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5. Der Abflug

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Wie interessant die Wundertiere auch waren, ich fieberte dem feierlichen Moment des Abflugs entgegen. Vor uns lag die verschneite Ebene, aus der in einiger Entfernung eine Granitwand emporragte. Ich erwartete einen scharfen Ruck, und all das würde schnell den Blicken entgleiten. Es war jedoch ganz anders.

Lautlos und ganz allmählich erhoben wir uns über den verschneiten See. Anfangs war der Aufstieg kaum merklich.

»Beschleunigung zwei Zentimeter«, sagte Menni.

Ich verstand, was das bedeutete. In der ersten Sekunde stiegen wir einen Zentimeter, in der zweiten drei, der dritten fünf, der vierten sieben Zentimeter, die Geschwindigkeit würde ständig nach dem Gesetz der arithmetischen Progression wachsen. In einer Minute würden wir das Tempo eines Fußgängers erreichen, nach einer Viertelstunde die Schnelligkeit eines D-Zugs usw.

Wir bewegten uns nach dem Fallgesetz, aber von unten nach oben und fünfhundertmal langsamer als ein gewöhnlicher schwerer Körper, der auf die Erdoberfläche fällt.

Das gläserne Fenster begann am Fußboden und bildete mit ihm einen stumpfen Winkel, es war ein Teil der kugelförmigen Außenfläche. Wenn wir uns vorbeugten, konnten wir daher auch sehen, was unter uns geschah.

Wir stiegen immer schneller, der Horizont erweiterte sich. Die dunklen Flecken der Felsen und Dörfer wurden kleiner, die Umrisse der Seen zeichneten sich wie auf einer Landkarte ab. Und der Himmel wurde immer dunkler; zur gleichen Zeit, als der blaue Streifen eisfreien Meeres den gesamten westlichen Gesichtskreis umfasste, konnten meine Augen bei mittäglichem Sonnenlicht schon die hellsten Sterne erkennen.

Die langsame Achsenumdrehung des Sternschiffs erlaubte uns, den gesamten Raum ringsumher zu überblicken.

Der Horizont schien sich mit uns zu erheben, und die Erdoberfläche sah aus wie eine gewölbte Untertasse mit reliefartigen Verzierungen. Die Konturen wurden feiner, das Relief flacher, die ganze Landschaft wirkte immer mehr wie eine Landkarte, deren Zeichnung in der Mitte deutlich zu sehen war und an den Rändern verschwamm. Dort war alles in bläulichen Nebel gehüllt. Der Himmel wurde völlig schwarz, und die zahllosen Sterne, bis zu den kleinsten, glänzten mit ruhigem, flimmerfreiem Licht, ohne die helle Sonne zu fürchten, deren Strahlen schmerzhaft blendeten.

»Sagen Sie, Menni, wird diese Beschleunigung von zwei Zentimetern, mit der wir uns jetzt bewegen, während der ganze Reise beibehalten?«

»Ja«, antwortete er, »nur die Richtung wird in der Mitte unseres Weges verändert, die Geschwindigkeit wird dann nicht größer, sondern jede Sekunde um dieselbe Größe geringer. Obwohl die höchste Geschwindigkeit ungefähr fünfzig Kilometer in der Sekunde beträgt und die mittlere ungefähr fünfundzwanzig Kilometer, wird sie bei der Ankunft ebenso gering sein wie zu Beginn unserer Reise, und wir werden sanft auf dem Mars aufsetzen. Ohne diese riesigen veränderlichen Geschwindigkeiten hätten wir weder die Erde noch die Venus erreichen können, weil selbst deren nächste Entfernung zum Mars — sechzig und hundert Millionen Kilometer — beispielsweise mit einem Schnellzug nur im Verlaufe von Jahrhunderten bewältigt werden könnten und nicht innerhalb von Monaten wie mit unserem Sternschiff. Und was den ›Kanonenschuss‹ betrifft, von dem ich in Ihren utopischen Romanen gelesen habe, so ist das einfach ein Scherz, weil es nach den Gesetzen der Mechanik praktisch dasselbe ist, ob man sich beim Abschuss innerhalb der Kugel befindet oder ob man von der Kugel getroffen wird.«

»Wie erreichen Sie eine so gleichmäßige Bremsung und Beschleunigung?«

»Unser Sternschiff wird von radioaktiver Materie angetrieben, die wir auf dem Mars in großer Menge gewinnen. Wir haben eine Methode gefunden, den Zerfall der Elemente hunderttausendfach zu forcieren; das geschieht in unseren Motoren mit Hilfe ziemlich einfacher elektrochemischer Verfahren. Auf diese Weise wird gewaltige Energie freigesetzt. Wie Ihnen bekannt ist, bewegen sich die Teilchen der zerfallenden Atome mit einer Geschwindigkeit, die diejenige von Artilleriegeschossen um das Zehntausendfache übertrifft. Wenn die Teilchen den Motor nur in einer Richtung verlassen können, das heißt durch einen Kanal mit undurchdringlichen Wänden fliegen, bewegt sich das Sternschiff nach dem Prinzip des Rückstoßes, den man auch bei einem Gewehr oder Geschütz beobachten kann. Nach den Ihnen bekannten Naturgesetzen können Sie sich leicht ausrechnen, dass die geringfügige Menge von einem Milligramm völlig ausreicht, um unser Sternschiff innerhalb einer Sekunde gleichmäßig zu beschleunigen.«

Während unseres Gesprächs hatten alle Marsmenschen den Raum verlassen. Menni schlug vor, das Frühstück in seiner Kajüte einzunehmen. Sie lag an der Wand des Sternschiffs und besaß ebenfalls ein großes Kristallfenster. Wir setzten unser Gespräch hier fort. Ich wusste, dass mir die neue, unbekannte Empfindung der Schwerelosigkeit bevorstand, und fragte Menni danach.

»Das stimmt«, sagte er, »denn obwohl uns die Sonne weiterhin anzieht, ist die Wirkung im freien Raum geringfügig. Der Einfluss der Erde wird morgen oder übermorgen ebenfalls nicht mehr zu spüren sein. Nur infolge der beständigen Beschleunigung wird 1/400 bis 1/500 unseres Körpergewichts erhalten bleiben. Beim ersten Flug gewöhnt man sich nicht leicht daran, obwohl die Umstellung sehr allmählich geschieht. Wenn Sie an Gewicht verlieren, nimmt Ihre Gewandtheit ab, Sie werden viele falsch berechnete Bewegungen machen. Das Vergnügen, fliegen zu können, wird Ihnen recht zweifelhaft vorkommen. Was Herzklopfen, Schwindelgefühl und sogar übelkeit betrifft, die dabei auftreten, so wird Sie Netti davon befreien. Es wird auch schwierig werden, mit Flüssigkeiten umzugehen, die beim geringsten Stoß aus den Gefäßen gleiten und überall als riesige Tropfen umherschweben. Aber bei uns ist alles sorgsam darauf ausgerichtet, solche Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Möbel und Gefäße sind befestigt, Flüssigkeiten werden in verschlossenen Behältern aufbewahrt, überall sind Griffe und Riemen angebracht, an denen man sich notfalls festhalten kann. überhaupt werden Sie sich daran gewöhnen, Zeit genug dazu haben Sie.«

Seit dem Abflug waren ungefähr zwei Stunden vergangen, und der Gewichtsverlust war schon spürbar, allerdings noch recht angenehm. Der Körper wurde leichter, die Bewegung freier. Die Atmosphäre hatten wir schon verlassen, aber das beunruhigte uns nicht, weil sich in unserem hermetisch abgeschlossenen Schiff ein ausreichender Vorrat an Sauerstoff befand. Der sichtbare Teil der Erdoberfläche wurde endgültig einer Landkarte ähnlich — jedoch mit verzerrtem Maßstab: größer in der Mitte, kleiner zum Horizont hin. Stellenweise verdeckten weiße Wolkenflecke die Sicht. Im Süden, hinter dem Mittelmeer, waren die Küsten Afrikas und Arabiens durch einen Dunstschleier recht deutlich erkennbar, im Norden verlor sich der Blick hinter Skandinavien in einer Wüste aus Schnee und Eis, nur die Felsen Spitzbergens hoben sich als dunkle Flecken ab. Im Osten begann hinter dem Ural, der teils von Schneeflecken bedeckt war, wiederum das Reich der weißen Farbe, nur hie und da mit einem grünlichen Schimmer, der zaghaft an die riesigen Nadelwälder Sibiriens erinnerte. Hinter den klaren Konturen Mitteleuropas hüllten sich die Umrisse Englands und Nordfrankreichs in Wolken. Ich vermochte das gigantische Bild nicht lange anzuschauen, da der Gedanke an die schreckliche Tiefe des Abgrunds, über dem wir uns befanden, in mir ein Gefühl hervorrief, das einer Ohnmacht ähnelte. Deshalb nahm ich das Gespräch mit Menni wieder auf.

»Sie sind der Kapitän dieses Sternschiffs, nicht wahr?«

Menni nickte und bemerkte: »Aber das bedeutet nicht, dass ich hier das besäße, was bei Ihnen Befehlsgewalt heißt. Ich habe einfach die größte Erfahrung beim Lenken von Sternschiffen, und meine Anweisungen werden ebenso befolgt, wie ich Sternis astronomische Berechnungen unbesehen akzeptiere oder wie wir uns alle nach Nettis medizinischen Ratschlägen richten, um unsere Gesundheit und Arbeitskraft zu erhalten.«

»Wie alt ist Doktor Netti? Mir kommt er sehr jung

vor.«

»Das weiß ich nicht, sechzehn oder siebzehn Jahre«, antwortete Menni lächelnd.

Das hatte ich ebenfalls geschätzt. über eine so frühe Gelehrsamkeit war ich jedoch verwundert.

»In dem Alter schon Arzt!« entfuhr es mir unwillkürlich.

»Fügen Sie hinzu: ein kenntnisreicher und erfahrener Arzt!« sagte Menni.

Bei unserem Gespräch hatte ich nicht bedacht — und Menni hatte es wohl absichtlich nicht erwähnt —, dass ein Marsjahr fast doppelt so lang ist wie ein Erdenjahr. Der Mars umkreist die Sonne in 686 Erdentagen, Nettis sechzehn Lebensjahre kamen also dreißig Erdenjahren gleich.

Der rote Planet

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