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Politischer Kitsch hat Hochkonjunktur. Sentimentale Worthülsen, penetrante Gefühligkeit, süßliche Bilder und betroffenheitsschwangere Gesten bestimmen den öffentlichen Diskurs. Die gesellschaftlichen Debatten sind geprägt von einer Mischung aus aggressiver Rührseligkeit, überspannter Empfindsamkeit und peinlichen Politritualen.

Doch Konjunktur hat nur, was auch erfolgreich ist. Das bedeutet: Kitschige Politkommunikation wird häufig nicht als unpassend oder peinlich empfunden, sondern als authentisch und ehrlich. Politiker oder Aktivisten, die sich kitschiger Floskeln und Inszenierungen bedienen, wirken anscheinend besonders glaubwürdig, einfühlsam und bodenständig. Larmoyanz, Sentimentalität und eine leicht hysterische Überreiztheit wird von vielen Menschen nicht als unangemessen oder aufdringlich empfunden, sondern als wohltuender Kontrast zum sachlichen Realpolitiker und kühlen Politprofi. Kitschige Kommunikation, so ist zu vermuten, gilt als Indiz für Menschlichkeit, echte Gefühle und Anteilnahme. Und Gefühle und Anteilname sind etwas, was Menschen zunehmend auch von Politikern erwarten. Kurz: Es gibt ein Bedürfnis nach politischem Kitsch, sonst gäbe es ihn nicht.

Das bedeutet zugleich, dass Kitsch als Mittel öffentlicher Kommunikation kein isoliertes Phänomen politischer Ästhetik ist, sondern Ausdruck psychosozialer Entwicklungen. Der Siegeszug des politischen Kitsches ist Teil eines soziologisch und kulturell bedingten Mentalitätswandels. Der allerdings ist alles andere als harmlos. Denn eine Gesellschaft, die politische Fragen zunehmend im Modus zur Schau getragener Gefühligkeit behandelt, weil andere Formen der Kommunikation als zu nüchtern, abgeklärt oder sachbezogen empfunden werden, verweigert sich der Realität und gefährdet ihre Fähigkeit, Herausforderungen schnell und effizient zu lösen. Insbesondere die Massenmedien bevorzugen es, betroffenheitsschwanger tragische Schicksale und verzweifelte Menschen vorzuführen und so sachliche Diskussionen im Keim zu ersticken. Das ist auch deshalb problematisch, weil politischer Kitsch unverkennbar autoritäre Politik zu legitimieren scheint. Wenn Augenmaß, Sachverstand und Nüchternheit verloren gehen, wenn die Gesellschaft rhetorisch in einen andauernden Alarmzustand versetzt wird, wenn überspannte Emotionen und süßliches Pathos die öffentliche Debatte bestimmen, dann sind rationale Diskussionen kaum noch sinnvoll führbar. Dann dominieren von Aktivisten geschürte Affekte und Ressentiments die öffentlichen Diskussionen. Der Raum der überhaupt noch als legitim empfundenen Meinungen wird permanent enger. Jeder, der nicht bereit ist, sich auf den verkitschten Diskurs einzulassen, wird als Unmensch entlarvt. Politischer Kitsch ist daher nicht einfach nur ein Verstoß gegen die politische Ästhetik und eine Beleidigung der nüchternen Vernunft, sondern auch eine Gefahr für die offene Gesellschaft.

Politischer Kitsch

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