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II. Das Häuschen zur Linken

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Das Häuschen zur Linken, das von dem Weinstocke umkränzt war, und von dem siebzigjährigen Alten, der acht und dreißig jährigen Frau und dem sechzehnjährigen Burschen bewohnt wurde, auf dessen Haustürschwelle ein großer Hund der Länge nach ausgestreckt lag, und mit den Augen in der Sonne blinzelte, in dessen Stalle ein Esel schrie und ein Oche brüllte, war im unbeschränkten Besitze des siebzigjährigen Alten, des Schwiegervaters der Frau, des Großvaters des Burschen.

Dieser Alte, welcher keineswegs die Hauptperson in unserer Geschichte ist, hieß Anton Manscourt, da er aber seiner Zeit der zweite Sohn der Familie gewesen, so hatte er von dem Augenblicke an, da er 1740 zur Welt gekommen bis zu dem, in welchem wir ihn finden, um das Jahr 1810, den Namen der Kleine oder der Jüngere geführt, mit dem Unterschiede, dass man ihn von da an, als er sich verheiratete und selbst einen Sohn bekam, nicht mehr kurzweg den Kleinen, sondern Klein-Vater nannte.

Wenige Personen in dem Dorfe erinnerten sich seines eigentlichen Namens, und da er selbst ihn fast vergessen hatte, so war die natürliche Folge, dass man seine Schwiegertochter Frau Kleine und den jungen Burschen dem kleinen Kleinen nannte.

Wenn von dem Letzteren die Rede sein wird, werden wir angeben, wie dieser Name, nach der in den Dörfern bestehenden Sitte, wiederum in einen andern umgewandelt worden war, den man indes nicht wie bei dem Großvater von der Stellung in der Familie, sondern von der niedrigen Stelle hergenommen hatte, die er der Meinung der Bauern nach in der geistigen Ordnung der Natur einnahm.

Vater Kleine war ein echter Bauer, schlau und pfiffig an der Oberfläche, wie es einem Nachbar der Picardie ziemt, ehrlich, brav und treu im Grande, wie es einem Sohn des alten Gebietes gebührt, das man Ile de Francs heißt. Vielleicht wird es Manchem nicht ganz leicht diese Schlauheit und Pfiffigkeit mit der Treue, Ehrlichkeit und Redlichkeit in Einklang zu bringen; sie mögen daran denken, dass ein Schleier ein Gesicht verhüllen und dasselbe doch jedem Blicke sichtbar lassen kann und werden durch diesen Vergleich ein richtiges Bild von dem erhalten, was wir sagen wollen.

Als Sohn und Enkel von Bauern hatte Vater Kleine in der Person seiner Vorfahren alle Umgestaltungen und Revolutionen des Landes durchgemacht, auf dem er geboren worden oder vielmehr gewachsen war. Im Jahre 1792 war dieses Land, dieser Boden frei geworden und er mit ihm. Dann war er als Tagelöhner in den Dienst des Pächters getreten, welcher als Besitzer des Gutes Longpré den Mönchen folgte, den früheren Besitzern des Klosters dieses Namens.

Durch Arbeit und Sparsamkeit hatte er sich eine kleine Summe von zwölfhundert Francs gesammelt und mit derselben 1798 zwei Morgen Feld gekauft. Deshalb hatte man denn auch in dem Dorfe gesagt, Klein-Vater habe einen Schatz versteckt gehabt — mit Recht. Dieser Schatz aber, den er von Gott selbst empfangen, war Arbeit und Mäßigkeit. In dem Herzen des französischen Bauers hat ein Gedanke tiefe Wurzel geschlagen, der Gedanke: seinen Teil, wie klein er auch sein möge, von Frankreichs Erde zu besitzen, ein Stückchen des Vaterlandes sein zu nennen, wäre es auch eben nur groß genug die Wiege seine Kindes darauf zu stellen oder das Grab seines Vaters da zu graben, nicht ein Mietling zu sein, den die Laune heute annimmt und der Zorn morgen fortschickt; weder Sklave, noch Leibeigener, noch Leibeigener, sondern frei zu sein — ein großes, herrliches Wort, welches das Herz dessen erweitert, der es ausgesprochen hat, dass den Menschen moralischer, besser macht.

Vater Kleine kaufte also um 1798 zwei Morgen Feld für die zwölfhundert Francs, die er in den ersten dreißig Jahren seines Lebens erspart hatte. Vom besten Boden freilich waren die Felder nicht, denn der beste bedeckte sich regelmäßig jedes Jahr mit goldenem Weizen ober grünem Klee, während das von ihm erkaufte Feld, das am Abhange eines Berges lag, reich mit Steinen übersäet war und nur Disteln trug.

Aber nun begann der Kampf der Menschenarbeit mit der Bodenunfruchtbarkeit. Von vier Uhr des Morgens bis sechs Uhr des Abende sah man den Vater Kleine gebückt auf diesem Felde, wie er die Disteln ausraufte und die Steine auflas, die er nicht auf die Felder der Nachbarn zu werfen wagte, da sie ja einmal auch die seinigen werden konnten, werden sollten.

Die Leser erinnern sich der schönen Sage von der Undine, von der Anziehung des Wassers für den Fischer, der durch den klaren Spiegel hindurch das blonde Köpfchen einer Nymphe sieht, die ihm zulächelt und ihm die Arme entgegen breitet. Der Zauber wird mächtiger und mächtiger; auch der Fischer: lächelt und breitet die Arme aus; die Undine kommt näher und näher an die Oberfläche des Sees, ihr blaues Auge bedeckt nur noch ein Schleier so durchsichtig wie Gaze, — ihr blondes Haar schwimmt auf dem Wasser, ihre Korallenlippe atmet bereits die Luft ein, — halb seufzend, halb küssend taucht der Unvorsichtige hinein und glaubt die Nymphe an sich zu ziehen, aber sie zieht ihn auf ihr Bett von Wassergras, in ihre Muschelgrotte, aus der er nie wieder herauskommt, um seine alte Mutter zu sehen, die betet und sein Kind, das weint.

Ach, der Bodenzauber wirkt auf den Bauer noch weit mächtiger als der Wasserzauber auf den Fischer. Das Land, das der Bauer kauft; ist rund, er muss den andern Teil kaufen, um es vierseitig zu machen; ist es endlich das geworden, so muss er noch ein Stück kaufen, um es rund zu machen Ach gar Mancher erliegt diesem Ehrgeize; er kauft und um kaufen zu können, leiht er zu sechs, acht, zehn Prozent auf das unselige Feld, das nur zwei Prozent einbringt. Da beginnt denn der Kampf zwischen dem Wucher und der Arbeit und der Wucher, eine hässliche Hexe mit langen krummen Nägeln an den Fingern, zieht gar oft genug den Bauer, nicht auf ein Bett von Gras und Muscheln, sondern auf das Lager der Armut und der Not, in das Grab des Armen.

Zum Glück war Vater Kleine dazu zu klug, denn sein Spruch; lautete: Sammle, aber Borge nicht.

Als die Disteln und die Steine beseitigt waren, als die Bestellungszeit kam, nahmen er und seine Schwiegertochter einen Spaten und Frühstück und Mittagsbrot in einem Korbe mit sich Frühstück und Mittagsbrot von Brot, Käse und Obst. Die Quelle, die den Durst löschen sollte, sprudelte an der Seite des Berges rein und frisch hervor und schlängelte sich herab wie einer der seltenen Herbstfäden, die am Grase hängen bleiben. Warum etwas Anderes? Wenn man Sonntage mittags eine halbe Flasche zu Dreien trank, so reichte das hin, um die Erinnerung an den Geschmack des Weines die ganze Woche zu erhalten.

Die Säzeit war die Ruhezeit für die arme Madelaine, die Schwiegertochter des Alten; sie konnte zu ihrem Kinde zurückkehren, das sie während der Arbeit bei der Nachbarin gegenüber gelassen hatte. Die Arbeit ermüdete sie sehr, aber sie wagte nicht zu klagen; die Arme besaß ja nichts als ihre Frömmigkeit und ihre Geduld und da der Schwiegervater sie und ihr Kind ernährte, so musste sie wohl das Brot für sie Beide verdienen. Bei dem Säen aber konnte sie nicht helfen; Vater Kleine tat das selbst und was er selbst verrichten konnte, tat er.

Darauf musste das Feld geeggt werden. Klein-Vater verstand von Allem etwas, wie jeder rechte fleißige Bauer, also auch von der Wagnerarbeit. Er kaufte Holz, machte eine Egge und als sie abends fertig geworden war, sagte er zu seiner Schwiegertochter, am andern Tage musste geeggt werden, damit das ausgesäte Getreide unter die Erde komme.

Das war eine noch beschwerlichere Arbeit als das Graben; sie mussten sich wie Ackerstiere an die Egge anspannen, die durch einen großen Stein noch beschwert war. Für Vater Kleine war das eine Kleinigkeit, aber für die Kräfte Madelainens zu viel. Ein Nachbar, der mit einem Esel und einem Ochsen eggte, erbarmte sich ihrer und eggte ihr Feld unentgeltlich mit.

»Ich danke, Mathieu,« sagte Klein-Vater; »Du hast der armen Madelaine einen großen Gefallen getan.«

»Nicht Ursache,« antwortete der gefällige Nachbar; »aber wenn Ihr einen Rat von mir annehmen wollt, kauft Euch für das nächste Jahr einen Esel. Seht, der meinige da macht sich ganz gut. Ich habe eine kleine Erbschaft getan und werde mir noch einen Ochsen kaufen; da lasse ich Euch den Esel gern ab.«

Vater Kleine schüttelte den Kopf und antwortete:

»Das geht über meine Mittel.«

Dann drehte er sich aber zu Madelainen um, die ganz blass aussah und ihn betrübt betrachtete. Er seufzte.

»Es geht über die Mittel?« wiederholte Mathieu lächelnd. »Es ist also nicht wahr, dass Ihr einen Schatz vergraben habt?«

»Ach,« antwortete Vater Kleine, »wenn ich einen Schatz vergraben hätte, würde ich denn meine Schwiegertochter, die Witwe meines Wilhelm, an eine Egge spannen?«

»Freilich,« meinte Mathieu, der wohl einsah, dass er die bittere Wahrheit gehört hatte; es ist wahr und Ihr sollt meinen Esel wohlfeil haben.«

Vater Kleine sah den Grauen an; er war ein schöner Esel mit glänzendem Fell, langen geraden Ohren und einem prächtigen schwarzen Streifen auf dem Rüden hin. Er wagte endlich nach dem Preise zu fragen.

Nachbar Mathieu sah, was in den Fragenden Gedankten vorging und beruhigte ihn mit den Worten:

»Er ist nicht teuer und Ihr werdet keine solche Gelegenheit wiederfinden. Ich lasse Euch meinen Grauen für sechzig Francs, die Ihr mir in drei Jahren bezahlen könnt, zwanzig Francs jedes zu Martini. Das ist doch halb geschenkt, nicht wahr?«

Es war wahr und Vater Kleine hatte also nicht den Mut, wenn auch die Lust zu handeln. Er sah Madelainen an, welche die Augen abwendete, da sie ihren Schwiegervater zu einer solchen Ausgabe nicht veranlassen wollte.

»Wir wollen sehen,« sagte er.

»So seht zu,« antwortete Nachbar Mathieu. »Für Jeden kostet er achtzig, Euch lasse ich ihn für sechzig und ich verkaufe ihn nicht ohne es Euch zu melden.«

»Ich danke.«

»Ihr seid ja auch brave Leute und verdient's, dass der liebe Gott Euch segnet. Also wenn Ihr wollt, gehört der Graue Euch!«

Darauf schwang sich Mathieu auf seinen Esel und kehrte nach seinem Hause zurück, wohin der Ochs ihm folgte, der wusste, dass frisches Gras seiner im Stalle warte.

Vater Kleine hatte geantwortet; wir wollen sehen, nicht weil er nicht eingesehen, welchen Vorteil ihm ein solcher Handel bringe, sondern weil er den Esel erst bei der nächsten Bestellung brauchte und ihn bis dahin nicht nutzlos füttern wollte. Auch musste noch etwas anderes getan werden, ehe er den Grauen kaufen konnte, er musste einen Stall bauen und wie er eine Egge gefertigt hatte, so machte er nun den Maurer und baute einen Stall. Zum Glück gab es noch Platz hinter dem Hause und Steine auf dem Felde, er brauchte also nur einige Scheffel Kalk zu kaufen.

Ohne einem Menschen etwas zu sagen, ging Vater Kleine an die Arbeit. Freilich musste der Stall den Grauen sofort teurer machen. Zwar war Nachbar Mathieu ein braver Mann, aber so brav ein Mensch auch ist, der Teufel führt ihn des Tages mindestens siebenmal in Versuchung.

Merkwürdiger Weise baute er den Stall so groß, dass zwei Tiere darin Platz hätten finden können, aber er tat es gewiss nur in Folge eines geheimen Gedankens. Ein Gespann von einem Ochsen und einem Esel war die äußerste Grenze seiner Wünsche.

Am Tage nach der Vollendung des Stalles glaubte er einen Esel in demselben schreien zu hören. Er stand erstaunt auf, um nachzusehen.

Der Graue befand sich wirklich in seiner neuen Behausung und fraß von einem Bündel frischen Grases.

Klein-Vater fragte sich hinter dem Ohre und ging wieder in das Haus. Da traf er den Nachbar Mathieu, der unterdes eingetreten war, auf ihn wartete und ihn grüßte.

»Hast Du denn den Hans zu mir gebracht?« fragte Vater Klein.

»Nun freilich,« antwortete der Nachbar.

»Ich habe ihn ja nicht verlangt.«

»Das ist freilich wahr, aber ich sah doch, dass Ihr den Stall bautet und da dachte ich so bei mir: Klein-Vater scheint doch dein Grauchen kaufen zu wollen. Weil ich vorgestern einen zweiten Ochsen gekauft und in dem Stalle keinen Platz für drei Stück Vieh habe, sagte ich zu mir selber: jetzt ist die rechte Zeit, den Grauen unterzubringen, und so führte ich ihn in euren Stall.«

»Bei dem Preise bist Du geblieben?« fragte Vater Kleine mit einiger Besorgnis.

»Ein ehrlicher Mann hält sein Wort, und ich habe also von Euch sechzig Francs zu fordern, zwanzig nächste Martini, zwanzig übers Jahr und so fort.«

Vater Kleine dachte einen Augenblick nach und man sah es ihm recht leicht an, dass er sich mit einem großen Gedanken trug. Nach einigen Sekunden hatte er seinen Entschluss gefasst und er fragte:

»Etwas ließest Du doch wohl ab, wenn der Esel bar bezahlt würde?«

»Spaßvogel,« antwortete der Nachbar; »ich wusste es doch, dass Ihr einen Schatz irgendwo vergraben habt.«

»Davon reden wir nicht; ich frage bloß und Du hast mir eine Antwort darauf zu geben. Würdest Du etwas nachlassen oder nicht?«

»Sechs Francs lasse ich ab und bezahle eine Flasche Wein.«

»Ein Nachlass von zehn Francs ohne Wein wäre mir lieber,«

»Ah so!« antwortete der Nachbar Mathieu lachend, »ich habe ganz vergessen, dass Ihr ein Wassertrinker seid.«

»Der Wein bekommt mir nicht.«

»Nun, so gebt fünfzig Francs,« fuhr der Nachbar fort, »und da ich kein Geizhals bin wie Ihr, bezahle ich doch noch eine Flasche.«

»Gut. Ich komme zu Dir und bringe Dir das Geld.«

»Da,« meinte der Nachbar, »damit ich nicht sehe, wo Ihr es versteckt habt. Vater Kleine, Ihr seid ein Pfiffikus.«

Der Nachbar war aber auch ein Pfiffikus, denn er hatte recht geraten. Vater Kleine leugnete zwar, dass er aus diesem Grunde nicht auf der Stelle zahle, aber seine Beteuerungen überzeugten den Nachbar nicht, der Kopfschüttelnd fortging und vor sich hin brummte: »er ist ein alter Pfiffikus.«

Kaum hatte er sich aus dem Hause entfernt, so machte Vater Kleine die Tür zu, horchte auf der ersten Treppenstufe, ob Madelaine, die oben war, nicht etwa gerade herunter kommen wolle, schlich dann an sein Bett, sah sich ängstlich um und nahm aus einem Verstecke in der Wand ein eisernes Kästchen, das er mit einem Schlüsselchen öffnete, welches an einem Riemchen im Knopfloche seiner Lederbeinkleider hing. Dann hob er leise mit einer Hand den Deckel auf, als fürchte er, die fünfzehn Louisdor, welche darin lagen, könnten Flügel erhalten haben und fortfliegen wollen, griff mit dem Daumen und Zeigefinger der andern Hand hinein, nahm zwei schöne Louisd'or heraus, schloß das Kästchen wieder zu, stellte es an seinen Ort, vervollständigte die fünfzig Francs mit dem fehlenden einzelnen Gelde, dass er theils aus einem Leberbeutelchen nahm, theils aus allen Taschen zusammen suchte und betrachtete dabei mehrmals seine beiden armen Goldstücke, die ihren Herrn wechseln sollten, mit tiefem Seufzer. Endlich ging er hinaus, um das Geld fortzutragen, schritt aber an dem Stalle vorbei, um sich für das Opfer, das er brachte, an dem Anblicke des Grauen wenigstens in etwa zu trösten.

Himmel und Hölle

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