Читать книгу Mörderclub und Damentod: 7 Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 6

Club der Mörder von Alfred Bekker

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Der Umfang dieses Buchs entspricht 114 Taschenbuchseiten.

Ein großer Boss des organisierten Verbrechens wird von einem Killer-Kommando hingerichtet. Aber das ist nur der Anfang einer beispiellosen Welle der Gewalt. Damit beginnt für die Ermittler die Jagd auf die Hintermänner, die aus dem verborgenen heraus ein perfides Spiel inszenieren. Eine Verschwörung von unglaublichem Ausmaß kommt nach und nach ans Tageslicht...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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1

Die Männer trugen blaue Overalls und hatten Werkzeugkoffer in den Händen. Der eine war hochgewachsen, hatte kurzgeschorenes blondes Haar, und sein Gesicht wirkte eckig und brutal. Der andere Kerl war dunkelhaarig, breitschultrig und untersetzt.

Der Blonde hatte die Rechte in der Tasche seines Overalls versenkt. Seine Faust umklammerte den harten Stahl einer Automatik mit aufgesetztem Schalldämpfer.

Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick, als sie den Aufzug verließen. Dann gingen sie den Korridor entlang auf die Wohnungstür eines Penthouses zu.

Vor der Tür stand ein riesiger Kerl. Seine Bodybuilderfigur sprengte beinahe den grauen Flanellanzug.

Das Gesicht war eine konturlose Maske, die völlig bewegungslos blieb.

Er hob die Arme und die Ausbeulung, die sich dabei unter seiner Schulter abzeichnete, zeigte, dass er unter dem Jackett eine Waffe trug.

"Halt!", sagte der Riese, und die beiden Männer in den Overalls blieben einige Schritte vor ihm stehen.

"Wir wollen zu Mr. Shokolev", sagte der Blonde. "Wegen der Heizung..."

Aus den Augen des Riesen wurden schmale Schlitze. Sein Gesicht verzog sich etwas. Seine Züge drückten leichtes Misstrauen aus.

"Sie sind früh", meinte er.

"Mr. Shokolev erwartet uns."

"Dann nehmen Sie bitte die Hände hoch, damit ich Sie abtasten kann. Setzen Sie die Werkzeugkoffer ganz langsam auf den Boden ab und öffnen Sie die Dinger."

Der Blonde runzelte die Stirn.

"Was soll das?"

"Anordnung von Mr. Shokolev. Hier kommt keiner rein, der nicht genau durchsucht worden ist! Also, machen Sie keine Schwierigkeiten."

Der Blonde atmete tief durch, während der Untersetzte bereits seinen Werkzeugkoffer absetzte und damit begann, die Schnallenverschlüsse zu öffnen.

Der Riese an der Tür beobachtete ihn dabei genau.

In diesem Augenblick passierte es.

Die Bewegungen des blonden Overallträgers schienen zu explodieren, er riss die Automatik hervor, war mit einem Schritt bei dem Riesen vor der Tür und presste ihm den Schalldämpfer unter das Kinn noch bevor der Bodyguard reagieren konnte.

Der Riese erstarrte zur Salzsäule.

Er war Profi genug, um zu wissen, dass er in diesem Moment keine Chance hatte und jetzt am besten gar nichts tat.

Der Untersetzte hatte nun ebenfalls seine Waffe hervorgeholt. Auch er trat an den Riesen heran, griff unter dessen Jackett und holte dessen Pistole zum Vorschein.

Für den Bruchteil einer Sekunde kam es dem Riesen in den Sinn, den Blonden mit einem gezielten Handkantenschlag zu töten. Er konnte das, hatte es lange trainiert. Aber das Risiko war zu groß, die anderen waren zu zweit, der Untersetzte würde sofort schießen, und man würde den Schuss drinnen im Penthouse nicht mal hören. Schweißtropfen bildetet sich auf der Stirn des Riesen.

"Sie gehen voran", befahl der blonde Overallträger, und seine Stimme war wie das Zischen einer Kobra.

Der Riese drehte sich langsam um.

Beinahe provozierend langsam, wenn man die Lage bedachte, in der er sich befand. Der Schalldämpfer wurde ihm jetzt in den Nacken gedrückt.

"Was immer Sie auch vorhaben, es ist ein Fehler", sagte der Riese, aber seine Stimme klang dabei brüchig, denn er wusste, dass er keine Chance hatte. Er hatte es mit Profis zu tun und das hieß, dass sie ihn mit Sicherheit nicht am Leben lassen würden. So ging das Spiel nun mal. Der Riese hatte es selbst schon gespielt.

"Mund halten!", erwiderte der Blonde kalt.

"Man kann über alles reden und Mr. Shokolev..."

"Mund halten! Und Tür öffnen!"

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2

Der Blonde schob den Riesen vor sich her, drückte ihm noch immer die Waffe in den Nacken.

Der Untersetzte schloss hinter ihnen die Tür.

Die lichtdurchflutete Penthousewohnung mit dem traumhaften Blick auf den Central Park war sehr weiträumig und hatte mehrere Zimmer.

Im Empfangsraum befand sich eine moderne Sitzecke.

Futuristisches Design. Viel Plastik in geschwungenen Formen, dafür wenig Polster.

Ein Mann saß dort, er hätte der Zwilling des Riesen sein können, zumindest was den Körperbau betraf. Allerdings war er rothaarig.

"He, Joe. Was ist denn...?" Er blickte von der Zeitung auf, in der er gelesen hatte, dann sprang er hoch, griff unter sein Jackett.

Er reagierte schnell, aber doch nicht schnell genug.

Er hatte die Waffe noch nicht hervorgezogen, da ertönte ein Geräusch, das wie ein kräftiges Niesen klang.

Der Schuss einer Schalldämpferwaffe.

Auf der Stirn des Rothaarigen bildete sich ein roter Punkt, der Leibwächter wurde in den futuristischen Sessel zurückgeworfen. Seine Arme fielen zur Seite, die Waffe entglitt seiner kraftlosen Hand, fiel zu Boden, der weiche Teppich dämpfte den Aufprall.

"Wo ist er?", fragte der Blonde den Riesen, den er immer noch mit der Waffe im Schach hielt. Er flüsterte es so leise, dass man es kaum hören konnte. Sein Kumpan, der untersetzte Schwarzhaarige hatte den anderen Leibwächter erschossen. Auch seine Waffe hatte einen Schalldämpfer.

"Wo ist er?", wiederholte der Blonde.

"Wer?"

"Shokolev."

"Weiß... weiß nicht."

Man konnte die Angst, die der Hüne empfand, beinahe riechen.

"Du willst doch am Leben bleiben", sagte der Blonde, und seine Stimme klang wie fernes Donnergrollen.

"Ihr werdet mich sowieso töten."

"Warte es doch ab."

Der Riese atmete tief durch. "Ich... ich glaube, dass er im Schlafzimmer ist." Dabei deutete er mit der Linken auf eine der Türen, die vom Empfangsraum abzweigten.

"Danke."

Wieder ertönte dieses Niesen. Zweimal kurz hintereinander.

Und der Riese sackte in sich zusammen, blieb reglos am am Boden liegen, während sich eine rote Lache um ihn bildete.

Der Blonde stieg über die Leiche hinweg zur Schlafzimmertür, während sein Komplize mit der Waffe in der Hand an der Wohnungstür verharrte.

Mit einem wuchtigen Tritt ließ der Blonde die Schlafzimmertür aufspringen.

Ein Mann in den Fünfzigern, grauhaarig und mit Oberlippenbart, saß aufrecht in einem breiten Doppelbett, vor sich ein üppiges Frühstück auf einem Tablett. Er zuckte erschrocken zusammen, blickte auf, und eine Tasse entglitt seinen Fingern.

Shokolev.

Er hatte nicht mal mehr Gelegenheit aufzuschreien, bevor ihn zwei Schüsse förmlich ans Bett nagelten. Sein gefrorener Blick drückte Verwunderung aus.

Der Blonde atmete tief durch. "Abschaum!", murmelte er.

Das dumpfe Niesen einer Waffe mit Schalldämpfer ließ ihn plötzlich herumfahren. Aus einer der anderen Türen war eine Frau im Bademantel herausgetreten. Sie war blond und ziemlich grell geschminkt.

Der Schuss hatte sie zusammenklappen lassen wie ein Taschenmesser, und jetzt lag auch sie leblos und mit starren Augen auf dem Boden.

"Sie... Sie kam so plötzlich aus dem Bad." sagte der Untersetzte fast entschuldigend.

"Schon gut", erwiderte der Blonde tonlos. "Auch sie war Abschaum."

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3

"Trevellian, FBI!" Ich zeigte meinen Dienstausweis dem uniformierten Cop, der die undankbare Aufgabe hatte, Unbefugte vom Betreten des Tatortes abzuhalten.

Mein Freund und Kollege Milo Tucker tat es mir gleich und der Uniformierte nickte, ließ uns vorbei.

Wir waren die letzten am Tatort, einer noblen Penthouse-Adresse am South Central Park. Eine Wohnung in traumhafter Lage, mit einem Ausblick, für den man sicher viel Geld berappen musste.

Jetzt sah sie aus wie ein Schlachtfeld.

Ich sah die zusammengekrümmten Leichen einer Frau und zwei Männern, die offenbar als Leibwächter für den Besitzer dieses Penthouses gearbeitet hatten.

In der Mitte des Raums stand ein Mann in einem grauen Wollmantel, den Kragen hochgeschlagen. Er drehte sich jetzt zu uns um, und ich sah, dass sein Gesicht ziemlich zerfurcht war. Er bedachte uns mit einem abschätzenden Blicken.

"Wer sind Sie? Was machen Sie hier?", fragte etwas unwirsch.

"FBI", sagte Milo. "Dies ist Agent Trevellian, mein Name ist Tucker."

"FBI?", fragte der Mann im Wollmantel nachdenklich zurück und atmete tief durch. Seine Augenbrauen zogen sich zu einer Schlangenlinie zusammen.

Ich fragte mich, warum der Kerl so gereizt auf uns reagierte. Ich sah die Dienstmarke des Police Department durch den offenen Mantel und das ebenfalls geöffnete Jackett an seinem Gürtel hängen.

Wir zeigten ihm unsere Ausweise, die ihn aber nicht zu interessieren schienen.

"Sind Sie Captain Dobbs?", fragte ich.

"Ja", knurrte er. "Mordkommission, 18. Revier Midtown North. Woher...?"

"Ihr Chief sagte mir, dass Sie den Fall bearbeiten..." Ich hatte schon von Dobbs gehört. Vor allem dann, wenn von Beförderungen die Rede war. Er musste gut sein. Jedenfalls war er die Karriereleiter ziemlich schnell hinaufgestolpert.

Dobbs kam auf uns zu, reichte erst Milo und dann mir die Hand. Sein Blick wirkte gezwungen freundlich. Aber meinen Instinkt konnte er damit nicht täuschen. Aus irgendeinem Grund störten wir ihn...

Ich fragte mich warum.

"Agent Trevellian? Im Police Department ist Ihr Name bekannt wie der eines bunten Hundes." Er grinste schief. Dann seufzte er.

"Nennen Sie mich Jesse", sagte ich, in der Hoffnung, etwas wärmer mit ihm zu werden. Außerdem war anzunehmen, dass wir nicht zum letzten Mal zusammenarbeiteten.

Dobbs nickte lediglich, ohne das Angebot zu erwidern.

Dann sagte er: "Der Chief sagte mir schon, dass jemand vom FBI hier früher oder später aufkreuzen würde. Schließlich ist Vladimir Shokolev alles andere, als ein gewöhnliches Mordopfer...

"Das ist wahr!", gab ich zurück.

"Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass Sie so schnell sind..."

"Ach, ja?"

"Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen und es wäre nett, Sie würden uns erst einmal ein bisschen vorankommen lassen, bevor Sie hier für Stress sorgen..."

"Ich mache keinen Stress", stellte ich klar.

Er verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich aus einem unerfindlichen Grund nicht mochte, und ich fragte mich, ob das etwas Persönliches war oder nur damit zu tun hatte, dass ich mich gerade auf einem Terrain tummelte, das er als sein Privatrevier betrachtete.

Ich ging an Dobbs vorbei und warf einen Blick ins Schlafzimmer. Im Bett lag eine vierte Leiche.

Vladimir Shokolev.

Ich kannte ihn von Fotos her. Im FBI-Computer gab es ein umfangreiches Dossier über ihn, und seine Prozessakten hätten eine mittlere Gemeindebibliothek gefüllt.

Er war Ukrainer, der auf dubiose Weise zu erheblichem Reichtum gekommen war. Man vermutete ihn als Drahtzieher hinter kriminellen Geschäften mit Giftmüll, aber für eine Verhaftung hatten die Beweise nie ausgereicht, oder sie waren aus irgendwelchen Gründen als nicht gerichtsverwertbar abgelehnt worden.

Das Giftmüllgeschäft war zur Zeit eine Domäne der Ukrainer, und sie verteidigten sie mit Klauen und Zähnen. Die Sache war ganz simpel und hatte auch höhere Gewinnspannen als der Rauschgifthandel. Man ließ sich für die Entsorgung von Giftmüll bezahlen, aber anstatt diesen wirklich auf teure Deponien zu bringen, ließ man ihn einfach in einem angemieteten Lagerhaus vor sich hin modern. Wenn der Schlamassel bemerkt wurde, waren die Täter längst über alle Berge und versuchten dieselbe Masche unter neuem Namen in einer anderen Stadt.

Shokolev hatte sich ganz nach oben geboxt, und es war ein offenes Geheimnis, dass er seine Finger inzwischen auch in anderen dubiosen Geschäften gehabt hatte. Jetzt hatte seine Glückssträhne offensichtlich ein Ende gefunden.

"Was haben Ihre Ermittlungen bisher ergeben?", fragte ich Captain Dobbs, der mir ins Schlafzimmer gefolgt und hinter mir stehengeblieben war. Ich drehte mich zu ihm um, und er zuckte die breiten Schultern.

"Ein paar Ratten haben sich gegenseitig ausgelöscht. So sehe ich das."

"Ich wollte einen Bericht, nicht Ihre Meinung über Mr. Shokolev." Ich sah ihn an und fügte hinzu: "Sie scheinen noch etwas mehr über Shokolev zu wissen."

"Was man so hört."

"Und - was hört man?"

"Das steht doch alles in Ihren Akten. Er war ein Gangster, der es inzwischen weit genug gebracht hatte, um andere Gangster für sich arbeiten zu lassen. Und sich eine Wohnung wie diese hier zu leisten."

"Ist übrigens seine Zweitwohnung", warf Milo ein.

Dobbs hob die Augenbrauen. "Ach..."

"Er wohnt eigentlich in Paterson, New Jersey", ergänzte Milo Tucker. Shokolev war also kein Bürger des Staates New York. Das allein schon machte seinen Tod zum FBI Fall, selbst wenn er nicht eine bekannte Größe des organisierten Verbrechens gewesen wäre.

"Schon gut", knurrte Dobbs, dann erklärte er: "Der Security-Mann unten an der Pforte spricht von zwei Heizungsmonteuren, die hier hinauf wollten. Er hat sich telefonisch erkundigt - die beiden wurden tatsächlich erwartet. Merkwürdig war nur, dass eine halbe Stunde später nochmal zwei Monteure auftauchten. Die haben die Sauerei dann entdeckt."

"Dann waren die beiden ersten also falsch", stellte ich fest.

"Anzunehmen. Die Mörder sind richtig professionell vorgegangen und haben offenbar auch Schalldämpfer benutzt.

Jedenfalls hat niemand Schüsse gehört. Und gute Schützen waren sie auch."

"Tatzeit?"

"Heute morgen, so gegen neun Uhr. Bei allem anderen müssen Sie schon auf das Labor warten."

Ich nickte.

"Gibt es brauchbare Beschreibungen der beiden falschen Monteure?"

"Der Pförtner ist bei uns auf dem achtzehnten, er hilft bei der Erstellung von Phantombildern."

"Gut."

"Wer war die Frau?" Milo meinte die Frauenleiche, die in der Tür zum Badezimmer lag.

"Denise Payretto. Lebte seit drei Monaten in dieser Wohnung."

"Und die beiden Leibwächter?"

"Keine Ahnung. Sie hatten keine Papiere bei sich." Dobbs grinste schief. "Aber das kriegen wir auch noch raus."

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4

Es war ein lausig kalter Tag, und man hatte das Gefühl, dass einem die Ohren abfroren, sobald man sich im Freien aufhielt.

Aber ich hatte es längst aufgegeben, über das New Yorker Wetter zu schimpfen. Über die Hitze im Sommer und die Kälte im Winter.

Es gab Schlimmeres.

"Düstere Aussichten", meinte Milo, während wir am Central Park West entlangschlenderten, bis wir meinen Sportwagen erreicht hatten und einstiegen.

"Irgend jemand versucht da ganz gewaltig aufzuräumen", sprach Milo weiter. "Ein Bandenkrieg ist so gut wie unausweichlich..."

"Ich fürchte, da hast du recht."

Milo fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sein Blick wirkte nachdenklich. "Dies ist der dritte Tote in dieser Serie..."

"Vorsicht!", erwiderte ich. "Wir wissen noch nicht, ob es wirklich derselbe Täter ist", gab ich zu bedenken.

Milo zuckte die Achseln.

"Nach den ballistischen Untersuchungen werden wir es wissen. Ich wette mit dir, dass in allen drei Fällen die Kugeln aus denselben Waffen stammen. Und wenn du die Vorgehensweise bedenkst..."

Ich sah meinen Kollegen fragend an. "Drei Morde", murmelte ich. "Und die Opfer waren jeweils Leute, die in der Unterwelt eine Rolle spielten. Brazzos, der Waffenhändler. Dominguez, der Kokain-König. Und jetzt..."

"Shokolev!", vollendete Milo. "Außer der Tatsache, dass alle wahrscheinlich Verbrecher waren, haben sie aber nichts gemeinsam. Nicht einmal die Branche..."

"Aber offensichtlich haben sie einen gemeinsamen Feind!"

Milo nickte.

"Fragt sich nur, wer das ist."

Ich lachte heiser.

"Und New York war gerade dabei, den Ruf zu erringen, einer der sichersten Städte der USA zu sein."

Milo verstand, was ich meinte.

Wenn irgendein bislang unbekanntes Syndikat seine Klauen nach New York ausstreckte und es zum Gangsterkrieg kam, dann konnte es mit der relativen Ruhe schnell vorbei sein.

Und dann hatte die ganze Stadt darunter zu leiden.

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5

Es herrschte dichter Verkehr, und daher waren die gut 50 Kilometer zwischen Midtown Manhattan und dem auf der anderen Seite des Hudson in New Jersey gelegenen Paterson eine wahre Quälerei.

Shokolevs Sandstein-Villa war groß und protzig und hatte vermutlich das Doppelte von dem gekostet, was zwei Special Agents des FBI in ihrem ganzen Leben verdienten.

Als ich den Sportwagen am Straßenrand parkte und ich Milos Blick sah mit dem er das Anwesen bedachte, wusste ich, was in ihm vorging.

Er dachte genau dasselbe wie ich.

"Vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet, haben wir wohl die falsche Seite gewählt, was?"

Ich hob die Augenbrauen.

"Findest du wirklich?"

"Nun..."

"Shokolev hat jetzt nicht mehr viel von all seinem Reichtum. Im Leichenschauhaus sind alle gleich."

"Das ist allerdings wahr."

Wir stiegen aus.

Die Villa war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben. Wir traten ans Tor, und uns traf ein unangenehm kalter Wind, der durch die großzügig angelegte Allee fegte, die auf Shokolevs Villa zuführte. Eine gute Adresse, eine feine Gegend...

Irgendwo verschluckte der Wind das Knurren eines Hundes.

Ein Mann wie Sholkolev musste sein Haus natürlich vor ungebetenen Gästen schützen.

Das Tor war gusseisern und so massiv, dass man einen Panzer bräuchte, um durchzukommen. Ein Blick zwischen den Gitterstäben hindurch zeigte ein paar nervös wirkende Männer in dunklen Anzügen. Walky Talkys verbeulten die Jackettaußentaschen und hier und da sah ich offen getragene Maschinenpistolen vom Typ Uzi. Es war kein Wunder, dass man nicht versucht hatte, Shokolev hier, in dieser Privatfestung umzubringen.

Ich drückte auf den Knopf neben der Gegensprechanlage.

Eine Männerstimme knurrte ein launiges: "Sie wünschen?"

"FBI."

"Mr. Shokolev ist nicht zu Hause."

"Wir hätten gerne Mrs. Shokolev gesprochen."

Milo und mir war bekannt, dass er mit einer beinahe dreißig Jahre jüngeren Frau verheiratet war.

Am anderen Ende der Gegensprechanlage herrschte einige Augenblicke lang Schweigen.

Dann bekamen wir eine Antwort.

"Einen Moment!"

Es war eine metallisch klingende Männerstimme.

Erstmal geschah gar nichts. Dann registrierte ich, wie einer der Wächter in den gut sitzenden Beerdigungsanzügen zu seinem Funkgerät griff. Kurz darauf kam er in Begleitung eines bulligen Kerls am Tor an. Dieser hielt einen Rottweiler ziemlich kurz an der Leine. Das Tier fletschte die Zähne und wollte nach uns schnappen. Ein mannscharfes Biest, das speziell auf Menschen abgerichtet war.

Der bullige Hundeführer grinste schief und tätschelte dem Tier am Hals herum. "Er tut nichts. Er mag nur keine FBI-Leute", knurrte er dabei.

"Was Sie nicht sagen", erwiderte ich kühl.

Wir zeigten den Wächtern unsere Ausweise. Sie wurden eingehend geprüft und mit einem dumpfen Knurren zurückgegeben.

"Folgen Sie uns!", kam es dann kleinlaut zwischen den dünnen Lippen des Hundeführers hindurch, während der andere Wächter den kurzen Lauf seiner zierlichen Uzi in unsere Richtung zeigen ließ.

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6

Mrs. Jelena Shokolev empfing uns in einem weiträumigen, lichtdurchfluteten Raum mit hohen Fenstern. Die Einrichtung bestand zum Großteil aus kostbaren, wenn auch etwas zusammengewürfelt wirkenden Antiquitäten.

Das Haus eines Mannes, der seinen Reichtum um jeden Preis zeigen will, ging es mir durch den Kopf.

Jelena war eine aschblonde Schönheit mit feingeschnittenem Gesicht und hohen Wangenknochen. Ihre Augen waren dunkel, und die Art und Weise, in der sie funkelten, warnten jeden, der mit ihr zu tun hatte, vor ihrer Hinterhältigkeit und Gefühlskälte. Ihre Figur hingegen war eine einzige, schwindelerregende Kurve, so dass einem das kalte Glitzern ihrer Augen schon entgehen konnte.

Sie machte den Eindruck, genau zu wissen, was sie tat.

Alles an ihr wirkte kontrolliert.

Sie begrüßte uns mit rauchiger Stimme. Wir zeigten ihr unsere Ausweise, die sie sich eingehend ansah.

"Zwei G-men, sieh an", sagte sie mit falschem Lächeln.

"Was führt Sie hier her?"

Ich hasse solche Momente. Aber es kommt immer wieder vor, dass man in unserem Beruf zum Überbringer schlechter Nachrichten wird.

"Ihr Mann... er ist heute morgen erschossen worden." Ich wollte es so kurz und schmerzlos wie möglich zu machen.

Jelenas Gesicht blieb völlig unbewegt. Eine Maske, die wie erstarrt wirkte. Ein Lächeln, das aussah wie gefroren.

Sie atmete tief durch.

Ihre Brüste hoben und senkten sich dabei.

Sie schluckte und sah mich dann an.

"Wo", fragte sie dann stockend, "ist das passiert?"

"In einem Penthouse am Central Park West...", sagte ich und wurde sogleich unterbrochen.

"Ah, ich weiß", meinte sie und ihr Tonfall wurde hart. "Das ist wohl die Wohnung, die Vlad für diese Schlampe gemietet hat..."

"Sprechen Sie vielleicht von Denise Payretto?", hakte Milo nach.

Jelena wandte sich zu meinem Kollegen herum und musterte ihn mit einem schwer zu deutenden Blick. Dann ging sie ein paar Schritte auf ihn zu. Bei jedem ihrer wiegenden Schritte schien sie darauf zu achten, dass die aufregenden Rundungen ihres wohlgeformten Körpers auch richtig zur Geltung kamen.

Sie blieb stehen.

Den linken Arm stemmte sie in die geschwungene Hüfte.

Ihr Parfum hing schwer und aufdringlich in der Luft.

"Möglich, dass sie so hieß", murmelte sie mit einer Kälte, die einen erschauern lassen konnte.

"Miss Payretto ist ebenfalls umgekommen", sagte Milo.

Jelena hob die Augenbrauen.

"Sie erwarten sicher nicht, dass ich darüber besonders traurig bin." Sie zuckte die Achseln. "Big Vlad wusste eben manchmal nicht, was wirklich gut für ihn war. Und seine Menschenkenntnis war auch nicht die beste - jedenfalls was Frauen anging!" Sie drehte sich zu mir herum. Ihre Augen musterten mich.

Ich hielt ihrem Blick stand.

"Sagen Sie mir, wie es genau geschehen ist!", forderte sie mit dunklem Timbre.

"So, wie es aussieht, waren es zwei sehr professionell vorgehende Killer", sagte ich.

"Eine Hinrichtung!" Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Ich nickte.

"So könnte man es nennen."

Für den Bruchteil einer Sekunde, huschte ein kaltes, böses Lächeln über ihr Gesicht. Der Eindruck einer trauernden Witwe machte sie mir nicht gerade.

"Für uns stellt sich die Frage, welcher seiner zahlreichen Feinde Ihren Mann umgebracht hat!", erklärte Milo aus dem Hintergrund.

Jelena lachte auf.

"Ach wirklich?"

"Jeder Mord ist ein Mord zuviel", erklärte Milo sachlich.

"Und wir versuchen ihn so gut wir können aufzuklären. Auch bei einem Mann..."

"Den Sie für einen Verbrecher halten! So ist es doch!", rief Jelena. Sie seufzte. Dabei drehte sie sich nicht zu Milo um, sondern sah weiterhin in meine Richtung.

Ich nickte.

"Dem was mein Kollege gesagt hat, kann ich nur zustimmen", erklärte ich und fuhr dann nach einer kurzen Pause fort: "Seit wann wussten Sie von der Beziehung Ihres Mannes zu Miss Payretto?"

Ihr Blick bekam etwas Katzenhaftes.

Sie näherte sich einen Schritt und verschränkte die Arme vor der ausladenden Brust, die sich deutlich durch ihren sehr engen Pullover abzeichnete.

"Jeder wusste das. Ich natürlich auch, ich bin nämlich weder blind noch taub. Vladimir hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Affären mit anderen Frauen vor mir oder irgendjemandem sonst geheimzuhalten..."

"Haben Sie Ihren Mann geliebt?"

Sie sah überrascht aus.

"Was soll die Frage?"

"Brauchen Sie länger, um darüber nachzudenken?"

Sie wurde dunkelrot vor Ärger. Ihre Augen funkelten.

"Hören Sie, was soll die Fragerei? Ich dachte, Sie suchen den Mörder meines Mannes! Also tun Sie Ihren Job, wenn Sie es nicht lassen können, aber hören Sie auf, dämliche Fragen zu stellen!"

Sie wirkte wie jemand, der sich in die Enge getrieben fühlte.

"Machen Sie sich keine Gedanken darüber, wer die Mörder beauftragt hat?"

"Glauben Sie..." , sie zögerte, ehe sie weitersprach,

"...dass ich...?"

"Das haben Sie gesagt!"

"Wegen dieser Denise Payretto? Mr. Trevellian, das ist lächerlich!" Ihr Blick ging zur Uhr. "Meine Zeit ist knapp bemessen. Wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben..."

"Da wäre noch etwas!"

"Dann machen Sie es kurz!"

"Sagen Ihnen die Namen Tony Brazzos und Jack Dominguez etwas?"

"Nie gehört!"

"Wirklich nicht? Könnte es nicht sein, dass Ihr Mann diese Männer gekannt hat?" Ich holte zwei Fotos aus der Innentasche meiner Jacke und hielt sie Jelena hin. Sie beachtete sie kaum, nahm sie nur kurz zwischen die grazilen Finger und gab sie mir dann zurück.

"Allerweltsgesichter...", meinte sie schulterzuckend. "Was ist mit diesen Männern?"

"Sie starben vermutlich durch dieselben Täter wie ihr Mann und falls es irgendeine Verbindung zwischen ihm und diesen beiden geben sollte, sagen Sie es uns besser."

Ihr Augenaufschlag war gekonnt.

"Das werde ich, Mr. Trevellian..." Und dabei strich sie mir mit ihren langen Fingernägeln über das Revers der Jacke. "Sobald ich etwas in dieser Richtung erfahre... Wie waren noch die Namen?"

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7

Als ich Milo am nächsten Morgen an der üblichen Ecke abholte, und wir gemeinsam zum Dienst fuhren, war es eiskalt.

Zwanzig Minuten später saßen wir im Zimmer von Mr. McKee.

Das Büro unseres Chefs im Dienstgebäude des FBI-Districts New York an der Federal Plaza war einfach und zweckmäßig eingerichtet.

Special Agent in Charge Jonathan D. McKee lehnte sich mit der Hüfte an seinen Schreibtisch, hatte die Arme verschränkt und machte ein ziemlich ernstes Gesicht. Und dafür hatte er auch allen Grund. Die Fahndung nach den beiden Killern lief zwar, aber die Angaben des Security-Manns erwiesen sich als nicht sehr detailliert. Die Phantombilder waren entsprechend wenig aussagekräftig.

"Es ist fünf Minuten vor zwölf", erklärte Mr. McKee dann.

"Wenn es uns nicht gelingt, denjenigen zu stoppen, der zur Zeit seine Killer losschickt, dann fliegen uns bald die Brocken um die Ohren! Außerdem liegen mir dauernd die Kollegen der Presseabteilung in den Ohren. Der dritte Tote in dieser verdammten Serie und wir haben noch immer nichts in den Händen... Wir brauchen langsam Ergebnisse!"

Milo und ich saßen in den Ledersesseln der kleinen Sitzgruppe, die Mr. McKee für Besprechungen in seinem Büro diente. Uns gegenüber saß mit übereinandergeschlagenen Beinen Special Agent Clive Caravaggio. Seine Vorfahren waren zwar italienischer Abstammung, aber er sah mit seinem flachsblonden Haarschopf eher wie ein Skandinavier aus.

Sein Partner Orry Medina war indianischer Abstammung und galt als der bestgekleidete G-man des Districts. Ihn hielt es nicht im Sessel. Er lehnte an der Fensterbank und lockerte sich die exquisite Seidenkrawatte.

Die beiden hatten sich intensiv mit Brazzos' und Dominguez' wirtschaftlichen Verflechtungen beschäftigt, worüber sie einiges an Daten mitgebracht hatten. Die Computerausdrucke lagen auf dem Tisch verstreut und ich hatte mir das eine oder andere auch etwas genauer angesehen.

"Immerhin haben wir jetzt einen Anhaltspunkt", meinte Medina. "Dominguez und Shokolev hatten beide Gelder in einer Import/Export-Firma, von der wir vermuten, dass sie in Wahrheit nur dem Zweck dient, schwarzes Geld weiß zu waschen. Brazzos und und Dominguez wiederum hatten ihr Geld in einem Chemie-Unternehmen, das durch seine Sonderabfälle durch eine inzwischen in Konkurs gegangene Transportfirma entsorgen ließ, von der wir vermuten, dass sie zu Shokolevs Imperium gehörte!"

"Ein ziemlich vager Zusammenhang", meinte Mr. McKee. "Ich weiß nicht, ob uns das wirklich weiterbringt. Aber verfolgen Sie die Spur trotzdem weiter." Mr. McKee verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere und sah mich an. "Was ist mit der Witwe?"

"Ich traue ihr ohne weiteres zu, ihren Mann umgebracht zu haben. Nicht aus Eifersucht, dazu wirkte sie mir zu kühl...

Aber vielleicht, weil sie jetzt über 'Big Vlads' Vermögen verfügen kann..."

"Und das soll ja ganz beachtlich sein!", warf Milo ein.

Ich fuhr fort: "Aber nachdem wir jetzt den ballistischen Bericht auf dem Tisch haben und feststeht, dass Dominguez, Brazzos und Shokolev tatsächlich von denselben Tätern ermordet wurden, glaube ich nicht an die schöne Jelena als Auftraggeberin."

"Hat das einen bestimmten Grund, Jesse?", erkundigte sich Mr. McKee.

Ich zuckte die Achseln.

"Instinkt, Sir."

Mr. McKee seufzte. "In diesem Fall hoffe ich beinahe, dass der Sie mal täuscht... Sonst stehen wir nämlich mit völlig leeren Händen da."

"Vielleicht kennen wir nur noch nicht den Zusammenhang zwischen den Toten und der schönen Witwe, Jesse!", gab Milo zu bedenken.

Mein Blick ruhte auf den Computerausdrucken. Wir hatten es mit einem komplizierten Geflecht aus Firmen, Scheinfirmen, Strohmännern und Leuten zu tun, die schwarzes Geld wie Heu hatten und daraus Weißes machen mussten.

Brazzos, Dominguez, Shokolev...

Alles große Bosse, die selbst kaum noch ein Risiko eingingen. Das trugen die kleinen Handlanger, die dann erwischt wurden.

So war das allzu oft.

Jeder von uns hatte nicht selten über diese Tatsache geflucht. Die kleine wurden gehängt, die großen notgedrungen und mit Unterstützung guter Anwälte laufengelassen.

Doch jetzt hatte jemand ausgerechnet diese Großen ins Visier genommen. Unerbittlich. Mann für Mann. Und sehr professionell.

Ich atmete tief durch. Orry erläuterte noch einiges zu den wirtschaftlichen Verflechtungen der Gangstersyndikate, deren Oberhäupter über den Jordan geschickt worden waren. Aber ich hörte kaum zu.

"Der, der diese Killer geschickt hat, muss sehr viel Geld haben ", sagte ich dann irgendwann. "Denn wer immer Leute wie Shokolev umbringt, weiß, dass er sich danach zur Ruhe setzen muss und nie wieder in Aktion treten kann... Zumindest nicht in den USA."

Mr. McKee sah mich interessiert an. "Worauf wollen Sie hinaus, Jesse?"

"Ich frage mich, ob die schöne Jelena Geld genug dafür zur Verfügung hatte - ich meine, bevor sie Big Vlads Erbin wurde!"

"Der voraussichtlichen Erbin von Big Vlad hätte doch jeder Kredit gegeben!", erwiderte Orry skeptisch.

"Auch ein Lohnkiller? Normalerweise wird da im Voraus gezahlt. Und im Fall des Scheiterns hätten die Mörder dieses Geld auch dringend gebraucht, um sich vor Shokolevs Leuten in Sicherheit zu bringen. Vermutlich wäre es ihnen trotzdem nicht gelungen."

Jetzt meldete sich Clive Caravaggio zu Wort. "Diese Jelena soll übrigens in Shokolevs Reich durchaus nicht nur die Rolle einer anschmiegsamen Mafia-Braut gespielt, sondern auch in den Geschäften mitgemischt haben. Jedenfalls gibt es dahingehende Gerüchte."

"Tatsache ist aber, dass sie nicht einmal ein eigenes Giro-Konto besessen hat!"

Ich grinste. "Anschmiegsam war diese Katze nun wirklich nicht..."

Mr. McKee musterte uns einer nach dem anderen mit einer Miene, die Entschlossenheit signalisierte. "Ich denke, der einzige Weg, der Erfolg verspricht ist ein Trampelpfad durch diesen Dschungel da!" Und bei diesen Worten deutete er auf die Computerausdrucke, auf denen das komplizierte Geflecht aus Firmen und Scheinfirmen dargestellt wurde. "Irgendwo dort liegt der Schlüssel - oder es greift ein Hai nach dieser Stadt, der groß genug ist, diese gefräßigen Piranhas allesamt zu schlucken!"

In diesem Moment öffnete sich die Tür.

"Wenigstens ein Lichtblick!", meinte Clive Caravaggio mit Blick auf das Tablett mit den Kaffeebechern, das Mandy, die fürsorgliche Sekretärin des Chefs, hereintrug.

Sie setzte das Tablett auf den schlichten Tisch zwischen den Ledersesseln.

"Bitte bedienen Sie sich!", forderte sie uns auf. Und da Mandy den besten Kaffee weit und breit macht, brauchte sie das keinem von uns zweimal zu sagen.

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8

"Guten Tag, Gentlemen", sagte Jelena Shokolev und bedachte die Anwesenden mit einem herausfordernden Blick. Sie hatte am Ende der langen Tafel Platz genommen, während das halbe Dutzend zumeist dunkel und sehr vornehm gekleideter Männer aufmerksam in ihre Richtung starrte. Einige von ihnen grinsten frech.

Aber das sollte ihnen noch vergehen.

Hinter Jelena hatten sich zwei baumlange Wachposten aufgestellt, beide in maßgeschneiderten grauen Saccos und einer Uzi lässig in der Rechten.

Jelenas Blick war kühl.

Sie musterte einen nach dem anderen und langsam erstarb das Gemurmel unter den Anwesenden.

"Ich habe Sie alle hier her, zu dieser Besprechung gebeten, um mit Ihnen über die Zukunft unserer Organisation zu reden!", erklärte sie dann auf eine Art und Weise, die derart selbstbewusst und sicher klang, als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes getan.

Ihnen soll sofort klarwerden, dass hier nicht die anschmiegsame Mafia-Braut sitzt, die sie vielleicht aus früheren Tagen in Erinnerung haben!, hatte sie sich vorgenommen.

Sie atmete tief durch.

Einer der Männer runzelte die Stirn. Er hatte gelocktes Haar und einen dichten Schnurrbart. "Was wollen Sie damit sagen? Was soll dieser ganze Affenzirkus hier überhaupt! Big Vlad ist tot und..."

"...und ich werde seine Geschäfte so weiterführen, als würde er noch unter uns weilen!", fuhr Jelena ihm kalt über den Mund.

Die Blicke, die sie dafür erntete waren voller Unglauben.

Der Lockenkopf grinste schief.

"Sollen wir das ernstnehmen!"

"Besser Sie tun es. Keiner von euch hätte es gewagt, sich mit Big Vlad anzulegen..."

Der Lockenkopf lehnte sich zurück.

"Ich schätze, diese Schuhe sind ein bisschen zu groß für Sie!", meinte er abschätzig.

Die beiden Wächter mit den Uzi-Maschinenpistolen luden auf ein kaum merkliches Zeichen ihrer Chefin hin ihre Waffe durch und alles im Raum erstarrte. Für einige Sekunden sagte keiner im Raum ein Wort.

"Die Spielregeln haben sich nicht geändert!", erklärte sie. "Und wenn jemand aussteigen möchte, soll er es gleich sagen. Für die Konsequenzen ist er dann allerdings selbst verantwortlich..."

Eine unbehagliche Stille hing über dem Raum. Einige der Anwesenden drehten die Köpfe und sahen sich an. Aber niemand sagte etwas.

"Ich sehe, es gibt keine Einwände", stellte Jelena befriedigt fest und erhob sich. "Meine Zeit ist kostbar und die Ihre sicherlich auch. Ich werde Sie in den nächsten Tagen erneut zusammenrufen, um Einzelheiten mit Ihnen zu besprechen..."

"Ich schlage vor, wir sollten in nächster Zeit erst einmal etwas vorsichtiger vorgehen", meinte der Lockenkopf und erntete von Jelena dafür einen Blick tiefster Missbilligung.

Sie hob die Augenbrauen und stemmte dabei den Arm in die geschwungene Hüfte.

"Ach, ja?"

"Das FBI versucht in der Sache herumzubohren! Habe ich jedenfalls gehört!"

"Ihr Problem sind nicht die Ohren, sondern der Mund!", versetzte Jelena ätzend.

"Und dann ist da noch eine andere Sache..."

"Und was, Mr. Pitaschwili?"

Der Lockenkopf sah sie scharf an. "Wir alle fragen uns, wer Big Vlad auf dem Gewissen hat!"

"So?" Jelenas volllippiger Mund verzog sich zu einem, spöttischen Lächeln. "Von euch war es niemand?"

"Höre Sie auf! Dasselbe könnten wir Sie fragen!"

"Ich würde es Ihnen nicht raten!"

Eisige Entschlusskraft schwang in ihrem rauchigen Timbre mit. Dies war eine Frau, die alles auf eine Karte setzen wollte. Alles, um ganz nach oben zu kommen. Sie wusste genau, was die Hunde vor diesem Treffen vorgehabt hatten. Sie hatten sie billig auszahlen wollen, um sie aus dem Weg zu haben.

Sie hatte genug Spione in der Nähe dieser ehrenwerten Herren, die sich allesamt Geschäftsleute nannten, aber in Wahrheit nichts als Gangster waren, um genau über deren Ziele informiert zu sein.

Das hast du mir beigebracht, Vlad! Immer gut informiert zu sein! Das garantiert das Überleben und entscheidet über Sieg oder Niederlage...

Der lockenköpfige Pitaschwili ging auf Jelena zu und die beiden Wächter hoben automatisch die kurzen Läufe ihrer Uzis. Pitaschwili hob beschwichtigend die Hände. "Schon gut...", murmelte er. Und bei sich dachte er wohl, dass er nie den Bau dieser Löwin hätte betreten sollen. Er fuhr beinahe stotternd fort: "Es gibt da so ein Gerücht..."

"Was Sie nicht sagen..."

"Ein Gerücht von einem fremden Syndikat, das seine Finger nach New York ausstreckt..." Er schluckte. "Ich nehme an, alle hier lesen ab und zu mal Zeitung!"

"Wovon sprechen Sie eigentlich?", fragte Jelena abweisend.

"Von den Morden an Brazzos und Dominguez!"

"Nicht unsere Branche, Pitaschwili. Wozu sich also aufregen!"

Pitaschwili hob den Zeigefinger wie eine Waffe.

"Hier will jemand groß aufräumen!"

"Wer sollte das sein?"

"Vielleicht jemand, der groß genug ist, sich in ganz unterschiedlichen Branchen zu tummeln... Und ich finde, darüber sollten wir mal nachdenken!"

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9

Der Anruf erreichte mich kurz nach der Mittagspause. Die Stimme war zweifellos männlich, klang aber sehr undeutlich.

Ich hatte den Eindruck, dass das Absicht war.

"Spreche ich mit Special Agent Trevellian?"

"Ja. Wer sind Sie?"

"Ich habe gehört, dass Sie den Mörder von Big Vlad suchen..."

Manche Dinge schienen sich schneller herumzusprechen, als mir lieb sein konnte. In dieser Hinsicht war die Acht-Millionen-Metropole New York ein Dorf.

Ich schaltete den Lautsprecher des Telefons ein, so dass Milo mithören konnte.

"Was wollen Sie?", fragte ich.

Ich hörte, wie mein Gesprächspartner heftig atmete.

"Ein Treffen, Mr. Trevellian."

"Nun..."

"Im Strand Book Store... Der dürfte Ihnen ja wohl bekannt sein. In fünfzehn Minuten. Seien Sie pünktlich. Kommen Sie weder zu spät noch zu früh... Fragen Sie nach alten Ausgaben von Weird Tales."

"Und wie erkenne ich Sie?"

Es machte knack.

Der Anrufer hatte aufgelegt.

"Das bedeutet wohl, dass er dich erkennt", meinte Milo.

"Ich frage mich, was ich davon halten soll!", brummte ich nachdenklich und überprüfte dabei den Sitz der Waffe an meinem Gürtel. Dann stand ich auf und zog mir Jacke und Mantel an.

Milo folgte meinem Beispiel.

"Warum ruft der Kerl dich an? Woher kennt er deinen Namen? Und woher weiß er, dass du an dem Fall dran bist?"

"Keine Ahnung, Milo."

"Vielleicht kommt er aus dem Dunstkreis dieser Jelena..."

Ich grinste.

"Lassen wir uns überraschen!"

Wenig später saßen wir in meinem Sportwagen und quälten uns durch den mittäglichen Verkehr des Big Apple. Der Strand Book Store war New Yorks größtes Buchantiquariat. Ein Paradies zum Stöbern. Aber auch ein Ort, der durch seine Unübersichtlichkeit wie geschaffen für ein derartiges Treffen war.

Vielleicht gab es ja wirklich jemanden aus dem Umkreis der schönen Witwe, der auspacken wollte. Aus welchem Grund auch immer.

Ich hatte allerdings ein ungutes Gefühl bei der Sache.

Mein Instinkt sagte mir, dass etwas faul an der Sache war.

Wir fuhren den Broadway entlang. An der Ecke zur zwölften Straße lag der Strand Book Store mit der Hausnummer 828. Ich war ab und zu dort gewesen und kannte mich aus. Mein Blick ging zur Uhr am Handgelenk.

"Wir sind etwas zu früh für unseren Freund", erriet Milo meine Gedanken.

"Hat nicht irgendwer gesagt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben?"

"Aber unser Freund will uns auf die Minute genau an einem bestimmten Punkt haben!"

"Siehst du, und das gefällt mir nicht, Milo!"

"Glaubst du, mir vielleicht?"

Ich parkte den Sportwagen in einer Seitenstraße, hundert Meter von jener Ecke entfernt. Wir stiegen aus und meldeten unsere Position noch kurz in der FBI-Funkzentrale. Für alle Fälle...

Milo folgte mir in einiger Entfernung. Wir wussten nicht, ob der Strand Book Store möglicherweise beobachtet wurde. Mein Freund war gewissermaßen eine Art Lebensversicherung für mich, falls dieses eigenartige Treffen einen Verlauf nehmen sollte, der mich in eine brenzlige Lage brachte.

Nachdem ich die Fußgängerampel an der 12. Straße passiert hatte, standen bereits die ersten Ständer mit verbilligten Taschenbüchern vor mir, in denen die Kundschaft interessiert herumwühlte.

Ich ließ den Blick schweifen und fragte mich, welcher der Kunden sich vielleicht weniger für Bücher interessierte, als er vorgab.

Ein Blondschopf mit Vollbart fiel mir auf. Er war ziemlich groß und fast schlaksig. Er blickte dauernd auf und wirkte sehr nervös. In seinem Gesicht zuckte ein unruhiger Muskel und die Tatsache, dass er sich einen Liebesroman für Frauen aus dem Wühltisch herausgefischt hatte, sprach eher dafür, dass ihm das Buch nur als eine Art Feigenblatt diente.

Seine wässrig-blauen Augen sahen mich einen Augenblick lang an, dann blickte er in eine andere Richtung.

Ich beschloss, den Kerl im Auge zu behalten.

Dann betrat ich den Laden.

Ich wusste Milo hinter mir, machte aber nicht den Fehler, mich nach ihm umzudrehen. Eine der Angestellten lief mir über den Weg. Sie war groß und blond. Das lange Haar trug sie offen. Es reichte ihr fast bis zur Hüfte.

"Ich suche alte Ausgaben von Weird Tales", erklärte ich.

Weird Tales war ein geradezu legendäres Groschenheft mit Gruselgeschichten, das bis Anfang der Fünfziger Jahre erschienen war. Heute zahlten Sammler horrende Summen für gut erhaltene Exemplare.

Die junge Blonde lächelte charmant. Ihr schlanker Arm deutete zu einem Regal auf der anderen Seite des Raumes.

"Dort hinten, Sir!"

"Ich danke Ihnen."

Es dauerte eine Weile, bis ich mich durch den völlig überfüllten Verkaufsraum hindurchgedrängelt hatte. Die Wühltische mit den Büchern standen so eng, dass man schon etwas Geduld haben musste. Ein Paradies für Taschendiebe und konspirative Treffen.

Schließlich hatte ich es geschafft.

Die Weird Tales-Ausgaben waren sorgfältig in Folie verschweißt. Ich nahm mir eines der Hefte im Digest-Format und sah mir die schaurige Titelbildillustration an. Ein halbnacktes Mädchen mit großen Brüsten im Angesicht eines Riesengorillas. Gleichzeitig bemerkte ich aus den Augenwinkeln heraus den Blonden.

Er war mir also gefolgt.

Von der anderen Seite näherte sich ein Mann mit schwarzgelocktem Haar. Er war viel kleiner und stämmiger als der Blonde.

Aber seinem Interesse an den alten Gruselheften fehlte irgendwie der rechte Enthusiasmus, der den echten Fan auszeichnet.

Einen Augenblick später hatte er sich neben mich gedrängelt und heuchelte immer noch Interesse an den eingeschweißten Heften im Digest-Format.

Jetzt wurde es ernst...

"Nicht umdrehen, G-Man!", wisperte der Lockenkopf. "Mein Leben kann davon abhängen, dass dieses Treffen kein Aufsehen erregt..."

Ich erkannte die Stimme vom Telefon wieder.

"Hört sich dramatisch an. Wer sind Sie?", fragte ich in gedämpftem Tonfall zurück.

"Jemand, der aussteigen will."

"Am Telefon sagten Sie etwas von Big Vlad Shokolevs Mördern..."

Er atmete tief durch.

"Hören Sie, Trevellian, ich brauche ein Angebot. Ich bin bereit auszusagen, aber ich brauche Sicherheit, sonst lebe ich keine zwei Stunden mehr!"

Seine Angst schien mir echt zu sein. Aber ich musste mehr wissen. Und ich hatte keine Lust, meine Zeit nur mit vagen Andeutungen zu vertun. Er wollte aussteigen, so sagte er. Das bedeutete, dass er irgendwie zum Dunstkreis um Shokolev gehörte. Einer seiner sogenannten Geschäftspartner.

Vielleicht besorgte er die Grundstücke, auf denen die Giftmüllmafia ihren Schrott sehr unfachmännisch 'entsorgte' oder besaß eine Transportfirma, die in Shokolevs Netz verstrickt war. Allerdings sagte mir mein Instinkt, dass dieser Mann vermutlich eine Etage höher anzusiedeln war. Bei den Mittelsmännern vielleicht oder in der Geldwäsche.

"Ist der blonde Riese zu meiner Linken Ihr Mann?", fragte ich.

"Ja."

"Wie beruhigend!"

Er atmete tief durch. "Wie gesagt, ich bin bereit auszusagen. Über Shokolevs üble Geschäfte mit gefährlichem Giftmüll, über Strohmänner..."

"Shokolev ist tot", stellte ich fest. "Wer will Big Vlad noch vor den Richter stellen?"

"Hören Sie..."

"Im Moment habe ich den Eindruck, mit Ihnen meine Zeit zu verschwenden, Mr. Namenlos..."

"Sie wollen Shokolevs Mörder... Oder besser: Den, der die Killeraufträge geben hat und vielleicht einen Bandenkrieg ungeahnten Ausmaßes auslöst... Da will jemand gewaltig aufräumen! Brazzos, Dominguez... und jetzt Big Vlad!"

"Und dieser Jemand ist zufällig auch Ihnen auf den Fersen?"

Seine Stimme vibrierte leicht.

"Ich denke schon!", wisperte er. "Ich liefere Ihnen die Witwe des großen Vladimir Shokolev ans Messer..."

"Jelena?"

"Sie hat Big Vlads Geschäfte übernommen und hat große Pläne... Sehr große Pläne!"

Von hinten spürte ich eine Bewegung und wandte halb den Kopf.

Aus den Augenwinkeln heraus sah ich einen Arm.

Er ragte zwischen den dichtgedrängten Körpern der Kunden hervor. Und die Hand hielt eine Pistole umklammert...

Der Lauf war sehr langgezogen.

Eine Waffe mit Schalldämpfer!

Grell züngelte das Mündungsfeuer aus dem Rohr.

Zweimal hintereinander machte es Plop und ein Ruck durchfuhr den Körper meines Gesprächspartners.

Sein Blick gefror zu einer Maske.

Einer Maske des Todes. Seine Augen waren weit aufgerissen und stierten mich verständnislos an. In der nächsten Sekunde sah ich das Blut... Es sickerte aus dem Mund heraus und tropfte auf den Jackenkragen.

Der Lockenkopf sackte tot in sich zusammen. Die in der Nähe stehenden Kunden des Strand Book Stores stürzten schreiend auseinander.

Blut spritzte auf die Wühltische mit den Taschenbüchern, während das Chaos ausbrach.

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10

Die Schreie waren geradezu ohrenbetäubend.

Ich wirbelte herum und hatte in der nächsten Sekunde meine Waffe in der Rechten. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, dass der blonde Leibwächter des Lockenkopfs ebenfalls nach seiner Waffe gegriffen hatte.

Er hatte das Eisen - eine große, schwergewichtige Magnum noch nicht einmal ganz unter dem Jackett hervorgezogen, da ruckte sein Kopf auf unnatürliche Weise in den Nacken.

Wie von einem Hammerschlag getroffen.

Auf seiner Stirn bildete sich ein roter Punkt, der rasch größer wurde. Er taumelte getroffen zurück, krallte sich an einem Regal fest und riss dessen Inhalt mit sich zu Boden.

Ein dumpfes Ächzen entrang sich seiner Kehle, eher auf dem Boden niederkrachte und reglos liegenblieb.

Heillose Panik erfüllte den Strand Book Store.

Die Kunden stoben in alle Richtungen auseinander. Manche suchten Deckung hinter den Verkaufstischen.

Ein Mann wühlte sich brutal durch die Menge. Von seinem Gesicht konnte ich so gut wie nichts sehen. Er trug eine tief hinuntergezogene Strickmütze und eine Brille mit Spiegelgläsern.

"FBI! Stehenbleiben!", rief ich.

Eine Warnung, die beinahe im Kreischen der Kunden unterging.

Dennoch bekam ich umgehend eine bleierne Antwort.

Das ploppende Geräusch war in dem allgemeinen Lärm nicht zu hören.

Lautlos löste sich der Schuss aus der Waffe des Spiegelbrillenträgers, dessen Backenbart wie angeklebt wirkte. Ich sah es an der Mündung der auf mich gerichteten Waffe aufblitzen und duckte mich schnell.

Der Schuss meines Gegners war schnell und nicht gut gezielt gewesen. Das Projektil zischte dicht über mich hinweg. Um Haaresbreite hätte mir das großkalibrige Ding einen Teil der Schädeldecke von der Hirnmasse herunterrasiert.

Krachend drang es hinter mir in erst in das Regal, dann in die Wand ein und zerfetzte Holz und die wertvollen Ausgaben von Weird Tales gleichermaßen, ehe es im Beton der Wand steckenblieb.

Mein Finger verstärkte den Druck auf den Abzug der Waffe.

Wut stieg in mir auf.

Ich konnte die Waffe in diesem Moment nicht benutzen, das war mir klar. Einen Mörder zu fassen war eine Sache und was meine eigene Person anging, scheute ich dabei kein Risiko, das sich noch einigermaßen vertreten ließ.

Aber in dieser dichtgedrängten Menschenmenge auf einen flüchtenden Killer zu schießen wäre unverantwortlich gewesen.

Auch für einen guten Schützen.

Und ich bin einer!

Denn selbst, wenn ich den Kerl traf, konnte die Kugel aus dem Körper wieder austreten und noch einen anderen Menschen verletzen - oder sogar umbringen.

Der Killer rannte davon, kam dabei hart gegen einen der Verkaufstische, der mit einem hässlichen, schabenden Geräusch einen halben Meter über den Boden rutschte.

Ich packte die Waffe und sah zu, dass ich hinter ihm herkam.

Vor mir bildete sich eine Gasse. Die Kunden, die noch nicht in heller Panik auseinandergelaufen waren, hatten zumeist hinter den Wühltischen und Buchständern notdürftig Deckung gesucht.

Der Kerl feuerte noch einmal auf mich. Der Schuss ging daneben und kratzte irgendwo hinter mir an der Decke. Etwas fiel herunter. Ich konnte nicht sehen, was es war. Ein Teil der Deckendekoration mit den Hinweisschildern auf verbilligte Ware oder eine Lampe vielleicht.

Seitlich von mir, auf der anderen Seite des Verkaufsraums entdeckte ich Milo, der versuchte, dem Killer den Weg zum Hauptausgang abzuschneiden.

Der Killer rannte einen dicken Mann brutal über den Haufen.

Mit einem stöhnenden Laut auf den Lippen sank der Mann zu Boden, als der Ellbogen des Mörders sich in seinen Bauch drückte.

Milo hatte indessen den Ausgang erreicht und richtete seine Waffe auf den Killer.

"FBI! Sie sind verhaftet!"

Blitzschnell wirbelte der Killer herum, duckte sich und packte dann eine junge Frau an den langen, gelockten Haaren.

Sie schrie auf. Er zog sie mit einer brutalen, ruckartigen Bewegung in die Höhe und hielt ihr das Eisen an die Schläfe.

Ihre Augen waren vor Schrecken weit aufgerissen. Ihre Brust hob und senkte sich in einem schnellen Rhythmus, den die Angst vorgab.

Eine Kinderstimme rief: "Mama!"

Ein kleiner Junge hockte ganz in der Nähe, halb verborgen hinter einem der Tische. Er wagte es nicht, sich zu bewegen.

Niemand im Raum wagte das in dieser Sekunde.

Auch Milo und ich nicht.

Für die nächsten Sekunden hätte man eine Stecknadel im Strand Book Store fallen hören können.

Der Killer sagte kein Wort.

Das war auch nicht nötig. Seine Taten sprachen für sich und der kalte Lauf des Schalldämpfers am Kopf der jungen Frau. Zweifellos war er skrupellos genug, sie bedenkenlos umzubringen.

Ein Profi, der über Leichen ging und dem es auf einen Toten mehr oder weniger nicht ankam.

Eine menschliche Waffe, ausgeschickt von irgendjemandem, dem es offenbar nicht gepasst hatte, dass der tote Lockenkopf, der nun in seinem Blut neben den Weird Tales-Regalen lag, sich mit einem G-man zusammen alte Groschenhefte ansah...

Ich blickte zu Milo hinüber.

Keiner der Kunden verstellte mehr die Sicht. Die kauerten angstvoll in Deckung.

Mein Freund nickte kurz und senkte die Waffe.

Ich tat dasselbe, obwohl es mir in der Seele wehtat, diesen Kerl ziehen lassen zu müssen. Aber es gab keinen anderen Weg.

Vorsichtig ging der Killer mit seiner Geisel in Richtung Ausgang. Die Spiegelgläser gaben seinem Gesicht etwas Kaltes, Insektenhaftes. Zweifellos beobachtete er jede unserer Handlungen ganz genau. Nicht eine Nuance würde ihm entgehen und es war in dieser Situation das Beste, überhaupt nichts zu tun.

Schließlich ging es um das Leben der Geisel.

"Mama!", rief der Junge noch einmal.

"Bleib, wo du bist, Chris!", rief die junge Frau. "Steh nicht auf!"

"Maul halten!", knurrte der Killer.

Das erste Mal, dass wir einen Laut von ihm hörten, der über das tödliche Ploppen seiner Schalldämpferwaffe hinausging.

Seine Stimme klang wie ein tiefes Wispern. Ein Laut, der zu einer Schlange gepasst hätte.

Der Killer näherte sich dem Ausgang.

Milo wich zurück.

Ein hochgewachsener Kunde, der gerade hereinkommen wollte, blieb wie erstarrt stehen und lief dann davon.

Die kalten Spiegelaugen des Killers warfen einen letzten Blick auf uns.

Dann schleuderte er die Frau in unsere Richtung. Sie stolperte nach vorn und stöhnte auf, als sie hart auf den Boden kam. Im selben Moment ballerte der Kerl noch zweimal drauflos und rannte dann hinaus zur Straße.

Wir zögerten keine Sekunde.

Beinahe im selben Moment setzten Milo und ich uns in Bewegung und rannten ebenfalls zum Ausgang. Milo war schneller dort als ich.

Einen Augenblick später sahen wir den Kerl mit der Spiegelbrille gerade noch in einen blauen Chevy einsteigen, der offenbar mit laufendem Motor am Straßenrand gewartet hatte.

Aus einem heruntergelassenen Fenster ragten ein paar Hände hervor, das sich um eine Maschinenpistole klammerten. In dem Moment, in dem sich der Chevy mit quietschenden Reifen in Bewegung setzte, ballerte der Wahnsinnige los, dessen Gesicht hinter den getönten Scheiben verborgen lag.

Zwei Feuerstöße mit jeweils etwa zwanzig Schuss in der Sekunde knatterten los und es blieb uns nichts anderes, als uns zu Boden zu hechten.

Die Garbe aus Blei fraß sich in die benachbarten Hausfassaden und ließ den Putz von der Wand springen.

Irgendwo schrie jemand auf.

Ich lag auf dem Pflaster des Bürgersteigs, rollte mich herum und spürte, wie dicht neben mir ein Projektil die Pflastersteine berührte und als tückischer Querschläger weiter auf eine ungewisse Reise geschickt wurde.

Ich zielte auf einen der Hinterreifen des Chevys und drückte ab.

Der Reifen zerplatzte.

Aber der Fahrer trat unbarmherzig das Gas. Es gab ein hässliches Geräusch, als der zerstörte Reifenmantel über den Asphalt gedreht wurde und die Felgen auf dem Boden entlangratschten. Funken sprühten dabei und es roch nach verbranntem Gummi.

Beinahe wäre der Wagen ausgebrochen.

Jemand, der von der entgegengesetzten Fahrbahn daher fuhr, hupte.

Der Fahrer des Chevys riss das Lenkrad herum, rasierte sich den Außenspiegel an einer Straßenlaterne ab und bog dann in eine Seitenstraße ein.

Ich rappelte mich wieder auf.

Ein schneller Blick seitwärts, sagte mir, das Milo nichts geschehen war. Aber einen Passanten hatte es an der Schulter erwischt.

Milo hatte bereits das Walkie Talkie in der Hand und verständigte die Funkzentrale des FBI. Offenbar hatte bereits jemand im Strand Book Store die City Police verständigt, denn schon dröhnte eine Sirene aus irgendeiner der Nachbarstraßen.

Ich bekam gerade noch mit, wie Milo einen Krankenwagen für den verletzten Passanten verlangte.

"Hast du noch die Nummer des Wagens in Erinnerung?", fragte er mich zwischendurch.

Ich nickte und nannte sie ihm.

"Aber lohnt kaum, das Ding in die Fahndung zu geben", erwiderte ich.

"Warum nicht? Etwa wegen des Reifens?" Er schüttelte den Kopf. "Jesse, ich glaube nicht, dass den Kerlen Felgen und Achse im Moment sonderlich wichtig sind. Die werden losbrettern, bis es glüht!"

Ich schüttelte den Kopf.

Dann deutete ich auf das Sackgassenschild vor jener Einfahrt, die der Chevy mit dem geplatzten Reifen genommen hatte. Es war kaum zu sehen, weil irgendein Witzbold eine Plastiktüte darübergestülpt hatte.

Die Jagd ging weiter.

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11

Die Seitenstraße war eng und namenlos. Eigentlich nicht mehr, als eine etwas breitere Einfahrt, die in einem Hinterhof mündete. Ehedem war hier das Gelände einer Transportfirma gewesen, die wohl in Konkurs gegangen war. Einige Schilder wiesen noch darauf hin. Jetzt verfiel hier alles. Ratten krochen ungeniert zwischen überquellenden Mülleimern herum und suchten sich ihr Teil.

Als Milo und ich den Innenhof erreichten, sahen wir noch einige Lastwagen, die vor sich hin rosteten. Man hatte sie ausgeweidet wie eine Weihnachtsgans. Kein brauchbares Stück war noch an ihnen dran. Die Reifen fehlten, die Sitze, die Motoren...

Jede brauchbare Schraube schien herausgedreht worden zu sein.

Und dann sahen wir auch den Chevy.

Drei Türen standen offen.

Also drei Kerle!, schoss es mir durch den Kopf. Hier war ihre Höllenfahrt zu Ende gewesen. Der Innenhof wurde umgeben von einem mehrstöckigen Gebäude, dessen Fassaden herunterbröckelten. Die ehemaligen Garagen der Lastwagen standen offen. Sie waren kahl und leer. In den oberen Etagen, in denen sich vielleicht mal die Büros befunden hatten, waren zum Teil die Fenster eingeschlagen. Zollformulare wurden durch den Wind über den Hof getrieben.

Ein verlassener Ort, wie geschaffen, um sich zu verstecken.

Ein Labyrinth, in dem man sich hervorragend auf die Lauer legen konnte...

Wir nahmen hinter dem ersten Lastwagen Deckung.

"Die sind über alle Berge, Jesse!", meinte Milo, der wie ich die Waffe in der Faust trug. "Aber die Spurensicherer sollten das ganze Gelände mal abchecken. Vielleicht haben unsere Freunde irgendetwas verloren..."

Jede Kleinigkeit konnte uns vielleicht weiterbringen.

Und wenn es nur ein vollgerotztes Papiertaschentuch war, aus dem sich vielleicht ein genetischer Fingerabdruck gewinnen ließ...

"Ich weiß nicht", meinte ich. "Ich habe ein schlechtes Gefühl..."

Milo gab per Funkgerät durch, welches Gebiet abgeriegelt werden musste. Aber es war die Frage, ob die Verstärkung von FBI und City Police schnell genug sein würde.

"Achtung!", zischte ich.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich bei einem der zerschlagenen Fenster eine Bewegung. Ich wirbelte herum, aber schon in der nächsten Sekunde knatterte eine Maschinenpistole los.

Die Projektile zerfetzten den Kasten des Lastwagens, hinter dem wir uns verschanzt hatten, dann schlugen sie dicht vor unseren Füßen in den Asphalt, und wir mussten einen Satz zurück machen. Wir kauerten hinter der Fahrerkabine des Lastwagens, und ich feuerte dreimal kurz hintereinander zurück, woraufhin das Feuer auf der anderen Seite eingestellt wurde.

Vorerst.

"Die haben auf uns gewartet", meinte Milo.

Ich lud derweil meine Waffe nach und hatte die Waffe einen Augenblick später schon wieder schussbereit.

"Immerhin sind sie noch nicht über alle Berge!"

"Im Moment sitzen wir in der Falle - und nicht sie!", stellte Milo fest.

"Gib mir Feuerschutz!", forderte ich.

"Was hast du vor?"

"Mich etwas voran arbeiten! Am besten bis zum Eingang, um irgendwie ins Haus zu gelangen. Oder hast du vielleicht Lust, hier länger als Zielscheibe dieser Verrückten zu dienen?"

"Kein Gedanke... Aber willst du nicht besser auf die Verstärkung warten?"

"Wie es im Diensthandbuch steht? Dann sind die Kerle weg..."

"Auch wahr!"

"Also los!"

"Du gibst das Signal!"

"Okay!"

Milo atmete tief durch und wir wechselten einen kurzen Blick. In Situationen wie diesen konnten wir uns hundertprozentig aufeinander verlassen. Das wusste jeder vom anderen.

Eine Maschinenpistolengarbe krachte in diesem Moment wieder in unsere Richtung. Ich hatte das Gefühl, das die Killer nicht so genau wussten, wo wir uns befanden. Oder sie trauten sich nicht, genau hinzusehen, weil sie Angst hatten, selbst eine Bleiladung abzubekommen.

Jedenfalls mussten wir uns einige schreckliche Sekunden lang ganz klein machen. Möglichst unsichtbar. Gegen diese geballte Feuerkraft, hatten wir nichts entgegenzusetzen. Nichts, was dem Paroli hätte bieten können. Was die Bewaffnung anging, waren dieser Killer uns überlegen.

Die Schusskraft einer Maschinenpistole ließ unsere Dienstwaffe beinahe wie Spielzeuge von rührender Harmlosigkeit erscheinen.

Ich glaubte schon, dass die Ballerei fürs erste wieder vorbei war, da ging es erneut los. Die Kugeln schlugen Löcher in die Beifahrertür des Lastwagens. Die Heckscheibe der Fahrerkabine war bis dahin das einzig heile Stück Glas am Wagen. Jetzt ging es zu Bruch. Ein Regen aus scharfkantigen Scherben regnete auf Milo und mich hernieder.

Dann war erst einmal wieder Stille.

Eine tödliche, drohende Stille.

Wir beide wussten es.

Ich packte die Waffe so fest, dass sich meine Knöchel weiß färbten.

Dann nickte ich Milo zu.

"Jetzt!"

Ich rannte in geduckter Haltung voran, während Milo auf das Fenster feuerte, aus dem zuvor auf uns geschossen worden war.

Eine zaghafte Erwiderung krachte los, aber Milo schien ziemlich genau zu zielen. Und der Killer dort oben ging lieber auf Nummer sicher.

Rechts und links neben mir kratzten die Kugeln am grauen Asphalt. Dann hechtete ich mich hinter einen Mercedes-Lieferwagen von uraltem Baujahr. Er war mindestens so ausgeschlachtet wie die Lastwagen.

Immerhin...

Ich hatte einige Meter gewonnen. Und der Eingang war jetzt in einer Entfernung, die vielleicht erreichbar war, wenn der der Kerl am Fenster mal nicht so hundertprozentig auf dem Posten war.

Ich feuerte ein paar Mal hinauf zu ihm und kauerte mich dann zum Nachladen hinter den Lieferwagen.

Milo machte mir ein Zeichen.

Alles in Ordnung.

Wieder herrschte einige Augenblicke lang diese eigenartige Ruhe vor dem Sturm. Jeder Muskel und jede Sehne meines Körpers waren angespannt.

Ich atmete tief durch und ließ den Blick die Fassaden auf der anderen Seite entlanggleiten.

Als ob ich es geahnt hätte...

An einem der Fenster bemerkte ich eine Bewegung.

Einer der Killer hatte sich offenbar auf die andere Seite begeben, um uns in aller Ruhe abschießen zu können. Ich ballerte zweimal in seine Richtung. Für den Moment schien er sich nicht aus seiner Deckung herauszutrauen.

Dafür war der Kerl mit der MPi um so aktiver. Er feuerte wild drauflos.

Ein unheimliches, zischendes Geräusch folgte, anschließend eine mörderische Hitzewelle.

Ich musste zur Seite hechten, als die Kugeln den Tank durchsiebten, der offenbar noch genug Kraftstoff enthalten hatte, um eine Explosion auszulösen.

Die Flammen schlugen hoch aus dem Lieferwagen heraus, während ich mich am Boden herumrollte und die Augen zusammenkniff. Die Hitze war furchtbar. Ich hatte das Gefühl, buchstäblich bei lebendigem Leibe geröstet zu werden.

Wieder schoss eine Flamme aus dem Lieferwagen heraus. Die wenigen Scheiben, die noch ganz waren, zerbarsten mit einem Klirren.

Der MPi-Schütze ballerte von oben in meine Richtung. Die Kugeln schlugen links und rechts von mir ein.

Es war die Hölle.

Mit einer heftigen Bewegung riss ich die Waffe hoch und feuerte zurück. Dann rappelte ich mich hoch, feuerte ein weiteres Mal dabei und hastete in Richtung des Eingangs. Ich schoss wild drauflos. Ein paar Dutzend Schritte nur trennten mich von der bröckelnden Hausfassade...

Ich setzte alles auf eine Karte. Und etwas anderes blieb mir auch gar nicht. Ich musste so schnell wie möglich aus dem Schussfeld kommen.

Ich keuchte.

Den letzten Schuss feuerte ich aus der Waffe und dann hatte ich es geschafft. Ich presste mich an die Fassade.

Der herausrieselnde graue Staub setzte sich in meinem Mantel fest. Ich atmete auf. Für den MPi-Schützen war ich jetzt unsichtbar. Der Winkel war zu spitz. Er konnte mich von oben weder sehen noch gezielt beschießen.

Bis zum Eingang hätte ich mich noch einige Meter an der Wand entlangdrücken müssen.

Aber dafür blieb keine Zeit, denn jetzt wurde von der anderen Seite geschossen.

Das war der Kerl mit der Schalldämpferwaffe und der Spiegelbrille. Jener Mann, der meinen Informanten getötet hatte. Jedenfalls schloss ich das aus der Tatsache, dass ich kein Schussgeräusch hörte. Ohne Vorwarnung drang die Kugel dicht neben mir in das poröse Mauerwerk und ließ noch mehr Putz herunterrieseln.

Meine Waffe war leergeschossen. Ich konnte nicht zurückfeuern.

Als der nächste Schuss dicht über meinen Kopf strich, stand mein Entschluss fest. Ich hechtete in das nächste Fenster hinein. Die Scheiben waren zerschlagen, aber es ragten noch scharfe Splitterstücke in die Fensteröffnung hinein. Wie Messer.

Und ich wusste nicht, was mich auf der anderen Seite, im Halbdunkel dieser verfallenen Ruine erwartete. Hart kam ich auf den Boden und rollte mich auf die Weise ab, die man mir im Nahkampftraining beigebracht hatte.

Meine Schulter schmerzte höllisch, aber ich biss die Zähne zusammen. Ich lud die Waffe in Windeseile nach. Dann sah ich das Blut an meinem Arm.

Das Glas war wie ein Messer durch meinen Mantel gefahren.

Hoffte ich.

Ich glaubte einfach nicht, dass es eine Kugel war.

Innerlich fluchte ich.

Aber ich war nicht bereit, jetzt auf diese Verletzung Rücksicht zu nehmen. Ich packte die Waffe fester und durchquerte den halbdunklen Raum.

Wenig später hatte ich die Tür erreicht und arbeitete mich durch den Flur vor. Eine Treppe führte hinauf. Der Aufzug war nur noch ein Schrotthaufen, und ich hatte keine Lust, ihn auf seine Funktionstüchtigkeit hin zu testen. Außerdem gab es vermutlich auch keinen Strom.

Vorsichtig ging ich die ersten Stufen hinauf. Das Geländer war schadhaft, der Handlauf teilweise abgebrochen.

Eine Bewegung ließ mich herumfahren, und ich sah eine riesige Ratte von einer Tür zur anderen huschen.

Nur den Bruchteil einer Sekunde später sah ich über mir etwas aufblitzen.

Das Mündungsfeuer einer MPi.

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12

Der Killer stand auf einer der oberen Treppenabsätze und ballerte in die Tiefe - auf mich.

Ich ließ mich seitwärts fallen, während die Geschosse den ohnehin morschen hölzernen Handlauf zerfrästen. Ich drückte mich an die Wand. Draußen, im Innenhof waren jetzt Polizeisirenen zu hören.

Über mir hörte ich schnelle Schritte und so wagte ich es, die Treppe hinaufzurennen. Ich nahm zwei bis drei Stufen mit einem Schritt, bis ich den fünften Stock erreichte, von wo aus der Killer mich beschossen hatte. Immer wenn ich einen Absatz erreichte, erwartete ich, von einem Bleihagel begrüßt zu werden.

Aber von dem Killer war nichts zu sehen.

Von draußen krächzte jetzt ein Megafon und forderte die Killer zum Aufgeben auf.

Milo schien die Beamten der City Police und des FBI eingewiesen zu haben.

Fieberhaft durchsuchte ich den fünften Stock. Zimmer für Zimmer. Die meisten Räume waren kahl wie ein Rohbau. Man hatte alles mitgenommen. Hin und wieder standen da noch ein paar Büromöbel und Kisten mit halbverschimmelten Papieren, aus denen sich die Ratten ihre Nester bauten.

Vielfach fehlten selbst die Türen.

Irgendwer hatte sie offenbar noch einer Verwendung zuführen können. Vielleicht auch nur als Brennholz für ein Feuer, das einem Obdachlosen die eiskalten Nächte wärmer werden ließ.

Ich fragte mich, ob sich auf der anderen Hausseite Feuerleitern befanden. Jedes Haus in New York, das noch aus dem 19. Jahrhundert stammt, besitzt sie, denn es war lange Zeit Vorschrift.

Aber wenn es hier welche gab, dann war der Kerl vielleicht schon auf und davon.

Ich arbeitete mich Raum für Raum vorwärts, trat unter einem Türsturz hindurch in ein weiteres, kahles Ex-Büro und dann...

Schon in der ersten Sekunde hatte mein Instinkt mich gewarnt.

Ich wirbelte herum und blickte auf eine Gestalt, die eine Strickmaske trug, die lediglich die Augen freiließ.

Und dann war da der kurze Lauf einer MPi, der direkt in meine Richtung zeigte.

Dann ging alles blitzschnell. Der Finger meines Gegenübers krümmte sich.

Der Druck auf den Abzug verstärkte sich und ich wusste, dass im nächsten Sekundenbruchteil die Hölle über mich hereinbrechen würde.

Ein Augenblick wie eine Ewigkeit...

Ich riss meine Waffe herum, aber zuvor hatte der Killer bereits die MPi abgedrückt.

––––––––


13

Ich erwartete das rot aus dem Lauf herauszüngelnde Mündungsfeuer der MPi...

Ich ließ mich seitwärts fallen und rollte mich auf dem Boden ab. Die Waffe meines Gegenübers machte klick. Kein Schuss löste sich. Entweder hatte das Ding eine Ladehemmung, was immer mal wieder vorkommen konnte, oder das Magazin war leer. Der Kerl stand wie erstarrt da und blickte nun in den Lauf meiner Waffe.

"Fallenlassen!", rief ich.

Er bestätigte den Eindruck, den ich von ihm hatte. Er war Profi, kein lebensmüder Wahnsinniger, dem das eigene Schicksal gleichgültig war. Und darum wusste er auch ganz genau, dass das Spiel jetzt erst einmal für ihn zu Ende war.

Er hatte verloren.

Und so ließ er die Maschinenpistole zu Boden gleiten.

"Ich bin Special Agent Jesse Trevellian vom FBI District New York", sagte ich und erhob mich. "Sie sind verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen. Falls Sie auf dieses Recht verzichten, kann alles, was Sie von nun an sagen..."

Wie automatisch betete ich diese Litanei herunter, trat auf den Kerl zu und kickte dann seine Waffe ein Stück über den Fußboden.

"Drehen Sie sich zur Wand!", forderte ich. "Die Hände nach oben und die Beine auseinander..."

Er gehorchte.

Wortlos.

Er stand da und rührte sich nicht.

Ich bemerkte die Anspannung seiner Muskeln. In dem Moment, in dem mein Instinkt mich warnte, war es bereits zu spät.

Der Karatetritt kam dann so schnell und unerwartet, dass ich nichts mehr dagegen tun konnte. Er traf mich voll am Solar Plexus und raubte mir damit eine Sekunde lang die Luft. Ich taumelte zurück, aber noch ehe ich zu Boden sacken konnte, schickte mich ein brutaler Fausthieb endgültig auf die Bretter.

Um mich herum war nur noch Dunkelheit.

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14

"Heh, aufwachen, Jesse!"

Das erste, was ich sah, war Milos Gesicht. Und ich fühlte eine Welle von Schmerz vom Kopf aus meinen gesamten Körper zu durchfluten. Der Killer hatte mich böse erwischt.

Andererseits musste ich wohl froh sein, überhaupt noch am Leben zu sein.

Mein erster Blick glitt zur Uhr an meinem Handgelenk. Ich war wirklich nur kurz weggetreten gewesen. Und das beruhigte mich.

"Wo...?", hörte mich selber ächzen.

"Die Kerle sind weg. Über die Feuerleiter, vermuten wir. Unsere Fahndung läuft auf Hochtouren, aber es gleicht der Suche nach der berühmten Stecknadel..."

"Wir waren so nahe an ihnen dran..."

Milo nickte.

"Wir kriegen sie noch", versprach er. Ich erhob mich und Milo musste mir dabei helfen. Mir war ein wenig schwindelig.

"Brauchst du einen Arzt Jesse?"

"Nein, lass nur! Alles in Ordnung!"

"Dass ich nicht lache!"

"Wirklich!"

Ich atmete tief durch und rieb mir die Schläfen. Ich hatte furchtbare Kopfschmerzen, aber dagegen würde hoffentlich ein Eisbeutel helfen.

In den leergeräumten Büros der ehemaligen Transportfirma tummelten sich jetzt Spurensicherer der Scientific Research Division, kurz SRD. Dabei handelte es sich um den zentralen Labor- und Erkennungsdienst des New York Police Departments.

Sämtliche Polizeireviere und auch der FBI-Distrikt forderten dort entsprechende Einsatzkräfte an, die sie für die Arbeit am Tatort benötigten.

Viele der Beamten kannte ich von anderen Einsätzen her.

Die Kollegen von der SRD würden sich hier sicher alle Mühe geben, aber ich bezweifelte, dass sie etwas brauchbares finden würden. Die Gegner, mit denen wir es zu tun hatten, waren peinlich darauf bedacht, Spuren zu vermeiden. Es waren emotionslose Killer, die ihren Job machten und dabei kühl kalkulierten.

So sah es jedenfalls aus.

Ich sprach einen der SRD-Kollegen an, der gerade damit beschäftigt war, Patronenhülsen sorgfältig einzusammeln.

"Können Sie mir ein Polaroid von dem Pkw machen, der draußen im Hof steht?"

"Kein Problem, Sir! Aber hier wird ohnehin alles fotografiert."

"So lange möchte ich nicht warten!"

"Verstehe..."

Er tat mir den Gefallen und knipste den Wagen der Gangster vom Fenster aus. Das Foto war kein Meisterwerk, aber man konnte es herumzeigen.

Ich ging mit Milo ins Freie.

Und von dort aus bewegten wir uns in Richtung des Strand Book Stores. Dort wimmelte es inzwischen auch von Beamten der verschiedenen New Yorker Polizeibehörden. Beamten der City Police schirmten den Tatort gegen Schaulustige ab. Spurensicherer des SRD machten genauso ihren peniblen Job, wie der Gerichtsmediziner, dessen Wagen ich in einiger Entfernung parken sah.

Vor dem Laden trafen wir Clive Caravaggio und Orry Medina.

Milo meinte: "Wie wär's, wenn du 'ne kleine Pause machst, Jesse. Ich glaube, du hast sie nötig!"

Ich achtete nicht auf die Worte meines Kollegen.

Stattdessen fragte ich: "Wer war der Tote? Der Kerl, der sich mit mir getroffen hat... Weiß man das schon?"

Clive Caravaggio nickte.

"Er heißt John Pitaschwili, ein eingebürgerter Georgier", erklärte er. "Er hatte Papiere dabei..."

"Kein Name, der mir etwas sagt", gestand ich.

"Aber Orry sagte er etwas."

"Ach!"

"Und wenn du dir die Computerausdrucke genauer angesehen hättest..."

Ich sah ihn etwas ärgerlich an. "Komm schon, Clive!", unterbrach ich ihn dann.

Der blonde Italo-Amerikaner lockerte seine Krawatte.

"Er ist zwar kein Ukrainer, wird aber mit Big Vlads Imperium in Verbindung gebracht. Früher hat er Drecksarbeit gemacht, zuletzt nur noch Sachen, die man im weißen Kragen erledigen kann."

"Geldwäsche!", schloss ich.

Clive Caravaggio nickte. "Dein Instinkt hat dich durch den Schlag, den du bekommen hast, nicht verlassen", stellte er fest. "Pitaschwili hat sein dreckiges Geld in einigen Läden an der Bowery stecken, die vermutlich einzig und allein diesem Zweck dienen..."

Ich hörte Clive nur mit einem Ohr zu, denn etwas abseits sah ich jemanden, den ich kannte.

Jemanden, den ich hier nicht erwartet hatte.

Captain Billy Dobbs vom Achtzehnten!

Er kam gerade aus dem Strand Book Store heraus und schien sich ein bisschen am Tatort umgesehen zu haben. Ich ging auf ihn zu.

Sein Kopf ruckte seitwärts, als er mich sah. Er schlug sich den Kragen seines grauen Wollmantels hoch. Sein Lächeln war gefroren, und er zeigte die Zähne dabei.

"Ah, Sie, Agent Trevellian...", murmelte er und verzog das Gesicht dabei.

"Was machen Sie hier, Captain Dobbs?", fragte ich. "An sich ist das doch nicht Ihr Fall. Das achtzehnte Revier ist zwar eines der größten in New York - aber so groß ist es nun auch wieder nicht."

"Ich war gerade in der Gegend", erklärte Dobbs kühl.

"Gerade in der Gegend? Am anderen Ende der Stadt?"

Er sah mich böse an.

"Was soll die Fragerei, Agent Trevellian? Haben Sie etwas dagegen, dass ich mich hier umsehe?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Durchaus nicht."

"Na, also!"

Dobbs blickte an meiner recht staubigen und leicht zerschlissenen Kleidung herab. "Sieht aus, als hätten Sie eine wilde Jagd hinter sich...", murmelte er dann.

Ich nickte.

"Kann man wohl sagen. Leider erfolglos."

"Haben Sie nicht den ganzen Block abriegeln lassen?"

"Schon, aber vermutlich zu spät."

"Oh..." Er zuckte die Achseln.

Ich holte meine Zigaretten aus der Manteltasche und reichte sie ihm. Er schüttelte den Kopf.

"Rauchen Sie nicht?"

"Nicht diese Sorte!"

"Verstehe..."

Ich nahm mir selbst eine und steckte sie mir an.

Dann sagte ich: "Sagt Ihnen der Name Pitaschwili etwas? John Pitaschwili?"

In Dobbs' Gesicht zuckte es.

"So heißt der Tote, das habe ich mitbekommen. Ist das vielleicht der Pitaschwili, der diese Schmuddelschuppen auf der Bowery betreibt? Belle de Jour heißt einer dieser Läden, glaube ich."

"Schon möglich." Ich pfiff durch die Zähne. "Sie scheinen sich auszukennen..."

"Ich lebe in dieser Stadt."

"Das tue ich auch."

"Ich weine dem Kerl und seinem Gorilla jedenfalls keine Träne nach."

"Ach, nein?"

"Er war Abschaum."

"Klingt, als wären Sie nicht gerade ein Freund von Pitaschwili gewesen, Captain Dobbs!", stellte ich fest.

Er atmete tief durch.

Dann streckte er mir seinen Zeigefinger entgegen wie eine Waffe.

"Hören Sie, Agent Trevellian, ich habe nichts gegen nackte Mädchen, die auf Tischen tanzen, auch beinahe nichts gegen Leute, die ihre Kundschaft so viel Geld für ein Glas Champagner abknöpfen, dass man glauben könnte, dass es sich bei den Blasen, die darin aufsteigen, um Goldstaub handelt. Aber ich habe etwas gegen weiße Kragen-Verbrecher, wie Pitaschwili, der die Drecksarbeit von anderen machen lässt und an den nie jemand herangekommen ist... Er war ein Geldwäscher und bis er dort war, wo er jetzt ist, hat er so manche über die Klinge springen lassen." Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als er fortfuhr. "Wussten Sie, dass er zu Shokolevs Syndikat gehörte?"

Meine Erwiderung war kühl und sachlich.

"Es wundert mich, dass Sie das wissen", stellte ich fest.

Ich wandte mich halb herum, um in den Book Store zu gehen.

Ich wollte mich noch einmal etwas am Tatort umsehen und mich etwas mit den SRD-Leuten unterhalten. Vielleicht gab es ja irgend eine interessante Einzelheit.

Aber Dobbs' Stimme hielt mich zurück.

"Agent Trevellian..."

"Ja?"

"Haben Sie..."

Er sah mich nicht an bei diesen Worten. Und plötzlich stockte er. Auf seiner Stirn bildete sich eine Falte.

"Was?", hakte ich nach.

"Haben Sie einen der Kerle erkannt, die dieses Blutbad angerichtet haben? Ein Gesicht oder so etwas?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Leider nein". erwiderte ich dann.

"Schade."

"Allerdings."

Dobbs grinste zynisch. "Ich meine, so werden wir dem, der diese Ratte namens Pitaschwili umgenietet hat, niemals einen Orden verleihen können!"

Ich sandte Dobbs einen eisigen Blick zu.

"Ich finde das nicht witzig, Captain Dobbs! Unsere Aufgabe ist es, Verbrechen aufzuklären. Das gilt für alle Cops. Und spielt es überhaupt keine Rolle, ob das Opfer selbst ein Gangster war."

Sein Gesicht war jetzt eine Maske.

"Vielleicht fehlt Ihnen einfach der Humor, Agent Trevellian!"

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15

Jahrzehntelang war die Bowery eine der berüchtigsten Straßen New Yorks gewesen. Ein Symbol des sozialen Abstiegs. Obdachlose, Bars und billigste Absteigen hatten das Gesicht dieser Straße der Sünde geprägt.

Inzwischen hatte sich einiges geändert. Zwar hatte die Bowery noch immer ihren über die Stadtgrenzen hinweg bekannten schlechten Ruf, aber inzwischen wurde das Straßenbild längst mehr durch Restaurants und Apartmenthäuser als durch Bars und Bordelle geprägt. Von der Sünde war nur ein Hauch geblieben. Und zu diesem Hauch gehörte das Belle de Jour - Pitaschwilis Laden.

Genau genommen hatte das zweifelhafte Etablissement nicht John Pitaschwili allein gehört. Miteigentümer war ein Jamaikaner namens Marvin Kingsroad. Ein Drogen-Tycoon, der zur Zeit wegen diverser Anklagen vor Gericht stand.

Es war später Nachmittag, als Milo und ich das Bell de Jour erreichten.

Natürlich war noch nichts los.

Lieferanten parkten im Halteverbot. Getränke wurden ausgeladen. Mit den Kistenträgern gelangten wir in den Schankraum. Ein Elektriker stand auf einer hohen Leiter und bastelte an dem ultramodernen Laserlicht herum.

Und auf der Bühne bereiteten sich ein paar kurvenreiche Girls auf ihren mehr oder minder textilfreien Auftritt am Abend vor. Sie lockerten schon mal ihre beweglichen Körperteile.

"Heh, ihr da! Raus!"

Der Kerl, der uns auf diese Weise anschnauzte war mindestens zwei Köpfe größer als ich und so breit wie ein Kleiderschrank. Seine platte Nase und die langgezogene Narbe, die von der Schläfe bis zum rechten Nasenflügel führte, gaben ihm ein geradezu brutales Aussehen.

Eine ehemalige Messerwunde, so vermutete ich.

Der Kerl kam auf uns zu und baute sich breitbeinig auf. Er war zweifellos der Rausschmeißer, hatte aber wohl geglaubt, dass es zu dieser frühen Stunde nichts rauszuschmeißen gab...

Er bleckte die Zähne.

Die obere Reihe bestand komplett aus Edelmetall.

Als wir ihm beinahe im selben Moment unsere Dienstausweise unter die Nase hielten, erschlaffte seine Gesichtsmuskulatur von einer Sekunde zur anderen.

Er sah jetzt ziemlich blöd aus.

"Zwei G-men?", knurrte er und klang dabei schon viel kleinlauter. "Wollen Sie hier die Kundschaft vertreiben?"

"Ich sehe noch keine Kundschaft!"

"Mann, es geht hier in einer Stunde los, was glauben Sie, was da alles noch zu tun ist!"

"Für Sie immer noch Mr. Trevellian!"

Er fletschte seine Metallzähne. "Mister Trevellian!", presste der Eisenbeißer dann hervor. "Wenn Sie uns irgendetwas anhängen wollen, dann..."

"Wie heißen Sie?"

"Randy. Mick Randy. Und da ihr Brüder das sowieso in euren verdammten Computern drin habt: Ich bin mal wegen Körperverletzung verurteilt worden..."

"Es geht um Ihren Boss", mischte sich jetzt Milo ein.

Mick Randy blickte kurz zu meinem Freund hinüber. Auf der Stirn des Eisenbeißers erschienen jetzt ein paar Falten. "Mr. Kingsroad?"

Milo sagte: "Wir sprechen von Pitaschwili."

"Ach so..."

"Er ist im Strand Book Shop von einem Killerkommando erschossen worden. Dasselbe gilt für seinen Leibwächter Harry Jiminez."

Der Eisenbeißer wurde bleich. Der Kinnladen klappte ihm herunter.

Ich studierte aufmerksam sein Gesicht und ergänzte dann: "Wir suchen Pitaschwilis Mörder. Ist Mr. Kingsroad da?"

"Lesen Sie eigentlich keine Zeitung, Mister Trevellian?" Mick Randy lachte heiser. Der Elektriker hatte indessen das Laserlicht für einige Momente probeweise eingeschaltet. Es ließ Randys Metallzähne eigentümlich blitzen. Als das Flimmerlicht dann wieder abgeschaltet war, sah Randy auf die goldene Rolex an seinem Handgelenk. "Mr. Kingsroad steht in diesem Moment noch vor dem Richter..."

"Davon habe ich gehört. Die Kollegen der DEA scheinen gute Ermittlungsarbeit geleistet zu haben."

"Aber Mr. Kingsroads Anwälte sind auch nicht zu verachten..."

"Was Sie nicht sagen."

"Wollen Sie sich die Live-Übertragung im Fernsehen ansehen?

Direkt aus dem Gerichtshof!"

"Danke!"

Indessen war eines der Girls an uns herangetreten. Eine hübsche Dunkelhaarige. Sie trug nichts weiter als einen knappen Body, der jedes Detail ihrer aufregenden Figur hervorragend zu Geltung brachte. Offenbar hatte sie uns zugehört.

"Warum sagst du ihm nichts, Mick?"

"Halt's Maul, Miranda!"

"Aber..."

"Ich habe gesagt: Halt's Maul! Scher dich zum Teufel!", schnauzte Mick Randy.

"Vielleicht werde ich mich mit Ihnen besser unterhalten, wenn Mister Randy nicht dabei ist, Ma'am", erklärte ich mit einem eisigen Blick, den ich dem Eisenbeißer zuwandte.

Ich sah, wie sich dessen Unterarmmuskeln anspannten.

Und ich war mir ziemlich sicher: Wenn ich nicht ein G-man gewesen wäre, hätte ich eine Sekunde später seine Faust im Gesicht gehabt.

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16

Ich setzte mich mit Miranda an einen der runden Tische. Milo ging derweil mit Mick Randy zur Theke. Der Eisenbeißer blickte immer wieder nervös zu Miranda hinüber. "Überleg dir, was du quatscht!", rief er zu ihr hinüber. "Sonst kannst du sehen, wo du in Zukunft mit deinem Hintern herumwackeln kannst!"

"Das kann ich überall!", schrillte sie zurück. "Der ist nämlich hübsch genug!"

"Pass auf, dass es so bleibt!"

"Willst du mir etwa drohen? Mick, du bist doch ein Holzkopf, sie werden euch einen nach dem anderen über den Jordan schicken und..."

"Halt's Maul!", rief Mick.

Und Milo meinte: "Vielleicht ist es besser wir gehen in einen Nebenraum, Mr. Randy."

Der Eisenbeißer knurrte etwas Unverständliches vor sich hin. Und als Milo ihn am Oberarm fasste, riss er sich mit einem Ruck los.

Dann verschwand Milo mit Randy durch eine Nebentür.

Miranda und ich hatten etwas Ruhe.

"Einen Drink, Mister..."

"Nennen Sie mich Jesse."

"Wie wär's?"

"Ich will Ihren Ärger nicht vergrößern, Miranda!"

"Welchen Ärger! Wenn das so weitergeht, bin ich sowieso bald weg - Vertrag hin oder her! Schließlich habe ich keine Lust, mich in die Nähe von jemandem zu stellen, der von irgendwem als Zielscheibe auserkoren wurde..."

Sie holte mitten im Satz Luft. Ihre großen Brüste hoben sich dabei. Mir gab das Gelegenheit, etwas einzuwerfen.

"Nun mal der Reihe nach", nutzte ich meine Chance. "Wer sind die, von denen Sie gerade gesprochen haben..."

"Also..."

Sie verlor einen Gutteil ihrer frischen Gesichtsfarbe.

Jetzt war sie verwirrt. Und etwas unschlüssig darüber, wie viel sie mir sagen sollte.

"Wie gut kannten Sie Pitaschwili?"

Sie wurde rot.

"Ziemlich gut. Hören Sie, ich arbeite schon eine ganze Weile hier und..."

Sie brach ab.

Ich hob die Augenbrauen.

Sie seufzte hörbar. Dann sagte sie: "Ich habe in letzter Zeit ziemlich oft mit John geschlafen - wenn das Ihre Frage beantwortet, Jesse!"

"Das tut es", nickte ich.

"Ganz gleich, was andere über ihn sagen mögen, er war ein netter Kerl."

Zu dir vielleicht, Miranda!, erwiderte ich in Gedanken. Zu anderen war er dafür um so härter. Aber ich verkniff mir eine Bemerkung in dieser Richtung.

Ich wollte Pitaschwilis Mörder.

"Vor wem hatte er Angst?", fragte ich.

"Vor diesem geheimnisvollen Syndikat, dessen Killer mit dem Drahtbesen durch New York räumen... Ich soll nicht darüber reden, aber heute morgen hat jemand auf ihn geschossen und ihn nur knapp verfehlt."

"Wo war das?"

"Hier, direkt vor der Tür. Seine Leute haben alles mühsam wieder verkleistert, damit man an der Wand kein Loch sieht.

Schreckt die Gäste ab... Vermutlich steckt die Kugel noch im Putz!"

Ich begriff. Pitaschwili hatte deswegen also diese Höllenangst gehabt und sich mit mir treffen wollen.

"Hatte er irgendwen in Verdacht?"

"Sie meinen, wer die Drahtzieher dieses unbekannten Syndikats sind? Nein. Er konnte sich einfach keinen Reim auf die Sache machen."

Ich hob die Augenbrauen. "Und Sie?"

"Ich?"

"Haben Sie eine Meinung dazu, Miranda?"

Sie atmete tief durch und nickte dann. "Ich glaube, die Hexe steckt hinter Pitaschwilis Tod!"

"Wer soll das sein?"

"Die Frau von Big Vlad!"

"Jelena!"

Miranda nickte. "Ja. John nannte sie manchmal so. Er konnte sie nicht leiden und sie ihn nicht!"

"Wussten Sie, was Pitaschwili im Strand Book Store wollte?"

"Sich mit Ihnen treffen, Jesse!"

"Er erwähnte meinen Namen?"

"Ja."

"Wer wusste noch von dem Treffen?"

"Mit Sicherheit Mick Randy."

Ich erinnerte mich daran, dass Pitaschwili mir den Kopf der Witwe versprochen hatte. "Ihr Freund hat mir gegenüber den Eindruck gemacht, als wüsste er, wer Shokolev getötet hätte!"

Sie legte ihre Hand auf die meine. Sie beugte sich dabei etwas vor und gestattete mir einen tiefen Einblick in ihr wohlgefülltes Dekolletee. Ihre Augen waren dunkelbraun. Ihr Blick war geradezu beschwörend.

"Diese Hexe war es, die es auf ihn abgesehen hatte! Ich hatte es ja schon länger geahnt, dass er sich vor der in Acht nehmen muss, wenn Big Vlad mal nicht mehr sein sollte. Und John war schließlich überzeugt davon, nachdem er heute Morgen von diesem Treffen zurückkam und erfahren musste, dass die Witwe Big Vlads Geschäfte weiterführen will. Und nicht nur das! Sie scheint auf Angriff aus zu sein!"

"Das ist unlogisch", sagte ich. "Pitaschwili war doch einer von Big Vlads Männern. Wenn Jelena expandieren wollte, hätte er doch davon profitiert! Und weshalb hätte die Witwe einen Killer auf ihn loslassen sollen?"

Sie bedeutete mir, mich etwas vorzubeugen. Ihr Blick glitt angstvoll durch das Belle de Jour. Fast so, als musste sie sich noch einmal vergewissern, dass wirklich niemand außer mir ihre Worte hörte. Und dann wisperte sie mir leise zu: "Wenn man mit jemandem das Bett teilt, kriegt man alles mögliche mit. Auch Dinge, die man vielleicht besser nicht erfahren sollte..."

"Und was haben Sie über Pitaschwili herausgefunden?"

"Dass er ganz offensichtlich Big Vlad betrogen hat. Er hat in die eigene Tasche gewirtschaftet. Und der alte Löwe ist in letzter Zeit wohl etwas unaufmerksam geworden und schielte nur nach den Röcken..."

"Und Sie meinen, Jelena hat das herausgefunden?"

"Natürlich! Jedenfalls denke ich das!"

"Verstehe... Vielleicht brauche ich jetzt doch noch einen Drink."

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17

Ich ging mit Miranda hinaus auf die Straße, nachdem sie sich etwas mehr angezogen hatte. Schließlich war es ein lausig kalter Tag.

"Es war heute Morgen, so gegen 8 Uhr. John wollte in den Wagen steigen. Ich habe vom Fenster aus dem dritten Stock aus zugesehen. Dort habe ich mein Zimmer... Ein Wagen fuhr sehr langsam heran."

"Was für ein Typ?"

"Mein Gott, da kenne ich mich nicht so aus. Er war fast weiß. Champagnerfarben. Fragen Sie mich nicht nach der Nummer!"

Ich zeigte ihr das Polaroid von dem Wagen der Killer, die Pitaschwili auf dem Gewissen hatten.

Sie sah es sich genau an.

Dann nickte sie.

"Der könnte es gewesen sein", bestätigte sie. "Aber sicher bin ich nicht..."

Aussagen von diesem Präzisionsgrad waren nicht gerade, was ein Ermittler sich wünschte. Aber es gibt schlimmere Dinge, mit denen man in unserem Job leben muss.

Immerhin konnte ich die Kugeln aus der Mauer kratzen.

Das Kaliber kam hin. Vielleicht waren das die Leute, die wir suchten.

Ich sah sie an. Sie zitterte leicht. Vor Kälte, wie ich annahm.

"Ist noch was?", fragte sie.

"John Pitaschwili scheint ein sehr gut informierter Mann gewesen zu sein."

Sie hob die dunkel nachgezogenen Augenbrauen, die ihre braunen Augen gut zu Geltung brachten. "Offenbar wusste er nicht genug", meinte sie dann. "Sonst würde er jetzt noch leben."

"Woher kann er meinen Namen haben?"

"Sie sind doch der New Yorker Cop. Natürlich hat er von Ihnen gehört, so wie Sie auch schon von Big Vlad gehört hatten, bevor er eine Leiche war..."

"Das meinte ich nicht."

"Ich weiß."Ihr Tonfall war jetzt gedämpft. Sie lächelte auf eine Weise, von der man nicht genau wusste, ob sie geschäftsmäßig oder ehrlich war. Eine Mischung aus beidem.

Man konnte es sich sozusagen aussuchen. "John hat einen Spion in Jelenas unmittelbarer Nähe."

"Wissen Sie, wer das ist?"

"Nein. Aber von ihm wusste er, dass Sie an dem Fall Shokolev dran sind."

Bevor wir wieder ins Belle de Jour gingen, hielt sie mich am Arm. Sie sah mich ernst an.

"Sie kriegen sie, nicht wahr? Die Hexe..."

"Wenn sie wirklich etwas damit zu tun hat, ja!", versicherte ich ihr.

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18

Eine halbe Stunde später saßen Milo und ich wieder im Sportwagen. Wir waren auf dem Weg zurück ins Hauptquartier des FBI-Districts an der Federal Plaza. Die Patronen, die ich aus der Außenwand des Belle de Jour gekratzt hatte, mussten ins Labor. Ich hoffte, dass uns die kleinen Bleifetzen etwas weiterbrachten.

Außer Mick Randy und der schönen Miranda hatten wir auch noch einige andere Angehörige des Bell de Jour-Personals befragt. Alles in allem hatten unsere Ermittlungen folgenden Ablauf an diesem für John Pitaschwili verhängnisvollen Morgen ergeben.

Gegen acht Uhr war er nur knapp einem Attentat entgangen.

Da hatte er noch an jenen geheimnisvollen Unbekannten geglaubt. Ein mysteriöses neues Syndikat, das die alte Riege in die Pension städtischer Friedhöfe schickte. Einen nach dem anderen.

Und dann hatte es das Treffen bei Jelena Shokolev gegeben, auf dem die schöne Witwe der versammelten Gangster-Mannschaft wohl wieder erwarten angekündigt hatte, die Geschäfte weiterführen zu wollen.

Da war es wohl auch zu Unstimmigkeiten zwischen Pitaschwili und der neuen Gangster-Queen gekommen.

Jedenfalls waren daraufhin bei Pitaschwili alle Alarmglocken auf einmal in Betrieb gegangen.

Vielleicht gab diesen geheimnisvollen Unbekannten gar ja nicht und in Wahrheit steckte Jelena hinter den Morden und dem Attentat auf Pitaschwili. Das musste auch eine Möglichkeit gewesen sein, die Pitaschwili durch den Kopf gegangen war.

Und diese Möglichkeit war für Pitaschwili noch bedrohlicher.

Egal ob die schöne Jelena nun selbst als Todesgöttin im Hintergrund fungierte, um ihre Position zu sichern, oder ein unbekanntes Syndikat auf der Bildfläche erschien für Pitaschwili wurde es lebensgefährlich. Und so hatte er die Flucht nach vorn angetreten.

Mit einem Anruf beim FBI.

Er war klug genug, um zu wissen, dass er es mit einem Gegner, vor dem selbst Big Vlad die Pfoten hatte strecken müssen, kaum aufnehmen konnte.

Pitaschwili hatte einfach vorausgesetzt, dass Jelena von seinen Unterschlagungen schon wusste.

"Glaubst du, sie hat sich gleich die erste Nacht nach Shokolevs Tod damit um die Ohren gehauen, Berge von Finanzakten zu wälzen?", meinte ich zu diesem Punkt zweifelnd.

Milo zuckte die Achseln.

"Dafür wird sie ihre Leute haben. Außerdem muß so ein Coup generalstabsmäßig vorbereitet werden. Es reicht nicht, ein paar Killer zu bezahlen und den großen Boss hinwegzupusten.

Man muss genau wissen, wie es dann weitergehen soll, wer Freund ist und wen man so schnell wie möglich abschießen muss..."

"Eins zu null für dich", gab ich zu.

Milo sagte: "Das ganze könnte also ein lang vorbereiteter Plan gewesen sein."

"Sowohl Shokolevs Tod, wie auch alles andere."

"Ja."

"Klingt logisch!", musste ich eingestehen.

"Komplimente höre ich immer gerne!", erwiderte Milo lachend.

"Da ist nur ein Haken", wandte ich ein.

"Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein!" Milo sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an während vor uns der riesige Komplex auftauchte, in dem das FBI-Headquarter untergebracht war. "Wo ist der Haken?"

"Wenn ich Jelena gewesen wäre und den Plan gehabt hätte, alles zu übernehmen, dann hätte ich mit Shokolev angefangen."

"Vielleicht gab es einen Grund dafür, dass die beiden anderen zuerst sterben mussten."

"Und welchen?"

Milo zuckte die Achseln. "Vielleicht waren sie erst Komplizen der Witwe, haben es sich dann aber dann aber anders überlegt und kalte Füße bekommen. Schließlich ist mit Big Vlad nicht zu spaßen gewesen."

"Etwas weit hergeholt, finde ich."

"Du glaubst noch immer nicht, dass es die schöne Witwe war, was?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein."

"Sie hat großen Eindruck auf dich gemacht, oder?"

Ich sah ihn kurz an.

"Quatsch!"

"Ich habe nur laut gedacht, Jesse!"

"Du machst dir umsonst Sorgen!"

Milo grinste. "Beruhigend zu wissen, dass du einen Eiszapfen noch von einer Frau unterscheiden kannst!"

"Es erscheint mir nur einfach nicht logisch, dass sie die Auftraggeberin dieser Mordwelle war."

––––––––


19

Es war ein eiskalter, aber sonniger Morgen. Der Mond stand immer noch als weiße Sichel am klaren Himmel, während sich sich die Journalisten und Kameraleute vor den Stufen des Gerichtsgebäudes die Füße platt traten. Nervös verlagerten sie das Gewicht von einem Bein auf das andere und warteten auf den großen Augenblick.

Den Augenblick, an dem sie den Photoshoot des Tages oder vielleicht sogar ein Mini-Interview machen konnten.

Und dann war es soweit.

Inmitten einer riesigen Menschenmenge, stolzierte Marvin Kingsroad die Stufen des Portals hinab.

Als freier Mann. Ganz offensichtlich.

So, wie es alle erwartet und viele befürchtet hatten. Ein Mann, der jahrelang als Drogendealer gegolten hatte und dem mehrere Auftragsmorde an Konkurrenten zur Last gelegt worden war. Natürlich auch Steuerhinterziehung, Bestechung von Beamten verschiedener städtischer Behörden inklusive des New York Police Departments und so weiter und so fort. Die Anklageschrift hatte einen größeren Umfang gehabt als so manche Gemeindebibliothek.

Aber nach und nach war alles in sich zusammengefallen. Ein unerfahrener Staatsanwalt hatte ein übriges dazu getan.

Zeugen hatten plötzlich kalte Füße gekriegt oder waren von Kingsroads hungriger Anwaltsmeute als völlig unglaubwürdig hingestellt worden.

Jetzt war der Freispruch also perfekt.

Er war einfach nicht zu verhindern gewesen und es gab viele in New York, die das zutiefst bedauerten. Niemand zweifelte daran, dass Kingsroad nichts anderes tun würde, als mit seinen üblen Geschäften fortzufahren. Und es gab nichts, was das Gesetz im Moment dagegen tun konnte.

Zwar war es kein Freispruch erster Klasse, sondern nur einer aus Mangel an Beweisen, aber Kingsroad war das egal.

Der gebürtige Jamaikaner stand wie ein antiker Triumphator auf den Stufen des Portals und grinste mit seinen makellosen Zähnen in die Kameras. Den Cashmere-Mantel trug er offen.

Darunter wurde das Armani-Jackett sichtbar. Am Handgelenk glitzerte die goldene Rolex.

Ein dicker Schopf aus Rasta-Locken fiel ihm bis auf die breiten Schultern. Dort wurde er durch ein Seidenband zusammengehalten.

Rechts und links gingen seine baumlangen Gorillas. Das Heer seiner Anwälte folgte ihm auf den Fuß.

An Kingsroads Arm hing eine Mulattin mit rotgefärbten Haaren und kurvenreicher Figur. Das Strickleid, das sie trug, war sicher eine Nummer zu klein, stand ihr aber genau deswegen besonders gut. Bei dem Pelz, den sie trug, handelte es sich um echten Hermelin. Das entsprach zwar nicht ganz der Welle der sogenannten politischen Korrektheit, die das liberale New York genauso heimsuchte wie den Rest der Staaten, aber das kümmerte weder die kurvenreiche Rothaarige noch den Mann, der ihr diesen Pelz finanziert hatte.

Marvin Kingsroad.

Er zeigte der Journaille sein Tigerlächeln.

Seine Gorillas schubsten einige der Reporter ein Stück zur Seite.

"Mr. Kingsroad gibt keine Kommentare!", brüllte einer von ihnen zwischen seinen Zähnen hindurch. Aber das wollte keiner der Wartenden glauben.

Als Kingsroad den Fuß der Treppe erreicht hatte, drehte er sich zum Schrecken seiner Sicherheitsleute nochmal um. Er hob die Hand, aber es wurde nicht ruhiger.

Er wartete gelassen.

"Mr. Kingsroad, meinen Sie, dass mit diesem Urteil der Gerechtigkeit Genüge getan wurde?", erkundigte sich eine Reporterin mit einem Gesicht, das ein bisschen zu angestrengt wirkte, um noch richtig hübsch sein zu können.

"Seit heute glaube ich wieder an den Rechtstaat, Ma'am!", erklärte er.

Seine Stimme war scharf und ätzend.

Sein Tonfall war zynisch.

Irgendwo unter den Dutzenden von Menschen, die sich um Marvin Kingsroad drängten befand sich ein untersetzter Mann mit dunklen Haaren.

"Abschaum", flüsterte er vor sich hin und seine Lippen bebten vor Wut und Hass. "Dieser Mann ist Abschaum, nichts als eine Ratte, die man zerquetschen sollte..."

In seinen Augen flackerte es.

Der Griff seiner Hand ging in die tiefe Tasche seines weiten Mantels.

Er fühlte etwas Kaltes, Metallenes.

Eine Pistole!

Jetzt noch nicht!, sagte er sich. Es kommt eine günstigere Gelegenheit...

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20

"Sie sind leichtsinnig, Boss!", meinte einer der Leibwächter, nachdem Kingsroad sich mit der rothaarigen Schönen auf der breiten Rückbank seines Rolls Royce niedergelassen hatte.

"Denken Sie an den armen Pitaschwili!"

Kingsroad lachte schallend.

"Der arme Pitaschwili war ein Narr, Cal! Merken Sie sich das."

Cal zuckte die Schultern und überprüfte den Sitz seines Revolvers. Aus einem Fach, das sich unter seiner Sitzbank befand, holte er dann eine kurzläufige Maschinenpistole heraus und lud die Waffe durch.

Jetzt meldete sich die Rotgefärbte zu Wort.

"Cal hat recht, Marvin! Das eben war leichtsinnig!"

"Baby, davon verstehst du nichts!"

"Ach!"

"Niemand würde so dreist sein, mich auf den Stufen des Gerichtsgebäudes abzuknallen - vor den Augen der Kameras!"

Sie zog einen Schmollmund.

Den musste sie oft geübt haben. Sie machte das perfekt.

Und dann sagte sie schneidend: "Es hätte auch niemand geglaubt, dass jemand so dreist sein könnte, Big Vlad Shokolev über den Jordan zu schicken!"

Er sah sie an.

Da war leider etwas dran, obwohl der Mann mit der Rasta-Mähne ihr ungern recht gab.

Ein Schatten fiel über über sein triumphierendes, siegessicheres Gesicht.

Dann blickte er seitwärts.

Er sah eine gute Bekannte auf den Rolls zugehen. Jelena Shokolev in Begleitung ihrer Leibwächter. Kingsroad hatte sie bereits im Gerichtssaal bemerkt.

"Nanu!", meinte er. "Die Lady scheint was von mir zu wollen!"

Summend ließ er das Fenster heruntergleiten.

Die Shokolev neigte sich hinunter. Ein verheißungsvolles Lächeln stand in ihrem hübschen Gesicht. Ihre Augen blitzten herausfordernd.

"Ich möchte Ihnen gratulieren, Marvin!"

"Danke, danke!"

"Ich habe Sie immer bewundert!"

"Ach, ja?"

"Sie sind einer der Größten Ihrer Branche."

Er lachte rau. "Zumindest hier im Big Apple!"

"Wir müssen uns unbedingt treffen, Marvin! Schließlich müssen wir besprechen, auf welche Weise die Geschäfte weiterlaufen sollen... Jetzt, nach Pitaschwilis Hinscheiden!"

"Okay", nickte Kingsroad. "Ein Treffen wäre nicht schlecht..."

"Ich habe einen Tisch im Antonio's reserviert. Ein Gourmet-Tempel in Little Italy..."

"Warum nicht?"

Sie warf ihm eine Kusshand zu und wirkte dabei wie eine billige Bordsteinschwalbe. Kingsroad schien das nicht zu stören. Im Gegenteil. Sein Gesichtsausdruck hatte in dieser Sekunde beinahe etwas Weiches.

"Heute Abend um acht?", säuselte sie.

"In Ordnung!"

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21

"Die Witwe wird rund um die Uhr beschattet", erklärte Mr. McKee, während er an seinem Kaffeebecher nippte. "Sie kann ihre Festung in Paterson nicht verlassen, ohne dass sich einer unserer Leute an ihre Fersen heftet und sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Selbst wenn uns das in diesem Fall nicht weiterbringen sollte, bringt es doch nebenbei eine Reihe interessanter Erkenntnisse..."

Ich nickte. Milo und ich hatten unserem Chef einen kleinen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen geliefert.

"Mit Marvin Kingsroad hätten wir uns auch ganz gerne unterhalten", ergänzte Milo meine Ausführungen. "Aber der ist ja heute morgen wieder auf freien Fuß gekommen. Außerdem lässt sich das ja nachholen..."

Allerdings war fraglich, in wie weit das etwas bringen würde.

Mr. McKee sagte dann: "Ich habe übrigens schlechte Nachrichten von der SRD."

"Geht es um das Kaliber der Waffe, mit dem Pitaschwili erschossen wurde?", fragte ich.

"Die Kollegen vom Erkennungsdienst haben jede Menge Geschosse einsammeln müssen und einige stammten tatsächlich aus jener Waffe, mit der auch Shokolev umgekommen ist."

"Und die, die in Pitaschwilis Körper steckte?"

"Die auch." Mr. McKee schlug die Jacke zur Seite und steckte die Hand in die Hosentasche. "Auf einigen der Patronenhülsen waren Fingerabdrücke. Die Kollegen haben sie uns Online übermittelt."

"Dann waren sie also doch nicht solche Vollprofis, wie wir bisher geglaubt haben!", mischte sich Milo ein. Es war schon eine Ironie. Da bemühten diese Kerle sich peinlich genau, keinerlei Spuren zu hinterlassen. Und dann hatten sie ihre Waffen mit bloßen Händen geladen und dabei die Hülsen angefasst. Aber vermutlich waren sie auch nicht darauf eingestellt gewesen, sich mit ein paar G-men eine wilde Schießerei zu liefern.

"Sie sagen das, als ob es ein Problem dabei geben würde, Sir!", sagte ich.

Mr. McKee nickte.

"Die Routineabfrage per Computer war ergebnislos."

"Das bedeutet, dass die Männer, die wir suchen, bislang noch nie kriminell in Erscheinung getreten sind", stellte ich fest. Keine Verhaftung, kein Gerichtsverfahren...

"Klingt äußerst unwahrscheinlich, nicht wahr, Jesse?", erriet Mr. McKee meine Gedanken.

Ich nickte.

"Kann mal wohl sagen."

Die meisten fingen schließlich irgendwo klein an. Und wenn die Kerle, die sich mit uns eine Schießerei geliefert hatten, irgendwann einmal wegen eines kleineren Deliktes inhaftiert worden waren, wären Fingerabdrücke von ihnen genommen worden.

Eine halbe Stunde später saßen Milo und ich in unserem gemeinsamen Büro. Der Kaffee, den ich trank, kam nur aus dem Automaten und war mit Mandys Gebräu nicht zu vergleichen. Ich saß da und stierte auf den Computerbildschirm auf meinem Schreibtisch.

Ich ließ mir die Fingerabdrücke zeigen, die auf den Patronenhülsen gefunden worden waren. Täglich werden in den USA ungefähr 30.000 Fingerabdrücke der zentralen Kartei des FBI-Hauptquartiers in Washington angefügt. Insgesamt sind dort inzwischen Fingerabdrücke von mehr als 250 Millionen Menschen gespeichert. Die Hälfte davon stammt von Kriminellen, die erkennungsdienstlich behandelt wurden. Die andere Hälfte von registrierten Beamten und Angehörigen der US-Bundesbehörden sowie der Streitkräfte. Dazu kamen noch Leute, die sich dort um einen Arbeitsplatz beworben hatten, aber abgelehnt worden waren. Außerdem gab es noch Prints aller Einwanderer. Das Computerprogramm zum automatischen lesen der Abdrücke trug die Bezeichnung AIDS, was in diesem Fall die Abkürzung für Automated Identification Division System war. Es war kinderleicht. Man gab eine passende Rubrik an, zum Beispiel " Criminal", und dann suchte AIDS online und innerhalb von Sekunden nach demjenigen, zu dem die Abdrücke gehörten... Ich startete sicherheitshalber erneut eine Abfrage. Milo bedachte mich mit einem stirnrunzelnden Blick.

"Traust du den Kollegen nicht?", grinste er.

In der Rubrik Criminal - Krimineller - war tatsächlich nichts zu holen. Vermutlich haben die Kollegen nur in dieser Rubrik abgefragt! ging es mir durch den Kopf. Und das ergab auch Sinn! Ich ging per Mausklick in die anderen Rubriken. Es war lediglich ein Griff nach dem Strohhalm. Vielleicht waren die Kerle in der Army gewesen oder...

Im Polizeidienst!

"Sieh an", sagte ich, als die Daten endlich auf dem Schirm erschienen.

Der Mann, von dem die Fingerabdrücke stammten, hieß Chuck Belmont, 37 Jahre alt, hochgewachsen und blond.

Zunächst war er bei den Marines gewesen, danach im Polizeidienst. In Jersey City war er in verschiedenen Abteilungen der Kriminalpolizei gewesen. Einige Jahre in der Drogenfahndung, dann bei den Ermittler der Mordkommission. Er hatte einige Disziplinarverfahren hinter sich und war schließlich im Rang eines Lieutenants aus dem Dienst entlassen worden. In den Disziplinarverfahren ging es immer wieder um Misshandlung von Verdächtigen.

Für ein Gerichtsverfahren hatten die Vorwürfe offenbar nie ausgereicht. Jedenfalls war es nicht dazu gekommen. Daher war er auch nicht in der Rubrik Criminal zu finden gewesen.

Wie auch immer: Belmont war von seinen Vorgesetzten offenbar als untragbar angesehen und entlassen worden.

"Ich frage mich, was der heute treibt", meinte Milo, der über meine Schulter hinweg mitgelesen hatte.

Leider war das Bild, das bei den Daten war, wohl nicht mehr auf dem neuesten Stand. Aber eine gewisse Ähnlichkeit mit den Phantombildern war nicht zu leugnen...

Ich versuchte mich an Einzelheiten im Gesicht des Mannes mit der Spiegelbrille zu erinnern, der Pitaschwili umgelegt hatte.

Ich gab es wieder auf.

Es war zwecklos.

"Wir müssen alles zusammentragen, was wir über den Kerl herauskriegen können!", meinte Milo. "An erster Stelle wären da wohl das Jersey Police Department und das Marine Corps zu nennen!"

Ich nickte.

Das allerwichtigste war jedoch, Belmonts aktuellen Aufenthaltsort herauszufinden. Und das konnte wie die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen aussehen...

"Ich frage mich, für wen dieser Belmont jetzt arbeitet", murmelte ich zwischen den Zähnen hindurch.

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22

Milo und ich machten uns auf den Weg auf die andere Seite des Hudson. Wir nahmen den Holland Tunnel und dann ging es nach Süden. Es war ein Katzensprung bis Jersey City, von wo aus man mitunter einen schönen Ausblick auf die Freiheitsstatue und die Skyline von Lower Manhattan mit seiner imposanten Wolkenkratzer-Architektur hatte.

Belmonts Entlassung war zwei Jahre her.

Wir sprachen mit Captain George F. Manzoni, seinem direkten Vorgesetzten. Er empfing uns in seinem Büro. Auf dem Schreibtisch lagen Packungen eines Pizza-Service. Offenbar hatte Captain Manzoni gerade gegessen.

"Er war ein cholerischer Typ", berichtete er uns.

"Unbeherrscht und oft mehr mit dem Gefühl als dem Hirn bei der Sache. So etwas kann nicht gut gehen. Nicht in dem Job, den wir machen..."

"Verstehe", meinte ich.

"Er war ein exzellenter Schütze. Das hatte man ihm bei den Marines wirklich gebracht. Egal mit welcher Waffe.. Auf dem Schießstand hatte er immer die besten Ergebnisse des ganzen Departments. Aber ansonsten war er eben jemand, auf den man sich nicht verlassen kann."

"Wo kann man ihn finden?"

Manzoni zuckte die Achseln.

"Keine Ahnung. Seine letzte Adresse kann ich Ihnen geben, aber dort wohnt er nicht mehr. Er ist einfach verschwunden."

"Halten Sie es für möglich, dass er in kriminelle Kreise abgerutscht ist?"

"Nach dem, was Sie mir berichtet haben, muß ich das ja annehmen, Agent Trevellian. Allerdings..."

Er zögerte.

Dann kratzte er sich nachdenklich am Kinn.

"Was?", hakte ich nach.

"Ich kannte ihn seit der Zeit, als er hier im Department angefangen hat. Als er noch in der Drogenabteilung war etwas flüchtiger, später ziemlich gut..." Er schüttelte energisch den Kopf. "Das, was Sie mir erzählen, passt nicht zu ihm. Er war nicht kaltblütig genug dafür. Außerdem hatte er immer ein sehr ausgeprägtes Empfinden für Gerechtigkeit. Wenn er meinte, dass irgendwo jemand ungerecht behandelt wurde, konnte er fuchsteufelswild werden..." Manzoni zuckte die breiten Schultern und setzte dann noch hinzu: "Offenbar kannte ich ihn nicht gut genug..."

Wir verabschiedeten uns von Captain Manzoni.

Chuck Belmont hatte in einem anonymen Apartmenthaus gewohnt. Die Wohnung war längst weitervermietet. Immerhin wusste einer seiner Nachbarn über ihn zu berichten, dass er es nach seiner Zeit bei der Polizei als Nachtwächter versucht habe.

Eines Tages hatte er dann einfach seine Zelte abgebrochen.

Immerhin bekamen wir heraus, dass er eine Tante in Yonkers hatte, von der ab und zu Post gekommen war. Andere Angehörige schien es nicht zu geben.

In Yonkers mussten wir dann feststellen, dass die besagte Tante vor einem halben Jahr verstorben war. Eine tragische Geschichte, die wir durch Recherchen bei Freunden und Nachbarn erfuhren. Die Tante starb durch einen Verkehrsunfall. Ein jugendlicher Drogendealer hatte einen Porsche geknackt und war damit vor der Polizei auf der Flucht. Mit geradezu halsbrecherischer Fahrweise war er durch ein Wohngebiet gebrettert. Chuck Belmont war bei der Beerdigung gewesen, wie uns eine Freundin der Toten berichtete.

Es dämmerte bereits, als wir zurück in Manhattan waren.

Und dann erreichte uns der Funkspruch aus der Zentrale...

Eine Nachricht, die mich sofort das Blaulicht auf das Dach des Sportwagens aufsetzen und Gas geben ließ.

Richtung Little Italy.

Dort, wo die Mott Street auf die Grand Street traf, war im Augenblick der Teufel los...

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23

Das Antonio's an der Ecke Grand/Mott Street gab erst ein halbes Jahr, aber es war schon in aller Munde als eines der besten italienischen Restaurants des Big Apple. Eine Nobel-Adresse, wo die Gutbetuchten ein und ausgingen. Oder auch die, die zeigen wollten, dass sie dazugehörten. Es war eine In-Adresse.

Jelena Shokolev und Marvin Kingsroad saßen sich an einem zierlichen, runden Tisch gegenüber und stießen ihre Weingläser aneinander.

An den Tischen rechts und links saßen die Bodyguards beider Seiten. Unter den Jacketts beulten sich die Schulterholster. Wachsam ließen sie die Blicke schweifen.

Draußen vor der Tür waren ebenfalls Männer postiert, die die Gegend beobachteten.

Die Ereignisse der letzten Zeit hatten beide Parteien sehr nervös gemacht.

Außer Jelena, Kingsroad und ihrem jeweiligen Gefolge gab es an diesem Abend keine Gäste im Antonio's. Jelena hatte für dieses Treffen kurzerhand das Lokal gemietet. Die Summe, die sie dem Inhaber angeboten hatte, war so phantastisch, dass er nicht hatte nein sagen können.

Er hätte es vielleicht auch sonst nicht getan.

Schließlich wusste er nur zu gut, dass es Leute gab, mit denen man sich besser nicht anlegte...

"Ich bin froh, dass wir in dieser gemütlichen Atmosphäre einige Dinge besprechen konnten, die für unser beider Zukunft von entscheidender Bedeutung sein könnten!", säuselte die schöne Jelena. Das Kleid, das sie an diesem Abend trug war nur ein Hauch. Aber das war Kalkül.

Kingsroad lächelte breit.

"Ich bin beeindruckt", meinte er mit Blick auf ihren tiefen Ausschnitt. "Sie sind jemand mit Mut und das imponiert mir!"

"Was Sie nicht sagen!"

"Was mich persönlich interessieren würde: Geht Big Vlads Tod auf Ihr Konto? Jetzt könnten Sie es mir doch sagen..."

Ihr Lächeln war eiskalt.

"Solange Sie mir so etwas zutrauen, werden Sie mich respektieren, Marvin! Ich werde daher den Teufel tun und irgendetwas dazu sagen!"

Die Maskierten tauchten urplötzlich aus einer der Seitentüren auf, die zum Küchentrakt und den Privaträumen des Besitzers führten. Dunkle Strickhauben mit Augenlöchern verdeckten ihre Gesichter.

Sie waren zu zweit.

Und sie hatten kurzläufige MPis bei sich.

Die Killer waren sehr schnell.

Mündungsfeuer blitzten auf.

Das Rattern der Maschinenpistolen überdeckte die mit dezenter Lautstärke gespielten italienischen Schlager, die im Hintergrund liefen.

Eine hämmernde Melodie des Todes.

Noch ehe der erste der Bodyguards seine Waffe herausgerissen hatte, ging bereits ein Ruck durch dessen Körper. Blut quoll aus einer Wunde in der Herzgegend, und das Hemd war innerhalb von Sekunden tiefrot.

Marvin Kingsroad drehte sich mit fassungslosem Gesicht halb herum.

Nicht einmal ein Schrei gelangte noch über die Lippen des Rastamans. Die Einschüsse durchlöcherten seinen Brustkorb und seine Stirn. Er rutschte nach hinten und riss den Stuhl mit sich. Marvin Kingsroad knallte auf den Boden und blieb in seltsam verrenkter Stellung liegen. Sein Bodyguard zur Linken hatte gerade seine Automatik in Anschlag gebracht, als der Kugelhagel ihn zusammenzucken ließ. Die Kugeln zerfetzten den edlen Zwirn seines Maßanzugs. Das blütenweiße Hemd wurde rot und er krachte gegen den Tisch.

Jelena Shokolev lag zu diesem Zeitpunkt bereits reglos auf dem Boden. Eine Blutlache bildete sich neben ihrem Kopf und wurde immer größer und größer.

Die beiden Killer wichen zurück in Richtung der Küchentür. Antonio Carelli, der Besitzer des Lokals stand mit schreckgeweiteten Augen und völlig reglos in einer Nische. Dort befand sich die Garderobe. Der Italiener wagte es in in diesem Moment nicht einmal, heftig zu Atmen.

Die Killer schossen noch immer wie von Sinnen.

Das Holz der Tische splitterte.

Stühlen wurden die Lehnen förmlich durch den Kugelhagel abrasiert.

Die beiden überlebenden Leibwächter hatten sich zu Boden geworfen und gaben jetzt Feuerstöße ab. Aber ihre Automatiks hatten der rohen Feuerkraft der Maschinenpistolen kaum etwas entgegenzusetzen.

Einer der Leibwächter schrie auf, als eine Kugel ihn an der Schulter erwischte.

Der Bodyguard fluchte lauthals.

Es war einer von Kingsroads Männern.

Der andere rollte sich am Boden herum und verschanzte sich hinter einem umgestürzten Tisch. Er tauchte kurz dahinter hervor und ballerte zweimal in Richtung der Küchentür.

Die Kugeln schlugen dicht neben dem Kopf von einem der Maskierten ein. Dann liefen die beiden Killer den langen Flur in Richtung Küchentrakt. Niemand stellte sich ihnen in den Weg. Es wäre Selbstmord gewesen.

In der Küche brutzelte es.

Herzhafte Gerüche erfüllten die Luft.

Dann erreichten sie den offenstehenden Hinterausgang, durch den sie auch hereingekommen waren.

Sie gelangten in einen Hinterhof, von dem aus ein schmaler Gang wieder zurück zur Hauptstraße führte.

Doch dorthin würden sie nicht gehen.

Sie mussten über die Mauer, die den Hinterhof begrenzte. Dahinter befand sich eine schmale Seitenstraße, in der ihr Wagen wartete. Die Strickleiter, mit der sie die Mauer vor wenigen Minuten in die andere Richtung überwunden hatten, hing noch da.

Die beiden Killer verloren keine Sekunde.

Der Größere der beiden setzte bereits seinen Fuß hinein und kletterte die Mauer empor. Die MPi hing ihm an einem Riemen um die Schulter, so dass er die Hände frei hatte.

Er war schon oben auf der Mauer, als plötzlich Schritte zu hören waren.

Jemand lief den schmalen Gang entlang, der den Hinterhof mit der Hauptstraße verband.

"Halt stehenbleiben!", rief eine heisere Männerstimme.

"FBI! Werfen Sie die Waffe weg!"

Zwei Männer näherten sich mit der Waffe im beidhändigen Anschlag.

Die kurzen Läufe zeigten in Richtung der flüchtenden Killer.

Einen ganz kurzen Augenblick lang hing alles in der Schwebe.

Die beiden Killer erstarrten für den Bruchteil einer Sekunde mitten in der Bewegung. Der Kleinere der beiden, dessen Körperbau leicht untersetzt war, befand sich noch mit beiden Beinen auf dem Boden. Seine Muskeln und Sehnen waren angespannt. Man sah ihm förmlich an, mit welchem Gedanken er spielte: Die MPi herumzureißen und loszuballern.

Irgendetwas ließ ihn aber zögern.

Statt dessen handelte der andere, der oben auf der Mauer saß. Er riss die MPi herum und feuerte.

Und einen Sekundenbruchteil später drückte auch der zweite Killer seine Waffe ab.

Einer der G-men sackte mit einem Schrei in sich zusammen, während der Zweite hinter eine Mülltonne in Deckung hechtete.

Dreimal kurz hintereinander drückte er dabei seine Waffe ab, während das breitgestreute und etwas ungenaue Feuer seiner Gegner bedrohlich dicht neben ihm einschlug. Löcher wurden in die Blechtonne gestanzt.

Und dann schoss der G-man noch einmal zurück.

Die Kugel traf den Kleineren der beiden Killer am Oberkörper. Der Kerl wurde zurückgerissen und rutschte an der Wand hinunter zu Boden. Die MPi sackte zu Boden.

Und der Mann, der sich oben auf der Mauer befunden hatte, war weg.

Auf und davon.

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24

Als wir an der Ecke Grand Street und Mott Street in Little Italy anlangten, hatten wir eine Blaulicht-Reise durch halb Manhattan hinter uns. Den Broadway hatten wir am Union Square verlassen und waren dann die Fourth Avenue hinuntergebrettert, deren Verlängerung die Bowery ist. Als wir dann in die Grand Street einbogen, fielen uns schon nach kurzer Zeit die zahlreichen Blaulichter in der Dämmerung auf.

Zahlreiche Einsatzfahrzeuge der City Police standen überall herum. Ein Krankenwagen war auch zu sehen. Dazu kamen noch einige Zivilfahrzeuge, die nicht gleich als Dienstwagen von FBI, NYPD oder dem zentralen Erkennungsdienst der Scientific Research Division erkennbar waren.

Und natürlich jede Menge Schaulustige, die von den uniformierten Police Officers in Schach gehalten mussten.

Wir parkten den Sportwagen etwas abseits und näherten uns mit gezückten Ausweisen dem Antonio's.

Im Groben waren wir über Funk bereits unterrichtet worden.

Was wir da hatten hören müssen, war mehr als beunruhigend...

Jelena und Kingsroad - beide tot.

Aber dazu hatte es auch einen jungen G-man erwischt, der zusammen mit seinem Partner damit beschäftigt gewesen war, Jelena Shokolev zu beschatten. Natürlich hatten die beiden als erste die Ballerei mitbekommen...

Und dann war auch noch einer der Killer ums Leben gekommen.

Die Uniformierten ließen uns passieren. Und einige Augenblicke später befanden wir uns im völlig demolierten Antonio's. Eine regelrechte Schlacht hatte hier getobt.

"Hallo, Jesse!", sagte eine gedämpfte Stimme. Sie gehörte Clive Caravaggio. Medina sah ich auch. Er stand etwas abseits und unterhielt sich gerade mit jemandem, der aussah, als könnte er der Wirt sein.

"Die beiden Kerle kamen durch die Küche...", berichtete der Mann.

Orry hatte viel Geduld mit ihm.

Der Kerl war völlig durcheinander. Er stammelte in einer Mischung aus Italienisch und Englisch daher. Nicht alles ergab dabei auf Anhieb einen Sinn.

Ein Team der Spurensicherung tummelte sich außerdem im Restaurant.

Clive trat auf mich zu.

"Das war der bislang größte Coup dieser Wahnsinnigen", meinte er. "Gleich zwei auf einen Streich..."

Ich blickte zu Jelenas totem Körper hinüber.

"Die Shokolev-Witwe scheidet jezt wohl endgültig aus der Reihe der Verdächtigen aus, was?"

"Ja." Er atmete tief durch. "Um Agent Cross tut es mir leid. Er kam frisch von der FBI-Akademie in Quantico..." Ich sah, wie sich Clives Hände unwillkürlich zu Fäusten ballten.

Auch in mir stieg Wut auf.

Wir G-men machen einen gefährlichen Job und leider kommt es immer wieder vor, dass einer von uns im Kampf gegen das Verbrechen sein Leben lässt. Aber gewöhnen kann ich mich an diese Tatsache nicht.

"Wo ist der Killer, den es erwischt hat?", fragte Milo indessen.

Clive machte eine Bewegung mit der Hand.

"Draußen im Hinterhof."

"Weiß man schon etwas über ihn?", hakte Milo dann nach.

Clive Caravaggio nickte.

Er hob die Augenbrauen und stemmte die Hände in die Hüften. "Ihr werdet es nicht glauben. Das ist der Hammer..."

Ich sah ihn stirnrunzelnd an.

"Was?"

"Der Killer war ein Cop. Vielleicht kennst du ihn. Captain Dobbs, Leiter der Mordkommission des 18.Reviers."

"Und ob ich den kenne!", zischte ich zwischen den Zähnen hindurch.

Ich dachte an Chuck Belmont.

Ein Cop und ein Ex-Cop.

Irgendwie passte das zusammen. Und zwar auf eine Weise, die mir überhaupt nicht gefiel.

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25

In der City Police gab es insgesamt 283 Beamten im Rang eines Captains, darunter die Leiter der 75 Polizeireviere und die Chefs der Spezialabteilungen für bestimmte Verbrechen, die es auf jedem Revier gab. Mordkommissionen zum Beispiel.

Und einer dieser Captains war heute in einem Feuergefecht mit FBI-Agenten erschossen worden.

Billy Dobbs, ein Mann, der in der Stadt als Muster-Cop gegolten hatte.

Ausgerechnet er.

Ich erinnerte mich an unsere Begegnung in Shokolevs Penthouse. In seiner Position war es nicht schwer, eventuelle Spuren doch noch zu verwischen. Deswegen hatte ihm unser schnelles Auftauchen nicht gepasst.

Milo und ich fuhren noch am Abend auf das 18. Revier und saßen dort Captain Eric Fernandez gegenüber, einem dunkelhaarigen Mann mit braunen, sehr ernst dreinblickenden Augen und einem etwas zu buschigen Schnurrbart. Er hatte sich seine Krawatte gelockert und bot uns Automatenkaffee in Pappbechern an. Seinen Zügen war deutlich anzusehen, wie sehr ihn die Nachricht von Dobbs' Tod mitnahm.

"Gibt es Angehörige?", fragte ich.

Captain Fernandez nickte. "Billy lebte mit seiner Schwester zusammen in einer Eigentumswohnung draußen in Queens. Die hatte er von seinen Eltern geerbt."

"Er hatte keine eigene Famile?"

"Der?" Fernandez schüttelte den Kopf. "Der hat nur für den Job gelebt. Wissen Sie, als er hier im Achtzehnten anfing, dachte ich erst, er wäre nur karrieregeil. Aber das war es nicht..." Der Revierleiter nippte an seinem Kaffee, der so dünn war, dass er kaum den Namen verdiente.

"Was war es dann?", fragte ich.

"Hunger nach Gerechtigkeit. So würde ich das nennen. Er hatte der Aufgabe, das Verbrechen zu bekämpfen sein Leben gewidmet. Und darüber hinaus war für kaum etwas Platz. Er war wirklich ein Vorzeigecop, wie es nur ganz wenige gibt. Er fiel die Karriereleiter so steil nach oben, dass manche schon gemunkelt haben, es könnte dabei nicht mit rechten Dingen zugehen."

"Und? Ging es mit rechten Dingen zu?"

"Er war einfach nur gut und die, die etwas anderes behaupteten nur neidisch."

"Wie groß war das, was Sie Hunger nach Gerechtigkeit genannt haben?", hakte ich nach.

Fernandez sah mich fragend an. "Worauf wollen Sie hinaus, Agent Trevellian?"

"Könnte es sein, dass Dobbs das Gesetz sozusagen in die eigenen Hände nehmen wollte?"

Fernandez blickte mich nicht an. Er ließ sich in seinen Drehsessel sinken, dessen Hydraulik unter ihm in die Knie ging.

Dann sprach er mit gedämpfter Stimme.

"Vor einem Jahr wurde sein damaliger Partner im Dienst von Gangstern erschossen. Die Täter konnte nie ermittelt werden. Seitdem veränderte Billy sich..."

"In wie fern?"

"Er wurde sehr verschlossen. Früher haben ihm Sonderschichten und Wochenenddienste nie etwas ausgemacht.

Jetzt hatte er immer etwas zu tun... Der Job schien nicht mehr sein einziger Lebensinhalt zu sein."

"Ist das an sich nicht positiv?", fragte Milo.

"Sicher. Aber er bekam gleichzeitig recht radikale Ansichten. Die Justiz sei zu lasch, und die Mittel des Gesetzes würden nicht ausreichen, um dem Verbrechen Paroli zu bieten. Bürgerrechte hätten diese Schweinehunde nicht verdient..."

"Das kratzt etwas an seinem Super-Cop-Image", kommentierte Milo Fernandez' Aussage.

Dieser zuckte die Schultern.

"Dienstlich gab es nie etwas an ihm auszusetzen. Wenn Sie übrigens noch Genaueres wissen wollen, dann unterhalten Sie Sie sich am besten mit Lieutenant James Crasco. Die beiden waren eine Weile eng befreundet."

Ich fragte: "Wo finden wir den?"

"Er hatte ein paar Tage frei. Überstunden abfeiern. Soweit ich weiß, wollte er nach Vermont. Aber morgen früh sitzt er garantiert wieder an seinem Schreibtisch!"

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26

Mit ziemlich gemischten Gefühlen fuhren wir hinaus nach Queens, in die große Schlafstadt New Yorks. Hier lebten die, die nicht reich genug waren, um bewundert zu werden und nicht arm genug, um Mitleid zu erregen. Statt dessen wurden sie die Zielscheibe des allgemeinen Spotts: Die Mittelschicht.

Der Tod von Dobbs und die Fingerabdrücke von Belmont.

Beides zusammen gab dem Fall eine völlig neue Richtung.

"Für mich sieht das sehr nach einem Feme-Mörder-Komplott aus", meinte ich und Milo stimmte mir zu.

"Cops, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen." Er schüttelte mit grimmigem Gesicht den Kopf. "Außer Misserfolg gibt es nichts, was unserem Ruf so sehr schadet!"

"Das ist leider wahr!", erwiderte ich.

"Immerhin scheint die Variante mit dem unbekannten Syndikat jetzt vom Tisch zu sein!"

"Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich darüber freuen soll", erwiderte ich. "Im Übrigen scheint der Gegner, mit dem wir es zu tun haben, ebenfalls hervorragend organisiert zu sein..."

Dobbs und Belmont hatten nicht allein und auf eigene Faust gehandelt. Das war uns beiden klar. Es gab zumindest noch einen dritten Mann...

Und die Tatsache, dass sie so außerordentlich gut informiert gewesen waren, sprach eher dafür, dass die Killer, mit denen wir es bislang zu tun gehabt hatten, nur die Spitze eines Eisbergs darstellten.

Die Eigentumswohnung, die Dobbs zusammen mit seiner Schwester bewohnte, lag im fünften Stock eines ziemlich anonymen Appartmenthauses, das sicher schon einmal bessere Zeiten gesehen hatte.

Wir klingelten an der Haustür. Aber wir brauchten nicht zuu warten, bis uns jemand öffnete. Eine junge Frau kam uns entgegen, als sie gerade das Apartmenthaus verließ. Sie sah uns etwas erstaunt an und Milo hielt ihr den Ausweis hin.

"Das geht schon in Ordnung, Ma'am", sagte er dazu.

Die junge Frau nickte.

Wir hatten für alle Fälle Dobbs Schlüsselbund bei uns, den wir am Tatort in Little Italy an uns genommen hatten.

Allerdings hoffte ich, dass wir Dobbs' Schwester Catherine in der Wohnung antreffen würden. Vielleicht konnte sie uns mit ihrer Aussage weiterhelfen.

Wir nahmen den Aufzug.

Dann ging es einen langen, recht kahlen Flur entlang.

Als wir dann vor Dobbs' Wohnungstür standen, stockten wir mitten in der Bewegung.

Die Tür stand einen winzigen Spalt breit offen.

"Miss Dobbs?", fragte ich laut. "Miss Catherine Dobbs? Hier ist das FBI!"

Keine Antwort.

Mein Instinkt warnte mich.

Und dann hörten wir ein Geräusch. Schnelle, hektische Schritte. Dann herrschte Stille.

"Miss Dobbs!", rief ich noch einmal. "Hier spricht das FBI!"

Lautlos zogen wir unsere Waffen aus den Gürtelholstern.

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Milo.

Dieser nickte dann.

Im nächsten Moment holte ich zu einem gewaltigen Fußtritt aus, der die Tür zur Gänze aufspringen ließ.

Mit der Waffe im Anschlag stürmte ich vorwärts, während Milo mich von hinten sicherte. Innerhalb von Sekundenbruchteilen glitt mein Blick durch einen Raum, der die Form eines Halbrunds hatte. Ich sah eine Garderobe, an der ein Mantel hing. Eine etwas hausbacken wirkende Kommode mit einem ultramodernen Telefon darauf. Daneben das New Yorker Telefonbuch, das wie ein riesiger Backstein aussah.

Niemand war zu sehen.

Von diesem halbrunden Empfangraum aus, führten Türen in die anderen Räume der Wohnung.

Die Tür ganz links stand halb offen.

Licht brannte dort.

Ein schabendes Geräusch drang an mein Ohr, wie von einem über den Boden schlurfenden Schuh.

"Hier ist das FBI! Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!"

rief ich und bekam eine postwendende Antwort in Form eines Geschosses. Es krachte durch die halb geöffnete Tür hindurch und pfiff dicht an meiner Seite vorbei. Irgendwo hinter mir blieb es in der Wand stecken und ließ die Tapete von der Wand herunterblättern.

Mit einem Sprung war ich neben der Tür ganz links und presste mich gegen die Wand. Die nächste Bleiladung krachte derweil durch das dünne Holz der Tür hindurch und riss ein weiteres, beinahe handgroßes Loch hinein.

Dann hörte ich Schritte.

Ich stieß die Tür mit einem Tritt auf.

In dem Raum dahinter herrschte ein einziges Chaos. Es war eine Art Wohnzimmer. Schubladen waren aus den Schränken gerissen und auf den Fußboden entleert worden. In einer Ecke stand ein Schreibtisch, dessen verschließbare Fächer aufgebrochen worden waren. Einer der klobige Sessel war umgestürzt.

Ein kühler Luftzug kam durch das offene Fenster herein.

Niemand schien im Raum zu sein.

Ich durchquerte das Chaos. Aus den Augenwinkel sah ich, dass Milo jetzt an der Tür war.

Ein paar Schritte und ich hatte das Fenster erreicht. Ich blickte hinab. Feuertreppen führten hinunter. Und irgendwie erwartete ich, ein paar hektische, metallisch scheppernde Schritte auf den aus Rosten gefertigten Stufen zu hören.

Aber da war nichts. Ich lauschte in die Nacht. Ein Gemisch aus Straßenlärm und einigen anderen, undefinierbaren Geräuschen drang an mein Ohr. Aber nicht das, was ich erwartete.

Mein Blick ging forschend über den Hinterhof. Dort herrschte schlechte Sicht. Es war ziemlich dunkel. Und in den großen, dunklen Schatten konnte der Kerl, den wir hier auf frischer Tat erwischt hatten, sich sehr wohl verbergen.

Aber ich glaubte nicht daran.

Mein Instinkt sagte mir, dass er so weit noch nicht geflohen sein konnte. Es war unmöglich.

Ich wandte mich kurz zu Milo herum und sagte leise: "Er muss noch auf der Feuertreppe sein. Ich bin mir sicher..."

"Wenn wir ihn kriegen, kann das der Schlüssel zur Lösung dieses Falles sein..."

"Ich weiß. Versuch, mir Feuerschutz zu geben, okay?"

"Okay, Jesse!"

––––––––


27

Vorsichtig brachte ich eine Stufe nach der anderen hinter mich. Die Feuertreppe führte im Zickzack in die Tiefe. Ich hatte die Waffe im Anschlag und beobachtete aufmerksam den großen dunklen Fleck, der über den unteren beiden Absätzen zu hängen schien. Dort konnte mein Kerl in aller Geduld auf mich warten.

Warten auf den günstigsten Zeitpunkt, um den G-man, der ihm auf den Fersen war, ins Jenseits zu schicken.

Stufe um Stufe brachte ich hinter mich und hatte dabei das untrügliche Gefühl, eine Zielscheibe zu sein. Ich versuchte, keinen Laut zu verursachen. Aber das war schwierig. Die Stahlschrauben, mit denen die Stufen befestigt waren, saßen nicht mehr fest genug. Die Stufen waren locker und wenn man nicht aufpasste, gab es ein schepperndes Geräusch.

Den ersten Absatz hatte ich schließlich erreicht.

Und eine lange Minute später auch den zweiten.

Ich sah kurz hinauf zu Milo.

In der nächste Sekunde blitzte etwas in der Dunkelheit auf.

Ein Schuss pfiff dicht an mir vorbei und berührte den Handlauf der Feuertreppe. Funken sprühten. Auch der zweite Schuss kratzte am rostigen Metall.

Ich riss die Waffe herum und schoss dorthin, wo ich das Mündungsfeuer hatte aufblitzen sehen. Es war ein Schuss aufs Geratewohl.

Milo schoss auch, obwohl er von seiner Position aus sicher noch geringere Chancen hatte, den Kerl zu treffen, als ich.

Eine Gestalt lief dann quer über den Hinterhof. Nur für einen Sekundenbruchteil sah ich den Kerl im Licht, das aus einer Fensterfront drang. Er ballerte in meine Richtung.

Immer wieder drückte er seine Waffe und deckte mich regelrecht mit Geschossen ein. Allerdings waren seine Schüsse glücklicherweise nicht sehr präzise.

Ich kauerte in geduckter Haltung da und starrte ihn an. Der Kragen seiner Jacke war hochgeschlagen. Nur die Augen waren zu sehen. Sein Haar wurde von einer Mütze bedeckt. Eine brauchbare Beschreibung würde ich von ihm nicht liefern können.

Noch einmal drückte er ab.

Dann machte es klick.

Er hatte seine Waffe leergeschossen. Ich tauchte aus meiner unvollkommenen Deckung hervor und richtete die Waffe in seine Richtung.

"Stehenbleiben!", rief ich.

Er rannte in die Dunkelheit.

Eine Warnschuss feuerte ich ihm dicht hinter die Füße, doch dann war er in der Dunkelheit verschwunden.

Ich stolperte die Feuertreppe hinunter. Zwei, drei Stufen nahm ich mit einem Sprung. Ich wusste, dass ich schnell sein musste. Sonst war der Kerl entweder endgültig über alle Berge oder hatte zumindest seine Waffe nachgeladen.

Milo folgte mir.

Ich hörte seine Schritte auf den Blechstufen.

Endlich war ich unten, auf dem Asphalt des Hinterhofs angelangt. In einer Entfernung von vielleicht zwanzig Metern stand eine Gruppe von Müllcontainern. Dort sah ich eine Bewegung. Instinktiv ließ ich mich seitwärts fallen. Ein Schuss bellte auf. Ich rollte mich am Boden herum und feuerte mit meiner Waffe zurück.

Einmal noch ballerte unser Gegner in meine Richtung.

Der Schuss ging ins Nichts.

Dann herrschte Ruhe bei den Containern.

Vielleicht eine trügerische Ruhe. Ich rappelte mich auf und näherte mich in geduckter Haltung den Containern. Es war niemand mehr dort.

Eine Ausfahrt führte zur nächsten Straße, die ziemlich stark befahren war. Autos rasten in einem steten Rhythmus an der Ausfahrt vorbei. Selbst um diese Zeit noch.

Ich bewegte mich vorwärts, die Waffe immer noch im Anschlag.

Als ich die Straße erreichte, wusste ich, dass wir verloren hatten. Der Kerl war uns entwischt. Ich blickte den Bürgersteig in beide Richtungen entlang. Nirgends war jemand zu sehen.

Hinter mir vernahm ich Schritte. Es war Milo, der sich ebenfalls mit der Waffe in der Hand näherte. Ich drehte mich halb herum und schüttelte den Kopf.

"Der ist weg!", meinte ich.

Milo nickte düster. "Ein gewöhnlicher Einbrecher war das ja wohl nicht, Jesse!"

Ich steckte meinen Revolver weg.

"Da hat jemand ganz schön kalte Füße bekommen!"

"Du sagst es."

"Ich hoffe nur, dass der Kerl nicht das gefunden hat, wonach er suchte!"

––––––––


28

Nicht lange und in Dobbs Wohnung wimmelte es von Polizisten.

Wir hatten ein Team der SRD angefordert, das jetzt alles genau unter die Lupe nahm. Vielleicht gelang es uns, einen Hinweis zu finden. Ich sah mir das Telefonregister an.Viele Namen waren nicht darin eingetragen. Die meisten waren dienstlich. Sein Revier, Nummern von Kollegen. Billy Dobbs schien tatsächlich jemand gewesen zu sein, der kaum private Freundschaften pflegte. Aus welchem Grund auch immer.

Aber eine Eintragung fiel mir auf.

Reverend Paul Mincuso.

Ehrlich gesagt hatte ich nicht erwartet, in Dobbs jemanden zu finden, der besonders gläubig war. Irgendwie schien mir seine gesamte Lebenseinstellung zu pessimistisch.

Als ich Milo darauf ansprach, meinte dieser: "Den Reverend sollen wir unbedingt befragen. Wäre doch möglich, dass er ihm Dinge anvertraute, über die er sonst mit niemandem gesprochen hätte. Jesse, das war ein Mann, der von der Welt tief enttäuscht war. Er kämpfte gegen das Verbrechen und musste mitansehen, wie viele von denen, die er überführt zu haben glaubte, wieder auf freien Fuß kamen. Und er musste miterleben, wie sein Partner ermordet wurde. Zweifellos hat er sich immer wieder nach dem Grund gefragt. Warum? Wie kann so etwas geschehen? Das sind Fragen, die schon manche Leute geradewegs zu einem Prediger geführt haben.."

Ich nickte langsam.

"Vielleicht hast du recht."

Eine halbe Stunde später erschien dann eine junge Frau in der Wohnungstür. Sie sah ziemlich fassungslos aus, als sie das Chaos sah, das hier herrschte.

Sie hatte schulterlanges, blondes Haar, das ihr in einer offenen Mähne hinunterfiel. Ihre Züge waren feingeschnitten.

Sie trug Jeans, Pullover und eine Jacke. Aber auch dieses eher praktische Outfit konnte ihre gute Figur nicht verbergen. Mit einer fahrigen Geste strich sie sich das Haar zurück und sah mich an, als ich und Milo uns zu ihr umdrehten.

"Wer gibt Ihnen das Recht..."

"Jesse Trevellian, FBI", unterbrach ich sie und hielt ihr meinen Dienstausweis hin. Ich deutete auf Milo. "Das ist mein Kollege Special Agent Milo Tucker. Sie sind..."

"Catherine Dobbs!", sagte sie gereizt. "Und ich wohne hier!"

"Woher kommen Sie jetzt?"

"Wollen Sie mich verhören, Mr. Trevellian?"

"Es war nur eine Frage, Miss Dobbs!"

Sie atmete tief durch und verschränkte die Arme unter der Brust. Die Reisetasche, die sie bei sich gehabt hatte, stand neben ihr auf dem Boden.

"Ich war ein paar Tage verreist", sagte sie. "Was ist geschehen? Warum..." Sie sprach nicht weiter. Ich machte einen Schritt auf sie zu. Und dann versuchte ich ihr in knappen Worten zu sagen, was mit ihrem Bruder geschehen war.

Sie sah mich völlig entgeistert an.

Ihr hübsches Gesicht wurde totenblass dabei.

"Sagen Sie, dass das nicht wahr ist", flüsterte sie. "Mein Bruder..." Sie schluckte und schüttelte leicht den Kopf. Ein paar Haarsträhnen fielen ihr in die Augen. Etwas glitzerte auf ihre pfirsichglatten Wange.

Tränen.

Ich fasste sie vorsichtig bei den Schultern. Ihre Augen waren glasig. Ihr Blick leer. Sie wirkte wie unter Schock.

"Das ist nicht wahr", murmelte sie immer wieder.

Ich führte sie zu einem der Sessel.

Sie ließ sich darin fallen.

Und dann schluchzte sie hemmungslos.

Eine brauchbare Aussage würden wir heute kaum noch von ihr bekommen.

––––––––


29

Am nächsten Morgen sahen Milo und ich nochmal im achtzehnten vorbei. Captain Fernandez stellte uns Lieutenant James Crasco vor, der mit Billy Dobbs gut bekannt gewesen war.

"Wo können wir uns mit Ihnen ungestört unterhalten?", fragte ich.

Lieutenant Crasco zuckte die Schultern. "Warum nicht in der Kantine? Um diese Zeit ist da noch niemand."

"Meinetwegen."

Fünf Minuten später saßen wir an den etwas schmucklosen Tischen. Sie waren schon ziemlich angejahrt. Aber das ewig überzogene Budget der Stadt New York würde wohl dafür sorgen, dass sie das neue Jahrtausend noch erleben würden.

"Schlimme Sache, das mit Billy", sagte Crasco dann. Er zündete eine Filterlose auf eine so routinierte Weise an, dass sie den Kettenraucher verriet.

Dann sah er Milo und mich nacheinander an und stockte mitten in der Bewegung. "Meine Güte, ich hoffe, Sie gehören nicht zu diesen militanten Nichtrauchern! Neuerdings darf ich noch nicht einmal im Büro qualmen. Nichtraucherschutzgesetz nennt sich das! Von der Kantine mal ganz zu schweigen. Darauf steht schon fast der elektrische Stuhl..." Er lachte heiser und setzte dann mit sehr ernstem Gesicht hinzu: "Ich war schon drei Wochen auf Menthol-Zigaretten umgestiegen, aber jetzt, nach der Sache mit Dobbs..." Er atmete tief durch.

"Das hat mich schon ganz schön mitgenommen."

Ich sagte: "Erzählen Sie uns alles, was Sie über ihn wissen."

"Meine Güte..."

"Jedes Detail kann wichtig sein."

Crasco stützte das Kinn auf die Faust und wirkte sehr nachdenklich. "Um ehrlich zu sein, in letzter Zeit ist unser Kontakt merklich abgekühlt. Früher sind wir auch mal zusammen zum Bowling gegangen, aber dafür hatte Billy keine Zeit mehr, seit..."

"Seit was?", hakte ich nach.

Crasco blickte auf. "Ich will um keinen Preis das Andenken eines toten Kollegen in den Schmutz ziehen..."

"Das ist schon tief genug drin", kommentierte Milo.

Und ich gab zu bedenken: "Es geht um Mord, Lieutenant Crasco."

"Mord an Leuten, die selbst Mörder waren!"erwiderte Crasco.

"Das zu entscheiden steht nur einem Gericht zu - nicht uns!"

"Ja, ja..."

"Außerdem war unter den Opfern auch ein junger FBI-Agent."

"Hören Sie..."

"Nein, Sie hören mir zu: Ich kann verstehen, dass Ihnen der Tod von Dobbs nahegeht. Und ich kann auch die Wut darüber verstehen, dass große Haie mehr oder weniger ungeschoren davonkommen und nur die kleinen Handlanger erwischt und verurteilt werden. Aber es ist Ihre verdammte Pflicht, uns dabei zu helfen, weitere Morde zu verhindern! Denn Dobbs handelte kaum auf eigene Faust..."

"Ich habe nicht geglaubt, dass er wirklich ernst macht."

"Womit?", fragte ich.

"Damit, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, wie er manchmal sagte. Ich sagte doch, dass er keine Zeit mehr zum Bowling hatte."

"Richtig."

"Er verbrachte seine freie Zeit mit Aktivitäten für eine seltsame Organisation, die sich KÄMPDER DES LICHTES nennt."

"Was ist das für eine Organisation."

"Billy hat mich einmal zu einer der Veranstaltungen mitgenommen. Da sprach ein ziemlich fundamentalistischer Geistlicher. Er sagte, der Einfluss des Bösen in der Welt sei nur durch massive Gegengewalt einzudämmern. Dem Abschaum dürfe kein Pardon gegeben werden. Wenn meine Hand faul ist, so schlage ich sie ab! So ähnlich habe ich ihn noch im Ohr.

Ob das in der Bibel steht, weiß ich nicht. Dieser Geistliche verdammte die Justiz als Steigbügelhalter des Bösen. Es seien nicht die Gesetze Gottes, denen vor den Gerichten zur Geltung verholfen werde!"

"Was hielten Sie davon?", mischte sich Milo ein.

"Ich bin nur einmal auf einer dieser Veranstaltungen gewesen, dann nie wieder."

"Wann war das?"

"Vor einem Vierteljahr. Für mich war dieser Reverend ein Spinner, den man nicht weiter zu nehmen braucht. Hier in New York gibt es so viele religiöse Richtungen wie Straßenecken.

Wozu sich über so etwas aufregen?" Er verzog das Gesicht.

"Ich habe sogar fünf Dollar gespendet. Für Verbrechensopfer und deren Angehörige."

Jetzt fragte ich: "Wie war der Name dieses Reverends?"

"Ich erinnere mich nicht mehr! Wie gesagt, ich habe das alles nicht für bare Münze genommen, sondern mir nur gedacht: Ein Mann, dem das Schicksal so mitgespielt hat, wie Dobbs, der braucht irgendwo etwas Halt. Und wenn er ihn dort bekommt... Warum nicht?"

"Hieß dieser Mann zufällig Paul Mincuso?", hakte ich nach.

"Reverend Paul Mincuso?"

Crasco sah mich erstaunt an.

Eine Falte bildete sich mitten zwischen seinen Augenbrauen.

Dann nickte er kurz und etwas ruckartig.

"Ja", murmelte er. "Ich glaube, so war der Name. Doch, ich bin mir jetzt sicher. Er hieß Mincuso!"

"Noch eine Frage", forderte ich dann. Ich studierte dabei die Veränderungen in Lieutenant Crascos Gesicht haargenau.

Jede Kleinigkeit, jedes Zucken eines Muskels.

"Ja?"

"Haben Sie den Namen Chuck Belmont schon einmal gehört?"

"Sie meinen in Zusammenhang mit Billy?"

"Natürlich!"

"Da war mal ein Chuck... Den Nachnamen weiß ich nicht."

"Erzählen Sie, Lieutenant!"

"Das war auf einer unserer letzten Bowling-Abende.

Plötzlich tauchte so ein ziemlich großer Typ auf. Eckiges Gesicht, fast grobschlächtig. Billy stellte ihn mir als Chuck vor. Und dann nahm dieser Chuck Billy kurz zur Seite. Worüber sie redeten, konnte ich nicht verstehen. Aber es schien dringend zu sein. Jedenfalls musste Billy dann plötzlich weg..."

––––––––


30

Catherine Dobbs schluckte, als das Telefon läutete. Sie atmete tief durch. Sie hatte lange geschlafen und jetzt trug sie nichts weiter, als einen Seidenkimono. Wieder klingelte das Telefon.

Sie trat mit unter der Brust verschränkten Armen an den Apparat heran.

Das alles ist nur ein Alptraum!, ging es ihr durch den Kopf.

Irgendwann muss es doch ein Erwachen geben...

Aber sie wusste, dass es nicht so war.

Dies war die Wirklichkeit.

Billy war tot. Es gab nichts und niemanden, der daran etwas ändern konnte.

Verdammt, ich habe es kommen sehen... Mein dummer Billy! Du bist in dein Verderben gerannt... Und ich habe es nicht verhindern können!

Billy war zwar ein paar Jahre älter als sie. Dennoch hatte sie - besonders seit dem Tod ihrer Eltern - immer ein wenig das Gefühl gehabt, die Vernünftigere von beiden zu sein und auf ihren Bruder aufpassen zu müssen. Vergeblich.

Sie nahm das Telefon ab.

"Ja?"

"Miss Catherine Dobbs?"

Der scharfe, schneidende Klang dieser Stimme ließ Catherine unwillkürlich zusammenzucken. Sie erkannte diese Stimme sofort... Eine Gänsehaut überzog ihre nackten Unterarme.

"Was wollen Sie?", fragte sie.

In ihrer Stimme war ein leichtes Beben.

"Man wird Ihnen in der nächsten Zeit viele Fragen stellen, Miss Dobbs..."

"Hören Sie..."

"Nein, Sie hören mir jetzt zu! Ich schlage vor, dass Sie die Unwissende spielen. Es ist besser. Besser für das Ansehen Ihres Bruders. Aber vor allem besser für Sie, Miss Dobbs..."

"Sie... Sie wollen mir drohen?"

"Ich drohe nicht. Ich stelle nur fest, dass Sie eine sehr hübsche, lebenslustige junge Frau sind. Wie schnell könnte ein Unfall daran etwas ändern..."

Dann machte es klick.

Die Leitung war tot.

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31

Bevor wir bei Catherine Dobbs aufkreuzten, sprach ich noch über Funk mit der Zentrale. Ich wollte alles über Paul Mincuso wissen. Alles, was vielleicht in den Archiven des FBI schlummerte.

Catherine Dobbs blickte uns ziemlich abweisend an, als wir vor ihrer Tür erschienen. Sie trug Jeans und einen blauen Sweater. Ihr Haar wurde mit einer Klammer zusammengehalten.

"Wir brauchen Ihre Aussage", sagte ich ruhig. "Können wir hereinkommen?"

"Ich werde es wohl nicht verhindern können!"

Wir traten ein.

Das Wohnzimmer ihres Bruders sah immer noch so chaotisch wie am Abend zuvor aus. Sie führte uns in ihren Teil der Wohnung.

"Erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen Kaffee anbiete", sagte sie.

"Es reicht, wenn Sie unsere Fragen beantworten."

"Na, schön, dann kommen Sie zur Sache!"

Sie sah mich herausfordernd an. Kurz ließ ich den Blick über die Einrichtung schweifen. Es war nichts besonderes darunter. Helles Mobiliar aus Kiefernholz. Ein halbes Dutzend Bücher, darunter die Bibel. Und ein Fernseher mit Videorecorder. Aber alles lag an seinem Platz und das hatte mich schon am Abend zuvor stutzig gemacht.

"Der Kerl, der hier gestern Abend eingedrungen ist, schien genau Bescheid zu wissen." Es war eine Feststellung, keine Frage. Ich studierte dabei genau Catherines Reaktion.

Sie hob die Augenbrauen und wich meinem Blick aus.

"Ach, ja?"

"Der Täter wusste, welche Räume Ihnen gehören und welche Ihrem Bruder!"

"Das sagen Sie!"

"Ich glaube, dass es jemand war, den Ihr Bruder sehr gut kannte."

"Pflegen Sie auch bei Ihren Bekannten einzubrechen, Mr. Trevellian?", erwiderte sie spitz.

"Nennen Sie mich doch Jesse." Ich machte einen Schritt auf sie zu. "Ihr Bruder ist umgekommen, und wir versuchen die Hintergründe dieser Tat aufzuklären. Das ist alles."

"Einer Ihrer Leute hat ihn umgelegt. Vermutlich wollen Sie diese Tatsache doch nur irgendwie rechtfertigen..."

"Das ist Unsinn!"

Sie atmete tief durch. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie unter einem immensen Druck stand.

Jetzt mischte sich Milo ein. "Kennen Sie einen Mann namens Chuck Belmont?"

"Nein, nie gehört!"

"Immerhin hat Billy mit ihm Bowling gespielt."

"Tut mir leid."

"Und ein gewisser Reverend Paul Mincuso?"

"Mir völlig unbekannt."

"Gilt dasselbe auch für eine Organisation, die sich KÄMPFER DES LICHTES nennt?"

Sie schluckte und musterte Milo. In ihren Augen flackerte es unruhig. Ihre vollen Lippen öffneten sich ein bisschen.

Beinahe so, als würde sie noch mit sich ringen. Aber dann kam die alte Litanei.

"Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen..."

Milo versuchte es noch ein paarmal. Immer wieder kam er auf dieselben Punkte zu sprechen. Aber Catherine erwies sich als eiserne Jungfrau. Sie sagte keinen Ton.

Ich machte Milo schließlich ein Zeichen und schüttelte leicht den Kopf.

"Lassen wir es, Milo", sagte ich. Und dann wandte ich mich an Catherine. "Ich habe keine Ahnung, warum Sie uns nicht helfen wollen. Aber falls Sie es sich anders überlegen: Die Nummer der FBI-Zentrale an der Federeal Plaza steht in dem dicken Klotz da draußen, der sich Telefonbuch nennt. Sie können uns über diese Nummer jederzeit erreichen... Gespräche werden weitergeleitet."

"Darauf wäre ich nie gekommen, Jesse!"

Sie betonte meinen Vornamen auf eine Weise, die mir nicht gefiel. Mir entging die leichte Gänsehaut nicht, die ihre Unterarme überzogen hatte. Und das, obwohl die Wohnung eher überheizt war. Ein leichtes Zittern erfasste sie.

Ich zuckte die Schultern.

"Nur für den Fall, dass Sie es sich doch noch anders überlegen!"

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32

Als wir wieder in meinem Sportwagen saßen, führte ich von dort aus ein Gespräch mit der Zentrale. Immerhin hatte man Reverend Mincusos Adresse herausfinden können. Er wohnte in Brooklyn, Myrtle Street, Hausnummer 567.

Hier in Queens waren wir wenigstens schon mal auf der richtigen Seite des East Rivers.

Ich sprach mit Agent Max Carter, einem Innendienstler der FBI-Fahndungsabteilung. Und was er mir mitzuteilen hatte, war durchaus interessant.

"Reverend Mincuso war Mitglied einiger rechtsradikaler Organisationen, bevor er sich als eine Art Wanderprediger selbständig machte", berichtete Carter. "Er äußerte zwar immer sehr radikale Ansichten, war aber selbst wohl nie an irgendwelchen Gewalttaten beteiligt. Über eine Organisation mit der Bezeichnung KÄMPFER DES LICHTS ist uns nichts bekannt..."

"Scheint wohl auch kein öffentlicher Verein zu sein", meinte ich.

Carter fuhr fort: "Für einen Reverend ist es allerdings schon recht erstaunlich, dass er mal wegen Verstoßes gegen die Waffengesetze verurteilt wurde. Ist zwar schon zehn Jahre her und seitdem sind die Gesetze liberalisiert worden, aber...

Für einen Mann Gottes nicht gerade alltäglich, oder?"

"Das ist allerdings wahr", zischte ich zwischen den Zähnen hindurch. "Und was ist mit Belmont?"

"Die Fahndung läuft. Und inzwischen sogar mit Erfolg!

Wir haben nämlich Belmonts Wohnung gefunden. Sie war zweimal untervermietet, deswegen hat es so lange gedauert, ihn ausfindig zu machen. Er wohnte in der Lower East Side..."

"Wohnte?", echote ich. Das klang nicht sehr gut.

"Ja, Jesse. Das hast du richtig verstanden. Alles spricht dafür, dass Belmont untergetaucht ist. Medina und Caravaggio sind gerade in seiner Wohnung. Vor ein paar Minuten habe ich mit den beiden gesprochen..."

"Dann hat es wohl nicht viel Sinn, wen wir da auch noch auftauchen, was?"

"Nein."

"Danke, Max."

Milo, der alles mitangehört hatte, meinte: "Immerhin dürfte Belmont in der Falle sitzen. Er kann das Land nicht verlassen..."

"Der Käfig, in dem er frei herumläuft ist mir allerdings ein bisschen zu groß!", erwiderte ich.

Ich ließ den Motor des Sportwagens an und fuhr los. Über den Queens Expressway ging es südwärts, Richtung Brooklyn. Ich war ziemlich ungeduldig. Irgendwie sagte mir mein Instinkt, dass jetzt schnell gehandelt werden musste. Sonst waren die schrägen Vögel, denen wir auf den Fersen waren am Ende allesamt ausgeflogen.

"Irgendwer muss diesen Belmont gewarnt haben", meinte Milo in die Stille hinein. "Und zwar ein Polizist. Wir hatten Belmont in der Fahndung, aber darüber ging nichts an die Öffentlichkeit. Aber auf den Revieren der City Police wusste man natürlich Bescheid!"

"Dobbs!", entfuhr es mir. "Er starb gestern Abend. Aber spätestens seit gestern Mittag ist Belmont in der Fahndung gewesen."

"Ich hoffe, du hast recht!", erwiderte Milo.

"Wieso?"

"Na, wenn es nicht Dobbs war..."

Milo brauchte nicht zu Ende zu sprechen. Ich wusste auch so, was er meinte. Es war nicht auszuschließen, dass Captain Billy Dobbs nicht der einzige Beamte des NYPD war, der sich vom Gedankengut der KÄMPFER DES LICHTES hatte anziehen lassen.

––––––––


33

Reverend Paul Mincuso residierte in einem fünfstöckigen Haus, das aus der Zeit um die Jahrhundertwende stammte. Das Gebäude war aufwendig restauriert worden und in sehr gutem Zustand.

Ganz offensichtlich litt der Besitzer nicht unter finanziellen Schwierigkeiten.

Am Haupteingang meldeten wir uns mit Hilfe der Gegensprechanlage.

"Special Agent Trevellian vom FBI", stellte ich mich vor. "Wir hätten gerne Reverend Mincuso gesprochen..."

"Einen Moment", sagte eine abweisende Stimme.

Wenig später kam ein blassgesichtiger Mann mit schütterem Haar und dunklem Anzug zur Tür und öffnete sie.

Das Bleichgesicht ließ sich zunächst unsere Ausweise aushändigen und betrachtete sie sehr eingehend. Ein dünnes, kaltes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. "Es laufen so viele Betrüger heutzutage herum", erklärte er dazu.

"Sie können gerne in unserem Hauptquartier in der Federal Plaza anrufen, um sich unsere Identität bestätigen zu lassen", schlug Milo vor.

Der bleiche Mann blickte auf.

"Das dürfte nicht nötig sein", erklärte er dann. "Folgen Sie mir bitte."

Mit dem Aufzug ging es in den dritten Stock.

Reverend Paul Mincuso empfing uns in einem weiträumigen, sehr repräsentativen Büro. An der Wand hing ein großes, überdimensionales Holzkreuz. Der Reverend war ein großer Mann in den Fünfzigern. Sein Haar war ergraut, ebenso wie sein ziemlich langer Vollbart, der ihm das Aussehen eines biblischen Patriarchen gab. Ruhige dunkle Augen saßen in der Mitte eines eindrucksvollen Gesichtes.

Wir stellten uns knapp und sachlich vor.

Der Reverend bot uns daraufhin an, in den dunklen Ledersesseln Platz zu nehmen.

"Zwei Special-Agents des FBI! Zwei Hüter des Gesetzes also!" Der Reverend lachte heiser. Seine Stimme klang dröhnend. Und das Lächeln, das um seine dünnen Lippen spielte, war schwer zu deuten. In seinen Worten lag eine deutliche Portion Spott. "Was führt Sie zu mir, Gentlemen?"

Ich glaubte ihm die Unwissenheit nicht.

Aber er spielte sie perfekt.

Ein Mann, der es verstand, eine Bühne zu benutzen. Und im Moment war seine Bühne dieses Büro. Sein Publikum: zwei G-men.

"Gestern Abend starb ein Police Captain namens Billy Dobbs im Gefecht mit einem FBI-Mann. Er hatte gerade zusammen mit einem Komplizen dafür gesorgt, dass zwei bekannte Unterweltgrößen ins Reich der Toten eingingen."

"Abschaum, also", sagte Reverend Mincuso ganz offen.

"Dieser Captain hat Ihnen und seinen Kollegen die Arbeit doch erheblich erleichtert..."

"Er war ein Mörder", erwiderte ich kühl.

"Das kann man unterschiedlich beurteilen. Aber, wie auch immer... Was hat das alles mit mir und meiner Stiftung für Verbrechensopfer zu tun?"

"Sie kannten Dobbs", stellte ich fest.

"Ich höre seinen Namen heute zum ersten Mal, was vermutlich nur daran liegt, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, die Zeitung zu lesen..."

"Wir fanden Ihre Telefonnummer in seinem Adressenregister!"

"Was Sie nicht sagen..."

"In welcher Beziehung standen Sie zu Dobbs?"

"In überhaupt keiner!", beharrte der Reverend. "Sehen Sie, ich halte viele Vorträge, ich halte Gottesdienste, zu denen Tausende von Menschen kommen, ich bin seelsorgerisch tätig...

Viele Menschen suchen täglich meinen Rat. Es ist gut möglich, dass dieser arme Polizist sich meine Nummer notiert hat, um mich vielleicht einmal in einer ihn bedrückenden Angelegenheit anzusprechen... Das heißt nicht, dass ich ihn kannte!"

"Wer sind die KÄMPFER DES LICHTES?", fragte ich.

"Ich habe keine Ahnung: Sagen Sie es mir, Mr. Trevellian!"

"Eine Organisation, die mit dem, was Sie sagen, ernst macht! Männer, die das Gesetz in die eigenen Hände nehmen und all diejenigen, die sie in Ihren Augen Abschaum sind, eiskalt liquidieren."

"Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Mr. Trevellian."

"Der Name Chuck Belmont sagt Ihnen wohl auch nichts?"

"Es tut mir leid." Er betätigte einen Knopf auf seinem Schreibtisch und schaltete damit offenbar eine Gegensprechanlage ein. "Ach, Rose, sagen Sie doch Mr. Cramer, dass er sofort zu mir kommen soll. Wie es scheint, brauche ich seinen Beistand." Und dann wandte er sich an uns: "Mr.

Cramer ist Leiter unserer Rechtsabteilung, Gentlemen. Der Art und Weise nach, in der Sie mich hier befragen, ist zu entnehmen, dass Sie mir unbedingt etwas am Zeug flicken wollen! Ich halte es daher für besser, wenn Mr. Cramer als Zeuge an diesem Gespräch teilnimmt."

"Das ist Ihr gutes Recht", erwiderte ich.

Der Reverend lief dunkelrot an. Sein Gesicht hatte nun einen sehr düsteren Ausdruck. Er deutete hinaus aus dem Fenster. "Da draußen läuft der Abschaum frei herum! Mörder und jene, die die Mörder aussenden! Drogendealer und Leute, die die Unzucht fördern, um Gewinn aus ihr zu ziehen! Ich sehe es und Gott sieht es! Aber Sie haben nichts besseres zu tun, als einem Mann die Zeit zu stehlen, dem es um nicht anderes geht, als das Böse mit allen Mitteln zu bekämpfen!

Dort draußen, in diesem Dschungel der Sünde, wäre Ihr Platz, Gentlemen! Stattdessen verfolgen Sie die Gerechten mit Ihren unhaltbaren Verdächtigungen!"

Seine Stimme dröhnte.

Die Wirkung dieses Mannes auf einer Bühne konnte ich mir jetzt vorstellen. Eine Person, deren Präsenz eine ganze Halle mühelos füllen konnte. Notfalls sogar ohne Mikrofon. Ein rhetorisches Naturtalent. Ein Mann mit einfachen Antworten auf schwierige Fragen. Und darin lag wohl das Geheimnis seines Erfolgs.

Ein kleiner dicklicher Mann mit schütterem Haar betrat wenig später den Raum. Das musste Cramer, der Anwalt sein.

"Ich hoffe, dass wir jetzt fortfahren können", hörte ich Milo sehr sachlich sagen. "Es geht einfach um die Beantwortung einiger Fragen. Um sonst nichts..."

Aber mein Instinkt sagte mir, dass wir uns an diesem granitharten Prediger die Zähne ausbeißen würden.

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34

Das Telefon ließ Catherine zusammenzucken. Noch bevor sie abnahm, wusste sie, wer es war.

Die Stimme...

"Sie haben es nicht anders gewollt!"

"Hören Sie, ich..."

"Es war ein Fehler, den Mund aufzureißen, Miss Dobbs! Wir hatten gedacht, dass das Vermächtnis ihres Bruders, die Sache für die er kämpfte, auch Ihnen etwas bedeutet. Das war ein Irrtum..."

"Ich habe nichts..."

Die Stimme unterbrach sie grob.

"Jeder Mensch muss wählen. Die Seite des Lichts - oder die des Bösen... Und Sie haben die Partei des Abschaums ergriffen..."

Der Puls schlug ihr bis zum Hals.

Sie wollte etwas erwidern, aber einen Sekundenbruchteil später war die Verbindung unterbrochen. In ihrem Gehirn arbeitete es. Sie fragte sich, was sie tun konnte, um ihr Leben zu retten. Denn, dass mit den Leuten, die es auf sie abgesehen hatten, nicht zu spaßen war, dass wusste sie nur zu gut.

Nur ruhig bleiben!, sagte sie sich selbst. Sie ging zur hinteren Fensterfront der Wohnung und schaute in den Hinterhof. An der Ecke sah sie eine Gestalt. Einen Mann, der den Jackenkragen soweit hochgeschlagen hatte, dass von seinem Gesicht nicht viel zu sehen war. Über die Feuertreppen war es für ihn ein Leichtes, hier heraufzukommen. Sie atmete tief durch. Jetz gab es für sie nur noch die Flucht nach vorn.

Kurz entschlossen lief sie zu Telefon. Sie nahm das Telefonbuch und suchte nach einer ganz bestimmten Nummer. Die des FBI-Districhts New York. Hastig glitten ihre Finger über die Seiten. Dann nahm sie den Hörer ab und wählte.

"Kann ich bitte einen Agent Trevellian sprechen? Es ist dringend..."

In der nächsten Sekunde ließ ein Geräusch aus dem Nachbarraum sie zusammenzucken. Sie zitterte wie Espenlaub.

Da war etwas am Fenster.

Jemand...

Glas splitterte. Jemand stieg durch das Fenster in die Wohnung ein.

"Kommen Sie schnell!", schrie Catherine durch den Telefonhörer. Sie legte nicht auf, sondern ließ den Hörer einfach fallen. Und dann war sie in zwei Sätzen bei der Wohnungstür, die sie sorgfältig verrammelt hatte. Ihre Finger kamen ihr klamm und schwerfällig vor.

Schritte drangen aus dem Nachbarraum.

Mein Gott!

Dann hatte sie es geschafft. Sie riss die Wohnungstür auf...

...und stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

Eine hochaufgeschossene Gestalt stand dort. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte eine große, behandschuhte Pranke sich auf ihren Mund gelegt. Ihr Schrei verstummte. In dem Gesicht des Fremden stand ein hässliches, zynisches Grinsen.

Mit dem Absatz kickte er die Tür ins Schloss, während sich aus dem Nachbarraum ein zweiter Mann näherte. In der Hand hielt dieser eine Automatik. Den kalten Lauf spürte sie eine Sekunde später an ihrer Schläfe.

"Scheint, als müssten wir uns mal gründlich unterhalten, Baby!", wisperte einer von ihnen.

Der mit der Pistole ging zum Telefon. Er legte den Hörer auf und betätigte im nächsten Moment die Wiederholungstaste.

Dann nahm er den Hörer ans Ohr, wartete einen Augenblick ab und legte dann endgültig auf. "Sie hat mit dem FBI telefoniert", stellte er fest. Die Art und Weise, wie er das sagte, hatte etwas von einem Todesurteil.

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35

Die Befragung des Reverends hatte nichts gebracht. Wir aßen in einer Snack Bar eine Kleinigkeit, und tranken Kaffee aus Pappbechern. Zwei Kollegen würden die Aufgabe übernehmen, Mincuso zu beschatten. Milo und ich wären dafür zu auffällig gewesen. Schließlich kannte der fromme Mann uns ja inzwischen. Dann saßen wir im Sportwagen und ließen uns von der Zentrale durchgeben was es inzwischen an neuen Erkenntnissen über Reverend Paul Mincuso gab. Ermittlungen per Computer konnten sehr effektiv sein. So hatte die Stiftung, der Mincuso vorstand, Ärger mit der Steuerbehörde gehabt und war daher vor en paar Jahren von Jersey City nach New York umgezogen. Mincuso musste immense Summen durch Spenden haben. Ein wohlgeöltes Unternehmen, das Geld wie Heu hatte. Doch immer wieder war in der Vergangenheit der Verdacht aufgekommen, das Gelder aus der Stiftung in düsteren Kanälen verschwanden.

Vielleicht in der Finanzierung von Todeskommandos...

Aber nach wie vor hatten wir nichts über die KÄMPFER DES LICHTS. Nichts, was Mincuso mit dieser ominösen Mörderorganisation in Verbindung brachte. Nichts, was einwandfrei bewies, dass er der Kopf hinter diesen Morden war, die einige illustre Köpfe der New Yorker Unterwelt dahingerafft hatten...

"An dem Kerl haben wir uns heute ganz schön die Zähne ausgebissen", meinte Milo."Der ist aalglatt." Er atmete tief durch und sah mich an. "Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass wir uns vielleicht verrennen, Jesse?

Möglicherweise waren Dobbs und Chuck Belmont doch nicht Teil einer Organisation... Hast du das mal zu Ende durchdacht?

Gut, einen Komplizen müssen sie noch gehabt haben, aber..."

Dann meldete sich die Zentrale. Catherine Dobbs hatte sich dort unter ziemlich mysteriösen Umständen gemeldet und verlangt, mich zu sprechen, ehe der Kontakt abgebrochen war. Von unserem gegenwärtigen Standpunkt in der Nähe des Northern Boulevard war es nicht weit bis zu Catherines Wohnung. Nur ein paar Minuten. Ich setzte das Blaulicht auf den Sportwagen und ließ den Motor aufheulen.

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36

Als wir an der Haustür klingelten, reagierte niemand.

"Ich werde es mal hinten herum über die Feuerleiter probieren", meinte ich.

Milo nickte. "Und ich versuche es auf dem normalen Weg." Er klingelte bei irgendeiner der Wohnungen. "FBI. Bitte machen Sie die Tür auf!", meldete er sich an der Gegensprechanlage.

Ich machte mich derweil auf den Weg und umrundete den Block. Nur wenig später hatte ich den Hinterhof erreicht.

Wir hatten Verstärkung angefordert, konnten aber unmöglich warten, bis sie eintraf. Ich sah mich um. Meine Hand zog die Waffe heraus. Vorsichtig schlich ich die Feuerleiter hinauf.

Als ich Catherines Wohnung erreichte, hörte ich ihren unterdrückten Schrei durch das eingeschlagene Fenster.

Ich stieg durch das Fenster. Ganz vorsichtig. Dann befand ich mich in Catherins Wohnzimmer. Mit schnellen Schritten durchquerte ich es. Die Tür stand einen Spalt offen. Ich presste mich daneben an die Wand, die Waffe mit beiden Händen gepackt.

"Es hat keinen Zweck, sie wird keinen Ton mehr sagen!", meinte eine raue Männerstimme.

Catherine wimmerte.

"Was machen wir jetzt?", fragte eine zweite Männerstimme.

"Unsere Anweisungen sind klar..."

Es machte Klick. Der Hahn eines Revolvers wurde gespannt.

Jetzt tauchte ich aus meiner Deckung hervor. Ich sah zwei Männer. Einer hielt eine Automatik in der Hand, der andere einen Revolver, dessen Lauf auf Catherines Kopf gerichtet war. Offenbar hatte man sie geschlagen. Jedenfalls blutete sie aus der Nase und dem Mund. Der Kerl mit der Automatik hielt sie grob am Arm.

"Waffen weg! FBI!", rief ich.

Der Kerl mit der Automatik ließ mir keine andere Wahl. Er riß seine Waffe hoch und feuerte. Ich ließ mich seitwärts fallen, während das Projektil meines Gegners dicht über mir den Türrahmen zerfetzte. Mein Schuss traf ihn mitten in der Brust und ließ ihn rückwärts taumeln, ehe er der Länge nach hinschlug. Ich rollte mich am Boden herum, riss die Waffe in die Höhe und...

...erstarrte.

Der zweite Mann hatte Catherine gepackt und grob zu sich gerissen, so dass ihr Körper den seinen schützte. Den Revolver hielt er ihr an die Schläfe. Ein gemeines Grinsen stand auf seinem Gesicht.

"Worauf wartest du?", wisperte er. "Die Waffe weg, oder der Lady fehlt der Kopf!"

Einen Moment lang zögerte ich. Aber er saß am längeren Hebel. Ich ließ die Waffe langsam sinken. Der Kerl wich zusammen mit Catherine rückwärts, bis er die Wohnungstür erreicht hatte. Der Lauf seines Revolvers drückte noch immer gegen ihren Kopf. "Mach keine Dummheiten, Kleines!", zischte der Kerl, dann öffnete er die Tür. Mein Blick glitt zu meiner Waffe am Boden. Aber jeder Gedanke daran, mir die Waffe zurückzuholen, war sinnlos. Der Türspalt wurde größer und dann erstarrte der Kerl mit dem Revolver, als er seinerseits das kalte Eisen einer Waffe an der Schläfe fühlte. Die Waffe des FBI.

"Das Spiel ist aus, Mister!", sagte Milo Tuckers ruhige Stimme.

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37

Der Kerl, den wir festgenommen hatten, weigerte sich, auch nur einen Ton zu sagen. Papiere hatte er nicht bei sich, genau wie der Mann, den ich niedergeschossen hatte. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis wir die Identität der beiden herausgefunden hatten. Nach und nach trafen die Kollegen ein.

Ich wandte mich an Catherine, die sich inzwischen mit einigen Papiertaschentüchern das Blut aus dem Gesicht gewischt hatte.

"Wie wär's, wenn Sie Ihr Schweigen jetzt brechen, Catherine. Was ist hier geschehen?"

"Sie garantieren für meine Sicherheit?"

"Reden Sie schon!"

Sie sah mich an und sagte dann: "Die beiden Männer gehören zu einer Organisation, die sich KÄMPFER DES LICHTS nennt.

Billy war auch dabei. Diese Organisation bildet geheime Todeskommandos aus, die Hinrichtungen an Gesetzesbrechern vollstreckt... Der Anführer ist Reverend Paul Mincuso..."

Ich nickte. "Die Kerle hatten Angst, dass Sie reden, nicht wahr?"

"Ja. Anscheinend sind Sie Mincuso zu sehr auf den Pelz gerückt und der glaubte dann sofort, dass ich geredet habe."

Er rief hier an und drohte mir..."

"Sie kennen Mincuso persönlich?"

"Billy hat mich einige Male zu den Treffen mitgenommen.

Zuerst habe ich gedacht, dass die KÄMPFER DES LICHTS eine gute Sache vertreten. Aber dann..."

"Dann haben Sie gemerkt, dass die Kerle nicht nur große Rede schwingen..."

"Ich habe versucht, Billy das alles auszureden. Aber was sollte ich denn machen?" Sie schluchzte auf. "Er war doch mein Bruder..."

Ich legte den Arm vorsichtig um sie. Sie war ziemlich am Ende. Und nach dem was sie durchgemacht hatte, war das kein Wunder.

"Was wissen Sie über Belmont?"

"Er war hier in der Wohnung. Zusammen mit Billy."

"Haben Sie eine Ahnung, wo er sich jetz vielleicht aufhält?"

"Ich weiß nicht. Vielleicht in dem geheimen Ausbildungscamp."

"Wo liegt das?"

"Ich war mit Billy einmal dort. Billy hat deswegen ziemlich großen Ärger bekommen. Aber er wollte mir alles zeigen... Es liegt in der Nähe von New Canaan, etwa 50 Kilometer von hier entfernt."

In diesem Moment stieß mich jemand von hinten an. Es war Milo.

"Es kam gerade ein Funkspruch", berichtete er. "Unser Reverend hat sich auf den Weg gemacht. Unsere Kollegen sind, ihm auf den Fersen."

Ich wandte mich an Catherine: "Führen Sie uns zu diesem Camp. Sie sollten das in Ihrem eigenen Interesse tun. Diese Leute sind skrupellos und solange die glauben, dass Sie eine Gefahr für sie sind, werden sie entsprechend handeln..."

Sie nickte.

"Okay", flüsterte sie.

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38

Wir brachen mit insgesamt sechs Einsatzwagen auf. Insgesamt waren etwa zwanzig Special Agents des FBI im Einsatz, darunter auch Orry Medina und Clive Caravaggio. Die meisten trugen FBI-Einsatzjacken und führten auch schwere Waffen mit sich: Die MP 5-Maschinenpistolen von Heckler und Koch sowie Schnellfeuergewehre vom Typ M 16.

Schließlich wussten wir nicht, was für ein Gegner uns gegenüberstehen würde.

Die Strecke bis New Cannaan war kein Problem. Der Highway Richtung New Haven führte direkt an dem 20 000 Seelen-Ort vorbei, das sich bereits auf dem Gebiet des Staates Connecticut befand. Schwierig wurde es erst danach, als wir in die ausgedehnten Waldgebiete kamen, die sich nördlich des Städtchens erstreckten. Die Straßen wurden immer kleiner.

Bald hatten wir es nur noch mit ungeteerten Feldwegen zu tun.

Catherine saß auf der schmalen Rückbank des Sportwagens und versuchte sich zu erinnern. Aber ihr Erinnerungsvermögen schien ihr den einen oder anderen Streich zu spielen.

"Ich weiß, dass es hier irgendwo war!", meinte sie. "Ein richtiges Camp. Ein kleines Blockhaus und dazu ein gutes Dutzend Zelte, die aussahen, als kämen sie aus Army-Beständen."

"Diese Gegend ist wie geschaffen, um sich zu verstecken", meinte Milo. "Und wenn hier jemand Schießübungen durchführt, kriegt das weit und breit kein Mensch mit..."

"Und wenn sich ein Mann wie Chuck Belmont hier versteckt, auch nicht", ergänzte ich.

Wir hatten bereits einen Hubschrauber zur Unterstützung angefordert. Aber dessen Suche glich ebenfalls jener der berühmten Nadel im Heuhafen.

Und dann war da noch Mincuso.

Er hatte sich alle Mühe gegeben, unsere Kollegen abzuschütteln. Aber wie wir über Funktelefon erfuhren, waren sie ihm immer noch auf den Fersen. Mincuso fuhr Richtung Norden. Richtung Connecticut...

Eine Weile irrten wir noch in der Gegend umher, dann sagte Catherine plötzlich: "Halten Sie, Jesse!"

"Was?"

"Halten Sie an!"

Ich tat, was sie verlangte. Sie deutete auf ein Schild mit Hinweisen, wie man sich im Wald verhalten sollte.

Ranger hatten es aufgestellt. Irgend jemand hatte sich mit einer Schmiererei auf dem Schild verewigt.

"Hier war es", erklärte sie. "Ich bin mir sicher." Sie deutete mit dem Arm. "Ein paar hundert Meter in diese Richtung, dann kommt man auf eine Lichtung. Und dort ist es."

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39

Wir stiegen aus, nachdem ich unsere Position durchgegeben und weitere Verstärkung angefordert hatte. Beamten des zuständigen County Sheriffs und der State Police des Staates Connecticut waren hier her unterwegs, um das Gelände weiträumig abzusperren.

Die Schotterpiste zog sich wie ein Strich durch den dichten Wald, der uns von allen Seiten umgab.

Ich wandte mich an die Kollegen. Zwei G-Men bekamen die Aufgabe, Mincuso in Empfang zu nehmen, der offenbar auf dem Weg hier her war. "Es wird nicht mehr lange dauern, bis er hier auftaucht. Und dann kann er sich nicht damit herausreden, hier nur einen Waldspaziergang gemacht zu haben", sagte ich. Er konnte nicht entkommen. Schließlich war ein Beschattungsteam ihm auf den Fersen.

Agent Fred LaRocca blieb bei Catherine, die in meinem Sportwagen sitzenblieb. Ich zog derweil meinen Mantel aus und vertauschte ihn gegen eine FBI-Einsatzjacke. Dann überprüfte ich noch einmal die Ladung meiner Waffe. Milo tat das gleiche. "Also los, Jesse! Worauf warten wir noch?"

"Du hast recht, Milo!"

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40

Ich betete dafür, dass Catherine sich nicht völlig vertan hatte, und wir an der falschen Stelle einen großen Aufstand machten. Aber das war nicht der Fall. Die G-men verteilten sich im Wald. Bald bildeten sie einen Halbkreis. Vorsichtig tasteten sie sich vorwärts. Und dann sahen wir das Camp, in dem der fromme Mincuso seine vom Gerechtigkeitswahn besessenen Killer trainieren ließ. Es lag auf einer kleinen Lichtung. Das Blockhaus, die Zelte...

Aber man sah, dass es unter den KÄMPFERN DES LICHTS Männer gab, die über eine militärische Ausbildung verfügten. Alles war hervorragend getarnt. Selbst der Geländewagen, der etwas abseits abgestellt worden war, war kaum sichtbar. Die Zelte waren mit Laubwerk bedeckt worden, das von Netzen gehalten wurde. Ein Hubschrauber konnte direkt über die Lichtung fliegen und würde erst bei einem Landeflug bemerken, das dort ein Camp existierte.

Wachen patrouillierten hin und her. Sie trugen zusammengewürfelte Uniformteile, wie man sie in jedem US-Army-Shop erwerben konnte - natürlich ohne Rangabzeichen.

Zur Zeit schienen sich etwa ein Dutzend Männer im Camp aufzuhalten.

Sie waren gut bewaffnet. Überall sah ich die kurzläufigen Uzis, eine Waffe, die sich wegen ihrer Handlichkeit hervorragend für Attentäter eignete.

Noch waren sie ahnungslos. Die G-men kreisten das Lager langsam aber sicher ein. Sie warteten nur auf das Signal, um loszuschlagen. Aber man musste dabei vorsichtig sein. Es war wie beim Ausheben eines Wespennestes. Wen man nicht höllisch auf der Hut war, konnte das in einer Katastrophe enden.

Und dann erblickte ich Chuck Belmont.

Er war es, daran gab es keinen Zweifel. Ich erkannte ihn von den Fotos wieder, die ich im Computer gesehen hatte. Er hatte eine Automatik im Gürtel und zündete sich eine Zigarre an. Das Streichholz warf er achtlos weg. Er zog zweimal tief an dem dicken Stängel und blickte sich um. In seinem grobschlächtigen Gesicht zuckte ein Muskel. Er wirkte etwas nervös.

Dann kam das Signal.

Milo gab es, indem er einfach : "Los!" in sein Walkie Talkie rief. Über ein Megafon ertönte dann Orrys Stimme: "Hier spricht das FBI! Werfen Sie die Waffen weg und heben Sie die Hände! Sie sind umstellt! Jeder Widerstand ist zwecklos!"

Die LICHTKÄMPFER standen wie erstarrt da. Dann sahen sie sich hektisch um. Als sie von allen Seiten die G-men in den dunkelblauen FBI-Jacken auftauchen sahen, erkannten sie, dass es sinnlos war, noch Gegenwehr zu leisten. Einer nach dem anderen ließ die Waffe sinken. G-men durchsuchten sie nacheinander und steckten ihre Hände in Handschellen.

Ich kam aus dem Unterholz heraus.

Mein Blick hing an Belmont.

Er stand mit erhobenen Händen da. Aber sein Körper war angespannt. Jeder Muskel und jede Sehne. Mit einem schnellen Blick taxierte er die Lage. Dann stürzte er zur Blockhütte und fiel praktisch in die Tür.

"Bleiben Sie, wo Sie sind, Belmont! Sie sind verhaftet!"

rief ich ihm hinterher. Aber das schien ihn nicht zu kümmern. Er wusste, dass er wegen Mordes drankommen würde.

Eiskalt und in Perfektion ausgeführt. Das konnte in der Todeszelle enden. Darum setzte er alles auf eine Karte. Ich hatte das Blockhaus beinahe erreicht, da donnerte bereits der Feuerstoß eines Schnellfeuergewehrs durch das Fenster. Glas splitterte, und ich warf mich zur Seite.

Noch im Fallen feuerte ich mit der Waffe zweimal kurz hintereinander zurück. Dann rappelte ich mich wieder auf und hatte Sekunden später das Blockhaus erreicht. Ich presste mich gegen die Wand. Die anderen G-men waren so gut es ging mit ihren Gefangenen in Deckung gegangen. Andere, die noch noch nicht in Handschellen waren, mussten mit der Waffe in der Hand in Schach gehalten werden. Der Gedanke an Flucht war jedem dieser Männer von den Augen abzulesen. Aber keiner wagte es schließlich. Und das war auch besser so.

"Geben Sie auf, Belmont! Es hat keinen Sinn!", rief ich.

Ich erhielt keine Antwort. In geduckter Haltung schlich ich um das Haus herum.

Dann ballerte Belmont drauflos.

Die großkalibrigen Kugeln drangen einfach durch das Holz, und ich hatte großes Glück nicht erwischt zu werden. Eine Art Lotteriespiel, das mir nicht gefiel.

Er ist ein Marine gewesen!, rief ich mir ins Gedächtnis zurück. Er hatte gelernt, wie man tötet - und wie man gegebenenfalls auch mit einer Übermacht fertig wird.

In kurzen Abständen schoss Belmont mehr oder minder aufs Geratewohl durch das Holz.

Dann herrschte einige schreckliche Augenblicke lang wieder Stille.

Ich schlich weiter um das Blockhaus herum.

Milo hatte sich inzwischen von der anderen Seite an das Haus herangearbeitet.

Und dann...

Ein Geräusch!

Ich kannte dieses Geräusch nur zu gut und mir war in dieser Sekunde klar, dass ich blitzschnell handeln musste.

Belmont wechselte sein Magazin.

Ich sprang auf.

Aus den Augenwinkeln heraus sah ich Milo Tuckers entsetzten Blick, aber mein Freund hatte nicht hören können, was ich gehört hatte.

Ich stürmte zur Tür des Blockhauses, trat sie mit einem wuchtigen Tritt ein und blickte in den Lauf von Belmonts Schnellfeuergewehr. Ein kräftiger Ruck nur und er hätte das Magazin eingeschoben. Seine Sehnen waren gespannt wie ein Bogen. Aber er hielt in der Bewegung inne. Eine Sekunde und er würde mich über den Haufen schießen können. Ein Feuerstoß von mehr als zwanzig Geschossen innerhalb einer Sekunde würde mich durchsieben.

Aber ich brauchte nicht einmal eine halbe Sekunde, um meine Waffe abzudrücken.

Und das wusste er.

Er ließ die Waffe sinken.

Sein Mörderspiel war ausgespielt.

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41

Paul Mincuso machte ein ziemlich erstauntes Gesicht, als er von unseren Leuten in Empfang genommen wurde.

Er hatte wohl vorgehabt, möglichst schnell dafür zu sorgen, dass das Camp spurlos verschwand. Und dem Telefon hatte er nicht mehr getraut. In den Verhören, die in den nächsten Tagen durchgeführt wurden, entwirrte sich dann nach und nach alles. Es dauerte nicht lange und die unteren Chargen in Mincusos Killer-Organisation hatten keine Lust, die Schuld allein auf sich zu nehmen. Einer belastete bald den anderen und so kam alles ans Tageslicht. Mincuso war der geistige Kopf der KÄMPFER DES LICHTS gewesen. Er hatte sogar die Opfer zum Teil selbst ausgewählt. Die Durchführung lief weitgehend unter dem Kommando von Chuck Belmont, der von dem Security Man, nach dessen Aussage ein Phantombild von Shokolevs Mördern erstellt worden war, als einer jener Männer wiedererkannt wurde, die Big Vlad ermordet hatten.

Dem Prozess konnten wir in aller Gelassenheit entgegenblicken.

Und das galt auch für Catherine Dobbs. Da sie bereit war, umfassend auszusagen, plädierte der Staatsanwalt dafür, die Strafe, die sie wegen Verdunkelung einer Straftat erwartete, zur Bewährung auszusetzen.

ENDE

Mörderclub und Damentod: 7 Strand Krimis

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