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Kapitel 2 - Ein neuer Anführer
ОглавлениеNeyla
Das Warten macht mich fast genauso verrückt, wie dieser nie enden wollende Wind. Wie halten diese Menschen das nur aus? In Tigman ist der Wind lau und sanft – wie eine Liebkosung. Hier in der Wüste fühlt er sich an wie eine Ohrfeige. Nachts, wenn alles still ist, kann ich nicht schlafen. Ständig pfeift und säuselt er in mein Ohr - ein trauriges Lied in einem Meer aus Sand.
Gita hat weniger Probleme mit dem Leben in der Wüste. Aber auch sie wird zunehmend nervöser. Drei Tage sind die Ältesten nun bereits fort, um Okak in der Wüste zu verscharren. Gita hat die Frauen gefragt, ob ich den Dinjhi ablegen dürfte – nun, da ich keine Braut mehr bin. Aber sie haben nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass man abwarten müsste, bis die Ältesten zurückkehren. Die meisten der Rebellenkrieger sind mit ihnen in die Wüste geritten. Nur etwa fünfzehn Männer sind im Lager zurückgeblieben. Ich finde sie unheimlich in ihrer schwarzen Kleidung. Sie tragen Hosen und wadenhohe Stiefel, darüber einen knielangen Kaftan, der von einem breiten Gürtel aus Leder gehalten wird. An dem Gürtel hängen ein gekrümmtes Schwert und ein Dolch. Zwei weitere Ledergürtel tragen sie gekreuzt über der Brust. Die meisten der Waffen, die daran befestigt sind, habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Seltsame Scheiben, die sie mit Präzision werfen und die auch auf weite Entfernung fast nie ihr Ziel verfehlen. Das Schlimmste an diesen Kriegern ist jedoch das lange schwarze Tuch, das sie sich um Kopf und Gesicht winden, sodass nur ihre Augen zu sehen sind. Nie weiß ich, was sie denken, da ich ihre Gesichter nicht sehen kann.
Als ich die Wüstenkrieger das erste Mal sah, dachte ich, sie wären böse Geister. Mittlerweile weiß ich es besser … aber sie machen mir trotzdem Angst. Ich bemitleide die Frauen, die mit ihnen verheiratet sind. Diese Männer kennen nur Tod und Kampf. Ihre Frauen verhalten sich unterwürfig in ihrer Gegenwart.
„Gita?“, frage ich leise, doch sie schläft noch und hat sich auf ihrer eigenen Matte zusammengerollt. Es besteht kein Grund, sie zu wecken. Ich brauche nur etwas frische Luft … wenn man von so etwas wie frischer Luft in der Wüste überhaupt sprechen kann.
Ich werfe mir den verhassten Dinjhi über und verlasse das Zelt. Alles ist ruhig. Morgens hat die Wüste etwas Malerisches und lässt noch nichts von der Härte erahnen, die sie den Menschen, die mit ihr leben müssen, abverlangt. Deshalb habe ich mir in den letzten Tagen angewöhnt, morgens hinaus in die Wüste zu gehen.
Die meisten der Wüstenrebellen schlafen noch. Eine Frau wirft mir einen gelangweilten Blick zu, ein Krieger, der Nachtwache gehalten hat, starrt mich aus seinem Gesichtstuch heraus an. Ich sehe nur seine Augen, aber er hält mich nicht auf.
Ich gehe nur so weit, dass ich das Lager hinter mir noch sehen kann, dann setze ich mich in den Sand und lasse die feinen Körner durch meine Hände rieseln. Und wieder starre ich nach Osten! Wo bleibt mein Vater? Wo bleibt Prinz Darjan? Sie müssen doch gehört haben, dass Okak tot ist. Warum haben sie nicht längst Hilfe geschickt?
Unter meinem Dinjhi lasse ich meinen Tränen freien Lauf. Ich habe Heimweh nach Tigman, nach meinem Vater, nach Darjan … sogar nach meiner mürrischen Schwester Ladla, obwohl sie und ich uns nicht gut verstehen. Der Dinjhi ist nass von meinen Tränen. Ich blinzele, um sie fortzuwischen, da erkenne ich einen Punkt am Horizont. Ich springe auf und schirme meine Augen mit der Hand ab. Es sind sogar mehrere Punkte … Reiter! Mein Herz schlägt wild. Mein Vater und Darjan sind gekommen … endlich! Ich hebe meine Hand, um ihnen zuzuwinken, doch erstarre noch in der Bewegung. Was, wenn es nicht mein Vater ist? Der Wind presst den Stoff des Dinjhi eng an meinen Körper … und er trägt die Stimmen der Reiter an mein Ohr. Ich kann ihre Sprache nicht verstehen. Es sind die Ältesten, die zurückkehren . Alle Hoffnung ist in einem einzigen Augenblick zerschlagen!
Ich will nur noch zurück in mein Zelt. Doch als ich langsam zurück ins Lager gehe, bemerke ich, dass etwas nicht stimmt. Die Wache ist aufgesprungen und hat ihr Krummschwert gezogen. Warum sollte sie das tun, wenn die Ältesten mit den restlichen Kriegern zurückkehren? Ich werfe einen Blick zurück über die Schulter und sehe, dass die Reiter ihren Pferden die Fersen geben und mit wildem Galopp auf das Lager zureiten. Erst jetzt kommt mir der Gedanke, dass es vielleicht gar nicht die Ältesten und unsere Krieger sind. Was, wenn es dieser fremde Stamm ist, der Okak getötet hat? Sie wissen, dass Okaks Stamm führerlos ist! Ich raffe meinen Dinjhi und renne los. Ich muss Gita warnen!
Leider komme ich im Sand nur langsam voran. Ich stolpere mehr, als dass ich laufe. Das Schlagen der Hufe hinter mir ist nun deutlich zu hören. Als ich mich umdrehe, ist einer der Reiter direkt hinter mir. Er reitet einen weißen Hengst mit schwarzer Mähne. Ich werfe mich mit einem Schrei zur Seite, doch er zügelt sein Pferd so präzise, dass es keinen Meter von mir entfernt zum Stehen kommt. Der Krieger springt von seinem Pferd und kommt auf mich zu. In Panik laufe ich weiter. Er ruft mir etwas zu, aber ich verstehe ihn nicht. Ich weiß nicht, was er will, ich sehe nur seine wilden Augen, die mich aus dem Gesichtstuch heraus anstarren. Was, wenn er mich in ein Zelt schleift und über mich herfällt? Ich will nach Gita rufen, doch er bekommt meinen Arm zu fassen und hält mich fest. Ich zerkratze ihm das Gesicht. Er lässt mich los und flucht. Oder lacht er mich aus?
Erneut packt er mich. Ich will schreien, aber mein Stolz verbietet es mir – ich bin Neyla ey Shanai am Jal il bal'ii, Tochter des Stadtfürsten Karbal und Prinzessin von Tigman. Aber das ist mir in diesem Augenblick egal! Ich zittere vor Angst. Er beschimpft mich in seiner harten Barbarensprache. Ich verstehe ihn genau so wenig, wie er mich, doch am Funkeln seiner Augen kann ich erkennen, dass er ziemlich wütend ist. Wir starren uns an, und mir fallen seine ungewöhnlich hellen Augen auf. Normalerweise sind die Augen der Wüstenbewohner dunkel und glänzend wie schwarze Perlen. Doch seine Augen sind goldbraun.
„Mögen die Sanddämonen dich verschlingen, du unzivilisierter Barbar“, fauche ich ihn an, und er lässt mich endlich los, weil die anderen Krieger das Lager erreicht haben und sich mit unseren wenigen zurückgebliebenen Wachen anlegen. Sie haben ihrer Schwerter gezogen und stellen sich den Fremden entgegen. Ich weiß, dass sie keine Chance haben, aber es gibt mir fürs Erste die Gelegenheit, zu verschwinden.
Ich stürze ins Zelt, wo Gita in heller Aufruhr ist. „Bei Egil, dem Sandfresserdämon! Wo warst du? Was ist da draußen los?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht!“ Dann erzähle ich ihr von den Fremden, die ins Lager eingefallen sind.
Gita kriecht zur Zeltmatte und zieht sie ein Stück weit zur Seite, damit sie hinausschauen kann.
„Was siehst du?“, flüstere ich mit klopfendem Herzen.
„Ich weiß nicht, aber sie scheinen sich geeinigt zu haben. Die Krieger sprechen miteinander.“ Sie dreht sich zu mir um. „Bleib im Zelt. Ich versuche, etwas herauszufinden.“
„Nein ...“, flüstere ich aufgeregt. „Warte lieber noch etwas.“
Gita hört nicht auf mich und schlüpft hinaus. Ich zittere noch immer am ganzen Körper.
Rafai
Als ich das Zelt meines Vaters betrete, spüre ich den gleichen Widerwillen, wie vor zwei Jahren, als ich zu Okak ging, um ihm zu sagen, dass ich den Stamm verlasse. Nichts hat sich verändert seitdem – nur, dass Okak tot ist und ich nun den Stamm anführe. In meinem Herzen suche ich nach einem Gefühl der Trauer für meinen Vater, doch tatsächlich ist da nichts – nur grollende Wut.
Mein Bruder Jiadir legt seine Hand auf meine Schulter und zieht sich das Gesichtstuch herunter. Er grinst zufrieden. „Willkommen zu Hause, Rafai. Das alles gehört nun dir!“
Ich sehe mich im Zelt meines Vaters um. Die Kissen, das Lager, auf dem er mich mit meiner Mutter gezeugt hat … ich balle die Hände zu Fäusten und sehe unwillig fort. „Lass das Zelt irgendwo am Rand des Lagers aufbauen. Die Ehefrauen meines Vaters sollen es behalten. Wie viele hatte er noch gleich?“
Jiadir zieht eine Braue hoch, als müsse er überlegen. „Siebzehn … Nummer Achtzehn hatte er vor zu heiraten, wie die Frauen mir erzählt haben.“
Ich mache ein verächtliches Geräusch. Dieser geile alte Bock! Jiadir kratzt sich am Kinn. „Du hast übrigens gerade Bekanntschaft mit Nummer Achtzehn gemacht.“
Ich sehe ihn an. „Das Mädchen mit dem Dinjhi?“
Er nickt. „Prinzessin Neyla, Tochter des Stadtfürsten Karbal von Tigman. Okak hat sie entführen lassen – vor den Augen ihres Vaters und ihres zukünftigen Bräutigams.“ Er klingt belustigt. „Diese Stadtmenschen sind solche Waschlappen! Lassen sich ihre Töchter vor der Nase stehlen. Die Frauen sagen, dass das Mädchen sehr schön sein soll.“
Ich bin nicht begeistert. Aber das ist typisch für meinen Vater. Wegen solcher idiotischen Einfälle haben wir uns immer wieder gestritten. „Okak ist ein Idiot gewesen! Entführt die Tochter eines Stadtfürsten. Wenn sie noch nicht entehrt wurde, sollte ich sie ihm zurückgeben und ein Stück fruchtbares Land für sie verlangen.“
„Keine schlechte Idee … leider hat Karbal bisher keine Bemühungen unternommen, seine Tochter wiederzubekommen. Er hat ja noch eine zweite. Es wäre riskant, auf seine Loyalität zu setzen.“
Ich seufze und fahre mit der Hand über die Armlehne des thronartigen Sessels, auf dem mein Vater Besucher in seinem Zelt empfangen hat. Der Sessel ist das Einzige, was ich behalten werde. Er wird von einem Anführer an den nächsten weitergegeben. Vom Vater an den Sohn.
Jiadir beobachtet mich nachdenklich. „Rafai … du bist jetzt Anführer. Es wird Zeit, dass du heiratest und Söhne zeugst.“
Ich drehe mich zu ihm um. „Ja … ich weiß.“ Jiadir ist mein Bruder, doch er wurde von einer Sklavin geboren, ebenso wie mein zweiter Bruder Altor. Sie sind nicht erbberechtigt. Wenn ich sterbe, ohne dass ich meine Nachfolge geregelt habe, würde es Krieg um die Führung des Stammes geben. Ich weiß, dass es meine Pflicht ist, für Nachkommen zu sorgen. Doch bisher konnte ich mich nicht dazu entscheiden, eine Frau an mich zu binden, indem ich meinen Samen in sie spritze. Natürlich hole ich mir Frauen auf mein Lager, wenn ich Lust darauf habe. Aber ich gehe nie bis zum Äußersten. Ich glaube nicht an die Liebe … denn ich habe gesehen, wie meine Mutter langsam aber sicher verlosch, weil sie meinen Vater liebte.
„Rafai ...“, holt Jiadir mich aus meinen Gedanken. „Du könntest eine der jüngeren Frauen deines Vaters als deine Ehefrau beanspruchen. Sicher würde das deine Stellung stärken.“
„Ich will nichts, was mein Vater in seinem Bett hatte“, presse ich hervor, und Jiadir seufzt. Er kennt meine sture Haltung. „Was ist mit Nummer Achtzehn? Dieser Fürstentochter von Tigman. Dein Vater hat sie noch nicht angerührt … genauso wenig wie der Prinz, dem sie versprochen war. Sie ist eine Blume, die noch nicht gepflückt wurde.“ Er grinst wieder.
Ich beneide Jiadir für die Leichtigkeit, mit der er sein Leben angeht. Das Herz meines Bruders strahlt ebenso hell wie seine ungewöhnlichen blauen Augen. Es ist gut, ihn an meiner Seite zu haben. Jiadir hat die Gabe, Verletzungen der Seele zu heilen mit seinem offenen Wesen.
„Eine Frau aus der Stadt? Und dann noch eine Fürstentochter? Bei allen Sanddämonen! Sie sind verweichlicht und kommen mit dem Leben in der Wüste nicht klar.“ Ich drehe mich zu ihm um. „Und sie kommen mit uns nicht klar, hast du das vergessen?“
Er zuckt mit den Schultern. „Du kannst sie nicht alle mit deiner Mutter vergleichen, Rafai.“ Er überlegt, ob er weitersprechen soll und entscheidet sich dafür. „Und ich habe gehört, dass sie eng sein sollen. Hast du nicht ihre schmale Taille unter dem Dinjhi gesehen? Komm schon, Rafai … ich weiß, dass dir so etwas besser gefällt, als die kurvigen Formen unserer Frauen - auch wenn ich nicht verstehe, warum. Aber das ist deine Gelegenheit, dir eine Frau zu nehmen, die deinen Schwanz glücklich macht.“
Ich funkele ihn an. Jiadir ist mein Bruder, aber er geht eindeutig zu weit. „Ja, bis sie im Kindbett bei der Geburt meines ersten Sohnes stirbt. Wir sind nicht gemacht für zierliche Frauen.“
„Deine Mutter ist nicht bei deiner Geburt gestorben, Rafai! Und wenn du sie nicht als Ehefrau willst, dann hol sie wenigstens auf dein Lager. Wie lange hast du keine Frau mehr gehabt?“
Ich hebe die Hand. Ich will nichts mehr davon hören. „Bring mir die Ehefrauen meines Vater und die unverheirateten Mädchen. Ich will schauen, ob mir eine von denen gefällt.“
Jiadir seufzt und gibt sich geschlagen. Als er geht, fällt mir noch etwas ein. „Jiadir?“
Er dreht sich zu mir um. „Ja, Rafai?“
„Als ich dieses Mädchen dort stehen sah … in der Wüste … ist alles zurückgekommen. Ist das nicht seltsam?“
Jiadir sieht mich mitleidig an. „Du brauchst eine Frau auf deinem Lager Rafai … eine die dein Herz und deinen Schwanz glücklich macht.“
Ich verziehe meinen Mund zu einem bitteren Lächeln. So eine Frau gibt es nicht - nicht für mich!
Neyla
Als Gita zurückkehrt, bin ich fast verrückt vor Angst. Sie macht ein ernstes Gesicht, das meine Stimmung nicht besser macht. „Was ist? Weißt du, was da vor sich geht?“
Sie antwortet nicht und setzt sich stattdessen zu mir. Ich kann sehen, dass sie auf ihrer Lippe kaut – das tut sie immer, wenn sie ein Problem beschäftigt. „Die Krieger, die ins Lager eingefallen sind, gehören zu Rafai, dem Sohn Okaks. Rafai ist gekommen, um das Erbe seines Vaters anzutreten.“
Ich runzele die Stirn. „Und dafür muss er gleich das ganze Lager überfallen?“
Gita zuckt mit den Schultern. „Es scheint wohl, dass Okak und sein Sohn zerstritten waren. Sie waren sich uneins über die Art, wie der Stamm zu führen ist. Rafai wollte Neuerungen einführen und sesshaft werden, aber sein Vater war dagegen. Vor zwei Jahren verließ Rafai mit einigen Anhängern den Stamm. Aber jetzt besteht er auf sein Erbe.“
Ich knete den Stoff des Dinjhis, bis er knittrig ist. „Und was bedeutet das für mich?“
„Es besteht Aussicht darauf, dass du freigelassen wirst. Rafai war immer dafür, Ärger mit den Stadtfürsten zu vermeiden … und indem er dich freilässt, hat er die Möglichkeit, deinem Vater seinen guten Willen zu zeigen. Er wird natürlich etwas dafür fordern … Land, auf dem er sich niederlassen kann, nehme ich an.“
Ich falle Gita um den Hals und wir halten uns fest und drücken einander. „Bald ist dieser Albtraum zu Ende. Wenn wir erst einmal zu Hause sind, wird mein Vater diese Wüstenbarbaren dafür bezahlen lassen, mich entführt zu haben!“
Rafai
Ich schaue in die Gesichter der Frauen, die Jiadir und Altor mir bringen. Es sind namenlose Mädchen mit dunklen Augen und vollem schwarzen Haar. Sie haben schwere Brüste und weiche weibliche Formen. Ich kann das Funkeln in Jiadirs Augen sehen. Einige von ihm gefallen ihm – er liebt kleine Frauen mit weiblichen Rundungen und großen Brüsten. Zwei oder drei von ihnen sind echte Schönheiten … ich bräuchte nur den Finger ausstrecken und eine von ihnen zu wählen. Sogar, wenn ich sie nur für eine Nacht auf meinem Lager haben will, könnte ich jede von ihnen einfordern. Aber Jiadir hat recht. Sie reizen mich viel weniger als ihn.
„Kilia … achtzehn Jahre … sie hat noch keine Kinder geboren. Dein Vater hat sie erst vor einem Jahr in sein Zelt geholt“, stellt Jiadir mir das Mädchen vor. Ich höre kaum zu, obwohl sie sich bemüht, mir zu gefallen. Sie hat einen Schmollmund, und ihre Lippen glänzen. Kurz stelle ich mir vor, wie diese vollen Lippen sich um meinen Schwanz legen, dann verdränge ich das Bild. Es wäre wie immer. Ein Vergnügen, das meinen Körper für kurze Zeit zufriedenstellt, mich aber unerfüllt lässt. Ich winke sie fort und kann einen enttäuschten Blick von Kilia auffangen. Soll Jiadir sie meinetwegen in sein Zelt holen, wenn sie ihm gefällt.
„Das waren alle“, höre ich Altor sagen. Ich sehe auf und bemerke, dass das Zelt leer ist. Ich kann mich an kaum eines der Mädchen erinnern, die mir gezeigt wurden.
Jiadir sieht mich fragend an. „Was jetzt, Rafai?“
Ich greife in die Armlehnen des Sessels und kämpfe mit mir. Nein! Der Gedanke ist absurd. Ich sollte ihn ganz schnell vergessen. Aber ich kann ihn nicht vergessen. Er setzt sich in meinem Kopf fest, wie schleichendes Gift. „Haben wir irgendetwas aus Tigman gehört? Hat Fürst Karbal irgendwelche Anstrengungen unternommen, seine Tochter zurückzubekommen?“
Altor schüttelt den Kopf. Er ist größer als Jiadir und ich und von uns Brüdern der Muskulöseste. Wo Jiadir heiter und freundlich ist, ist Altor ernst und verschlossen. Doch ebenso, wie mit Jiadir, verbindet mich mit Altor ein enges Band. Auch er ist der Sohn einer Sklavin. Ich kann mich erinnern, dass das Wesen seiner Mutter ebenso ernst und verschlossen war, wie seines.
„Rafai?“, fragt Jiadir. Ich sehe auf, und er schüttelt den Kopf. „Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“
„Bei meiner Hochzeit“, antworte ich nachdenklich. „Bringt mir heute Abend diese Fürstentochter in mein Zelt. Ich werde sie heiraten.“
Jiadir und auch Altor sehen mich ungläubig an, aber es ist Jiadir, der zuerst seine Sprache wiederfindet. „Darf ich fragen, was dich umgestimmt hat?“
Ich zucke die Schultern. „Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich mit ihr tun werde. Doch ich werde sie heiraten … vielleicht wird das ihren Vater endlich zu Verhandlungen mit uns bewegen.“
„Und wenn nicht?“ Jiadir sieht mich forschend an.
Ich lehne den Kopf an die Rückenlehne des Thronsessels und atme tief durch. „Wenn alles scheitert, gibt es immer noch die Möglichkeit, das zu tun, was mein Vater vorhatte … eine Allianz mit Karbal von Tigman zu erzwingen … indem ich seine Tochter schwängere.“
Neyla
Wieder warten wir. Rafai hat das Zelt seines Vaters, in dem nun die Witwen leben, am Rand des Lagers aufschlagen lassen. Die eine oder andere der jüngeren Frauen hatte wohl darauf gehofft, dass Rafai Anspruch auf sie erhebt. Doch er will scheinbar keine von ihnen. Ohnehin scheint Rafai nichts von dem zu wollen, was seinem Vater gehört hat. Das bestärkt Gita und mich in unserer Hoffnung. Bin ich nicht auch etwas, das Okak gehört hat – und damit uninteressant?
Sein eigenes Zelt steht nun an der Stelle, wo das seines Vaters gestanden hat - so lässt er jeden wissen, dass er der neue Stammesführer ist. Nach und nach treffen Frauen und Kinder in Begleitung weiterer Krieger im Lager ein. Rafai führt den gespaltenen Stamm wieder zusammen. Familien begrüßen sich weinend, Mütter und Töchter fallen sich in die Arme. Plötzlich ist es viel lauter und lebhafter im Lager als zuvor. Der Stamm ist innerhalb weniger Tage erheblich gewachsen, was allerdings auch das Wasserproblem vergrößert.
Kurz nach Rafai sind auch die Ältesten und die restlichen Krieger Okaks zurückgekehrt. Sie haben sich Rafai widerstandslos untergeordnet und ihn als neuen Anführer anerkannt. Die Stimmung unter den Menschen im Lager ist fröhlich, wie ich es noch nie erlebt habe, seit ich hier bin.
Alles wäre gut – doch ich sitze noch immer in meinem Zelt. Niemand kümmert sich um mich. Gita und ich sind uns selbst überlassen. Immer wieder versucht Gita zu erfahren, ob wir freigelassen werden … aber die Frauen wissen nichts und zucken nur mit den Schultern. Nach der kurzen Trauerzeit um Okak scheint neue Hoffnung unter den Rebellen zu herrschen. Ein junger Anführer verspricht frischen Wind. Leider scheint sich Rafai jedoch der Klatschsucht der Frauen im Lager bewusst zu sein. Während sie früher über alles Bescheid wussten, dringt nun nichts mehr aus dem Anführerzelt heraus. Das frustriert mich zunehmend und macht Gita nervös.
„Warum lässt er uns nicht endlich gehen?“, beschwere ich mich bei ihr, als hätte Gita eine Antwort darauf.
Dann endlich, am Abend des sechsten Tages nach Rafais Erscheinen, kommt Gita abends ins Zelt und hockt sich vor mich hin. „Rafai hat sich entschieden, dich zu seiner Frau zu machen.“
Ich starre Gita ungläubig an. Wenn das ein Scherz ist, dann ein schlechter. Aber Gita sieht nicht so aus, als würde sie scherzen. Ihr Blick ist besorgt … und sie kaut wieder auf ihrer Lippe!
„Aber … warum?“
Sie zuckt hilflos mit den Schultern. „Morgen Abend wirst du in sein Zelt gebracht und er nimmt den Dinjhi von deinem Gesicht.“
Ich kann nicht sprechen. Das ist absurd … vollkommen unmöglich! Warum sollte er das tun? Was gewinnt er damit?
Während ich noch stumm mein Schicksal beklage, ist Gita bereits einen Schritt weiter. „Wir müssen unseren Plan ändern. Bei Okak hätte er funktioniert … doch Rafai ist ein junger Mann, der gerade erst seinen vierundzwanzigsten Geburtstag erlebt hat. Sein Tak ist weder müde noch satt, und soweit ich weiß, ist er noch nicht verheiratet. Das heißt, er hat seine ganze Kraft für sein Ehebett zur Verfügung.“
Mit großen Augen sehe ich Gita an. Ich habe Rafai nur von Weitem gesehen. Er ist groß und schlank, dabei jedoch recht muskulös, und trägt wie alle anderen das Gesichtstuch und schwarze Kriegertracht. Mein schlimmster Albtraum wird wahr! Ein Wüstenkrieger wird über mich herfallen und Dinge mit mir anstellen, von denen ich nicht einmal eine Vorstellung habe. Ich muss an Prinz Darjan denken. Mit ihm hätte ich mir meine Hochzeitsnacht vorstellen können. Darjan ist zivilisiert, und er liebt mich. Täte er es nicht, hätte er nicht so lange und hartnäckig um mich geworben.
Ich breche in Tränen aus, und Gita nimmt mich in die Arme. „Nicht weinen, Prinzessin. Ich habe eine Idee, wie wir dir Rafai vom Hals halten.“
Ich beruhige mich und blinzele hoffnungsvoll durch meinen Tränenschleier. Gita hat immer gute Ideen.
„Wir müssen dafür sorgen, dass ihm die Lust auf die Hochzeitsnacht vergeht.“ Sie beginnt, die Tonschalen und Töpfe zu öffnen, die man ihr gegeben hat, damit sie mir Essen zubereiten kann. „Hier ist es ja … gut, dass ich mich mit solchen Dingen auskenne.“
Ich verstehe noch immer nicht, was sie vorhat. Gita zermahlt einige getrocknete Beeren und Wurzeln mit einem Stößel und lächelt verschlagen. „Wenn du das trinkst, ist dein Atem so schlecht, dass Rafai die Lust vergeht. Und wenn du die Beeren alleine kaust, färben sie deine Zähne gelblich-braun. Asche vom Kochfeuer in deine Haare gerieben und sie werden stumpf und spröde. Du wirst aussehen, als wüsstest du keinen Kamm zu benutzen.“ Zuletzt präsentiert mir Gita ein kleines Stoffsäckchen mit Pilzen. „Wenn ich einen Sud daraus koche, den du trinkst, bekommst du rote Pusteln.“
Ich hebe die Hände. „Auf keinen Fall verunstalte ich mich derart! Was ist, wenn mein Vater oder Prinz Darjan kommen, um mich zu befreien und ich rote Pusteln im Gesicht habe oder mein Atem riecht wie der eines Sanddämons?“
Gita stemmt die Hände in die Hüften. „Schlimmer wäre es, wenn Prinz Darjan dich befreit und du einen dicken Bauch hast. Dann kommst du nie wieder hier weg!“
„Aber wenn ich hässlich bin, will Darjan mich auch nicht mehr. Nein! Ich benutze nur Dinge, die schnell verschwinden.“
Gita gibt sich geschlagen. „Also gut … dann die Asche und die Beeren. Mit einmal Haare Waschen und einer Mundspülung bist du wieder hübsch wie vorher. Und wenn Rafai dich zu sich rufen lässt, kaust du einfach die Beeren und benutzt die Asche. Wobei ein schlechter Atem sicher hilfreich wäre … und in ein paar Tagen ...“
„Auf keinen Fall!“, entscheide ich. Vor meinem inneren Auge zeichnet sich das Bild ab, wie Darjan vor mir wegläuft.
„Dann lass uns mit den Vorbereitungen anfangen. Bis Morgen Abend ist es nicht mehr lange“, erinnert mich Gita. Ich flehe stumm, dass ein Barbar wie Rafai sich von schlechten Zähnen und ungepflegtem Haar abschrecken lassen würde. Immerhin ist er ein Wilder. Sicher sind die nicht besonders wählerisch.