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Liebe Leser,

einige Hintergrundereignisse in dieser Geschichte nehmen Bezug auf die Handlung meines Romans „Black Heart“. Es ist nicht notwendig, die Geschichte vorab gelesen zu haben, wer aber tiefer in die Vorereignisse eintauchen möchte, dem lege ich dafür „Black Heart“ ans Herz.

Eure Alexa Kim

Adrien

Der Anblick des nebeligen Novembermorgens verursachte ein taubes Gefühl in meinen Eingeweiden. Es war nicht dieses typische Gefühl von Einsamkeit und Verzweiflung, das man fassen kann; vielmehr war es ein unangenehmes Eingestehen einer Tatsache, die ich in den letzten Wochen verdrängt hatte – Lianne fehlte mir! Die ganze Zeit, all die Jahre hatte ich mir vorgemacht, dass ich anders war als David oder sein Bruder Marcus … dass ich meinen Instinkten nicht ausgeliefert war. Aber je öfter ich in Liannes altes Zimmer ging und aus ihrem Fenster hinaus auf die Weinberge starrte, desto schwieriger wurde es, das selbst gesponnene Lügengeflecht um meine Persönlichkeit aufrechtzuerhalten.

Ich war nicht anders als andere … nicht unabhängiger, nicht besser, nicht freier! Solange ich mich um Lianne hatte kümmern können, war der Wolf zufrieden gewesen. Sie war seine Aufgabe gewesen, sein Besitz. Die Tatsache, dass er sich nicht mit ihr hatte paaren können, war in den Hintergrund gerückt, weil es genug Frauen im Château gab, die mir mehr als bereitwillig zur Verfügung standen. Auch, wenn ich nie bis zum Ende mit diesen Frauen ging, um die Natur des Wolfes zu verbergen, so hatte es ausgereicht …

Aber seit Lianne fort war, nagte an meinem menschlichen Teil die Einsamkeit, während der Wolf von Tag zu Tag unzufriedener wurde.

„Monsieur Adrien … es tut mir leid, wenn ich störe ...“, unterbrach mich Antoine. Wie peinlich, dass sogar der Butler mittlerweile genau zu wissen schien, dass er mich in Liannes altem Zimmer finden würde, wenn er nach mir suchte.

„Ja, Antoine?“, fragte ich und wandte mich vom Fenster ab.

„Die Speisekarte für das Dinner muss noch abgenommen werden, und die Haushaltsberichte der Küche auch ...“

„Ich komme gleich ...“, wimmelte ich meinen fleißigen und pflichtbewussten Butler ab.

„Natürlich Monsieur Adrien ...“

Ich entspannte mich ein wenig, als Antoine sich rücksichtsvoll zurückgezogen hatte. Im Augenblick war es für jeden im Château gefährlich, den Wolf zu reizen. Aber woher sollten sie das wissen? Es fiel mir immer schwerer, ihn zu kontrollieren. Lianne fehlte in jeder Nische meines Lebens. In den letzten Jahren hatte sie einen großen Teil der Haushaltsführung des Château übernommen … ich kannte mich nicht halb so gut aus wie sie mit den saisonalen Preisen für Wein, Kartoffeln oder den Gerichten, die man zahlenden Gästen servieren sollte. Ich musste mich wirklich dringend um einen Ersatz für Lianne bemühen – eine Hausdame, die sich mit der Führung eines großen Hauses auskannte. Leider bremste mich meine innere Lethargie aus. Manchmal ertappte ich mich bei dem Gedanken, mein Handy zu nehmen und Liannes Nummer zu wählen. Aber mir war klar, dass es dann Ärger mit David geben würde – sie gehörte jetzt ihm. Ich war nicht mehr Teil ihres Lebens.

Ein winziger frustrierter Teil von mir bereute es, nicht auf Davids Angebot eingegangen zu sein und Lianne zu behalten! Ich bezweifele allerdings, dass sie an meiner Seite glücklicher geworden wäre als an der Seite von David. Er war ihr Gefährte … ich hatte diese Art Gefühle Lianne gegenüber nie entwickelt. Vielleicht wäre es passiert, wenn ich sie mehr als Frau gesehen hätte. Aber Lianne war ein Auftrag gewesen, und ich hatte von Anfang an eine gewisse emotionale Distanz zu ihr gehalten … zumindest hatte ich das geglaubt.

Nun ja ... statt Lianne hatte mir David dafür ein anderes Problem hinterlassen – seine ehemalige Geliebte. Ich hatte Manon vor ihm schützen müssen, auch wenn mir das schwergefallen war. Manon hatte versucht, Lianne zu vertreiben, um bei David bleiben zu können. Es war gefährlich, sich zwischen den Wolf und seine Gefährtin zu stellen, aber ich nehme an, das war Manon durchaus bewusst gewesen.

In meiner Hosentasche fühlte ich das Metall des Schlüssels, der zum Südflügel führte. Dort residierte Manon seit fast zwei Monaten mehr oder weniger freiwillig. Für meine Begriffe war sie dort gut aufgehoben, aber da ich in den nächsten Tagen Gäste erwartete, würde sie in ein anderes Quartier umziehen müssen … oder das Château endlich verlassen. Nachdem David nicht mehr hier war, bestand eigentlich kein Grund mehr, sie zu verstecken. Keine Ahnung, warum ich sie nicht längst hatte gehen lassen … vielleicht gefiel mir der Gedanke, sie einzusperren … vielleicht gefiel dieser Gedanke dem Wolf. Auf jeden Fall war es an der Zeit, dieses Spiel zu beenden. Manon war nicht Lianne, und ich hatte kein Recht, sie hier festzuhalten …

Entschlossen nahm ich den Schlüssel und machte mich auf den Weg zum Südflügel.

Manon saß mit elegant nebeneinandergestellten Beinen auf einem der antiken Barocksessel. Sie trug heute ein Strickkleid aus Wolle, und ihre Haar war zu einem Knoten frisiert. Die blauen Augen waren ausdrucksstark aber nicht übertrieben geschminkt, ebenso, wie der Mund. Manons Körperhaltung wirkte geschult; es war offensichtlich, dass sie in einem guten Haus gelebt hatte und Umfangsformen besaß. Einen Augenblick lang fragte ich mich, warum David ihr Lianne vorgezogen hatte. Manon wäre perfekt gewesen für ihn, wenn man die Tatsache außer Acht ließ, dass sie keine Wölfin in sich trug. Aber nicht jeder von uns hatte das Glück, eine Gefährtin unserer Art zu finden.

„Du siehst gestresst aus, Adrien ...“, sagte sie und versuchte erst gar nicht, das Lächeln in ihrem Gesicht zu verbergen.

„Ich erwarte neue Gäste im Château und brauche den Südflügel für die abendlichen Dinners.“

Manon erhob sich von ihrem Sessel und ging langsam zum Fenster. Meine Güte … wie gelang es ihr nur, auf hohen Absätzen derart lautlos über den Parkettboden zu schweben?!

„Ich nehme an, es kommt eine Menge Arbeit auf dich zu, Adrien ...“, setzte sie an und wandte sich mir zu.

„Nicht mehr, als sonst auch ...“, antwortete ich kurz angebunden.

„Lianne ist nicht mehr hier, um sich um diese Dinge zu kümmern.“

„Aus diesem Grund bin ich hier ...“, setzte ich an. „Es besteht keine Gefahr mehr für dich. Du kannst das Château verlassen. David hat dir eine mehr als großzügige Abfindung auf ein Konto eingezahlt.“

Manon sah nicht aus, als würde sie vor Freude zerspringen – eher im Gegenteil. „Und was soll ich mit dem Geld tun?“

„Du könntest ein eigenes Leben beginnen … unter deinesgleichen … heiraten, Kinder haben … du bist nicht zu alt dafür.“

In Manons Blick zeigte sich der Ausdruck gekränkten Stolzes. „Dafür wurde ich nicht ausgebildet.“

Ich ahnte, in welche Richtung dieses Gespräch lief, und es gefiel mir nicht. „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was du mit deinem Leben anfangen sollst … aber du könntest damit beginnen, für dich selbst zu leben und nicht für andere ...“

„Du bist allein, Adrien … das muss nicht so sein. Ich könnte ...“

„Nein!“, unterbrach ich sie scharf. „Ich benötige deine Dienste nicht ...“

„Ich wollte sagen, dass ich die Führung des Château übernehmen könnte ...“, unterbrach sie mich. „Ich bin geübt darin, einen großen Haushalt zu organisieren. Das habe ich sowohl für Marcus als auch für David getan. Du kannst Hilfe gebrauchen …“

Lass es besser …, warnte mich meine innere Stimme. Diese Frau bedeutete Ärger in jeglicher Hinsicht.

„Ich komme gut alleine klar ...“

„Wie du meinst ...“, antwortete Manon und schwebte auf ihren Absätzen Richtung Tür. Ich bekam den Duft ihres Parfums mit … Lilie und Maiglöckchen … ein Sinne verwirrender, schwerer Duft … und etwas, das unter dem Parfum lag … Sinnlichkeit und Weiblichkeit. Der Wolf in mir grollte, und ich musste daran denken, dass bald die Paarungszeit begann – die für mich schwerste Zeit im Jahr.

„Einen Monat, Manon … bis ich jemand anderen gefunden habe ...“, schlug ich vor und verfluchte mich im gleichen Augenblick.

Sie blieb stehen und lächelte. „Dann sollte ich keine Zeit verlieren. Die Dienstmädchen müssen eingeteilt werden, die Menüfolge abgesprochen, die Einkaufslisten erstellt … und hast du daran gedacht, beim Floristen jahrszeitlich passende Blumenbouquets für die Zimmer und Dinners zu bestellen?“

Ich sah sie irritiert an. „Nein … das habe ich nicht ...“

„Dann werde ich mich darum kümmern … ich schlage weiße Rosen, Chrysanthemen und Rispen vor ...“

„Hört sich gut an ...“, antwortete ich wenig interessiert.

Manon schüttelte den Kopf. „Und du wolltest das alles alleine machen? Mach dir nichts vor, Adrien … du brauchst mich.“

„Einen Monat, Manon! Nur bis die Gäste fort sind ...“

„Du bist der Herr dieses Château …“, flötete Manon.

Bevor sie aus dem Zimmer ging, warf sie mir noch zu: „Ich weiß, dass David und Lianne schon seit fast zwei Monaten fort sind. Fragst du dich nicht, warum du mich so lange in den Südflügel gesperrt hast … oder warum ich mich nicht darüber beschwert habe?“

„Ich weiß, was du andeuten willst, Manon … aber das, was du dir erhoffst, wird nicht geschehen. Es ist nicht mit Marcus Carpenter passiert, nicht mit seinem Bruder David … und es wird auch nicht mit mir passieren.“

Manons Lächeln war wie fortgewischt. „Ich weiß, Adrien … ich habe längst aufgegeben, nach Dingen zu suchen, die ich nicht haben kann.“ Dann entschwand sie wie eine unnahbare griechische Nymphe, und ich blieb allein mit dem Duft ihres Parfums zurück …

Manon

Adriens Worte hatten mich mehr gekränkt, als ich es hatte zulassen wollen. Die Wunde, die David mir geschlagen hatte, indem er unsere Übereinkunft beendet hatte, war noch nicht verheilt. Bei Marcus war es ok gewesen … er war der Erbe der Carpenters … er hatte eine Gefährtin seiner Art gefunden. Aber David und ich hätten gut zusammengepasst. Trotzdem hatte er sich für Lianne entschieden.

Offensichtlich hatte ich mir etwas vorgemacht … und Adrien … nun ja, er war nicht gerade meine erste Wahl … düster, launisch und eigenbrötlerisch. Aber er war meine einzige Option. Ein Leben mit einem normalen Mann war für mich unvorstellbar. Ich hatte mein gesamtes Erwachsenenleben unter Wölfen verbracht, und ich fühlte mich fast schon wie eine von ihnen. Ich konnte mich nicht einfach umdrehen und etwas anderes tun, als das, wozu ich erzogen worden war; und ich würde mir meine letzte Chance nicht dadurch zerstören, dass ich bei Adrien so etwas Dummes veranstaltete, wie bei David. Wenn Adrien mich nur als Hausdame für das Château wollte, dass war es so … dann tat ich eben das, was ich gut konnte – einen großen Haushalt führen. Meine Mädchenträume hatte ich begraben - eine Gefährtin zu werden oder eine Geliebte auf Dauer. Vielleicht war das nicht mein Schicksal. Vielleicht war es besser, wenn ich von Adrien die Finger ließ. Er war anders als David und Marcus … fatalistischer und düsterer. Dass er dieses Château führte, war kein Zufall. Es entsprach jeder Faser seiner wölfischen Persönlichkeit, die er sorgfältig vor seinen Bediensteten verbarg. Das musste schwer sein für ihn … aber er hatte dieses Leben so gewählt.

Selbstbewusst ging ich in die Küche, um mit der Köchin das Menü zu besprechen. Ihre anfängliche Skepsis verflog schnell, als sie bemerkte, dass ich wusste, was ich tat. Wahrscheinlich war es für sie auch nicht gerade leicht, ihre Arbeit ohne eine vorgesetzte Hausdame zu verrichten. Die Köchin sorgte dafür, dass das Essen auf den Tisch kam, aber es war nicht ihre Aufgabe, Menüs zu organisieren und Wochenpläne zu erstellen; und Adrien mochte gut darin sein, Gäste für das Château zu gewinnen und ihnen Geld abzunehmen, aber die Führung des Château war nicht seine Stärke.

Nachdem ich in der Küche fertig war, schickte ich eines der Hausmädchen mit einer Eilbestellung nach Begoise zum Floristen. Ich würde den Gärtner bitten, neue Gewächshäuser anzulegen, sodass wir im nächsten Jahr auf eine Auswahl eigener Blumen zurückgreifen konnten. Das würde Zeit und Geld sparen. Falls du im nächsten Jahr noch hier bist … er sagte einen Monat … vergiss das nicht!

Die Arbeit ging mir leicht von der Hand, und ich stellte fest, wie sehr ich eine Aufgabe vermisst hatte – die letzten beiden Monate, die ich untätig im Südflügel verbracht hatte, waren zermürbend gewesen. Aber ich hatte gelernt zu warten … Männer, die einen Wolf in sich trugen, konnte man zu nichts drängen. Mir war aufgefallen, dass Adrien meinen Duft wahrgenommen hatte … und mir war klar, dass in weniger als einem Monat die Paarungszeit begann. Vielleicht würde er doch noch eine andere Verwendung für mich finden, als die der Hausdame. Im Augenblick war ich erst mal froh darüber, Beschäftigung zu haben.

Gegen Nachmittag war alles weitestgehend organisiert - der Florist traf mit den Blumenbouquets ein, und der Rote Saal im Südflügel war eingedeckt. Die Hausmädchen hatten Zimmer für die Gäste hergerichtet. Adrien kam aus seinem thronsaalartigen Arbeitszimmer, um meine Arbeit abzunehmen. Wie erwartet nickte er nur, ohne zu große Begeisterung erkennen zu lassen. Das war einfach nicht seine Art.

„Soll sich das Personal zum Empfang der Gäste vor dem Château versammeln?“

„Nein, das ist nicht nötig ...“, antwortete Adrien. „Die Gäste bevorzugen Diskretion. Es reicht, wenn du und ich zur Begrüßung anwesend sind.“

„Wie du meinst, Adrien ...“, antwortete ich und machte mir einen Gedankenvermerk, etwas Angemessenes anzuziehen. Für die Hausdame gab es, wie ich erfahren hatte, keine eigene Uniform im Château, aber eine richtungsweisende Regel … keine Hosen, zu flache oder zu hohe Schuhe, kein offenes Haar. Bevorzugt wurden Kombinationen aus Bluse und Bleistiftrock mit passender Kostümjacke und ein dezentes Make-Up.

„Sei um Viertel vor acht in der Empfangshalle ...“, wies Adrien mich an, bevor er wieder in seinem Arbeitszimmer verschwand.

Wolf Breed - Adrien (Band 8)

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