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Der General Bonaparte
ОглавлениеBonaparte war, wie wir gesehen, zur Belohnung für seine der Republik vor Toulon geleisteten Dienste, zum Artilleriegeneral der Armee von Nizza befördert worden. Hier trat er in ein vertrautes Verhältnis mit dem jüngeren Robespierre, der bei dieser Armee abgeordneter Volksvertreter war. Kurze Zeit vor dem 9. Thermidor nach Paris zurückberufen, gab sich Robespierre alle Mühe, den jungen General zu bestimmen, ihm in die Hauptstadt zu folgen; aber Bonaparte weigerte sich beharrlich; noch war die Stunde nicht gekommen, wo er Partei nehmen sollte.
Zudem hielt ihn vielleicht noch ein anderer Beweggrund zurück, und – war es diesmal wieder der Zufall, der das Genie schützte? In diesem Falle hatte sich der Zufall in der Gestalt einer schönen jungen Volksvertreterin verkörpert, die zu Nizza die Sendung ihres Gemahls teilte. Bonaparte hegte eine ernste Neigung für sie, die er durch echt kriegerische Huldigungen bewies. Eines Tags, als er mit ihr in der Nähe des Col di Tenda spazieren ging, wollte der junge General seiner schönen Begleiterin das Schauspiel eines kleinen Krieges bieten und befahl ein Vorpostengefecht. Ein Dutzend Soldaten fielen dieser Belustigung zum Opfer, und Napoleon hat mehr als einmal auf St. Helena gestanden, dass diese zwölf ohne wirklichen Grund, aus bloßer Laune getöteten Menschen ihm größere Gewissensbisse verursachten als der Tod der 600 000 Soldaten, deren Gebeine er in den Eissteppen Russlands gelassen hatte.
Inzwischen fassten die Volksvertreter bei der italienischen Armee folgenden Beschluss:
„Der General Bonaparte hat sich nach Genua zu begeben, um in Verbindung mit den Geschäftsträgern der französischen Republik seinen Aufträgen gemäß mit der Regierung von Genua zu unterhandeln.
„Der Geschäftsträger bei der genuesischen Republik hat ihn anzuerkennen und bei der Regierung von Genua zu beglaubigen.
Loano, den 25. Messidor im II. Jahr der Republik.“
Der wahre Zweck dieser Sendung war, den jungen General die Festungen Savona und Genua mit eigenen Augen sehen zu lassen, ihm Gelegenheit zu geben, über die Artillerie und sonstige Kriegsvorräte alle möglichen Aufschlüsse zu erhalten, endlich ihn instand zu setzen, alles Tatsächliche festzustellen, woraus man die Absichten der genuesischen Regierung der Koalition gegenüber erkennen könnte. Während Bonaparte diese Sendung erfüllte, bestieg Robespierre das Schafott, und an die Stelle der terroristischen Volksvertreter traten Albitte und Salicetti. Bei ihrer Ankunft zu Barcelonette machten sie folgenden Beschluss – es war dies der Dank, der des rückkehrenden Bonaparte wartete, – bekannt:
„Die Volksvertreter bei der Alpen- und bei der italienischen Armee fassen, in Erwägung, dass der General Bonaparte, Oberbefehlshaber bei der Artillerie der italienischen Armee, ihr Vertrauen durch das verdächtigste Benehmen und besonders durch seine jüngste Reise nach Genua gänzlich verloren hat, folgenden Beschluss:
„Der Brigadegeneral Bonaparte, Oberbefehlshaber bei der Artillerie der italienischen Armee, ist vorläufig seiner Stelle enthoben: er soll durch Maßnahme und unter Verantwortlichkeit des Obergenerals der genannten Armee in Verhaft genommen und unter guter und sicherer Bedeckung vor den öffentlichen Wohlfahrtsausschuss nach Paris geführt werden; alle seine Papiere und Effekten, von denen die von den Volksvertretern Albitte und Salicetti an Ort und Stelle zu ernennenden Kommissare ein Verzeichnis zu machen haben, sind unter Siegel zu legen, und was davon verdächtig erscheint, ist nach Paris an den öffentlichen Wohlfahrtsausschuss zu senden.
Gegeben zu Barcelonette den 19. Thermidor des Jahres II der einen, unteilbaren und demokratischen französischen Republik.
Gezeichnet:
Albitte, Salicetti, Laporte.
Für die Richtigkeit der Abschrift der Obergeneral
der italienischen Armee:
Gezeichnet: Dumerbion.“
Der Beschluss wurde vollzogen; Bonaparte, zu Nizza ins Gefängnis geführt, blieb vierzehn Tage darin, worauf er durch einen von denselben Männern unterzeichneten zweiten Beschluss vorläufig wieder in Freiheit gesetzt ward.
Übrigens entkam Bonaparte einer Gefahr nur, um in eine Unannehmlichkeit zu geraten. Die Ereignisse des Thermidor hatten eine Umgestaltung in den Konventsausschüssen mit sich gebracht; ein alter Kapitän, namens Aubry, stand nun an der Spitze des Ausschusses und entwarf eine neue Heeresordnung, auf der er sich als Artilleriegeneral verzeichnet hatte. Was Bonaparte betrifft, so erteilte man ihm als Ersatz für den entzogenen Rang eines Artilleriegenerals den eines Infanteriegenerals in der Vendée. Bonaparte, der den Schauplatz eines Bürgerkriegs in einem Winkel Frankreichs für seinen Ehrgeiz zu eng fand, weigerte sich, diesen Posten zu übernehmen, und wurde kraft eines Beschlusses des öffentlichen Wohlfahrtsausschusses aus der Liste der aktiven Oberoffiziere gestrichen.
Schon hielt sich Bonaparte für zu unersetzlich für Frankreich, um nicht durch eine solche Ungerechtigkeit tief niedergeschlagen zu werden; aber da er noch nicht auf einem jener Gipfel des Lebens angelangt war, von wo aus man den ganzen Horizont überblickt, den man noch zu durchlaufen hat, so hatte er allerdings schon Hoffnungen, aber noch keine Gewissheiten. Diese Hoffnungen zerrannen jetzt; er, der sich so voll Aussichten und Genie gefühlt hatte, glaubte sich nun zu einer langen, wo nicht ewigen Untätigkeit verdammt, und das in einem Zeitpunkte, wo jeder, der vorwärts ging, zum Ziele gelangte! Vorläufig mietete er ein Zimmer in einem Hause der Rue Mail, verkaufte für 6000 Franken seine Pferde und Wagen, raffte das wenige Geld, das ihm gehörte, zusammen und beschloss, sich aufs Land zurückzuziehen. Eine gesteigerte Einbildungskraft springt leicht von einer Übertreibung zur andern. Aus dem Lager verbannt, sah Bonaparte nichts mehr vor sich als das Landleben; da er nicht Cäsar sein konnte, machte er sich zu einem Cincinnatus.
Da kam ihm wieder Valence in den Sinn, wo er so unbekannt, so glücklich drei Jahre lang verlebt hatte. Dorthin wendete er seinen forschenden Blick, und sein Bruder Joseph, der nach Marseille zurückkehrte, begleitete ihn. In der Nähe von Montélimar machen die beiden Wanderer halt; Bonaparte findet Lage und Klima der Stadt nach seinen Wünschen und fragt, ob nicht in der Umgegend ein Gut von geringem Wert zu kaufen sei. Man schickt ihn zu Herrn Grasson, einem gefälligen Anwalt, bei dem er bis zum anderen Tage verweilt, wo sie ein kleines Landgut, namens Beauserret, besichtigen, dessen Beiname „Schönsitz“ schon die anmutige Lage bezeugte. Wirklich nehmen Bonaparte und Joseph dieses Gut in Augenschein. Es passt für sie in jeder Hinsicht, nur fürchten sie, es würde nach seinem Umfang und Zustand im Preis zu hoch sein. Sie wagen eine Frage – „Dreißigtausend Franken“ – wie geschenkt!
Bonaparte und Joseph kommen nach Montélimar zurück und beraten sich. Ihr vereinigtes kleines Vermögen gestattet ihnen, diese Summe an ihre künftige Einsiedelei zu setzen, und sie sagen auf den dritten Tag ihre Entschließung zu. Noch an Ort und Stelle wollen sie handelseinig werden, so sehr gefällt ihnen Beauserret. Herr Grasson begleitet sie von neuem dahin; sie besichtigen das Anwesen noch genauer als das erste Mal; da fragt Bonaparte, erstaunt, dass man für ein so schönes Landgut so wenig fordert, mit einem Mal, ob kein besonderer Grund vorliege, der den Preis herunterdrücke.
„Ja,“ antwortete Herr Grasson, „aber für Sie ist er ohne Wichtigkeit.“
„Gleichviel,“ erwidert Bonaparte, „ich möchte ihn doch wissen.“
„Es wurde ein Mord darin begangen.“
„Und von wem?“
„Von einem Sohn an seinem Vater.“
„Ein Vatermord!“ ruft Bonaparte aus und wird noch blässer als gewöhnlich, „fort von hier, Joseph!“
Und seinen Bruder am Arme fassend, stürzte er aus den Zimmern, stieg wieder auf seinen Wagen, forderte, in Montélimar angekommen, Pferde und reiste stehenden Fußes nach Paris zurück, während Joseph seinen Weg nach Marseille fortsetzte.
Letzterer ging dahin, um die Tochter eines reichen Kaufmanns, namens Clary, zu heiraten, der später auch Bernadottes Schwiegervater wurde.
Bonaparte aber nahm nun, vom Schicksal abermals nach Paris, diesem großen Mittelpunkt der Ereignisse, verschlagen, dort das dunkle und verborgene Leben wieder auf, das ihm so schwer fiel. Da er bald seine Tatenlosigkeit unerträglich fand, legte er der Regierung ein Schriftstück vor, worin er auseinandersetzte, wie es in Frankreichs Interesse liege, in einem Augenblick, wo die Kaiserin von Russland ihr Bündnis mit Österreich noch enger Schloss, die Militärmacht der Türkei so viel wie möglich zu vergrößern. Demgemäß machte er der Regierung das Anerbieten, nach Konstantinopel zu gehen und sechs bis sieben Offiziere der verschiedenen Waffengattungen mitzunehmen, die die zahlreichen und tapferen, aber undisziplinierten Truppen des Sultans nach militärischen Grundsätzen einüben könnten.
Die Regierung würdigte das Schriftstück nicht einmal einer Antwort, und Bonaparte blieb in Paris. Was wären die Folgen für die Weltgeschichte gewesen, wenn ein Mitglied des Ministeriums ans Ende dieser Bittschrift das Wort: Bewilligt!“ gesetzt hätte! – Gott allein weiß es.
Inzwischen war am 22. August 1795 die Verfassung des Jahres III angenommen worden; die Gesetzgeber, die sie schufen, haben darin bestimmt, dass zwei Drittel der Mitglieder des Nationalkonvents in den neuen gesetzgebenden Körper übergehen sollten. Dabei stürzten die Hoffnungen der Gegenpartei zusammen, die bei einer gänzlichen Neuwahl eine andere, ihre Meinung vertretende Majorität zu gewinnen hoffte. Diese Gegenpartei wurde von den meisten Pariser Sektionen unterstützt, die erklärten, die Verfassung nur dann annehmen zu wollen, wenn die Bestimmung über die Wiederwahl der zwei Drittel aufgehoben würde.
Der Konvent beharrte auf seinem unveränderten Beschluss. Die Sektionen begannen zu murren, am 25. September kam es zu vorläufigen Unordnungen; endlich am 4. Oktober oder 12. Vendemiaire wurde die Gefahr so dringend, dass der Konvent es an der Zeit erachtete, ernstlich seine Stellung zu wahren. Demgemäß erließ er an den General Alexander Dumas, den Obergeneral der Alpenarmee, der zurzeit beurlaubt war, folgendes Schreiben, dessen Kürze schon die Dringlichkeit der Umstände beweist:
„Der General Alexander Dumas wird sich stehenden Fußes nach Paris begeben, um daselbst den Befehl der bewaffneten Macht zu übernehmen.“
Das Schreiben des Konvents wurde ins Hotel Mirabeau, wo sich der General aufhalten sollte, getragen; aber Dumas war drei Tage vorher nach Villers-Cotterets abgereist, wo er am 13. morgens den Brief erhielt.
Inzwischen wuchs die Gefahr von Stunde zu Stunde; unmöglich konnte man die Ankunft des Generals erwarten. So wurde während der Nacht der Volksvertreter Barras zum Oberbefehlshaber der Armee des Innern ernannt; er bedurfte eines Helfers und warf seine Augen auf – Bonaparte.
Wie man sieht, hatte das Schicksal seinen Pfad geklärt; die Stunde der Zukunft, die, heißt es, einmal für jeden Menschen schlagen muss, war für ihn angebrochen, und die Kanone des 13. Vendemiaire brüllte in der Hauptstadt.
Die Sektionen, die er vernichtet hatte, gaben ihm den Namen „ Kartätscher“, und der Konvent, den er gerettet, den Titel eines Obergenerals der italienischen Armee.
Aber dieser große Tag sollte nicht allein auf Bonapartes politisches Leben Einfluss haben; auch sein Privatleben sollte davon abhängen und neue Gestalt gewinnen. Die Entwaffnung der Sektionen war mit einer Strenge vorgenommen worden, die bei den Umständen unerlässlich war. Da verschafft sich eines Tages ein Knabe von zehn bis zwölf Jahren beim Generalstab Eingang und flehte den General Bonaparte an, er möchte ihm den Degen seines Vaters, der General der Republik gewesen war, zurückgeben lassen. Bonaparte, von der Bitte und der jugendlichen Anmut, womit sie ihm vorgetragen worden war, gerührt, ließ den Degen suchen und gab ihn dem Knaben zurück.
Beim Anblick der ihm heiligen, verloren geglaubten Waffe küsste das Kind weinend den Griff, den die Vaterhand berührt hatte. Dem General ging diese Sohnesliebe zu Herzen, und er erwies dem Kinde so viel Wohlwollen, dass die Mutter sich verbunden glaubte, ihm am folgenden Tage einen Dankesbesuch abzustatten.
Das Kind war – Eugen, und die Mutter – Josephine, die Witwe des Generals v. Beauharnais, mit der Bonaparte am 9. März 1796 sich bürgerlich trauen ließ, nachdem er zwei Tage vorher vom Direktorium auf Carnots Vorschlag zum Chefgeneral der italienischen Armee ernannt worden war.
Am 12. März 1796 reiste Bonaparte zur italienischen Armee ab. In seinem Wagen hatte er 2000 Louisdor, das war alles, was er, wenn er sein und seiner Freunde Vermögen zu den Subsidien des Direktoriums legte, hatte zusammenbringen können. Mit dieser Summe geht er, Italien zu erobern; sie betrug den siebenten Teil von dem, was Alexander zur Eroberung Indiens mitnahm.
In Nizza fand er eine Armee ohne Kriegszucht, ohne Munition, ohne Lebensmittel, ohne Kleidung. Im Hauptquartier angekommen, lässt er jedem General, damit er sich zum Feldzug ausrüsten könne, die Summe von vier Louisdor reichen; darauf sagte er zu den Soldaten, indem er nach Italien hinwies:
„Kameraden, inmitten dieser Felsen hier fehlt es euch an allem; schaut auf die reichen Ebenen, die sich zu euren Füßen entfalten; sie gehören uns! Auf, nehmen wir sie!“
Das war ungefähr dieselbe Rede, wie sie Hannibal vor neunzehn Jahrhunderten an seine Soldaten gerichtet hatte. In der Zwischenzeit war nur einer hier gewandelt, der würdig wäre, diesen beiden Männern an die Seite gestellt zu werden, – Cäsar!
Die Soldaten, an die Bonaparte solche Worte richtete, waren die Trümmer einer Armee, die sich seit zwei Jahren in den öden Felsen des Gestades von Genua mit Mühe des Feindes erwehrten, der, 200 000 Mann stark, aus den besten Truppen Österreichs und des Königreichs Sardinien gebildet, vor ihnen stand. Bonaparte griff diese Masse mit kaum 30 000 Mann an und schlägt sie fünfmal in elf Tagen, bei Montenotte, bei Millesimo, bei Dego, bei Vico und bei Mondovi. Darauf nimmt er, mit der einen Hand die Tore der Städte brechend, mit der anderem die Schlachten schlagend, die Festen Coni (Cuneo), Tortona, Alessandria und Ceva. In elf Tagen sind die Österreicher von den Piemontesen getrennt, Provera ist gefangen, und der König von Sardinien genötigt, in seiner eigenen Hauptstadt eine Kapitulation zu unterzeichnen. Jetzt dringt Bonaparte nach Oberitalien vor und schreibt, auf Grund der errungenen Erfolge die künftigen vorahnend, an das Direktorium: „Morgen marschiere ich gegen Beaulieu, ich zwinge ihn, über den Po zurückzugehen, ich setze unmittelbar nach ihm hinüber, ich bemächtige mich der ganzen Lombardei, und ehe ein Monat vergeht, hoffe ich, auf den Tiroler Bergen zu sein, dort die Rheinarmee zu treffen und mit ihr zusammen den Krieg nach Bayern zu tragen.“
In der Tat, Beaulieu wird verfolgt. Vergeblich wendet er sich, den Übergang über den Po zu verhindern: der Übergang wird ins Werk gesetzt. Er rettet sich hinter die Mauern von Lodi, ein dreistündiger Kampf verjagt ihn daraus. Er stellt sich auf dem linken Ufer der Adda in Schlachtordnung und verwehrt mit seiner ganzen Artillerie den Übergang über die Brücke, die abzubrechen er nicht die Zeit gefunden hatte. Am 10. Mai treffen die französischen Kolonnen vor dem Flusse ein und erzwingen unter Bonapartes eigener kühner Führung den Übergang; die österreichische Nachhut flüchtet. Nun unterwirft sich Pavia; Pizzighetone und Cremona fallen, das Schloss von Mailand öffnet seine Tore, der König von Sardinien unterzeichnet den Friedensvertrag, die Herzöge von Parma und Modena folgen seinem Vorgang, und Beaulieu hat nur noch Zeit, sich in Mantua einzuschließen.
Bei diesem Vertrag mit dem Herzog von Modena gab Bonaparte die erste Probe seiner Uneigennützigkeit, indem er vier Millionen in Gold ablehnte, die ihm der Kommandant von Este im Namen seines Bruders anbot, und zu deren Annahme ihn Salicetti, der Regierungskommissär bei der Armee, drängte.
In diesem Feldzuge erhielt er auch den volkstümlichen Namen, der ihm im Jahre 1815 die Tore Frankreichs wieder öffnete, und zwar bei folgender Gelegenheit. Als er den Oberbefehl der Armee übernahm, setzte seine Jugend die Veteranen nicht wenig in Erstaunen, weshalb sie beschlossen, ihm selber die niederen Grade zu übertragen, deren ihn die Regierung enthoben zu haben schien. Somit traten sie nach jeder Schlacht zusammen, um ihm einen Grad zu erteilen, und wenn er ins Lager zurückkehrte, wurde er von den ältesten Schnurrbärten empfangen, die ihn mit seinem neuen Titel begrüßten. So geschah es, dass er bei Lodi Korporal wurde. Daher der Beiname Kleiner Korporal, der ihm dann für immer blieb.
Indessen hat Bonaparte auf einen Augenblick haltgemacht, und während dieses Haltes ereilt ihn der Neid. Das Direktorium, das aus der Korrespondenz des Soldaten den Staatsmann erkennt, gerät in Furcht, der Sieger möchte sich zum Schiedsrichter von Italien aufwerfen, und macht Miene, ihm Kellermann beizugeben. Bonaparte erfährt es und schreibt:
„Mir Kellermann beigeben heißt alles verderben wollen. Ich kann nicht freiwillig neben einem dienen, der sich für den besten Taktiker Europas hält; zudem glaube ich, dass ein schlechter General Besseres leistet als zwei gute. Der Krieg ist, wie das Regieren, eine Sache des Taktes.“
Darauf hält er seinen feierlichen Einzug in Mailand, wo er sich zur Eroberung Oberitaliens rüstet, während das Direktorium zu Paris den von Salicetti am Turiner Hofe geschlossenen Frieden unterzeichnet, und die mit Parma angeknüpften Unterhandlungen zu Ende gebracht sowie die mit Neapel und Rom eröffnet werden.
Der Schlüssel zu Deutschland ist Mantua, also muss Mantua genommen werden. Hundertfünfzig im Mailänder Schloss eroberte Kanonen werden auf die Stadt gerichtet; Serrurier erstürmt ihre Außenwerke, und die Belagerung beginnt.
Da fühlt das Wiener Kabinett die ganze Schwere seiner Lage. Es schickt Beaulieu 25 000 Mann unter Quosdanovichs Befehlen und 35 000 unter Wurmser zu Hilfe. Ein mailändischer Spion erhält Depeschen, die diese Verstärkung anmelden, und macht sich verbindlich, in die Stadt zu gelangen.
Der Spion fällt einer von dem Adjutanten Dermoncourt kommandierten Nachtrunde in die Hände und wird vor den General Dumas geführt. Umsonst durchsucht man ihn, man findet nichts. Eben will man ihn wieder in Freiheit setzen, als der General, von einer bedeutungsvollen Ahnung getrieben, auf den Gedanken kommt, dass er seine Depesche verschluckt habe. Der Spion leugnet, aber als der General Dumas befiehlt, ihn zu erschießen, gesteht es der Spion ein. Er wird der Obhut des Adjutanten Dermoncourt überlassen, der vermittels eines von dem Oberchirurgen verordneten Brechmittels in den Besitz eines Wachskloßes von der Größe eines Sandkügelchens gelangt. Dieser enthält Wurmsers Brief auf einem mit einer Rabenfeder beschriebenen Pergament. Der Brief, der die ausführlichste Auskunft über die Bewegungen der feindlichen Armee gibt, wird an Bonaparte geschickt. Quosdanovich und Wurmser haben sich getrennt: ersterer marschiert auf Brescia. letzterer auf Mantua, ein Fehler, der bereits Provera und Argenteau zum Verderben gereicht hat. Bonaparte lässt 10 000 Mann vor der Stadt und eilt mit 25 000 Quosdanovich entgegen, den er in die Engpässe von Tirol zurückwirft, nachdem er ihn bei Salo und Lonato geschlagen hat. Dann wendet er sich urplötzlich gegen Wurmser, der die Niederlage seines Mitfeldherrn durch die Gegenwart der feindlichen Armee, die ihn überwunden hat, erfährt. Mit französischer Heftigkeit angefallen, wird er bei Castiglione geschlagen. So haben die Österreicher in fünf Tagen 20 000 Mann und 50 Kanonen, verloren. Doch hat der letzte Kampf Quosdanovich Zeit gegeben, sich wieder zu sammeln; Bonaparte kommt gegen ihn zurück und schlägt ihn bei San-Marco, Serravalle und Roveredo: dann kehrt er wieder um und schreitet, nach den Kämpfen bei Bassano, Rimolano und Cavalo, zum zweitenmal zur Belagerung Mantuas, in das sich Wormser mit den Trümmern seiner Armee geworfen hat.
Während er so in Oberitalien gewaltige Aufgaben vollendet, bilden sich hier auf sein Wort neue Staaten. Er gründet die zispadanische und transpadanische Republik, verjagt die Engländer aus Korsika und hält zugleich Genua, Venedig und den Heiligen Stuhl so unter dem Daumen, dass sie sich nicht zu erheben vermögen. Aufs neue entreißt ihn diesen umfassenden politischen Neuordnungen das Herannahen einer neuen kaiserlichen Armee unter Alvinczys Befehlen, aber eine verhängnisvolle Macht erdrückt diesen wie die früheren Gegner. Denselben Fehler, den sich seine Vorgänger zuschulden kommen ließen, begeht auch Alvinczy. Er teilt seine Armee in zwei Korps; das eine von 30 000 Mann soll unter seiner Anführung durch das Veronesische ziehen und Mantua gewinnen, das andere von 25 000 Mann unter Quosdanovichs Kommando sich an der Etsch ausbreiten. Bonaparte marschiert gegen Alvinczy und erreicht ihn bei Arcole. Am 15. November stellen sich ihm in der Nähe dieses Dorfes an dem Flüßchen Alpone ein paar Bataillone Kroaten und Siebenbürger Wallachen entgegen und suchen die dortige Brücke zu halten, bis Verstärkungen herankommen. Es gilt für die Franzosen, den Übergang zu erzwingen, bevor diese eintreffen, allein alle Stürme vereitelt das mörderische Feuer der Gegner. Da stellt sich Bonaparte, eine Fahne ergreifend, persönlich an ihre Spitze und stürmt mit seinem Stabe den Truppen voran auf die Brücke. Allein auch dies ist umsonst; neben ihm fällt ein Adjutant, mehrere andere Offiziere werden verwundet, und ein Gegenangriff der Österreicher bringt alles in Verwirrung. Der Obergeneral wird von seinen fliehenden Truppen fortgerissen, und gerät, in einen Sumpf gestürzt, in persönliche Gefahr, so dass er nur mit Mühe gerettet werden kann. Am 16. und 17. November entbrennt alsdann die eigentliche Schlacht gegen die ganze Macht Alvinczys. Bonaparte läßt ihn nicht eher los, als bis er von den Österreichern 500 Tote auf dem Schlachtfeld gebettet und ihnen 8000 Gefangene und 30 Kanonen abgenommen hat. Dann wirft er sich, jede Rast nach dem schweren Ringen verschmähend, zwischen Davidovich, der aus Tirol hervorbricht, und Wurmser, der von Mantua ausfällt, und wirft den einen in seine Berge, den andern in seine Stadt zurück. Auf dem Schlachtfeld erfährt er, daß Alvinczy und Provera im Begriff sind, ihre Vereinigung zu bewerkstelligen. Da jagt er Alvinczy bei Rivoli in wilde Flucht, zwingt Provera, durch die Kämpfe von San Giorgio und la Favorita, die Waffen niederzulegen, und eilt wieder gegen Mantua, das er umringt, erstickt und zwingt, in dem Augenblicke sich zu ergeben, wo eine fünfte Armee, aus den Rheinreserven gezogen, unter den Befehlen des Erzherzogs Karl herbeieilt.
Kein Schlag soll Österreich erspart bleiben; die Niederlagen seiner Generale müssen bis zum Throne reichen. Am 10. März 1797 wird Prinz Karl beim Übergang über den Tagliamento geschlagen, ein Sieg, der uns die Staaten Venedigs und die Engpässe Tirols öffnet. Die Franzosen dringen im Sturmmarsch auf dem geöffneten Wege vor, triumphieren bei Lavis, Trasmis und Clausen, ziehen in Triest ein, nehmen Tarvis, Gradiska und Villach. setzen dem blutenden Erzherzog auf den Fersen nach, lassen von ihm nur ab, um die Straßen nach der Hauptstadt Österreichs zu besetzen, und dringen endlich bis auf 30 Stunden von Wien vor.
Hier macht Bonaparte halt, um die Unterhändler zu erwarten. Ein Jahr nur ist's, daß er Nizza verließ, und während dieses Jahres hat er sechs Armeen vernichtet, Alessandria, Turin, Mailand, Mantua genommen und die dreifarbige Fahne auf den piemontesischen, italienischen und Tiroler Alpen aufgepflanzt. Um ihn her und neben ihm beginnen bereits andere Namen zu glänzen: Massena, Augereau, Joubert, Marmont, Berthier. Das Siebengestirn bildet sich, die Planeten drehen sich um ihre Sonne, der Himmel des Kaiserreichs bestirnt sich!
Bonaparte hatte sich nicht getäuscht, die Unterhändler langen an. Leoben wurde zum Ort der Unterhandlungen gewählt, zu denen Bonaparte keiner Vollmachten vom Direktorium mehr bedarf. Er hat den Krieg geführt, er wird auch den Frieden machen. „Bei der Sachlage sind sogar die Unterhandlungen mit dem Kaiser zu einer militärischen Operation geworden.“ Nichtsdestoweniger zieht sich diese Operation in die Länge, mit allen möglichen Schlichen und Schlingen der Diplomatie wird sie umringt und gelähmt. Aber der Tag kommt, wo der Löwe müde wird, im Garn stillzuhalten. Mitten in einer Erörterung springt er auf, faßt ein prächtiges Porzellanservice, wirft es in Stücke und zertritt es mit den Füßen. Dann ruft er den erstarrenden Bevollmächtigten zu: „So werde ich euch alle zermalmen, da ihr es nicht besser haben wollt!“ Die Diplomaten zeigen sich gefügiger. Man liest den Vertrag vor. Im ersten Artikel erklärt der Kaiser von Österreich, daß er die französische Republik anerkenne. „Streicht diesen Artikel,“ ruft Bonaparte, „die französische Republik ist wie die Sonne am Firmament, nur die Blinden trifft ihr Glanz nicht!“
So halt Bonaparte im Alter von 27 Jahren in der einen Hand den Degen, der die Staaten zerteilt, und in der anderen die Wage, die die Könige wägt. Mag ihm das Direktorium immerhin seine Bahn vorzeichnen, er folgt der eigenen; befiehlt er auch noch nicht, so gehorcht er doch schon nicht mehr. Das Direktorium schreibt ihm, er solle daran denken, daß Wurmser ein Emigrant ist; Wurmser fällt in die Hände Bonapartes, und er hat für ihn alle seinem Unglück und seinem Alter schuldigen Rücksichten. Das Direktorium bedient sich dem Papst gegenüber beschimpfender Formen; Bonaparte schreibt ihm immer mit Achtung und nennt ihn nie anders als Heiliger Vater. Das Direktorium deportiert und ächtet die Priester; Bonaparte befiehlt seiner Armee, sie als Brüder zu achten und als Diener Gottes zu ehren. Das Direktorium versucht, die Aristokratie mit der Wurzel auszurotten; Bonaparte erläßt an die Demokratie in Genua ein tadelndes Schreiben wegen der maßlosen Verfolgung des Adels und läßt sie wissen, daß sie Dorias Standbild ehren muß, wenn sie seine Achtung nicht verlieren soll.
Am 15. Vendemiaire des Jahres VI (17. Oktober 1797) wird der Friede von Campo Formio unterzeichnet, und Österreich, dem man Venedig läßt, entsagt seinen Rechten auf Belgien und seinen Ansprüchen auf Italien. Bonaparte verläßt Italien und geht nach Frankreich; am 15. Frimairé desselben Jahrs (5. Dezember 1797) kommt er in Paris an.
Bonaparte war zwei Jahre entfernt gewesen, und in diesen zwei Jahren hatte er 150 000 Gefangene gemacht, 170 Fahnen, 550 Kanonen, 600 Feldstücke, 4 Pontontrains, 9 Schiffe von 64 Kanonen, 12 Fregatten von 52, 12 Korvetten und 18 Galeeren erbeutet; noch mehr! 2000 Louisdor hatte er, wie wir oben gesehen haben, aus Frankreich mitgenommen und dafür nach und nach 50 Millionen dahin geschickt; so war es diesmal gegen alle alten und neuen Traditionen die Armee, die das Vaterland nährte.
Mit dem Frieden mußte Bonaparte dem Ende seiner militärischen Laufbahn entgegensehen. Da er aber nicht in Untätigkeit bleiben konnte, so strebte sein Ehrgeiz nach der Stelle eines der beiden austretenden Direktoren. Unglücklicherweise war er erst 28 Jahre alt, und so wäre seine Ernennung eine so große und so schnelle Verletzung der Verfassung vom Jahre III gewesen, daß man nicht einmal den Vorschlag zu machen wagte. So bezog er denn wieder sein kleines Haus in der Rue Chantereine und rang mit den Erfindungen seines Genies vor allem gegen den fürchterlichsten Feind, den er bis dahin bekämpft hatte, – gegen das Vergessenwerden.
„In Paris,“ sagte er, „behält man nichts im Gedächtnis; bleibe ich lange müßig, so bin ich verloren. In diesem großen Babel verschlingt ein Ruhm den andern, und wenn man mich ganze drei Male im Schauspielhause des Anblicks würdig geachtet hat, wird man mich nicht mehr ansehen.“
Deshalb ließ er sich bis auf Besseres zum Mitglied des Instituts ernennen.
Endlich am 29. Januar 1798 sagte er zu seinem Geheimschreiber: „Bourrienne, ich mag hier nicht bleiben, es gibt nichts zu tun. Ich merke wohl, wenn ich bleibe, bin ich in kurzem unten. Hier nutzt sich alles ab; schon habe ich keinen Ruhm mehr. Dieses kleine Europa bietet nicht genug, es ist ein Maulwurfshügel. Nur im Orient hat es große Reiche und große Revolutionen gegeben, im Orient, wo 600 Millionen Menschen leben, dorthin gilt es zu gehen; alle großen und berühmten Männer stammen dorther.“
Ihn aber treibt es, die großen und berühmten Männer zu überragen. Bereits hat er mehr getan als Hannibal, er wird so viel tun wie Alexander und Cäsar zusammen. An den Pyramiden, wo diese beiden großen Namen eingegraben sind, soll auch der seinige nicht fehlen.
Am 12. April 1798 wurde Bonaparte tatsächlich zum Obergeneral der Armee des Orients ernannt.
Man sieht, schon brauchte er bloß noch zu verlangen, um zu erhalten. In Toulon, wo er Anfang Mai ankommt, zeigt ihm die Probe, daß er nur zu befehlen hat, um Gehorsam zu finden.
Ein achtzigjähriger Greis war zwei Tage vor seiner Ankunft in dieser Stadt erschossen worden. Am 16. Mai 1798 schreibt er an die auf Grund des Gesetzes vom 19. Fruktidor ernannten Kriegsausschüsse der 9. Division folgenden Brief:
„Bonaparte, Mitglied des Nationalinstituts.
Mit größtem Schmerze, Bürger, habe ich erfahren, daß siebzig- bis vierundachtzigjährige Greise, arme, schwangere Frauen oder Mütter kleiner Kinder, nachdem sie der Auswanderung überwiesen, erschossen worden sind.
„Sind denn die Soldaten die Henker der Freiheit geworden?
„Ist das Mitleid, das sie bis ins Handgemenge begleitete, jetzt in ihrem Herzen erstorben?
Das Gesetz vom 19. Fruktidor war eine Maßregel der öffentlichen Wohlfahrt; die Verschwörer wollte es treffen, nicht aber elende Weiber und hinfällige Greise.
Ich ermahne euch darum, Bürger, sooft das Gesetz Greise über sechzig Jahre oder Frauen vor euren Richterstuhl führt, zu erklären, daß ihr mitten im Kampfe die Greise und Frauen eurer Feinde geschont habt.
Der Krieger, der einen Blutbefehl gegen eine Person unterzeichnet, die nicht imstande ist, die Waffen zu tragen, ist ein Feiger.
Bonaparte.“
Dieser Brief rettete einem unglücklichen Angeklagten das Leben. Drei Tage darauf schiffte sich Bonaparte ein. So ist sein letztes Lebewohl an Frankreich ein königlicher Akt der Ausübung des Begnadigungsrechtes.
Malta war zum voraus erkauft; Bonaparte ergriff ohne Schwierigkeit davon Besitz und steigt bereits am 1. Juli 1798 in Ägypten in der Nähe des Forts Marabu nicht weit von Alexandria ans Land.
Sobald dies Murad Bei, den der Feind wie einen Löwen in seiner Höhle aufsuchen will, erfuhr, umgab er sich mit seinen Mamelucken, ließ den Nilstrom hinab eine Flottille von kriegsgerüsteten Djermen, Kangen und Schaluppen gehen und sie am Ufer des Flusses von einem 12 000 bis 15 000 Reiter starken Korps begleiten, dem Desaix, der unsere Vorhut befehligte, am 14. bei dem Dorfe Minieh-Salam begegnete. Das war seit den Kreuzzügen das erstemal, daß der Orient und der Okzident einander gegenüberstanden.
Der Stoß war fürchterlich. Die goldbedeckte, windschnelle, flammengleich verzehrende Schar warf sich furchtlos auf unsere Vierecke, deren Flintenläufe sie mit ihren trefflichen Damaszener Säbeln zerhackte. Als aber aus diesen Vierecken das Feuer wie aus einem Vulkan hervorsprühte, entrollte sie sich gleich einer goldgestickten Seidenschärpe, sauste auf ihren Rennern von einem Eisenwinkel zum andern, doch jeder spie ihr seine Ladung ins Gesicht. Als sie jedes Eindringen unmöglich sah, floh sie endlich wie eine lange Reihe verscheuchter Vögel, ließ rings um unsere Bataillone einen zuckenden Gürtel verstümmelter Pferde und Menschen zurück und flog weit hinaus, um, neu zusammengeschlossen, zu neuem Anlaufsversuche zurückzukehren, der vergeblich und mörderisch war, wie der erste.
Da der Tag am heißesten war, sammelten sich diese Reiter zum letztenmal; aber statt auf uns zurückzukommen, nahmen sie den Weg der Wüste zu und verschwanden am Horizont in einem Sandwirbel.
Zu Gizeh erfuhr Murad das Unglück vom 14. Juli, und an demselben Tage wurden Boten nach Saïd, nach Fayum, in die Wüste geschickt. Beis, Scheiks, Mamelucken – alles wurde von allen Seiten gegen den gemeinsamen Feind zusammenberufen. Jeder mußte kommen mit seinem Roß und seinen Waffen, und drei Tage später zählte Murad 6000 Reiter um sich.
Diese ganze Schar, die auf den Kriegsruf ihres Führers herbeigeeilt war, lagerte sich in Unordnung am Ufer des Nils, im Angesicht Kairos und der Pyramiden, zwischen dem Dorfe Embabeh, an das sie ihren rechten Flügel lehnte, und Gizeh, dem Lieblingssitze Murads, wohin sie ihren linken streckte. Murad hatte sein Zelt unter einem Riesenmaulbeerbaum aufgeschlagen, dessen Schatten 50 Reiter bedeckte. In dieser Stellung erwartete er, nachdem er einige Ordnung in seine Milizen gebracht, die französische Armee, die am Nil heraufzog. Den 21. bei Tagesanbruch bemerkte Desaix, der immer den Vortrab führte, einen Streifzug von 500 Mamelucken, der auf Kundschaft ausgeschickt war und eben zurückkehrte, aber fortwährend den Blicken ausgesetzt war. Um 4 Uhr morgens hörte Murad laute Zurufe; es war die französische Armee, die die Pyramiden begrüßte.
Um 6 Uhr standen Franzosen und Mamelucken Stirn gegen Stirn.
Man denke sich dieses Schlachtfeld! – Es war dasselbe, das Kambyses, ebenfalls ein Eroberer, der aber vom anderen Ende der Welt kam, gewählt hatte, um die Ägypter zu zermalmen. Zweitausendvierhundert Jahre waren inzwischen verflossen; der Nil und die Pyramiden waren immer da; aber die granitne Sphinx, die die Perser im Gesichte verstümmelten, ragte nur noch mit ihrem Riesenkopf aus dem Sande; der Koloß, von dem Herodot spricht, hatte sich eingesenkt; Memphis war verschwunden, Kairo entstanden. Alle diese Erinnerungen schwebten den französischen Führern klar und lebhaft und den Soldaten verworren vor Augen, jenen unbekannten Vögeln gleich, die einst über den Schlachten dahinflogen und den Sieg weissagten.
Der Schauplatz des Kampfes ist eine ungeheure Sandebene, wie man sie zur Verwendung der Reiterei braucht. In der Mitte erhebt sich ein Dorf, Bekir genannt, und ein kleiner Bach begrenzt den Raum unweit Gizeh. Murad und seine ganze Reiterei lehnten sich mit dem Rücken an den Nil und hatten Kairo hinter sich.
Aus der Beschaffenheit des Schlachtfeldes und der Stellung seiner Feinde erkannte Bonaparte, daß es ihm möglich sei, die Mamelucken nicht allein zu besiegen, sondern auch zu vernichten. Er entwickelte seine Armee im Halbkreis und bildete aus jeder Division riesige Vierecke, in deren Mitte die Artillerie stand. Desaix, der gewöhnlich das Vordertreffen führte, befehligte das erste Viereck zwischen Embabeh und Gizeh. Dann kamen die Division Reynier, die Division Kleber, die an Stelle ihres bei Alexandria verwundeten Führers Dugua kommandierte; hierauf die Division Menou unter Vial; zuletzt als äußerster linker Flügel, an den Nil gelehnt und Embabeh am nächsten, die Division des Generals Bon.
Alle Vierecke sollten sich zugleich in Bewegung setzen, auf Embabeh marschieren und Dorf, Pferde, Mamelucken, Palisaden samt und sonders in den Nil werfen.
Aber Murad war nicht der Mann, hinter einem Sandhaufen auf den Feind zu warten. Kaum waren die Vierecke in Ordnung gestellt, als die Mamelucken aus ihren Verschanzungen in ungeordneten Massen hervorstürmten und ohne Wahl, ohne Berechnung sich auf die Vierecke stürzten, die sie zunächst vor sich fanden; es waren die Divisionen Desaix und Reynier.
Sobald sie auf Schußweite nahekamen, teilten sich die Stürmenden in zwei Reihen, die erste ritt mit verhängten Zügeln auf den linken Flügel der Division Reynier, die zweite auf den rechten der Division Desaix zu. Die Vierecke ließen sie bis auf zehn Schritte ansprengen, dann schlugen sie an, und Roß und Reiter sahen vor sich eine Flammenmauer; die beiden ersten Reihen der Mamelucken stürzten, daß die Erde unter ihnen erbebte: der Rest jagte, von seinem Anlauf fortgerissen und durch den Eisen- und Feuerwall aufgehalten, da er weder umlenken konnte noch wollte, betäubt längs dem ganzen Viereck Reynier hin, dessen Feuer ihn auf die Division Desaix zurückwarf. Da diese so zwischen die beiden Menschen- und Pferdewirbel, die sie umbrausten, eingekeilt war, streckten sie ihnen die Bajonettspitzen ihrer ersten Reihe entgegen, während die beiden anderen Blitze speien und ihre Flügel sich aufrollen, um den Kugeln Raum zu geben, die gierig an dem blutigen Feste teilnehmen.
Eine ganze Weile waren die beiden Divisionen von allen Seiten umwogt und wurden alle Mittel versucht, diese den Weg versperrenden, aber sterblichen Vierecke zu sprengen. Die Mamelucken sprengen auf zehn Schritte an, trotzen dem Doppelfeuer der Flinten und Kanonen. Dann werfen sie ihre Pferde, die beim Anblick der Bajonette schaudern, herum, lassen sie zunächst rückwärts gehen, dann sich bäumen und überschlagen sich mit ihnen, worauf die abgeworfenen Reiter auf den Knien sich fortschleppen, wie die Schlangen kriechen und unsern Soldaten die Kniekehlen durchschneiden. Dreiviertel Stunden dauerte dieses gräßliche Gemetzel. Bei solchen Kämpfen, wenn man es kämpfen nennen kann, sahen unsere Soldaten in ihren Gegnern keine Menschen mehr; Spukgestalten, Gespenster, Teufel glaubten sie vor sich zu haben. Endlich schwand, wie von einer Windsbraut davongetragen, alles dahin, wütende Mamelucken, Menschengeschrei, Pferdegewieher, Flammen und Rauch. – Nichts blieb zwischen den beiden Divisionen zurück, als ein blutiges Schlachtfeld, starrend von Waffen und Standarten, übersät von Toten und Sterbenden, die noch ächzten und aufzuckten wie die Dünung nach halbgedämpftem Sturme.
In diesem Augenblicke drangen alle Vierecke mit regelmäßigem Schritte, als wäre es zur Parade, vorwärts und schlossen Embabeh in ihren Feuerkreis ein. Da entflammte sich plötzlich ihrerseits die Schlachtlinie des Beis, siebenunddreißig Stücke entsandten ihre feurigen Schlangen über die Ebene; es hüpften auf dem Nil die Schiffe, vom Rückstoß der Bombarden emporgerissen, und Murad selbst stürzte an der Spitze von dreitausend Reitern hervor, um sich in diese höllischen Vierecke einzubeißen.
Jetzt erkannte ihn die Reitermasse, die sich zurückgezogen, aber Zeit gehabt hatte, sich wieder zu schließen, und auch sie wandte sich aufs neue gegen ihre ersten, tödlichen Feinde.
Wundervoll mußte der Anblick für das Auge des Adlers sein, der über dem Schlachtfelde schwebte, wie diese sechstausend Reiter, die ersten der Welt, auf Pferden, deren Huf keine Spur im Sande zurückließ, gleich einer Meute, jene unbeweglichen, flammensprühenden Vierecke umkreisten, sie mit ihren Windungen umstrickten, mit ihren Knoten umschlangen, zu erdrosseln suchten, da sie sie nicht zu öffnen vermochten, sich zerstreuten, sich wieder zusammenschlossen, um sich abermals zu zerstreuen, und hin und wider wogten, wie die Wellen am Ufer, und wie sie dann in einer Linie, einer Riesenschlange gleich, deren Kopf man bisweilen sich über die Vierecke emporrecken sah, von dem unermüdlichen Murad geführt, zurückkehrten. Da geschah plötzlich etwas Unbegreifliches in den Verschanzungsbatterien; die Mamelucken hörten ihre eigenen Kanonen donnern und sahen sich durch ihre eigenen Kugeln zerrissen. Schiffe fingen Feuer und sprangen in die Luft. Während Murad sich die Krallen und Zähne an unsern Vierecken abstumpfte, hatten wir in drei Angriffsreihen die Verschanzungen genommen, und Marmont, der nun die Ebene beherrschte, donnerte von den Höhen Embabehs herab auf die mit uns im Todeskampf ringenden Mamelucken.
Jetzt befahl Bonaparte ein letztes Manöver, das die Vollendung brachte. Die Vierecke öffneten, entwickelten, vereinten sich und schweißten sich zusammen, wie die Ringe einer Kette: Murad und die Mamelucken fanden sich zwischen ihren eigenen Verschanzungen und die französische Schlachtlinie eingekeilt. Er sah, daß die Schlacht verloren war; er sammelte den Rest seiner Leute und schwang sich mit verhängtem Zügel, auf seinen windschnellen Rennern durch diese doppelte Feuerlinie hindurch in die Öffnung, die die Division Desaix zwischen sich und dem Nil ließ, brauste wie ein Windwirbel unter den letzten Kugeln unserer Soldaten weg, verschwand in dem Dorfe Gizeh und erschien einen Augenblick darauf oberhalb des Ortes, mit zwei- bis dreihundert Reitern, den einzigen Trümmern seiner Macht, auf dem Rückzug nach Oberägypten.
Auf dem Schlachtfelde hatte er dreitausend Mann, vierzig Stücke schweres Geschütz, vierzig beladene Kamele, seine Zelte, seine Pferde, seine Sklaven gelassen. Die ganze mit Gold, Kaschmir und Seide bedeckte Ebene des Schlachtfeldes gab man den siegreichen Soldaten preis, die eine unermeßliche Beute machten, denn die Mamelucken waren in ihre allerschönsten Rüstungen gehüllt und trugen alles, was sie an Edelgestein, Gold und Silber besaßen, an sich.
Bonaparte schlief dieselbe Nacht in Gizeh, und am dritten Tag zog er durch das Tor des Sieges in Kairo ein.
Kaum ist er in Kairo, so träumt Bonaparte nicht allein von der Kolonisierung des kaum eroberten Landes, sondern auch von der Eroberung Indiens auf dem Wege der Euphratlinie. An das Direktorium richtet er eine Zuschrift, worin er Verstärkungen, Waffen, Kriegszeug, Wundärzte, Apotheker. Mediziner, Gießer, Destillateure, Schauspieler, Gärtner, Krämer, um Hampelmänner an das Volk zu verkaufen, und fünfzig Französinnen fordert. An Tippu Sahib schickt er einen Kurier, um ihm ein Bündnis gegen die Engländer anzubieten. Dann machte er sich doppelt hoffnungsfroh, an die Verfolgung Ibrahims, des mächtigsten Beis nach Murad, zerschmettert ihn bei Saheleyh; aber während man ihm zu diesem Siege Glück wünscht, bringt ihm ein Bote die Nachricht von dem gänzlichen Verlust seiner Flotte. Nelson hat Brueys auf der Reede von Abukir in die Luft gesprengt, die Flotte ist, wie bei einem Schiffbruch, verschwunden: keine Verbindung mit Frankreich, keine Hoffnung auf Indiens Eroberung mehr!
In Ägypten bleiben muß er nun oder groß, wie die alten Helden, daraus hervorgehen.
Bonaparte kommt nach Kairo zurück und feiert den Geburtstag Mohammeds und die Gründung der Republik. Inmitten dieser Festlichkeiten empört sich Kairo, und während er, von der Höhe des Mokattam herab, auf die Stadt Blitze speit, kommt ihm Gott mit einem Gewitter zu Hilfe. In vier Tagen ist alles in Ruhe. Bonaparte reist nach Suez ab: er will das Rote Meer sehen und, nicht älter als Alexander, den Fuß nach Asien setzen. Fast geht er unter wie Pharao, ein Guide rettet ihn. Jetzt wenden sich seine Augen nach Syrien. Der Zeitpunkt einer Landung in Ägypten ist vom Feind verpaßt und kommt erst im Juli folgenden Jahres wieder; aber über Gaza und el Arisch könnten die Feinde heranziehen, denn Ali Pascha, genannt Djezzar, das ist der Schlächter, hat sich der letztgenannten Stadt bemächtigt. Diese Vorhut der Ottomanischen Pforte gilt es zu vernichten, die Wälle von Jaffa, Gaza und Acre umzustürzen, das Land zu verheeren und alle seine Hilfsquellen zu vernichten, um den Zug eines feindlichen Heeres durch die Wüste unmöglich zu machen. So weit ist der Plan bekannt; aber vielleicht verbirgt sich dahinter eine jener Riesenunternehmungen, wie sie Bonaparte immer im Grunde seiner Gedanken wälzt; wir werden ja sehen!
An der Spitze von zehntausend Mann bricht er auf, teilt das Fußvolk in vier Korps, die er unter Bon, Kleber, Lannes und Reynier stellt, überweist Murat die Reiterei, Dammartin die Artillerie und Cafarelli-Dufalga die Pioniere. El Arisch wird angegriffen und am 1. Ventose (20. Febr. 1799) genommen, am 7. Gaza ohne Widerstand besetzt und am 17. Jaffa erstürmt, dessen aus fünftausend Mann bestehende Besatzung über die Klinge springen muß. Dann geht es im Triumph vorwärts; St. Jean d'Acre (Akka) wird erreicht, und noch am 30. desselben Monats werden die Laufgräben eröffnet. Hier beginnt das Unglück.
Ein Franzose befehligt den Platz, ein alter Kamerad Napoleons. Miteinander in der Militärschule geprüft, waren sie am gleichen Tage jeder zu seinem Korps geschickt worden. Als royalistischer Parteigänger läßt Phélipeaux den Engländer Sydney Smith aus dem Temple entrinnen, folgt ihm nach England und geht ihm nach Syrien voraus. An seinem Genie mehr als an Acres Wällen bricht sich Bonapartes Ungestüm: auch erkennt er auf den ersten Blick, daß die Verteidigung von einem höherstehenden Manne geleitet wird. Eine regelrechte Belagerung ist unmöglich, es gilt, die Stadt zu erstürmen. Dreimal hintereinander wird der Sturm versucht, vergeblich!
Während eines dieser Stürme fällt eine Bombe zu Bonapartes Füßen nieder. Augenblicklich werfen sich zwei Grenadiere auf ihn, schließen ihn in ihre Mitte, legen ihre Arme über sein Haupt und decken ihn von allen Seiten. Die Bombe platzt, und, wunderbar, ihre Splitter achten schonend solche Hingebung; niemand wird verwundet. Einer von diesen Grenadieren heißt Daumesnil; er wird im Jahre 1809 General; 1812 verliert er in Moskau ein Bein und 1814 ist er Kommandant in Vincennes.
Inzwischen erhält Djezzar von allen Seiten Beistand: die Paschas von Syrien haben ihre Macht gesammelt und marschieren gegen Acre, Sydney Smith eilt mit der englischen Flotte herbei, die Pest endlich, dieser schrecklichste aller Bundesgenossen, kommt dem Henker Syriens zu Hilfe. Zuerst gilt es, sich der Armee von Damaskus zu erwehren. Statt sie zu erwarten oder bei ihrem Herannahen zurückzuweichen, geht ihr Bonaparte entgegen, erreicht und zerstreut sie in der Ebene am Berge Tabor und kehrt dann zurück, um noch fünf Stürme zu wagen, die ebenso vergeblich wie die früheren sind. St. Jean d'Acre ist für ihn eine Stadt des Fluches, über die er nicht hinwegkommt.
Alles staunt, daß er sich so abringt, um ein Felsennest zu nehmen, daß er Tag für Tag sein Leben daran wagt, daß er seine besten Offiziere und seine tapfersten Soldaten in die Schanze wirft; alles tadelt ihn wegen dieser blutdürstigen Verstocktheit, die zwecklos scheint. Der Zweck aber – hier ist er, er erklärt ihn selbst nach einem jener fruchtlosen Stürme, wobei Duroc verwundet ward, denn er fühlt das Bedürfnis, einige ihm ebenbürtige Herzen wissen zu lassen, daß er nicht das Spiel eines Unsinnigen spiele. „Ja,“ sagte er, „ich sehe, daß mir dieses elende Nest viele Leute und viel Zeit geraubt hat, aber schon sind die Dinge zu weit gediehen, als daß ich nicht eine neue Anstrengung wagen sollte. Gelingt mir's, so finde ich in der Stadt die Schätze des Paschas und Waffen für dreimal hunderttausend Mann. Ich empöre und bewaffne Syrien, das voll Entrüstung ist über die Abscheulichkeit des Djezzar, dessen Sturz die Bevölkerung bei jedem Sturme von Gott erfleht. Ich marschiere auf Damaskus und Aleppo; beim Vorrücken vermehre ich meine Armee durch alle Mißvergnügten. Ich verkünde dem Volke die Abschaffung der Sklaverei und der tyrannischen Herrschaft der Paschas. Mit bewaffneten Massen dringe ich nach Konstantinopel vor; ich stürze das türkische Reich, gründe im Orient ein neues, großes Kaiserreich, das meinen Namen bei der Nachwelt verewigt, und kehre über Adrianopel und Wien nach Paris zurück, nachdem ich das Haus Österreich vernichtet habe.“ – Dann fährt er mit einem Seufzer fort: „Gelingt's mir nicht mit diesem letzten Sturme, den ich wagen will, so breche ich auf; die Zeit drängt. Vor Mitte Juni werde ich nicht in Kairo sein, und dann sind dem Feinde die Winde günstig, um nach dem Norden Ägyptens zu segeln. Konstantinopel wird Truppen nach Alexandria und Rosette schicken, ich muß dort sein; die Landarmee, die später anlangen wird, fürchte ich für dieses Jahr nicht. Bis zum Rand der Wüste werde ich alles mit Feuer und Schwert verwüsten lassen; zwei Jahre von heute an werde ich den Durchzug einer Armee unmöglich machen, denn unter Schutt und Trümmern kann man nicht leben.“
Und er muß sich zur Umkehr entschließen. Die Armee zieht sich auf Jaffa zurück, wo Bonaparte das Spital der Pestkranken besucht. Mitgenommen wird jeder, der transportiert werden kann, zur See über Damiette und zu Land über Gaza und el Arisch, an sechzig bleiben zurück, die nur noch einen Tag zu leben haben, aber in einer Stunde in die Hände der Türken fallen werden. Dieselbe stahlherzige Notwendigkeit, die die Besatzung von Jaffa über die Klinge springen ließ, erhebt abermals ihre Stimme. Der Apotheker R... läßt, sagt man, den Sterbenden einen Trank reichen: statt der Martern, die ihrer von den Türken warten, werden sie wenigstens einen sanften Tod haben.
Endlich Mitte Juni kehrt die Armee nach einem langen und beschwerlichen Marsch nach Kairo zurück. Es war Zeit, denn Murad Bei, der Desaix entwischt war, bedrohte Unterägypten. Zum zweitenmal stößt er am Fuße der Pyramiden auf die Franzosen. Bonaparte trifft alle Anordnungen zu einer Schlacht. Diesmal nimmt er die frühere Stellung der Mamelucken ein, die sich an den Fluß lehnt; aber am andern Morgen ist Murad Bei verschwunden. Bonaparte ist erstaunt: doch am nämlichen Tage noch wird ihm alles klar. Die Flotte, die er vermutet hatte, war bei Abukir genau zu der Zeit, die er vorausgesagt hatte, gelandet, und Murad zog ab, um sich auf Umwegen mit dem türkischen Lager zu vereinigen.
Bei seiner Ankunft trifft er den Pascha voll hoher Hoffnungen: als dieser erschien, hatten sich die französischen Abteilungen, die zu schwach sind, ihn zu schlagen, zusammengezogen. „Siehst du,“ sagte Mustapha Bei zum Bei der Mamelucken, „diese gefürchteten Franzosen, deren Nähe du nicht aushalten konntest, sie fliehen vor mir, sobald ich mich zeige.“ „Pascha,“ erwiderte Murad Bei, „danke dem Propheten, daß es den Franzosen gefällt, sich zurückzuziehen: denn kehrten sie um, so würdest du vor ihnen verschwinden wie der Staub vor dem Sturme.“
Er hatte wahrgesagt, der Sohn der Wüste. Einige Tage nachher kam Bonaparte an, und nach dreistündigem Kampfe weichen die Türken und fliehen. Mustapha Bei übergibt Murat mit blutender Hand seinen Säbel: mit ihm ergeben sich 200 Mann als Gefangene. 2000 decken das Schlachtfeld, 10 000 sind ertrunken: 20 Kanonen, alle Zelte und die ganze Bagage fällt in unsere Hände. Die Festung Abukir wird genommen, die Mamelucken sind in die Wüste zurückgeworfen, und die Engländer und Türken haben auf ihren Schiffen Zuflucht gesucht.
Bonaparte schickt einen Boten auf das Admiralschiff, der über die Zurückgabe der Gefangenen, die man unmöglich bewachen kann, und die er nicht, wie zu Jaffa, erschießen lassen will, unterhandeln soll. Dafür schickt der Admiral Bonaparte Wein, Früchte und die Frankfurter Zeitung vom 10. Juni 1799.
Seit dem Monat Juni 1798, d. h. seit mehr als einem Jahre, hat Bonaparte keine Nachrichten von Frankreich; er wirft die Augen auf das Blatt, überfliegt es schnell und ruft: „Meine Ahnungen haben mich nicht getäuscht, Italien ist verloren; ich muß abreisen.“ In der Tat sind die Franzosen auf dem Punkt angekommen, wo er sie zu haben wünscht, sie stecken so im Unglück, daß sie ihn nicht als einen Ehrgeizigen, sondern als einen Retter ankommen sehen. Gantheaume, den er hat rufen lassen, kommt alsbald an, und Napoleon gibt ihm den Auftrag, die zwei Fregatten, den Muiron und die Carrère, und zwei kleine Fahrzeuge, die Revanche und die Fortune, mit Lebensmitteln für 400 bis 500 Mann auf zwei Monate zu versehen. Am 22. August schreibt er an die Armee: „Die Nachrichten aus Europa haben mich bestimmt, nach Frankreich abzureisen, den Oberbefehl überlasse ich dem General Kleber, die Armee wird bald von mir hören. Mehr kann ich jetzt nicht sagen. Es fällt mir schwer, die Soldaten zu verlassen, mit denen ich aufs engste verknüpft bin; aber es geschieht nur auf einen Augenblick. Zu dem General, den ich ihnen hinterlasse, hat die Armee und habe ich Zutrauen.“
Am andern Tag schifft er sich auf dem Muiron ein. Gantheaume will in die hohe See stechen; Napoleon widersetzt sich. „Ich will,“ sagt er. „daß Sie so viel wie möglich den Küsten Afrikas folgen, und Sie werden diesen Weg bis südlich von Sardinien verfolgen. Ich habe eine Handvoll Tapferer, aber wenig Artillerie: zeigen sich die Engländer, so laufe ich auf den Strand. Dann werde ich zu Lande Oran, Tunis oder einen anderen Hafen erreichen und dort die Mittel finden, mich einzuschiffen.“
Einundzwanzig Tage lang werfen Ost- und Nordostwinde Bonaparte gegen den Hafen zurück, den er eben verlassen hat. Endlich fühlt man die ersten Lüfte eines Südwindes, und Gantheaume fängt ihn mit allen Segeln auf: in kurzer Zeit fährt man an der Stelle vorbei, wo einst Karthago stand, umsegelt Sardinien, dessen Westküste man folgt: am ersten Oktober läuft man in den Hafen von Ajaccio ein, wo man 17 000 Franken türkische Zechinen gegen französisches Geld einwechselt, – das ist alles, was Bonaparte von Ägypten mitbringt. Endlich den 7. desselben Monats verläßt man Korsika und steuert Frankreich zu, von dem man nur noch 70 Meilen entfernt ist. Am Abend des 8. wird ein Geschwader von 14 Schiffen gemeldet: Gantheaume schlägt vor, das Schiff zu wenden und nach Korsika zurückzukehren. „Nein,“ ruft gebieterisch Bonaparte. „segelt mit aller Macht, alles an seinen Posten: nordwestlich, nordwestlich fort!“ Die ganze Nacht bringt man in Unruhe zu: Bonaparte geht nicht von der Brücke weg: er läßt eine große Schaluppe ausrüsten, bemannt sie mit zwölf Matrosen, befiehlt seinem Sekretär, seine wichtigsten Papiere auszuwählen und nimmt zwanzig Mann, um an den Küsten von Korsika zu scheitern. Mit Anbruch des Tages werden alle diese Vorsichtsmaßregeln unnütz, der Schrecken verschwindet, die Flotte segelt gegen Nordwest. Am 8. Oktober bemerkt man bei Tagesanbruch Fréjus; um 8 Uhr läuft man auf die Reede. Sogleich verbreitet sich das Gerücht, daß eine der Fregatten Bonaparte bringe. Das Meer bedeckt sich mit Nachen, alle Gesundheitsmaßregeln, die Bonaparte vorsätzlich verletzen wollte, hat das Volk vergessen. Vergebens macht man es auf die Gefahr, die es läuft, aufmerksam. „Lieber wollen wir die Pest,“ ruft es, „als die Österreicher!“ Bonaparte wird geführt, gezogen, getragen: es ist ein Fest, eine Huldigung, ein Triumph. Endlich mitten im Enthusiasmus, im Freudengeschrei, im Taumel steigt Cäsar an das Land, das keinen Brutus mehr hat.
Sechs Wochen nachher hat Frankreich keine Direktoren mehr, aber drei Konsuln, und unter diesen drei Konsuln ist einer, wie Siéyes gesagt hat, der alles weiß, der alles tut, der alles kann.
Wir sind zum 18. Brumaire (9. November) 1799 gelangt.