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Straße der Wölfe

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EIN WESTERN VON GLENN Stirling

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IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/ Titelbild: Tony Masero, 2018

Redaktion und Korrektorat: Alfred Wallon

© dieser Ausgabe 2018 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

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Als wir das Wind-River-Tal verließen, waren wir acht Männer. Fünf von uns würden es nie wiedersehen. Hier unten im staubigen Tal lief uns der Schweiß in der sengenden Sonne aus allen Poren. Aber die Berge vor uns waren auch jetzt im Hochsommer schneebedeckt. Dort hinauf mussten wir. Was uns magnetisch anzog und alle Gefahren vergessen ließ, die auf uns lauerten, war das Gold. Keiner von uns war jemals ganz da oben gewesen. Und doch wussten wir mit Sicherheit, dass es da Gold gab. Nur dass auch die Hölle auf uns wartete, das ahnte von uns keiner...

Nicht nur ein Western, sondern auch ein spannender Abenteuerroman, der auf dramatische Weise das Schicksal einiger mutiger Männer schildert, die unter Einsatz ihres Lebens nach Gold suchen und ernüchtert wieder in die Zivilisation zurückkehren. Der bekannte Westernautor Glenn Stirling lehnte diesen Roman bewusst an den berühmten Roman DER SCHATZ DER SIERRA MADRE von B.Traven an.

Der Pfad, der in steilen Serpentinen aufwärts führte, war kein Problem für uns. Keiner von uns war ein Anfänger. Jeder hatte sich auf irgendeine Weise schon in der Wildnis bewähren müssen.

Wir besaßen vier Pferde und zwölf Maultiere. Acht davon waren mit den Packlasten beladen. Die Tiere und die Packlasten waren unser Kapital. Die Anschaffung hatte uns ein Vermögen gekostet. Keiner von uns besaß noch sehr viel Bargeld.

Das größte Kapital aber, das wertvollste Stück, hatte Captain Rick Bentley in seiner Tasche.

Wir nannten ihn immer noch Captain. obgleich er schon vor zwei Jahren aus der Armee entlassen worden war. Er hatte nur einen Arm. Den anderen hatte er im Kampf gegen Apachen verloren. Die Armee gab ihm einen Orden, und dann wurde er entlassen. Man wollte keinen Captain mit nur einem Arm haben. Dabei war er ein Mann in der vollen Blüte seiner Jahre, eine Kämpfernatur, und in meinen Augen ein prächtiger Bursche.

Die Karte, die er wie einen Schatz in seiner Innentasche trug, hatten wir von einem Goldsucher, auf den Abe Winnigall und ich in Atlantic City gestoßen waren. Als wir den Goldsucher fanden, lag er im Sterben. Man hatte ihn seiner gesamten Ausbeute beraubt und niedergestochen

Abe Winnigall und ich halfen ihm, und als Dank vermachte er uns die Karte, als ihm klar geworden war, dass er sie nie mehr verwenden konnte.

Zwei Nuggets hatten die Mörder bei ihm nicht gefunden. Auch die schenkte er uns. Und wir hatten sie bitter nötig bei der Anschaffung des Materials, was zu dieser Expedition in die Berge nötig war.

Auch einen Rat hatte er uns noch auf den Weg mitgegeben. Den Rat nämlich, nicht mit einer primitiven Ausrüstung ins Hochgebirge zu ziehen und nicht mit zu wenig Männern. Er war nur mit einem. Freund oben gewesen. Der Freund hatte die Berge nie mehr verlassen. Es müsste, so hatte uns der sterbende Goldsucher geraten, eine regelrechte Expedition sein. Viele tüchtige Männer, denn nur dann bestünde eine Chance, größere Mengen Gold zu Tal zu bringen.

Nun waren wir unterwegs. Allen voran Captain Bentley, der jetzt zwar Zivil trug, aber immer noch aussah wie ein Offizier, der vor seiner Truppe reitet. Ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, sehnig und mittelgroß.

Hinter ihm ritt Abe Winnigall, den ich schon lange kenne. Er war einer der berühmtesten Treibherdenführer, die texanische Herden nach Kansas getrieben hatten. Aber dann, vor einem Jahr, hatte Abe furchtbares Pech. Als er das ganz große Geschäft machen wollte und mit einer Herde auf eigene Rechnung von Texas bis hinauf nach Wyoming zog, geriet er in ein Unwetter. Infolge einer Stampede verlor er mehr als die halbe Herde. Der wenig später erfolgende Angriff von hungernden Sioux-Indianern kostete ihn ein Drittel der Mannschaft und den Rest der Herde.

Abe Winnigall gab aber nicht auf. Der dickköpfige Texaner verfolgte die Sioux-Indianer und nahm ihnen einen großen Teil des Viehs wieder ab. Aber die Tiere waren bei dieser Hetzerei vom Fleisch gekommen. Als er sie endlich in Atlantic City verkaufen wollte, reichte der Erlös dafür, seine Männer auszuzahlen. Was noch blieb, war weit weniger, als er seinerzeit in Texas für den Ankauf des Viehs ausgegeben hatte.

In Atlantic City traf ich dann auch Jesse Richmond, einen quirligen, drahtigen Burschen, der ebenfalls früher einmal mit mir zusammen auf dem Treibherden-Trail geritten war. Jesse hatte in einem Pokerspiel eine ganze Menge gewonnen, und damit besaß auch er das Startkapital für unsere Expedition.

Durch den Captain kamen Otto Weber und Joshua Todd zu uns. Otto Weber hatte schon einmal das ganz große Geld als Goldsucher in Colorado gemacht. Das war vor fünf Jahren gewesen. Vor einem halben Jahr hatte er, bis auf einen kleinen Teil, alles seiner Frau und den Kindern vermacht und sich dann scheiden lassen. Otto Weber war derjenige von uns, der etwas von Gold verstand. Ein Experte sozusagen; und dem man schon vor fünf Jahren nachgesagt hatte, dass er die berühmte goldene Nase besäße, dass er sozusagen Gold wittern würde, wenn es irgendo welches gab.

Weber war ein muskulöser, breitschultriger Mann. Er hatte etwa die Figur von Abe Winnigall; war nur nicht so groß wie er. Und, wie mir schien, war er wenigstens sechzig. Er war der Älteste von uns, und dennoch ein harter Bursche. Er wurde von Joshua Todd begleitet, einem Schwarzen. Wie er an Joshua gekommen war, wussten nur diese beiden. Aber der Mann hing in abgöttischer Treue an Weber. Und einmal war die Rede davon, dass Weber ihm das Leben gerettet habe. Aber wie und wo wusste von uns keiner.

Ein Mann war durch Abe Winnigall zu uns gekommen, weil er ihn von früher kannte und er einmal für ihn geritten war. Auch mir war John Colfax bekannt. Es war nach dem Krieg gewesen. Er hatte, wie ich auch, damals den ersten Trail mit nach Wichita gemacht.

Inzwischen waren allerdings einige Jahre vergangen. John musste jetzt schon über vierzig sein. Ein stämmiger, untersetzter knochenharter Bursche, ein Dickkopf vor allen Dingen, der nicht so leicht aufgab.

Und mit Jesse war William Belknap gekommen. Hager, strohblond, mit leuchtend blauen Augen, zwei eingeschlagenen Vorderzähnen und den Händen voller Lassonarben war er der Cowboy schlechthin. Ich glaubte damals nicht, dass Bill, wie wir ihn nannten, je etwas anderes getan hatte, als mit Rindern umzugehen. Aber jetzt lockte ihn, wie uns alle, das Gold.

Abe und ich hatten von Anfang an darauf geachtet, dass jeder, der mit uns kam, hart genug sein würde, um das, was vor uns lag, auch durchstehen zu können. Wir hatten, so meinten wir, eine gute Auswahl getroffen. Und doch sollte sich heraussteilen, dass viele von uns nicht annähernd so hart waren, wie sie sein mussten, um diese Hölle zu überleben, in die wir hineingeraten würden.

*


SO ABGEBRÜHT WIR WAREN, am Abend des ersten Tages hatten wir noch den Kopf voller Flausen. Wir machten Scherze, redeten vom Gold, das wir finden wollten, und ein paar von uns erzählten ganz offen ihre Träume, was sie mit dem Reichtum dann anfangen würden. Jeder hatte da so andere Ideen. Ich ertappte mich ja selbst dabei.

Verrückte, die wir waren!

Es war noch immer heiß. Die Sonne hatte die Felswände erhitzt wie die Steine eines Backofens. Noch als sie längst hinter den Wipfeln der Wind River Mountains versunken war, strahlten die Steinmassen die Wärme aus.

Wir hatten uns ein Feuer entfacht und lagerten im Schutze einer etwas überhängenden Felswand. Es war ein fantastischer Lagerplatz. Ein kleiner, aber frisch sprudelnder Creek schoss vom Felsen herunter an unserem Lagerplatz vorbei. Wir hatten das Wasser aus erster Hand; quellfrisch und klar.

Aber wir hatten bis jetzt noch kein Wild entdeckt. Es schien, als gäbe es hier keine erlegbaren Tiere. Nur Eidechsen und Insekten; davon wimmelte es. Aber zum Glück hatten wir auch noch keine Schlangen entdeckt.

Ich hatte die sogenannte Friedhofswache, das ist die Wache von Mitternacht bis zwei Uhr morgens. Als mich Abe weckte, hörte ich unten aus dem Tal das Geheul von Kojoten. Doch sonst war alles still. Hier oben regte sich nichts. Sogar der ständig fächelnde Wind hatte sich um diese Nachtstunde total gelegt.

Ahnungsvoll, sah ich hinauf zu den Gipfeln dieser Felsgiganten. Ich kannte nur von zweien den Namen. Den einen, den höchsten, nannten sie Union Peack. Er war über viertausend Meter hoch. Ein Stück weiter ragte eine andere Spitze empor, und das sollte, so hatte mir Weber gesagt, der Fremont Peak sein. Auch so ein Gigant von über viertausend Metern.

Es war Mondschein. Das volle Licht des Erdtrabanten ließ den Schnee von oben auf den Bergen bläulich erscheinen; darunter waren die Felsen violett bis schwarz.

Als ich so da hinaufblickte, hatte ich zum ersten mal das Gefühl, dass nicht alles so glatt gehen würde, wie es von uns vorausberechnet war. Natürlich hatten wir Schwierigkeiten einkalkuliert. Von Weber, der sich hier oben recht gut auskannte, wussten wir eine Menge über die Berge. Vor allen Dingen der Captain hatte viele Erfahrungen, was das Gebirge anging. Er war vor drei Jahren noch hier oben gewesen, bevor sie ihn nach Arizona gegen die Apachen geschickt hatten. Und hier in den Bergen, das hatte er uns gesagt, konnte man schon einige Überraschungen erwarten. Und beiläufig hatte er einmal von einem Schneesturm im Juni erzählt.

Jetzt war Juli! Ich konnte mir keinen Schneesturm dort oben vorstellen. Der Schnee da oben glänzte am Tag, wenn die Sonne draufschien. Auch jetzt tat er es im Mondlicht. Das war der Beweis, dass die oberste Schicht angetaut war und nachts wieder gefror.

Ich war noch nie im Leben auf so einem Felsgiganten gewesen; nicht in dieser Höhe. Aber der Captain hatte uns erzählt, dass die Luft da oben ziemlich dünn war und alle Anstrengung doppelt auf den Körper einwirkte. Deshalb hatten wir nicht zuviel Gepäck mitgenommen. Vor allen Dingen Proviant.

Was mich etwas beunruhigte, war noch immer der Mangel an Wild. Wir hatten heute, statt frisch Erlegtes zu verzehren, von unserem mitgenommenen Proviant nehmen müssen. Er musste lange reichen. Wer wusste, ob es da oben etwas gab. Zwar hatte der Captain behauptet, da oben sei es besser als hier unten, aber ich hegte da, ehrlich gestanden, erhebliche Zweifel.

In dieser ersten Nacht geschah nichts. Auch der nächste Tag ging gut vorüber. Wir bemühten uns, unsere Kräfte einzuteilen und ließen den Tieren Zeit. Und als es steiler wurde, saßen wir ab und führten Pferde und Maultiere bergauf. Der Captain hatte jetzt die Führung übernommen. Er nahm sich Zeit, aber wir kletterten stetig weiter.

An diesem zweiten Tag machte sich schon bemerkbar, wer das Marschieren nicht gewohnt war. Das galt am meisten für Winnigall, John Colfax, Bill Belknap und Jesse Richmond. Zum Teil galt es auch für mich selbst. Der Captain, Weber und Joshua schienen eine Ermüdung infolge des Marschierens überhaupt nicht zu kennen. Bei dem Schwarzen kam es mir so vor, als würde der mit jedem Schritt, den er bergauf ging, lebhafter.

Ich merkte bei mir selbst, dass ich die letzte Zeit sehr viel geritten war. Das Laufen war ich so richtig nicht mehr gewohnt, aber ich hatte Mokassins angezogen, um nicht in den hochhackigen Reitstiefeln laufen zu müssen. Abe, John, Jesse und Bill hatten auf meinen Rat hin auch vorgesorgt. Trotzdem ging besonders Bill am Abend dieses zweiten Tages, wie er selbst sagte, „auf den letzten Füßen“. Er hatte sich Blasen gelaufen und schlurfte mit Mühe die letzten Schritte bis zum erwählten Lagerplatz.

Dieser Lagerplatz ließ uns schon ahnen, dass wir nicht immer so wunderbar die Nacht verbringen konnten wie tags zuvor. Zwar befanden wir uns wieder in der Nähe eines kleinen Wasserfalls, der von einem herunterstürzenden Bach verursacht wurde, aber es existierte praktisch keine ebene Fläche. Nicht einmal der Pfad, den wir heraufmarschiert waren, hatte sich verbreitert. Aber noch war es überhaupt kein Pfad. Wir wussten nicht, wie es weiter oben aussehen würde. Da gab es nur Vermutungen.

Den Goldsucher hatte ich nicht mehr fragen können. Auf seiner Karte, die Abe in der Tasche hatte und ab und zu herausnahm, existierte nur eine gestrichelte Linie. Doch bis jetzt stimmte die Zeichnung sehr genau mit den landschaftlichen Gegebenheiten überein. Der Pfad, dem wir folgten, verlief auf einen Bergeinschnitt zu, und ich glaubte, dass dort so eine Art Pass sein musste, den wir überqueren mussten. Was hinter diesem Einschnitt lag, wusste keiner von uns. Auch der Captain nicht.

An diesem zweiten Abend wurden wir schon etwas schweigsamer. Und es stellte sich auch heraus, dass Bill nicht der einzige war, der sich Blasen gelaufen hatte, auch Abe schien wunde Füße zu haben. Aber da wurde nicht viel Aufhebens gemacht. Abe schwor auf Rindertalg und schmierte sich damit die Füße ein, während Bill dem Rat Otto Webers vertraute und eine Salbe benutzte, die Weber in einer Blechdose bei sich führte. Es sollte sich heraussteilen, dass diese Salbe besser als Rindertalg war. Aber der Vergleich war erst am nächsten Tag möglich.

Es herrschte eine allgemeine Spannung. Die Fröhlichkeit war wie weggeblasen. Der erste, wirklich anstrengende Tag lag hinter uns, obgleich es keine Komplikationen gegeben hatte. Aber die Steigungen hatten erheblich zugenommen. Wir mussten den ganzen Tag zu Fuß gehen, die Möglichkeit, im Sattel zu sitzen, bot sich nicht mehr. Sie sollte sich auch am nächsten und am übernächsten Tag nicht bieten.

Am nächsten Tag dann erwartete uns eine handfeste Überraschung. Der Weg, so schmal, dass gerade ein Pferd auf ihm gehen konnte, fiel linker Hand von uns steil ab, rechts ragten die Felsen auf. Im Laufe des Vormittags erreichten wir eine Stelle, wo ein Felssturz stattgefunden hatte und unser Pfad jäh endete. Diese schmale Felsstufe, der wir bis hierher gefolgt waren, wurde von dem Felssturz unterbrochen. Der hatte die halbe Wand mitgenommen, und es ging nicht weiter.

Es war nicht einmal möglich, dass wir an den Tieren vorbeikamen, um nach vorn zu gehen. So schmal war die Felsleiste, auf der wir uns befanden. So konnten wir uns nur zurufen, aber damit taten wir keinen Schritt mehr nach vorn.

Der Captain rief nach hinten:

„Unser Pfad ist von einer Lawine weggerissen worden. Die Geröllstrecke ist etwa fünfzig Schritt breit. Man müsste versuchen, hinüber zu kommen. Aber das Geröll ist lose. Die Tiere werden abrutschen. Ich werde sehen, dass ich eine Gasse anlegen kann.“

Da hatten wir unser erstes Problem. So etwas lässt sich niemals vorausberechnen. Das Aller schlimmste war, wir konnten die Tiere nicht wenden, wir konnten nicht einmal nach vorn. Aber das mussten wir, denn der Captain konnte ja diese Gasse, die er anlegen wollte, nicht allein schaufeln.

Auf allen vieren wie ein Tier arbeitete sich Abe Winnigall unter dem Maultier des Captains nach vorn. Jetzt waren sie schon zwei, und er hatte seinen Spaten mitgebracht.

„Schafft ihr es?“, rief Weber, der ziemlich in der Mitte des Zuges war.

„Wir versuchen es!“, brüllte Abe nach hinten.

Ich war übrigens ganz am Schluss. Jetzt verfluchte ich diese Tatsache natürlich.

Es hieß warten. Was die beiden da vorn schaufelten, konnte ich mir denken.

Die Lawine hatte eine Art Straße in den Felsen gerissen. Man hätte auch Fluss dazu sagen können. Es ging steil hinunter; aber dennoch war Geröll liegen geblieben. Schon ein Tritt auf diese Geröllstrecke konnte alles erneut in Bewegung setzen. Der Schotter würde dann wie Wasser fließen; steil genug war es dafür. Und nun versuchten die beiden vorn Geröll abzuschippen, so etwas wie einen Pfad, eine Ebene zu bauen. Und ich konnte mir vorstellen, dass immer wieder neues Geröll von oben nachrutschte.

Aber nun hatten wir wenigstens Glück im Unglück. Dadurch, dass diese Lawine offenbar schon vor längerer Zeit niedergegangen war, vielleicht schon im vorigen Jahr, hatte sich das Geröll gesetzt. Es lag fester, als wir zu hoffen wagten. Und nach vier Stunden hatten die beiden so eine Art Gasse geschaffen. Zuerst führten sie das Maultier des Captains hinüber; einer nahm es vorn, der andere ging hinten. Wenn das Tier daneben trat oder nur zu weit seitlich am Rande die Hufe aufsetzte, konnte der ganze mühsam errichtete Pfad wegrutschen. Dann war alles umsonst.

Es klappte. Auch das Packtier des Captains kam gut hinüber und dasselbe geschah mit beiden Maultieren von Abe Winnigall. Aber dann kam ein Pferd. John Colfax hatte gemeint, dass sein Cowpony im Gebirge genau so trittsicher sein würde wie ein Maultier. Jetzt musste es den Beweis erbringen.

Mit dem Reitpferd klappte es. Da hatten wir alle ziemliche Bedenken gehabt. Doch der Fuchs lief diszipliniert und ruhig und tatsächlich sehr trittsicher auf die andere Seite. Dann holten sie das Maultier, das die Packlast trug. Und hier passierte es dann.

Ich sah nur wenig von dem Vorgang. Aber ich erkannte, dass sie das Maultier ebenso zur anderen Seite führten, wie sie das vorher mit den drei anderen Tieren gemacht hatten. John nahm sein Maultier am Kopf, und der Captain ging hinter dem Tier und hielt es am Schwanz.

Als sie so ziemlich in der Mitte waren, hörten wir alle, wie der Captain rief: „Vorsicht, Junge, da ist eine Wespe. John, sieh zu, dass du rüberkommst, sie fliegt dem Muli unter dem Bauch herum!“

Die Wespe war schneller. Vielleicht lag es auch daran, dass der Captain versucht hatte, sie zu verscheuchen. Hinterher weiß man tausend Ratschläge.

Jedenfalls keilte das Maultier plötzlich aus. Um ein Haar wäre der Captain getroffen worden. Er blieb natürlich stehen, wich zurück, das Maultier machte noch einen Sprung nach vorn, geriet dabei mit der Hinterhand nach links, verlor den Halt, und das war so, als hätte es eine schmale Brücke überquert und wäre mit den Hinterbeinen danebengetreten.

Vergeblich versuchte John sein Packtier noch zu halten. Aber am Ende hätte es ihn noch mitgerissen. Es stürzte, schrie dabei, rutschte dann auf der Hinterhand sitzend, überschlug sich. Aber alles ging noch relativ langsam. Man hatte das Gefühl, einfach hinterherspringen und das Tier festhalten zu können. Aber dabei wäre derjenige ebenfalls mitgerissen worden.

Plötzlich begann der ganze Schotter, auf dem das Maultier nach unten kollerte, wie Wasser zu fließen. Wie in einem Strom bewegte sich das Maultier schneller und schneller talwärts. Es überschlug sich, es drehte sich, und die schwere Packlast ließ es gar nicht mehr hochkommen. Dann aber war die Geschwindigkeit so schnell, dass ein Rauschen des abfließenden Schotters bis zu uns herauf ertönte.

Es gab da unten so etwas wie eine Schwelle, und danach schien der Fels fast senkrecht zum Tal hin abzufallen. Wie ein Wasserfall schoss der Schotter mit dem sich drehenden, herumwirbelnden Maultier über diese Schwelle hinweg.

Aus der Schlucht herauf ertönte ein brausender Ton, der immer stärker anschwoll, und dann aber, als sich das Geröll wieder festigte, mit einem Mal abbrach. Eine Staubwolke wehte bis zu uns herauf und wurde vom Südwind weggetrieben.

Alle Mühe war vergebens gewesen. Zwar standen jetzt drei Tiere auf der anderen Seite, aber der Pfad war wieder verschwunden. Mit viel Glück hatten der Captain und John sich retten können.

Jetzt stand John drüben und der Captain auf unserer Seite. Aber sie waren mittlerweile drei, und sie wurden vier, als sich Joshua an Webers Maultier vorbeizwängte und dann ebenfalls mithalf, noch einmal einen Pfad anzulegen.

Bis in die Dunkelheit hinein dauerte es, dann gelang es uns im Fackelschein, die Tiere auf die andere Seite zu bringen. Es klappte diesmal.

Wir hatten Lassos gespannt, die wie Führungsleinen den Weg für die Tiere markierten, dass sie ja nicht noch einmal daneben traten. Aber es gab nicht einmal mit den drei anderen Pferden Schwierigkeiten. Warum nur hatte das mit dem Packtier von John passieren müssen? Seine ganze Ausrüstung war damit verloren. Dank einer Wespe!

*


WIR ZOGEN NICHT MEHR sehr weit. Als wir eine Stelle hatten, wo wir halbwegs lagern konnten, schlugen wir das Lager auf. Uns waren acht Stunden Zeit verloren gegangen.

John verfluchte sein Pech. Die Tatsache, die ganze Ausrüstung verloren zu haben deprimierte ihn, obgleich wir ihn trösteten und ihm versprachen, dass wir ihm natürlich das Nötigste zur Verfügung stellen würden.

Es beschäftigte ihn aber so, dass er, als ich dann um 10 Uhr die Vormitternachtswache hatte, sich zu mir setzte, weil er nicht schlafen konnte.

„Es ist vielleicht am besten“, sagte er, „wenn ich umkehre, einfach zurückgehe. Was will ich ohne Ausrüstung da oben? Ich falle euch zur Last. Da ist ja auch Proviant verloren gegangen. Bis jetzt haben wir kein Wild gefunden, nichts. Wovon sollen wir denn leben?“

Das fragte ich mich auch. Unser mitgenommener Proviant würde nicht lange reichen, wenn es uns nicht gelang, Wild zu erlegen. Es sah aber wirklich nicht danach aus. Ich konnte es gar nicht begreifen, zumal wir noch bei Tage kreisende Greifvögel gesehen hatten. Und wo die waren, musste es auch Wild geben.

Der Captain beteuerte ja immer wieder, dass da oben Wild sein musste. Aber was für Wild? Dickhornschafe vielleicht.

John fing wieder an zu schimpfen und zu jammern. Schließlich wurde es mir zuviel.

„Nun hör doch auf!“, sagte ich. „Du hast ein Maultier verloren. Mein Gott, es gibt Schlimmeres. Es ist nicht schön. Aber besser ein Maultier als ein Mann.“

Er hob überrascht den Kopf. Ich konnte allerdings seine Mimik in der Dunkelheit nicht erkennen.

„Vielleicht hast du recht, Jed“, meinte er. „Aber ich habe das Gefühl, von uns fliegen auch noch ein paar auf die Nase.“

„Das haben wir uns von vornherein alle miteinander gesagt, dass die ganze Geschichte kein Honiglecken ist. Es geht um Gold! Dieser Bursche, den Abe und ich aufgelesen haben, hatte Gold.“

„Vielleicht hat er sich das nur zusammengeredet.“

„Unsinn! Abe weiß so gut wie ich, dass dieser Kerl das Gold gehabt hat. Er war nur allein, verstehst du. Er ist die ganze Zeit allein gewesen, als er zurücklief. Und dann kam er in die Stadt und hat in seiner Freude, wieder unter Menschen zu sein, allen möglichen von seinem Fund erzählt. Ich sagte doch, er war allein. Und wenn ein Mann allein ist und seinen Partner verloren hat, dann sehnt er sich nach Menschen. Und du weißt, was Weber immer sagt: Wessen Herz voll ist, dem läuft der Mund über.“

Er nickte. „Du hast recht. Es kann so gewesen sein. Aber hat er dir erzählt, wie es da oben ist?“

Ich schüttelte den Kopf. „Hat er nicht. Dazu war keine Zeit. Begreifst du nicht, er hatte einen Messerstich in die Lunge erhalten, als wir ihn fanden. Soviel Zeit ist nicht gewesen.“

„Na ja, ich weiß schon. Abe hat die Geschichte ja schon fünfzig mal erzählt.“

„Nun hör auf herumzujammern wegen des Mulis und der Packlast. Die Sachen sind unwiderruflich weg. Aber es ist ja nichts weiter passiert. Wir helfen dir ja.“

„Mein Gewehr war dabei. Ein wunderbares Gewehr. So etwas gibt es nicht noch einmal. Eine Extraanfertigung für mich. Die Büchse stammte aus der Zeit, als ich Marshal in El Paso gewesen bin.“

„Vergiss es! Du bist nicht mehr Marshal, und hier tut es auch ein Gewehr von uns. Ich wollte nur, es gäbe etwas zu schießen. Solange wir kein Wild finden, müssen wir unseren Proviant aufessen. Und das ist schlecht, verstehst du? Verdammt schlecht!“

„Vielleicht ist vieles andere auch schlecht“, meinte er. „Ich glaube, ich sollte mich schlafen legen.“

„Versuch es wenigstens. Morgen geht die Wanderei wieder los. Und immer bergauf, mein Junge, immer bergauf! Wer weiß, was hinter dem Pass ist!“

„Wenn es ein Pass ist“, erwiderte er. „Es sieht so aus, als ginge es dahinter immer noch weiter nach oben. Eine Himmelsleiter ist das, aber kein Weg.“

Am nächsten Tag musste ich noch oft an seine Bemerkung von der „Himmelsleiter“ denken.

*


AUCH AM NÄCHSTEN TAG war strahlender Sonnenschein. Aber wir merkten, dass die Luft allmählich dünner wurde. Obgleich wir wenig tranken, schwitzten wir, und unsere Kleidung war durchnässt wie nach einem Regen. Auch die Tiere keuchten, schnaubten und wurden immer langsamer. Dabei hatten wir die Packlasten aufgeteilt, so dass die Reittiere auch einen Teil der Packlast schleppen mussten, denn zum Reiten bot sich offensichtlich vorerst keine Gelegenheit mehr.

Am Morgen des nächsten Tages zogen wir beizeiten weiter. Noch am Vormittag erreichten wir das, was wir ursprünglich mal für einen Pass gehalten hatten. Es war nur kein Pass. Hinter diesem Bergeinschnitt ging es, genau wie John befürchtet hatte, weiterhin bergauf, und wir sahen von hier aus das gewaltige Felsmassiv des Union Peak. Es sah aus, als gäbe es in dieser Richtung kein Weiterkommen mehr. Und tatsächlich endete nach einiger Zeit diese Felsleiste an einem Schotterhang. Auch das waren Reste eines Lawinenniedergangs. Der Schotterhang reichte bis zu einem Felskamm hinauf. Ob wir wollten oder nicht, es gab gar keine Wahl. Wir mussten offensichtlich den Schotterhang empor und dann über den Felskamm hinweg.

„Es wäre besser“, meinte Weber, „einer ginge voraus und sähe sich an, ob es da hinten auch irgendwie weitergeht. Dann können wir anderen auf sein Zeichen hin mit den Mulis und den Pferden versuchen hinaufzukommen.“

Wir waren alle einverstanden. Ich meldete mich freiwillig, für die anderen zu erkunden. Ich machte das nun einmal gern.

Ohne Pferd, nur mit dem Gewehr, arbeitete ich mich über den Schotter nach oben. Schon so war es schlimm genug. Immer wieder rutschte man weg, trat Gestein los, das dann in die Tiefe polterte und noch mehr loses Gestein mitriss. Jedesmal drohte es zu einer Lawine zu werden.

Aber ich kam gut nach oben und erreichte den Felsenkamm. Bis jetzt würde es möglich sein, mit den Maultieren und den Pferden hinauf zu gelangen.

Als ich mich umdrehte und zurück sah nach unten, sah ich meine Gefährten und die Tiere winzig klein in der Tiefe.

Der Felsenkamm war höher, als sich von unten aus angesehen hatte. Aber ich fand so etwas wie einen Einschnitt, durch den man die Tiere bringen konnte.

Nach Meinung des Captains, der sich aber nicht mehr sehr genau erinnern konnte, erstreckte sich hinter dem Felsenkamm ein weites Tal. Ich würde es gleich ergründen können. Zunächst war es wichtig zu erfahren, ob wir mit den Maultieren und den Pferden durchkommen würden.

Tatsächlich gab es da oben in dieser gewaltigen Felswand einen Spalt, der von unten wie ein dünner Riss im Fels ausgesehen hatte, sich aber nun, da ich davorstand, als breit erwies. Breit genug, dass wir mit den Tieren hindurchkommen konnten und auch die Packlasten nicht abzuschnallen brauchten.

Ich benötigte fast eine halbe Stunde, bis ich durch diesen schluchtartigen Einschnitt hindurch war. Und dann sah ich das Tal. Es lag, umgeben von gewaltigen Bergen, wie eine Schüssel vor mir. Ziemlich in der Mitte befand sich ein See. Sein Wasser wirkte von hier aus tiefblau. Die Bergriesen spiegelten sich mit ihren weißen Mützen in der Oberfläche des Wassers. Es war ein herrliches Bild.

Ich blieb ein paar Sekunden lang stehen, um es mir anzusehen. Die Entfernung bis zu diesem See mochte schätzungsweise zwei Kilometer betragen. Man konnte sich täuschen in dieser glasklaren Luft, zumal der See weit tiefer lag als jene Stelle, auf der ich mich befand. Und dann entdeckte ich noch etwas. Um es genauer sehen zu können, zog ich das Spektiv aus der Tasche, stellte es auf Schärfe ein, suchte den Rand dieses Sees ab. Plötzlich sah ich sie: Dickhornschafe; wie von mir erwartet. Ich zählte mehr als zwei Dutzend. Überwiegend handelte es sich um Jungtiere.

Sie schienen mich aber trotz der großen Entfernung gewittert zu haben. Der Wind stand auf sie zu. Ich beobachtete, wie sie die Köpfe hoben, und vor allen Dingen ein etwas seitlich stehender größerer Bock immerzu in meine Richtung starrte. Ganz genau konnte ich das nicht sehen. So gut war mein Spektiv nicht.

Aber plötzlich machte dieser einzeln stehende Bock einen regelrechten Luftsprung und jagte dann auf den grünen Mattenhang zu, der rechter Hand zu einer der Steilwände hinführte, die den Rand dieses Bergkessels bildeten. Im selben Augenblick raste die gesamte Herde aus dem Stand heraus dem großen Bock nach. Sie entwickelte ein unheimliches Tempo, obgleich es ziemlich bergan ging.

Dann verschwanden sie zwischen den Felsen. Es musste da eine Felsspalte oder eine Schlucht geben, die ich von hier aus nicht sehen konnte. Jedenfalls waren sie mit einem Mal weg. Aber es gab mir Hoffnung, dass wir Wildbret erlegen konnten. Und damit waren unsere Proviantprobleme wieder einmal gelöst.

Dieses Tal sah so verlockend aus. Der herrliche See da unten, die grünen Hänge, die Felsen, die das Tal abschirmten, und der Sonnenschein, der alles schöner machte, der es regelrecht vergoldete. Dass dieses Tal für uns eine tragische Bedeutung haben sollte, ahnte ich nicht im entferntesten. Aber es war so.

*


ZUNÄCHST EINMAL SIGNALISIERTE ich den anderen, dass die Passage frei wäre, und sie kamen mit den Tieren herauf. Es dauerte dann noch gut vier Stunden, bis wir einen günstigen Platz in der Nähe des Sees erreicht hatten und dort unser Lager aufschlugen.

Es war das erste gute Lager. Rundum Gras für die Tiere und auch für uns Aussicht auf frisches Fleisch. Der Captain und Jesse Richmond machten sich sofort auf die Jagd, während die anderen Brennmaterial holten, die Packlasten abluden, absattelten, Feuer schürten und unsere drei Kessel mit Wasser füllten und über die Feuer hängten.

Übrigens konnte man hier vom See aus die Stelle gut erkennen, in der die Dickhornschafe verschwunden waren. Es war tatsächlich eine Schlucht. Nur nicht sehr breit. Der Grund stieg ziemlich steil an, und dort hinein waren der Captain und Jesse gegangen. Wir konnten sie aber nicht mehr sehen, aber wir hörten sie. Dann plötzlich fiel irgendwo in dieser Schlucht ein Schuss. Wie Donnerhall kam es aus den engen Felswänden heraus, und auf der anderen Seite dieses Bergkessels hallte das Echo wider. Unmittelbar danach fielen noch zwei Schüsse.

„Das sieht aus, als hätten sie Erfolg gehabt“, meinte Abe, der sich zu mir gesellte und in den Händen ein Stück Riemen hielt.

Ich nickte nur, sah auf den Riemen und entdeckte, dass der abgerissen war. Er stammte offenbar von der Verschnürung der Packlast. „Was ist damit?“, fragte ich. „Soll der geflickt werden?“

Abe schüttelte den Kopf. „Nein, nein! Ich habe einfach kürzer geschnallt. Sag mal, Callahan, der Plan ist genau. Auch dieser See ist eingezeichnet. Aber da ist etwas, was ich nicht begreife. Sieh’s dir doch mal an!“ Er holte den Plan aus der Tasche, kauerte sich hin und schlug ihn auseinander. „Siehst du, hier ist der See.“ Er deutete auf eine Stelle der Skizze, wo der See tatsächlich eingetragen war. „Aber hier neben dem See ist ein Ausrufezeichen. Was könnte das bedeuten?“

„Wir sollten den Captain fragen. Er ist doch schon einmal in dieser Gegend gewesen.“

„Sagt er“, meinte Abe. „Aber er ist nicht mehr sicher. Er könnte auch irgendwo anders gewesen sein.“

Otto Weber kam näher. Er hatte sich seine Pfeife angezündet, blieb dann neben uns stehen und sah interessiert auf die Karte. „Alles richtig?“, wollte er wissen.

„Bis jetzt ja“, erwiderte ich. „Abe wundert sich nur über das Ausrufezeichen neben dem See.“

Weber machte schmale Augen und blickte in die Runde. „Sieht an sich ganz friedlich aus, hier. Und ich glaube, die Jungs haben auch Glück gehabt und etwas erlegt. Da drüben, da kommen sie!“

Er deutete zu der schmalen Schlucht hinüber und tatsächlich konnte ich die beiden sehen, wie sie den Schotterhang herunterkamen. Sie schienen etwas zu schleppen. Also hatten sie Wildbret erlegt. Gute Aussichten für uns alle.

Mir fiel das Ausrufezeichen wieder ein. Ich sah Weber an und erkannte, dass er ebenfalls daran zu denken schien. Er biss sich auf der Unterlippe herum, strich sich nachdenklich über seinen gewaltigen Schnauzbart und meinte dann: „Er muss sich etwas dabei gedacht haben! Vor was will er warnen? Vor dem Wasser? Das Wasser scheint mir gut zu sein. Es ist kristallklar und riecht nicht schlecht. Und die Tiere saufen es, denn es wimmelt hier unten von Spuren und Fährten.“

Ich nickte. Außer den Fährten der Dickhornschafe hatten wir auch Spuren von Pumas gesehen. Aber auch die von anderen kleineren Räubern, wie Mardern und Frettchen. Und natürlich gab es noch unzählige Abdrücke von Vogelfüßen.

Ich sah Weber wieder an. Er war ein besonnener, ein ruhiger Mann, und er hatte mehr Erfahrung als irgendein anderer von uns. Das hatte ich sehr bald gemerkt.

„Ich glaube nicht, dass es das Wasser ist“, meinte er. „Ich nehme an, die Gefahr droht von den Bergen aus. Felssturz vielleicht, Lawine. Aber die Felsen wirken massiv. Höchstens die Schlucht. Da drüben, wo die beiden jetzt kommen. Es sieht aus wie eine Lawinenstraße.“

„Ich glaube, wir sollten uns nicht allzuviel Gedanken machen. Wir müssen eben wachsam sein“, erwiderte ich.

Abe lachte. „Wachsam müssen wir sein, wenn wir Gold gefunden haben. Sieh dir die Jungs an! Die reden schon wieder von Gold und vom Reichtum. Sie teilen Dinge auf, die sie noch gar nicht besitzen.“

Er blickte zu John Colfax und Bill Belknap hinüber, die sich lachend ausmalten, wie es sein würde, wenn sie beide reich wären. Bill sprach vor allen Dingen von Mädchen. Das schönste wäre ihm dann gerade noch gut genug.

„Das ist noch harmlos“, meinte Weber mit einem kurzen Blick auf die beiden. „Aber wenn wir das Gold haben, geht der Ärger wirklich los. Es ist ein Zeug, das alle verrückt macht. Man muss schon sehr viel besessen haben, um kaltblütig zu sein. Ich glaube nicht, dass junge Menschen das überhaupt können. Man muss, denke ich, in meinem Alter sein, um damit fertig zu werden und sich zu beherrschen. Und auch da ist es noch schwer. Wenn man das erst in den Händen hält und sich ausmalt, was man dafür bekommen kann, dann geht es los. Es ist ein Teufelszeug. Ich hätte besser an diesem Trail nicht mitgemacht. Aber da seht ihr es. Auch ein Mann, der so alt ist wie ich, kommt nicht davon los. Es ist wie ein Rausch, der einen überkommt, wenn man es hat. Es beginnt schon, wenn man irgendwo fündig ist.“

Ich hatte schon einmal Gold gesucht, mit sehr mäßigem Erfolg allerdings. Ich wusste nur, dass es eine unheimliche Arbeit ist, eine Schinderei. Und oft genug verdient man, wenn man so arbeitet, woanders dasselbe. Aber nirgendwo ist die Chance so groß, mit einem Schlag reich zu werden, so reich, dass man ausgesorgt hat. Aber die wenigsten Goldsucher, die reich geworden sind, haben diesen Reichtum richtig angelegt, haben etwas daraus gemacht.

*


WIR KAMEN NICHT MEHR dazu, weiter über dieses Thema zu sprechen, denn nun wurden die beiden Jäger mit großem Hallo begrüßt. Jeder von ihnen hatte ein Jungtier erlegt. Jungtiere waren um diese Jahreszeit schon fast erwachsen. Die nächsten Minuten vergingen mit dem Abhäuten, wobei am liebsten jeder geholfen hätte. Dann trat Joshua in Aktion. Er weidete die Tiere aus, strich ihr Äußeres mit Öl ein und bereitete die Spieße vor.

Als das Wildbret schließlich über dem Feuer gedreht wurde, standen wir alle rundum und sahen erwartungsvoll, wie sich nach und nach der Braten zu bräunen begann. Joshua ließ es sich nicht nehmen, das Wildbret selbst zu begießen. Und obgleich keiner von uns nur einen Tropfen Alkohol getrunken hatte, brandete die Stimmung hoch. Wir sangen, und Jesse spielte dazu mit seiner Mundharmonika. Dann begann Abe Winnigall zu tanzen. Wir anderen standen im Kreis herum und klatschten den Takt mit den Händen. Indessen drang der Duft des Bratens immer deutlicher in unsere Nasen und ließ uns das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Unsere Tiere grasten und hatten seit Tagen wieder Frischfutter. Das Gras hier oben war ziemlich dünn, aber doch saftig genug, und es stand reichlich zur Verfügung, so dass die Maultiere und die vier Pferde sich nähren konnten. Allerdings mieden sie jene Stellen, wo die Dickhornschafe gefressen hatten. Aber.es war genug da, und unsere Tiere konnten sich das Futter im ganzen Bergkessel suchen. Weglaufen würde gewiss keines der Tiere.

Allerdings mussten wir aufpassen. Die Pumaspuren waren eine eindringliche Warnung, und unsere Maultiere würden, wenn wir nicht über sie wachten, eine Beute der Pumas werden.

Als es dunkelte, loderten die beiden Feuer so hoch, dass der Lichtschein an den Felswänden widerspiegelte. Der ganze Talkessel war von einem rötlichen Schimmer erfüllt.

Die Braten waren längst gar, und Joshua hatte das Fleisch verteilt, soweit wir es gleich essen wollten. Das übrige wurde in Portionen zerlegt, mit feinem Salz außen bestreut und in erhitzte Leinensäcke gepackt. So konnte sich das Fleisch lange halten.

Noch einmal schlug die Stimmung hohe Wellen. Wir sangen nach dem Essen, und schließlich debattierten wir wieder über das Gold. Stundenlang wurde von nichts anderem geredet. Jeder ließ seinen Träumen freien Lauf. Mir fiel allerdings auf, dass der alte Weber und ich diejenigen waren, die am wenigsten über Gold sprachen. Vielleicht war es das, was uns anzog. Wir saßen noch eine Weile beieinander und erzählten uns, aber was wir redeten, hatte mit Gold nichts zu tun.

Schließlich teilte der Captain die Wachen ein, und ich bekam die letzte vor dem Morgen. Da wollte ich keine Zeit mehr versäumen und legte mich bald schlafen. Obgleich die anderen noch lachten, sangen und laut redeten, schlief ich schnell ein.

Aber es sollte kein sehr langer Schlaf werden.

*


ICH HATTE DAS GEFÜHL, gerade eine halbe Stunde geschlafen zu haben, als mich ein Schuss weckte. Dass es ein Schuss war, begriff ich nicht sofort. Aber ich schreckte hoch, und da knallte es schon wieder. Ich sah etwas weiter entfernt aufblitzen und hörte dann Jesse Richmond brüllen: „Pumas! Jungs, Pumas! Kommt, helft mir!“

Die beiden Feuer waren bis zur Glut heruntergebrannt, aber da hatte schon Abe Winnigall eine der Fackeln heraus, hielt sie in die Glut und schon brannte sie an.

Als ich aufsprang, sah ich, wie Otto Weber mit seiner großkalibrigen Sharps-Büffelbüchse losrannte.

Ich lief ihm mit meiner Winchester hinterher. Aber ich sah noch nichts Richtiges. Der Fackelschein hatte mich geblendet, und ringsum war es stockdunkel, wie es mir vorkam.

Aber bald konnte ich die Umrisse der Gegenstände besser erkennen.

Ein paar von unseren Maultieren liefen an mir vorbei, rannten auf das Feuer zu, als wüssten sie, dass dort Schutz zu finden war.

„Weiter drüben sind noch die Pferde!“, rief mir Weber zu. „Wir müssen versuchen, sie zurückzutreiben.“

Wir liefen auf die Felswände zu.

Plötzlich krachte wieder ein Schuss! Und unmittelbar danach sah ich einen Schatten tief über dem Boden dahinhuschen: ein Puma!

Ich riss mein Gewehr hoch und schoss. Gleichzeitig hatte Weber geschossen. Seine Sharps donnerte wie eine Kanone. Und der Puma überschlug sich plötzlich, stieß ein eigenartiges Geräusch aus und blieb dann liegen.

„Ich glaube, wir haben ihn beide getroffen“, rief Weber keuchend, als er zu dem erlegten Puma hastete.

Plötzlich sah ich rechts von mir eine Bewegung, und ich hörte Jesse brüllen: „Es sind zwei! Es sind zwei!“

Ein zweiter Puma! Er sprang, flog durch die Luft auf Weber zu.

Ich hatte das Gewehr schon an der Hüfte, feuerte auf den fliegenden Schatten, hebelte durch ... aber es gab keinen zweiten Schuss, denn jetzt landete der Puma direkt auf Webers Rücken.

Der alte Goldsucher stolperte nach vorn, stürzte, und ich jagte auf den Puma zu, holte mit dem Gewehrkolben aus, um zuzuschlagen, aber da rollte der Puma schon zur Seite, und Weber, der hingefallen war, richtete sich auf.

Der Puma, zuckte noch, und ich wollte ein zweites Mal auf ihn schießen, doch Weber sagte:

„Es ist gut. Du hast ihn verdammt gut getroffen. Danke.“

„Bist du verletzt?“, fragte ich.

„Oh nein, mein Junge. Er hat mich nur umgerissen. Da habe ich immer gedacht, ich stünde fest auf meinen Beinen. Ein schwerer Bursche.“

Jetzt kamen sie von allen Seiten, auch Abe mit der Fackel. Da sahen wir sie liegen.

Jesse tauchte auf. „Habt ihr sie erwischt? Da drüben sind noch zwei. Denen habe ich ein paar vor den Latz geknallt. Aber, zum Teufel, sie haben zwei von unseren Maultieren erwischt. Wir müssen danach sehen Die Tiere sind weggelaufen. Aber ich wette, sie sind schwer verletzt.“

Das eine fanden wir wenig später. Ihm war von einem Puma der Bauch aufgerissen worden. Die Gedärme hingen heraus. Aber das Tier stand noch; stand mit hängendem Kopf, die Ohren zur Seite. Ein entsetzlicher Anblick. Ich ging hin, nahm meinen Revolver und gab dem Tier den Gnadenschuss. Damit war es von seinen Qualen erlöst.

„Es ist mein Tier“, sagte Joshua. „Jetzt hab’ ich nur noch eins.“

Er irrte sich. Er hatte keins mehr. Denn das andere fanden wir wenig später. Es hatte sich noch bis zum Wasser geschleppt und war dort zusammengebrochen und vielleicht sogar im Wasser ertrunken, weil ihm die Kraft gefehlt zu haben schien, sich weiter zum Ufer zu schleppen.

Wir zerrten das Tier heraus. Trotzdem meinte ich im Schein der Fackel gesehen zu haben, dass sich das Wasser an dieser Stelle schon rot gefärbt hatte.

Später stellte sich heraus, dass Weber doch etwas von dem Angriff des Pumas zurückbehalten hatte. Seine Jacke war hinten aufgefetzt und auf seinem Rücken zog sich eine blutige Spur von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte. Joshua verarztete den alten Goldsucher.

*


VON DA AN DACHTE NIEMAND mehr an Schlaf. Es war übrigens zwei Uhr morgens, und nicht, wie ich gedacht hatte, kurz nach dem Einschlafen gewesen, denn es war auf Jesses Wache geschehen.

Die Maultiere und die Pferde waren so aufgeregt, dass wir noch eine Weile brauchten, sie zu beruhigen.

Als es dann hell wurde, häutete Bill Belknap die vier Pumas ab. Jener, der Weber angesprungen hatte, war ein Männchen. Die anderen waren Weibchen.

Keinem von uns war aufgefallen, dass sich der Himmel zugezogen hatte. Wir bemerkten es erst, als es hell zu werden begann. Von der Sonne war nichts zu sehen. Die Gipfel der Berge waren von Wolken umhüllt. Dabei herrschte eine eigenartige Schwüle. Es war eigentlich so wie vor einem Gewitter.

Wenn es Gewitter gibt, dachte ich, sollten wir uns einen besseren Platz suchen, einen, wo wir geschützt sind. Etwa unter überhängenden Felsen oder dergleichen. Ich wandte mich daher an den Captain.

„Als ihr da oben wart“, fragte ich ihn, „und die zwei Dickhornschafe erlegt habt, gab es da irgend etwas, wo wir uns unterstellen könnten?“

Offenbar hatte er auch schon daran gedacht, aber er schüttelte den Kopf. „Da ist nichts. Im Gegenteil. Dort besteht noch die Gefahr, dass wir eine Menge Zeug auf den Kopf bekommen; oder ist dir etwas auf gefallen?“, wandte er sich an Jesse.

Der hatte zugehört und schüttelte den Kopf.

Otto Weber, der an seinem Packen hantiert hatte, kam herüber. „Das gefällt mir nicht. Das sieht nach Gewitter aus. Gewitter hier in den Bergen sind eine schlimme Sache.“

„Dann besser hier als irgendwo da oben“, meinte Colfax.

„Ich weiß nicht“, erwiderte der Alte. „Soviel besser ist das gar nicht. Vielleicht sollten wir wirklich sehen, dass wir eine andere Stelle finden. Hier ist Wasser; das gefällt mir nicht. Wasser zieht die Blitze an. Wenigstens müssen wir an eine andere Stelle gehen. Weiter dort hinüber, wo die Sträucher sind.“ '

Er war von allen der einzige, glaube ich, der richtig begriff, was uns hier drohte. Auch der Captain, der hier schon in dieser Gegend gewesen war, hatte hier sicher noch kein Gewitter erlebt. Denn er sagte:

„Es wird genügen, wenn wir ein Stück vom Wasser weggehen. Ich glaube nicht, dass wir irgendwo anders sicherer sind als hier. Wir werden Sturmleinen über die Zelte spannen, da kann gar nichts geschehen.“

Ich war skeptisch. Ich kannte das Hochgebirge., Nicht nur die Windböen waren gefährlich; das Schlimmste für uns bedeuteten die Blitze. Andererseits sagte ich mir, dass John Colfax recht hatte, wenn er meinte, wir wären woanders auch nicht sicherer als hier. Sollten wir also ruhig hierbleiben.

Ohne ein Wort zu verlieren und sich um die Diskussion zu kümmern, die jetzt entbrannte, lief der Alte los und holte seine Maultiere. Eines davon drückte er Joshua in die Hand und sagte: „Darauf legst du deinen Packen.“ Dann lud er seine eigene Packlast auf, nahm sein Maultier am Zügel und marschierte los.

„Wo willst du hin?“, rief ich ihm zu.

„Ich hab’ es euch doch gesagt. Weg vom Wasser.“

Joshua folgte Weber, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, dasselbe zu tun wie Weber.

Abe Winnigall kratzte sich im Nacken, sah erst mich an, blickte dann auf Weber und Joshua, schnappte sich dann ebenfalls seinen Packen und tat es dem Goldsucher nach.

In dieser Frage schieden sich bei uns die Geister. Der Captain hatte John Colfax und Bill Belknap auf seiner Seite. Jesse kam zu mir und sagte: „Ich mach’ es so wie du. Würdest du mir vielleicht mal verraten, was du machst?“

„Mir gefällt keines von beiden“, erwiderte ich. „Der Alte ist da hinten nicht sicher, und hier am Wasser taugt der Platz auch nichts bei einem Gewitter. Ich glaube, wir haben noch Zeit.“

„Willst du etwa weiterziehen?“.

Ich schüttelte den Kopf. „Das nicht, aber ich denke immer, wir müssten eine günstigere Stelle finden. Ich hab’ ein unheimliches Gefühl.“

Er nickte. „Das ist es ja; ich auch. Aber weißt du was? Dann wenigstens dort, wo der Alte ist.“

Wir wussten nichts Besseres und entschlossen uns schließlich, ebenfalls hinüber zu Weber zu gehen. Als wir hinkamen, waren die drei gerade dabei, die Maultiere wieder abzusatteln, die Packlasten hinzustellen und den Maultieren die Halfter abzunehmen. Sie ließen die Tiere einfach laufen. Und im Grunde bestand wirklich keine Gefahr, dass die Tiere das Tal verlassen würden.

„Was wird aus den Zelten?“, fragte ich.

Weber machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die müssen wir abbauen. Das heißt, unseres. Ich nehme an, der Captain will seins stehen lassen.“

Tatsächlich ließ Captain Rick Bentley das zweite Zelt stehen. Er und Colfax und Belknap bildeten sich offensichtlich ein, dass ihnen da keine Gefahr drohte.

Wir waren keine Kinder, und allesamt hatten wir unsere Erfahrungen in der Wildnis. Es war in meinen Augen sinnlos, einen Mann wie den Captain oder John oder Bill überreden zu wollen. Wenn sie meinten, es so machen zu müssen, dann sollten sie es so tun. Wir bauten das größere Zelt ab, rollten es zusammen, denn noch war alles trocken.

Als wir fertig waren, sagte Weber:

„Wir haben noch Zeit. Es wäre gut, wenn wir uns das Fleisch von den toten Maultieren sichern. Es ist gutes Fleisch.“

Ich nickte, und wir machten uns daran, die Tiere auszuweiden.

Der Captain, John und Bill halfen uns dabei. Es würde keinen Streit wegen unserer verschiedenen Auffassungen geben. Und doch hatte diese Frage zwei wirkliche Gruppen gebildet.

Als wir mit dem Fleisch fertig waren und jeder seinen Teil zu seinem Packen schleppte, rief mir der Captain nach: „Am Ende zieht das Gewitter vorbei. Und wir haben uns allesamt deshalb in die Hosen gemacht.“

Ich zuckte nur die Schultern.

*


WIR WARTETEN. WIR HÖRTEN es in der Ferne donnern; wir sahen so etwas wie Wetterleuchten. Der Himmel zog sich immer mehr zusammen, die Schwüle nahm zu, aber es fiel kein Tropfen Regen.

Dann, nach zwei Stunden, schien es wieder heller zu werden. Mir fielen allerdings die gelben Ränder der dunkelsten Wolken auf. So etwas bedeutete nach meiner Erfahrung Hagel. Ich warf nur einen Blick auf den Alten und sah ihm an, dass ihm das auch nicht gefiel. Als ich Abe anblickte, machte der ein grimmiges Gesicht. Ich wusste, was das bei ihm bedeutete. Er war höchst unzufrieden. Jesse hatte sich zusammengerollt, als ginge ihn das alles nichts an, und schlief.

Aber das Rumoren des Donners wurde leiser. Das Gewitter schien tatsächlich abzuziehen. Jedenfalls dachte das der Captain. Er kam zu uns herüber, und der böige Wind, der aufgekommen war, schlenkerte seinen leeren linken Ärmel wie ein Uhrpendel hin und her.

Der Captain blieb breitbeinig vor uns stehen, hakte den Daumen in seine Jacke und sagte: „Wenn ihr mich fragt, will ich keine Wurzeln schlagen und auch keine Familie gründen. Sehen wir zu, dass wir weiterkommen.“

Weber schüttelte den Kopf. Er deu :ete nach oben. „Das sieht nicht gut aus.“

„Es wird heller“, meinte der Captain. „Seht ihr das nicht?“

„Es ist eine grelle Helligkeit“, erwiderte Weber. „Es ist nicht abgezogen. Es wird schlimm, sehr schlimm. Ich spüre es in allen Knochen.“

Der Captain lachte. „Meine Güte, Otto. Ihr seht wirklich alle Gespenster. Was soll denn sein? Gleich scheint die Sonne! Es ist richtig hell geworden!“

„Und der Wind?“, fragte Weber. „Dieser eigenartige Wind! Merkst du nicht, dass er kalt ist?“

„Angenehm frisch ist er. Irgendwo ist ein Gewitter niedergegangen, das kann stimmen. Aber hier kommt nichts mehr her.“

„Ich bleibe hier“, erklärte Weber beharrlich. Und er sah sich nicht nach uns um, als brauchte er unsere Zustimmung.

Joshua musste ich nicht erst ansehen, um zu wissen, dass er genau das tun würde, was Weber tat. Aber wie sah es mit Abe aus? Und mit Jesse?

Abe dachte nach, dann nickte er und sagte: „Ich bin auch der Meinung, dass es besser ist, hierzubleiben. Der Wind gefällt mir nicht. Und da eben diese gelben Ränder. Das sieht wie Hagel aus oder wie ein Sturm.“

„Ihr seht wirklich Gespenster!“, erwiderte ihm der Captain und wandte sich um. „Wir ziehen weiter. Verdammt noch mal, wir verlieren einen Haufen Zeit. Ich werde die Karte, die du hast, abzeichnen“, wandte er sich dann Abe zu. „Wenn wir getrennt marschieren, muss ich auch eine Karte haben.“

„Das ist doch Unsinn“, sagte ich. „Bleibt doch hier! Otto hat recht.

Das Wetter sieht nicht gut aus. Ich hab’ auch ein Gefühl, als wenn das Schlimmste noch kommt.“

„Was für ein Schlimmstes denn? Bis jetzt war überhaupt noch nichts“, entgegnete der Captain. Er lachte zornig auf. „Menschenskind, wir haben schon soviel Zeit verloren. Wollt ihr noch mehr Zeit vertrödeln?“

„Ich glaube“, sagte Weber nachdenklich, „dass wir die meiste Zeit dann gewinnen, wenn wir jetzt abwarten. Aber wir verlieren einen Haufen Zeit, wenn wir losziehen und nicht weit von hier an irgendeiner völlig ungünstigen Stelle überrascht werden. Es kann so schlimm kommen, dass die Tiere loslaufen. Wer soll sie da oben bändigen? Hier können sie herumrennen. Früher oder später fangen wir sie immer wieder ein. Aber wenn sie in den Abgrund gestürzt sind, haben wir noch mehr Tiere verloren. Auf diesem kurzen Weg sind es schon drei. Habt ihr einmal darüber nachgedacht?“

Der Captain drehte sich um, ohne noch ein Wort zu sagen. Ich wusste nicht, was er tun würde. Aber dann sahen wir es. Er und Bill und John holten ihre Maultiere und Pferde. Wir sahen ihnen zu, wie sie ihre Packen aufluden, festschnürten und dann loszogen, als wäre unsere Warnung einen Dreck wert.

Sie waren noch nicht am Rande des Beckens, da wurde es noch heller. Und tatsächlich schien einen Augenblick lang die Sonne.

Wir alle blickten verblüfft nach oben, und die Wolkendecke war an einer Stelle aufgerissen wie ein Fenster. Und durch diese Öffnung strahlte die Sonne ins Tal herunter. Es war eine grelle, eine weiße Sonne. Dennoch, sie schien!

Drüben gab der Captain einen Schuss aus seinem Revolver ab. Er winkte. Und wir konnten uns denken, was dieser Schuss bedeuten sollte. Damit wollte er uns wohl auffordern, ihm zu folgen.

„Verdammt! Jetzt scheint sogar die Sonne, und er hat recht gehabt“, meinte Jesse. „Ich glaube, wir sind wirklich überängstlich.“

Auch Abe wurde offenbar unsicher.

„Macht euch keine Gedanken. Hier sind wir am sichersten aufgehoben“, mahnte der Alte. „Die kommen zurück!“

Sie kamen nicht zurück. Da irrte er sich. Ich sah noch, wie sie das Tal verließen. Drüben gab es offenbar einen Einschnitt in den Bergen, und der war auch auf unserer Karte eingezeichnet.

„Nun hat er sich die Karte doch nicht abgezeichnet“, sagte ich zu Abe.

Abe zuckte nur die Schultern, aber der Alte meinte:

„Er wird auf uns warten. Und außerdem kommt er nicht mehr weit, da muss er auch anhalten, bis das Unwetter vorüber ist.“

Das hielt ich nun auch für übertrieben. Denn allmählich begann ich selbst daran zu zweifeln, ob dieses Gewitter jemals bis zu uns reichen würde.

*


ES KAM MIT EINEM DONNERSCHLAG! Das Fenster mit der Sonne hatte sich längst wieder zugezogen. Da, auf einmal schien etwas über uns zu explodieren. Blitz und Donner kamen fast gleichzeitig. Ich sah, wie eine grelle Flamme unmittelbar neben dem See aufzuckte. Eine schwefelgelbe Wolke wehte in einer Bö bis zu uns herüber. Wir alle waren erschrocken zusammengefahren, als der Donnerschlag erfolgte. Das war genau die Stelle, wo wir vorhin gelagert hatten.

Die Maultiere und das Pferd, was wir noch hatten, jagten wie von Furien gehetzt nach allen Seiten davon.

Der nächste Einschlag erfolgte wenige Sekunden später. Und dann schien das Inferno endgültig losgebrochen zu sein.

Einschläge in allernächster Nähe; gleichzeitig immer der Donner. Und das Gewitter stand direkt über uns. Wir hockten uns zusammengekrümmt dicht über den Boden. Und kaum hatten wir das getan, begann es vom Himmel zu schütten, was das Zeug hielt. Das war kein normaler Regen; das kam nur so wie aus Eimern herunter. Ein paar Sekunden lang war es Wasser, dann verwandelte es sich in Hagel. Anfangs waren es haselnussgroße Körner, später wurden sie immer größer. Zuletzt hatten sie die Größe von Hühnereiern. Und das drosch nur so auf uns herunter! Und noch immer Blitz und Einschlag. Oft gleichzeitig, manchmal mit nur geringem Abstand.

Sturmböen fegten durch das Tal. Die Hagelschauer donnerten regelrecht auf den Boden, als wollten sie alles zerschlagen. Wir hielten unsere Hände schützend über den Kopf, und es prasselte wie Steinschlag auf uns herab.

Sturm, Hagel, und jedes Mal der Schreck, wenn ein Einschlag nur wenige Meter entfernt erfolgte. Dieses Inferno schien Ewigkeiten zu währen. Warum, zum Teufel, zog dieses Gewitter nicht weiter? Aber ich kannte das ja. Wenn sich im Hochgebirge schon mal ein Gewitter in einem Tal festhakte, konnte es irgendwie nicht mehr heraus.

Ich habe auf keine Uhr gesehen, wie lange wir in dieser Hölle steckten. Ich merkte nur, dass nach einiger Zeit die Abstände zwischen Blitz und Donner größer wurden. Und schließlich waren sie so groß, dass es sich lohnte zu zählen. Man muss die Sekunden zwischen Blitz und Donner zählen und dann durch drei teilen. Das ist die Entfernung in Kilometern, in der sich ungefähr das Gewitter befindet. Die Entfernung in Meilen erfordert das Teilen der Sekunden durch 4,8.

*


ES BEGANN ABZUZIEHEN. Aus dem Hagel wurde wieder Regen. Regen in großen Tropfen. Es schüttete auf uns herunter. Im Handumdrehen war das ganze Land ringsum aufgeweicht.

Ich richtete mich einmal auf und versuchte etwas von den Maultieren und dem Pferd zu erspähen. Nichts zu sehen!

Der Wind ließ nach; das Gewitter war inzwischen abgezogen. Und plötzlich, als wäre nichts geschehen, schien die Sonne.

Dunst kam auf. Im Handumdrehen bildete sich Bodennebel, der es uns unmöglich machte, unsere Tiere zu sehen.

Von uns war niemand verletzt. Aber der Hagel hatte uns schwer zugesetzt. Meine Hände waren aufgeschlagen. Den anderen ging es nicht besser als mir. Der alte Weber verteilte wieder seine Salbe.

Eine bange Frage stand allen im Gesicht geschrieben: Was war aus den drei anderen geworden?

Zuerst mussten wir nach unseren Tieren suchen. Aber der Nebel,,der immer noch zunahm und höher anstieg, machte es zunächst unmöglich. Auf diesen Nebel schien die Sonne. So war diese Waschküche perfekt. Man konnte keine zehn Schritte weit sehen. Trotzdem machten wir uns auf, die Tiere zu suchen. Wir riefen sie, wir lockten sie, aber nicht eines kam freiwillig. Schließlich gelang es Jesse und mir, das Pferd zu entdecken. Es war erschrocken, als wir vor ihm auftauchten; ließ sich aber einfangen. Wenig später hatte Abe mit Joshuas Hilfe zwei Maultiere, die beide Weber gehörten, einfangen können.

Es dauerte fast noch zwei Stunden, bis wir die übrigen Tiere gefunden hatten. Und das auch erst dann, als der Nebel wich. Die Sonne löste ihn regelrecht auf. Und nun kam das noch in der Nässe perlende Gras zum Vorschein. Die Felsen, soweit sie nicht schon abgetrocknet waren, wirkten wie lackiert.

Als ich Abe erblickte, sah der hinüber zu der Stelle, wo die drei anderen das Tal verlassen hatten. Ich brauchte nicht zu fragen, was er dachte.

Dann zogen wir los. Schweigend. Obgleich es besser gewesen wäre, den Rest des Tages noch hier zu verbringen und auch noch über Nacht zu lagern. Wir wollten aber wissen, was mit den drei anderen war. Das brauchten wir uns gar nicht zu sagen, das dachten wir alle gleichzeitig.

Es dauerte eine ganze Weile, bis wir sie fanden. Da war es schon fast wieder Abend. Und wir waren mindestens schon drei oder vier Meilen vom Tal entfernt.

Keiner von uns sprach, als wir sie sahen. Wir starrten nur zu der Stelle, wo sie sich befanden.

*


NACH DEM VERLASSEN des Tals waren wir eine langgezogene Felskerbe entlang geritten, deren Boden mit Schotter bedeckt war. Später wurde der Boden glatter, und die Maultiere und das Pferd hatten es leichter, voranzukommen. Schließlich mündete alles in ein schlauchartiges Tal. Aber man konnte nicht bis hinunter auf den Grund kommen. Es gab keinerlei Abstieg. Statt dessen bewegten wir uns wieder auf einer Felsleiste, die stellenweise so breit war, dass man mit einem Wagen darauf langfahren konnte.

Später verlief diese Felsleiste in einem breiten Abhang, der mit Gras bewachsen war. Hier ritten wir tiefer ins Tal hinunter, in diese Schlucht, in der unten ein vom Gewitter gefüllter Bach wie ein Fluss dahinrauschte. Spuren von den anderen sahen wir nicht. Statt dessen fanden wir die drei wenig später, als wir um eine Kurve kamen. Von den Maultieren und den beiden Pferden existierte keine Spur mehr. Nur die drei sahen wir.

Der Captain lag auf dem Rücken, seinen einen Arm von sich gestreckt. Das Gesicht war kaum noch zu erkennen. Wir sahen nur an seiner Kleidung, dass er es war. Ungefähr zehn Schritt von ihm entfernt lag Bill Belknap auf der Seite. Er war splitternackt. Ich brauchte nicht nachzudenken, um herauszufinden, dass ihn ein Blitz getroffen hatte. Seine Haut war verbrannt. Er sah schrecklich aus.

Noch weiter entfernt hockte John Colfax. Er war ganz offensichtlich noch am Leben. Er saß da, hatte den Kopf in die Hände gestützt, aber er rührte sich nicht. Hob nicht einmal den Kopf, als wir dann endlich bei ihm anlangten.

Ich gab Jesse die Zügel meiner Maultiere, lief zu Colfax hin und sagte: „John! Johnny, hörst du mich?“

Er saß da wie ein Denkmal, er rührte sich gar nicht. Ich dachte schon, er wäre auch tot. Da auf einmal ließ er die Arme sinken, hob den Kopf und sah mich aus wässrigen, glasigen Augen an. Er schien durch mich durchzublicken.

„Johnny, was zum Teufel ist passiert?“

Plötzlich begann er zu lachen. Er lachte, er kreischte. Und dieses wilde, hysterische Gelächter ging in Weinen über. Er schüttelte den Kopf, schlug sich mit den Händen auf die Schenkel, schrie etwas, das keiner von uns verstand, und schließlich packte ich ihn am Haar, und schlug ihm rechts und links ins Gesicht.

Aber der Schock, den ich damit hervorrufen wollte, trat nicht ein. Er schrie weiter, schlug um sich, und alles das endete in einem Gewimmer wie bei einem kleinen Kind.

„Er hat den Verstand verloren“, meinte Jesse Richmond. „Was können wir da machen?“

„Er wird sich beruhigen“, erwiderte ich. „Lass mich nur machen. Das ist irgendein Schock oder so etwas. Genau kenne ich mich da nicht aus.“ Ich blickte Weber an und dachte: Vielleicht weiß der Alte etwas. Er hat doch für alles Ratschläge.

Tatsächlich kam er näher, beugte sich über John, griff ihm an die Stirn, und sofort wurde Colfax ruhiger. Er wimmerte nicht mehr. Er saß einfach da, in. sich zusammengesunken, so, wie wir ihn gefunden hatten.

„Steh auf, mein Junge“, sagte Weber. „Es ist alles gut.“ Und zu mir gewandt fuhr er fort: „Wir müssen uns um ihn kümmern. Ich glaube, du hast recht, Callahan. Die ersten Tage braucht er noch, um über den Schock hinwegzukommen.“

Ich hatte das Gefühl, dass wir uns hier selbst etwas in die Tasche logen. Mir war schon einmal ein Mann begegnet, der infolge eines Unfalls verrückt geworden war. Anfangs hatten wir auch geglaubt, das alles ginge vorüber. Aber es ging nicht vorbei, es wurde eher schlimmer. Und ich fürchtete insgeheim, dass wir dasselbe bei Johnny erleben würden.

John Colfax war völlig willenlos. Er ließ sich aufrichten, und er wehrte sich auch nicht dagegen, als Weber ihn wegführte.

Jesse trat vor Johnny und fragte: „Wo sind eure Tiere hin? Weißt du, wo eure Tiere sind?“

Johnny sah Jesse aus glanzlosen Augen an. Es war, als sähe er ihn gar nicht. Und dann lallte er etwas, das keiner von uns verstand. Anschließend begann er wieder zu weinen.

Väterlich legte Weber seinen Arm um Johnnys Schultern. Und Johnny war ja nun wirklich kein junger Bursche mehr. Trotzdem wirkte er jetzt wie ein Kind. Völlig hilflos.

*


WIR SUCHTEN EINE STELLE, wo der Boden weich genug war, um Gräber zu schaufeln. Aber hier gab es so etwas nicht. Ringsum nur Felsen und Schotter. Man hätte ein Loch in die Erde sprengen müssen. Schließlich rief Jesse, er hätte eine Felsspalte gefunden, wo wir die beiden hineinlegen und dann mit großen Steinen bedecken konnten. Aber dann, als dies geschehen war, überlegten wir, wie wir auf das Grab hinweisen konnten. Es gab nirgendwo Holz, das dick genug war, um ein richtiges Grabkreuz zu zimmern. Also einen Grabstein! Aber der Felsen hier war zum Teil hart, und wo er es nicht war, konnten wir ihn als Grabstein auch nicht verwenden, weil er in sich zerfiel. Schließlich hatte Joshua, wie so oft, eine blendende Idee.

Dem sonst so fröhlichen Schwarzen war der Anblick der beiden Toten und des offenbar verrückt gewordenen John Colfax arg an die Nerven gegangen. Ich beobachtete, dass er oft zitterte. Andererseits mühte er sich, es nicht zu zeigen, half, wo er konnte und erwies sich, wie immer, als ein nützliches Mitglied unserer Gruppe. Und jetzt kam er plötzlich mit einer Steinplatte an, die er irgendwo gefunden hatte. Sie war so schwer, dass er sie kaum tragen konnte. Abe ging ihm entgegen, nahm ihm die Steinplatte ab und schleppte sie bis zu der Felsspalte, in der die beiden Toten lagen und durch Felsquader zugedeckt waren.

„Wir stellen sie einfach davor“, erklärte Joshua. „Ich werde etwas darauf meißeln. Ihr müsst mir nur sagen, was ich schreiben soll.“

Etwas argwöhnisch fragte Abe Winnigall:

„Kannst du überhaupt schreiben, Joshua?“

Joshua sah überrascht auf. „Natürlich kann ich das! Otto hat es mir beigebracht.“

„Na dann“, meinte Abe leicht überrascht.

Ich wusste, dass Abe sich sehr überwinden musste, um einen Schwarzen als gleichwertigen Menschen zu behandeln. Man konnte es Abe nicht vorwerfen. Er war so erzogen worden, und in Texas dachten die meisten Leute so. Sie denken heute noch so, dass ein Farbiger kein vollwertiger Mensch ist. Inzwischen war Abe zu einer anderen Überzeugung gekommen, aber er hatte Mühe, das abzuschütteln, was ihm jahrzehntelang eingetrichtert worden war.

Weber sagte schließlich Joshua, was er auf den Grabstein schreiben sollte. Und dann begann Joshua zu meißeln. Er tat es mit zwei harten Steinen; der eine war scharfkantig, den benützte er als Meißel, und der andere war größer und plump, und mit dem schlug er auf den kleineren Stein.

Eine Stunde lang hämmerte Joshua. Er hätte gewiss noch viel mehr getan, wenn Weber nicht schließlich gesagt hätte: „Wir müssen weiter! Wir müssen fort! Komm, Joshua, hör auf!“

Joshua hatte nicht nur die Namen und das Datum des Todes eingemeißelt, er wollte auch noch am Rande des Steines Verzierungen anbringen. Aber das ließ Weber nicht mehr zu. So hatten die beiden nur einen einfachen Stein.

Unsere ersten Toten!

Wer von uns wusste zu diesem Zeitpunkt, dass es nicht die einzigen bleiben würden? Aber der Vorfall beeindruckte uns so sehr, dass wir eine lange Zeit überhaupt nicht miteinander sprachen. Und auch Johnny sagte nichts. Er schlurfte zwischen uns weiter bergauf. Er hatte kein Maultier zu führen und auch nichts zu tragen. Er ging einfach so zwischen den anderen her, den Kopf gesenkt, schlurfend wie ein alter Mann und vor sich hin lallend. Man verstand nicht, was er sagte. Aber offenbar marschierte er willig mit.

*


DER KARTE NACH, DIE Abe hatte, mussten wir irgendwann einen Gebirgsbach erreichen und in diesem Bach weiter bergauf marschieren. Ich fragte mich nur, ob dieser Bach sehr viel Wasser führte und ob es dann überhaupt möglich sein würde, in ihm voranzukommen.

Eine Stunde später hatten wir diesen Bach erreicht. Die Karte erwies sich wieder einmal als vorzüglich.

„Da vorn ist er ja!“, rief Jesse. „Und er hat wenig Wasser. Es ist ein breites Bachbett, aber verdammt viel Geröll. Wie sollen die Maultiere da treten?“

„Ich wüsste lieber“, sagte Weber, „wo die Tiere von den dreien sind. Irgendwo müssten sie doch sein.“

Als wir den Bach erreicht hatten, hielten wir erst einmal an. Dieser Bach kam von großer Höhe mit einem unheimlichen Tempo talwärts geschossen. Aber er füllte nur ein Drittel seines Bettes aus. An beiden Seiten lag kinderkopfgroßes Geröll, das in der Zeit der Schneeschmelze ganz sicher mit Wasser bedeckt war. Es würde schwierig für die Tiere sein, hier bergauf zu gehen.

Weber hob die Hand zum Zeichen, dass er uns etwas sagen wollte. „Hört mal, Jungs. Wir können die Tiere von den dreien nicht einfach sich selbst überlassen. Ich bin dafür, dass wir sie suchen.“

„Dann verlieren wir noch mehr Zeit“, meinte Jesse.

Abe Winnigall nickte. „Er hat recht. Wer weiß, wo die Tiere stecken. Die sind in ihrer Panik sonstwohin gelaufen.“

„Es sind Gewehre dabei, Munition, Vorräte. Wir können doch nicht darauf verzichten“, meinte Weber.

„Wir anderen haben unsere Waffen doch“, erwiderte Abe. „Warum sollen wir uns noch länger aufhalten lassen.“

Wir stimmten ab. Außer Joshua und Weber waren alle dafür, dass wir weiterzogen und uns zunächst mal nicht um die Tiere kümmerten.

Ich war sogar der Meinung, dass wir vielleicht rein zufällig auf sie stoßen würden. Aber es war ein Fehler von mir und den anderen, dass wir nicht nach den Tieren suchten. Dieser Fehler sollte sich viel später heraus stellen. Jetzt jedenfalls sah es so aus, als hätten wir recht und nicht Weber.

Der Bach schien direkt von einem der gigantischen Bergriesen herunterzustürzen. Denn aus dieser Richtung kam der Bach. Und nun, da die Sicht wieder klar war, sah man diesen gewaltigen Viertausender mit seiner weißen Mütze aufragen in dem blauen Sommerhimmel.

Jesse war neben mich getreten. „Ganz schön hoch, dieser Zahn, was?“, meinte er. „Aber so hoch hinauf brauchen wir sicher nicht.“

Abe breitete die Karte aus. „Wenn es stimmt, was hier steht, haben wir noch einen Tag.“

„Wir sollten wirklich nach den Pferden suchen“, begann Weber wieder. „Jeder Narr, der sie findet, begreift nach zwei Minuten, dass es die Ausrüstung von Goldsuchern ist, die darauf gepackt wurde.“

Ich weiß nicht, warum ich anders dachte als er. Dabei hielt ich ihn doch für einen so umsichtigen Mann, und trotzdem war ich der Überzeugung, dass wir uns hier nicht mehr aufhalten sollten.

„Ach was, sie werden die Packlast abschütteln“, meinte Abe. „Und dann liegt sie irgendwo. Hier herauf kommt doch kein Mensch.“

Wir anderen dachten auch so. Und schließlich zuckte sogar Weber die Schultern und meinte: „Vielleicht habt ihr wirklich recht.“

Wir alle hatten nicht recht. Aber wer wollte das im voraus wissen?

„Noch einen Tag also“, meinte Abe. „Und es kann nicht mehr sehr schwierig sein. Er hat Pfeile dahin gemacht, wo es steil bergan geht. Es kommen nur an zwei Stellen noch Pfeile. Allerdings hat er da zwei hintereinander gemacht. Es wird also sehr steil sein.“

An diesem Tage erfuhren wir es nicht mehr. Wir hatten sogar Glück, wir stießen erneut auf Dickhornschafe. Und es gelang uns, eines zu erlegen. An Proviant war tatsächlich kein Mangel mehr.

John Colfax war die ganze Zeit wie geistesabwesend mit uns marschiert, bergauf gestolpert, hatte praktisch nie gesprochen und auf keine Frage eine Antwort gegeben. Wenn man ihm zu essen gab, dann aß er; aber alles geschah wie mechanisch. Nichts schien er bewusst zu tun. Aber er wurde uns noch nicht zur Last. Er versorgte sich selbst. Allerdings machten wir bereits am zweiten Tag, nachdem er wieder bei uns war, eine merkwürdige Feststellung. Es war Jesse, der es roch, weil er hinter John ging.

„Verdammt, was stinkt das hier. Sag mal, Johnny, bist du irgendwo reingetreten?“

John Colfax reagierte gar nicht. Er trottete weiter wie ein Rind in der Herde.

Jeisse beließ es dabei. Als wir dann aber einmal Rast machten, fiel es auch mir auf. Er stank wie ein Wiedehopf.

„Du musst dich mal waschen“, sagte ich zu Johnny. „Verdammt, du stinkst. Sag mal...“ Ich sah hilfesuchend auf Abe, und er ahnte, was ich fragen wollte und grinste. Und dann blickten wir alle nach Johnnys Hosenboden. Da war es nass.

Johnny machte unter sich wie ein kleines Kind. Er ließ es auch geschehen, dass wir ihn auszogen, ihn abwuschen. Er hatte das ganze Gesäss schon wund, auch zwischen den Beinen war er aufgescheuert. Und er lachte wie ein Irrer, als wir ihn mit kaltem Wasser abwuschen.

„Das kann ja heiter werden“, rief Jesse. „Sollen wir den abhalten wie ein Baby?“

„Wie ein Baby?“ fragte Weber und sah ernst auf Johnny. „Er ist ein Baby. Ihn unterscheidet nur die Tatsache, dass er viele Jahre älter und dass er größer ist, von einem Baby. Sonst müssen wir ihn wie ein kleines Kind behandeln.“

Keiner sprach von uns noch von Gold. Im Augenblick beschäftigte uns dieser steile Hang, den wir hinauf mussten. Wir sahen ihn schon von weitem und hofften doch inständig, dass wir ihn irgendwo umgehen konnten. Aber es gab keine Umgehung. Wir mussten diesen steilen Hang mit den Tieren hinauf.

„Das Pferd schafft es nie“, meinte Abe. „Am besten, wir lassen die Tiere hier unten.“

Weber sah ihn entrüstet an. „Das ist der perfekte Schwachsinn. Wie kannst du so etwas sagen, Texaner? Es ist schlimm genug, dass wir nicht nach den Tieren der anderen gesucht haben. Nichts kann zurückgelassen werden. Wir haben zwei Wochen, vielleicht Monate vor uns. Wir können hier unten kein Tier zurücklassen. Es würde eine sichere Beute der Pumas. Und außerdem weist es jedem, der uns auf der Spur ist, den Weg.“

Mir war schon bis hierher aufgefallen, dass Weber am Schluss marschierte und immer wieder versuchte, die Spuren, die wir hinterließen, zu verwischen. Von nun an war ich entschlossen, ihm dabei zu helfen, denn er hatte recht. Wir würden uns Läuse ins Fell setzen, wenn wir nicht dafür sorgten, dass unsere Spur verschwand.

Aber nun war erst einmal der steile Hang. Mit einem Pferd würde man wirklich nicht hinaufkommen, trotzdem versuchten wir es. Zuerst ging Jesse mit einem seiner beiden Maultiere hinauf. Er schaffte es. Aber es war auch das trittsicherste und ruhigste Maultier von allen gewesen. Schon als er sein zweites Tier holen wollte, begann der Zirkus. Das Maultier wollte nicht; es stemmte sich ein, es keilte aus, es schrie, und es war nicht von der Stelle zu bewegen.

Er ließ es einfach stehen und versuchte es mit einem anderen. Das ging ein Stück gut, und obgleich wir zu dritt mitmarschierten und hinaufkletterten, war auf der Hälfte der Strecke Schluss. Das Maultier wollte nicht mehr weiter.

Wenn ein Esel oder ein Maultier nicht will, kann man mit einem Knüppel darauf einschlagen, man könnte mit einem Messer zustechen, das Tier bewegt sich keinen Schritt weit. Gewalt ist sinnlos. Und mit gutem Zureden hatten wir auch kein Glück.

„Lass es einfach stehen“, riet ich. „Holen wir das nächste.“

„Damit kommen wir doch nicht an ihm vorbei?“, meinte Jesse.

„Es wird schon weitergehen. Holen wir das nächste herauf“, wiederholte ich, und wir kletterten hinunter, ließen das Maultier einfach oben stehen. Wir waren noch nicht ganz unten, da kletterte es alleine höher. Schon deshalb, weil es oben am Ende der Steilstrecke Gesellschaft fand. Denn dort stand Jesses Maultier.

Wir bekamen sie tatsächlich im Verlauf von drei Stunden alle miteinander nach oben. Die Packlasten mussten wir reduzieren. Einen Teil schleppten wir selbst nach oben. Und schließlich war nur noch das Pferd unten. Abe Winnigalls Fuchs.

„Wir bekommen es nicht hinauf, sage ich dir“, erklärte Weber. „Es hat keinen Zweck. Wir sollten es erschießen.“

„Ein Pferd wird nicht erschossen, wenn es gesund ist“, erwiderte Abe Winnigall erbost. „Ein Pferd ist ein Lebewesen. Wenn du irgendwo eine Wand nicht hochkommst, möchte ich sehen, was du sagst, wenn ich verlange, dass man dich erschießen sollte. Nur weil du die Steilwand nicht schaffst. Ein Pferd ist nun mal keine Ziege und kein Dickhornschaf.“

„Also“, fragte ich, „was willst du machen? Sollen wir es an Seilen hinaufziehen? Wir haben das Zeug dazu.“

„Versuchen wir es doch.“

„Da drüben ist eine gute Stelle“, rief Joshua, und deutete auf eine senkrecht abfallende Steilwand, die aber nicht so hoch war wie die Steilstrecke, die wir bis jetzt mit den Maultieren hinaufgeklettert waren.

„Und wer soll das schaffen? Wer soll das Pferd hinaufziehen?“, fragte Weber.

„Es sind genug Lassos da“, erklärte ich ihm. „Mit Hilfe der Maultiere, die schon oben sind, bekommen wir das Pferd hinauf. Es funktioniert. Mach dir keine Sorgen, Otto.“

Wir waren auch alle ziemlich fertig. Dieses ständige Hoch und Runter mit den Maultieren war eine zusätzliche Belastung gewesen. Keiner hatte sich in dieser Zeit um Johnny kümmern können.

Ab und zu sah ich natürlich einmal hin. Er stand wie angenagelt an einer Stelle, starrte vor sich hin, lallte manchmal etwas, aber daran hatten wir uns gewöhnt. Meine einzige Sorge war die, dass er womöglich wieder die Hosen voll machte. Und wir hatten nichts Frisches für ihn.

Als wir dann die Vorbereitungen trafen, das Pferd aufzuseilen, wollte ich wieder einmal einen kurzen Blick auf Johnny werfen, aber der war nicht dort, wo er die ganze Zeit gestanden hatte.

Jesse hatte gerade die Seile und Riemen um den Fuchs gelegt, als ich ihn fragte: „Weißt du eigentlich, wo Johnny ist?“

„Er wird uns schon nicht abhanden kommen“, meinte Jesse. „Hier, pack mal an!“

Das Aufseilen des Pferdes nahm unsere ganze Konzentration in Anspruch. Wir hatten oben an der Felskante eine Rolle angebracht, und über die lief ein Seil, das oben von sechs Mulis gezogen wurde. Unten, am anderen Ende des Seiles hing das Pferd. Die Mulis zogen es praktisch nach oben, und als es an der Rolle angelangt war, hängten wir mit einem Karabinerhaken eine zweite Leine unten am Bauch des Fuchses in eine Schlaufe, ließen die Mulis abermals anziehen, und 50 wurde der Fuchs regelrecht über die Felskante hinweggerollt.

Das Tier wieherte kläglich, sprang entsetzt auf die Beine, kaum dass es oben angelangt war, und wir hatten Mühe, es davor zu bewahren, in Galoppsprüngen davonzuhetzen.

Aber Abe Winnigall hatte die Figur dazu, den tobenden Fuchs zu bändigen, dass wir die Leinen und Riemen abnehmen konnten, und er sich nicht noch mehr darin verhedderte.

Alles hatte wunderbar funktioniert. Und nun, da wir es geschafft hatten, erinnerte ich mich wieder an Johnny. Auch Weber schien an ihn zu denken, denn er fragte: „Wo steckt der Kerl?“

„Falls du Johnny meinst, so weiß ich es auch nicht. Ich hab’ vorhin schon mal Jesse gefragt, aber der hat ihn offenbar auch nicht gesehen.“

„Er war doch immer da unten“, meinte Abe. „Immer an derselben Stelle.“

„Da nimm ihn weg, wenn du ihn dort stehen siehst“, spottete Jesse.

Joshua packte gerade die Vorräte aus, denn wir wollten noch einmal rasten. „Ich brauche Holz!“, rief er.

Holz gab es nur in Form von vielen Zweigen und Gestrüpp; Bäume wuchsen hier oben keine. Und dieses Holz war zum größten Teil nass; es brannte schlecht und qualmte stark. Wir mussten versuchen, abgebrochenes Gehölz zu finden. So zogen wir, Jesse, Abe und ich, los. Otto würde sich um die Tiere kümmern, Joshua bereitete das Essen vor.

Und weil wir ziemlich weit herumstreifen mussten, um wirklich dürres Brennmaterial zu finden, trennten wir uns und gingen in verschiedene Richtungen.

*


WO WIR UNS BEFANDEN, war eine Art Hochfläche. Ganz eben war sie nicht. Sie stieg immer noch an. Es gab eine Menge Gestrüpp hier, aber ich hoffte, weiter zur Felswand eines benachbarten Berges hin größere Sträucher anzutreffen, wo natürlich auch die Ausbeute an dürren Zweigen und Ästen reichhaltiger sein würde.

Ich hatte mein Gewehr zurückgelassen. Es hätte mich zu sehr beim Brennholztragen behindert. Aber mein Revolver steckte im Holster. Wegen der Gefahr, dass es beim Klettern herausfallen könnte, trug ich nicht das offene Holster wie sonst, sondern eines, das am Gürtel festgeschnallt war und mit einer Schlaufe den Colt festhielt, damit er nicht herausrutschen konnte.

Dass ich kein Gewehr bei mir hatte, sollte mir in wenigen Sekunden leid tun. Aber daran war nun auch nichts mehr zu ändern.

Ich entdeckte plötzlich unterhalb der Steilwand einen ganzen Riegel von Himbeergestrüpp. Es waren auch reife Beeren dabei.

Die Zeit kann ich mir nehmen, dachte ich, ein paar Beeren zu naschen. Ich ging hin, zupfte da und dort die reifen heraus und wollte gerade nach weiteren Beeren Ausschau halten, als ich links von mir ein Geräusch hörte.

Ich zuckte herum, und da sah ich keine zehn Schritt von mir entfernt zwei kleine Bären.

Die sahen possierlich aus, diese beiden kleinen Grislys. Aber ich war zu lange in der Wildnis gewesen, um nicht zu wissen, was das zu bedeuten hatte für mich.

Wo ist die Alte? dachte ich sofort, und sah mich suchend um.

Da kam sie schon!

In Sorge um ihre Jungen näherte sie sich von weiter oben. Sie kam auf allen vieren gelaufen. Und wer Bären kennt, der weiß, dass sie unverschämt schnell sein können. Viel zu schnell für einen Menschen, wenn sie ihn angreifen wollen.

Für mich gab es nur eins: Ich musste zusehen, dass ich weg von den Kleinen kam. Weit weg möglichst. Denn der Alten ging es zunächst nur um die Sicherung der Kleinen.

Also lief ich. Ich rannte, was ich konnte, talwärts bis in die Nähe der Stelle, wo wir den Fuchs aufgeseilt hatten.

Als ich mich umdrehte, kam die Bärin mir nach. Sie beließ es eben nicht nur dabei, ihre beiden Jungen zu schützen, sie wollte diesen vermeintlichen Angreifer ein für allemal vertreiben oder ihn vernichten. Sie stieß urige und gefährlich klingende Töne aus.

Ich hatte schon sehr oft mit Bären gekämpft, und halte sie für einen der gefährlichsten Gegner, den ein Jäger haben kann. Bär und Wolverine (amerikanischer Vielfraß) werden von Jägern mehr gefürchtet als Wölfe oder Pumas.

Man kann einem Bär nie ansehen, was er denkt. Während ein Puma seine Wut auch durch seine Mimik zeigt, ebenso wie der Wolf und andere Raubtiere, bleibt das Gesicht des Bären immer gleich. Aber diese Bärin wollte mich gewiss nicht nur freundlich begrüßen.

Ich zog meinen Revolver, lud durch und wartete. Vielleicht konnte ich sie mit einem Schreckschuss vertreiben, falls sie nicht vorher umkehrte.

Aber sie kehrte nicht um.

Ich schoss in die Luft.

Die Bärin wurde davon nur den Bruchteil einer Sekunde verblüfft. Dann rannte sie weiter. Und als sie in meine Nähe kam, blieb sie stehen, richtete sich auf den Hinterbeinen auf. Jetzt sah ich sie in ihrer ganzen Größe. Es war ein riesiges Prachtexemplar, und ich fragte mich, ob es denn nichts gäbe, sie abzuschrecken. Ich wollte sie nicht erschießen, aber ich konnte auch nicht mehr weglaufen. Hinter mir war die Steilwand.

Vielleicht war ihr in diesem Augenblick auch bewusst, dass sie mit dem Leben spielte, wenn sie noch näher an mich herankam. Jedenfalls stand sie da, die Tatzen erhoben, den Kopf hochgereckt, das Maul geöffnet, dass ich die gefährlichen Eckzähne sehen konnte. Aber sie griff noch nicht an.

Geifer lief ihr die Lefzen herunter. So zornig war sie über mich, den Eindringling, geworden. Plötzlich wandte sie den Kopf zur Seite, von mir aus gesehen nach rechts. Und dann hörte ich schon Äste knacken.

Die Bärin wandte sich nun mit dem ganzen Körper in diese Richtung. Ich sah hin und entdeckte zu meinem Entsetzen Johnny.

Er kam aus den Büschen heraus, die sich dort befanden, hatte einen abgebrochenen Zweig in der Hand, an dessen Spitze noch Blätter waren, und damit schlug er immer nach einem imaginären Gegenstand. Es war so, als würde er Fliegen oder Wespen verscheuchen.

Er hatte wieder diesen glasigen Blick und trällerte lallend eine mir unbekannte Melodie vor sich hin. Den Text konnte man nicht verstehen.

„Johnny, stehenbleiben!“, schrie ich. „Bleib stehen!“

Die Bärin wandte sich wieder mir zu. Vielleicht hatte sie mein Gebrüll erschreckt.

Johnny blieb nicht stehen. Er marschierte immer weiter. So, als gäbe es mich gar nicht. Und nun schien ihn die Bärin als die größere Gefahr anzusehen. Vielleicht irritierte sie auch der eigenartige Tonfall seines Gesangs. Ich weiß nicht, was in ihr vorgegangen ist. Doch nun stieß sie wieder ein Grollen aus, das aus dem Erdinnern zu kommen schien.

Endlich war Johnny stehengeblieben.. Wenn ich aber annahm, dass er die Gefahr nun erkannte hätte, so war das abermals ein Irrtum. Er stand einfach da und sah die Bärin an.

Mit einem Grollen kam sie auf ihn zu, hoch aufgerichtet noch immer. Die Tatzen erhoben zum Schlag.

Ich wagte keinen weiteren Schuss in die Luft. Ich hatte ohnehin nur noch fünf Patronen in der Trommel. Ein Zweikampf mit einem Bären ist etwas Ungewisses. Man konnte es nie im voraus sagen, wie dieser Kampf verlaufen würde. Ich konnte es mir einfach nicht leisten, eine wertvolle Patrone in die Luft zu jagen.

Aber sie hatte Junge. Ich gehörte nicht zu denen, die einfach blindlings drauflos knallen. Trotzdem gab es hier keine Wahl mehr. Johnny war in Gefahr.

Plötzlich blieb die Bärin stehen, und Johnny ging auf sie zu. Das Gesicht drückte kindliches Entzücken aus, und gleichzeitig lallte er auf seine unverständliche Art, breitete nun die Arme aus, als wollte er die Bärin wie einen alten Freund begrüßen.

„Johnny, stehenbleiben!“, schrie ich.

Ich hätte es einer steinernen Wand sagen können. Und nun hatte ich wirklich keine Wahl mehr, nicht die geringste.

Ganz ruhig, dachte ich, nur nicht verrückt spielen! Noch ist Zeit genug. Den linken Unterarm hoch und angewinkelt, den Revolverlauf aufgelegt und eiskalt gezielt. Ziel fassen, Luft anhalten, abdrücken.

Die Entfernung von etwa acht Schritt war für den Revolverschuss günstig. Ich hatte genau auf die Nasenwurzel der Bärin gezielt und dort saß auch der Schuss.

Eine Sekunde lang stand sie wie erstarrt.

Das war der Augenblick, wo man sofort wieder handeln musste. Die meisten Jäger, die keine Erfahrung mit der Bärenjagd haben, lassen diese günstigen Augenblicke vergehen. Sie sind fasziniert von ihrem Schuss, stehen einfach da und warten ab. Man darf nicht abwarten. In den seltensten Fällen ist dieser eine Schuss, dazu noch von einem Revolver, ausreichend.

Ich hielt aufs Blatt, feuerte wieder, gab einen dritten Schuss auf den Hals ab, und noch immer stand sie so starr. Einen vierten Schuss feuerte ich auf ihr rechtes Auge. Es war die absolute Gewissheit, sie zu töten, so unschön diese Art auch sein mag. Aber mit einem Revolver hat man nicht allzu viele Möglichkeiten.

Sie stand noch etwa drei bis vier Sekunden wie ihr eigenes Denkmal, dann brach sie zusammen, wie vom Blitz gefällt.

Johnny, dieser Narr, war immer noch weitergelaufen. Als sie zusammenbrach, befand er sich keine zwei Schritte von ihr entfernt. Aber zu seinem Glück stürzte sie auf die rechte Seite, zuckte dann noch ein paarmal und blieb dann liegen.

*


ICH DACHTE SOFORT AN die Jungen. Und ich dachte auch an den Bär. Sie leben um diese Zeit paarweise. Es musste noch irgendwo ein Bär sein. Und die Gefahr,dass er sich in wenigen Minuten hier befinden könnte, hing wie ein Damoklesschwert über Johnny und mir. Johnny wusste davon nichts. Er hatte sich jetzt auf die Bärin gelegt, kraulte ihr Fell, umarmte sie und lallte Unverständliches.

Ich lud hastig meinen Revolver neu auf, blickte mich suchend um, und dann entdeckte ich in der Ferne die beiden kleinen Bären. Sie suchten wohl ihre Mutter, stießen eigenartige Töne aus und kamen auf allen vieren nähergehopst. Es sah wirklich drollig aus. Aber die beiden erwartete eine böse Überraschung, wenn sie ihre Mutter erreicht hatten. Vielleicht, so sagte ich mir tröstend, begreifen sie gar nicht, was mit ihr ist.

„Johnny, weg hier! Los, weg hier!“, rief ich Johnny zu.

Der tat überhaupt nichts dergleichen.

Ich ging hin, packte ihn und wollte ihn von der Bärin losreißen. Er krallte seine Hände in ihr noch warmes Fell und schrie wie ein kleines Kind.

Mein Gott, dachte ich, wir verlieren eine Menge Zeit, und inzwischen kann der Bär hier sein. Mit Johnny ist das nicht dasselbe, als wenn ich ihm alleine gegenüberträte. Wer weiß, was Johnny das nächste Mal macht. Er ist unberechenbar.

Das war er wirklich. Als er nicht gleich loslassen wollte, riss ich ihn von der Bärin weg. Er schrie wieder, trat und schlug nach mir, bis mich die Wut packte und ich ihm eine runterhaute.

Da lief er plötzlich los. Er lief so schnell, dass ich ihm im ersten Augenblick nicht nachkam. Und ich fürchtete schon, er würde zur Steilwand laufen und womöglich hinunterstürzen. Aber dann schlug er einen Haken und rannte genau in der Richtung davon, aus der ich vorhin gekommen war. Von da kamen auch die kleinen Bären.

Johnny rannte, als ginge es um sein Leben. Zu allem Überfluss stolperte ich noch, schlug hin, und sein Vorsprung wuchs.

Er war etwa dreißig Schritt von mir entfernt, als der Bär auftauchte. Es war ein gewaltiger Grisly, viel größer noch als die Bärin. Und die hatte schon eine enorme Figur gehabt. Der Bär stand hoch aufgerichtet.

Johnny lief genau auf ihn zu.

„Johnny!“, schrie ich. „Johnny, stehenbleiben, Johnny weg! Ein Bär!“

Aber es war absolut sinnlos. Er begriff mich nicht, so, wie er auch vorhin nicht gehört hatte. Er lief weiter. Er lief mit ausgebreiteten Armen auf den Bären zu, blieb wenige Schritte vor ihm stehen. Und auch der Bär breitete die Arme aus. Es war ein komisches Bild. Komisch für den, der nicht verstand, dass diese Szene einen tödlichen Charakter besaß.

Ich rannte um Johnnys Leben. Schießen konnte ich von hier aus nicht. Die Entfernung war für den Revolver zu groß. Die Kugel würde den Bären nicht töten, aber zur Weißglut reizen. Noch stand er da und niemand konnte voraussagen, was geschehen würde. Manchmal gab es ein Wunder. Kinder, so hatte ich gehört, waren bei Bären gefunden worden, ohne dass die jenen Kindern ein Leid zugefügt hatten. Vielleicht sah der Bär in Johnny so etwas wie ein Kind. Ich konnte nicht sehen, ob er zornig oder gutmütig war. Ein Bär zeigt es ja nicht.

Johnny ging langsam weiter. Immer noch die Arme ausgebreitet. Und er lallte etwas. Es klang fröhlich.

Der Bär hatte mich im Auge. Auf Johnny schien er nicht mehr zu achten. Er ließ die Tatzen sinken.

Ich schrie, um den Bären von Johnny abzulenken. Bis auf zehn Schritt ging ich an ihn heran.

Ich wollte Johnny packen, wegreißen und aus der Gefahrenzone bringen und dann notfalls schießen.

Der Bär hatte es anders vor.

Plötzlich griff er Johnny an. Ich hörte dieses Brummen, und das verriet mir seine Bösartigkeit. Schon riss er die Pranke zum Schlag, hoch. Johnny hatte auch jetzt die Gefahr nicht begriffen. Ich wollte Johnny noch packen, wegreißen, aber der Bär war schneller. Und Johnny sprang ihm regelrecht entgegen.

Ich riss den Revolver hoch, feuerte nach dem Kopf des Bären, schoss dreimal hintereinander.

Für Johnny kam alles zu spät.

Obwohl vom ersten Schuss getroffen, schlug der Bär noch mit der Tatze zu, schmetterte sie gegen Johnnys Kopf, riss ihm mit den scharfen Krallen den Hals auf.

Von diesem Prankenhieb getroffen wurde Johnny beiseite geschleudert und brach zusammen. Der Bär aber stand.

Ich schoss abermals, feuerte alle meine Patronen aus der Trommel meines Revolvers. Alle sechs Schüsse. Und erst beim letzten Schuss wankte er, aber er war nicht umzubringen. Obgleich er zusammenbrach, fauchte er noch und versuchte mich mit einem Tatzenschlag zu erreichen. Aber ich blieb in respektvoller Entfernung von seinen Pranken, lud hastig meinen Revolver auf und gab ihm dann den Gnadenschuss aus einer Entfernung von zwei Schritt.

Erst jetzt konnte ich mich um Johnny kümmern. Als ich ihn dann blutüberströmt daliegen sah, mit aufgerissenem Hals, da erkannte ich, dass ihm niemand mehr helfen könnte.

Seine Schlagader an der linken Halsseite war zerrissen. Johnny verblutete, und ich konnte nichts für ihn tun. Zwar versuchte ich, durch einen Druck oberhalb vom Schlüsselbein auf die Schlagader die Blutung zu stoppen, aber er bekam auch keine Luft mehr. Er fiel schon nach wenigen Sekunden in tiefe Bewusstlosigkeit. So blieb ihm die Qual des Erstickens erspart, als sich seine Bronchien mit Blut füllten. Sein Gesicht wirkte friedlich und entspannt, als er gestorben war.

Als ich mich aufrichtete, sah ich Jesse, Abe und Weber kommen.

Jesse war der erste, der mich erreichte. Aufgeregt blickte er in die Runde. „Hast du die Bärin auch erwischt?“, fragte er.

Ich nickte. „Sie liegt da vorn. Nur die Jungen laufen noch herum.“

Jesse beugte sich über Johnny, würgte und war wachsbleich, als er sich wieder aufrichtete. Auch den anderen schlug dieser Anblick auf den Magen. Der alte Weber meinte schließlich:

„Ich werde nach den Jungen sehen; wie groß sind sie denn?“

„Ohne die Bärin sind sie verloren“, erwiderte ich. „Es ist eine Gnade für sie, wenn wir sie töten. Sie können sich noch nicht ernähren. Sie werden nur eine Beute anderer Tiere.“ Weber ging los, und wenig später hörten wir zwei Schüsse. Dann kam er zurück.

Johnny bekam ein Grab im Felsen, wie auch der Captain und Bill bestattet worden waren. Und auch diesmal suchte Joshua so etwas wie eine Grabplatte und brachte sie mit Abes und Jesses Hilfe herbei. Und abermals gab er sich die Mühe, die Grabinschrift einzumeißeln.

Wir hatten den dritten Mann verloren.

Otto Weber hielt so etwas wie eine Grabansprache. Das hatte er auch bei den beiden anderen getan. Er konnte von uns allen am besten beten. Und als er fertig war, warfen wir jeder ein paar Steinbrocken auf den Toten, und Jesse meinte, als er das auch tat: „Es ist vielleicht am besten so. Wer weiß, was ihm erspart geblieben ist.“

Jesse hatte eine Wahrheit ausgesprochen, ohne vielleicht die volle Bedeutung seiner Worte zu kennen. Denn Johnny war eine Menge erspart geblieben.

Wir waren noch fünf. Zwei von uns sollte es noch treffen. Zum Glück wussten wir davon nichts. Der Mensch lebt in der Hoffnung, und diese Hoffnung trieb uns an. Wir zogen weiter.

Wir dachten wieder an Gold. Und dem Gold waren wir ganz nahe.

*


AM NÄCHSTEN VORMITTAG standen wir vor der Stelle, wo auf der Landkarte nur ein Kreuz war. Wir hatten den Claim des Goldsuchers gefunden. Er war nicht abgesteckt und noch nicht einmal leicht zu finden gewesen. Der Goldsucher hatte, soweit das überhaupt möglich war, alles wieder in den Urzustand versetzt. Nichts wies auf den Schacht hin, den er in den Berg hineingeschlagen hatte. Aber wir fanden dann das inzwischen ausgetrocknete Bachbett, wo er zum Waschen des Goldes den Bach hineingeleitet hatte. Jetzt allerdings floss der Bach wieder in seinem ursprünglichen Bett. Und dieses Bachbett verriet die Fundstelle. Nach einigem Suchen fanden wir dann natürlich auch den inzwischen zugeschütteten Stolleneingang und die unter Büschen verborgenen Reste der Waschmühle.

Jesse und Joshua machten sich sofort daran, in dem Gestein ringsum nach Gold zu suchen. Aber alles was sie fanden, waren Quarze. Ein übrigens sicheres Symptom dafür, dass zumindest Spuren von Gold dasein mussten. Auch Weber machte sich daran, in der Umgebung den Boden und auch das Gestein zu untersuchen. Ich sah seinem Gesicht an, dass er offensichtlich mit Gold rechnete.

Abe hatte sich zu mir gesellt, hielt die Karte in der Hand und sagte: „Ziemlich genau, nicht wahr? Jetzt brauchen wir nur noch eine dicke Goldader zu finden, und wir sind gemachte Leute.“

„Ich glaube nicht an eine Goldader“, erwiderte ich. „Ich glaube in erster Linie daran, dass wir ganz schön schuften müssen, denn er hatte bereits einen Stollen gegraben.“ Weber kam zu uns. Er hatte meine letzten Worte gehört und sagte:

„Ich glaube, wir werden gar nichts an der Stelle weitermachen. Er hat sicher so lange gegraben, bis es unergiebiger wurde. Aber hier muss überall Gold sein. Es lohnt sich vielleicht, an einer anderen Stelle neu anzufangen. Immerhin haben wir eine Woche lang damit zu tun, bis wir die Waschanlage und all das in Gang haben. Zwei von uns können ja damit beginnen, das Gestein loszuschlagen. Wir werden eine ganze Weile hier bleiben.“

Abe lachte. „Wenn wir eine dicke Goldader haben, können wir in vierzehn Tagen wieder abhauen. Oder was meinst du, Otto?“

Der alte erfahrene Goldsucher lächelte mitleidig. „Du solltest nicht davon ausgehen“, erwiderte er, „dass wir so ein Glück haben. Wir werden sehen. Ich hoffe, die Ausbeute lohnt sich. Da können wir schon verdammt zufrieden sein.“

Am nächsten Tag ging es dann los. Bevor wir das Lager einrichteten, sah ich mir die Umgebung genau an. Der Claim des Alten lag an einem mit spärlichen Büschen bestandenen Berghang. Es wuchs auch Gras hier. Zum Glück für die uns noch verbliebenen Tiere. An Futter für sie mangelte es nicht. Der Hang reichte bis zu einer Steilwand, die etwa hundert Meter oder höher aufragte.

Abe hatte argwöhnisch hingeblickt. Und auch ich betrachtete die Steilwand dort oben wie eine Bedrohung. Aber offensichtlich war seit langer Zeit kein Gestein mehr abgestürzt, denn sonst hätte man die Spuren davon am Hang sehen müssen. Hingegen gab es ein gutes Stück rechter Hand eine Lawinenstraße. Und dort wirkte auch der Fels oberhalb des Hanges brüchig. Wir konnten nur hoffen, dass an dieser Stelle, wo wir das Lager errichten wollten, keine Lawine niederging.

Dort oben zu Füßen der Felswand wuchs im Schutz des Berges kräftiges Gras. Es gab auch größere Büsche, manche davon hatten Baumhöhe, weil sie hier, offensichtlich durch den Felsen, nicht so sehr dem Wind ausgesetzt waren. An Brennholz; war also vorerst kein Mangel. Ein ebenfalls wichtiger Punkt für unsere Existenz hier oben im Hochgebirge. Und tiefer im Tal gab es richtigen Wald.

Selbst Wild gab es hier. Und ich entdeckte des öfteren Fährten von Dickhornschafen, aber auch die Spuren von Kaninchen und Hasen.

Nachdem das Lager oberhalb des Claims errichtet war und wir einen Seilkorral für die Tiere gebaut hatten, begannen wir mit der Umleitung des Baches. Denn Wasser war zur Goldsuche mindestens so wichtig wie ein Felspick.

Weber, der von uns allen die allermeiste Erfahrung in der Goldsuche hatte, begann mit einem von unseren Pickeln Felsgestein abzuschlagen. Noch war es loses Geröll, was sich durchaus als goldhaltig erwies. Aber wir waren weit davon, eine dicke Ader gefunden zu haben.

Da wir noch keine regelrechte Waschanlage fertiggestellt hatten, türmte sich nach einiger Zeit ein Berg von erzhaltigem Gestein, zum Teil auch von Geröll und Erde.

Es dauerte drei Tage, bis die Waschanlage zuverlässig in Gang war. Dazu leiteten wir das Wasser in eine Rinne, in die von einer anderen Seite aus über eine Rutsche das erzhaltige Mineral eingeleitet wurde. Das Wasser hatte nur so viel Druck, dass es leichtere Materialien wegspülen konnte, Gold und schweres Gestein aber liegenblieb. Goldhaltiges Gestein konnten wir nicht auswaschen, aber um das Gold aus dem Gestein zu lösen, baute Weber etwas, was ich noch nie gesehen hatte, nämlich eine Art Schmelzanlage.

Aus Lehm und Felssteinen errichtete er einen Ofen, der einem Bienenkorb glich, nur viel größer war. Oben war dieser Ofen offen, von da aus wurde das Gestein eingefüllt und von unten her erhitzt. Da wir vorher Holzkohle herstellen mussten, um überhaupt das notwendige Brennmaterial zu haben, hatte der Alte auch noch einen Holzmeiler gebaut.

Folglich vergingen die ersten Tage für einige von uns mit Brennholzsuche. Aber wir hatten Glück, Brennholz gab es wirklich genug. Und noch größeres Glück hatten wir, als Jesse, eine halbe Meile entfernt, einen Streifen Land entdeckte, wo einmal Wald gestanden hatte. Jetzt gab es nur noch Reste davon, denn dieses ganze Gebiet schien einem Brand zum Opfer gefallen zu sein, der nicht allzulange zurückliegen konnte. Und hier hatten wir alles das, was wir brauchten: Holzkohle und Brennholz, ja es gab sogar Wurzeln zu roden, und die brannten besonders gut.

Das Herausschmelzen des Goldes aus dem erzhaltigen Gestein erwies sich als völlig unproblematisch nach dem System von Otto Weber. In diesem Punkt waren wir sehr vielen Goldsuchern überlegen, die bei Felsgestein aufgeben mussten, weil sie nicht in der Lage waren, die notwendige Hitze zu entwickeln, um Gold zum Schmelzen zu bringen.

Alles funktionierte sehr gut. Der eigentliche Abbau begann nach einer Woche, genau wie es der alte Weber prophezeit hatte. Dann aber klappte auf Anhieb so gut wie alles. Wir waren aufeinander eingespielt, jeder hatte seine Aufgabe.

Es gab keinerlei Streit, im Gegenteil. Die Zusammenarbeit erwies sich als hervorragend. Der alte Weber übernahm jetzt das Kommando. Die meiste Zeit war er draußen an der eigentlichen Wäsche und wurde da draußen von demjenigen unterstützt, der gerade drinnen im Stollen abgelöst worden war.

*


DIE PROBLEME KAMEN erst nach Tagen. Denn anfangs bauten wir noch keine Stollen, sondern schlugen wie in einem Steinbruch das erzhaltige Material ab. Schließlich aber lohnte sich das nicht mehr. An einer Stelle reichte das goldhaltige Gestein tiefer in den Berg hinein, und wir begannen einen Stollen zu bauen. Und da kam eine überraschende Wendung. Der Boden war nur noch anfangs felsig, dann konnten wir ihn besser bearbeiten. Wir stießen auf Kies und zugleich nahm der Goldanteil erheblich zu. Wir brauchten keinerlei Gestein mehr auszuschmelzen, und somit konnte auch Jesse, der bis jetzt für das Heranschaffen des Brennholzes verantwortlich gewesen war, damit aufhören noch mehr Brennmaterial heranzubringen und einen Meiler nach dem anderen anzuheizen. Mittlerweile wuschen wir alles Gold mit der Wäsche aus, so dass auch die Produktion ganz erheblich stieg.

Der erregende Augenblick war immer abends, wenn wir Schluss machten und Weber die Ausbeute des Tages auf ein Tuch schüttete und schließlich mit einer kleinen Handwaage auswog. Von Anbeginn an teilte er die Ausbeute aus. Wir waren noch fünf, also wog er Abend für Abend fünf Anteile aus. Jeder nahm seinen Anteil und füllte ihn in einen Lederbeutel oder, wie es Jesse tat, in eine kleine Zinnschachtel, die er dann in seinem Gepäck verstaute.

Ich hatte Goldsucher erlebt, die schon nach einigen Tagen übereinander hergefallen waren, die ihr Gold verstecken mussten, einer vor dem anderen, weil sie einander nicht sicher waren. Das gab es bei uns nicht. Natürlich erfasste uns schon am dritten Tag der Rausch. Je mehr Gold wir ausgebeutet hatten, um so gieriger wurden wir, die Säckchen noch mehr zu füllen.

Am gelassensten blieb eigentlich Weber. Er tat, als wöge er Sand ab. Aber ich zweifelte daran, dass er wirklich so dachte, denn sonst wäre er nicht mitgekommen.

Jeden zweiten Tag ging einer von uns auf Jagd, während die anderen weiter schufteten. Es wurde dann tatsächlich eine ganz schöne Schufterei. Anfangs war es uns noch leichtgefallen, aber mit der Zeit erwuchs uns auch ein Problem: nämlich die Beschaffung von gutem, stabilem Holz zum Abstützen im Stollen. Wir brauchten Stempel, wir brauchten Kappenholz, aber hier gab es weit und breit keine Bäume, die dazu geeignet gewesen wären. Dazu mussten wir ins Tal hinunter.

Das Tal lag tief unten. Jesse hatte bei einem Jagdstreifzug entdeckt, dass es hohe Douglastannen gab.

Eines Tages half alles nichts, wir brauchten das Holz und konnten so nicht weitermachen, weil die Gefahr bestand, dass das Hangende auf diejenigen, die im Stollen arbeiteten, herunterstürzte. Also nahmen wir die Mulis, ließen das Pferd oben, und zogen einen Serpentinenpfad, den ebenfalls Jesse erkundet hatte, in dieses Tal hinab. Zwei Tage lang waren wir damit beschäftigt, das notwendige Holz zu schlagen und in die benötigten Längen zu schneiden. Dann schleppten wir die Stücke mit den Mulis hinauf zu unserer Mine. Das kostete uns abermals zwei Tage.

Danach ging es weiter. Wir kamen gut voran, und das Säckchen, in dem ich mein Gold aufbewahrte, wurde immer schwerer und praller.

*


SO VERGINGEN DIE TAGE. Eines Abends meinte Weber: „Nun sind wir schon drei Wochen hier oben. Ihr seht gut aus, die Luft ist gesund hier oben. Und eine ganz schöne Ausbeute haben wir auch.“

„Was meinst du“, fragte Jesse und hielt die Zinnschachtel hoch, in der er seinen Anteil verwahrte - sie war gestrichen voll, „was wird es wert sein?“

Weber lächelte. „Hier oben ist es einen Dreck wert, soviel wie der Sand und die Steine. Wertvoll ist es erst unten in den Städten. Wenn du es bis dahin gebracht hast, dann könnten es zehn bis zwölftausend Dollar sein.“

„Zehn bis zwölftausend Dollar“, meinte Jesse andächtig. „Soviel Geld habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Zehn oder zwölftausend Dollar, dafür würde ich in Texas tausend Rinder kaufen können. Nein, mehr, zweitausend. Und dann treiben wir sie nach Kansas, und ich bin ein gemachter Mann. Reinverdienst pro Rind sind mindestens noch mal zehn Dollar.“

„Ich sagte dir, das Gold ist hier oben einen Dreck wert, erst unten beginnt es zu zählen, wenn du es bei einer Bank über den Tresen geschoben hast“, meinte der Alte bedächtig. „Es ist ein weiter Weg bis dahin. Und es ist nicht so einfach. Callahan hat dir sicher erzählt, wie es dem Burschen erging, der hier oben gewesen war. Und ich kann mich auch daran erinnern, als ich seinerzeit nach Gold gesucht habe. Es ist nicht so einfach, das Gold bis zur Bank zu bringen.“

„Ich sehe da kein Problem“, meinte Jesse. „Wenn wir weiter so zusammenhalten wie bis jetzt..."

„Das möchte ich wohl hoffen“, meinte Abe Winnigall. „Wenn sein Anteil zehn bis zwölftausend Dollar wert ist, dann dürfte es der meinige auch sein. Und ich will euch etwas sagen: wenn ich das Geld dafür habe, geht es auf nach Texas und eine neue Herde wird zusammengestellt. Es kann nicht jedesmal schiefgehen. Wie ist es, Callahan, machst du mit?“

Im Augenblick hatte ich andere Gedanken, als eine Herde von Texas nach Dodge City zu treiben. Vielleicht war ich ein gemachter Mann, wenn alles hier vorbei war. Da würde ich nie mehr eine Herde zu treiben brauchen. Verdammt noch mal, wer will das schon? Eine Herde über den Tausend Meilen-Trail zu treiben. ist die härteste Schinderei, die ich kannte. Ich wusste noch nicht, dass es etwas Härteres gab als das: Ich war allerdings gerade dabei, es auszuprobieren.

*


WIR WAREN ALLE NOCH guten Mutes. Es schien, als hätten wir das Glück in Erbpacht. Alles lief glatt. Es gab noch nicht einmal einen Unfall, wenn man von der leichten Fingerquetschung absah, die Abe widerfahren war.

„Wer geht morgen auf Jagd?“, fragte Abe. „Wer ist dran?“

Joshua war dran. Er gehörte nicht zu den besten Jägern. Das letzte mal war er ohne Wildbret wiedergekommen. Wir verloren deshalb kein Wort, aber das vorletzte Mal hatte er auch nur einen Hasen gebracht. Und wir mussten für frisches Wildbret sorgen. Davon lebten wir ja.

„Wäre es nicht besser, wenn ich für ihn ginge?“, schlug ich vor.

Die anderen nickten, nur Joshua starrte peinlich berührt auf seine Hände.

„Ich will dich nicht kränken, Joshua“, sagte ich, „aber du kannst dafür andere Dinge viel besser als wir alle. Niemand kann so gut kochen wie du und so schmackhaft. Und dein Brot, Joshua, du bäckst das beste Brot, das ich je gegessen habe.“

Er hob den Kopf und sah mich traurig an. „Ich weiß, du meinst es gut, Callahan. Ihr alle meint es gut. Ihr seid...“ Er senkte wieder den Blick, „ ... so anständig zu mir. Woanders haben sich mich immer einen Nigger geschimpft, und ihr tut alle so, als wäre ich so einer wie ihr.“

„Du blöder Hund“, rief ich, „du bist so einer wie wir. Was, zum Teufel, ist an dir anders? Dass du eine dunkle Haut hast? Verdammt nochmal, wenn wir noch eine Weile hier oben in den Bergen sind, sind wir so schwarz wie du. Sieh sie dir doch an! Ihre Gesichter sind braun wie die von Indianern. Du bist eben etwas länger in der Sonne gewesen als wir, das ist alles.“

Wir lachten. Aber er lachte nicht mit. Als wir schwiegen, sagte er:

„Du meinst es gut, Jed Callahan, ich danke dir. Aber ich möchte euch zeigen, dass ich ein guter Jäger bin. Ich habe nur Pech gehabt. Lass mich gehen, bitte! Ich werde morgen etwas bringen.“

Ich Narr, ich hätte mich später ohrfeigen können, dass ich zustimmte. Aber ich habe zugestimmt und die anderen dachten sich wohl auch nichts dabei. Und so ist es gekommen, dass Joshua am nächsten Tage auf die Jagd ging. Er wollte uns zeigen, dass er ein guter Jäger ist.

Und wir Narren haben es zugelassen!

Als Joshua am nächsten Tag loszog, übernahm Abe gerade von mir die letzte Wache. Wir winkten Joshua noch nach. Es war noch dunkel draußen. Es gab da einen Vogel, den ich nicht kannte, der so früh wie eine Amsel, noch vor der Dämmerung, zu singen begann. Jetzt schlug er wieder an.

Joshua hatte seine Mokassins übergestreift und verschwand lautlos in der Dunkelheit. Oben über dem Bergkamm im Osten zeigte sich schon ein fahler Schein vom werdenden Tag.

„Glaubst du“, fragte mich Abe, „ob er diesmal was schießt?“

„Ich weiß nicht“, sagte ich noch, „vielleicht hätte doch einer von uns gehen sollen.“

Ahnte ich etwa, was Joshua erwartete?

*


ICH HATTE NOCH ZWEI Stunden Zeit und konnte mich hinlegen. Ich schlief ganz fest ein und wurde selbst davon nicht wach, als nach einer Stunde Otto Weber aufstand und damit begann, die Feuer zu schüren und das Wasser für den Kaffee aufzusetzen.

Mittlerweile war es hell geworden, und als alle anderen aufstanden, wurde ich natürlich mitgeweckt. Ich rieb mir die Augen, kroch aus dem Zelt, und der Duft von Kaffee drang mir in die Nase.

Der alte Weber rief: „Holt es euch, ihr Burschen, oder ich schütte es in den Bach!“

Wir wuschen uns mit kaltem Wasser, eisig war es an diesem Morgen. Dann saßen wir rund ums Feuer und schlürften unseren kochend heißen Kaffee, kauten die Sauerteig- Biskuits, die Joshua gestern gebacken hatte. Unwillkürlich mussten wir an ihn denken.

Mein Blick schweifte über das noch vom Dunst verhangene Tal, das sich vor uns ausbreitete. Irgendwo da unten musste er sein. Denn weiter oben gab es kein Wild. Ich drückte ihm die Daumen, dass er Glück hatte, wünschte ihm ein prächtiges Dickhornschaf, oder vielleicht erwischte er einmal einen Wapitihirsch. Es gab die fast so groß wie Pferde werdenden Hirsche in dieser Gegend. Jesse hatte schon Fährten von ihnen gesehen, aber die Tiere selbst waren uns noch nicht begegnet.

Offenbar dachten .auch die anderen an ihn, denn Jesse meinte grinsend: „Ich wünschte ja, er erlegt gleich fünf Dickhornschafe, aber noch habe ich keinen Schuss gehört.“ Er hatte kaum ausgesprochen, da fiel ein Schuss, weiter links im Tal.

„Da unten ist er“, rief Weber. Aber sein Gesicht verriet Missvergnügen. Er war genau wie ich nicht begeistert davon gewesen, Joshua zu schicken. Auf der anderen Seite hatte er genau wie ich eingesehen, dass Joshua diese Selbstbestätigung brauchte.

Wieder fiel ein Schuss.

„Ich sagte es doch“, schrie Jesse, „er schießt zwei oder drei.“

Plötzlich hörten wir unten aus dem Tal einen eigenartigen Schrei. Er hatte nichts Menschliches an sich. Nein, Joshua konnte das nicht gewesen sein. Aber von welchem Tier stammte dieser Schrei?

Jetzt fiel wieder ein einzelner Schuss. Danach rührte sich nichts mehr.

„Was war das nur?“, fragte Jesse und jetzt wirkte er gar nicht mehr so übermütig wie vorhin. In seinem Gesicht las ich die Sorge um Joshua.

Statt einer Antwort stand der alte Weber auf, packte seine Sharps und marschierte los.

„Wohin?“, rief Abe.

Über die Schulter gewandt antwortete Weber: „Ich werde nach ihm sehen, bleibt ruhig hier. Es genügt, wenn ich gehe.“

Es war ausgerechnet Abe, der aufsprang und ihm nachrief: „Ich werde dich begleiten, Otto“, sagte er.

Jesse und ich blieben zurück.

Zuerst taten wir so, als wäre alles ganz normal, bereiteten die Arbeit vor und begannen dann auch im Stollen abzubauen. Es musste ja immer ein Vorrat herausgeschafft werden, bevor mit dem Waschen begonnen werden konnte.

Es war eine Knochenarbeit, wie sie im Buche stand. Wir hatten uns schwere Kiepen gebaut, die randvoll gefüllt wurden und die wir uns dann auf den Rücken packten, um sie hinauszuschleppen und draußen in die Rutsche zu kippen.

Über diese Schinderei verging uns die Lust zu langen Gesprächen. Als aber weder Joshua noch einer der anderen nach einer halben Stunde zurückgekehrt war, hielt Jesse inne, setzte seine Kiepe ab und lehnte sich am Ausgang des Stollens an einen der Stempel.

„Was ist?“, fragte ich.

„Was ist, was ist?“, äffte er mich nach. „Kannst du dir’s nicht denken? Jetzt sind sie alle drei weg. Da muss doch was passiert sein!“

„Es ist ein ganzes Stück weg, wo Joshua geschossen hat. Vielleicht suchen sie noch nach ihm.“

„Sei doch mal still!“ Jesse hielt den Finger an den Mund und lauschte. „Hörst du nichts?“, fragte er dann.

Ich versuchte etwas wahrzunehmen. Mir war, als hörte ich so etwas wie Axtschläge.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Jesse.

„Otto hat seine Axt mit. Er schleppt sie immer mit sich herum, genau wie sein Gewehr.“

Ich konnte mir fast denken, was es zu bedeuten hatte, aber ich wagte es einfach nicht auszusprechen. Aber dann, nach einer knappen Stunde, musste ich sehen, dass meine Vermutung stimmte. Otto Weber hatte mit seiner Axt Stangen aus jungen Douglastannen geschlagen. Und von diesen Stangen hatten sie eine Trage gefertigt. Auf der Trage lag Joshua.

Abe trug hinten, der alte Weber vorn. Beide waren schweißüberströmt und fix und fertig, als sie oben anlangten. Aber das nahm ich nur so nebenbei wahr. Mein Blick konzentrierte sich auf Joshua. Er lag auf der Bahre, und sein Gesicht wirkte violett. Die Augen waren weit aufgerissen. Das Weiße schien regelrecht zu leuchten. Es gehörte nicht viel dazu, um zu erkennen, dass Joshua Angst hatte. Panische Angst. Aber was war mit ihm?

Erst jetzt sah ich seine Hand. Seine rechte Hand war dick mit Stofffetzen umhüllt, dennoch hatte das Blut sie schon wieder durchnässt. Am Oberarm war ein Abbinder angebracht. Das zeigte mir, dass offensichtlich eine Ader zerrissen war. Und die Männer fürchteten, Joshua könnte verbluten.

Wortlos übernahmen Jesse und ich die Trage, und sofort ging Weber neben Joshua, lockerte den Abbinder am rechten Oberarm etwas und zog ihn nach einer kurzen Zeit wieder fest. Dann sagte er:

„Geht weiter, schafft ihn hinauf!“ Wir stellten keine Fragen. Einer von ihnen würde uns schon sagen, was passiert war. Zuerst galt es, Joshua zu helfen.

*


ALS WIR IHN OBEN AN unserem Zelt abgesetzt hatten, verschwand Weber in unserem Wohnzelt und kam dann kurz darauf mit seiner abgescheuerten Ledertasche wieder heraus, in der er Medikamente, Verbandsmaterial und auch so etwas wie ein Arztbesteck aufbewahrte. Er holte eine kleine braune Flasche heraus und einen Löffel. Etwas aus der Flasche schüttete er auf den Löffel. Es war ein weißes Pulver. Ich konnte mir denken, dass es Laudanum war. Opium also, mit dem er die Schmerzen des Schwarzen eindämmen wollte.

Ohne dass jemand was sagen musste, holte Abe einen Becher mit Wasser, und das Pulver wurde in dem Wasser verrührt. Dann musste Joshua trinken.

Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, als ich seinen Kopf etwas anhob. Seine Nasenflügel bebten. Aber er sagte nichts, und er jammerte auch nicht.

„Wickelt den Verband auf“, sagte Weber.

Ich mache so etwas nicht gern, obgleich ich es schon sehr oft tun musste. Aber es kostete mich jedesmal Überwindung. Doch weil es so war und ich damit meinen inneren Schweinehund niederprügelte, war ich es, der es tat. Vielleicht hätte es einer der anderen ebenso getan wie ich. Aber keinem wäre es leicht gefallen.

Als der Verband herunter war, sahen wir die Bescherung. Die Hand bot einen schrecklichen Anblick, den man eigentlich nicht beschreiben kann. Auf alle Fälle würde Joshua sie nie wieder richtig gebrauchen können. Es sah aus, als hätte ein Puma sie zerfetzt.

Ich sah Weber nur kurz an, und Jesse fragte:

„Ein Puma?“

Weber schüttelte den Kopf. „Eine Wölfin.“

Den Rest konnte ich mir fast denken. Es war wie mit den Bären. Um diese Zeit hatten sie Junge. Verdammt noch mal, dachte ich, wir lebten nun schon so lange in der Wildnis. Ich alleine hatte Tausende Male gejagt, und uns passierte diesmal ein Schlag nach dem anderen. Erst das mit den Bären und Johnny - und nun die Wölfin bei Joshua. Wir hätten Joshua nicht gehen lassen sollen.

Abe richtete sich auf. „Ich glaube, ich hole jetzt den Weißschwanzhirsch.“

Ich sah zufällig in Joshuas Gesicht. Als Abe das sagte, schien Joshuas Schmerz und Angst mit einem Mal zu verfliegen. Ich glaubte zu erkennen, dass er lächelte. Es war ein triumphierendes Lächeln.

„Es ist nämlich so“, sagte Weber, „er hat einen Weißschwanzhirsch geschossen. Das Dumme war nur, dass er sich in unmittelbarer Nähe einer Wolfshöhle befand. Und da waren die Jungen drin. Die Alten müssen unterwegs auf Jagd gewesen sein. Die Wölfin kam gerade zurück, als Joshua sein Wildbret wegschaffen wollte. Da fiel sie ihn an. Aber er hat sie getötet. Es war nur zu spät.“

„Mensch, Joshua“, sagte ich, „du bist ein toller Kerl, hast einen Weißschwanzhirsch erwischt. Einen großen?“

Joshua konnte nicht reden vor Schmerzen. Er biss immer noch die Zähne zusammen, aber er nickte. Und er schien zu strahlen.

Weber beugte sich über Joshua, zog ihm das Augenlid hoch und schüttelte bedauernd den Kopf. „Du hast noch Schmerzen, nicht wahr?“

„Ja“, erwiderte Joshua leise, „aber es wird schon besser, viel besser “

„Da müssen wir noch zehn Minuten warten“, meinte Weber. „Wenn es richtig wirkt und er einschläft, fange ich an. Die Dosis ist ziemlich kräftig, das hat er allerdings auch nötig.“

Ich beneidete Abe, dass er den Hirsch holen konnte. Denn was nun kam, das hatte ich mir gut vorstellen können. Ich war auch schon so oft bei solchen Operationen in der Wildnis dabeigewesen, wenn mit primitivsten Mitteln versucht wurde zu helfen. Aber an Joshuas Hand war nichts mehr zu helfen. Im Gegenteil, es bestand die Gefahr, dass sich alles noch entzünden würde. Denn das war keine Hand mehr, das waren nur noch Fetzen. Das einzige, was hier noch möglich sein würde, war eine Amputation.

Eine halbe Stunde später war alles vorbei. Weber hätte Arzt werden sollen. Das verstand er jedenfalls vortrefflich. Er amputierte die Hand direkt am Gelenk, verödete die Arterie mit einem glühenden Eisen und zog dann die Haut über einen Teil des Stumpfes hinweg und nähte sie fest. Die Blutung war ebenfalls gestoppt. Den Abbinder hatten wir vorhin schon lösen können. Und jetzt lag Joshua apathisch und noch immer stark benommen im Zelt.

Ich musste an den Captain denken, der hatte auch einen Arm verloren und war dennoch nicht davor zurückgeschreckt, mit uns in die Wildnis zu reiten. Aber dann war ihm ausgerechnet ein Blitz zum Verhängnis geworden.

Abe hätte längst zurück sein müssen. Als wir draußen waren und Jesse sich eine Zigarette rollte und ich mir meine Pfeife stopfte, kam Weber zu uns.

„Macht euch keine Gedanken um Abe. Er versucht, so möchte ich wetten, einen Weißschwanzhirsch zu erlegen.“

„Wieso das?“, fragte ich. „Joshua hat doch schon ...“

Weber schüttelte den Kopf. „Das war ein krankes Tier. Und ich nehme an, dass es irgendwie mit den Wölfen zusammenhängt, die sich ihrer Beute beraubt gefühlt haben. Und dazu noch unmittelbar vor ihrer Höhle. Wir hätten das Fleisch von diesem Hirsch nicht essen können.“

„Hat Joshua das nicht gewusst?“

„Er hat den Hirsch nicht aus der Nähe gesehen. Und wir werden ihm auch nichts davon sagen. Abe wird auf Jagd gehen und irgendwo einen Weißschwanzhirsch erlegen. Es wimmelt da unten von Fährten. Wir werden dieses Tier heraufbringen und sein Geweih werden wir so aufhängen, dass Joshua es immer sehen kann.“

Ich nickte und dachte daran, dass Abe einmal etwas gegen Schwarzen gehabt hatte. Und jetzt war er da unten und rannte sich die Hacken ab, um einen Hirsch zu erlegen, damit Joshua nicht erfuhr, dass er ein krankes Tier erschossen hatte.

Aber Abe brauchte fast bis zum Abend. Und da erst konnte er einen Hirsch erlegen. Allerdings einen recht kapitalen Burschen. Er war so schwer, dass er ihn an Ort und Stelle ausweiden und zerlegen musste. Er brachte einen Teil davon herauf, und wir sind dann in der Dämmerung noch einmal mit ihm hinuntergegangen und haben das übrige geholt. Das Geweih aber hängten wir über den Eingang zu unserem Stollen. Vom Zelt aus konnte man am Hang hinuntersehen und so hatte Joshua einen Blick auf das Geweih.

*


AM NÄCHSTEN MORGEN war Joshua bei Bewusstsein. Weber hatte ihm wieder Laudanum gegeben, um die Schmerzen erträglicher zu machen. Aber Joshua war wach.

Als ich zu ihm ging, um ihm seinen Kaffee zu bringen, sah er mich aus großen Augen an. Sie leuchteten richtig im Halbdunkel des Zeltes. Und er zwang sich zu einem Lächeln.

„Hast du das Geweih gesehen?“, fragte ich. „Wir haben es extra da unten über den Stolleneingang aufgehängt. Du kannst es von hier aus erkennen.“

„Ich habe es gesehen“, erklärte er mit rauer Stimme.

„Ein prächtiger Bursche, den du da erlegt hast“, sagte ich. Mir war noch nie eine Lüge so leicht von den Lippen gekommen wie in diesem Augenblick.

„Danke, Callahan, danke.“

„Hier ist dein Kaffee. Wir haben eine Suppe gemacht, möchtest du etwas davon?“

Er nickte stumm.

Die Suppe war uns angebrannt. Verdammt noch mal, wir waren nun mal nicht so gute Köche wie Joshua. Das Essen schmeckte, seit er nicht mehr kochte, so hundsmiserabel, aber was sollten wir machen?

„Soll ich dir helfen?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. „Es geht schon, ich habe ja noch die linke Hand.“ Sein Gesicht wirkte mit einem Mal sehr traurig. Er starrte auf seinen bandagierten rechten Arm und sagte dann: „Ich weiß es erst seit gestern Abend.“

Ich nickte. Weber hatte es ihm beigebracht, dass die Hand weg war. Bis zum Abend war Joshua immer noch der Meinung gewesen, die Hand wäre nur verbunden.

„Denk an den Captain“, sagte ich aufmunternd. „Er hatte den ganzen Arm weg. Es gibt doch jetzt neuerdings Hände aus Holz, die werden angeschnallt. Oder aus Leder, ich habe so etwas gesehen bei Männern, die im Krieg die Hand oder den Unterarm verloren haben.“

Er sagte gar nichts, er sah mich nur an. In seinen Augen glomm ein Hoffnungsfunken. Auch wirkte er nicht mehr so ängstlich wie zu dem Zeitpunkt, als Weber und Abe ihn heraufgebracht hatten.

„Soll ich noch etwas für dich tun?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.

„Ein herrliches Geweih“, erklärte ich noch einmal und blickte hinunter, wo man die Spitzen des Geweihes sehen konnte. Von unten drangen Hammerschläge herauf, sie waren schon wieder bei der Arbeit.

„Ich muss gehen, ich muss den anderen helfen, Joshua.“

„Ich falle euch zur Last. Es wird noch lange dauern, bis ich euch wieder helfen kann. Und dann nur halb, mit einer Hand“, klagte er.

„Mach dir nichts draus, die Zeit geht auch vorbei. Wir sind noch lange hier. Und ich freue mich auf den Augenblick, Joshua, wo du hier kochst. Verdammt, was wir hier zusammenzaubern, das möchte ich nicht sehr lange futtern müssen. Es ist ein erbärmlicher Fraß.“

Er schluckte tapfer die angebrannte Suppe. Wie muss einem Mann zumute sein, der so gut kochen kann wie Joshua und dann so einen Frass hinunterschlingen muss. Aber er sagte keinen Ton.

„Also, ich gehe jetzt. Zwei Mann können wir nicht entbehren.“

„Callahan!“, rief er mir nach, als ich gerade ins Freie treten wollte.

Ich blieb im Zelteingang stehen und sah mich um. „Was ist, Joshua? Brauchst du noch etwas?“

Er nickte. „Drüben in meinem Packen, da ist mein Ledersack mit dem Gold, mein Anteil. Ich möchte, dass ihr es aufteilt. Ich falle euch zur Last und ...“

Jetzt wurde ich ehrlich wütend. „Du hast wohl einen Knall, was?“, sagte ich zornig.„Joshua, das möchte ich nie wieder hören von dir. Wir sind Partner. Jedem von uns kann etwas zustoßen. Wer am Leben bleibt, bekommt auch seinen Anteil.“

„Aber ich falle euch doch zur Last“, jammerte er.

„Du hältst die Klappe!“, fuhr ich ihn an. „Sag das nie wieder! Und außerdem bilde dir nicht ein, dass du hier die ganze Zeit herumliegen kannst. In zwei Wochen könntest du für uns wieder kochen. Und verdammt, der Fraß, den wir hier selber zaubern, ist schlimm genug, dass du es recht bald versuchen solltest“

Er grinste mich an. „Danke, Callahan, danke“, sagte er leise und in seinen Augen schimmerten Tränen der Freude.

*


DAS FLEISCH DES GEWALTIGEN Weißschwanzhirsches, den Abe erlegt hatte, reichte fast eine Woche. Dann war ich damit dran, Wildbret zu beschaffen.

Wie es üblich war, ging ich früh beizeiten noch in der Dämmerung los, wählte aber nicht den Weg ins Tal, denn ich hatte schon am Vortag mit dem Spektiv in höheren Lagen eine Bergziege entdeckt Oben in der baumlosen Zone waren sie mitunter schwer zu erkennen, weil dort Schnee lag. Aber diese eine hatte sich weiter heruntergewagt und fiel mir vor dem braungrauen Felsen mit ihrem weißen Pelz gut auf. Ich machte mich also dran, die Bergziege zu erlegen; das Fleisch war eine Abwechslung. Es schmeckte anders als das von Hirschen oder Dickhornschafen. Das Fleisch von Dickhornschafen bekam beizeiten einen eigenartigen Geruch. Man konnte es überhaupt nur sehr heiß verzehren. Und mit dem Aufheben war das so eine Sache. Das Fett schmeckte sehr schnell ranzig. Viele Tiere waren noch um diese Jahreszeit relativ fett. Mit der Bergziege war das anders.

Es gelang mir bei Sonnenaufgang, die Fährte der Bergziege zu entdecken, und ich befand mich dazu ziemlich weit oben in der Region, wo teilweise noch Schnee lag.

Von hier aus hatte man auch einen weiten Blick über das Land, über die Gipfel der Berge hinweg. Aber die Luft war verflucht dünn. Je höher ich kam, um so schwerer fiel mir die Kletterei.

Plötzlich sah ich die Bergziege. Sie stand vor einem Felsspalt und bot ein prächtiges Ziel. Aber wenn ich sie da erlegte, drohte sie in die Felsspalte zu stürzen. Ich wartete ab und ließ sie ein Stück höher klettern. Sie erwies sich als unheimlich behende. Aber dann hatte ich sie doch genau im Visier und schoss.

Es war ein Blattschuss, wie man ihn nicht immer hat. Das Tier machte gerade noch einen Sprung, bevor es fiel.

Als ich mich erhob, um das Wildbret zu holen, musste ich ein Stück um einen Felsvorsprung herum und kam damit aus dem Windschatten des Berges hinaus. Ein kräftiger, aber noch warmer Nordwind blies mir ins Gesicht. Die Tatsache, dass der Wind warm war, löste in mir ein warnendes Gefühl aus. Ich sah dem Wind entgegen, konnte aber nicht genug sehen. Da war noch ein Felseinschnitt zwischen den hochauf ragenden Bergzacken, und durch den kam der Wind. Aber als ich weiter kletterte und bei der erlegten Ziege anlangte, konnte ich durch die unterste Spitze des Felseinschnittes sehen. Und da gewahrte ich eine schwarze Wand, die sich von Norden her näherte.

Über mir war der Himmel noch hellblau und zeigte keinerlei Trübung. Aber diese schwarze Wand im Norden stellte eine Bedrohung dar, dazu der warme Wind. Er würde bald nicht mehr warm, sondern eisig kalt sein. Was da herankam, erinnerte mich an jenes Unwetter im Talkessel. Dass es noch schlimmer sein würde, malte ich mir nicht einmal jetzt aus.

Ich musste sehen, dass ich hinunterkam, bevor der Wind diese schwarzen Wolken bis hierher getrieben hatte. Der Abstieg aus dieser Höhe war nicht ungefährlich. Und schon gar nicht, wenn es womöglich anfing zu gießen.

Ich Optimist dachte noch an Regen. Dass es in dieser Höhenlage im Sommer auch schneien konnte, hätte ich eigentlich wissen müssen.

Bis zu unserem Lager hatte ich eine Stunde Weges. Trotzdem beeilte ich mich, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, auf halber Strecke vom Unwetter überrascht zu werden.

So schnell ich auch kletterte, die Wolken waren schneller da. Zu allem Überfluss hatte ich eine lange Kletterpartie zurückzulegen, wo mich der Nordwind voll traf. Und der war längst nicht mehr warm, sondern eisig kalt.

Ich hatte keine Handschuhe. Wer denkt im Sommer an so etwas? Mir wurden beizeiten die Hände klamm, und der Wind schien immer kälter zu werden.

Da lag noch eine Steilwand unter mir, an der ich hinunterklettern musste. Zwar hatte ich ein Lasso mitgenommen, aber es war nicht lang genug, um mich daran abzuseilen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als zu klettern. Ich hatte die Ziege huckepack auf meinem Rücken festgebunden, um besser klettern zu können. Es war weniger das Gewicht des Tieres, was mich behinderte, als die Angriffsfläche, die ich damit dem Wind bot. Er war stürmisch geworden. Böen fegten den Felsen entlang, und nun klatschte mir auch schon Regen ins Gesicht.

Mit dem Regen hatte ich es nicht lange zu tun, das dauerte nur ein paar Minuten, dann wurde es Schnee. Der eisige Wind trieb ihn horizontal gegen die Felsen. Und dort blieb er liegen.

Ich drohte abzurutschen, fand nur noch schlecht Halt für die Mokassins. Und meine Hände waren mittlerweile so klamm geworden, dass ich fürchtete, nicht richtig zupacken zu können.

Es war noch ein ganz schön langes Stück bis nach unten, und zum ersten Mal bei dieser Kletterpartie spürte ich so etwas wie Angst, womöglich nicht heil dort unten anzukommen.

Es muss einfach gehen, sagte ich mir und zwang mich dazu, die Schmerzen in meinen Händen zu überwinden. lch muss es schaffen, verdammt, ich muss es schaffen!

Mir war, als würde der Wind noch kälter. Der Schnee peitschte mir ins Gesicht. Der ganze Felsen war weiß. Ich selbst war ebenfalls weiß. Und nun begann der Felsen auch noch zu vereisen. Meine Fingernägel, die sich in diesem Eis festkrallten, brachen ab. Die Finger bluteten, waren aufgerissen. Einmal rutschte ich mit dem Fuß aus und drohte schon abzustürzen. Um mich überhaupt halten zu können, krallte ich meine Finger in den Felsen, als wären es Stahlhaken. Danach hatte ich wieder zusätzliche Risse in den Händen und eingerissene Fingernägel, aus denen es blutete.

Plötzlich rutschte ich wieder, verlor den Halt und stürzte in die Tiefe.

Ich schlug mit dem Rücken zuerst auf, aber die tote Ziege dämmte den Aufprall.

Ein paar Sekunden lag ich wie benommen und war, als ich die Fassung wiedergewann, fast völlig mit Schnee bedeckt. Ich richtete mich auf und betastete meine Glieder und schien unwahrscheinliches Glück gehabt zu haben. Ich konnte mich bewegen; offenbar hatte ich nichts gebrochen. Da war nur ein dumpfer Schmerz am linken Schulterblatt.

Du hast noch mal Schwein gehabt, sagte ich mir und marschierte los. Überall lag jetzt Schnee. Ich konnte kaum richtig sehen, so dicht wehten die Schneeschaueri Noch hatte ich die Möglichkeit, mich zu orientieren. Aber dann nahm das Schneetreiben noch mehr zu. Ich blieb stehen und suchte nach dem richtigen Weg. Musste ich nach links? Waren das die Büsche, die ich vorhin gesehen hatte, als ich heraufgestiegen war?

Nein, ich musste doch mehr nach rechts. So hatten die Büsche nicht ausgesehen. Aber dieser Felsen da drüben, der so weiß herausragte aus allem, an dem bin ich doch vorhin vorübergekommen. Nein, das ist auch falsch. Der Felsen hatte ganz anders ausgesehen.

Alles täuschte, denn nun, als alles mit Schnee bedeckt war, sah das meiste anders aus als vorher. Und überdies wurde die Sicht immer schlechter, das Schneetreiben immer dichter. Der Sturm heulte. Losgerissene Büsche fegten an mir vorbei. Tumbleweeds nennt man die.

Ich verlor die Orientierung. Dadurch, dass der Schnee noch immer um mich herumwirbelte, als der Sturm heulte, und die Kälte immer noch zunahm, musste ich zusehen, so schnell wie möglich talwärts zu kommen. Also ging ich einfach davon aus, dass ich bergab musste.

So unglaublich das klingt, selbst damit hatte ich Schwierigkeiten. Ich konnte kaum noch sehen. Um mir nicht die Ohren zu erfrieren, hatte ich mein Halstuch um den Kopf geschlungen, die Ärmel so weit wie möglich über die Hände gezogen und hielt mir schützend den linken Unterarm vor das Gesicht. Das Gewehr hatte ich um den Hals hängen, die Ziege noch auf den Rücken, die so prächtig meinen Sturz abgefangen hatte, so zog ich vorgebeugt dahin. Der Schnee peitschte regelrecht von der Seite her gegen meinen Körper. Und die Kälte durchdrang mich wie Tausende von Nadelspitzen. Es half mir, dass ich den Wind von der Seite bekam, denn wenn ich diese Richtung beibehielt, musste ich irgendwann aufs Lager stoßen. Es sei denn, der Wind käme plötzlich von woanders her.

Ich traf trotzdem nicht auf das Lager, sondern stolperte immer weiter talwärts, aber das Gelände war mit einem Mal so steil, dass ich ins Rutschen geriet, hinfiel und einen steilen Hang hinunterschlitterte. Ich überschlug mich; der Gewehrkolben knallte gegen mein rechtes Knie, dass ich die Engel singen hörte. Als ich dann endlich unten liegenblieb und mich aufrichten wollte, sah ich, dass ich mich am Rand einer Steilwand befand. Keinen Schritt weit von mir entfernt ging es fast senkrecht hinunter.

Ich spürte, dass ich am ganzen Körper zitterte. Vorsichtig richtete ich mich auf die Knie und stieß einen Schmerzensschrei aus, denn mein rechtes Knie hatte ich mir offensichtlich mit dem Gewehrkolben aufgeschlagen. Ich setzte mich hin und blieb eine ganze Weile benommen sitzen.

Da merkte ich, dass ich die Ziege verloren hatte. Die war mir bei diesem Sturz abgerissen und musste hier irgendwo liegen.

Wir brauchten die Ziege. Ich konnte sie nicht einfach liegenlassen. Ich musste sie suchen.

Die Sicht war infolge des Schneetreibens so schlecht, dass ich keine fünf Schritte weit sehen konnte. Ich kroch förmlich auf allen vieren, und plötzlich hatte ich etwas Weiches an der linken Hand: die Ziege.

Allein das Aufstehen, das Neuverschnüren mit den klammen Händen in dieser Kälte war eine Marter für sich.

Im Hochsommer eine solche Eiseskälte, dass man sich die Hände erfrieren konnte! Unvorstellbar, und doch war es so.

Vorsichtig richtete ich mich auf und kletterte den steilen Hang wieder empor. Ich musste wieder hinauf, es gab keine andere Möglichkeit. Ich war trotz allem vom Weg abgekommen. Nach meiner Schätzung musste das Lager links von mir sein. Also hielt ich, als ich endlich oben am Ende der Steilstrecke angekommen war, nach links.

Aus Furcht, abermals an eine Steilwand zu geraten, bewegte ich mich viel langsamer als zuvor.

*


DER SCHNEESTURM LIEß etwas nach, damit verbesserte sich auch die Sicht. Und endlich begriff ich, wo ich mich befand. Ich war viel zu weit nach Osten geraten. Das Lager musste einen knappen Kilometer von hier westlich sein.

Durchgefroren, zitternd vor Kälte, mit zerschundenen Knochen, langte ich nach einer weiteren halben Stunde im Lager an.

Lager? Ich hätte es fast nicht gefunden. Das große Zelt war weggerissen. Das kleine bauten sie gerade wieder auf.

Von Joshua sah ich nichts. Ich dachte aber, ehrlich gesagt, im ersten Moment nicht an ihn. Ich sank zu Boden und lag eine Weile so apathisch herum, ohne dass sich einer von den anderen um mich kümmerte. Schließlich kam Weber zu mir.

„Geh nach unten in den Stollen. Wir haben Joshua auch dort unten. Du siehst ja halb erfroren aus. Dieser Sturm war die Hölle.“

Ich rappelte mich noch einmal auf und taumelte hinunter bis zu unserem Stollen, wankte hinein und ließ mich abermals zu Boden sinken. Ich war fix und fertig. Zum Teil fror ich, zum Teil schwitzte ich, es war eine idiotische Situation.

Ein paar Schritte von mir entfernt lag Joshua. Er sah mich aus seinen großen Augen verwundert an.

„Wo kommst du her?“, wollte er wissen.

Ich wollte ihm etwas antworten, aber es war nur ein heiseres Gekrächze, was ich herausbrachte.

Ein Königreich für einen Whisky oder eine Tasse heißen Tee! Oder sonst etwas, was mich durchzuwärmen vermochte.

Der Sturm ließ noch mehr nach. Und später kamen sie von oben herunter zu uns. Weber voran, dann Jesse und Abe.

„Aber er hat die Ziege“, rief Abe, kam zu mir und beugte sich zu mir herunter. „Verdammt, da oben muss ja alles noch viel schlimmer gewesen sein. Wir müssen ihm etwas Warmes geben. Der ist ja halb erfroren.“

„Und das im Sommer“, krächzte ich.

„Komm her, für solche Fälle habe ich eine Sonderration“, meinte Weber. „Ein Ausnahmefall.“ Und dann holte er aus seiner Segeltuchjacke eine flache Flasche heraus. Er entkorkte sie und hielt sie mir hin. „Nur einen kleinen Schluck. Wir brauchen es zum Desinfizieren.“

Es war Brandy. Scharf wie die Hölle. Aber er fuhr wie ein glühender Lavastrom durch meine Glieder. Ich gab ihm die Flasche wieder und lehnte mich wohlig zurück. „Jetzt ist es mir besser“, krächzte ich.

„Ein schönes Stück Wild“, meinte Abe und hob die Ziege an den Hinterbeinen hoch. „Schade drum.“

„Wieso schade?“, meinte Weber. „Weil einer von uns höchstens dafür sorgen wird, dass ein Stück Schuhsohle daraus entsteht und kein Braten. Ja, wenn Joshua auf den Beinen wäre ...“

Joshua sah Abe schuldbewusst an. „Es tut mir leid, Abe, aber ich könnte ja ...“

„Nichts kannst du“, widersprach Weber. „Du. bleibst hier, bis wir das große Zelt repariert haben. Den Braten kann auch ein anderer machen. Du kannst dich ja daneben setzen, wenn es soweit ist, und bestimmen, wie es gemacht werden soll.“

„Das muss er auch“, rief Abe. „Keiner kocht wie Joshua. Ich hab’ in meinem Leben noch nie in einem Camp so gut gegessen wie bei ihm. Verdammt, richtig verwöhnt bin ich. Ich kann diesen verdammten Schlangenfraß, den wir hier selber produzieren, seit Joshua nicht mehr kocht, einfach nicht mehr hinunterbekommen. Es muss endlich wieder richtiges Essen geben.“

„Aber er ist nicht in der Lage dazu. Das musst du doch begreifen“, sagte Jesse.

„Nun gut. Soll er sich immer daneben setzen und sagen, wie es gemacht werden soll. Jedenfalls möchte ich endlich wieder anständig essen.“

„Sorgen hast du“, meinte Weber. „Aber gut. Es freut mich, dass du mit Joshua so zufrieden bist.“

Er sagte nichts weiter. Aber wir dachten alle dasselbe. Vielleicht musste sich auch Abe daran erinnern, wie sehr er sich am Anfang gewehrt hatte, dass Joshua mit uns ziehen durfte. Eigentlich hatten das Weber und ich durchgesetzt.

Nun gut, sagte ich mir. Abe hatte auf dieser verdammten Expedition etwas gelernt.

*


ZWEI STUNDEN SPÄTER hörte es schlagartig auf zu schneien, der Wind flaute völlig ab, die Wolken zogen weg, und auf einmal schien die Sonne wieder.

Am nächsten Morgen lag der Schnee nur noch oben auf den Bergkuppen, sonst war er wieder weggetaut. Es war warm, und das Land ringsum hatte eine grüne Farbe angenommen, wo es vorher braun und gelb gewesen war.

Wir schufteten weiter in unserer Mine, wuschen das Gold heraus, schleppten Stämme heran, sägten, schlugen sie mit den Äxten zurecht, bauten Stempel und Kappen ein, um unseren Stollen abzusichern, der immer tiefer in den Berg hinein ging.

Die Ausbeute ließ etwas nach. Weber war der Meinung, dass wir an einer anderen Stelle einen neuen Stollen in den Berg schlagen sollten. Aber er gab auch zu bedenken, dass es vielleicht besser war, wenn wir uns mit unserer Ausbeute zufrieden gaben und wieder zurück gingen, wo wir hergekommen waren.

Am Abend saßen wir alle ums Feuer herum. Auch Joshua saß zum ersten Mal. Er hatte den Arm in einer Schlinge. Man sah nicht, dass die Hand fehlte.

„Wie groß ist eigentlich unsere Ausbeute bis jetzt?“, fragte Abe.

Weber zuckte die Schultern. „Wenn es neulich zehn bis zwölftausend Dollar gewesen sind pro Mann, so sind es jetzt mehr als dreißigtausend. Ich glaube, wir sollten aufhören. Einen zweiten Stollen in den Berg zu schlagen, das bedeutet, erneut eine Waschanlage bauen, noch mehr Holz heraufschleppen und die ganze Wühlarbeit, bis wir auf Gold stoßen, noch einmal beginnen. Ihr wisst; wieviel Abraum weggeschafft werden muss, bevor es losgeht. Und dann ist die Frage, ob wir etwas finden.“

Es war mittlerweile Mitte August. Ende August konnte es hier oben verteufelt kalt werden in der Nacht. Und im September bestand die Gefahr von plötzlichen Wetterumstürzen. Das sagte uns Weber, obgleich wir es eigentlich wussten. Was er aber nicht sagte, wussten wir ebenfalls: Joshua konnte uns nicht viel helfen. Es würde noch lange dauern, bis er in der Lage war, mit seiner einen gesunden Hand etwas für uns zu tun. Er war vom starken Blutverlust nach wie vor geschwächt und er hatte enorme Schmerzen in seinem rechten Unterarm. Aber er hielt sich tapfer, klagte nicht, versuchte sogar zu helfen, obgleich es ihm sehr schwer fiel und ihm jedes mal dabei schlecht wurde.

Wir hatten uns aber vorgenommen, für ihn mitzuarbeiten. Am Ende stellte er damit doch eine gewisse Belastung dar, obgleich keiner von uns daran dachte, ihm das etwa vorzuwerfen. Ich muss überhaupt sagen, dass die Kameradschaft auch jetzt noch hervorragend war. Bis jetzt nichts von dem gegenseitigen Belauern wie in anderen Goldgräberlagern, die ich kennengelernt hatte. Keine Missgunst, keine Schlägerei, und die Streitigkeiten waren harmlos. Der gefürchtete Koller hatte sich bis jetzt noch bei keinem von uns gezeigt. Wir brauchten auch jetzt noch nicht unsere Erträge voreinander zu verstecken. Das Wort „Neid“ schien in diesem Camp ein Fremdwort zu sein.

Und doch war der Goldrausch nicht spurlos an uns vorübergegangen. Abe Winnigall war versessen darauf, noch mehr abzubauen. Er hatte sich etwas ausgerechnet. Er wollte einen Traum verwirklichen. Dazu hätte er mindestens fünfzigtausend Dollar gebraucht.

„Dreißigtausend ist zu wenig“, erklärte er. „Warum machen wir nicht noch etwas weiter? Wir können leicht noch ein paar Wochen hierbleiben.“

Der alte Weber schüttelte den Kopf. „Ich gebe zu“, sagte er, „dass wir in Aspen nicht ganz so hoch waren wie hier. Aber auch dort kam der Winter früh. Wir sind hier erheblich weiter im Norden. Und unser Camp ist mindestens fünfhundert Meter höher als die Colorado Claims. Der Winter ist also noch früher da. Ihr habt es doch erlebt mit diesem Schneesturm, und das ist im Sommer passiert.“

„Das ist Unsinn“, erklärte Abe. „Der Winter kommt so früh nicht. Im Hochgebirge ist der Herbst das Schönste. Es wird vielleicht nachts kalt werden, aber was macht uns das aus? Im Herbst ist schönes Wetter. Im Sommer muss man viel eher mit Gewittern und dergleichen rechnen. Ich sage euch, machen wir noch einen Monat weiter. Und jeder von uns hat fünfzig Mille in seinem Sack.“

Es war eine verlockende Sache. Aber wie gesagt, gab es eine ganze Menge Gegenargumente.

„Ich will dir etwas sagen, mein Freund“, erklärte Weber. Und er sprach schonungslos aus, was wir anderen nämlich schon die ganze Zeit dachten, ohne dass wir es Joshua vorgeworfen hätten. „Wir sind vier Mann, die arbeiten können. Joshua ist allenfalls in der Lage, etwas zu kochen oder kleine Arbeiten zu machen mit einer Hand. Und er ist auch sehr schwach. Es wird bei ihm noch Wochen dauern, bis er richtig kräftig ist.“

Wir alle sahen Abe an, und ich fragte mich, ob jetzt nicht doch wieder der Südstaatler in ihm durchkäme, wo die Farbigen nichts zählen. Aber dann erlebte ich eine Überraschung.

„Ja und? Was heißt das schon. Wir buddeln natürlich für Joshua mit, das ist doch klar. Es gibt genug, was er tun kann. Denkt einmal an den Captain. Der hatte auch nur einen Arm. Wir haben von Anfang an gewusst, dass er nur einen Arm hat und haben ihn mitgenommen. Er hätte mit seinem Arm viel machen können. Und das kann Joshua auch. Er braucht nicht in den Stollen. Aber er kann an der Waschrinne stehen und sortieren. Er könnte sehr viel tun. Natürlich ist er schwach! Darauf müssen wir eben Rücksicht nehmen. Verdammt noch mal, das hätte jedem von uns passieren können!“

Ich wollte nicht sagen, dass es eigentlich uns anderen nicht passieren konnte, nicht so, wie es Joshua widerfahren war. Er hatte sich reichlich dämlich angestellt. Nun gut, er war nun einmal kein Jäger, dafür hatte er tausend andere Qualitäten, die es wert waren, bewundert zu werden. Und irgendwie ging bei uns allen die Liebe durch den Magen. Joshua kochte, als wären wir in einem Hotel. Und das unter primitivsten Voraussetzungen.

Es ging aber nicht nur um das Kochen. Tatsächlich hätte Joshua eine Menge für uns tun können. Aber andererseits war ich wie Weber der Meinung, dass es reichte; wir hatten genug. Wir hätten aufhören sollen.

*


ABER DANN GESCHAH ETWAS mitten in dieser Diskussion, ob wir nun das Lager abbrechen oder noch bleiben sollten, das alle unsere Pläne jäh über den Haufen warf.

Es war Jesse, der die Bewegung unten im Tal sah; dort, wo sich die Baumgrenze befand.

„He, zum Teufel!“, rief er plötzlich. „Zwei Männer mit Packpferden !*'

Unsere Köpfe flogen herum. Und ich kramte sofort wieder nach dem Spektiv. Dann hatte ich es, zog es auseinander und sah zwei Männer mit zwei Pferden und drei Maultieren.

Es gibt natürlich Millionen braune Pferde, und trotzdem bildete ich mir ein, dieses eine braune Pferd zu kennen. War es nicht Bill Belknaps Pferd?

Ich beobachtete die Männer. Mein Spektiv war aber nicht so gut, dass ich etwas Genaues von ihren Gesichtern sehen konnte. Aber einer der beiden hatte einen bloßen Oberkörper. Ich dachte schon im ersten Augenblick, es handelte sich um einen Indianer, aber das war ein Irrtum. Dem Mann war höchstens zu warm geworden. Sein Begleiter trug ein blaues Hemd, wie es die Armee verwendete.

„Was siehst du?“, fragte Jesse.

„Der eine hat einen nackten Oberkörper, der andere ein Armeehemd. Aber es sind weder Soldaten noch Indianer. Sie kommen herauf.“

„Verdammt!“, schimpfte Weber. „Hätten die nicht etwas warten können, bis wir hier weg waren?“

Durch das Spektiv erkannte ich das eine Pferd wieder. Es gehörte tatsächlich zu Bill Belknaps Tieren.

Auch das andere war eines der Pferde, die in dem Gewitter den Männern weggelaufen waren.

Ich sagte das den anderen und Abe meinte: „Verdammt! Dann hatte Otto recht.“

Ich warf einen kurzen Blick auf Otto Weber. Aber der triumphierte nicht, obgleich er Grund dazu gehabt hätte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten wir die Pferde und die Maultiere gesucht. Damals hatten wir ihn überstimmt. Und jetzt bekamen wir die Quittung.

„Ich bin der Meinung“, sagte ich, „dass es besser wäre, wenn sie nicht alle von uns sehen. Abe und Jesse, legt euch rechts und links irgendwo in Deckung und haltet sie im Schach, wenn es darauf ankommt.“

Die beiden gingen wortlos davon.

„Es wäre vielleicht besser“, meinte Weber, „wenn wir sie gar nicht hier empfangen. Sondern weiter unten. Die brauchen doch unseren Stollen nicht zu sehen.“

„Wenn sie bis hierher gekommen sind“, sagte ich, „dann können sie sich den Rest denken. Sie sehen den Abraum überall, sie erkennen den umgeleiteten Bach. Glaubst du im Ernst, dass wir ihnen etwas vormachen können? Sie sind ja deshalb hier.“

Aber da irrte ich mich. Sie waren nicht deshalb hier.

Die beiden kamen immer höher. Ich beobachtete, sie mit dem Spektiv. Ich hatte mir eine günstige Deckung ausgesucht, und so war es nur Weber, den sie sahen und der unterhalb unserer Waschanlage stand, seinen Büffeltöter neben sich, den Hut ins Genick geschoben; so erwartete er sie.

Durch das Spektiv konnte ich erkennen, dass die Maultiere nicht von uns stammten. Sie hatten ein fremdes Brandzeichen. Man konnte es deutlich sehen, und auch die Packlasten waren ganz anders als die von uns.

Sie kamen höher und damit näher, so dass ich auch ihre Gesichtszüge deutlich erkannte. Beide schienen mir etwa im gleichen Alter zu sein, so Mitte Dreißig. Beide hatten ziemlich arte, scharfgeschnittene Gesichter. Der eine blond, der andere dunkelhaarig. Und ich sah auch, dass sie sehr gepflegte Waffen trugen. An den Pferden hingen am Sattelhorn neue Gewehre: Winchester waren das. Die stammten keinesfalls vom Captain und den beiden anderen.

Mein Vater hatte mir mal gesagt, dass man einen Menschen danach beurteilen kann, in welchem Zustand sich sein Schuhwerk befindet. Ich habe festgestellt, dass das in den meisten Fällen stimmt. Die Männer, die da heraufkamen, trugen ausgezeichnetes Schuhwerk. Es waren weiche, bis unter die Knie reichende Schnürstiefel. Solche Schuhe mussten sehr teuer sein. Keiner von uns besaß so etwas. Auch sonst waren die beiden gut gekleidet, auch wenn der eine mit nacktem Oberkörper herumlief. Sein Hemd, das konnte ich sehen, hatte er neben das Gewehr ans Sattelhorn gehängt.

Plötzlich sah ich an dem Hemd etwas blitzen, als die Sonne darauf fiel. Ich hielt es zuerst für einen Metallknopf und dachte wieder an die Armee. Aber ich konnte das alles nicht so genau sehen, weil mir nun das andere Pferd ins Blickfeld geriet und diese Stelle verdeckte.

Zehn Minuten später waren die beiden dreißig Schritt von Weber entfernt angekommen und blieben stehen. Die Pferde und die Maultiere schnaubten. Die Maultiere begannen sofort die Köpfe zu senken und suchten nach etwas Fressbarem. Die Pferde hatten offenbar mehr Durst als Hunger, witterten das Wasser in unserer Waschanlage, schnaubten und scharrten mit den Vorderhufen.

Aber die beiden Männer ließen sie nicht zum Wasser hin.

„Hallo!“, rief der Blonde.

„Hallo!“, rief Weber zurück. „Was wollt ihr?“

„Zunächst erst mal etwas zu saufen für die Pferde und die Maultiere. Vielleicht können wir hier lagern.“

„Lagern?“, rief Weber feindselig. „Das ist kein Hotel.“

„In diesem Land ist es üblich, dass man einen Fremden an sein Feuer bittet, wenn er nicht gerade ein Bandit ist.“

„Weiß ich, dass ihr nicht welche seid?“, rief Weber und hob wie zufällig seine Sharps an, dass die Mündung auf den Blonden zeigte.

„Das kann ich ausschließen“, erwiderte der Blonde. „Tut mir sehr leid. Ich hatte ganz vergessen, mich vorzustellen. Mein Name ist Hutchinson. Richard Hutchinson. Und mein Begleiter ...“ Er warf einen lächelnden Blick auf den Dunkelhaarigen, „ ... heißt Roy Flame. Wir sind eigentlich gekommen, um euch zu fragen, ob euch diese beiden Pferde nicht etwa gehören. Wir haben sie nämlich gefunden. Da müssen auch noch Maultiere gewesen sein, aber die konnten wir nicht mehr finden. So haben wir mit den beiden Pferden vorlieb genommen. Und da wir auch Spuren von euch entdeckt hatten, haben wir uns gesagt, dass ihr euch wahrscheinlich freuen werdet, wenn wir euch die Pferde zurückbringen.“

Verdammt, dachte ich, was steckt hinter dieser Geschichte? Das alles ist doch nur ein Vorwand. Sie wollen unser Gold!

„Ich weiß natürlich“, sagte der Blonde weiter, „dass Sie nicht allein sind da oben. Vorhin konnte ich durch mein Fernglas noch drei weitere Männer erkennen. Ich nehme an, die haben sich hier in der Runde verteilt.“

„Nehmen Sie das ruhig an, Hutchinson. Übrigens bin ich Otto Weber.“

Hutchinson lächelte. „Ich habe es mir schon gedacht, als ich den deutschen Akzent hörte.“

Ich konnte deutlich erkennen, wie unsicher Weber wurde. Er, der mit allen Wassern Gewaschene, wusste im Augenblick nicht, was er dazu sagen sollte. Er war völlig perplex.

„Rede nicht so lange herum, Hutchinson“, rief ich dem Blonden aus meiner Deckung aus zu. „Wir wollen hier keine langen Unterhaltungen führen. Was wollt ihr wirklich?“

Hutchinson wandte sich zu mir. Und da ich den Kopf hob und er mich sehen konnte, musterte er mich aus schmalen Augen. „Bist du William Belknap?“

„Nein“, entgegnete ich. „Ich heiße Jed Callahan. Belknap ist tot.“

„Hast du dir das schon lange vorher überlegt, dieses Märchen“, erwiderte er. „Eine bequeme Lösung, nicht wahr?“

Ich wusste nicht, was er meinte. „Verdammt, wir haben nicht soviel Zeit, um diese Rätselgeschichten anzuhören“, fuhr ich ihn an. „Es wäre vielleicht ganz brauchbar, wenn du mit dem herausrückst, was du tatsächlich möchtest. Und dann werden wir uns überlegen, ob du es bekommst.“

„Es ist ganz einfach“, sagte er. „Wir sind im Grunde von Lander aus hinter euch her. Wir suchen zwei Männer. Und mit dem Pferd hier“, er deutete auf den Braunen, der Bill gehört hatte, „haben wir den Beweis“, fuhr er fort. „Es ist das Pfer d von William Belknap. Und wo William Belknap ist, kann Jesse Richmond nicht weit sein, haben wir uns gedacht.“

Allmählich dämmerte es mir, obgleich ich mir immer noch nicht ausdenken konnnte, warum sie Bill und Jesse auf der Spur gewesen waren. Sollten die beiden etwa Marshals sein?

Als hätte er geahnt, was ich denke, nahm er plötzlich sein Hemd vom Sattelhorn und zog es sich wieder an. Jetzt konnten wir alle das Marshal-Abzeichen auf der Hemdbrust erkennen. Ein Stern über dem Schild, und auf dem Schild stand die Aufschrift: United States Marshal.

Ich pfiff durch die Zähne und warf einen Blick auf Weber. Aber der hatte seine Fassung immer noch nicht wiedergewonnen.

Ich werde mit ihm reden, dachte ich und rief: „Dann kommen Sie ruhig näher, Marshal. Außer diesem Stern, den man sich mit etwas Geschick selber zimmern kann, haben Sie ganz sicher einen Ausweis, möchte ich wetten.“

„Und schon halb die Wette gewonnen“, erklärte Hutchinson, ließ seinen Begleiter mit den Pferden und den Maultieren zurück und kam allein näher. Er hielt bewusst die Hände vom Revolver weg. Offenbar wollte er nicht in Verdacht geraten, auf uns loszugehen.

Im Grunde musste ich diesen Mann bewundern. Aber da sagte er schon: „Kommt nicht auf die Idee, dass es ganz einfach wäre, uns beide wegzuputzen. Wir sind natürlich nicht allein da. Unten im Tal sind noch zwei von uns.“

„Das sagt sich so leicht daher“, erwiderte ich und grinste.

Er zuckte nur die Schultern. „Tut, was ihr tun müsst. Im übrigen hoffe ich, ihr habt diesen Claim eintragen lassen.“

Weber hatte von Anfang an darauf bestanden, dass wir den Claim abstecken. Das hatten wir getan. Man konnte einen Claim auch später eintragen lassen. Die Hauptsache war, man hatte ihn abgesteckt. Und das war geschehen. „Er ist abgesteckt. Die Eintragung erfolgt später“, erklärte ich.

Er nickte, als hätte er etwas anderes von uns gar nicht erwartet. „Es geht mir nicht um den Claim. Es geht mir um zwei Männer.“

„Sie sind weit genug, Marshal!“, rief Weber.

Hutchinson nickte. „Also gut“, sagte er und blieb zehn Schritte von mir entfernt stehen. Er fingerte etwas aus der Brusttasche seines noch offenen Hemdes und zog es heraus. Es war ein Blatt Papier. Ich dachte schon, es wäre der Ausweis. Aber den holte er sich aus der Gesäßtasche, und dann hielt er beides hoch.

„Das eine“, sagte er „ist ein Haftbefehl. Erlassen im Staate Kansas gegen die Postkutschenräuber William Belknap, genannt Bill und Jesse Richmond, beides Cowboys aus Texas, die beschuldigt werden, in der Nacht vom 13. zum 14. März dieses Jahres eine Postkutsche der Wells Fargo Linie angehalten, Fahrer und Insassen bedroht und ausgeraubt zu haben. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Bundesvergehen. Die Tat geschah zwischen den Städten Colby und Oakley. Ich bin beauftragt, die beiden festzunehmen und nach Kansas zu bringen, um sie dort dem Richter vorzuführen.“ Er machte eine Handbewegung auf Roy Flame, den Dunkelhaarigen, und sagte: „Er ist ein Deputy Marshal, meine weiteren Begleiter sind ebenfalls vereidigte Deputy Marshals. Und wie gesagt, die warten unten im Tal.“

Ich konnte mir das nicht vorstellen. Jesse und Bill hatten eine Postkutsche ausgeraubt?

„Die beiden sind tot“, erklärte Weber. „Sie sind in einem Gewitter umgekommen. Wir haben sie begraben.“

Ich wunderte mich über diese plötzliche Reaktion des Alten. Er war ja sonst ein Wahrheitsfanatiker. Jetzt stellte er sich vor Jesse, den er eigentlich nicht so lange kannte wie ich.

Mir war die ganze Geschichte rätselhaft, insofern, als Jesse und Bill für mich wirklich Burschen mit einer grundehrlichen Haut waren.

Jetzt meldete sich Abe zu Wort. „Hören Sie, Marshal. Die beiden Jungs sind tot. Unser Freund hat recht.“ Abe kam jetzt aus seiner Deckung heraus. „Trotzdem möchten wir den Ausweis sehen. Geschichten kann jeder erzählen.“

„Verstehe“, meinte Hutchinson. „Ihr habt nach Gold gebuddelt und fürchtet jetzt um eure Ausbeute. Macht euch keine Gedanken, mich interessieren nur diese beiden Männer. Ich will euch alle der Reihe nach ansehen. Es gibt eine ziemlich genaue Beschreibung von den beiden.“

„Dann wird es Ihnen möglich sein“, erwiderte Weber, „die beiden wiederzuerkennen, wenn wir ihnen die Gräber zeigen und Sie sie dort herausholen.“

Ich merkte, dass Hutchinson einen kleinen Augenblick unsicher war. Vor allen Dingen sah ich es an seinem Begleiter. Flame blickte Hutchinson fragend an, und ich sagte mir, dass die beiden eben doch keine sehr genaue Beschreibung von Jesse und Bill hatten. Was sich Weber ausgerechnet hatte, spielte ja darauf ab. Wir wollten ihnen im Notfall die Toten zeigen.

*


HUTCHINSON HATTE SEINE Unsicherheit sehr schnell überwunden. Jetzt kam er direkt auf mich zu und sagte: „Du bist Jed Callahan.“

Er duzte mich, ich hatte ihn ja ebenfalls geduzt. Vielleicht war das am Ende die beste Unterhaltungsform.

„Genau der bin ich.“

„Von dir habe ich schon gehört. Hast du nicht für die Armee den Pfadfinder gemacht?“

„Oft genug“, erwiderte ich.

„Und du hast auch Herden von Texas heraufgebracht, nicht wahr?“

Ich nickte. „Bis jetzt achtmal.“

„Wunderbar. Dann hast du die beiden von früher gekannt, nicht wahr?“

„Stimmt genau“, bestätigte ich.

„Und wer ist das?“ Er zeigte auf Abe.

„Mein Name ist Abe Winnigall“, erklärte Abe.

Jetzt war es der Marshal, der Abe überrascht ansah. „Sie waren Treibherdenboss, nicht wahr?“

„Sie kennen mich so gut, als wären Sie mein Bruder“, spottete Abe. „Dabei sind Sie gar kein Texaner, nicht wahr?“

„Ich stamme aus Kentucky“, erklärte Hutchinson. „Aber nun weiter. Sie sind Weber. Von Ihnen habe ich gehört. Sie haben damals diesen tollen Fund bei Aspen gemacht.“

„So toll war das auch wieder nicht“, meinte Weber bescheiden.

„Und die ganze Ausbeute ist schon alle? Nichts mehr da von dem vielen Gold?“, fragte der Marshal.

„Er hat sich von seiner Frau getrennt und ihr alles hinterlassen. Genügt das?“, sagte Abe, und jetzt klang es gar nicht mehr so entgegenkommend wie eben.

Der Marshal hob die Hände. „Macht euch keine Gedanken. Ich meine es nicht böse. Ich suche nur zwei Männer. Gegen alle anderen hab’ ich gar nichts. Hier ist mein Ausweis. Sieh ihn dir an, Callahan.“

Der Ausweis war in Ordnung. Er war abgestempelt vom obersten Bundesgericht in Washington, und ein Bundesrichter hatte unterzeichnet.

„Das ist in Ordnung“, sagte ich, und Hutchinson steckte den Ausweis wieder in die Gesäßtasche. Dann stemmte er die Arme in die Hüften und rief:

„Da sind noch mehr da. Zeigt euch doch alle. Wenn ihr nichts zu verbergen habt, gibt es nicht den geringsten Grund, mir zu misstrauen. Wie gesagt, ich suche nur diese zwei Männer.“

„Die wir Ihnen als Tote zeigen können. Sie liegen ein gutes Stück von hier weg“, erklärte ich. „Jesse hat ein Grab für sich, und Bill ist zusammen mit Captain Bentley begraben.“

„Captain Bentley?“ Hutchinson hob überrascht die Brauen und sah mich verwundert an. „Wer ist das?“

Ich erklärte es ihm. Und ich erzählte auch die ganze Geschichte mit dem Gewitter, dem Sturm, dem Hagel, den unheimlich vielen Blitzen, und dass wir dann die drei gefunden hatten. Und nun steckte ich ganz einfach Jesse in die Rolle von Colfax, behauptete, dass es Jesse gewesen war, dem das Erlebte den Verstand geraubt hatte. Und schließlich erzählte ich von dem Zweikampf mit den Bären.

Er hörte sich alles an, wandte sich dann kurz Roy Flame zu und machte dabei ein sehr skeptisches Gesicht. Offenbar traute er meiner Geschichte nicht sehr.

„Also dann“, meinte er schließlich. „Bleibt nur noch übrig, dass ihr mir erzählt, wer die beiden anderen sind, die noch hier oben leben. Denn ich weiß, dass ihr zu fünft seid.“

Nun zeigte sich auch Jesse. Und bevor er irgendwelchen Unsinn reden konnte, falls er meine Geschichte nicht richtig gedeutet hatte, rief ich: „Und das ist John Colfax.“

Mir war sofort klar, als ich den Namen aussprach, dass John früher einmal Marshal gewesen war und Hutchinson ihn womöglich von früher her kannte. Aber das war eine Klippe, die wir einfach riskieren mussten.

Wider Erwarten sah Hutchinson Jesse nur ganz kurz an und schien von der Tatsache, dass John früher einmal Marshal gewesen war, nichts zu wissen.

„Und der fünfte Mann?“, fragte er.

Da tauchte Joshua auf.

Aber Hutchinson widmete ihm nur einen ganz kurzen Blick, wandte sich dann wieder mir zu und sagte: „Stimmt. Von einem Schwarzen war auch die Rede. Ich hatte nur wissen wollen, ob er bei euch ist. Was hat er an der Hand?“

Ich sog hörbar die Luft ein, bevor ich sagte: „Da ist keine Hand mehr, Marshai. Ein Wolf hat ihm diese Hand zerfleischt. Wir mussten sie amputieren.“

„Hier oben?“, fragte er nur.

Ich nickte.

„Armer Kerl.“ Er sah Joshua bewundernd an, griff dann wieder in seine Brusttasche und brachte eine Zigarre heraus. „Raucht er die?“, fragte er.

Joshuas Augen leuchteten. Ich wusste genau, dass er keine Zigarren mochte. Aber die Tatsache, dass der Marshal ihm eine schenkeh wollte, schien ihn sehr zu freuen. Er kam auch gleich und holte sich die Zigarre.

„Lass sie dir schmecken, Junge“, sagte Hutchinson und klopfte Joshua freundlich auf die linke Schulter.

Irgendwie gewann Hutchinson mit dieser Geste mein Herz. Es ist eigenartig. Es sind oft die kleinen Dinge, an denen man einen anderen erkennt. Aber mir war Hutchinson sympathisch. Das einzige, was mir missfiel, war die Tatsache, dass er auf Jesse aus war. Hatte Jesse wirklich die Stirn gehabt, auf eine Postkutsche loszugehen? Wie dreckig musste es ihm ergangen sein, dass er so etwas getan hatte. Aber dazu konnte ich ihn jetzt nicht fragen.

„Also gut“, meinte Hutchinson, und wandte sich Weber zu. „Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, wenn wir eine Stunde Rast machen bei euch. Vielleicht lasst ihr jetzt unsere Pferde ans Wasser.“

„Natürlich haben wir nichts dagegen.“

„Erklärt mir genau“, fuhr Hutchinson fort, „wo ihr die beiden bestattet habt. Wir wollen euch gar nicht lange stören. Wir werden nach den beiden suchen und sie herausholen müssen.“

Da fiel mir ein, dass wir von John Colfax die persönliche Habe in Webers Packen hatten. Da gab es eine Schwester, und ihr wollten wir das Geld schicken, das sich noch in der Brieftasche befunden hatte. Es waren nur lächerliche fünfzehn Dollar gewesen. Aber schließlich hatte sie einen Anspruch darauf. Und eine Fotografie war da. Sie zeigte Colfax als Marshal von Dodge City zusammen mit den anderen Stadtmarshals, die damals Dienst in der Rinderstadt getan hatten.

Ich dachte daran, dass wir diese persönlichen Dinge am besten Jesse geben sollten.

Gedankenverloren blickte ich auf Jesse, und da fiel mein Blick auf seine Stiefel. In die Schäfte waren die Insignien J und R eingebrannt.

Verdammt, dachte ich. Hoffentlich sieht Hutchinson das nicht.

Er sah es auch nicht. Aber Flame hatte es gesehen. Er rief Jesse zu: „Haben Sie diese Stiefel dem Toten etwa abgenommen?“

Jesse kapierte nicht gleich. Und da sagte ich: „Mein Gott, das ist doch nicht schlimm. Du kannst doch zugeben, dass du die Stiefel von Jesse hast. Es ist kein Verbrechen. Zu seiner Himmelfahrt hatte Jesse die nicht mehr nötig.“

Das war der grobe Unsinn, den ich da sagte, denn John trug seine Stiefel, und sie würden das auch sehen, wenn sie ihn tatsächlich aus der Felsspalte herausholten.

Noch etwas fiel mir auf. Jesse war nervös. Sein Blick wirkte unstet. Er spürte gar nicht, dass Flame ihn weiterhin beobachtete.

Ich hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Diese ganze Geschichte drohte uns aus den Fingern zu gleiten. Der Zufall war gegen uns.

Ich weiß nicht, ob ich der einzige war, der dies voraussah. Hutchinson jedenfalls ließ sich nichts anmerken, falls er hinter unsere Schliche gekommen sein sollte.

Er und Flame versorgten die Pferde und Maultiere, und mir fiel nicht einmal auf, dass sie miteinander tuschelten, obgleich ich gerade damit rechnete. Sie benahmen sich, wie es schien, völlig arglos. Und trotzdem war mir vorhin Flames Blick nicht entgangen. Und das gab mir zu denken.

Als ich mit Weber allein war und sicher sein konnte; dass mich weder Hutchinson noch Flame hören konnte, sagte ich zu Weber:

„Die haben Lunte gerochen. Verlass dich darauf.“

Zu meiner Überraschung erklärte er: „Ich weiß, Callahan. Beide sind dahintergestiegen. Die wollen uns nur noch den Beweis liefern. Der Tote ist der Beweis.“

„Was sollen wir tun?“, fragte ich. „Wir können doch Jesse nicht den Kerlen ans Messer liefern, obgleich ich zugeben muss, dass dieser Hutchinson eigentlich nicht unsympathisch ist.“

„Du hast zwar recht“, erwiderte er, „aber wir sitzen alle im selben Boot.“

„Natürlich“, bestätigte ich. „Ich habe keine Sekunde daran gedacht, Jesse auszuliefern.“

„Ich auch nicht.“ Er stopfte sich umständlich seine Pfeife, zündete sie an, und als sie qualmte, fuhr er fort: „Wenn sie unbedingt müssen, sollen sie ihn sich holen, wenn wir unten in Lander sind. Solange wir ein Team bilden, werden wir anderen uns vor ihn stellen. Er hat keinen Menschen ermordet. Und ob er die Kutsche wirklich ausgeraubt hat, müsste erst noch bewiesen werden. Ein Haftbefehl ist kein Urteil.“

*


NACH ETWAS MEHR ALS einer Stunde machten die beiden ihre Tiere wieder fertig und bereiteten sich für ihren Abmarsch vor. Flame stand schon bei den Tieren und hielt sie am Zügel. Hutchinson hatte sich sein Hemd jetzt in die Hose gesteckt, hielt die Daumen in den Gürtel gehakt und kam auf mich zu.

„Von dir hab’ ich schon eine Menge gehört, Callahan. Jetzt, wenn ich so darüber nachdenke, fällt es mir ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dir Spaß macht, wenn du dich in der Gesellschaft von Postkutschenräubern befindest. Aber vielleicht glaubst du, dieser Bursche ist unschuldig.“

„Ob schuldig oder unschuldig“, erwiderte ich, „er ist tot. Beide sind tot. Da müssen sie ihre Schuld vor einem höheren Richter vertreten.“

„Der eine ist tot“, widersprach mir Hutchinson. „Der andere lebt. Da bin ich ziemlich sicher. Ich kann es nur noch nicht beweisen.“ Jetzt sah er unverhohlen Jesse an. Also stimmte es, was Weber gesagt hatte. Auch Hutchinson war von Anfang an dahintergekommen.

„Ich werde mir die Stiefel des Toten ansehen, von dem ihr gesagt habt, es sei Jesse Richmond. Und nicht nur die Stiefel. Es gibt da einen Hinweis, und der könnte mir helfen, festzustellen, ob ich mit meiner Ansicht recht habe. Habe ich aber recht, Callahan, dann bin ich bald wieder hier. Hab’ ich aber unrecht, seht ihr mich höchstens zufällig wieder. Und bis dahin wünsch’ ich euch was.“ Er wandte sich ab und wollte zu Pferden und Maultieren zurückgehen.

Abe, Otto und Joshua befanden sich zu diesem Zeitpunkt an unserem Essplatz. Der bestand aus zwei grob zugeschlagenen Halbstämmen, die wir als Tisch benutzten, und zwei Bänken auf beiden Seiten. Dieser Essplatz stand zwischen den Zelten. Also oberhalb des Stolleneingangs.

Jesse lehnte unten an der Waschanlage. Er lungerte schon die letzte Viertelstunde da unten herum, und dabei hätte ich mir eigentlich etwas denken sollen.

Der Marshal und Flame mussten mit ihren Tieren da unten vorbei. Ich hatte sofort, wie ich an Jesse denken musste, eine warnende Eingebung.

Verdammt, sollte es Jesse darauf abgesehen haben, die beiden womöglich zu erschießen, am Ende noch von hinten? Nur, um Zeugen loszuwerden? Es wäre ja der größte Wahnsinn, den einer tun konnte. Nicht nur, weil wir anderen Zeugen dieser Tat sein würden, sondern weil man Unrecht nicht durch noch größeres Unrecht auslöschen kann. Es war ein Gesetz, das sich einfach nicht umstoßen ließ.

Jesse schien dieses Gesetz nicht zu kennen. Meine Ahnung trog nicht. Er hatte etwas vor, ich sah es ihm an, als ich zu ihm hinunterblickte. Es sah auf den ersten Blick hin aus, als wollte er etwas an dem Wasserrad reparieren. Aber da war alles in Ordnung.

Weil er das tat und den Anschein erwecken wollte, er brächte etwas in Ordnung, deshalb wurde ich misstrauisch. Ja,„ war es für mich eine Gewissheit, dass Jesse einen Anschlag auf den Marshal vorhatte.

Plötzlich entdeckte ich sein Gewehr und die beiden Revolver. Ich weiß nicht, wo er die zweite Waffe herhatte. Vielleicht war es die von Joshua. Gewehr und Revolver.lagen griffbereit auf einem Vorsprung neben der Waschanlage. Hutchinson und Flame konnten die drei Waffen nicht sehen. Für sie war Jesse ein waffenloser Mann; vollkommen harmlos, keine Gefahr. Wahrscheinlich dachte das auch Hutchinson, als er etwa mit Jesse in gleicher Höhe war und zu ihm herüberschaute. Er blieb sogar stehen, musterte Jesse, aber der tat, als ginge ihn das alles nichts an. Doch ich bemerkte, dass er unter halbgesenkten Lidern den Blick des Marshals erwiderte.

Unschlüssig ging Hutchinson weiter. Wahrscheinlich war er darauf hereingefallen, dass Jesse keine Waffen trug.

Ich kannte Jesse, diesen quicklebendigen Burschen. Ich traute ihm keinen Postüberfall zu. Aber jetzt war Jesse drauf und dran, ob schuldig oder unschuldig, ein Verbrechen zu begehen. Er hatte es sogar vorbereitet.

Rein zufällig warf ich mal einen Blick auf Flame, der schon weiter unten mit den Tieren war, und da sah ich, dass der angehalten hatte. Er stand zwischen den beiden Maultieren, die Zügel hatte er losgelassen. Statt dessen presste er den Kolben seiner Winchester an die Hüfte. Die Mündung zeigte auf Jesse.

In diesem Augenblick machte Jesse einen halben Schritt nach vorn, und mir war klar, dass er jetzt zu den Revolvern oder dem Gewehr greifen würde. Er hatte Flame offensichtlich nicht beachtet, sondern sein ganzes Augenmerk Hutchinson zugewandt.

Hutchinson wandte in diesem Augenblick Jesse den Rücken zu.

Er wird ihm doch nicht in den Rücken schießen? dachte ich. Da packte Jesse den Revolver und brüllte: „Marshal!“

Er schießt ihn doch nicht in den Rücken, dachte ich. Dann war mir zugleich klar, dass Jesse nicht die mindeste Chance hatte, wenn Flame ein guter Schütze sein sollte.

„Jesse!“, brüllte ich. „Runter! Weg mit dir!“

Jesse kapierte nicht. Was auf unserem Marsch vielleicht funktioniert hätte, jetzt versagte es. Er hörte überhaupt nicht auf meine Warnung, sondern riss die beiden Revolver hoch, um zu feuern.

Da blitzte es unten bei Flame auf!

Jesse wurde herumgerissen, sein Kopf flog in den Nacken, und dann drückte er noch in einem Reflex beide Revolver ab. Ich sah deutlich, wie das Holz der Wasserrinne splitterte, als beide Schüsse in sie eindrangen. Jesse aber wurde um die eigene Achse gewirbelt und stürzte zu Boden.

Hutchinson war ebenfalls herumgewirbelt, hatte seinen Revolver gezogen und suchte noch ein Ziel.

Ich hätte ihm ein gutes Ziel geboten, aber ich hielt beide Hände mit den Innenflächen nach vorn in Brusthöhe erhoben.

Hutchinson begriff, dass ihm von mir keine Gefahr drohte. Er suchte weiter, aber offensichtlich taten es die anderen von uns mir nach.

Dann lief ich hinunter zu Jesse. Als ich bei ihm ankam, war Hutchinson auch schon da. Er schüttelte stumm den Kopf und wandte sich ab.

Ich kniete neben Jesse, wälzte ihn auf den Rücken und sah sein Gesicht. Kopfschuss! Er musste sofort tot gewesen sein. Sein Gesicht wirkte entspannt. Es sah aus, als lächelte er.

Als ich mich aufrichtete, sah mich Hutchinson an. „Ich brauche sicher nicht zu suchen. Er ist Richmond, nicht wahr?“

Ich sagte mir, dass es keinen Zweck hatte, noch weiter eine Lüge aufzubauen. Nun waren beide tot.

Ich nickte und sagte: „Tut mir leid, Marshal. Aber Jesse war ein guter Kamerad. Ich kann nicht glauben, dass es stimmt, was Sie ihm vorwerfen.“

„Der Kutscher hat sie beide erkannt. Es war Zufall, wie so oft im Leben“, sagte Hutchinson. „Der Kurscher war Texaner wie Richmond und Belknap. Er ist sogar wie sie einmal bei einem Rindertreiben dabei gewesen. Sie haben ihn nicht erkannt. Aber er sie. Ein Irrtum ist ausgeschlossen gewesen. Sie hatten beide kein Geld. Es ging ihnen dreckig. Vielleicht hätten sie mehr Glück gehabt, wäre nicht zufällig dieser Kurscher ein Bekannter von ihnen gewesen. Ich muss den Toten mitnehmen. Und falls wir Belknap nicht finden sollten an der Stelle, wo sie sagten, dass er liegen müsste, dann kommen wir wieder.“

Ich sah auf den toten Jesse herab.

Verdammt, dachte ich, wie konnte er nur so verrückt sein und eine Postkutsche überfallen!

„Und Sie sind deshalb“, fragte ich Hutchinson, „den ganzen Weg bis hierher hinter uns hergekommen?“

„Es ist ein Postkutschenüberfall gewesen, Callahan. Wir hätten ihn bis nach Alaska, und wenn es sein müsste, bis zum Nordpol verfolgt.“

„Und wieviel haben die beiden erbeutet?“, hörte ich Weber oben fragen?“

Der Marshal lachte bitter. „Hundertzwanzig Dollar. Mehr war nicht in der Kassette und in den Taschen der Reisenden.“

„Verdammt! Und dafür jagen Sie ihn quer durch den Kontinent?“

„Wenn wir es nicht täten“, sagte Hutchinson, „käme keine einzige Postkutsche ans Ziel, ohne ausgeplündert worden zu sein. Und noch etwas will ich Ihnen sagen, Callahan: Es war dieser Mann, der uns bedroht hat. Wir hätten ihn unverletzt zum Gericht gebracht. Aber er hat gedacht, dass es einfacher wäre, auf uns zu schießen.“

Jesse hatte die beiden unterschätzt. Das Zusammenspiel zwischen Hutchinson und seinem Deputy war einfach zu gut gewesen. Tatsächlich hatte immer einer von den beiden auf Jesse geachtet.

Sie nahmen Jesse mit. Hutchinson war anständig genug, nicht auch noch den Anteil von Jesse zu verlangen. Sozusagen als Wiedergutmachung für den Staat Kansas. Er begnügte sich damit, den Toten mitzunehmen und verschwand mit einem kurzen Gruß zusammen mit Flame.

Für uns war das alles wie ein Albtraum ergangen. Kein Mensch sprach an diesem Tag noch einmal davon, dass wir noch länger hierbleiben wollten.

„Wir sollten machen, dass wir hier verschwinden“, schlug ich vor. „Es ist höchste Zeit.“

„Was wird aus dem Anteil von Jesse?“, fragte Weber. „Weiß einer von euch, ob er Angehörige hat? Ob nicht vielleicht auch die anderen Angehörige haben, denen man etwas von dem Geld schicken könnte.“

Wir wussten nichts von ihnen. Abe hatte nur eine blasse Ahnung davon, dass es eine Schwester von John Colfax gab. Und da existierte auch eine Adresse. Aber die schien uralt zu sein. Ob diese Schwester noch dort lebte, wie es angegeben war, blieb ungewiss.

Schließlich kamen wir überein, da wir doch keine Adressen wussten, dass wir dieses Geld zunächst einmal unter uns aufteilten.

Jetzt waren wir noch vier. Jeder von uns glaubte, dass er es schaffen müsste, wieder zurückzukehren in die Zivilisation, dass es ihm gelänge, seinen Anteil zum Grundstock kommenden Reichtums zu machen. Und wir allesamt waren der Überzeugung, dass die Ausbeute so groß war, dass wir in Zukunft nicht mehr zu den Armen, zu den Getretenen gehörten, sondern wirklich etwas geschaffen hatten, das uns ein besseres Leben versprach.

Ein weiterer von uns würde nicht ans Ziel kommen! Es gab sogar noch die Frage, ob es einen Lohn für unsere wochenlange Schufterei geben würde. Denn hier oben in der Wildnis war es genau, wie Weber gesagt hatte: Das Gold war nicht mehr wert als die Kieselsteine, die hier überall herumlagen. Erst in der Zivilisation wurde das Gold wertvoll. Hier oben war es nichts als gelber Dreck.

*


WIR MACHTEN ES GENAU wie der Goldgräber, dessen Claim wir praktisch übernommen hatten, indem wir den Stollen zuschütteten und die Waschanlage abräumten. Auch Weber und ich waren der Meinung, dass man die Natur so hinterlassen sollte, wie man sie vorgefunden hatte.

Zwei Tage, nachdem Hutchinson und Flame bei uns gewesen waren, zogen wir los. Es herrschte strahlendes Wetter, der Himmel tiefblau. Ein Tag, Ende Augst, wie man ihn sich schöner nicht denken konnte. Es war warm, und über dem Gras und den Büschen tanzten Myriaden von Mücken im Licht der Sonne.

Die Luft war erfüllt vom Summen der Insekten, vom Zwitschern der Vögel, vom leisen Rauschen der dürren Blätter im Wind. Die Hufe unserer Mulis und des Pferdes klapperten über das Geröll. Manchmal knarrte Leder, klapperte ein Gebissstück, und es roch nach dem Schweiß der Tiere und nach dem Rauch aus Webers Pfeife.

Wir alle waren guten Mutes. Vielleicht lag es an dem schönen Wetter. Aber das sollte sich ändern.

Am ersten Tag kamen wir gut voran. Es ging überwiegend bergab. Obgleich das in den Knochen stauchte, erforderte es doch weniger Anstrengung. So schafften wir ein wesentlich größeres Tagespensum als auf dem Hinweg. Am Abend allerdings entdeckte ich am westlichen Himmel Windwolken. Diese langgezogenen dünnen Schleier; die Ankündigung von einer Wetteränderung. Und tatsächlich hatten wir auch Neumond.

„Das Wetter ändert sich. Mich zwickt’s in allen Knochen“, erklärte Weber.

„Du kannst immer nur unken“, knurrte Abe. Er war seit Jesses Tod ziemlich schweigsam geworden, der große Texaner.

„Mir tut auch meine Hand so weh“, behauptete Joshua. Er sprach immer davon, dass ihm die Hand weh tat, die es gar nicht mehr gab.

„Ich glaube auch, dass sich das Wetter ändert“, stellte ich fest.

Spät am Abend kam noch Wind auf. Wir zurrten die Leinen der Zelte gut fest, weil wir mit Böen rechneten.

Geigen Mitternach begann es dann zu regnen. Erst ganz normal, dann stärker. Gegen Morgen schüttete es nur so vom Himmel. Und das hielt sich den ganzen Tag über dran.

Der Boden war fest, und so brauchten wir nicht zu befürchten, im Lehm zu versinken. Insofern störte uns der Regen kaum. Aber im Laufe des Tages waren dann alle Segeltuchplanen durchnässt, mit denen wir uns eingehüllt hatten. Doch noch herrschte eine schwüle Temperatur, weil es für uns nicht so unangenehm war, dass man nass wurde.

Im Verlauf der nächsten Nacht hörte es auch nicht auf zu regnen. Es schüttete, als wäre der ganze Himmel ein einziges Wasserfass. Alles, was wir hatten, war inzwischen durchnässt. Wir bekamen kein richtiges Feuer, mussten es schließlich ganz aufgeben, warmes Essen zu bereiten.

„Irgendwann wird es schon noch einmal aufhören mit dem Regen“, brummte Abe. „Wenn ich mich da erinnere, vor drei Jahren auf dem Trail nach Dodge, als wir am Brazos River waren ... Du müsstest dich doch auch noch erinnern, Callahan!“

Ich nickte.

„Es hat es eine Woche so geregnet, und wir kamen nicht über den Brazos River hinüber mit unseren Rindern. Hochwasser, alles überschwemmt. Es war eine einzige Katastrophe. Als wir später bei abflauendem Hochwasser doch noch trieben, waren drei Männer und Hunderte von Rindern umgekommen.“

„Ich erinnere mich gut“, sagte ich bitter.

„Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie damals“, meinte Abe.

Es goss weiter. Und dann erfuhren wir, warum der Goldsucher auf seiner Karte neben der Eintragung von dem Gebirgstal mit dem See ein Ausrufezeichen gemacht hatte. Das war jenes Tal, wo wir vom Gewitter überrascht worden waren.

Als wir dieses Tal erreichten, da war nicht nur ein See in der Mitte wie auf dem Hinweg. Das ganze Tal war mit Wasser bedeckt. Ich konnte gar nicht begreifen, dass es möglich war, in so kurzer Zeit dieses Tal mit Wasser aufzufüllen. Aber als ich die Felsen rundherum betrachtete, begriff ich es. Da kam es an mehr als hundert Stellen von oben heruntergeschossen, Wasserfälle. Und aus jener Seitenschlucht, in der der Captain und Jesse die Dickhornschafe erlegt hatten, floss es wie ein Fluss ins Tal hinein.

Wie sollten wir hier weiterkommen? Über die Felsen hinweg konnten wir nicht. Im Tal versperrte uns das Wasser den Weg. Gab es eine andere Möglichkeit, tiefer hinunter zu gelangen?

Weber, der immer für Besonnenheit war, meinte: „Wir sollten hier abwarten. Ganz gleich, was geschieht. Es hört wieder auf. Das Wasser muss irgendwo verschwinden. Dann ziehen wir weiter.“

Ich schüttelte heftig den Kopf. „Ich denke nicht daran! So verrückt möchte ich sein! Setze mich hier vier, fünf Wochen her; und es kann uns passieren, dass es so lange regnet um diese Zeit. Nein! Suchen wir uns einen anderen Weg. Ich würde vorschlagen, wir reiten zurück. Da geht es doch talwärts. Wenn wir dort einmal durchzukommen versuchen.“

„Ich halte mich an den Weg, der hier eingetragen ist“, sagte Weber. „Die anderen Wege kenne ich nicht.“

„Er ist eben für Sicherheit“, meinte Joshua.

Abe sah den Farbigen zornig an, sagte aber nichts. Schließlich wandte er sich an mich und fragte: „Und du?“

„Ich weiß nicht. Zum Teil möchte ich Otto recht geben und warten, es kann wirklich nicht ewig dauern. Aber es kann lange genug dauern, dass es dann kalt wird. Und wenn erst einmal Schnee fällt hier oben ... Denkt einmal an die Serpentinen, die wir noch hinunter müssen. Wenn da alles vereist sein sollte, da kommen wir nie heil unten an.“

„Ich weiß bloß das eine“, meinte Abe, „wenn wir jetzt abstimmen, steht es fünfzig zu fünfzig. Du würdest mit mir stimmen, Joshua mit Otto. Sollten wir uns etwa trennen?“

Überraschend erklärte Otto Weber: „Ich fände es nicht schlecht, wenn wir uns trennten. Ich würde hier mit Joshua warten.“

„Gute Idee“, meinte Abe und sah mich herausfordernd an. „Callahan, wir zwei packen es. Komm, wir reiten das Stück zurück und dann nichts wie talwärts. Man braucht ja nur den Tälern zu folgen. Irgendwie laufen sie alle in der Ebene aus.“

„Das ist Quatsch!“, widersprach ich. „Ich weiß sehr genau, dass es eine Menge Täler gibt, die keinen Ausgang haben. Aber am Ende müssen wir etwas unternehmen. Ich habe auch keine Lust, hier zu warten.“

„Wir brauchen nur drei Maultiere“, erklärte Weber. „Alles andere könnt ihr mitnehmen.“

Abe witterte sofort den Vorteil und sagte: „Oh, du bist großzügig. Danke, Otto! Das ist ein Wort. Also, dann wollen wir gar nicht länger warten. Komm, Callahan!“

„Immer langsam!“, mahnte ich. „Erst muss alles seine Ordnung haben.“

„Wieso Ordnung?“, fragte Abe. „Wir haben unsere Anteile. Was willst du noch?“

Ich achtete nicht auf ihn, sondern gab Otto Weber eine Adresse in Lander. „Wenn ihr durchkommt“, sagte ich, „hinterlasst dort etwas. Ich werde das ebenfalls tun. Dann wissen wir wenigstens voneinander.“

Otto Weber nickte. Ich winkte ihm zu, wir nahmen bis auf drei die anderen Maultiere und das Pferd, und dann zogen wir los.

Als wir ein gutes Stück entfernt waren, wandte ich mich noch einmal im Sattel um, obgleich mir jede unnötige Bewegung bei dieser Nässe im strömenden Regen unangenehm war. Da sah ich die beiden, wie sie ihr Zelt aufbauten. Sie hatten wohl bemerkt, dass ich mich umdrehte und winkten; ich winkte zurück. Abe drehte sich nicht mehr um.

*


DER WEG, DEN WIR ZUNÄCHST ritten, als wir Abes Vorschlag folgten und uns talwärts hielten, schien wirklich besser zu sein. Wir kamen sehr gut voran, erreichten Wald und fanden in diesem Hochwald sogar Schutz vor dieser Nässe. Am Abend schlugen wir unter Bäumen unser Lager auf, und obgleich es da mittlerweile auch nur so herunterlief, war es doch dicht an einem Baumstamm angenehmer als im Freien. Auch konnten wir das Zelt hier anders aufbauen und hatten wirklich Schutz. Aber die Zeltbahnen waren mittlerweile nicht mehr in der Lage, das Wasser abzuhalten. Der Regen floss hindurch wie durch einen Sack.

Wir hatten noch etwas kaltes Fleisch und verzehrten den Rest. Alle anderen Lebensmittel waren mittlerweile in der Nässe verdorben. Da es gleichzeitig auch warm war, schimmelte es beizeiten, und wir hatten es wegwerfen müssen.

Die Maultiere und das Pferd waren besser dran. Sie fanden Futter. Körnerfutter hatten wir schon längst nicht mehr. Sie mussten sich mit Gras begnügen, und das war genügend vorhanden.

Am nächsten Morgen war es deutlich kälter geworden. Wir waren zwar unterhalb der Baumgrenze, aber immer noch in ziemlicher Höhe. Und am Tag ließ der Regen ein wenig nach. Dann verwandelte er sich in Graupeln. Es wurde noch kälter. Der Wind drehte, kam jetzt aus Norden.

Wir konnten nicht mehr weiter talwärts ziehen, denn wir mussten einen Höhenrücken überwinden, der sich plötzlich vor uns aufbaute. Unsere Hoffnung, weiterhin bergab in wärmere Gegend zu gelangen, zerstob. Aber kaum waren wir über diesen Höhenrücken hinweg, ging es wieder bergab. Und nun schien sich Abes Vorstellung zu erfüllen, dass wir doch rasch und besser talwärts gelangten als auf dem alten Weg.

Es begann zu schneien. Aber das hielt nicht lange an, denn ein eisiger Wind trieb die Wolken mit dem Schnee davon. Danach regnete es wieder, wurde wärmer, und der Regen nahm zu.

Wir zogen immer noch talwärts. Manchmal mussten wir Steilwände umgehen, um einen günstigen Abstieg zu finden. Und dann hörten wir den Fluss. Es konnte nur der Yellowstone sein.

Aber wir sahen noch nichts davon. Und als wir ihn sahen, wurde uns klar, dass er für uns eine noch größere Barriere darstellte als das Wasser in jenem Tal, wo Weber und Joshua sicherlich noch immer warteten.

„Der Yellowstone!“, meinte Abe und sah mich fragend an.

Ich nickte. „Und er ist verdammt weit über die Ufer getreten. Das ganze Tal ist überschwemmt. Wir kommen nicht hinüber. Wir finden noch nicht einmal eine halbwegs ebene Lagerstelle.“

„Wir müssen hinüber“, meinte Abe entschlossen. „Verdammt, durch wie viele Flüsse sind wir schon hindurch. So reißend ist der doch gar nicht. Es müsste doch eine günstige Gelegenheit geben. Vielleicht weiter oben.“

„Er hat ziemlich viel Gefälle. Du sagst, er ist nicht reißend? Es würde uns abtreiben und mitreißen. Wir hätten gar keine Möglichkeit, auf die andere Seite zu gelangen.“

Dort, wo wir uns befanden, war das Gelände noch ziemlich steil. Es standen aber Tannen darauf; dicke, mächtige Stämme.

„Wir haben unsere Beile. Wenn wir ein paar von den Tannen umschlagen, können wir so etwas wie eine Brücke bauen“, schlug ich vor.

Abe war sofort einverstanden. Wir suchten uns also eine Stelle aus, wo wir der Meinung waren, dass die Wipfel der Tannen bis zur anderen Seite des Flusses reichen würden, wenn wir die Stämme umschlugen. Und dann begannen wir. Nach einer Stunde hatten wir zwei Stämme umgeschlagen. Während der eine aber etwas unglücklich drehte und schräg im Fluss lag, fiel der zweite genau im rechten Winkel zur Flussrichtung, und die Spitze landete auf dem anderen Ufer.

Wir feuerten uns durch begeisterte Rufe an und machten nur eine kurze Pause, bevor wir darangingen, die nächsten beiden Bäume zu fällen.

Nach einer Stunde knackten auch die und rauschten dann herunter. Das Wasser spritzte hoch auf, als sie mit ihren Ästen in den Fluss schlugen. Beide Bäume kamen gut, wie schon der zweite, quer zur Flussrichtung und bildeten jetzt schon eine Art Brücke. Aber zugleich stauten sie das Wasser an. Oberhalb der Bäume wurde der Fluss höher und drückte und drückte. Aber die Bäume hielten stand. Ein Teil der Äste wurden weggerissen. Mir war klar, dass die Äste das waren, was wir zumindest in der Mitte abschlagen mussten, um diesen Stau zu verhindern.

Ich sagte es Abe, aber er beschwor mich, es nicht zu tun, denn das Arbeiten auf dem glitschigen Stamm mitten im Fluss war mehr als lebensgefährlich.

Wir ließen es zunächst bleiben und schlugen noch zwei Bäume. Sie fielen direkt auf die anderen, und der Stau wurde noch intensiver.

„Mit den Tieren kommen wir nie hinüber! Nehmen wir doch das Notwendigste und lassen die Maultiere und das Pferd hier. Mein Gott, wenn wir das Gold haben, dann können wir doch ...“

„Das Gold alleine ist so schwer, dass wir daran schleppen wie die Ochsen. Aber das genügt nicht. Wir müssen Gewehr, Spaten und Beil mitnehmen und Proviant.“

„Was macht das denn, wenn wir ein paar Tage nichts essen“, erwiderte Abe. „Wir müssen weiter. Die Tiere können wir hierlassen. Die helfen sich selbst. Wir nehmen die Packen herunter, lassen sie frei.“

Ich zögerte erst, diesen Vorschlag anzunehmen, aber dann sagte ich mir, dass es wirklich die einzige Möglichkeit war, aus dieser Nässe, aus dem Dreck und all dem herauszukommen, in dem wir uns befanden. Denn die Baumstämme wurden so überspült, dass es unmöglich sein würde, die Maultiere und das Pferd auf die andere Seite zu bringen. Und so gab ich nach.

*


WIR BEGNÜGTEN UNS MIT dem Gold. Es war wirklich unheimlich schwer. Aber wir machten uns von den Riemen der Packlasten so etwas wie Rucksäcke, in die wir alles verstauen konnten. Und dann marschierte Abe zuerst. Ich wollte noch, dass wir uns gegenseitig mit einem Lasso verbanden, damit einer dem anderen helfen konnte, falls der abrutschte und ins Wasser stürzte. Aber Abe war dagegen.

Er marschierte auch als erster zur anderen Seite hin. Und er kam wirklich gut voran. Als er in der Mitte war, drehte er sich sogar noch um und winkte mir zu. Da sah ich sein Gesicht zum letzten mal in meinem Leben.

Das Wasser brauste über die Stämme wie an den Niagarafällen. Abe tastete sich Schritt für Schritt weiter und hielt sich an den Ästen fest. Ich, der ihm folgte, machte es ebenso. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, nicht abzurutschen. Um meine Beine herum gurgelte und schäumte es, und die Stämme vibrierten. unter dem Druck und dem Anprall des Wassers.

Die vielen Zweige der Douglastannen stauten nicht nur das Wasser ab, sie fingen auch alles mögliche an mitgerissenem Strauchwerk und dergleichen auf, was der Fluss talwärts führte. Das blieb dann hängen und machte die Anstauung immer dichter. Gleichzeitig wuchs der Druck.

Plötzlich sah ich, wie einer der Stämme sich anhob, wie er hochkam, talwärts auf Abe zuschwenkte, und ich wollte noch schreien, wollte ihn warnen, aber mir blieben die Worte im Halse stecken.

Ich hatte Mühe, mich festzuklammern, denn unter mir geriet plötzlich alles in Bewegung. Mein rechter Fuß verlor den Halt, ich rutschte ab und sah gerade noch, wie der Baumstamm Abe gegen den Kopf fegte und Abe regelrecht von unserer Notbrücke herunterwischte, durch die Luft fegte, und wie Abe dann im gurgelnden, strudelnden Wasser verschwand.

Ich selbst blieb hängen, geriet plötzlich zwischen die Baumstämme, die mit einem Mal alle in Bewegung zu sein schienen, wurde untergetaucht, dann prallte mir etwas gegen die Schulter. Unter mir schnellte ein Baumstamm hoch und katapultierte mich regelrecht durch die Luft. Ich klatschte ins Wasser, wurde von der schweren Last, die ich auf dem Rücken trug, sofort in die Tiefe gezogen und dann streifte mir ein Ast mit benadelten Zweigen übers Gesicht.

Ich bekam keine Luft mehr, schluckte Wasser, hatte nur den einen Gedanken, wieder atmen zu können, nach oben zu gelangen und nicht ertrinken zu müssen. Mit letzter Kraft streifte ich die Riemen dieses selbstgebauten Rucksacks von meinen Schultern, um nicht weiter nach unten gezogen zu werden.

Kaum hatte ich das getan, wirbelte es mich regelrecht an die Oberfläche des Wassers, und ich bekam wieder Luft. Aber die Strömung hatte mich gepackt und riss mich mit.

Ich war unfähig, mich dagegen zu wehren; versuchte zu schwimmen, aber es konnte nur dazu dienen, mich auf der Oberfläche zu halten. Dann sah ich eine Felswand vor mir. Ich schoss darauf zu, so wie das Wasser schäumend dagegen prallte. Meine größte Furcht war, an dieser Felswand zerschmettert zu werden.

Aber da tauchte plötzlich vor mir ein Baumstamm auf mit der Krone, die wir ihm gelassen hatten. Der Baumstamm knallte gegen die Felswand, und ich wurde von der Krone, die sich mir entgegenstellte, aufgefangen. Das rettete mir das Leben.

Ich wurde abgetrieben, von der Strömung weggerissen und geriet in breiteres Wasser.

Jetzt erst spürte ich wahnsinnige Schmerzen in meiner linken Schulter. Ich konnte den linken Arm gar nicht mehr richtig bewegen. Das musste passiert sein, als mir etwas gegen den Oberarm und die Schulter geprallt war.

Zu meinem Glück wurde der Fluss noch breiter. Die Felswände flachten sich ab, und dann gab es ein richtiges Ufer mit Bäumen. Es gelang mir mit letzter Kraft, zu diesem Ufer zu schwimmen und auf allen vieren wie ein Tier an Land zu kriechen.

Da saß ich nun, hatte keinen Krümel des Goldes mehr, besaß nur das, was ich am Leib trug.

Noch immer goss es in Strömen.

Ich hatte kein Gewehr, nur meinen Revolver besaß ich noch; die Munition war unbrauchbar. So konnte ich mir nicht einmal etwas schießen, als der Hunger in meinen Eingeweiden wühlte.

*


FÜNF TAGE BRAUCHTE ich bis Gardiner. In diesen fünf Tagen fand ich nur einmal ein paar Beeren. Ansonsten kaute ich Gras wie eine Kuh. Aber es half mir. Und noch immer goss es, als ich in Gardiner ankam.

Ich war fix und fertig, aber ich lebte.

Ein ehemaliger Sergeant, den ich kannte und der in Gardiner einen Mietstall betrieb, lieh mir ein Pferd. Darauf ritt ich nach Lander. Ich war völlig mittellos. Das einzige, was ich besaß, waren die fünfzehn Dollar, die aufgeweicht noch immer in der Brieftasche steckten, die John Colfax gehört hatte. Ich gab diese fünfzehn Dollar aus, bevor ich nach Lander kam, denn der Proviant, den mir der Sergeant mitgegeben hatte, war längst alle.

Ich hatte nur die eine Hoffnung, in Lander Weber und Joshua zu treffen.

Diesmal lachte mir das Glück. Sie waren beide da. Seit Tagen weilten sie schon in Lander und hatten längst ihr Gold in Geld umgewechselt und auf der Bank deponiert. Joshua hatte jetzt eine künstliche Hand aus Holz mit einem Handschuh darüber.

Ich konnte nicht damit rechnen, dass sie mir etwas von dem abgaben, was sie besaßen. Aber sie waren auch jetzt noch gute Kameraden. Joshua und Weber tauschten nur einen Blick, als ich ihnen meine Geschichte erzählt hatte, und dann sagte Weber: „Wir werden dir eine Ausrüstung spendieren; ein Pferd, einen Sattel, Kleidung und ein Gewehr und etwas Zehrgeld. Ich hoffe, du bist zufrieden damit.“

Es war ein Geschenk des Himmels. Denn was konnte ich erwarten? Ich hätte auf Weber hören sollen. Wenn ich bei ihm geblieben wäre, könnte es mir so gut gehen wie den beiden. Ich gönnte es ihnen! Besonders Joshua hatte es verdient.

Das „Zehrgeld“, wie Weber es genannt hatte, bestand aus tausend Dollar. Ich wollte es ablehnen, doch Joshua flehte mich richtig an, es zu nehmen.

Für mich würde es irgendwann eine andere Chance geben. Ich war noch jung, das Land war groß und weit. Vielleicht zog ich irgendwann noch einmal hinauf in die Berge. Irgendwann ...

––––––––


ENDE

Sammelband 6 Extra Western September 2018

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