meine, bis der verdammte Lockdown vorbei ist und ich wenigstens ´ne Chance hab, Kohle zu verdienen?“
„Was brauchst du denn für ´ne Chance? Mann, Seb, dein Problem ist, dass du faul bist und dich dann auch noch blöder anstellst, als du bist. Ich meine, den Fernseher, den ich dir gelassen habe, der ist doch bestimmt immer noch seine vier-, fünfhundert Tacken wert. Dann erzählst du mir, dass diese Studenten hier dir Stoff abkaufen. Ich an deiner Stelle hätte Jascha längst ein Geschäft vorgeschlagen. Gerade jetzt sind Studenten gute Kunden, die kriegen ihr Bafög nämlich auch unabhängig von Corona.“
„Ich bin kein Dealer.“
„Wenn ich mit zwei Riesen bei Jascha in der Kreide stehen würde und soviel Schiss vor zwei gebrochenen Fingern hätte, wie du, dann würde ich langsam anfangen, abzuwägen.“ Mirko hob die Hände auf und nieder, warf einen Blick auf seine fast aufgerauchte Zigarette, ließ den Stummel in den Flokati fallen und zog die Schachtel wieder aus der Tasche.
Sebastian räusperte sich abermals. „Meinst du, du könntest da was anleiern?“
Mirko seufzte, zog die Augenbrauen hoch und zündete sich die neue Zigarette an. „Man, das kommt jetzt ´n bisschen spät. Zumal du so gar nichts hast, um ihn zu besänftigen.“
„Du würdest mir wohl kaum helfen, jetzt noch ein Restaurant leerzuräumen“, sagte Sebastian im Versuch eines Scherzes.
Mirkos Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Nicht bei Tag.“
Sebastian nickte langsam. Und dabei kam ihm eine Idee.
„Vielleicht hätte ich doch was für Jascha.“
„Ich bin ganz Ohr. Hab´ auch nicht sonderlich Lust, dir die Finger zu brechen.“
„’nem alten Kumpel von mir gehört ein Restaurant. Das Arizona. ´n American Dinner.“
„Du willst ´n alten Kumpel beklauen?“
„Nein, Mann. Aber wie alle Gastronomen steckt dieser Kumpel, sein Name ist Frank Becker, gerade richtig in der Scheiße. Hat Schulden bei der Bank, laufende Kosten und den ganzen Hickhack. Müssten so um die zwanzigtausend sein und er hat keine Chance, sie zurückzuzahlen.“
„Und was hat Jascha damit zu tun?“
„Wenn er ihm die Kohle leiht, damit er die Bank bezahlen kann, hat er seine Hand auf dem Laden.“
„Glaub` nicht, dass Jascha daran großes Interesse hat. Was soll er denn mit ´ner Frittenbude?“
„Ej Mann, das ist nicht einfach ´ne Frittenbude. Ist ´n echt geiler Laden. Worauf ich aber hinaus will ist, dass es ein Laden ist, in dem – wenn er dann irgendwann mal wieder aufmachen darf – ein Haufen Bargeld hin- und herbewegt wird.“
„Und?“
„Verstehst du das nicht? Ich hab mal davon gelesen. Die Italiener machen das so. Ich meine die Mafia. Die nutzen ihre Pizzerias um Geld zu waschen. Und gleichzeitig machen sie damit weiter Kohle.“
Mirko nahm zwei tiefe Züge von seiner Zigarette und dachte nach. So etwas war eigentlich nicht sein Ding. Er war kein Geschäftsmann. Er war Geldeintreiber und er war gut darin, weil er die meisten von Jaschas Kunden dazu brachte, zu bezahlen, ohne die Aufmerksamkeit der Bullen auf sich zu ziehen.
„Und du meinst, dass ist ´n sicheres Ding?“, fragte er nach einer Weile in der ihn Sebastian mit weit aufgerissenen, hoffnungsvollen Augen angesehen hatte.
„Klar. Ich meine, er kriegt ´nen fertigen Laden, der sofort wieder loslegen kann, wenn die Scheiße hier vorbei ist. Er könnte sogar meinen Kumpel als Geschäftsführer einsetzen. Der hat ´ne komplette Mannschaft, ´n guten Koch. Null Arbeit für Jascha.“
Mirko rauchte den Rest seiner Zigarette auf, warf den Stummel auf den Flokati und drückte ihn mit der Fußspitze aus. Dann tippelten seine Hände nervös auf der Armlehne.
Jascha war eigentlich nicht der Typ für so etwas. Wenn er sagte, ´Hol mir mein Geld`, dann hieß das ´Hol mir mein Geld` und eben nicht ´Hol mir mein Geld oder bring irgend ´ne dumme Idee mit.` Wenn ihm die Sache nicht gefiel, konnte man sich ganz schnell bei ihm unbeliebt machen. Andererseits war Mirko jetzt auch nicht irgendein Geldeintreiber. Einen Ausrutscher konnte er sich bestimmt leisten, wenn Jascha die Sache nicht gefiel und wenn doch, dann umso besser.
„Alles klar Mann, ich rede mit ihm“, sagte Mirko langsam und erhob sich aus dem Sessel. „Aber an deiner Stelle würde ich trotzdem zusehen, dass ich zügig ´n bisschen Kohle ranschaffe, denn wenn Jascha deine Idee Scheiße findet und ich wieder herkommen muss, dann werd` ich dir nicht nur zwei Finger brechen. Echt Mann, ich mach´ so was nicht gern, aber ich würd´s tun, denn ich häng` an meinem Job, hast du mich verstanden?“
„Schon klar.“
„Ich fahr jetzt gleich zu Jascha und rede mit ihm. Wenn ihm die Sache gefällt, rufe ich dich an, also hab´ dein Handy griffbereit.“
„Hab´ ich.“
Mirko ging zur Tür und drehte sich noch mal um. „Ej, Mann, du hast doch nicht etwa vor, abzuhauen?“
„Nein. Wo sollte ich auch hin?“
„Ist gut. Wär´ auch ´ne beschissene Idee.“
Vor der Tür blieb Mirko stehen und durchwühlte die Taschen seiner Jacke.
„Suchst du was?“, fragte Sebastian.
„Ja, Mann. Meine Maske.“
„Wozu?“
„Für die Straßenbahn.“
„Du fährst Straßenbahn?“
„Jo, warum nicht? Der Verkehr über die Elbe kann zu Stoßzeiten echt nervtötend sein. Außerdem schau ich mir beim Straßenbahnfahren gern einfach die Stadt an. Das entspannt mich. Es gibt keine schönere Stadt zum Straßenbahnfahren.“
„Na wenn du denkst“, sagte Sebastian kopfschüttelnd, als Mirko seine FFP-2 Maske aus der Tasche zog und die Wohnung verließ.