Читать книгу Die Malerin von Delft - Alexandra Guggenheim - Страница 5

Оглавление

PROLOG

Cornelis Soetens schloss die Knöpfe an seinem Wams und ließ den Blick über den Körper der schlafenden Frau in seinem Bett gleiten. Sanft zeichneten ihre Konturen sich unter dem zerwühlten Laken ab. Das flammend rote Haar breitete sich wellenförmig über das Kopfkissen aus, bildete einen leuchtenden Rahmen für ihr helles Gesicht mit den unzähligen Sommersprossen, deren jede einzelne er vor wenigen Stunden mit den Lippen erkundet hatte. Er seufzte leise in Erinnerung an die nächtlichen Umarmungen, verspürte noch immer die Wärme und Zartheit ihrer samtenen Haut unter seinen Fingerkuppen und die Glut in seinem Herzen, das kraftvoll und stürmisch schlug. Für sie, seine strahlende Sonne, sein Leben.

Soetens legte Hut und Mantel an, griff nach den kniehohen Lederstiefeln mit dem breiten Aufschlag und schlich auf Zehenspitzen durch das Zimmer, um die Geliebte nicht zu wecken. Nur mit Mühe konnte er sich losreißen von diesem Anblick, sog mit ein paar tiefen Atemzügen den Geruch ihres Parfums ein. Geräuschlos verließ er den Raum, zog in der Diele seine Stiefel an und trat hinaus auf die Straße.

Milde Herbstluft umfing ihn, am Himmel zogen einige Wolken vorbei. Einen kurzen Augenblick noch verharrte Soetens versonnen am Oude Delft-Kanal, in dessen glattem Wasser sich die drei- und viergeschossigen roten Backstein-Häuser der wohlhabenden Bürger dieser Stadt spiegelten. Dann eilte er an der Oude Kerk vorbei Richtung Westen, zur Stadtmauer von Delft. Beim School-Tor wollte er eine Kutsche nehmen und nach Den Haag fahren. Samuel van Eckhout, der Adjutant des Prinzen Frederik Hendrick, hatte ihn zu sich bestellt. Die beiden Männer würden zu Mittag speisen und dabei den Ablauf der Gedenkfeier für Willem I. von Oranien besprechen. Dieser unvergessene, von den Landsleuten hoch verehrte Herrscher war genau siebzig Jahre zuvor in Delft einem Attentat zum Opfer gefallen.

Körbe, Säcke und Fässer türmten sich in den Lagerschuppen am Ufer des großen Kanals, der die Stadt ringförmig umgab. Kurz bevor er das Stadttor erreicht hatte, trat aus dem Schatten eines Hauseingangs ein Laufbursche auf ihn zu und händigte ihm einen versiegelten Brief aus mit den Anweisungen des prinzlichen Adjutanten. Er, Cornelis Soetens, solle sich noch vor seiner Abreise in das Hauptquartier der Delfter Bürgerwehren begeben und eine angemessene Menge Schießpulver aus dem Munitionslager entnehmen. Das Pulver werde von den Truppen benötigt, damit diese ihre Parade für die bevorstehende Feier proben könnten. Er selbst würde, wie vereinbart, vom Unterzeichner pünktlich zu Mittag in Den Haag erwartet.

Soetens wunderte sich über die Eile des Auftrags. Man schrieb den zwölften Oktober 1654, bis zur Jahresfeier blieb noch ein ganzer Monat Zeit. Kopfschüttelnd winkte er eine Kutsche heran und ließ den Fuhrmann in den Nordosten von Delft fahren. Auf kürzestem Weg durchquerten sie die Stadt, die allenthalben Betriebsamkeit zeigte. Handwerker arbeiteten vor den Türen ihrer Häuser und ließen ihre Hämmer, Sägen und Meißel erklingen. Pferdekutschen und Karren ächzten über die gepflasterten Wege, Menschen eilten geschäftig durch die Straßen. Vor dem Haus des Vorstehers der Bürgerwehren ließ Soetens anhalten und den gleichermaßen überraschten Kommandanten in den Wagen einsteigen.

Am Ende des langen, schnurgeraden Geerwegs tauchten die Mauern des ehemaligen Klarissenklosters mit dem Pulverturm auf. Die Delfter nannten das Lagerhaus, in dem Dutzende Fässer mit Munition aus dem Krieg gegen die Spanier aufbewahrt wurden, „t’Secret van Holland“, das Geheimnis von Holland. Kurz vor halb elf kletterten die beiden Männer aus der Kutsche. Der Kommandant öffnete die schwere Eichentür mit dem Gold verzierten Stadtwappen und schloss sie hinter sich sorgfältig zu.

Im Inneren des Turms war es dunkel und kühl, der Geruch von modriger Erde umfing sie. Soetens meinte, wenn auch sehr schwach, noch einen anderen Geruch wahrzunehmen, den er jedoch nicht zuordnen konnte. Durch vier schmale, knapp handbreite Fenster fiel mattes Tageslicht in das hohe, steinerne Gewölbe. Die Männer zündeten zwei Laternen an. Ihr flackerndes Licht erhellte ein Eisengatter, hinter dem eine schmale gewundene Treppe in die Tiefe führte. Cornelis Soetens ließ sich die Schlüssel reichen, für deren rechtmäßigen Einsatz er, als Sekretär beim Rat der Vereinigten Niederlande, verantwortlich war, und sperrte der Reihe nach fünf Schlösser auf. Für das letzte brauchte er am längsten, weil sich der Fallriegel erst beim dritten Versuch anheben ließ.

Soetens musste auf einmal an die zurückgebliebene Geliebte denken, stellte sich vor, wie sie vielleicht in genau diesem Augenblick ihre meergrünen Augen aufschlug und sich schlaftrunken räkelte. Die Erinnerung an die vergangene Nacht ließ ihn zuerst erschaudern, dann lächeln. Würde das Gespräch mit dem Adjutanten zufrieden stellend verlaufen, könnte er vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück in Delft sein und Hendrickje in die Arme schließen. Noch eine ganze lange Nacht hatten sie für sich, denn ihr Ehemann war geschäftlich in Rotterdam unterwegs.

Cornelis Soetens bat den Kommandanten, auf ihn zu warten und bückte sich nach der Laterne. Als er seinen Fuß auf die oberste Stufe der steinernen Treppe setzte, flammte ein gleißend helles Licht auf. Geblendet zuckte Soetens zurück, fühlte, wie ein Sog ihn wegriss und gegen die mächtigen Verstrebungen des Gatters presste. Ein beißender Geruch stieg ihm in die Nase. Tränen schossen in seine Augen, die Kehle wurde eng. Seine Mundhöhle füllte sich mit etwas Süßlichem, Klumpigem. Gleichzeitig vernahm er einen Knall, der ihm das Trommelfell zerplatzen ließ. Dann wurde es schwarz um ihn.

Die Malerin von Delft

Подняться наверх