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Kapitel 1

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William

William Kazcamakis hatte Pech gehabt im Leben. Obwohl es für ihn zuerst gar nicht so schlecht ausgesehen hatte. Als einziges Kind griechischer Einwanderer – die sich in der Stadt Quincy, 10 km südöstlich von Boston, ein kleines Häuschen erarbeitet hatten – hätte es dem kleinen William Kazcamakis an nichts fehlen sollen. Er wuchs wohlbehütet auf, besuchte eine gute Schule und hatte Freunde in der Nachbarschaft. William war ein Junge von durchschnittlicher Erscheinung, höflich und zuvorkommend in der Art, und man hätte darauf wetten können, dass aus ihm einmal ein adretter junger Mann werden würde. Papa Kazcamakis arbeitete als selbstständiger Installateur, wobei William, ab dem Alter von zehn Jahren, zuweilen schon in der Werkstatt half, die sich seitlich des Hauses, in einer Doppelgarage befand. Hier machte sich William als Handlanger seines Vaters nützlich, er reichte ihm Werkzeuge, die er alle schon beim Namen kannte, fegte den Boden oder half beim Be- oder Entladen des Kleintransporters, wenn der Vater von der Arbeit zurückkehrte. Oft ließ der Vater ein paar Dollar springen und William besserte auf diese Weise sein Taschengeld auf. William zeigte auch Begabung und handwerkliches Geschick. So hatte er im Alter von fünf Jahren die ersten Rohre zusammengeschraubt; mit Zehn konnte er bereits mit dem Schweißapparat umgehen; und kurz darauf konstruierte William einen raffinierten Zimmerbrunnen, wo das Wasser über verzwickte Rinnensysteme, Wippen und Wasserräder nach unten geleitet wurde und durch eine Pumpe, (die William aus einem defekten Aquarium entnommen hatte) wieder hinauf gepumpt wurde. Weniger erfreut waren die Eltern, als William bei einem seiner Versuche, das ganze Kinderzimmer unter Wasser setzte. Doch auch hier zeigte William Einfallsreichtum, als er den Staubsauger umfunktionierte und damit das Wasser aus dem Fenster pumpte.

Später wollte William wie sein Vater Installateur werden. Er bewunderte seinen Vater, dessen handwerkliche Fähigkeiten im gesamten Viertel in den höchsten Tönen gelobt wurden. Natürlich reichte Williams Begabung an das Genie und Können seines Vaters nicht heran, dafür war er einfach noch zu jung. Vater Kazcamakis hatte wahrhaftig heilende Hände, wenn es um Rohre, Heizungen, defekte Förderpumpen oder Hähne ging. Überall in der Werkstatt lagen Heizkessel, Durchlauferhitzer und Pumpen, die auf eine technische Generalüberholung warteten; viele auseinandergeschraubt und auf Ersatzteile wartend; andere wiederum, die nicht sofort gebraucht wurden, befanden sich sozusagen in Warteschleife und Herr Kazcamakis wollte sich darum kümmern, wenn er einmal ein wenig Luft hatte – was so gut wie nie vorkam. Vater Kazcamakis liebte seine Arbeit und er lebte dafür.

Es machte ihm nichts aus allzeit im Arbeitskittel herumzulaufen; bei ihm hatte man eher den Eindruck, er fühle sich unwohl, sobald er ihn nicht anhatte. In der ganzen Umgebung und auch über das Viertel hinaus, war er bekannt wie ein bunter Hund. Er war der Erste der gerufen wurde, wenn irgendwo die Heizung nicht ging oder ein Abfluss verstopft war. Er sah sofort, hinter welcher Wand die Leitung undicht war (er roch es förmlich); er hörte am Klang eines Heizkessels, sobald er mit dem Schraubenzieher dagegen klopfte, ob er verkalkt war, oder ob mit dem Brenner etwas nicht stimmte. Und einmal, als in Williams Schule, inmitten des Winters, die Heizung ausfiel und sich die Schüler schon tagelang den Arsch abfroren – und weder der Hausmeister noch der vom Schulamt bestellte Installateur die Heizung wieder in Gang zu bringen vermochten – kam Williams Vater wie ein Held, setzte seinen Schraubenschlüssel an einem Ventil des Heizkessels an, tat eine viertel Umdrehung, drehte noch an zwei weiteren Stellschrauben herum, und das Ding lief wieder. Danach war stundelang ein Knacksen in den Heizungsrohren des Schulgebäudes zu hören, als sich das heiße Wasser langsam vom Keller, seinen Weg durch die teils gefrorenen Leitungen, in die oberen Stockwerke bahnte. Die Schüler hörten es mit Wonne und William war noch nie so stolz auf seinen Vater gewesen, wie an diesem Tag.

Williams Mutter war eine charmante, einfache Frau, die glücklich in ihrer kleinen Familie aufging.

Sie kümmerte sich fürsorglich um ihre beiden Männer, wie sie sie nannte. Sie trug ihnen gelegentlich das Essen hinterher, wenn sie es in der morgendlichen Eile vergessen hatten – dem Vater auf die Baustelle, dem Sohn in die Schule. Sie legte ihren Männern abends die Wäsche zurecht, damit sie morgens etwas frisches zum Anziehen hatten. Und wenn einer ihrer beiden Männer einmal eine Erkältung hatte, wurde er in aufopfernder Weise gesund gepflegt.

Nebenbei verdiente sie sich noch ein kleines Zubrot, indem sie in einem reicheren Haushalt aushalf.

So wie es schien, war um die kleine Familie alles bestens bestellt. Und William Kazcamakis Zukunft wäre nichts im Wege gestanden, hätte da nicht ein kleines Malheur das Unglück eingeläutet.

Es war im Winter. Der elfjährige William befand sich mit ein paar gleichaltrigen Freunden auf einem kleinen Hügel, nahe dem Stadtpark, beim Schlittenfahren. William Kazcamakis fuhr den Berg herunter. Eiskalte Luft pfiff ihm um die Ohren und sein Schal flatterte heftig im Fahrtwind. Kurz vor dem Ende des Berges, wo es in die Ebene überging, war eine kleine Sprungschanze, über die die Jungs um die Wette sprangen. Bisher hatte William immer hinter Buck und Hardy gelegen. Doch diesmal lag er mit der Nase vorn. Er hatte einen Affenzahn drauf. Als er die Schanze erreichte, katapultierte sie ihn richtiggehend in die Höhe. Sein Sprung gelang weiter – William überflog die Markierungen seiner Freunde, welche die Jungs im Schnee gezogen hatten und ließ sie mehrere Meter hinter sich. Aber der Schlitten setzte schräg auf und William landete unsanft im Schnee. Nun raste der Schlitten führerlos das Fußende des Berges hinunter, bis ihn Buck, der Nachbarsjunge, erwischte. Buck zog ihn an der Leine die paar Meter zu William zurück. Als er etwa eineinhalb Meter vor William stand, warf ihm Buck die Schnur mit der Schlaufe entgegen, an welcher der Schlitten befestigt war. William bekam die Hände zum Fangen nicht schnell genug hoch und die Schlaufe knallte ihm auf den Mund. Es war kein fester Schlag, aber er hatte ausgereicht: William spuckte einen Schneidezahn aus.

Er war ihm genau in der Mitte abgebrochen.

Dr. Hacke, der Zahnarzt, zu dem ihn die Mutter später brachte, war ein dicklicher, älterer Arzt, der kurz vor der Pensionierung stand. Er hatte gütige, warme Augen, in einem rundlichen, von Falten durchzogenen Gesicht. Auf seinen Lippen lag ein immerwährendes Lächeln. Dr. Hacke reichte William als erstes einen zuckerfreien Himbeerlutscher, bevor er ihn auf den Zahnarztstuhl bat.

Dr. Hacke konnte mit Kindern – während er William eine Spritze verabreicht hatte und den restlichen Zahn zog, unterhielt ihn Hacke geschickt mit einer hölzernen Fingerpuppe. William war so abgelenkt, dass er weder die Spritze noch das Reißen richtig mitkriegte.

Als William fertig war, musste er sich eine Packung Eis auf die Backe drücken. Dafür hatte ihm Dr. Hacke nochmals zehn weitere Lutscher in die Hand gesteckt.

Doch beim Hinausgehen, nahm Dr. Hacke Williams Mutter zur Seite. Sie müsse wiederkommen, sagte er ihr, William habe schlechte Zähne. »Vielleicht eine Mineralstörung oder erblich bedingt«, flüsterte er ihr ins Ohr und zuckte ratlos mit den Schultern.

Als Williams Mutter eine Woche darauf einen Nachfolgetermin ausmachen wollte, hieß es Dr. Hacke sei erkrankt und ob er überhaupt noch einmal wiederkommen würde, stehe noch nicht fest – da er vielleicht anschließend in Rente gehen wolle.

Ob dann, in diesem Fall, ein Nachfolger seine Praxisräume beziehen werde, sei noch offen – Frau Kazcamakis solle sich doch bitte in zwei Wochen nochmal melden.

Am folgenden Freitag, gegen Abend, klagte William über Zahnschmerzen. Die Mutter gab ihm eine Gewürznelke. Auf die sollte er beißen und sie mit der Zunge gegen den Zahn drücken. Doch es half nur zeitweilig. Schon in der Nacht plagten ihn die Schmerzen erneut. Seine Eltern hörten ihn im Schlaf stöhnen. Und Samstag nach dem Mittagessen waren die Schmerzen dann so schlimm, dass William in Tränen ausbrach und er sich die ganze Zeit einen eiskalten Waschlappen an die Wange hielt. Es bliebe nur der Notzahnarzt, meinte seine Mutter, zu dem sie könnten. Doch William schrie nach Dr. Hacke, nur zu ihm wollte er, flehte er heulend. William hatte eine panische Angst vor einem fremden Zahnarzt. Sonntag waren die Schmerzen dann aber so schlimm, dass William ununterbrochen vor Schmerzen schrie. Sein Heulen klang derart hysterisch, dass seine Mutter einen Kollaps befürchtete und ihn schließlich an der Hand, hinter sich her ins Auto zerrte. Zuvor hatte sie im Notdienstkalender die Adresse des diensthabenden Zahnarztes herausgesucht.

Es war ein heruntergekommenes Haus indem sich die Praxis befand, welches so ganz und gar nicht zu dem übrigen Erscheinungsbild der Stadt Quincy passte. Doch was half es, der Junge hatte Zahnschmerzen und irgendwer musste helfen, da war es egal wie das Haus oder die Praxis aussah. Hauptsache der Mann war Arzt. Frau Kazcamakis drückte die Klingel.

Dr. Allen, ein verlebter Mann Mitte fünfzig, wirkte verschlafen und missgelaunt, als die Frau mit dem heulenden Kind an der Tür erschien.

Nach einem vorwurfsvollen – ob es denn so dringlich wäre, schließlich sei es Sonntag –, lotste er die beiden ins Wartezimmer und bat sie kurz Platz zu nehmen, während er widerwillig das Behandlungszimmer vorbereite. Frau Kazcamakis hatte ihm erklärt: der Junge habe schon seit Freitag Zahnschmerzen.

Auch das Wartezimmer befand sich in einem heruntergekommenen Zustand. Die Stühle im Wartezimmer waren abgenutzt und durchgesessen, die Polster eines kleinen Zweisitzer-Sofas eingerissen, die Wände vergilbt, und der Linoleumfußboden war mit Rissen durchzogen und von Staubflusen übersät. Hier hatte schon lange niemand sauber gemacht.

Der Vaporacer-Man

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