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Das weiße Eselchen
ОглавлениеUnd sie kamen eilend
und fanden beide, Maria und Joseph,
dazu das Kind in der Krippe liegen.
Lukas, 2.16.
Zu einer Zeit als die Menschen noch an Wunder glaubten und Wunder auch noch geschahen, lebte im Heiligen Land ein Hirte, der hütete in der Einöde seine Schafe. Er zog mit ihnen immer dorthin, wo er Nahrung für sie vermutete, die vor allem in der heißen Jahreszeit schwer zu finden war.
Der Hirte hatte neben seiner Schafherde und seinem unentbehrlichen Schäferhund noch zwei Esel. Der eine Esel war ein schönes, starkes Tier mit glänzendem, grauem Fell und selbstbewusstem Auftreten. Er war seines Herrn Liebling, der ihn sich auch als Reittier auserkoren hatte. Der andere Esel war noch jung, aber er war nie sehr groß und stark geworden. Er hatte krumme Beine und einen dürren Leib. Ihm packte der Hirte alles auf, was er so zum täglichen Leben brauchte. Und das war für den kleinen Esel eine gewaltige Last und jedes Mal eine ungeheure Anstrengung. So sehr er sich auch bemühte, seinem Herrn zu gefallen, und das zu leisten, was man von ihm erwartete, so wenig gelang es ihm. So stolperte er immer weit hinter der Herde her, was den Hirten unwillig machte. Regelmäßig gab es Stockschläge, so dass das Fell des armen kleinen Esels durch Lasten und Schläge geschunden und wund war. Keiner fand Gefallen an ihm oder hatte Mitleid mit ihm, am wenigsten der andere Esel. Im Gegenteil, der wusste seine eigene Stärke auszunützen, um bei jeder Gelegenheit den größten Teil der Nahrung und des Wassers zu bekommen und schön und stark zu bleiben. Der kleine Esel, dagegen, wurde immer magerer und schwächer. Denn sein Herr war ein schlechter Hirte, er kümmerte sich nur um die Tiere, auf die er glaubte, stolz sein zu können.
Als nun die ganz heiße Jahreszeit kam, wo die Sonne erbarmungslos die Einöde versengte und die Nahrung immer spärlicher wurde, geschah es eines Morgens, dass der kleine Esel so schwach geworden war, dass er sich gar nicht mehr erheben konnte. Der Hirte versuchte ihn mit Beschimpfungen und Stockschlägen auf die Beine zu bringen. Das Eselchen gab sich redlich Mühe, aber es gelang ihm nicht. Als nun der Hirte sah, dass es aussichtslos war, ließ er ihn mitten in der Einöde liegen und zog mit seiner Herde weiter. Der andere Esel musste nun den Hausrat tragen, was er nur sehr unwillig tat.
Das Eselchen lag auf der harten Erde und konnte sich kaum noch bewegen. Als die Stunden vergingen und es immer heißer wurde, begannen ihm die Sinne zu schwinden. Noch sah er in der flimmernden Hitze, große, dunkle Vögel mit krummen Schnäbeln, die über ihm immer engere Kreise zogen, bis zwei von ihnen sich schließlich vor ihm auf den Boden hockten. Er hatte Angst vor ihnen, denn sie hatten Böses mit ihm vor. Mit seinen Hufen versuchte er sie zu verscheuchen, doch vergeblich.
„Dieses hässliche Tier wird nicht mehr lange leben!“ hörte er den einen Vogel sagen.
„Heute werden wir mal wieder reichlich zu fressen bekommen!“ antwortete der andere.
„Sie haben recht, ich bin ein hässliches, nutzloses Tier und ich verdiene nichts Besseres!“ dachte der kleine Esel. Damit schwanden ihm endgültig die Sinne. Und was dann geschah, erlebte er wie in einem Traum.
Er hörte Stimmen in der Ferne. Aber es dauerte lange, bis er unterscheiden konnte, wer sich da näherte. Es waren mehrere Gestalten, in weite, einfache Gewänder gehüllt, die mit langsamen, gleichmäßigen Schritten auf ihn zukamen. Musste er wieder Angst haben? Er schloss vorsichtshalber die Augen. Und als er sie wieder aufschlug, blickte er in ein junges, bärtiges Gesicht, das ihn mit so viel Liebe und Zärtlichkeit aus seinen dunklen Augen ansah, wie es dem kleinen Esel bei den Menschen noch nie geschehen war.
Der Mann hatte sich vor ihm niedergelassen und den Kopf des kleinen Esels unendlich behutsam auf seinen Schoß gebettet.
„Er lebt noch!“ sagte er mit einer tiefen, warmen Stimme. „Gebt mir doch mal den Wassersack und ein Stückchen Brot herüber.“
„Von beidem ist nicht mehr viel da und unser Weg ist noch weit!“ erwiderte einer seiner Gefährten.
„Glaube mir, was ich diesem kleinen Esel von unserer Nahrung und unserem Trunk einflössen werde, wird uns nicht abgehen. Diesem kleinen Esel, hingegen, wird es die Kraft und den Glauben an sich selbst und an andere zurückgeben!“
Und damit begann er aus der hohlen Hand ganz sanft dem kleinen Esel das ausgetrocknete Maul und die geschwollene Zunge mit Wasser zu benetzen. Der kleine Esel fühlte es in der brennenden Hitze wie einen kühlen, wohltuenden Lufthauch. Auch spürte er, wie man ihm vorsichtig und liebevoll ein Stückchen angefeuchtetes Brot nach dem anderen zwischen die Zähne schob. Es war ihm, als wollte es gar kein Ende nehmen. Er wurde zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wirklich satt. Diese Speise war nicht nur Brot und Wasser, sie schmeckte so köstlich wie Muttermilch und machte ihn stark und fröhlich. Er fühlte sich gesunden und schlief in der nun kühleren Abendluft ganz tief ein.
Als der kleine Esel wieder erwachte, war es Nacht geworden und er war allein in der Einöde. Er sah noch deutlich die sanften, dunklen Augen vor sich, aber wusste nicht, ob es ein Traum gewesen war oder Wirklichkeit. Er fühlte sich so wohl und kräftig, wie schon lange nicht mehr und kam ohne Schwierigkeiten auf die Beine. Die Nacht war kühl und über ihm glitzerten Tausende von Sternen. Der Hirte hatte ihn herzlos im Stich gelassen, jemand hatte sich liebevoll seiner angenommen und ihm geholfen zu überleben. Jetzt war er frei. Ohne zu wissen wohin, machte er sich auf den Weg, um sich einen neuen Herrn zu suchen. Dabei musste er immer wieder an jene sanften, dunklen Augen denken.
Nach einer langen Wanderung gelangte er an einen Ort, an dem viele Tiere versammelt waren: Esel, Pferde, Kamele und auch Schafe. Es war noch früh am Morgen, aber es herrschte schon emsiges Treiben. Ein dicker Mann mit einem großen Lachen auf dem Gesicht kam ihm entgegen. „Ach, mein lieber grauer Freund! Du bist ja ein sehr schöner Esel! Komm ruhig näher! Du wirst hungrig sein, wir werden dich füttern!“ Der kleine Esel glaubte schon, die ganze Welt sei plötzlich besser geworden. Er freute sich und ließ es gerne gewähren, dass er gefüttert, getränkt und in ein großes Gehege gesperrt wurde. Der dicke Mann sah ihn dabei aus listigen Augen an.
Als der kleine Esel im Gehege stand und niemand von ihm verlangte, schwere Lasten zu tragen, wandte er sich an einen alten Esel.
“Ich bin ganz erstaunt, dass man hier so freundlich behandelt und gut verpflegt wird, ohne dafür arbeiten zu müssen.“
„Du bist einfältig, junger Freund, wenn du denkst, dass es sich um Freundlichkeit handelt. Hier wird nur billig gekauft, gemästet und teuer verkauft. Ob es dir gut geht oder nicht, ist dem dicken Mann dort ganz gleichgültig. Für ihn ist die Hauptsache, dass du halbwegs gesund und stark aussiehst, damit er dich zu einem guten Preis wiederverkaufen kann. Er ist Viehhändler und sehr lange wirst du hier nicht bleiben. Wichtig ist, wo du dann hinkommst und wie man dich dort behandelt. Aber das erfährst du erst, wenn es für dich vielleicht schon zu spät ist. Und dem dicken Mann ist das auch gleichgültig, solange er ein gutes Geschäft gemacht hat.“
„Aber er hat mich ja gar nicht gekauft. Ich bin freiwillig hierhergekommen!“
„Das ändert gar nichts an dem, was ich dir eben gesagt habe. Nur wird der dicke Mann mit dir ein besonders gutes Geschäft machen. Kein Wunder, dass er dich so gut gefüttert hat!“ Dabei lachte der alte Esel, dass ihm die Ohren wackelten. Der kleine Esel aber war traurig, denn er hatte wirklich geglaubt, der dicke Mann wäre sein Freund. Hier konnte er also auch nicht bleiben. Er dachte wieder an die sanften, braunen Augen und wollte sie suchen. Aber er war ja in einem Gehege eingesperrt. Und schon am nächsten Tag kamen Käufer aus der Einöde, die ihm auf das Hinterteil schlugen, dass er zurücksprang, die ihm das Maul aufrissen, als hätte er etwas darin versteckt, und die dann endlos mit dem dicken Viehhändler um den kleinen Esel und um andere Tiere schacherten.
„Verschlagener Schakal, der du bist!“ sagte einer der Käufer, als sie über das Eselchen sprachen, “Du willst uns für teures Geld dieses elende, alte Gerippe hier andrehen? Das geht ja ein, bevor wir unsere Zelte erreichen!“
„Edle Wüstensöhne! Seht doch! Es ist ein starkes, junges Tier, wenn auch noch nicht ausgewachsen. Zu dem Preis ein wahres Geschenk!!“ Und so feilschten sie fort. Aber am Abend war der kleine Esel immer noch im Gehege und beschloss zu fliehen. Der erste Eindruck dessen, was ihm hier bevorstand, hatte ihm genügt.
Es dauerte eine Weile, bis er in der Lehmmauer, die das Gehege umschloss, eine Stelle gefunden hatte, an der die Lehmziegel locker geworden waren. Und es dauerte noch länger bis er mit seinen Hufen und mit seinem Maul so viele davon vorsichtig heruntergestoßen hatte, dass er sich durch die entstandene Lücke unbemerkt durchzwängen konnte. Nun war er wieder frei und wanderte hinaus in die Einöde.
Nach zwei Tagen Wanderung lief er einem römischen Centurio über den Weg, der hoch zu Ross mit seinem Trupp Soldaten zu einer Festung in der Einöde unterwegs war.
„Du kommst uns ja gerade recht, Eselchen! Zum Soldatentier taugst du nicht, aber der Marcelina werde ich dich schenken! Die wollte doch schon immer reiten!“
Die Marcelina war ein rundliches, junges Weib, das sich um die Küche der Hundertschaft kümmerte. Ihre Augen strahlten, als man ihr das unverhoffte Geschenk zuführte. Sie warf dem Centurio eine Kusshand zu, schlang ihre starken Arme um den Hals des Esels und küsste ihn mit ihren vollen, roten Lippen.
„Ach, du reizender, süßer, armer, kleiner Esel! Du siehst ja gar nicht sehr gesund aus. Aber warte nur, du wirst sehen, die Marcelina wird sich um deine Wunden kümmern!“
Damit nahm sie eine bunte Decke aus ihrem Tross und warf sie dem kleinen Esel über den Rücken, damit man seine wunden Stellen nicht mehr sähe. Dann schmückte sie ihr neues Spielzeug mit bunten Schleifen und Bändern, bis der Esel wie ein Zirkustier aussah. Dabei lachte sie und klatschte in die Hände. Als sie fertig war, setzte sie sich auf seinen Rücken. Marcelina war nun nicht gerade leicht und so hatte das Eselchen mal wieder schwer zu tragen, umso mehr als sie ihm mit einer Gerte über die Schenkel schlug, sobald er seinen Schritt verlangsamte. Als dann endlich der Abend kam, und die Soldaten ihr Lager aufschlugen, war er erschöpft und hungrig, und sein Rücken tat ihm weh. Marcelina gab ihm zwar zu essen, aber vergaß vor Freude über ihr neues Reiterglück völlig, sich um seine Wunden zu kümmern, wie sie es angekündigt hatte.
So merkte der kleine Esel voller Enttäuschung, dass er der eitlen Dirne nur als Zierrat diente, der hübsch bunt auszusehen und sie flott zu tragen hatte, sie im übrigen aber nicht wirklich an ihm interessiert war.
Als daher die Feuer des Nachtlagers heruntergebrannt und die Soldaten, in ihre Tuniken gehüllt, auf dem nackten Boden eingeschlafen waren und auch Marcelina nicht mehr zu sehen war, riss das Eselchen sich los und galoppierte wieder hinaus in die Einöde.
Mehrere Tage und Nächte wanderte der kleine Esel herum, ohne irgend jemandem zu begegnen oder auf ein Zeltlager zu stoßen. Ganz müde und traurig legte er sich eines Abends in den langen Schatten eines Dornbusches zum Ausruhen nieder. Mehrmals stieß er seinen heiseren Schrei aus, aber niemand antwortete. Da begann sich zu fragen, ob er gut daran getan hatte, Marcelina verlassen zu haben. Aber bevor er eine Antwort finden konnte, war er eingeschlafen.
Das Rauschen von Flügeln in der Luft und das Stampfen von Hufen auf der trockenen Erde ließ ihn wieder wach werden.
„Was ist denn los? Wovor flieht ihr denn alle?“ fragte der kleine Esel ganz erschrocken ein vorbei galoppierendes Kamel.
„Wir fliehen ja nicht! Im Gegenteil!!“
„Wo rennt ihr denn dann alle hin?“ fragte das Eselchen weiter, aber das Kamel war schon längst vorüber.
„In den Stall von Bethlehem! In den Stall von Bethlehem!!“ rief ihm ein Storch zu, der seine Frage gehört hatte.
„Und wie kommt man nach Bethlehem?“ wollte der kleine Esel wissen, doch der Storch war schon wieder weit weg.
„Immer auf den Stern zu!!“ antwortete ihm dagegen ein Wüstenfuchs, der auch dort entlang schnürte.
Da machte sich der kleine Esel auf und folgte all denen, die in die Richtung zogen, in der am Horizont ein heller Stern mit einem langen Schweif leuchtete. Er fühlte auf einmal wieder dieselbe Kraft und dieselbe Freude, wie in der Nacht verspürt hatte, in der er dem Tode so nahe gewesen war.
Es war gegen Mitternacht, als er das Städtchen Bethlehem mit seinen vielen weißen Häusern erreichte. Das Stadttor war fest verschlossen und alles lag in tiefem Schlaf. Die Schar der Tiere aber lief außen an der hohen Stadtmauer entlang bis hin zu einem kleinen, gegen die Felder offenen Gemäuer, in dem Stroh gelagert war, und das wohl den Kühen und Schafen als Unterstand diente, wenn sie nicht in der Einöde weideten. Das also sollte der Stall von Bethlehem sein, zu dem alle Welt hinstrebte? Der kleine Esel hatte sich etwas Besseres vorgestellt.
Vor diesem Stall standen nun stumm viele Tiere und auch eine Schar Hirten, alte und junge, die sich alle aus der Einöde kommend hier eingefunden hatten, um zu sehen, was in diesem Stall so Besonderes geschehen war. Aber was war denn geschehen? fragte sich der kleine Esel, der ganz hinten stand und nicht sah, was es im Inneren zu sehen gab.
„Das Christkind! Schaut das Christkind!!“ hörte er die Hirten flüstern.
Da drängelte er sich vorsichtig durch die vielen Menschen und Tiere, um auch zu sehen. Und er sah eine junge Frau, die sich mit liebevoller Hingabe über ein Neugeborenes beugte, das auf Stroh gebettet in einem Futtertrog lag. Über sie wachte ein älterer Mann. Das Eselchen spürte, dass große Glückseligkeit von dieser kleinen Familie ausging.
Als das kleine Kind, das die Hirten das Christkind nannten, des Eselchens gewahr wurde, streckte es beide Arme nach ihm aus, so dass das Tier auf die Krippe zutrabte und vertrauensvoll sein Maul vor ihm ins Stroh legte. Die junge Frau ließ es gewähren, denn das Christkind begann nun zärtlich das Maul des kleinen Esels zu streicheln. Und der Esel sah, wie ihm aus diesen Kinderaugen dieselbe Liebe entgegenstrahlte, die ihn in jener Nacht in der Einöde gerettet hatte.
Und es ging eine Bewegung und ein Flüstern durch die Menge der Menschen und Tiere, die um sie herumstanden. Denn sie sahen, wie sich das hässliche, fleckig-graue Fell des kleinen Esels in eine dichte, glänzend-weiße Eselshaut verwandelte, je länger das Christkind ihn streichelte. Einen so prachtvollen Esel hatten sie noch nirgends gesehen. Das kleine Eselchen aber sah nichts, es spürte nur die sanfte Kinderhand auf seinen Nüstern und war glücklich, den Herrn gefunden zu haben, den es gesucht hatte.
Die Sonne war gerade aufgegangen, da wurde die stille Beschaulichkeit vor dem Stall durch Pferdegewieher und durch das Traben von Kamelen unterbrochen. Die Schar der Hirten und Tiere trat zur Seite und ließ einen prunkvollen Zug vor dem Stall zum Halten kommen. Der Lärm verstummte, sobald die Reisenden und ihr Gefolge das kleine Kind gewahrten. Drei reich gekleidete Könige stiegen hoch von ihren Pferden und Kamelen hernieder zu der Krippe, um dem neugeborenen König zu huldigen, um dessentwegen sie von fern hergekommen waren. Sie legten kostbare Geschenke vor ihm nieder und beugten das Knie. Und das Christkind blickte sie mit derselben Zärtlichkeit und Liebe an, mit denen es auch das Eselchen begrüßt hatte. Und als die Könige wieder auf ihre Reittiere stiegen, waren sie im Herzen reich beschenkt und zogen beglückt von dannen.
Das Eselchen aber staunte über alles, was es sah, und freute sich diesem Herrn dienen zu dürfen.
Nach nur wenigen Tagen musste die kleine Familie den Stall wieder verlassen. Ein großer Engel war ihnen erschienen, um sie zu warnen, dass der grausame alte König des Landes das kleine Christkind töten wolle, denn er dulde keinen anderen König neben sich, sei es auch nur ein neugeborener. Die junge Frau hatte Angst um ihr Kind, denn sie wusste, dass die Soldaten des Königs schnelle Pferde hatten. Sie aber war noch schwach und würde ihnen nicht entkommen können. Auch ihr Mann machte sich Sorgen. Aber der kleine Esel gab ihnen zu verstehen, dass er stark genug sei, sowohl die Mutter als auch das Kind zu tragen. Dann würden sie schneller vorankommen und die Flucht könnte gelingen.
So verließen sie eines nachts den Stall an der Stadtmauer und begaben sich auf die Wanderung in das Land Ägypten, wie der Engel es ihnen empfohlen hatte. Der kleine Esel wanderte lange Strecken mit der jungen Frau und dem Christkind auf dem Rücken und wurde nicht müde. Mit Hilfe eines Schafhirten, der die Einöde gut kannte, folgten sie Wegen, von denen die Soldaten nichts wussten. So entkamen sie dem grausamen König.
Während der langen, bangen Reise sorgte der Mann jeden Tag dafür, dass es dem kleinen Esel gut ging und er genug zu fressen und zu trinken hatte, und die junge Frau liebkoste ihn voller Dankbarkeit. Am glücklichsten aber war er, wenn das Christkind seine Hände nach ihm ausstreckte und seine Nüstern streichelte.
So begann der kleine Esel seine jahrelange Wanderung mit dem Christkind. Sie endete erst viele Jahre später, als das Christkind schon längst erwachsen geworden war. Noch als ganz alter Esel trug er seinen Herrn, gefolgt von seinen Jüngern, hinein in die große Stadt Jerusalem, an einem Tag, an dem die Menschen die Straßen mit Palmzweigen schmückten.
Wenige Tage später ist der kleine Esel eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.
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