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Vorrede

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Ich übergebe am späten Abend eines vielbewegten Lebens dem deutschen Publikum ein Werk, dessen Bild in unbestimmten Umrissen mir fast ein halbes Jahrhundert lang vor der Seele schwebte.1 In manchen Stimmungen habe ich dieses Werk für unausführbar gehalten und bin, wenn ich es aufgegeben, wieder, vielleicht unvorsichtig, zu demselben zurückgekehrt. Ich widme es meinen Zeitgenossen mit der Schüchternheit, die ein gerechtes Mißtrauen in das Maß meiner Kräfte mir einflößen muß. Ich suche zu vergessen, daß lange erwartete Schriften gewöhnlich sich minderer Nachsicht zu erfreuen haben.

Wenn durch äußere Lebensverhältnisse und durch einen unwiderstehlichen Drang nach verschiedenartigem Wissen ich veranlaßt worden bin, mich mehrere Jahre und scheinbar ausschließlich mit einzelnen Disziplinen: mit beschreibender Botanik, mit Geognosie, Chemie, astronomischen Ortsbestimmungen und Erdmagnetismus als Vorbereitung zu einer großen Reiseexpedition zu beschäftigen, so war doch immer der eigentliche Zweck des Erlernens ein höherer. Was mir den Hauptantrieb gewährte, war das Bestreben, die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhang, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen. Ich war durch den Umgang mit hochbegabten Männern früh zu der Einsicht gelangt, daß ohne den ernsten Hang nach der Kenntnis des einzelnen alle große und allgemeine Weltanschauung nur ein Luftgebilde sein könne. Es sind aber die Einzelheiten im Naturwissen ihrem inneren Wesen nach fähig, wie durch eine aneignende Kraft sich gegenseitig zu befruchten. Die beschreibende Botanik, nicht mehr in den engen Kreis der Bestimmung von Geschlechtern und Arten festgebannt, führt den Beobachter, welcher ferne Länder und hohe Gebirge durchwandert, zu der Lehre von der geographischen Verteilung der Pflanzen über den Erdboden nach Maßgabe der Entfernung vom Äquator und der senkrechten Erhöhung des Standortes. Um nun wiederum die verwickelten Ursachen dieser Verteilung aufzuklären, müssen die Gesetze der Temperaturverschiedenheit der Klimate wie der meteorologischen Prozesse im Luftkreis [= Atmosphäre] erspäht werden. So führt den wißbegierigen Beobachter jede Klasse von Erscheinungen zu einer anderen, durch welche sie begründet wird oder die von ihr abhängt.

Es ist mir ein Glück geworden, das wenige wissenschaftliche Reisende in gleichem Maß mit mir geteilt haben: das Glück, nicht bloß Küstenländer, wie auf den Erdumseglungen, sondern das Innere zweier Kontinente in weiten Räumen, und zwar da zu sehen, wo diese Räume die auffallendsten Kontraste der alpinen Tropenlandschaft von Südamerika mit der öden Steppennatur des nördlichen Asien darbieten. Solche Unternehmungen mußten bei der eben geschilderten Richtung meiner Bestrebungen zu allgemeinen Ansichten aufmuntern, sie mußten den Mut beleben, unsere dermalige Kenntnis der siderischen [astronomischen] und tellurischen [irdischen] Erscheinungen des Kosmos in ihrem empirischen Zusammenhang in einem einzigen Werk abzuhandeln. Der bisher unbestimmt aufgefaßte Begriff einer physischen Erdbesehreibung ging so durch erweiterte Betrachtung, ja nach einem vielleicht allzu kühnen Plan, durch das Umfassen alles Geschaffenen im Erd- und Himmelsraum in den Begriff einer physischen Weltbeschreibung über.

Bei der reichen Fülle des Materials, welches der ordnende Geist beherrschen soll, ist die Form eines solchen Werkes, wenn es sich irgendeines literarischen Vorzugs erfreuen soll, von großer Schwierigkeit. Den Naturschilderungen darf nicht der Hauch des Lebens entzogen werden, und doch erzeugt das Aneinanderreihen bloß allgemeiner Resultate einen ebenso ermüdenden Eindruck wie die Anhäufung zu vieler Einzelheiten der Beobachtung. Ich darf mir nicht schmeicheln, so verschiedenartigen Bedürfnissen der Komposition genügt, Klippen vermieden zu haben, die ich nur zu bezeichnen verstehe. Eine schwache Hoffnung gründet sich auf die besondere Nachsicht, welche das deutsche Publikum einer kleinen Schrift, die ich unter dem Titel ›Ansichten der Natur‹ gleich nach meiner Rückkunft aus Mexico veröffentlicht habe, lange Zeit geschenkt hat. Diese Schrift behandelte einzelne Teile des Erdlebens (Pflanzengestaltung, Grasfluren und Wüsten) unter generellen Beziehungen. Sie hat mehr durch das gewirkt, was sie in empfänglichen, mit Phantasie begabten jungen Gemütern erweckt hat, als durch das, was sie geben konnte. In dem ›Kosmos‹, an welchem ich jetzt arbeite, wie in den ›Ansichten der Natur‹ habe ich zu zeigen gesucht, daß eine gewisse Gründlichkeit in der Behandlung der einzelnen Tatsachen nicht unbedingt Farblosigkeit in der Darstellung erheischt.

Da öffentliche Vorträge ein leichtes und entscheidendes Mittel darbieten, um die gute oder schlechte Verkettung einzelner Teile einer Lehre zu prüfen, so habe ich viele Monate lang erst zu Paris in französischer2 und später zu Berlin in unserer vaterländischen Sprache fast gleichzeitig in der großen Halle der Singakademie und in einem der Hörsäle der Universität3 Vorlesungen über die physische Weltbeschreibung, wie ich die Wissenschaft aufgefaßt habe, gehalten. Bei freier Rede habe ich in Frankreich und Deutschland nichts über meine Vorträge schriftlich aufgezeichnet. Auch die Hefte, welche durch den Fleiß aufmerksamer Zuhörer entstanden sind,4 blieben mir unbekannt und wurden daher bei dem jetzt erscheinenden Buch auf keine Weise genutzt. Die ersten vierzig Seiten des ersten Bandes abgerechnet, ist alles von mir in den Jahren 1843 und 1844 zum ersten Mal niedergeschrieben. Wo der jetzige Zustand des Beobachteten und der Meinungen (die zunehmende Fülle des ersteren ruft unwiederbringlich Veränderungen in den letzteren hervor) geschildert werden soll, gewinnt, glaube ich, diese Schilderung an Einheit, an Frische und innerem Leben, wenn sie an eine bestimmte Epoche geknüpft ist. Die Vorlesungen und der ›Kosmos‹ haben also nichts miteinander gemein als etwa die Reihenfolge der Gegenstände, die sie behandeln. Nur den „einleitenden Betrachtungen“ habe ich die Form einer Rede gelassen, in die sie teilweise eingeflochten waren.

Den zahlreichen Zuhörern, welche mit so viel Wohlwollen meinen Vorträgen im Universitäts-Gebäude gefolgt sind, ist es vielleicht angenehm, wenn ich als eine Erinnerung an jene längst verfloßne Zeit, zugleich aber auch als ein schwaches Denkmal meiner Dankgefühle hier die Verteilung der einzeln abgehandelten Materien unter die Gesamtzahl der Vorlesungen (vom 3. November 1827 bis 26. April 1828, in 61 Vorträgen) einschalte: Wesen und Begrenzung der physischen Weltbeschreibung, allgemeines Naturgemälde 5 Vorträge; Geschichte der Weltanschauung 3, Anregungen zum Naturstudium 2, Himmelsräume 16; Gestalt, Dichte, innere Wärme, Magnetismus der Erde und Polarlicht 5; Natur der starren Erdrinde, heiße Quellen, Erdbeben, Vulkanismus 4; Gebirgsarten, Typen der Formationen 2; Gestalt der Erdoberfläche, Gliederung der Kontinente, Hebung auf Spalten 2; tropfbar-flüssige Umhüllung: Meer 3, elastisch-flüssige Umhüllung, Atmosphäre, Wärmeverteilung 10; geographische Verteilung der Organismen im allgemeinen 1; Geographie der Pflanzen 3, Geographie der Tiere 3, Menschenrassen 2.

Der erste Band meines Werks enthält: Einleitende Betrachtungen über die Verschiedenartigkeit des Naturgenusses und die Ergründung der Weltgesetze, Begrenzung und wissenschaftliche Behandlung der physischen Weltbeschreibung; ein allgemeines Naturgemälde als Übersicht der Erscheinungen im Kosmos. Indem das allgemeine Naturgemälde von den fernsten Nebelflecken und kreisenden Doppelsternen des Weltraums zu den tellurischen Erscheinungen der Geographie der Organismen (Pflanzen, Tiere und Menschenrassen) herabsteigt, enthält es schon das, was ich als das Wichtigste und Wesentlichste meines ganzen Unternehmens betrachte: die innere Verkettung des Allgemeinen mit dem Besonderen; den Geist der Behandlung in Auswahl der Erfahrungssätze, in Form und Stil der Komposition. Die beiden nachfolgenden Bände5 sollen die Anregungsmittel zum Naturstudium (durch Belebung von Naturschilderungen, durch Landschaftsmalerei und durch Gruppierung exotischer Pflanzengestalten in Treibhäusern), die Geschichte der Weltanschauung, d.h. der allmählichen Auffassung des Begriffs vom Zusammenwirken der Kräfte in einem Naturganzen und das Spezielle der einzelnen Disziplinen enthalten, deren gegenseitige Verbindung im Naturgemälde des ersten Bandes angedeutet worden ist. Überall sind die bibliographischen Quellen, gleichsam die Zeugnisse von der Wirklichkeit und dem Wert der Beobachtungen, da, wo es mir nötig schien, sie in Erinnerung zu bringen, vom Text getrennt und mit Angabe der Seitenzahl in Anmerkungen an das Ende eines jeden Abschnittes verwiesen. Von meinen eigenen Schriften, in denen ihrer Natur nach die Tatsachen mannigfaltig zerstreut sind, habe ich immer vorzugsweise nur die Originalausgaben angeführt, da es hier auf große Genauigkeit numerischer Verhältnisse ankam und ich in Beziehung auf die Sorgfalt der Übersetzer von großem Mißtrauen erfüllt bin. Wo ich in seltenen Fällen kurze Sätze aus den Schriften meiner Freunde entlehnt habe, ist die Entlehnung durch den Druck selbst zu erkennen. Ich ziehe nach der Art der Alten die Wiederholung derselben Worte jeder willkürlichen Substituierung uneigentlicher oder umschreibender Ausdrücke vor. Von der in einem friedlichen Werk so gefahrvoll zu behandelnden Geschichte der ersten Entdeckungen wie von vielbestrittenen Prioritätsrechten ist in den Anmerkungen selten die Rede. Wenn ich bisweilen des klassischen Altertums und der glücklichen Übergangsperiode des durch große geographische Entdeckungen wichtig gewordenen 15. und 16. Jahrhunderts erwähnt habe, so ist es nur geschehen, weil in dem Bereich allgemeiner Ansichten der Natur es dem Menschen ein Bedürfnis ist, sich von Zeit zu Zeit dem Kreis streng dogmatisierender moderner Meinungen zu entziehen und sich in das freie, phantasiereiche Gebiet älterer Ahnungen zu versenken.

Man hat es oft eine nicht erfreuliche Betrachtung genannt, daß, indem rein literarische Geistesprodukte gewurzelt sind in den Tiefen der Gefühle und der schöpferischen Einbildungskraft, alles, was mit der Empirie, mit Ergründung von Naturerscheinungen und physischen Gesetzen zusammenhängt, in wenigen Jahrzehnten, bei zunehmender Schärfe der Instrumente und allmählicher Erweiterung des Horizonts der Beobachtung eine andere Gestaltung annimmt; ja daß, wie man sich auszudrücken pflegt, veraltete naturwissenschaftliche Schriften als unlesbar der Vergessenheit übergeben sind. Wer von einer echten Liebe zum Naturstudium und von der erhabenen Würde desselben beseelt ist, kann durch nichts entmutigt werden, was an eine künftige Vervollkommnung des menschlichen Wissens erinnert. Viele und wichtige Teile dieses Wissens, in den Erscheinungen der Himmelsräume wie in den tellurischen Verhältnissen, haben bereits eine feste, schwer zu erschütternde Grundlage erlangt. In anderen Teilen werden allgemeine Gesetze an die Stelle der partikularen treten, neue Kräfte ergründet, für einfach gehaltene Stoffe vermehrt oder zergliedert werden. Ein Versuch, die Natur lebendig und in ihrer erhabenen Größe zu schildern, in dem wellenartig wiederkehrenden Wechsel physischer Veränderlichkeit das Beharrliche aufzuspüren, wird daher auch in späteren Zeiten nicht ganz unbeachtet bleiben.

Potsdam, im November 1844

1 Zum Charakter dieser ältesten Rückschreibung des Kosmos-Planes S. im Kommentar ›Kosmos‹, Teilband 2, S. 348.

2 Humboldt hielt von Ende 1825 bis Anfang 1827 14 Monate hindurch Vorlesungen über Physikalische Geographie bei der Marquise de Montauban.

3 Die Reihenfolge der Vorträge war umgekehrt: Vom 3.11.1827 bis zum 26.4.1828 las er 61mal in der Universität, vom 6.12.1827 bis zum 27.4.1828 16mal in der Singakademie, und zwar in beiden Fällen eindeutig über Physikalische Geographie.

4 Mehrere Kollegnachschriften haben sich erhalten, nur eine wurde publiziert; darüber S. den Kommentar, Teilband 2, S. 364, Anm. 33.

5 Der Kosmos sollte damit ursprünglich nur in drei Bänden erscheinen.

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