Читать книгу Das ist Berlin, Baby! - Alexandra Sonnental - Страница 3

Die schwarze Johanna

Оглавление

Wie so oft flanierte ich an einem Sonntagnachmittag am Landwehrkanal entlang, als ein Pfiff hinter meinem Rücken mich zwang, stehen zu bleiben. Zwischen den feinen Herrschaften im Sonntags-Ausgehstaat, einem Regiment preußischer Soldaten mit Pickelhaube und einem Dutzend spielender Gören, deren Gesichter mit Dreck beschmiert waren, stand sie. Ihr langes schwarzes Haar hing offen über ihre Schultern und ihr schlanker, wohlgeformter Körper steckte in einem einfachen, braunen Sackkleid. Aus blitzenden Haselnuss-Augen grinste sie mich spitzbübisch an. Neben ihr auf einer Steinbalustrade, welche den Kanal vom Ufer trennte, lagen Malutensilien: Pinsel, Farbtuben sowie eine Mischpalette. Auf eine Staffelei hatte sie eine noch unbemalte Leinwand gestellt.

„Wohin des Weges, hübscher Bursche?“, rief sie mir zu. „Wollt Ihr ein Portrait?“

Ich glaubte meinen Ohren nicht und traute meinen Augen kaum. Von den Weibern erwartete ich standesgemäß, dass sie ihre Kinder hüteten, das Essen kochten und im Hause für Ordnung sorgten.

„Seid Ihr taub oder warum starrt Ihr mich so an? Habt Ihr noch nie eine Malerin gesehen?“

Mein verunsicherter Anblick schien sie zum Lachen zu bringen. Was für eine unverschämte Person, dachte ich, doch ihre kecke Art gefiel mir und machte mich nervös.

„Ihr gedenkt, mich zu portraitieren? Was soll das kosten?“

„Nicht viel. Nur einen Kuss“, sagte sie, spitzte ihre Lippen und zwinkerte mir zu.

„Habt Ihr keinen Ehegatten zum Poussieren?“

Sie kicherte und erklärte: „Die Kunst ist mein Gemahl. Setzt Euch und ich werde Euch meine Liebe beweisen.“

Sie wies mir mit ihrer farbbesudelten rechten Hand einen Platz auf einem Stein neben der Balustrade zu. Ich ließ mich darauf nieder, beobachtete sie beim Mischen ihrer Farben und fragte sie nach ihrem Namen.

„Johanna. Nur nicht so heilig wie die heilige Johanna von Orléans. Ick bin die schwarze Johanna von Berlin, wa.“

Während sie mein Gesicht auf die Leinwand pinselte, versank Johanna in ihrer Arbeit. Ihre lebhaften braunen Augen schweiften von meiner Positur und ihrem Bild hin und her. Ihr Handwerk hingegen fesselte meinen Blick.

Nach einer Weile fragte sie mich: „Seid Ihr schon eingeschlafen oder wollt Ihr Euer Portrait jetzt begutachten?“

Von Neugierde gepackt, erhob ich mich von meinem Platz und trat an ihre Staffelei heran. Auf dem Bild standen drei Knöpfe meines in Wirklichkeit bis oben geschlossenen Hemdes offen. Meine Augen musterten mein Abbild voller Erwartung. Ich fühlte mich etwas perplex: „Was bringt Euch auf die Idee, mich halbnackt zu malen?“

„Der schöne Kerl, der mir soeben Modell gestanden hat. Möget Ihr mich nun mit einem Kuss bezahlen?“

Ihre rechte Hand ruhte bereits auf meinem Rücken und gab mir mit ihren knetenden Fingern Ideen, in welche Regionen sie des Nachts wandern könnten. Ich hoffte, sie würden mich kneifen, um mir zu zeigen, dass ich nur träumte. Johanna magnetisierte mich wie kaum eine andere Frau zuvor. Schamlos zog sie mich inmitten der Spaziergänger an ihre Lippen und ließ ihre Zunge in meinem Munde baden. Jeder hatte Gelegenheit, Zeuge unseres unschicklichen Spiels zu werden. Aus Scham wollte ich mich von Johanna losreißen, mich in meiner Kammer in Wedding einschließen und dieses Teufelsweib mitsamt der Anziehung, die es auf mich ausübte, bedichten. Ich war kein Schiller oder Goethe, doch meine Seele fand Kraft darin, meine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. An diesem Tag sollte ich noch nicht dazu kommen. Johanna schlug vor, sie später am gleichen Ort abzuholen und nach Hause zu geleiten. „Bis dahin ist auch dein Gemälde getrocknet“, sprach sie und strich über mein Gesäß.

Meine Nackenhaare richteten sich auf. Offensichtlich scherte sie sich weder um damenhafte Etikette noch um das ungeschriebene preußische Verbot, auf offener Straße unsittliche Berührungen auszutauschen. Ihre Unsittlichkeit aber war es, die mich elektrisierte und mich am Abend zu ihrem Platz am Landwehrkanal zurückkehren ließ.

Sie hatte bereits ihre Malutensilien zusammengepackt und saß auf dem Stein an der Balustrade. An ihren staubigen Rockzipfeln lehnte mein Portrait. Johanna lächelte von Weitem und ich stellte mir die Frage, wie ein Frauenzimmer ein derart vogelfreies Dasein führen konnte.

Bei einem Spaziergang am Kanal gab sie mir so manche Antwort: „Ich verließ des Nachts Mann und Kind, bin durch die Lande gewandert und habe auf Gehöften als Magd gearbeitet. Mein Wille und das Schicksal führten mich schließlich nach Berlin. Ich wollte hier schon immer meiner Künstlernatur frönen und nun tue ich es.“

Sie lebte in einer schäbigen Baracke am Rande von Rixdorf. Johanna pfiff auf zwei Fingern einen Kutscher heran, der uns auf seinem Fuhrwerk mitnahm. Ich als Kavalier schleppte Farben, Staffelei und Leinwände und hielt während der Fahrt zu ihrem Quartier ihre schmutzige, zarte Hand. Sie erzählte mir von ihrer Liebe zur Malerei, die sie erst entdeckt hatte, nachdem sie mit einem reichen Advokaten verheiratet worden war. Die Ehe empfand sie als Unglücksfalle und nach der Geburt ihrer Tochter stand sie vor der Wahl, entweder ihrem Leben ein Ende zu setzen oder ins Ungewisse zu flüchten. Johanna war mutig: Sie tauschte ihr nobles Bürgerhaus mitsamt der adretten Roben gegen Baracke und Sackkleider.

Vor ihrer Behausung wusch sie sich die verdreckten Hände in einer Regentonne und gewährte mir Einlass. In der Mitte ihrer Bude stand ein einfacher Holztisch mit zwei Schemeln davor. Auf dem Tisch gesellten sich Flaschen und benutztes Blechgeschirr zu Farbtuben und Pinseln, in einer Ecke diente ihr eine Matratze als Nachtlager.

„Lass uns Feuer machen und eine Suppe kochen“, sprach sie. „Sobald wir das Mahl bereitet haben, trinken wir zusammen einen selbstgebrannten Schnaps.“

Wir schnippelten in Gemeinschaftsarbeit Kartoffeln, Kohl und Wurzelgemüse. Johanna machte Feuer im Ofen und kredenzte uns ein wohlschmeckendes Süppchen. Wie ich schnell bemerkte, kannte sie sich nicht nur mit der Kunst an der Staffelei aus, sondern war auch am Herd eine Meisterin.

„Du kannst vorzüglich kochen“, ließ ich sie wissen.

„Ach, das lernen wir Mädchen doch als Rüstzeug für die Ehe“, meinte sie.

„Und Schnaps brennen?“

„Das hat man mir auf meiner Wanderschaft nach Berlin beigebracht“, antwortete Johanna leicht nachdenklich. „Ich traf einen fahrenden Fuselhändler, der mir auf seinem Pferdewagen Unterschlupf gebot. Welch lustige Zeiten das doch waren! Wir soffen und liebten uns in den Feldern.“

Ich fragte sie nicht, was ihre verlassene Tochter von solchen Manieren halten möge, denn insgeheim wollte ich mit Johanna das gleiche anstellen.

Sie servierte mir nach der Suppe ein schwarzes Gebräu, das süß und gleichzeitig bitter schmeckte. Schon nach einem Glas fühlte ich mich wohlig berauscht und fragte meine neue Bekanntschaft nach den Zutaten.

„Nun, mein Lieber, das bleibt mein Geheimnis. Erinnere dich einfach an 'Schwarze Johanna', sobald dieser Abend Vergangenheit ist“, sagte sie keck. Sie schenkte mir sofort nach. Weit feuriger als der Schnaps brannte auf meiner Zunge das Verlangen, Johanna hemmungslos zu küssen. Bevor sie selbst mich in ihren Zaum nahm, zeigte sie mir ihre Gemälde – eines nach dem anderen – und wollte meine Meinung zu ihrer Kunst wissen. Johanna malte die Stadt in all ihrer Verderbtheit, portraitierte kopulierende Ratten zwischen Mülltonnen und sogar einen Soldaten mit offener Wunde am Bein. Vor allem aber fand sie Gefallen am männlichen Akt mit prall aufgerichteter Männlichkeit.

„Wer steht dir dafür Modell?“, schoss es aus mir heraus.

Johanna behauptete frech grinsend: „Jeder, den ich für hübsch genug befinde. Tagelöhner, des Kaisers Gesandte, Soldaten ...“

Im Schein der Kerzen zog sie mich an ihre Brust und rammte mir hungrig ihre Zunge in den Mund. Sie küsste mich so leidenschaftlich wie sie malte und riss mir sogleich das Hemd vom Leib. Angesteckt durch dieses Feuer, zog ich Johanna mit fiebrigen Händen das Sackkleid über den Kopf und erstarrte angesichts ihrer prallen Brüste, welche ihr gewelltes Ebenholz-Haar zärtlich umspielte. In ihr lebte die Schönheit einer spanischen Esmeralda, ein Feuer, dessen Brunst mich schon bald verbrennen würde. Ich dürstete danach, in den Armen dieser Frau zu dichten. Sie hatte die inspirierende Kraft, meine Kunst zu voller Blüte zu bringen.

„Nimm mich!“, zischte sie wie die Schlange im Paradies. Ihre Küsse schmeckten nach heißem Apfel und ich kostete und kostete, wollte mehr davon.

Am nächsten Morgen erwachten wir eng umschlungen, Johannas schwarzes Haupt ruhte an meiner Schulter. Ihre „Schwarze Johanna“ hatte uns trunken gemacht und mir dennoch die Kraft verliehen, sie zu lieben. Das Feuer, das in mir zum Leben erweckt worden war, erfüllte mich jedoch plötzlich mit Furcht. Irgendwo weit weg von unserem Geschehen schrie ein einsames Kind nach seiner Mutter. Ein verlassener Gemahl grämte sich, während ich mich mit der untreuen Gattin verlustierte. Wie zuvor der fahrende Fuselhändler oder die anderen schlimmen Männer, die zu Gemälden geworden waren und unser Liebesnest von Johannas Leinwänden aus beobachteten. Ich würde ihnen bald als Ansammlung von Pinselstrichen Gesellschaft leisten und nicht mehr sehen, wie meine nächtliche Flamme dem nächsten Herrn ihr Süppchen kocht. So löste ich mich aus ihren Fängen und schlich mich fort, ehe das Tageslicht Johannas Augen kitzelte.

Ich rannte in die kühle Morgendämmerung. In meinem Kopf stiegen heiße Worte auf. Oh Trugbild einer Nacht, das meine Lippen mit Gift benetzte, töte mich in der Folterkammer deiner lodernden Lust

Der Duft meiner Muse benebelte noch immer meine Sinne und wollte meiner Nase gar nicht mehr entweichen. Sie roch wie aus 1001 Nacht, nach Blüten und Gewürzen, deren betörend schwere Note ich nie zuvor inhaliert hatte. Johannas mannigfaltiges Parfum brachte mich zum Taumeln. Träumerisch wanderte ich über Stunden von Rixdorf nach Wedding, unschlüssig, ob ich umkehren oder zurück in sichere Gefilde marschieren sollte. Ich folgte an jenem Tag der schützenden Stimme in meinem Bauch, die mich geradewegs in meine Kammer begleitete wie eine Mutter ihr auf Irrwege geratenes Kind. Warum nahm ich mir nicht endlich ein treues Weib? Eines von vielen, das meine Strümpfe stopfte, mir das Essen bereitete und meinen Kindern das Leben schenkte? Aus welchem Grunde ließen mich solche Frauen kalt? Ich war doch selbst nur ein einfältiger Dichter, der sich sein tägliches Brot mit niederen Schreibarbeiten verdienen musste. Vielleicht ein Mann mit Gefühl, aber kein Ernährer für Weib und Kinderschar. Ich hatte schon so manche Frau beglückt, die meisten waren leichte Mädchen, von denen einige mich in meiner Schreiberei beflügelten. Keine jedoch inspirierte mich mit solch dichterischem Reichtum wie Johanna. Ich schrieb mir die Seele aus dem Leib. Mein Geist und mein Körper verlangten ungeachtet meiner Furcht, bald wieder aus dieser warmen Quelle zu schöpfen.

Schon bald lungerte ich am Landwehrkanal herum – genau an jener Stelle, wo Johanna mein Porträt gemalt hatte. Ob sie sich an mich erinnerte, falls sie dem Bild in ihrer Hütte noch Beachtung schenkte? Zu meinem Bedauern hielt sie sich fern von dem Ort, wo ich auf neue dichterische Eingaben wartete. Ich wurde rasend vor Sehnsucht und begab mich auf Wanderschaft nach Rixdorf. Vielleicht sollte ich Johanna den Hof machen. Als Eheleute könnten wir uns für den Rest unserer Tage gemeinsam der Kunst widmen, jeder auf seine persönliche Weise, fantasierte ich, während mich meine Füße bis zur Schwelle ihrer Baracke trugen. Ich klopfte und spitzte die Ohren. Zuerst vernahm ich nichts, dann ein leises Wimmern.

„Johanna!“, rief ich. „Bitte öffne die Türe!“

Das Geheul nahm an Lautstärke zu. Ohne abzuwarten, drang ich in die Hütte ein und wurde von einer Wolke aus Schnaps- und Terpentin-Dämpfen erschlagen. Auf ihrem Nachtlager krümmte sich Johanna wie ein verwundetes Tier, das lange Haar hing wirr in ihr kreidebleiches Gesicht.

„Was ist mit dir?!“, tat ich fast einen Aufschrei und kniete in meinem Schreck an ihrer Seite nieder.

„Du bist zurückgekommen!“, schluchzte sie. „Dann bleib' jetzt bei mir!“

„Solange du es wünschst“, sagte ich, legte mich neben Johanna und schloss sie in meine Arme.

Von ihren selbst gebrannten Schnäpsen berauscht, war meine Geliebte von einem fahrenden Pferdewagen auf einen Stein am Wegesrand gestürzt und hatte sich dabei die Rippen gebrochen. Zu ihrem Glück kam wenig später ein fahrender Heiler des Weges, lud sie auf seinen Karren und brachte sie zurück in ihr bescheidenes Heim, wo sie seitdem ihre Schmerzen mit noch mehr Schnäpsen betäubte.

„Ihr braucht Ruhe und müsst Euch dreimal täglich mit meiner Kräuter-Tinktur die Rippen eincremen“, hatte der Heiler ihr verordnet.

Johanna bat mich, den Tiegel vom Tisch zu holen und ihr zu helfen, die Anweisung zu befolgen. „Entkleide mich und creme damit meinen Leib ein“, flüsterte sie. „Ich kann mich ja selbst kaum rühren.“

Es erfüllte mich mit Wohlgefallen, erneut ihre Haut berühren zu dürfen, obwohl Johanna krank auf ihrer Matratze kauerte. Ihre Hilflosigkeit war wie Wasser auf meine Mühlen. Ich spürte den Drang, für sie da zu sein, sie zu hegen und zu pflegen wie die schönste und teuerste aller Rosen. Achtsam zog ich ihr das nach Schnaps stinkende Sackkleid über die Ohren, tauchte meine Fingerspitzen in die Heiltinktur und cremte damit die weiche Haut über ihren lädierten Rippen ein. Johanna begann wie ein Kätzchen zu schnurren.

„Oh ja! Zum Teufel, dass wir jetzt nicht der Lust untertan werden können!“

Wahrlich, ich hatte genau den gleichen Wunsch wie Johanna. Ihre Liebeslaute klangen noch immer wie Musik in meinen Ohren. Nun würde sie unter mir Todesqualen erleiden. Nein, meine schwarze Johanna tat besser, an meiner Seite zu ruhen. Wir schmiegten uns aneinander und ließen unsere Münder miteinander verschmelzen. Nach unzähligen Minuten voller heißer Küsse gruben sich ihre Zähne in meine Lippen. Wie ein gieriges Tier biss sie sich an mir fest. Ich meinte, mein eigenes Blut zu schmecken und wurde von ungezähmter Leidenschaft heimgesucht. Johanna fügte sich ein in meinen Liebestaumel, bis ein Schmerzensschrei aus ihrem Munde unserem Treiben ein jähes Ende bescherte.

„Ich darf es nicht, obwohl ich vor Hitze für dich umkomme! Ja, ich sterbe eines qualvollen Todes, weil meine Lust mich rasend macht! Aber diese Rippen, die gebrochen in meinem Leib rumoren!“

„Nein, Johanna, du sollst leben. Für mich. Für uns!“, sagte ich leise und hauchte einen Kuss auf ihren Hals.

Sie zuckte kurz in meinen Armen zusammen und schwieg. Ich hielt sie weiter fest und streichelte ihre Haut, bis sie friedlich atmete und mit dem Kopf an meiner Schulter einschlummerte. Ehe jedoch die Dunkelheit über Rixdorf einkehrte, begab ich mich auf den Heimweg. Gerne hätte ich die ganze Nacht an Johannas Seite gewacht, doch eine stärkere Macht als mein Verlangen trieb mich von ihr fort. Jene Macht war den Sümpfen meiner Ängste entstiegen ...

Unentwegt kreisten meine Gedanken dennoch um das kranke Geschöpf in seiner Hütte. Was hatte sich Johanna bloß dabei gedacht, so tief im Schnaps zu versinken, dass sie vom Wagen fiel und sich die Rippen brach? Ein solch armseliges Weib brauchte einen liebenden Mann an seiner Seite. Nicht wissend, ob ich dieser Rolle wahrhaft gewachsen sein könnte, begab ich mich kurze Zeit später aufs Neue in ihre stürmischen Gefilde und kehrte unterwegs bei einem Bauern ein, um Zutaten zum Kochen zu kaufen. Bettlägerig wie sie war, hatte sie bestimmt nicht die Kraft, sich selbst zu versorgen.

An jenem Tage aber fand ich Johanna auf einem Schemel sitzend. Ein Lichtstrahl drang durchs Fenster ein. Vor sich auf der Staffelei malte sie das Bild eines kleinen Mädchens mit langem schwarzen Haar. Es war in weißen Sonntagsstaat gehüllt und stand inmitten einer Blumenwiese. Obwohl das Gemälde noch nicht vollendet war, erkannte ich, dass das Kind lächelte.

„Wer ist das hübsche Mädel?“, wollte ich wissen.

Ich stand hinter Johanna und begann, ihren Nacken zu kraulen.

„Ernestine“, seufzte sie. „Meine Tochter.“

Dein Kind?“, entfuhr es mir in einem kurzen Moment der Überraschung. Mir war bewusst, dass Johanna irgendwo weit weg von Berlin das eigene Fleisch und Blut seinem Schicksal überlassen hatte. Die Ernestine auf der Leinwand glich ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten.

„Sie ist mein Ebenbild und doch wird sie mich hassen“, bemerkte die Malerin, während sie ihren Pinsel über ihr Werk bewegte.

Mir blieben die Worte im Hals stecken. Was sollte ich darauf erwidern? Johanna war eine Rabenmutter und offensichtlich haderte sie mit ihrem Gewissen. Wer vor seinem Kinde flieht, der wird auch mich niemals lieben können, schlussfolgerte ich in meinem Kopf. Zu ihr sagte ich aber zaghaft: „Nun gut, male weiter. Anscheinend geht es dir wieder besser.“

„Nicht wirklich. Doch ohne meine Bilder sterbe ich!“, antwortete sie schwerfällig. Ich vernahm ein Knurren ihres Magens und war froh, genau im rechten Moment eingetroffen zu sein, hatte ich doch Kartoffeln, frische Eier und einen schönen, fetten Schinken im Gepäck. Ich offenbarte ihr meinen Herzenswunsch, für uns beide Kartoffeln braten zu wollen.

Ein seliges Lächeln überzog Johannas blasses Gesicht.

„Du bist ein Schatz“, flüsterte sie, weiter in ihre Arbeit vertieft und von meinem Antlitz abgewandt. Eine Weile ließ ich sie mit Ernestine allein und machte mich nützlich am Herd. Zu Hause brutzelte ich gerne für mich selber Bratkartoffeln und was einen einzelnen Mund füttert, das nährt auch zwei. Johanna leckte sich vor Freude die Lippen.

„Ich weiß gar nicht, auf was ich mehr Hunger habe. Ob auf dich oder das grässliche Zeug da in der Pfanne“, scherzte sie.

Unser Mahl hatte ich mit einer großen Prise Liebe gebraten. Meine Lippen ließ ich darüber noch schweigen, doch es war für mich eine Herzenswohltat zu beobachten, wie Johanna es sich schmecken ließ. Nach dem Essen rülpste sie genüsslich, kippte einen Schnaps in ihre Kehle und gab mir mit loderndem Blick zu verstehen, ihr Nachtisch zu sein.

Mit Mühe raffte sie sich von ihrem Schemel hoch und knöpfte ihr Sackkleid auf. Ich trat einen Schritt an sie heran, nahm ihre Brüste in meine Hände. Die Lippen, noch hungriger als je zuvor, neigten sich nieder zum Kusse. Sie kostete meine Zunge, als habe sie lange nicht mehr von einem Manne gespeist. Ich bot mich ihr zum Fraße an und riss ihr das Kleid zu Boden. Anstelle eines Mieders trug Johanna nichts unter ihren fleckigen Maler-Lumpen. Ihre bloße Haut bebte unter meinen Fingerspitzen. Mit der rechten Hand tauchte ich ein in die feuchte Grotte ihrer Lust. Sie stöhnte leise und zog mich mit sich auf ihr Nachtlager. Ihr intensives Verlangen nach Vereinigung wurde jedoch ein weiteres Mal zunichte gemacht: Mitten im Fall entwich ein Schmerzensschrei aus ihrem Munde. Ihre Rippen schienen verhindern zu wollen, dass ich sie in lüsterner Raserei beglückte. Dennoch konnte ich nicht von ihr lassen.

„Ich creme dich ein, damit der Schmerz bald vorbei ist“, schlug ich vor.

„Oh ja, bitte“, bettelte sie mich an.

Langsam wanderten meine Hände über Johannas geschundene Körperpartien. Sie lächelte und kitzelte mit ihrem seltsam betörenden Duft meine Nase. Während ich sie dann vom Kopf bis zu den Zehenspitzen mit Küssen überdeckte, bildete ich mir ein, sie „Mein Geliebter“ flüstern zu hören. In Gedanken gestand ich ihr, dass ich mich in sie verliebt hatte und verpackte den Satz in jede meiner Berührungen. Schließlich leckte ich den Nektar ihrer übersprudelnden Lust. Ich saugte mich an ihr fest und badete meine Zunge in ihrer Dunkelheit, eine Verderbnis erregende Dunkelheit, aus der es für mich bald kein Entrinnen mehr geben sollte.

In jener Nacht blieb ich bei ihr bis zum Morgengrauen und tat an ihrer Seite kaum ein Auge zu. Wenn sie wegen ihrer gebrochenen Rippen wimmerte, legte ich meine wärmende Hand sacht auf die Stelle.

„Ja, schön“, flüsterte Johanna. Irgendwann ruhte ihr Kopf an meiner Schulter. Ich genoss es, sie zu spüren und zu riechen, auch wenn sie mich mit ihrer Anwesenheit vom Schlafen abhielt. Umspielt von ihrem Schwarzhaar, begann ich plötzlich zu dichten: Feuer, das du mich mit lodernden Armen packst, halte mich und brenne meinen Leib zu Asche …

Im Stillen formierten sich meine Gedanken zu Metaphern. Ich dürstete danach, Johanna wiederzusehen, damit sie mich aufs Neue inspirierte. Am nächsten Morgen sprach sie kaum ein Wort zu mir. Ich hoffte, ein gemeinsames morgendliches Mahl mit ihr einzunehmen, doch sie bedeutete mir, sich wieder in ihre Malerei vertiefen zu wollen. Ehe ich sie gewähren ließ, gestand ich ihr meine Lage, in welche sie mich geworfen hatte: „Johanna, ich fühle mich trunken vor frisch entflammter Liebe zu dir.“

Sie schaute zu Boden und sagte: „Liebe ist nur ein Wort. Zu oft hat es mir das Herz durchbohrt. Durchbohre du mich mit deiner Männlichkeit, wenn dir danach ist, aber halte dich fern von meinem Herzen.“

„Nein, Johanna, ich werde dein Herz streicheln, solange du es wünschst. Wie deine gebrochenen Rippen. Sei dir meiner gewiss“, beteuerte ich.

„Die Kunst ist mein Gemahl“, sprach sie ihr letztes Wort und geleitete mich zur Tür, wo sie mich zum Abschied auf die Wange küsste.

Die Gedanken an ihre Küsse ließen mich taumeln und retteten in mir die Hoffnung, Johanna eines Tages doch noch von meiner Liebe zu überzeugen. Dennoch beschloss ich, mich von ihr fern zu halten. In meinen Versen sollte sie für immer leben und die Erinnerungen an unsere schönen Stunden gehörten ohnehin mir, egal wie sehr sie sich vor meinen Gefühlen sträubte. So verdiente ich mir weiter mit leidigen Schreibereien mein täglich Brot und erzählte nach der Arbeit meinem Papier von Johanna. Selbst in meinen produktivsten Zeiten hatte es selten so viele Worte aus meiner Feder empfangen. Der Griffel und das Papier wurden meine besten Kameraden. Alle paar Tage unternahm ich Streifzüge durch die Spelunken der Berliner Bohème. Trotz der Größe von Berlin traf ich dort oft das gleiche Künstlervolk und knüpfte so manche oberflächliche Freundschaft mit anderen Schreiberlingen, Spielleuten und Malern.

Eines Abends, als ich in einem Gaukler-Lokal im Herzen der Stadt meine Dichtkunst vortrug, passierte es. Johanna schritt nach der Lesung wie aus dem Nichts auf mein Lektorenpult zu und glitt ohne ein Wort in meine Arme. Zuerst versuchte ich, das tollkühne Weib von mir zu stoßen, doch die Küsse von ihren rot bemalten Lippen raubten mir in Sekundenschnelle den Verstand. Halb zog sie mich, halb sank ich hin, wie schon der große Dichterfürst Goethe wusste. Ohne dass ich auch nur einen einzigen Tropfen Wein intus hatte, trieben mich ihre Küsse gepaart mit dem Duft der Schlange in die Trunkenheit. Entgegen meiner Prinzipien, die besagten, die leibhaftige Johanna aus meinem Leben zu verbannen, wollte ich sie besitzen und mit dem Feuer meiner Lenden versengen, auch wenn sie dafür mit weiteren Rippenbrüchen bezahlen müsste. Sie umfing mich mit den Armen einer Schlingpflanze und schien niemanden außer meiner Wenigkeit zu sehen. Als sie sich jedoch zum Ausschank begab, um ihre Kehle mit Schnaps zu befeuchten, nahm mich mein Dichterfreund Heinrich zur Seite und sprach: „Hüte dich vor diesem liederlichen Frauenzimmer! Die schwarze Johanna ist in unseren Kreisen bekannt wie ein bunter Hund. Sie bezirzt die Mannsbilder so meisterhaft wie sie malt. Wenn du sie liebst, bist du verloren. Johanna hat ein Herz aus Stein, die Nase voll Opium und die Adern voll Schnaps.“

„Vielleicht liebt sie mich entgegen all ihrer Gesetze“, erwiderte ich.

„Ja, zwischen ihren lasterhaften Schenkeln!“, rief Heinrich und brach in schallendes Gelächter aus.

Ich war kurz davor, Heinrich den Ellenbogen in den Magen zu rammen, doch bevor ich dazu kam, hing mir das Objekt meiner Begierde wieder an den Lippen.

„Hast du schon Bekanntschaft mit meinem Herzbuben gemacht, liebster Heinrich?“, fragte sie ihn und legte ihre Hand auf seine Schulter. Er schubste sie sofort weg.

„Pah, wo hast du denn ein Herz, elende Ratte!“, zischte Heinrich sie an.

Verärgert bäumte ich mich vor ihm auf und zügelte mich, ihm ins Gesicht zu brüllen. Mit gedämpftem, aber bestimmt klingendem Ton stellte ich unmissverständlich klar: „Wer hier mein Mädchen beleidigt, bekommt beim nächsten Versuch meine Fäuste zu spüren, mein Freund. Merke es dir gut!“

„Wenn du glaubst, Johanna wäre dein Mädchen, dann wünsche ich dir Glück, dass du von weiterem Schaden verschon bleibst. Bis jetzt klebt nur ihr Lippenrot in deiner Visage, doch bald schon könnte es dein eigenes Blut sein“, seufzte Heinrich, während er mich eindringlich ansah, und einen Augenblick später ohne ein weiteres Wort von dannen zog.

Johanna lachte mit der Hysterie einer Hexe. „Dem Heinrich ist wohl der Wein zu Kopfe gestiegen!“, gluckste sie an meinen Schultern hängend.

„Lassen wir ihn“, entschied ich, „trinken wir auf die Kunst und die Liebe!“

„Auf die Malerei und die Lust!“, rief Johanna quer durchs Lokal, erhob ihr Glas und berauschte sich an dem Inhalt. Ich konnte mir nicht helfen und tat es ihr gleich.

Als wir richtig volltrunken waren, verzogen wir uns Hand in Hand aus der Spelunke. Wir stürzten uns am Spree-Ufer in den Schlamm, das schwarze Tuch des nächtlichen Himmels bedeckte unsere entblößten Leiber. In jener Nacht drang ich in Johanna mit dem Feuer meiner Lenden ein. Gut zwei Monate waren ins Land gestrichen, die Zeit hatte ihre geschundenen Rippen wieder zusammenwachsen lassen. Aufs Neue schrie sie unter mir, doch diesmal vor Lust und Wohlgefallen. Ich dagegen grölte stumm „Ich liebe dich“, wohl wissend, dass die drei Worte ihr Verlangen nach mir für immer töten würden. Mein Freund Heinrich hatte wahre, wohlgemeinte Worte gesprochen und ich gaukelte mir selbst vor, dass es genüge, wenn wir uns nur zwischen den Schenkeln liebten.

Nachdem wir im Morgengrauen auf getrennten Wegen heimwärts gegangen waren, schwappte eine neue Welle aufbrausender Worte durch mein Dichterhirn. Plötzlich schwante mir ein Ziel vor Augen: Ich wollte endlich meinen eigenen Gedichtband veröffentlichen und die Verse mit Johannas Bildwerk verzieren. So würden wir auf ewig in der Kunst verbunden sein. Umgehend eilte ich zu ihrer Hütte nach Rixdorf, wo ich Johanna in einem benebelten Zustand vorfand. Aus geweiteten Pupillen starrte sie fast wie versteinert auf die Leinwand vor ihrer Nase. Sie rührte sich nicht, sondern fixierte das gruselige Puppengesicht ihrer malerischen Einbindungskraft. Anstelle von Augen hatte die Fratze schwarze Höhlen und ein weit aufgerissenes Maul mit waberndem Schlund. Sepia-Töne verliehen dem Werk eine alptraumhafte Note. Johanna liebte diese Farbgebung. Nur ihre Tochter Ernestine hatte sie in warmen, lebendigen Nuancen porträtiert. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter und beäugte das Kunstwerk auf der Staffelei. Johanna genoss es, wenn ich ihre Gemälde würdigte und faselte: „Wie gefiele dir eine Ratte, die einen Phallus verschlingt?“

Innerlich schockiert holte ich aus zur Gegenfrage: „Wie gefiele dir ein Gedichtband mit deinen Illustrationen?“

Ihr hysterisches Lachen sowie die Antwort aus ihrem Munde sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben: „Perfekt, mein Lieber! Dann könntest du dir gewiss sein, dass das Volk endlich deine Verse liest.“

Ehe ich mir Gedanken machen konnte, ob ich mich über diese Worte freuen oder ärgern sollte, sprang Johanna von ihrem Schemel auf und rief: „Ja, das ist die Idee! Folge mir nach draußen auf die Wiese. Da werde ich dich mit meinen Buntstiften abbilden.“

Mit solch überschwänglicher Begeisterung hatte ich nicht gerechnet, denn ihr Zustand wechselte prompt von apathischem Dasitzen zu manischer Euphorie. Sie sammelte ihre Zeichenutensilien zusammen, packte mich beim Arm und riss mich mit sich vor die Tür.

Wir spazierten eine Weile nebeneinander her und Johanna erzählte mir: „Einst zeichnete ich meinen fahrenden Fuselhändler auf der grünen Sommerwiese. Dann liebten wir uns bis zum Einbruch der Dunkelheit und badeten bei Vollmond wie Gott uns schuf im See. Das taten wir so manches Mal und die Zeit konnte schöner kaum sein. Eines Tages verließ er mich. Mich armes, einsames Weib!“

Kaum hatte sie angefangen, über ihr Los zu lamentieren, verwandelte sich ihr ebenmäßiges Gesicht in die Fratze auf ihrer Leinwand daheim. Tränen kullerten über ihre Wangen, welche ich nun einfach nur küssen wollte. Ich schloss sie in meine Arme und sie heulte sich an meiner Schulter die Augen aus.

„Er hat mich verlassen, der Schuft!“, schluchzte sie. „Einfach so fortgegangen mit einem anderen Weib!“

„Beruhige dich, nun bin ich ja da“, tröstete ich sie und strich über ihre langen schwarzen Haare.

Nun wurde mir auch klar, warum es ihr so schwer fiel, meine Liebe zu erwidern. Johanna erinnerte mich an ein kleines verletztes Tier, das sich fürchtete. Auf einmal löste sie sich mit einem Ruck aus meiner Umarmung und riss mir dabei das Hemd fort. Die Knöpfe sprangen von ihren Fäden und rieselten ins Gras vor unsere Füße. Ich fühlte mich wie elektrisiert von diesem Sinneswandel. Noch immer rannen Tränen über ihre Wangen, aber ihren Mund zerrte sie bereits für ein lautes Lachen in die Breite. Ihr Gelächter steckte an, mitunter lachten wir wie aus einer Kehle.

„Beweg dich nicht! Bleib so! Nein, posier ein bisschen. Wie ein Dichter!“, wies Johanna mich an.

Sie hatte vor, mich zu zeichnen, während ich schrieb. Selten verließ ich meine Kammer ohne Kladde nebst Griffel und trug die Schreibutensilien auch an jenem Nachmittag bei mir. Johanna suchte sich ein paar Ellen von mir entfernt einen Platz, wo sie mich gut beobachten konnte. Sie vertiefte sich in ihre Zeichnung und schaute immer wieder von ihrem Papier auf. Während in meiner Pose die Worte nur so aus mir herausströmten, wäre ich vor Liebeshitze fast gestorben. Es erregte mich, dass auf ihrem Block meine Konturen durch ihren Stift geformt wurden. Ja, sie steuerte freiwillig ihren Beitrag zu unserer Vereinigung in der Kunst bei. Zusammen könnten wir große Werke erschaffen, glaubte ich felsenfest. Mein Blick schweifte unentwegt zwischen meiner Schreiberei und der zeichnenden Johanna hin und her. Ich fixierte ihr Gesicht, das sowohl von Emsigkeit als auch von Erschöpfung geprägt war. Auf dem Papier in Vorfreude taumelnd, fantasierte ich, wie ich mich nach der Zeichenstunde vor Fuchs und Hase mit meiner Muse verlustieren würde. Verbrennen wir das Gras mit dem Feuer unserer Leiber, schrieb ich, und was auf dem Papier stand, das taten wir dann auch. Zuerst aber erhob sich Johanna mit ihrem Werk, schritt auf mich zu und stachelte mich an, sie für die Zeichnung zu loben.

In ihrem Bilderwahn trachtete sie stets nach meiner Bewunderung, wann immer wir uns trafen. Vor jeder Vereinigung musste ich ihrer Malerei Huldigung zollen. Ich äußerte meine gut gemeinten Ansichten zu ihren Kreationen und mitunter las ich ihr meine Gedichte vor, wobei sie mich mehr als einmal unterbrach. Dass mein Werk eine derartig schöne Zeichnung von mir schmücken würde, erfüllte mich mit Dankbarkeit. Ich gab Johanna auf der Wiese zur Belohnung einen Kuss, der sofort dahin führte, dass mein Schatz mit seiner kräftigen kleinen Hand zwischen meine Schenkel griff und in mir eine Kanonenkugel zum Einschlag brachte. Das Liebesspiel mit ihr glich einem Kampf, in dem wir beide lichterloh von Feuersbrunst übermannt wurden. All die zärtlich liebenden Frauen vor ihr hatten niemals solch verheerende Flammen in mir entzündet.

Sie sprach kaum ein Wort, nachdem wir uns angekleidet und uns auf den Heimweg begeben hatten. Vor ihrer Hütte bat sie mich, sie allein zu lassen und händigte mir ohne Abschiedskuss meine Zeichnung aus. Tote, gefühllose braune Augen blickten aus einer ernsten Miene ins Leere und ich hatte nicht die Macht, Johanna in eine schönere, wärmere Welt zu holen. Eine Welt meiner Fantasie, in welcher sie sich von mir auf Rosen betten ließ. Wohl ahnend, dass ich unerfüllbaren Träumen hinterher jagte, ließ ich ein paar Exemplare meines Gedichtbands in einer kleinen Buchdruckerei in Wedding anfertigen und löhnte dafür aus eigener Tasche.

Mit meinem neuen Büchlein unternahm ich einen Streifzug durch die Berliner Bohème. Vor aller Welt posaunte ich heraus, dass die schwarze Johanna die Zeichnung auf der Klappe fabriziert und mir damit die größte Ehre meines schnöden Dichter-Daseins erwiesen hatte.

Als ich an einem Abend mit meinem Freund Heinrich bei Wein und Gesang in einer Spelunke saß, räusperte er sich und sagte: „Ich möchte mich vor dir noch einmal in Ehrlichkeit üben, werter Kamerad. Du hast verdient, ein Weib zu finden, das deiner würdig ist, doch lasse die Finger von der schwarzen Johanna. Diese Höllenbrut ist Stammgast in den dunkelsten Opium-Höhlen von Berlin und bietet ihren Leib als Ware feil. Du treibst dich mit einem herzlosen, versoffenen Freudenmädchen herum!“

Mein Magen zog sich zusammen, mein Herz schlug schneller und mein Kopf drohte zu zerschellen. Alles, was Heinrich behauptete, traute ich Johanna auch zu. Sie war eine Vogelfreie, ein gefallenes Mädchen, das zwar eine begnadete Künstlerin, aber dem Schnaps und der Lust zu böse ausgeliefert war, um nur einen einzigen Mann zu lieben. Ich hatte mich zum Narren gemacht. Mir selbst untreu geworden, fraß ich immer wieder von den verbotenen Früchten mit dem süßen Geschmack, der sich während Johannas Abwesenheit in Bitterkeit verwandelte und mich zur mörderischen Raserei bringen konnte. Wäre ich der schönen Worte nicht fähig gewesen, hätte mich das Gift der schwarzen Johanna wahrscheinlich getötet.

„Ich meine es nur gut“, unterbrach Heinrich leicht zögerlich mein Schweigen. „Ich selbst war töricht genug, mich von dieser Schlange beißen zu lassen. Sie hat einen teuflischen Charme, dem sich kein Mann lange entziehen kann. Nur wenn sie alle haben und demütigen kann, ist sie glücklich.“

Was hörten meine gekränkten Ohren da? Meine Hände ballten sich zu Fäusten, mit der rechten schlug ich Heinrich mitten ins Gesicht. Er kippte nach hinten mit dem Stuhl über und stürzte mit dem Hinterkopf auf den Fußboden. Ein Aufschrei schwappte durch unser Stammlokal, wo wir einst ausgelassen gelacht und über die Dichtkunst sinniert hatten. Nun eilten die anderen Gäste meinem Freund zu Hilfe. Viele kannten uns und erahnten längst, wer mich immer wieder zum Schreiben inspirierte und mich Stück für Stück dem Wahnsinn verfallen ließ. Schreckerfüllt beugten sich die Leute über Heinrich, der sich dank glücklicher Fügung in diesem Unglück noch rührte und schmerzverzerrt stöhnte. Ich selbst bereute meine Tat zutiefst und versuchte ebenfalls, den Geschlagenen aufzurichten. Wie konnte ich meine Schuld jemals begleichen? Worte allein würden dafür nicht ausreichen, dachte ich verzweifelt, während ich schrie: „Heinrich, das hab' ich nicht gewollt! Bitte verzeih' mir!“

Es half nichts. Der Wirt packte mich von hinten, zerrte mich an meinem Hemdkragen in die Höhe und warf mich vor die Tür. Der Hüne mit dem ewig geröteten Gesicht war mir an Kraft weitaus überlegen. Er schleuderte mich mit Wucht aufs Kopfsteinpflaster und brüllte mir nach: „Lass dich nie wieder blicken, Flitzpiepe!“

Fast wäre ich vor ein fahrendes Fuhrwerk gestürzt und den Pferden unter die Hufe geraten, doch ich konnte mich gerade noch rechtzeitig zur Seite rollen. Am Ende meiner seelischen und körperlichen Kräfte, zog ich mich aus dem Straßendreck und brüllte meinen Schmerz in die Sommernacht. Ein einziger gellender Schrei, welcher das Volk zwang, sich nach mir umzudrehen. Geschwind bog ich in die nächste dunkle Gasse ab und ließ mich von der Stadt verschlucken. Auf tausend Umwegen irrte ich heim, sorgte mich schuldbewusst um Heinrich und verfluchte Johanna bis in alle Ewigkeit. Meine Liebe für diese Dirne war dem Tode geweiht. Das wusste ich jetzt.

Heinrich hatte den Sturz überlebt, wie ich einige Tage später von unserem gemeinsamen Buchdruckmeister erfuhr. Dennoch gab es für ihn keinen Grund mehr, mir weiter in Freundschaft zugewandt zu sein. Ich sah mich als kompletten Versager – im Leben, in der Schreiberei und ganz besonders in der Liebe!

Aber was sollte ich machen, das Leben musste weitergehen! So betrat ich eines Abends ein Wirtshaus im Nikolaiviertel, wo immer reichlich Künstler- und Gauklervolk zugegen war. In meiner Tasche steckte mein Büchlein mit dem Titel „Die Feuermauer von Berlin“. Obgleich ich Johanna als Mensch verdammt hatte, hielt ich ihre Zeichnung auf dem Gedichtband immer noch hoch in Ehren. Ich wollte mich unter die Leute mischen und meine Verse vorlesen. Dafür hatte ich mir in mehreren Spelunken Stippvisiten organisiert. Der Taler wollte zwar nicht recht rollen, doch wenn die anderen dem Wein frönten und an meiner Dichtung Gefallen fanden, blühte mir wenigstens das Herz auf. Um die 20 Zuhörer saßen vor dem Tisch, an dem ich las, als plötzlich ein kalter Wind durch die Gastwirtschaft wehte:

Ich liebte dich, Mädchen aus der Hölle

Ich liebte dich auch, als Satan deinen Leib bestieg

Kurz hielt ich inne, atmete tief durch und blickte dabei von meiner Schrift auf. An meinem Platz vorbei schritt Johanna im Arm eines preußischen Generals. Der Kragen ihres Sackkleides war bis zum Ansatz ihrer Brust aufgeknöpft und bot einen unzüchtigen Anblick. Zusammen fläzten sich die beiden auf die einzigen noch freien Stühle vor meiner Nase, wobei die Satansbraut mich regelrecht mit ihren dunklen Glutaugen aufspießte und mich dabei mit Kreide porträtierte. Offensichtlich versuchte sie, mich aus der Façon zu bringen. Im Innern revoltierte ich, dennoch bemühte ich mich, weiter ruhig und besonnen vorzutragen. Ich rezitierte mit ihr und dem Kerl in den Augenwinkeln meine Verse und schmetterte ganz am Ende eine Lobeshymne auf die Illustratorin: „Besten Dank muss ich nun der brillanten Zeichnerin Johanna zollen. Johanna, ich freue mich, dass Ihr gekommen seid. Ihr seid eine große Künstlerin. Ich werde Euch auf ewig dankbar sein.“

Johanna grinste mich spöttisch an, während sich das eine oder andere Gesicht ein Lachen nicht verkneifen konnte und laut applaudierte. Aus dem Klatschen heraus warf sich mir plötzlich meine Geliebte in die Arme, küsste mich so zärtlich wie ein junges Mädchen und schwor mir vor den Ohren aller ihre Liebe und Treue bis zu unserem Ende.

Nein, liebe Leser, die Ihr mich tapfer bis zu dieser Stelle begleitet habt! So süß und schön sollte unsere Geschichte nicht enden. Ein ganz anderes Los war für Johanna und mich vorbestimmt. Dieser harten Macht des Schicksals beugten wir uns sogar freiwillig!

Der schnurrbärtige, mit Orden behangene General trat väterlich an mich heran und sprach: „Außerordentlich rührselige Verse. Einem echten Manne gar nicht recht und würdig.“

Ich versteckte die Hände in den Taschen, wo sie sich wieder zu Fäusten krümmten. Mit einem Herrn von solch hohem Range wollte ich mich in keinster Weise prügeln, erst recht nicht wegen Johanna, die zum Ausschank abmarschiert war.

„Die Verse kommen aus der Tiefe meines Herzens“, erwiderte ich.

Da räusperte sich der General: „Lasst Euch eines gesagt sein, werter Dichter. Euer weiches Herz wird Euch eines Tages noch ins Unglück stürzen. Hier in Preußen zählen Härte, Ordnung und Disziplin, auch was Herzensdinge anbelangt. Schaut Euch das Frauenzimmer an, das mich Euretwegen in dieses Etablissement geführt hat. Es hat das Herz eines Geiers, doch Unkraut vergeht nicht!“

Wie gerne hätte ich zustimmend genickt, stattdessen ließ mich mein viel zu weiches Herz antworten: „Sie ist die Quelle meiner Inspiration.“

Das Lachen des Generals hämmerte wie Donnerhagel durch das Wirtshaus. Die Gäste zuckten vor Schreck auf ihren Plätzen zusammen und Johanna stimmte prompt ins Gelächter mit ein. Ihr Lachen klang schrill und dreckig. Dann ölte sie diese Hexenstimme mit Schnaps und kletterte auf den Tisch, wo ich kurz zuvor noch aus meinem Werk gelesen hatte. Mit ihren schmutzigen Füßen fegte sie mein Buch zu Boden, stampfte auf und lallte: „Jetzt lasst uns saufen und lustig sein!“

Da ergriff mich eine Wut wie nie zuvor. Für gewöhnlich demütigten mich meine Mitmenschen auch selten so schändlich wie dieses heißgeliebte Wesen. In Rage packte ich Johanna, warf sie mir über die Schulter und schleppte sie zügigen Schrittes aus dem Lokal.

„Du Narr! Lass mich sofort runter!“, kreischte sie.

Ohne Gedanken an das, was die anderen Leute denken mochten, setzte ich meine Mission fort. Erst draußen vor der Tür gab ich Johanna den Boden unter den Fußsohlen zurück und zerrte sie am Arm bis zur Nikolaikirche. Sie versuchte sich loszureißen, schimpfte wie eine Wahnsinnige und warf mir Beleidigungen den Kopf, die ich nicht wiederholen möchte. Parolen dieser Art sind weder einer Dame noch einem gut situierten Herrn würdig und bewiesen, wohin Johanna in Wahrheit gehörte: in die Gosse. In einer dunklen Ecke drückte ich sie fest ans Gemäuer und stellte sie zur Rede: „Warum tust du mir das an? Mir, dem Mann, der dich so sehr geliebt hat und dich immer noch liebt?“

„Hör mir auf mit deinem Geschwafel von Liebe!“, polterte es aus ihrem Schandmaul, das mich im gleichen Atemzug anspuckte. „Du träumst von der Liebe, aber am Ende regiert nur die Lust! Die Lust, die meinem Leib zum zweiten Mal ein neues Leben geschenkt hat!“

Ich erstarrte und lockerte meinen Griff. „Was sprichst du da? Wer hat dich in andere Umstände gebracht? War ich es?!“

Erneut prustete Johanna wild los vor Lachen: „Was die Schelme nicht stehlen, das verderben die Narren! Ja, ein Narr bist du und nicht der einzige hier in Berlin!“

„Vermaledeite Dirne!“, schrie ich mitten in ihre verdorbene Visage, auf welche eine Sekunde später meine Fäuste eindroschen. Ich sah nur noch rot und zertrümmerte in meiner Wut Johannas liebreizendes, so oft von mir geküsstes Antlitz. Erst als sie regungslos vor meinen Füßen lag, ihr das Blut aus Mund, Nase und Ohren tropfte, kam ich zur Besinnung und registrierte, was ich angerichtet hatte. An meinen Fingern klebte ihr roter Lebenssaft, der aus ihrem einst so hübschen Kopf in die Gosse floss. Meine über alles geliebte Johanna! Ich hatte sie und ihr ungeborenes Kind tot geschlagen und konnte mich nur noch auf die Guillotine gefasst machen. Nein! Niemand sollte über meine Tat richten außer ich selbst. Entschlossen zog ich aus der Tasche mein Messer, welches mir sonst zum Schneiden von Fleisch und Brot diente, und rammte es mir ins eigene Herz. Ganz kurz glaubte ich, vor Schmerz zerspringen zu müssen, dann sackte ich über meiner Liebsten zusammen, während das Licht meines verpfuschten Lebens erlosch. Ehe wir auf getrennten Wegen voneinander abdrifteten, trat Johannas Silhouette noch einmal aus einer geißelnd hellen Nebelwand hervor.

„Sei gewiss, mein Lieber, wir sehen uns wieder. Zu einer anderen Zeit in anderer Gestalt.“

Das prophezeite sie mir zum Abschied und ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder fürchten sollte.

Das ist Berlin, Baby!

Подняться наверх