Читать книгу Gorian und das verschwundene Schwert - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 5
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“Sei gegrüßt, Thondaril!”
Gorian erhob sich von seinem Platz in dem großen Empfangssaal jenes Turms, in dem er seit Ende des Krieges gegen Morygor, den Herrn des Bösen, residierte.
Thondaril - jetzt Hochmeister des Ordens der Alten Kraft und von jeher Gorians Mentor und väterlicher Freund...
Gorian war sich der Tatsache sehr wohl bewusst, dass er all die Taten, die nötig gewesen waren, um den mächtigen Morygor zu besiegen und den Schattenbringer, der die Sonne verdunkelt hatte, zu vertreiben, nicht ohne Thondarils Hilfe und Anleitung hätte vollbringen können.
Und auch jetzt gab er viel auf den Rat des neuen Hochmeisters des Ordens der Alten Kraft.
Ein relativ entspanntes Lächeln erschien nun auf Gorians Gesicht. Zum ersten Mal seit Tagen. Denn die üblen Träume, die ihn heimsuchten, sorgten dafür, dass er sich angespannt fühlte. Eine Anspannung, die man auch seinen Gesichtszügen deutlich ansehen konnte.
Gorian ging Thondaril entgegen.
Dieser musterte ihn aufmerksam.
Vor ihm kann ich nichts verbergen, dachte Gorian. Jedenfalls weniger als vor den meisten anderen - Sheera vielleicht ausgenommen. Und das liegt nur zum Teil daran, dass er in der Alten Kraft ausgebildet ist.
Zwei Ringe prangten an Thondarils Fingern. Er trug sie beide am Ringfinger der linken Hand. Sie zeigten, dass er zwei Häuser des Ordens der alten Kraft angehörte: Dem Haus des Schwertes und dem Haus der Schatten. Das war in mehr als einer Hinsicht außergewöhnlich und deutete im übrigen an, dass Thondaril über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügte.
Die Ringe waren Zeichen der Meisterschaft.
Und normalerweise erreichte ein Schüler des Ordens der Alten diese Meisterschaft nur in dem Haus, in dem er ausgebildet worden war. Schwertmeister und Meister der Schattenpfadgängerei - diese Eigenschaften in einer Person zu vereinen, war selten...
Es gab nur einen lebenden Magier, der seinen Lehrmeister in dieser Hinsicht derzeit übertraf.
Gorian...
Thondarils Blick war sehr kurz auf die linke Hand seines ehemaligen Schülers gerichtet.
Drei Ringe für die Meisterfähigkeiten dreier Häuser hätten sich dort eigentlich befinden müssen. Aber Gorian trug sie nicht.
Er hat es bemerkt, ging es Gorian durch den Kopf. Aber er hält sich sich darin zurück, dies zu kommentieren. Doch irgendwann wird er mich darauf ansprechen und ich werde nicht umhin können, ihm eine passende Antwort zu geben...
“Wie fühlt man sich als der mächtigste Magier von ganz Ost-Erdenrund, der ohne jeden Zweifel die Welt gerettet hat und ohne dessen Mut Morygor nicht hätte besiegt werden können?”
“Jedenfalls habe ich keinen Bedarf daran, dass man meine Taten aufzählt...”
“So?”
“Was geschehen ist, ist Vergangenheit. Und das einzige, was zählt ist das, was jetzt geschieht.”
“Mag sein. Und doch wird diese Vergangenheit alles bestimmen, was von nun an geschieht.”
“Ja, das stimmt.”
“Ich habe gehört, du hältst inzwischen Audienzen ab - wie ein König oder...”
“...ach das!”
“...oder ein Kaiser!”
“Die Menschen verlangen danach”, sagte Gorian. “Nicht nur hier in Nelbar... in ganz Oquitonien und im Heiligen Reich, beziehungsweise, was davon nach den den Wirren des Krieges und der Vereisung durch den Einfluss des Schattenbringers übrig geblieben ist.. Und darüber hinaus....”
“Darüber hinaus?”
“Es kommen sogar Reisende aus Gryphland, Mitulien und dem Westreich, um nach Rat zu fragen.”
“Was wollen sie von dir?”
Gorian lächelte matt. “Meistens, dass ich Ihnen das Leben mit Hilfe der Alten Kraft erleichtere. Oder sie glauben, dass ich irgendwelchen Gefahren begegnen sollte, von denen sie sich bedroht fühlen.”
“Und - hilfst du ihnen?”
“Die meisten Probleme, die man mir vorträgt, können nicht durch den Einsatz der Alten Kraft gelöst werden, sondern nur durch etwas ganz anderes. Eine Kraft, die vielleicht genauso alt ist und die jeder Mensch besitzt - die einen mehr, die anderen weniger. Sie nennt sich Verstand.”
“Da magst du wohl Recht haben”, nickte Thondaril. Er trat etwas näher. “Ich gehe davon aus, dass du dir der großen Gefahr bewusst bist, in der du dich befindest.”
“Welche Gefahr?”
“Ich spreche von der Gefahr, Hoffnungen zu wecken, die nicht einmal du erfüllen kannst.”
Gorian schluckte. “Ja, das ist mir durchaus bewusst.”
“Du hast Morygor besiegt. Und du hast dafür gesorgt, dass der Schattenbringer nicht länger die Sonne verdunkelt und das Eis sich nicht den ganzen Kontinent zur Beute nimmt. Das ist mehr, als man von irgendjemandem erwarten kann. Alles, was nun kommt, müssen andere tun, Gorian.”
“Ich weiß. Aber was würdest du mir raten? Soll ich mich zurückziehen? Soll ich den Menschen, die über tausende von Meilen nach Nelbar pilgern, sagen, dass ich leider nichts für sie tun kann, weil ich keine Lust dazu habe? Das bringe ich nicht über mich.”
“Es besteht die Gefahr, dass du zum Spielball anderer Mächte wirst, Gorian. Andere werden deine Fähigkeiten für ihre Zwecke auszunutzen versuchen.”
“Dann sollen sie das nur versuchen!”
“Sie tun es bereits, ohne dass du es in jedem Fall bemerken musst.”
“Ich denke, dass ich die Lage unter Kontrolle habe”, gab Gorian zurück.
Thondarils Blick wirkte sehr ernst. Für einen Moment wurden seine Augen von purer Dunkelheit erfüllt. Ein Zeichen der Alten Kraft, wusste Gorian.
“Sollte sich deine Einschätzung aus irgendeinem Grund mal ändern, dann weißt du, wen du jederzeit um Rat fragen kannst, Gorian.”
Gorian nickte. “Das weiß ich.”
“Mach von dieser Möglichkeit Gebrauch. Du weißt, dass ich dir jederzeit zur Verfügung stehe.”
“Ja.”
“Und dass ich von allen wichtigen Amtsträgern im Heiligen Reich wahrscheinlich der Einzige bin, dem du vorbehaltlos vertrauen kannst und der loyal hinter dir steht.”
“Ja.”
Eine Pause entstand. Thondaril legte Gorian eine Hand auf die Schulter.
Gorian zuckte zurück. Er fühlte für einen Moment einen Schmerz, der aber sofort wieder verschwand.
Thondaril hob die Augenbrauen.
“Blutet sie noch?”
“Hin und wieder.”
“Du weißt, dass es keine gewöhnliche Wunde ist, die du damals erlitten hast.”
“Ja, das weiß ich.”
“Sie wird nie ganz heilen.”
“Ich weiß.”
“Wie bei Torbas.”
“Ja.”
“Das war nicht die einzige Gemeinsamkeit, die ihr beide hattet.”
“Torbas ist tot”, erinnerte Gorian.