Читать книгу Auftrag in Abrasudien - Alexander Zink - Страница 5

Neugier

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Nach einigen Wochen im Lande kannte ich schon die Strecke von der Baustelle zum Bazar, hier Suk genannt, sodass ich an einem schönen Freitagmorgen alleine und erwartungsvoll dahin fuhr. Ich beabsichtigte diese Welt der orientalischen Farben mit deren typischen exotischen Düften in dieser archaischen Atmosphäre zu genießen und mich einige Hundertjahre in der Geschichte zurück gebeamt zu fühlen.

Die verschwenderische Art und Menge der überall und vor den Läden herumliegenden Orientteppichen für Jedermann zum Bewundern oder nur darüber zu laufen, faszinierte mich. Alle waren handgeknüpft von sehr wertvoller Qualität und für vergleichbar lächerliche Preise angeboten. Die Juwelierläden sahen aus als mit 24 Karat Gold tapeziert. Riesige Kolliers und Halsketten hangen überall über die Wände und Schaufenster wie Vorhänge aus purem Gold. Hier konnte man die weltweit beste Qualität Schmuck zu unglaublich günstigen, nur Bruchteile der europäischen Preise ergattern.

Die Vielzahl an orientalischen Gewürze, ausgestellt in kunstvoller Art in verschiedenen Gruppierungen nach Farben und Größe in Körben, Schachteln oder offenen Säcken, waren ein Vergnügen fürs Auge und verbreiteten eine herrliche Mischung von Düften die einen umwarben. Die alten Kardamom oder weißen Kaffee Kannen in verschiedenen Größen und Farben, die antiken Gewähre und Jataganen sowie Kamel Sattel und eine überwältige Zahl von Reliquien einer längst vergangener Zeit, waren einfach faszinierend und luden den Besucher ein, weiter ziellos durch die Suk-Gässchen zu spazieren und sich geistig im Mittelalter zu versetzen. Ich schlenderte Ziellos von einem Bazar-Bereich zum anderen weiter in Gedanken verloren, als ich an einen Ausgang auf einem größeren Platz gelangte. Aber bevor ich umkehren wollte um die Kühle der mit Planen abgeschirmten engen Durchgänge des Bazars wieder zu suchen, bemerkte ich eine Ansammlung von Leuten auf der Plaza.

Diese unruhige Menge drängte sich entlang eines mit Seilen abgesperrten Bereiches in der Nähe eines unscheinbaren Gebäudes. Ich ging auf sie zu, immer näher, um zu prüfen was sich da abspielte. Da nichts Besonderes zu erkennen war, nahm ich an es könnte eine Ansammlung für Bekanntmachungen oder irgendeiner Feier sein, auf jeden Fall, etwas wofür ich kein Interesse hatte. Ich machte Kehrt und verschwand erneut in den Bazar. Nach etwa einer Stunde stand ich gerade zufällig wieder vor einem Ausgang zur Plaza, diesmal an einer Stelle die näher bei der Menschenmenge war. Und ich war überrascht, dass jetzt eine wesentlich größere Anzahl von Leuten da stand. Alle drängten zum abgesperrten Bereich. Ich sah Pickup Wagen und Kleinbusse auf Abstand als Kleinbühnen geparkt. Eine Anzahl von Europäer zwang sich auf ihre Kleinbusse, auf die SUVs oder auf die Plattformen derer Pritschenwagen. Jedermann versuchte eine Position mit dem besten Blick auf die abgesperrte Fläche zu ergattern. O.K. dachte ich, es sieht danach aus, als da in Kürze ein ziemlich interessantes Ereignis stattfinden wird.

Die Neugierde packte mich. Ich begann meinen Weg durch die Menge auf das Absperrseil zu erkämpfen; Falls es hier tatsächlich eine interessante Aufführung gebe, wollte ich diese auf keinen Fall verpassen.

Langsam aber stetig konnte ich mich in Richtung des abgesperrten Bereichs durch die dichte Menschenmenge vorarbeiten, bis ich das Sperrseil erreichte. Mit einer Hand auf dem Seil und einen freien Blick auf diese Sperrfläche war ich plötzlich enttäuscht dass meine harte Arbeit sinnlos war. Da war nichts Bemerkenswertes zu sehen! Einige Soldaten standen nur herum, die mörderische Sonne im Schatten des Gebäudes meidend. Ich fragte mich was ich überhaupt da tue… aber dann erfasste mich plötzlich die Spannung, Aufregung und die ansteckende Ergriffenheit der mich umgebender Masse! In allen möglichen Sprachen dieser Welt von Arabisch über Urdu zu Koreanisch und von Englisch über Französisch zu Deutsch und Italienisch.

Ich wurde wie in Transe an das Seil klebend, gepresst.

Nichts geschah, jedoch nach einigem Warten und sich wundern, ob da bleiben oder gehen, erschien aus dem Nichts von rechts entlang des Gebäudes ein kleiner Transporter Bus. Er fuhr zügig zu den Soldaten neben dem Gebäude, innerhalb des abgesperrten Bereiches und stoppte mit quietschenden Reifen. Die Söldner fingen an sich hektisch zu betätigen. Einige gingen zu der Hecktür des Wagens. Sie rissen diese auf und zogen einen kleinen, typisch Jemenite in grün gemustertem Wickelrock und rotem Kopftuch bekleideten Mann, dessen Arme auf den Rücken gebunden waren brutal herunter. Sie schoben ihn in grober Weise an den Wagen vorbei nach vorne, zu den hier wartenden Uniformierten.

Über einige Minuten geschah nichts, alles stand still, keiner bewegte sich. Das Auto verschwand. Dann sah ich einen mit vielen Orden behangenen Armeeoffizier der sich aus der Militärgruppe trennte und auf den kleinen Mann zuging. Er hielt seine linke Hand an seiner Hüfte auf einen längeren Gegenstand mit daran hängenden Strängen. Aha, dachte ich, es wird eine Auspeitschung geben! Aber als der Offizier näher an die Wachen des Jemenite kam wurde der Gefangene von einer Wache rüde in die Knie gedrückt. Hastig wurde ihm ein weißer, länglicher Gegenstand auf die Augen gepresst so dass es pappte.

Dies geschah so schnell dass ich aufgeschreckt wurde...“warum bedeckten sie ihm die Augen?“ blitzte mir durch den Kopf. Der hohe Offizier machte noch ein paar Schritte. Er stand jetzt neben der knienden Gestalt. Eine Wache drückte den Kopf des Gefangenen tiefer so dass dieser weiter nach unten kam, nur einige Zentimeter vom Boden. Der Dekorierte reichte mit der rechten Hand über nach links, griff nach dem langen Gegenstand und streckte den Arm nach oben. Jetzt konnte ich sehen dass das längliche Zeug an der linken Hüfte noch hing, während die rechte Hand ein in der spät morgendlichen Sonne glänzendes und glitzerndes gekurvtes Schwert in die Höhe streckte... Ich schloss blitzartig die Augen und drehte mich voller Panik überhastet um. Nun fing ich an hart, entgegen der Tendenz der Menschen, contra den Druck, nach hinten und durch die aufgeregten Massen kämpfend, meinen Weg so schnell wie möglich von diesem Platz nach außen zu erzwingen... Zu spät! Meine Fantasie wurde durch die Reaktion der Massen angeregt, animiert; Das in der nächsten Sekunde herunterschlagende Schwert konnte ich bereits in meinem Geiste verfolgen. Während ich mit aller Kraft meinen Weg gegen die aufgebrachten Zuschauer die noch mehr sehen wollten erkämpfte, konnte ich den von den Schultern getrennten, auf den Boden fallenden Kopf und das ausströmende Blut von dem umfallenden Körper praktisch verfolgen; Aber auch nur diese virtuellen Geistesbilder machten mich diesig, fast krank, ich wurde sogar leicht schwindlig...

Die Reaktion dieser Mitglieder des 20. Jahrhunderts war genau dass was mich konsternierte, ja, perplex machte. Dieser barbarischer, antiker Brauch des Kopfabschlagens wurde hier mit dem Enthusiasmus und die Begeisterung eines „Super Bowl 2004“ Tor des Sieges von den Bewohner unserer 20. Jahrhunderts Zivilisation begrüßt! Jetzt wurden die Menschen noch aufgeregter, wollten Mehrwert daraus gewinnen, kommentierten wahrscheinlich die Perfektion des Schlages! Die Diskussionen, Kommentare sowie Gestik wurden lauter und hektischer... Ich eilte davon und zog mich in die friedliche Umgebung des Bazars zurück um meine Gemütsruhe wieder zu finden.

Nach mehr als einer Stunde ziellosem Wandern durch die Suk-Gassen und noch immer von den virtuellen Bildern verfolgt, beschloss ich nach Hause zu fahren. Der Weg zu den geparkten Wagen führte unglaublicher Weise, wieder über diesen „Platz der Justiz“. Die Hälfte der Menge war noch da, obwohl mindestens eineinhalb Stunden seit der Exekution vergangen waren. Die Fläche hinter dem Seil war noch abgesperrt. Ich schenkte dem Geschehen keine weitere Aufmerksamkeit und verfolgte meinen Weg am anderen Ende der Plaza als ich plötzlich Polizeisirenen beim Verlassen des Platzes wahrnahm: Schlagartig war dieses Getöse der aufgeregten Massen wieder da. Ich blieb stehen und blickte zurück, um das mir unbegreifliche Geschehen wahrzunehmen; jetzt, nach Freigabe der Sperrfläche durch Beseitigung des Seiles, hasteten all die noch hier wartenden Zuschauer in Richtung des kleinen Flecken wo der enthauptete Mann gelegen hatte. Unfassbar, ja, unbegreiflich. Von drei Seiten eilten diese Schaugierigen auf die Mitte dieser Fläche und hielten an nur als die schnellsten Individuen sich genau auf den Spot der Enthauptung trafen, wo der Boden noch voller Blut des armen Jemenite verschmiert war. Die schnellsten, versessenen Erdenbürger standen jetzt buchstäblich in einer Blutlache um die Realität des Ereignisses intensiver mit deren Sandalen oder barfüßig, ergötzen zu können. Sie waren begeistert die Chance gehabt zu haben so einem großartigen Ereignis beizuwohnen und wollten offensichtlich diesen kostbaren Genuss tiefer in deren archaischen Seelen verankern… Ich konnte die Gespräche nicht hören oder verstehen aber die exaltierten Äußerungen waren vom hektischen Gestikulieren begleitet, laut und energiegeladen. Ich wurde wieder an das Verhalten und die Kommentare einer begeisterten Menge von Fußball Enthusiasten nach einem wichtigen Ligaspiel, oder einer fanatischen Menge nach großen Politik motivierten Veranstaltungen, erinnert.

Und, unwillkürlich musste ich an die Gesetze der Quorum Empfindsamkeit denken, wenn die Elemente einer vielzähligen Gruppe das Verhalten als Einheiten, zu Gunsten des Quorums aufgeben und ein Bestandelement des Gesamtverhaltens werden. Wie Sardinenschwärme, Elchherden, afrikanische Streifengnus und auch Menschenmassen oder die Salmonella Bakterien die ihren Gift erst nach Erreichen der kritischen Sterbemenge für den Träger freigeben. Es scheint mir dass dieses Gesetz für jede Ansammlung von Lebewesen, egal ob im Besitz von dem was wir „Humane Intelligenz“ nennen oder nicht, Gültigkeit hat. Oder wollen wir wagen anzunehmen, dass unsere Fähigkeit die wir „humane Intelligenz“ nennen, nur einer limitierten Anzahl von Mitgliedern unserer Spezies eigen ist? Wer kennt die Antwort?

Später erfuhr ich dass der kleine Jemenite aus Gründen von Familien Vendetta einen seiner Landsleute, der auch in diesem Königsland Arbeit fand, umgebracht hatte.

Jedoch, diese schockierende Erfahrung mit den Zuschauern einer Enthauptung wie im Mittelalter brachte mich auf den Gedanken, dass die meisten Mitglieder unserer modernen Zivilisation sich spirituell von dem Geisteszustand unserer Vorfahren vor 4000 Jahren oder auch länger zurück, nicht verändert oder weiterentwickelt haben. Ich führte mehrere Gespräche mit Freunden oder Geschäftspartner über ähnliche Situationen und auch darüber, dass Horrorfilme und Krimis mit den grausamsten Szenen sich überall auf dieser Welt am besten verkaufen. Jetzt war ich bereit, eins zu eintausend gegen jedermann zu wetten:

Falls irgendwo auf dieser Welt ein Diktator wie Ceausescu, Saddam, Idi Amin oder ein neuer absoluter Herrscher eines Landes, reale Gladiatorenkämpfe wie die der alten Römer veranstalten würde, so wären „seine Spiele“ in allen Arenen seines Landes immer ausverkauft. Zu jeden Preis, zu jeder Stunde. Ja, ich meine jetzt, im 21. Jahrhundert. Und die Begeisterung in diesen Arenen würde sogar exorbitanter als im alten Rom sein. Dieser Diktator müsste nur eine Bedingung erfüllen um sich den ununterbrochenen Strom von Besuchern und Touristen aus der ganzen „freien und zivilisierten“ Welt für seine Spiele sicherzustellen: Kein Einreisevisum verlangen und kein Stempel im Pass beim Eintritt oder Verlassen seines Reiches. Solch ein „Großer Herrscher“ könnte auch mit Sicherheit davon ausgehen, dass sein Volk –egal welcher ethnischer Gruppierung oder welcher Ecke dieser Welt gehörend- seine Führung für eine lange Zeit von Spielen und durch Tourismus erbrachtem Reichtum unterstützen würde. Hypokrisie ist wahrscheinlich die einzige Eigenschaft die einen riesigen Fortschritt während der Entwicklung unseres Geistes über die letzten 4000 Jahren machte. Die neulich erfundene Formel der Medien “Viewers Discretion Advized” soll in dezenter Weise die Ausstrahlung von Brutalität, Gewalttätigkeit und Blutvergießen in Filmen und Bücher „verbraucherfreundlich“ promovieren.

Auftrag in Abrasudien

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