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Die Raumflotte von Axarabor - Band 92 - Sawyer lebt!
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Sawyer lebt!
Die Raumflotte von Axarabor - Band 92
von Stefan Hensch
Der Umfang dieses Buchs entspricht 93 Taschenbuchseiten.
Zehntausend Jahre sind seit den ersten Schritten der Menschheit ins All vergangen. In vielen aufeinanderfolgenden Expansionswellen haben die Menschen den Kosmos besiedelt. Die Erde ist inzwischen nichts weiter als eine Legende. Die neue Hauptwelt der Menschheit ist Axarabor, das Zentrum eines ausgedehnten Sternenreichs und Sitz der Regierung des Gewählten Hochadmirals. Aber von vielen Siedlern und Raumfahrern vergangener Expansionswellen hat man nie wieder etwas gehört. Sie sind in der Unendlichkeit der Raumzeit verschollen. Manche errichteten eigene Zivilisationen, andere gerieten unter die Herrschaft von Aliens oder strandeten im Nichts. Die Raumflotte von Axarabor hat die Aufgabe, diese versprengten Zweige der menschlichen Zivilisation zu finden - und die Menschheit vor den tödlichen Bedrohungen zu schützen, auf die die Verschollenen gestoßen sind.
Die Superintelligenz Cranium wurde besiegt. Durch den heldenhaften Einsatz eines Teams der Sektion 4 konnte eine gigantische Bedrohung für das axaraborianische Sternenreich ausgeschaltet werden. Seitdem gilt Commander Nataly Sawyer als vermisst. Aber die Sektion 4 lässt niemanden zurück und entsendet eine Rettungsmission. Auf Pentara stellt sich heraus, dass die Strategen des Flottenoberkommandos einen schweren Fehler begangen haben. Ist Cranium wirklich besiegt?
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Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)
© Roman by Author / COVER 3000 AD 123rf STEVE MAYER
© Serienidee Alfred Bekker und Marten Munsonius
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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1
Vor Jahrtausenden
Maxyn stand auf der Zitadelle und bewunderte die Schönheit, an der er maßgeblichen Anteil hatte. Siltanat war die schönste Stadt des ganzen Reichs. Psioniker wie Maxyn waren es gewesen, die die Insel aus den Tiefen des Ozeans aufsteigen gelassen hatten. Die psionisch begabten Männer und Frauen hatten dem Ozean einzig durch die Kraft ihrer Gedanken die Landmasse abgerungen.
Maxyn lächelte. Der Triumph der Psionik war nun nicht mehr zu bestreiten, hatten doch ihre Wirkungen die der Technik längst haushoch übertrumpft.
Wahrzeichen der Insel war der steil in den Himmel ragende Obelisk, der genau im Zentrum der Insel stand. Der Legende nach bestand die Spitze des monumentalen Bauwerks aus einem gigantischen Rubin. Maxyn musste lächeln. Manche Mythen stimmten eben einfach. Aber der Psioniker wusste noch mehr, viel mehr. Der Obelisk mit seinem riesigen Rubin war in doppelter Hinsicht ein Sinnbild für Siltanat. Auch der Obelisk existierte nur, weil es die Psioniker wollten. Die Gesetze der Physik hätten andernfalls schon längst dafür gesorgt, dass die Nadel eingestürzt wäre. Ebenso, wie auch die Insel wahrscheinlich wieder am Meeresgrund liegen würde, dachte Maxyn.
Die Nadel, dachte Maxyn. Die Menschen gaben allem und jedem eigene Namen. Im Fall des Obelisken war dieser Begriff sehr naheliegend, denn das monolithische Bauwerk sah auch tatsächlich wie die Nadel eines Zyklopen aus.
Der Psioniker ging wieder zurück in sein Arbeitszimmer. Wer an Siltanat dachte, dem kam zuerst die Schönheit der Insel in den Sinn. Doch heute würde auf der Insel im Talantic Geschichte geschrieben, und Maxyn war auch daran federführend beteiligt. Zusammen mit seinen Brüdern und Schwestern würde er die Menschheit in ein neues Zeitalter führen, frei von den Zwängen der Beschränkung und des Mangels.
*
Das Ritual fand auf dem großen Platz am Fuße des Obelisken statt. Die Fläche bot für diesen geschichtsträchtigen Moment die ideale Kulisse. Der Ort war Jahunna, der Göttin der Wissenschaften, geweiht worden. Zypressen, Kaluna und Orangenbäume erstreckten sich über das großzügige Areal, fassten es ein und spendeten im Sommer Schatten.
Im Zentrum des Platzes standen die dreizehn Psioniker und hielten sich an den Händen. Die Sonne stand hoch am Firmament und schenkte diesem denkwürdigen Tag wohlige Temperaturen. Hinter den Psionikern drängte sich die Bevölkerung von Siltanat, um später einmal diesen denkwürdigen Tag bezeugen zu können.
Maxyn genoss diesen Zeitpunkt mit jedem Atemzug. Er war es gewesen, der im Ätherraum auf die Erscheinung gestoßen war. Pure Energie, dachte der Psioniker begeistert.
In der Ferne schlug sanft die Glocke der Sankt Timotheus Kathedrale. Dies war das vorher verabredete Signal, um mit der Energiearbeit zu beginnen. Die Psioniker schlossen die Augen und begaben sich in Trance, öffneten sich gleichzeitig aber für Maxyn.
Der erfahrene Psioniker konnte die Fähigkeiten seiner Brüder und Schwestern einsetzen, wie es auch der beste fugranische Dirigent nicht besser konnte.
Die Menschenmassen bekamen von dem größten Teil des Geschehens nichts mit, denn sie waren blind für diese Ebene der Realität. Dafür spürten sie aber ganz deutlich, dass vor ihren Augen irgendetwas Bedeutsames vor sich ging.
Maxyn bündelte die Energien der anderen Psioniker, und fokussierte sie mit seiner eigenen Kraft in den Ätherraum. Er ging dabei bis an die Grenze seiner eigenen Belastbarkeit. Schweiß begann sich auf seiner Stirn zu bilden und lief an seinem Gesicht herunter. Er keuchte vor Anstrengung!
Einige der Zuschauer hielten das Schauspiel für Aufschneiderei. Doch das änderte sich schon bald. Im Park wurde es unnatürlich still. Kein Vogel wagte es mehr zu singen, kein anderes Tier gab mehr einen Laut von sich. Auch die leisen Gespräche der Menschenmassen verebbten. Die Spannung in der Luft war jetzt schon fast greifbar.
Maxyn spürte plötzlich Widerstand. Irgendetwas stellte sich ihren Bemühungen in den Weg. Irritiert intensivierte er seine Anstrengungen nochmals. Mehr von seiner Psikraft konnte er nun nicht mehr einsetzen, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre. Als Mensch war Maxyn weiterhin auf seinen Körper angewiesen, und der ertrug nur ein bestimmtes Belastungsniveau. Ging er über diese Grenzen hinaus, würde sein Körper oder sein Geist Schaden nehmen.
Ein Keuchen drang aus seinem Mund. Er schwankte.
Die Zuschauer hörten es zuerst. Es war ein ansteigendes Rauschen, wie das Brausen eines großen Sturms. Auch Maxyn hörte das Geräusch. Es beruhigte ihn, wusste er doch nun, dass seine Bemühungen nicht erfolglos sein würden.
Das Geräusch wurde lauter und lauter, stieg immer weiter an. Die Menschen wurden unruhig. Maxyn wusste, dass er nun etwas tun musste. Eine Panik konnte niemand gebrauchen. Er öffnete die Augen.
Was haben wir getan, fragte er sich selbst. Der Himmel über Siltanat hing voller schwarzer Wolken. Bis vor kurzem war es angenehm warm gewesen, nun blies kalter Wind über die Insel. In der Ferne blitzte es sogar. Aber von dem Objekt aus dem Ätherraum sah er immer noch keine Spur. Was war hier los?
Aus den Augenwinkeln sah der Psioniker die Bewegung. Er sah genauer hin und erschauerte. Ihnen musste ein schrecklicher Fehler unterlaufen sein. Sie kamen von jeder Seite auf die Insel zu: Turmhohe Wellen!
Maxyn dachte angestrengt nach. Hatte es irgendwo ein Seebeben gegeben? Er wusste es nicht, aber letztlich war es auch egal.
Panik brach unter den Zuschauern aus. Das laute Brausen hatte sich zu einem Tosen gesteigert. Es war, als würde sich der Ozean öffnen, und die Insel verschlingen. Schlagartig wurde es dunkel. Die Wellen erreichten die Insel und schlugen über ihr zusammen. Bevor Maxyn starb, durchzuckte ihn ein Gedanke. Sie hatten grenzenlose Energie für die ganze Menschheit ermöglichen wollen. Doch das hätte zu einem Machtüberschuss geführt. Das musste nicht nur die Bevölkerung von Siltanat erkennen, sondern alle Menschen auf dem Planeten ... Der Geist des Psionikers zerbrach, eher er seinen letzten Atemzug tat. Etwas abgrundtief Schwarzes griff nach ihm. Was hatte er sich da nur angemaßt?
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2
Netaris-System, Planet Pentara
Das Kommandounternehmen unter der Führung von Nataly Sawyer hatte durchschlagenden Erfolg gehabt. Die kleine Einheit der Sektion 4 war unbemerkt ins Hauptquartier der Superintelligenz Cranium eingedrungen. Dort waren sie aber von den Einheiten des Kollektivs umstellt worden. Eine Flucht war unmöglich geworden. Anstelle zu kapitulieren hatte Commander Sawyer die Haftladungen gezündet. Damit war Cranium praktisch enthauptet worden. Jedoch sah es auch nicht gut für das Kommando aus. Es gab keine Exit-Strategie, anstelle dessen wurden die Spezialkräfte unter den Trümmern des Gebäudekomplexes verschüttet.
Kaum waren die Detonationen verklungen, da breitete sich bleierne Stille auf dem ganzen Planeten aus. Jeder Bewohner des Planeten trug ein Implantat in seinem Gehirn, das ihn zu einem Teil des Cranium-Kollektivs gemacht hatte. Im Kollektiv war niemand allein gewesen, niemals hatte Stille geherrscht. Doch das war jetzt vorbei.
In der Nähe des Hauptquartiers der Superintelligenz hatte sich eine Einheit Elitesoldaten für den anstehenden Einsatz bereitgemacht. Die Männer trugen die roten Uniformen des Kollektivs und waren mit schweren Waffen ausgerüstet. Aber keiner der Soldaten regte sich mehr. Jeder Einzelne wirkte völlig verloren, war wie abgeschaltet.
Der Wind fegte über den Platz, wehte Staub und andere Partikel von der Einsturzstelle zu den Soldaten herüber. Die Partikel legten sich auf die Haare und die Kleidung der Soldaten, wurde von diesen eingeatmet. Niemand blinzelte, niemand hustete. Die Menschen hatten sich in lebende Schaufensterpuppen verwandelt.
Doch das war nur das Augenscheinliche. Auf einer anderen Ebene der Wirklichkeit war noch etwas völlig anderes passiert. Dies konnte aber nur ein ausgebildeter Psioniker wahrnehmen. Die Detonation der Ladungen hatte zu einem psionischen Blackout geführt. Das Bewusstsein des Kollektivs war einfach abgeschaltet worden. Dieses Kollektiv wurde jedoch von Millionen Menschen gebildet und war deshalb entsprechend stark. Das Echo im Ätherraum blieb deshalb keinesfalls ungehört, stellte es doch eine der größten Erschütterungen der letzten tausend Jahre in diesem Quadranten des Alls dar. Die Schockwellen breiteten sich durch die ganze Galaxis aus und jeder Psioniker konnte die Erschütterung des Äthers spüren.
Einige der Wesen im Ätherraum blieben neutrale Beobachter dieses Events. Andere waren außer sich vor Wut, da sie die Entwicklung als ungeheuerliche Störung des energetischen Gleichgewichts betrachteten.
Aber es gab noch andere Perspektiven. Im Ätherraum gab es auch Wesen voller Gier, die auf jede sich bietende Gelegenheit warteten, um ihre psionische Fähigkeiten auszubauen. Eines dieser Lebewesen war niemand anderes als Maxyn, der mächtigste Psioniker von Siltanat.
Der Preis für seine Anmaßungen war grauenhaft gewesen. Er hatte tausend Jahre in einer Zwischenwelt vor sich hinvegetieren müssen. In absoluter Dunkelheit und absoluter Stille war er völlig isoliert gewesen. Doch auch diese monströse Strafe war vorübergegangen. Nun war der Ätherraum das Zuhause des körperlosen Wesens. Die Zeit hatte ihn verändert, ja er war sich sogar selbst fremd geworden. In Maxyn war schon vor langer Zeit ein Wunsch aufgekeimt, seitdem suchte er auf eine Gelegenheit.
Selbstverständlich hatte auch er das Echo des gigantischen Blackouts im Ätherraum verfolgt. Das Geistwesen erkannte Millionen gleißende Fäden am Schweif des energetischen Abbilds, dass den Blackout im Ätherraum darstellte. Jeder dieser Fäden führte zu einem der beteiligten Lebewesen. Es mussten Millionen von ihnen sein. Millionen Lebewesen, die nun in der grobstofflichen Welt zu einer Hülle geworden waren. Maxyn sah genau hin. Menschen, dachte er. Das war genau das, wonach die alte Seele suchte. Körper. Energie. Macht!
Lauernd und Meter für Meter bewegte sich Maxyn der Quelle des faszinierenden Echos entgegen. Die Zeit im Exil hatte aus Maxyn ein schwaches Wesen gemacht. Er besaß durchaus noch die Kraft für einen Wechsel in die grobstoffliche Dimension, aber dabei würde er es belassen müssen. Wenn die andere Dimension ihm keine neue Energie anzubieten hatte, würde er auf ewig dort bleiben müssen.
In Maxyn steigerte sich die Gier ins Unermessliche. Dort wo das Echo herkam, gab es Menschen. Wo es Menschen gab, da war auch Lebenskraft. Energie, die er konsumieren konnte. Der frühere Psioniker frohlockte. Dies war die Chance, auf die er gewartet hatte. Das Geistwesen strebte dem Ende der glänzenden Fäden entgegen und damit auch der Welt, aus der das Echo zu ihm gedrungen war...
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3
An Bord der DUFALACHAN, Hauptquartier der Sektion 4
Die Stimmung im Konferenzsaal war angespannt. Der Kontakt zur LAAB, war abgerissen. Das Team unter Commander Nataly Sawyer war mit seiner Statusmeldung längst überfällig. Allen Anwesenden war klar, was das bedeutete.
„Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir von einem Totalverlust ausgehen!“, brachte es Admiral Andrew Van Doren auf den Punkt.
Eiskaltes Schweigen breitete sich im Konferenzsaal aus. Jeder Verlust tat weh, aber im Fall von Commander Sawyer und ihrem Team traf das umso mehr zu. In Zeiten wie diesen brauchten die Menschen Helden dringender als irgendetwas anderes. Nataly Sawyer war gleich in mehrfacher Hinsicht eine Heldin. Als Kampfpilotin war sie ein Ass gewesen und hatte etwas geschafft, was in Fachkreisen als unmöglich galt: die sichere Landung einer Jagdmaschine ohne Antrieb. Das die betreffende Maschine vorher von Sawyer im Handstreich vom Feind erbeutet worden war, stand auf einem anderen Blatt. Als Kommandantin eines Großkampfschiffs hatte sie im Krieg mit den Neranern gleich drei der legendären neranischen Supergroßkampfschiffe ausgeschaltet, und somit auch ihre Besatzung gerettet. Danach war Sawyer in die Dienste der Sektion 4 getreten, jener mysteriösen Organisation innerhalb des Verwaltungsbezirk der Raumflotte, die sich ausschließlich mit die brisantesten Missionen befasste. Admiral Andrew Van Doren war der Leiter der Sektion 4 und unterstand nicht dem örtlichen Flottenoberkommando, sondern direkt dem gewählten Hochadmiral.
„Ist Pentara bereits gesperrt worden?“, riss Colonel Said den Admiral aus seinen Gedanken.
Van Doren nickte. „Kein Schiff der Raumflotte darf sich dem Planeten ohne ausdrückliche Sondergenehmigung nähern.“ Der Admiral faltete seine Hände auf der Tischplatte zusammen. „Die SHULACO wird soeben für einen Rettungseinsatz ausgerüstet. Wir lassen keinen unserer Leute dort draußen zurück!“
Alle Beteiligten waren sich in diesem Punkt einig. Generell war dies eine gültige Regel innerhalb der Raumflotte von Axarabor, aber die Sektion 4 fühlte sich diesem Grundsatz ganz besonders verpflichtet. Das galt selbst dann, wenn nur noch die sterblichen Überreste von Kameraden zu bergen waren.
„Wer ist der kommandierende Offizier dieser Mission?“, fragte Doktor Delorean.
„Commander James Baxter und Lieutenant Commander Catrina Knox.”
Colonel Said sah den Admiral irritiert an. „Ist das wirklich die richtige Mission für so einen wildgewordenen Cowboy wie Baxter?”
Andrew Van Doren nickte langsam. „Baxter hat Mist gebaut. Bei der letzten Mission wäre er beinahe vor dem Kriegsgericht gelandet, aber gleichzeitig hat er mit seinem unkonventionellen Vorgehen Menschenleben gerettet.“ Van Doren hob beide Hände. „Außerdem wird er von Catrina Knox begleitet.“
Der Colonel zuckte mit den Schultern. „Der Junge soll auch eine Chance zur Rehabilitation bekommen, keine Frage.“
Was der Colonel wirklich meinte, war Van Doren und Delorean klar. Höchstwahrscheinlich würde die SHULACO im besten Fall nur Blechsärge zurückbringen können. Aber diese Mission hatte einen symbolischen Wert, der nicht durch unüberlegtes Vorgehen gefährdet werden sollte.
„Wenn Baxter sich bei dieser Mission einen vermeidbaren Schnitzer erlaubt, landet er sehr weit draußen auf einem Außenposten. Dafür werde ich sorgen!“
*
Jason Mind war nicht tot. Der Psioniker erinnerte sich sogar an den letzten Moment, bevor alles um ihn herum schwarz geworden war. Er hatte Nataly Sawyer angesehen und gewusst, was passieren würde. Der harte Ausdruck um ihren Mund hatte gar keinen anderen Schluss übrig gelassen. Die Anführerin des Sektion 4 Kommandos wollte die Mission um jeden Preis abschließen, denn ein Scheitern konnte das Ende des Sternenreichs bedeuten. Cranium war ein Gegner, wie ihn Axarabor bisher niemals zuvor gehabt hatte. Die Superintelligenz hatte einen Plan und handelte ohne Rücksicht auf Verluste. Im Netaris-System hatte sich das Kollektiv so effektiv und unaufhaltsam wie ein Virus ausgebreitet. Diese Krankheit musste jetzt gestoppt werden, und Sawyer war bereit, alles für dieses Ziel zu opfern.
Dann war der Daumen der Kommandantin in Richtung des Auslösers gezuckt. Sekundenbruchteile später detonierten die Haftladungen. Fomin hatte das Pech gehabt, direkt im Explosionsradius einer Ladung zu stehen. Mind hatte gesehen, wie der ehemalige Raumlandeinfanterist in zwei Stücke gerissen wurde. Dann stützte das Gebäude über ihnen zusammen und begrub sie unter sich. Zuerst hatte es ganz gut ausgesehen, denn der Psioniker hatte sich in einem Hohlraum befunden. Doch dann schlug ihm irgendetwas gegen den Kopf. Das war das bisherige Ende gewesen. Seitdem befand er sich im Ätherraum. Wie lange er schon hier war, wusste der Lieutenant Commander nicht, denn Zeit war im Äther noch irrealer, als in der grobstofflichen Dimension.
Zum ersten Mal war Mind während seiner Ausbildung bei der Sektion 4 in den Ätherraum gekommen. Vorher war der junge Mann Erster Offizier gewesen. In den Wirren des Krieges gegen die Neraner war sein Schiff in eine Falle im Subraum geraten. Dort gestrandet, hatte die Besatzung der es dann mit Wesenheiten zu tun bekommen, die jeder Beschreibung trotzten. Am Ende war es ein Team der Sektion 4 gewesen, das den Ersten Offizier vor einem furchtbaren Schicksal gerettet hatte. Ironischerweise war der Psioniker eine der Hauptakteure gewesen, ohne das er den Grund dafür kannte. Es waren seine psionischen Fähigkeiten, die für die Monstren so attraktiv gewesen waren . Er selbst hatte hingegen absolut nichts von seiner Veranlagung geahnt. Nach seiner Rettung waren diese Fähigkeiten dann auch mehr als nur interessant für die Sektion 4. Admiral Andrew Van Doren hatte ihm ein Angebot gemacht, das er einfach nicht ablehnen konnte. Kurz darauf hatte der junge Offizier an einem harten Training teilgenommen, dass die Beherrschung seiner Fähigkeiten als Ziel hatte. Jason Mind hatte dieses Training bestanden, war aber immer noch vom Ausmaß seiner ungeahnten Fähigkeiten überrascht. Von einer vollständigen Kontrolle seines Potenzials konnte also definitiv noch keine Rede sein.
Während der Anfangszeit bei der Sektion hatte er auch den Transfer in den Ätherraum beigebracht bekommen. Zu Anfang war es eine nervenzerfetzende Geduldsprobe gewesen, hatte dann aber immer besser funktioniert. Dennoch war der Wechsel in den Äther aber immer eine bewusste Entscheidung gewesen. Auf Pentara hatte er diese Entscheidung nicht getroffen, er hatte einfach das Bewusstsein verloren. Irgendetwas hatte also für ihn entschieden, und ihn hierher gebracht. Mind würde herausfinden, wer oder was dafür verantwortlich war!
Einmal mehr sah sich der Psioniker die Spur der Erscheinung an. Das große Geheimnis des Ätherraums war, was dieses Reich überhaupt wirklich war. Offiziell existierte der Äther nicht, denn er konnte nicht von profanen Wissenschaftlern erforscht werden. Zur Erforschung dieser Welt wurde demzufolge ein psionisch begabter Mensch benötigt. Bisher fanden nur bei der Sektion 4 Experimente und Forschungen zu diesem Thema statt. Eine der momentan gängigen Theorien ging davon aus, dass der Ätherraum eine Art Resonanzraum war, auf den sich Ereignisse aus der grobstofflichen Welt auswirken konnten. Aber auch das Gegenteil war seiner Meinung nach wahr. Veränderungen im Ätherraum hatten teils massive Einflüsse in der grobstofflichen Welt.
Die Erscheinung, die Mind ganz in ihren Bann zog, war lediglich ein Abbild oder ein Symbol für etwas in der grobstofflichen Welt. Egal was es gewesen war, es musste gigantisch gewesen sein!
Mind besaß auch im Äther sein gewohntes Aussehen, nur war es um einiges grobschlächtiger, als in der materiellen Welt. Im Äther ging es um eine Entsprechung zum Kern der Dinge, nicht um Oberflächlichkeiten. Deshalb haftete dieser Dimension stets etwas Traumartiges an.
Schritt für Schritt folgte der Psioniker der Spur der Erscheinung. Während der ganzen Zeit sah er die Signaturen anderer Wesen, die den Äther bevölkerten. Neben diesen sichtbaren Bewohnern dieser Dimension gab es noch zahlreiche andere, die Mind nicht sehen konnte. Dieser Effekt hatte mit der Entwicklungsebene eines jeden Individuums zu tun. Hochentwickelte Lebewesen waren nur in der Lage, Ihresgleichen wahrzunehmen. Umgekehrt galt dasselbe. Da Zeit völlig irrelevant war, versuchte Mind sie gar nicht erst zu messen. Irgendwann würde er sein Ziel unweigerlich erreichen. Und so war es dann auch. Mitten im energielosen Nichts des Ätherraums stieß er auf die Erscheinung.
Mind erkannte die absurde Dimension des Objekts. Es war so groß, dass er dazu keinerlei Entsprechung finden konnte. Wie alles andere auch, war der Erscheinung deutlich die Abstraktion des Äthers anzusehen. Was er da vor sich sah, wirkte auf ihn wie ein gigantischer goldener Komet. Dieser Komet zog einen prächtigen Schweif hinter sich her, der vielleicht aus Myriaden einzelner Fasern bestand. Aber letztlich war das Aussehen völlig sekundär, denn Mind beschäftigte gerade etwas völlig anderes.
Energie, dachte der Psioniker. Die Erscheinung war mit einer unglaublichen Fülle von Energie verknüpft. Diese Energie befand sich aber nicht hier im Äther, sondern in der grobstofflichen Dimension.
Voller Neugierde trat Mind an das Symbol heran. Fasziniert sah er die Millionen glitzernder Schnüre an, die von der Erscheinung wie ein gigantischer Schweif hinter sich hergezogen wurde.
Plötzlich wusste er, womit er es hier zu tun hatte. Woher er die Erkenntnis nahm, wusste der Psioniker nicht. Jede haardünne Schnur symbolisierte die Verbindung eines Menschen mit dieser Erscheinung.
Auch die nächste Information stellte sich offenbar spontan ein. Psionische Energie war freigesetzt worden, in einer fast schon absurden Dimension. Aber es stellte sich noch eine andere Gewissheit ein. Was auch immer die psionische Energie erschaffen hatte, es war auch der Grund für seine Anwesenheit im Ätherraum!
In diesem Moment wurde das gleißende Leuchten der Erscheinung von einem Schatten verdunkelt. Mind trat überrascht ein paar Schritte zurück. Aber das war nichts, was für diesen Schatten verantwortlich war ...
Zumindest nichts, was ich sehen kann, dachte Mind. Er war jetzt ganz aufmerksam, wollte jeden Eindruck aufsaugen. Vielleicht kam er auf diese Weise hinter die Identität des Wesens, dass hier ganz eindeutig die Fühler nach der Erscheinung ausgestreckt hatte.
Dann war der Schatten wieder so schnell verschwunden, wie er auch gekommen war. Mind stand allein in der Nähe der Erscheinung. Er spürte einen kalten Hauch, den er vorher nicht wahrgenommen hatte. Um wen es sich auch immer gerade gehandelt hatte, es handelte sich definitiv nicht um eine der guten Seite zugewandten Kreatur!
Mind fröstelte es. Er hatte bereits einmal eine ähnliche Empfindung gehabt. Es war damals im Subraum gewesen, als sein Schiff dort festgesessen hatte. Der Psioniker hatte die furchtbaren Kreaturen gewittert, die dort draußen ihr Unwesen getrieben hatte. Doch das Wesen, das gerade seinen Schatten auf die symbolische Erscheinung geworfen hatte, war anders. Seine bösartige Ausstrahlung stellte einfach alles in den Schatten, sogar die widerlichen Monstren des Subraums. Mind presste die Lippen aufeinander. Um was es sich auch immer bei dem Wesen gehandelt hatte, wenn sie erneut aufeinandertreffen würden, würden sie dies als Feinde tun. Der Psioniker war bereit, denn dies war genau die Art von Einsatz, für die er von der Sektion 4 ausgebildet worden war.
Doch da tauchte plötzlich die gefährliche Frage aus einem Unterbewusstsein auf, die alles in den Schatten stellte. Was war, wenn Jason Mind in der grobstofflichen Welt schon längst das Zeitliche gesegnet hatte? War der Psioniker dann für immer und ewig ein Gefangener dieser Dimension?
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4
Netaris-System
Die SHULACO war offiziell kein Schiff der Raumflotte von Axarabor, sondern Eigentum der Löwenstein Agentur. Durch eine Direktive des Flottenoberkommandos wurden dem privaten Raumschiff aber sämtliche Privilegien eingeräumt, die auch jedes Schiff der Raumflotte besaß.
Böse Zungen behaupteten, dass es sich bei der Löwenstein Agentur um eine Söldnerfirma handelte. In diesem Fall waren diese Zungen nicht nur böse, sondern auch noch auf die Desinformations-Kampagne der axaraborianischen Administration hereingefallen. Die Löwenstein Agentur erhielt tatsächlich höchste Summen, um militärische Probleme zu lösen. Der Clou an der Sache war aber, woher dieses Geld wirklich kam, und welchen Interessen die Agentur tatsächlich diente. Die Einheiten des privaten Militärdienstleisters wurden nämlich überall dort eingesetzt, wo der Einsatz regulärer Truppen der Raumflotte nicht opportun oder zumindest delikat war. Dabei handelte es sich oftmals um Einsätze im Hoheitsgebiet des Sternenreichs, zum Beispiel wenn ein ranghoher Offizier unter Korruptionsverdacht stand. Die Löwenstein Agentur führte die Befehle ihres Auftraggebers direkt und ohne Nachfragen aus. Somit konnten sich die höchsten Kreise des Sternenreichs sicher sein, dass sie auch im dichtesten Filz stets die Kontrolle behielten.
Die Besatzung der SHULACO bestand ausschließlich aus ausgeschiedenen Offizieren der Raumflotte, schließlich bezahlten private Unternehmen deutlich mehr als das Sternenreich.
Commander James Baxter war den Avancen der Löwenstein Agentur sehr früh erlegen. Bei der Schlacht von Modera hatte er durch seine ebenso cleveren wie auch rücksichtslosen Aktionen für Aufmerksamkeit gesorgt. Kurze Zeit später war die Sektion 4 auf ihn zugekommen und hatte für den Rest gesorgt. Offiziell war Baxter aus dem Dienst ausgeschieden, faktisch tat er immer noch seinen Dienst in der Flotte.
Auf der Brücke des leichten Kreuzers herrschte betriebsame Stille. Baxter saß auf seinem Platz und beobachtete die Anzeige des taktischen Interface. Im System wimmelte es nur so von axaraborianischen Einheiten. Die meisten der Schiffe waren mit der Bergung der Cranium Schiffe beschäftigt. Auch diese Operation erfolgte auf Initiative der Sektion 4. Die Technologie des Kollektivs war so effektiv gewesen, dass sie genauer analysiert werden musste.
Es gab aber auch Schiffe, die zur Sicherung der Bergungsoperation abgestellt worden waren. Einige von ihnen hatten die SHULACO misstrauisch mit ihren Sensoren erfasst und überprüft. Es handelte sich schließlich um ein privates Raumschiff. Sobald aber das Schiff automatisch identifiziert worden war, wurde die hohe Sicherheitsfreigabe und die Sondererlaubnis für den Anflug auf Pentara angezeigt. Damit war dann die Aufgabe der Sicherungseinheiten beendet, und sie konnten mit der Suche nach unberechtigten Eindringlingen fortfahren.
Der Zugang zur Brücke öffnete sich. Ohne hinzuschauen, wusste Baxter wer es sein würde. Aber der blonde Commander sah trotzdem hin.
Was Baxter sah, gefiel ihm. Catrina Knox hatte die Brücke betreten. Die Augen des Commanders strichen über das porzellanfarbene Gesicht der Rothaarigen und verharrten auf ihrem schlanken und zugleich auch sehr femininen Körper. Ein schmales Lächeln erschien um seine Mundwinkel. Die Uniform der Raumflotte hätte diesen wunderbaren Körper fast schon zu sehr verhüllt. Da bot die deutlich besser geschnittene Uniform der Löwenstein Agentur doch eine wesentlich angenehmere Erscheinung.
„Erste Offizierin auf der Brücke“, meldete sie.
„Das sehe ich“, kommentierte Baxter und nickte Catrina zu.
„Gab es besondere Vorkommnisse?“
Jim Baxter schüttelte den Kopf. „Nur jede Menge Einheiten der Raumflotte, die den Müll von Cranium wegräumen.“
Die grünen Augen von Knox ruhten auf Baxter. Auf dem Schiff war es kein Geheimnis, dass der Commander und die Erste Offizierin wohl niemals mehr ihre Freundschaft zueinander entdecken würden.
„Es dürfte sich dabei wohl kaum um Müll halten, Commander. Van Doren hofft aus dem Equipment wertvolle Informationen für die Entwicklung eigener Projekte zu gewinnen.“
Baxter presste seine Lippen fest zusammen. So sehr dem jungen Offizier das Äußere seiner Stellvertreterin gefiel, umso mehr stieß ihn die konservative und völlig spaßbefreite Art dann auch wieder ab. „Sie haben natürlich wie immer recht, Lieutenant Commander.“
Damit war das Gespräch beendet. Baxter hatte keine Muße mehr, um sich von der Ersten Offizierin belehren zu lassen. In Kürze würde sich diese Episode aber sowieso erledigt haben. Admiral Van Doren hatte beschlossen, Catrina Knox ein eigenes Kommando zu geben. Die junge Offizierin wusste noch nichts davon. Baxter hatte beschlossen, dass er ihr die Information nach diesem Einsatz geben würde. Er war gespannt, wer ihr Nachfolger werden würde.
Der Blick des Kommandanten der SHULACO wanderte wieder zum taktischen Display. Das Schiff näherte sich unaufhaltsam einem einzelnen blauen Kontakt. „Gibt es schon etwas von der LAAB zu sehen, Mister Suko?“
„Aye, Sir“, antwortete der Sensoroffizier und legte eine hochauflösende Aufnahme der LAAB auf den Hauptschirm.
„Was für eine Schiffsklasse ist das nochmal?“
Baxter lächelte in sich hinein. Also gab es doch noch etwas, was seine altkluge Erste Offizierin noch nicht wusste.
„Die LAAB ist ein Prototyp“, antwortete der Kommandant.
„Wow, ich habe davon gehört. Aber warum hat das Schiff seinen Tarnmodus nicht aktiviert?“
Baxter runzelte die Stirn. Wusste Knox das wirklich nicht, oder wollte sie nur etwas seinen Bauch pinseln? „Der Tarnmodus ist extrem energieaufwendig. Deshalb kann er nicht unbegrenzt eingesetzt werden.“
Die Erste Offizierin betrachtete konzentriert den Videoschirm. Ästhetik und Funktionalität konnten also doch auch gelegentlich Hand in Hand gehen!
„Scan der LAAB, Mister Suko.“
Es dauerte eine Weile, dann antwortete der Sensoroffizier. „Das Schiff ist funktionsfähig, Reaktorkerne sind intakt. An Bord der LAAB befindet sich niemand.“
Genau das hatte Baxter erwartet. Von dem Kommando unter Commander Sawyer gab es weiterhin keine Spur. „Sie bleiben an Bord, Lieutenant Commander. Ich sehe mir die LAAB mal etwas genauer an.“
Knox wollte protestieren, doch da hörte Baxter schon gar nicht mehr zu. Er war von seinem Platz aufgestanden und trat von der Brücke. Dies war das Privileg des Kommandanten, auch wenn die Vorschriften hinsichtlich der Außeneinsätze vielleicht eine etwas andere Perspektive hatten.
*
Baxter und drei seiner Sicherheitsleute betraten in Raumanzügen die LAAB. Kaum hatten sie das Schiff betreten, untersuchten die außen an den Anzügen angebrachten Sensoren die Atemluft. Sie war frei von Krankheitserregern und Schadstoffen. Baxter nahm sofort den Helm ab. Seine Männer folgten seinem Beispiel.
Mit schnellen Schritten durchquerte das Außenteam die LAAB. Das Schiff war deutlich kleiner als die SHULACO, deshalb kamen sie schnell in der Kommandozentrale an. Genau dort wollte Baxter auch hin, denn er suchte nach Antworten.
Mit geschickten Bewegungen navigierte der Commander durch das Logbuch der LAAB und fand auch assoziierte Aufnahmen der Kameras, die zur Planetenbeobachtung und damit auch zur Dokumentation der Mission eingesetzt worden waren. Die ersten Aufnahmen zeigten den Start des Landungsschiffs und seinen Flug in Richtung der Planetenoberfläche. Es folgten einige kurze Detailaufnahmen, die den Verlauf der Mission dokumentierten. Zuletzt stieß Commander Baxter auf eine Luftaufnahme. Wenn er sich nicht ganz täuschte, musste es sich um das eigentliche Zielgebiet handeln. Der junge Offizier kniff seine Augen zusammen. Im Zentrum des Bilds war deutlich ein Hochhaus zu erkennen. Es war von zahlreichen Infanterieeinheiten und gepanzerten Fahrzeugen umstellt.
Aus diesem Kasten gibt es kein Herauskommen mehr, dachte Baxter. Und so war es auch. Eine Serie starker Explosionen schleuderte Staub und andere Partikel in die Höhe, dann stürzte das Hochhaus in sich zusammen.
„Mission erfüllt“, sagte er leise.
„Was haben Sie gesagt, Sir?“, fragte Knox per Funk.
Doch Baxter hörte gar nicht auf die Stimme in seinen Ohrhörern. Anstelle dessen starrte er auf das Display. Obwohl das Haus gerade zusammengestürzt war, blieben die Bodeneinheiten an Ort und Stelle. Sie bewegten sich um keinen einzigen Zentimeter. Da durchfuhr es den Kommandanten der SHULACO. Den Menschen erging es nach dem Kollaps von Cranium genauso wie den Raumschiffen des Kollektivs. Sie waren Offline. Ein Leben als permanenter Bestandteil der Gemeinschaft hatte sie zu lebensunfähigen Individuen gemacht. Hilflos. Schutzlos. Anstelle sich die richtigen Umstände zu erschaffen, waren sie nun rettungslos den äußeren Umständen ausgeliefert.
*
Stille hatte sich auf Pentara wie ein Flächenbrand ausgebreitet. Eine Explosion hatte das Kollektiv beendet. Überall auf dem Planeten waren die Antennen errichtet worden, die als Transmitter für das drahtlose Netzwerk von Cranium dienten. Nun waren sie vollkommen sinnlos, denn sie wurden von keinem Signal mehr gespeist. Kein Empfänger erhielt mehr irgendwelche Daten mehr aus der Zentrale des Kollektivs, egal ob es sich um die Steuereinheit eines Fahrzeugs, einen Androiden oder ein Implantat im Gehirn der Menschen handelte. Von der einen zur anderen Sekunde war alles offline gegangen.
Das Regiment der Cranium Garde verharrte regungslos neben dem Ort des Unglücks für das Kollektiv. Die Superintelligenz hatte die Garde als letzte Sicherungsmaßnahme bis zuletzt in der Hinterhand gehalten, doch die Künstliche Intelligenz hatte sich an irgendeinem Punkt drastisch verkalkuliert. Dem feindlichen Kommando war ein Volltreffer in das Herz der Infrastruktur des Kollektivs gemacht. Die Superintelligenz war enthauptet worden. Nun existierte Cranium nicht mehr, sein Kollektiv lag in Trümmern.
In den letzten Tagen hatte es geregnet. Die Gardisten waren bewegungsfähig stehengeblieben. Doch irgendwann hatte es begonnen, denn kein Mensch kann regungslos tagelang an einem Platz stehen. Der Reihe nach waren die Männer zusammengeklappt. Übermüdung, Hunger und Durst hatte ihren Körpern den Rest gegeben. Dann war wieder die Sonne aufgegangen und trocknete die durchnässten Uniformen.
Doch die Wärme änderte nichts am Zustand der Soldaten. Regungslos lagen sie im Sonnenschein, gefangen in einem Bereich zwischen Traum und Wachheit. Erneut ging die Sonne unter. Die Schatten wurden wieder länger, die Temperaturen sanken und gleichzeitig begann es wieder zu regnen. Dieses Mal blieben die Männer nicht allein. Der Gestank nach Urin und Kot lockte die ersten Tiere an. Ratten. Zuerst beschnupperten sie die regungslosen Körper nur neugierig, blieben auf Distanz. Mit der Zeit trauten sich die Nagetiere aber näher heran, stupsten die Körper mit ihren Schnauzen an. Zuerst nur äußerst vorsichtig, denn die intelligenten Tiere spürten die Atmung und Wärme der Körper. Als ihre Berührungen keine Reaktionen auslösten, wurden sie aufdringlicher und ihre Berührungen deutlicher.
Irgendwann war es dann soweit. Eine Ratte überschritt die Grenze. Das Tier schlug seine Zähne in den Hals eines gestürzten Gardisten. Die spitzen Zähne durchdrangen mühelos die oberen Hautschichten. Die Nerven des regungslosen Mannes registrierten den Impuls, leiteten ihn in dessen Gehirn weiter. Aber dort verpuffte die Information als eine von zahlreichen Eindrücken, die nicht verarbeitet werden konnten. Also machte die Ratte weiter. Die ersten Bluttropfen traten aus. Gierig schleckte das kleine Tier die rote Flüssigkeit mit seiner Zunge. Gier flammte in der Ratte auf, motivierte sie, unablässig ihre Zähne in das warme Fleisch des Soldaten zu schlagen. Das austretende Blut verströmte seinen kupfrigen Geruch, lockte andere Ratten herbei. Innerhalb kürzester Zeit bildete sich um den Körper des Mannes ein dichter schwarzer Pelz aus Nagetieren. Als um den Soldaten kein Platz mehr war, kletterten die Ratten auf den Körper und begannen sich dort den freien Hautstellen zu widmen. Weitere Tiere folgten ihren Artgenossen, kletterten auf den Körper und begannen die Kleidung des Soldaten zu zernagen, damit sie an das herrlich köstliche Fleisch darunter gelangen konnten.
Die Schmerzimpulse fluteten das Gehirn des Soldaten, lösten aber weiterhin keine Reaktion aus. Der Mann war jetzt über und über mit Ratten bedeckt. Eines der Tiere quetschte sich zwischen seinen Artgenossen hindurch, in Richtung des Oberkörpers. Vorhin hatte das kleine Tier nämlich etwas sehr interessantes gesehen. Endlich stand die Ratte an ihrem Ziel. Der Mund des Gardisten stand offen. In hoher Frequenz wurde Luft ausgestoßen. Warme Luft, die in Wölkchen nach oben stieg. Die Aussicht auf ein schönes Nest und Wärme trieb den Nager weiter, direkt auf die Lippen des Mannes zu. Die Ratte steckte vorsichtig ihren Kopf in den Mund hinein. Der Atem des Mannes roch nach vergorenen Speiseresten. Gierig zwängte sich das Tier zwischen den Zähnen in die Mundhöhle hinein ...
*
Der nächste Morgen graute. Er öffnete die Augen. Sonnenstrahlen waren über das Dach des gegenüberliegenden Gebäudes auf ihn gefallen. Der rotuniformierte Gardist lag auf der Seite, inmitten seiner Kameraden.
Da hörte er das Geräusch. Irritiert drehte der Soldat seinen Kopf. Angewidert verzog er sein Gesicht. Was war das für ein schwarzes Ding und was tat es?
Es stand auf zwei Beinen, war pechschwarz und hatte einen langen Schnabel. Das Wort Krähe wäre passend gewesen, aber der Mann konnte damit nichts anfangen. Dafür verstand er, was das Tier tat. Genüsslich pickte es in das rechte Auge eines Menschen, der ebenfalls völlig rote Kleidung trug. Während der Vogel das rechte Auge des Mannes herauspickte, sah ihn der Bedauernswerte mit seinem verbliebenen Auge ausdruckslos an.
Nicht richtig, zuckte es durch den Kopf des Gardisten. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, da berührten die Finger seiner linken Hand etwas Hartes. Er griff zu und hob den Gegenstand langsam vor seine Augen. Stein, dachte der Gardist. Was dann passierte, geschah aus einem Reflex heraus, beruhte nicht auf einer bewussten Willensanstrengung. Der Soldat zielte. Dann schmiss er den Stein in Richtung des Vogels. Der Stein streifte das Tier nur, reichte aber, um es zu verscheuchen. Das Tier stieß erneut den seltsamen Laut aus, schlug mit seinen Flügeln und verschwand mit dem Auge im Schnabel in die Luft.
Mit einem gutturalen Laut kam der Soldat auf die Knie. Schwankend setzte er einen Fuß auf die Erde, drückte sich hoch. Wind spielte mit seinen Haaren. Instinktiv drehte er den Kopf in die Richtung, aus der der Wind kam. Der Mann setzte einen Fuß nach vorne. Der erste Schritt sah reichlich unbeholfen aus, aber er gelang. Es folgten ein zweiter und ein dritter Schritt. Mit weit ausgebreiteten Armen stolperte der Gardist Schritt für Schritt weiter. Wohin er ging, wusste er nicht. Sein Name war ihm ebenso unbekannt, wie auch die Tatsache, dass er überhaupt einen solchen hatte. Dafür wusste er etwas anderes, und das überdeutlich. Er hatte Durst. Unglaublichen Durst. Trinken, dachte er. Und das war die Wahrheit. Er musste trinken, trinken, trinken. Wenn er das nicht tat, würde er sterben. Noch heute!
*
Catrina Knox war als Erste Offizierin gleichzeitig auch kommandierende Offizierin, solange Commander Baxter nicht an Bord war. Sie hielt ihren Vorgesetzten für einen ziemlichen Totalausfall. Wie alle anderen hatte Catrina von seinem heldenhaften Einsatz bei der Schlacht von Modera gehört. Zu Anfang hatte sie Baxter deshalb auch fast ehrfurchtsvoll behandelt, obwohl er nur knapp fünf Jahre älter war als sie. Doch diese Ehrfurcht war zuerst Verwunderung und dann schließlich purer Verachtung gewichen. Baxter war Lebemann, Säufer und nicht zuletzt widerte die Offizierin auch sein Frauenverschleiß an. Aber all das war nicht das eigentliche Problem. Commander James Baxter kannte nur einen Weg. Seinen Weg. Und dieser Weg sah immer gleich aus: Mit dem Kopf zuerst durch die nächstbeste Wand. Verluste dabei? Völlig egal. Wen interessierte es schon, dass es mit etwas Intelligenz eine wesentlich elegantere Problemlösung gab?
Letztlich handelte der Commander aber ausschließlich auf eigene Verantwortung. Vor einiger Zeit hatte Catrina erfahren, dass Baxter unter Beobachtung stand. Die letzte Mission war ein vermeidbares Desaster gewesen. Wenn Baxter nochmals seinem Temperament so kopflos nachgab, konnte er seine Karriere beerdigen.
Auf der Konsole vor sich konnte Knox verfolgen, das Baxter und das Außenteam eine Bypass-Schaltung zur LAAB etabliert hatten. Somit konnte das Tarnkappen-Schiff jetzt mühelos von der Brücke der SHULACO befehligt werden.
Somit näherten sie sich bereits der Erfüllung des sekundären Ziel der Mission, der Sicherung und Rückführung der LAAB.
Plötzlich fühlte sich Catrina Knox wie benommen. Ihre Hände krallten sich reflexartig um die Armlehnen ihres Sessels. Dann war der Spuk aber auch schon wieder vorüber. Was war das gewesen?
Verstohlen sah sich die junge Frau um. Niemand hatte etwas bemerkt. Die Brückencrew ging weiterhin konzentriert ihrer Arbeit nach. Catrina entspannte sich wieder und sank in ihrem Sessel zurück. Vielleicht hatte sie heute etwas zu wenig gegessen. Ein Kaffee würde ihr sicherlich gut tun.
„Catrina“, hörte sie die Stimme ganz dich an ihrem Ohr. Aber da war niemand!
Erneut blickte sich die Erste Offizierin um, sah aber immer noch niemanden. Warum spielten ihre Nerven plötzlich? Oder bahnte sich da bei ihr etwas an?
„Catrina!“
Knox zuckte zusammen. Die Stimme war jetzt deutlich lauter als zuvor gewesen. Fordernder. Niemand von der Brückencrew hatte auf den Ruf reagiert. Die Offizierin runzelte die Stirn. Ihre Kameraden hätten den Ruf definitiv hören müssen!
Es sei denn, nur du hast diesen Ruf eingebildet. Weil du dir diese Stimme nur einbildest! Catrina Knox wurde nervös. Es war immer wieder die Rede davon, dass schon zahlreiche Raumfahrer im Weltall durchgedreht waren. Akustische Halluzinationen wurden dabei immer als Leitsymptome genannt. Was sonst sollte die Stimme sein?
Knox traf eine Entscheidung. Sie musste sich dringend auf der medizinischen Station durchchecken lassen. In diesem Zustand durfte sie keinesfalls weiterhin die Verantwortung für das Schiff und seine Besatzung tragen. Die Erste Offizierin wollte aufstehen, um das Kommando an einen der anderen Brückenoffiziere zu übergeben. Doch soweit kam sie gar nicht. Anstelle dessen packte sie erneut der Schwindel, dieses Mal jedoch noch viel stärker als zuvor. Die Brücke drehte sich vor ihren Augen wie ein rasend schnell rotierendes Kaleidoskop, dann stürzte die junge Frau in einen tiefen dunklen Schacht und verlor das Bewusstsein.
*
Doch dann war sie plötzlich wieder bei Sinnen und gleichzeitig doch wieder auch nicht. Catrina sah sich um und erkannte, dass sie nicht mehr auf der Brücke der SHULACO war. Anstelle dessen befand sie sich auf einer weiten, dunklen Fläche. Irgendwoher stammte diffuser Lichtschein, der sie an fahlen Mondschein erinnerte. Wo zum Henker bin ich hier, ging es Catrina durch den Kopf. Doch da spürte sie mit einmal mal die Blicke in ihrem Rücken. Warum kann ich das spüren? Drehe ich langsam durch?
Im Zeitlupentempo drehte sich die Frau um die eigene Achse. Sie sollte recht behalten. Sie war nicht mehr allein!
Hinter Knox stand jemand. Im ersten Moment war die attraktive Rothaarige sich gar nicht sicher, ob es tatsächlich ein Mensch war. Die Gestalt sah einfach zu schemenhaft aus, hätte deshalb durchaus auch als Angehöriger einer außerirdischen Spezies durchgehen können. Aber dem war nicht der Fall. Es war ein Mensch, aber er sah fast wie eine naive Darstellung davon aus. Irritiert sah die Offizierin an sich herunter und zuckte zusammen. Auch sie selbst sah ähnlich abstrakt aus, geradewegs als wäre sie von einem unbeholfenen Künstler nur gezeichnet worden. Aber das stimmte nicht, sie war weiterhin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber was war dann hier los?
Ihr Gegenüber lachte. Auch das wirkte unfertig, aber es reichte um zu verstehen, was es sich für eine Gefühlsregung handelte. Aber warum lachte der Kerl sie aus? Hatte er am Ende ihre Gedanken gelesen?
„Ganz genau, Catrina. Ich habe deine Gedanken gelesen!“
Das war die Stimme, die sie schon auf der Brücke der SHULACO gehört hatte. Also war sie von ihm gerufen worden. Aber warum? Und vor allem: Wie war sie überhaupt hier her gekommen? Oder war das nun genau das, wovor sie sich am meisten gefürchtet hatte? Eine akute Psychose?
Der Typ trat einen Schritt auf sie zu, reichte ihr seine Rechte. „Wie unhöflich von mir. Ich bin Jason Mind.“
Irritiert ergriff Catrina die angebotene Hand. Als ihre Hand die des Fremden berührte, erschrak sie fast. Die Hand fühlte sich vollkommen normal an, obwohl sie einer Art Strichmännchen gehörte. Aber was hatte sie eigentlich erwartet?
„Du weißt, wer ich bin?“
Knox dachte kurz nach, dann nickte sie. „Du bist der Psioniker des Kommandos.“
Mind belohnte Catrina mit einem breiten Lächeln. „Bingo!“
Dann entstand eine kurze Pause.
„Wir haben übrigens zwei Dinge gemeinsam!“, sagte Mind.
Catrina zuckte mit den Schultern. „Und was wäre das?“
„Ich war genauso wie du Erster Offizier eines Schiffs der Raumflotte, und genauso wusste ich lange Zeit auch nichts von meiner Begabung!“
Catrina schüttelte den Kopf. „Ich bin keine Psionikerin!“
Mind grinste erneut, präsentierte im Zwielicht seine strahlendweiße Zähne.
„Sonst hätte ich dich auf keinen Fall aus der Entfernung wahrnehmen können!“
Ungläubig starrte Catrina Mind an, wechselte dann aber das Thema. “Du lebst also noch?”
Der Psioniker wurde nun merklich ernster. „Ich kann zumindest noch mit dir sprechen, aber das kann ich leider nicht von allen Mitgliedern des Kommandos sagen!“
„Lebt Commander Sawyer noch?“
Mind breitete beide Hände aus. „Wenn ich das doch nur wüsste. Nachdem sie die Sprengsätze ausgelöst hat, ging alles extrem schnell. Das Cranium Hauptquartier ist über uns zusammengestürzt und zumindest einer unserer Leute wurde in Fetzen gerissen!“
Catrina Knox runzelte die Stirn. „Ihr befindet euch unter dem Hauptquartier?“
Mind nickte langsam. „Was mich angeht, befinde ich mich wohl in einem Hohlraum. Aber mit Sicherheit kann ich es leider nicht sagen.“
„Warum machst du so ein Geheimnis daraus?“
Irritiert sah die Offizierin, dass sich das Gesicht von Mind vor ihren Augen plötzlich veränderte. Es war, als würde ein Maler dem Gesicht zusätzliche Details mit seinem Pinsel verleihen. Deshalb konnte sie nun auch einen merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht des Psionikers erkennen.
„Ich habe einen Schlag auf den Kopf abbekommen und bin ausgeknockt worden.“
„Also könntest Du auch gestorben sein?“
Mind zog seine linke Augenbraue hoch. „Genau so sieht es aus, schöne Frau!“
„Wo sind wir hier eigentlich?“, fragte Knox.
„Ich nenne es den Ätherraum. Es ist eine Art Dimension, die auf zahlreiche Arten mit unserer Dimension verknüpft ist.“
Die Erste Offizierin der SHULACO sah den Psioniker verwirrt an. „Aber das ist jetzt nicht das, was landläufig als Jenseits bezeichnet wird?“
Mind sah die junge Frau lang an. Dann schüttelte er den Kopf. „Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten, Catrina. Darüber streiten sich sogar unsere Eierköpfe.“
Die ganze Sache gefiel Knox mit einem Mal so gar nicht mehr. Dabei wusste sie gar nicht so genau, ob es an diesem absolut seltsamen Ort lag. Oder lag es daran, dass Mind sie für eine Psionikerin hielt?
Catrina sah ihr Gegenüber unschlüssig an. Da erkannte sie, dass sein Gesicht erneut einen anderen Ausdruck annahm.
„Ihr müsst vorsichtig auf dem Planeten sein. Ihr seid nicht mehr allein dort!“
„Wieso? Stellen die Soldaten von Cranium doch noch eine Gefahr aus?“
„Sie werden in Kürzte den Status der vollkommenen sensorischen Deprivation überwunden haben. Aber zumindest auf mittlere Sicht sind sie keine Gefahr. Dort unten ist jemand anderes. So jemand wie wir!“
„Ein Kommando der Raumflotte?“, fragte Catrina. Aber warum sollte das ein Problem sein?
„Nein, Catrina. Ein Psioniker. Ich spüre seine Anwesenheit schon lange. Zuerst habe ich ihn als dunklen Schemen hier im Ätherraum wahrgenommen, aber jetzt ist er auf Pentara!
*
Maxyn hatte sein Bewusstsein massiv ausgeweitet, um möglichst viele Informationen innerhalb kurzer Zeit wahrzunehmen. Seine Überraschung kannte keine Grenzen. Der Planet war auf einem ähnlich hohen technologischen Stand, wie es auch sein Heimatplanet gewesen war. Dabei wirkte alles aber wesentlich geordneter und durchdachter, als es das bei ihnen der Fall gewesen war.
Wie eine Wolke geballter Energie raste der Psioniker über den Planeten hinweg. In all den Jahren seines Exils hatte er Zeit zum Nachdenken gehabt. Nach und nach war er zu dem Schluss gekommen, dass die Katastrophe auf seinem Planeten kein Zufall gewesen war. Zuerst war Siltanat von den Gewalten des Ozeans zerstört, und wieder unter den Wassermassen begraben worden. Dann hatte es zahlreiche andere Katastrophen gegeben, die die einstige Hochkultur zerstört hatte. Atemlos hatte Maxyn aus seinem Exil dabei zusehen müssen. Mittlerweile hielt er die Katastrophen für Strafen. Sie waren die Konsequenzen für die rücksichtslose Manipulation und den Missbrauch der psionischen Energie. Dennoch hatte es Gnade gegeben. Die Zivilisation an sich war ausgelöscht worden, aber Einzelne hatten das Strafgericht überlebt.
Kurz darauf bildeten diese Menschen wieder Gruppen und der Prozess der Zivilisation begann sich erneut auszubreiten. Würde es auf diesem Planeten ähnlich sein? War die Katastrophe eine Strafe? Waren die Planetenbewohner ebenfalls ohne Grenzen arrogant gewesen? Hatten auch sie die kosmischen Gesetze für ihre Zwecke missbraucht?
Maxyn setzte seine Erkundung fort. Auf seine Fragen würde er vielleicht später Antworten finden. Überall sah er die Körper von Menschen wie abgeschaltet vor. Wenn nicht bald etwas passierte, würden die Lebewesen allesamt verdursten. Die zerebralen Fähigkeiten der Menschen reichten mehrheitlich nicht aus, um selbst grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen. Beobachtete Maxyn hier also den globalen Exodus einer ganzen Spezies?
Angst breitete sich in dem Psioniker aus, denn in diesem Fall hatte auch er ein Problem. Der größte Teil seiner Fähigkeiten waren erschöpft. Aus eigener Kraft konnte er sie jedoch nicht regenerieren. Um sich mit neuer Energie aufzuladen, benötigte er die latent psionischen Fähigkeiten von Menschen. Lebenden Menschen. Ansonsten war Maxyn ein Gefangener dieses Planeten!
Die Angst in ihm erreichte nun ein kritisches Niveau. Er hatte bereits tausend Jahre im Exil verbracht. Das durfte nicht nochmals passieren.
Auf seinen Befehl breitete sich sein Bewusstsein erneut aus, war fieberhaft auf der Suche nach einem Ausweg. Wenn er im Vollbesitz seiner Fähigkeiten gewesen wäre, hätte er sich einfach einen neuen Körper erschaffen. Doch diese Leistung glich in vielerlei Hinsicht einer Meisterleistung, momentan war sie absolut unerreichbar für. Doch auch dann gab es noch ein Problem, denn was sollte er dann tun? Wenn die Verschaltungen in den Gehirnen der Menschen weiterhin nicht funktionierten, wäre immer noch alles völlig ohne Sinn gewesen.
Das Bewusstsein von Maxyn streifte scheinbar ziel- und rastlos über den Planeten. Dann endlich nahm es etwas für sich Interessantes war.
Voller Faszination verdichtete sich das Energiefeld wieder, nahm an Intensität zu. Maxyn sah einen Menschen. Er lag oder saß aber nicht wie all die anderen Menschen einfach nur geistlos herum. Der rotuniformierte Mann humpelte wie ein Besoffener herum, aber das ließ das Bewusstsein des Psionikers geradezu jubeln. Für den aufrechten Gang wurde nämlich wesentlich mehr neuronale Hardware benötigt, als dies gemeinhin angenommen wurde. Also schien Maxyn hier gerade Zeuge einer wichtigen Entwicklung zu werden. Die Vorsehung hatte also Gnade walten lassen und wollte die Bevölkerung des Planeten nicht vollständig vernichten. Gleichzeitig rettete sie damit auch den Psioniker. Aber Maxyn würde nicht gnädig sein. Gnade war ein Zeichen von Schwäche. Er hatte aus seinen Fehlern gelernt, würde das psionische Gleichgewicht bei seinen Plänen achten. Das energetische Pendel sollte ihn nicht erneut bei seinem Zurückschlagen erwischen und hinwegfegen. Dieses Mal würde er cleverer sein und die Position einnehmen, die ihm zustand. Die Position eines Gottkaisers!
*
Der blonde Gardist hatte getrunken. Er hatte eine Pfütze mit Regenwasser gefunden. Davor war er auf den Boden gesunken und hatte getrunken wie ein Hund. Das Wasser war abgestanden und mit Staubpartikeln verschmutzt, aber gleichzeitig war es die köstlichste Flüssigkeit, die der Soldat jemals in seinem Leben getrunken hatte.
Dann war er weiter gegangen. Weiter und weiter, ohne eine Ziel.
Mit einem Mal war etwas anders gewesen. Der Gardist fühlte sich beobachtet. Dieses Gefühl war völlig neu für ihn, war da vorher doch nur der Durst gewesen.
Er blickte sich in alle Richtungen um, aber da war niemand. Das Gefühl aber blieb. Unschlüssig begann er weiterzugehen. Dann war da ein Prickeln. Es begann an einem winzigen Punkt, ziemlich genau am Scheitelpunkt seines Kopfes. Irritiert wischte der Gardist mit seiner flachen Hand darüber, so als wolle er dort etwas wie ein Insekt vertreiben. Aber seine Finger tasteten nur seine Haare. Da war nichts!
Doch das Gefühl blieb, intensivierte sich sogar. Jetzt prickelte schon seine ganze Kopfhaut. Ihm war es egal, er konnte es scheinbar nicht ändern. Also tat der Gardist das einzige, was er sich mit seinem gerade wieder erwachenden Geist vorstellen konnte. Er ging weiter.
Aber der Prozess setze sich weiter fort. Sein ganzer Kopf war jetzt von dem Prickeln erfasst, schon griff das Gefühl auf seinen Nacken über, wanderte tiefer an seiner Wirbelsäule nach unten. Von dort aus erfasste die Missempfindung seine Schultern, floss hinunter bis in seine Fingerspitzen. Es fühlte sich an, als würde der Körper mit einer zähflüssigen Flüssigkeit überschüttet, die träge an ihm herunterlief. Aber das Prickeln haftete an ihm, würde ihn nicht mehr verlassen. Ganz im Gegenteil!
Jetzt wurde auch sein Brustkorb von dem seltsam kribbeligen Prickeln erfasst. Wenn seine cerebralen Fähigkeiten ausgereicht hätten, hätte der Gardist vielleicht vermutet, dass Ameisen unter seiner Haut herliefen. Aber das war nicht der Fall...
Das Herz des Mannes kam nun ebenfalls in den Einflussbereich des seltsamen Effekts. Dies war der Moment, an dem die Situation kippte. Der Gardist blieb stehen.
Wenn es einen Beobachter gegeben hätte, wäre diesem zuerst rein äußerlich keine Veränderung bei dem Rotuniformierten aufgefallen. Doch das änderte sich radikal. Die Miene des blonden Mannes war bisher so ausdruckslos, wie die eines Menschen im Tiefschlaf gewesen. Zuerst veränderte sich der Ausdruck in den Augen. Waren diese bisher fast schon wie die eines Toten gewesen, so verengten sich diese nun. Aber auch ihr Ausdruck war mit einem Mal vollkommen anders. Der Volksmund wusste es schon seit Jahrtausend, die Augen waren der Spiegel der Seele. Und genau dies war der Punkt. Die dominante Seele in dem Gardisten war nun eine andere. Sie war Jahrtausende alt. Aber sie war nicht nur alt und erfahren, sondern auch abgrundtief böse.
Listig musterte er seine Umgebung. Ein hartes Lächeln erschien auf seinem Gesicht und seine Haltung straffte sich. Dann breitete er die Arme aus und atmete die klare Morgenluft durch seine Nasenluft ein. Die Sinneseindrücke überwältigten Maxyn fast. Die Luft war köstlich, wie lange hatte er nicht mehr selbst geatmet?
Keine zwanzig Meter von ihm entfernt stand ein liegengebliebenes Fahrzeug. Maxyn konnte mühelos auf das Langzeitgedächtnis seines Wirtskörpers zugreifen. Sofort wusste er, was sich für eine Gesellschaft auf dem Planeten ausgebreitet hatte und was er unter dem Begriff Cranium zu verstehen hatte. Ebenso wusste er, warum dieser Wagen dort stehengeblieben war.
Neugierig trat der Psioniker an den Wagen heran. Der Fahrer saß regungslos darin. Er hatte die Augen geöffnet. Maxyn sah an den Atembewegungen des Brustkorbs, dass er lebt. Noch lebte, verbesserte er sich.
An der Fahrertür ging der Mann in die der roten Uniform in die Knie, brachte sein Gesicht ganz nah an die Glasscheibe. Der Fahrer starrte einfach nur geradeaus.
Achselzuckend stellte sich Maxyn vor den Wagen, versuchte den Blick des Fahrers aufzufangen. Als er es geschafft hatte, umspielte ein Lächeln seinen Mund. Der Mann brauchte nur minimale Starthilfe, dann würde er ihm zur Verfügung stehen!
Der Psioniker streckte dem Fahrer seine Handfläche entgegen, lenkte eine minimale Menge seiner psionischen Energie darauf, kanalisierte sie. Durch eine pure Willensanstrengung waberte die unsichtbare Energie zu dem Fahrzeug herüber, durchrang mühelos dessen tote Materie. Dann atmete sie der Fahrer durch seine Nase ein.
Der Blick des Mannes wurde unstet, wanderte umher. Maxyn triumphierte innerlich. Lächelnd trat er an die Fahrertür, öffnete sie.
„Die Zeit des Alleinseins ist vorbei, mein Freund. Ich werde mich jetzt um dich kümmern“, sagte Maxyn und streichelte dem Mann sanft über dessen Hinterkopf. Augenblicklich stellte sich ein dankbares Lächeln auf dem Gesicht des Fahrers ein.
––––––––
5
Das Landungsschiff schwebte über dem explodierten Palast und konnte dem Außenteam als autark operierende Waffenplattform Feuerunterstützung geben. Zusätzlich waren die Waffensysteme der SHULACO aktiviert und für einen Luftschlag gegen größere Ziele bereit.
Commander Baxter hatte schwere Bedenken wegen der zahlreichen Infanteristen und Panzerfahrzeuge in direkter Nähe zum ehemaligen Cranium Hauptquartier. Zusammen mit zwei anderen Leuten aus dem Außenteam sah er sich deshalb die Situation etwas genauer aus der Nähe an. Unter den Männern befanden sich bereits einige furchtbar zugerichtete Leichen.
„Verdammte Tiere“, zischte Scofield.
Baxter nickte dem Mann bestätigend zu. „Ratten“, sagte der Commander.
„Was zur Hölle ist hier nur passiert?“, flüstere Penelope Lopez.
Baxter zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich genau das Gleiche, wie draußen im Weltraum mit den unbemannten Kampfschiffen. Die Menschen waren ebenfalls mit Cranium vernetzt. Ohne das Kollektiv sind sie nicht einmal mehr in der Lage, sich selbstständig vom Boden zu erheben!“
In diesem Moment stemmte sich einer der Männer in eine sitzende Position. Reflexartig richteten die Mitglieder des Außenteams ihre Waffen auf den Mann.
Doch von dem Soldaten schien keine Gefahr mehr auszugehen, denn er starrte völlig weggetreten in die Ferne. Das gerade tödliche Waffen auf ihn gerichtet waren, nahm er augenscheinlich nicht zur Kenntnis.
Fassungslos sah Baxter die Handfeuerwaffen und Gewehre zwischen den Soldaten auf der Erde liegen. Dann fiel sein Blick auf die zum Teil skelettierten Leichname. Ihre Waffen hatten ihnen nichts mehr genutzt, denn die Männer hatten sogar sich selbst einfach vergessen.
„Im Grunde ist das eine Tragödie. Wie lange halten die überhaupt noch ohne Wasser aus?“, wollte Lopez wissen.
Baxter zuckte mit den Schultern. „Lieutenant Commander Knox hat bereits per Subraumkommunikation neue Befehle erbeten. Wir sind zwar keine humanitäre Hilfsmission, aber ich habe etwas dagegen, wenn anderen untätig beim Sterben zuzusehen.“
Der Commander wandte sich von den mehrheitlich noch regungslosen Männern ab. Was Baxter gesagt hatte, traf zu. Er wollte niemanden sterben lassen, wenn das vermeidbar war. Momentan war es ihm aber ganz recht, dass sich die ehemalige Streitmacht des Cranium Kollektivs selbst ausgeschaltet hatte. Als Soldat traute er dem Feind niemals über den Weg, zumindest nicht bis zu seiner finalen Entwaffnung.
Der Commander hatte genug gesehen. Bei den Panzerfahrzeugen sah es genauso wie bei den Infanteristen aus. Keiner der Männer in den Fahrzeugen wirkte auch nur ansatzweise kampffähig. Genau genommen machte es auf Baxter nicht den Eindruck, als ob auch nur ein einziger Soldat fähig wäre, im jetzigen Zustand seine Schuhriemen zu binden.
Als er auf das eingestürzte Gebäude zuging, musste er an die Warnung von Catrina Knox denken. Auch wenn er zuerst gelacht hatte, glaubte er seiner Ersten Offizierin. Persönlich mochte er noch so geringschätzen, aber als Offizierin schätzte er sie. Deshalb glaubte er auch ihrem Bericht über die Vision. Das begründete zum Teil auch seine teils peniblen Sicherheitsvorkehrungen. Wenn Knox von einer Gefahr auf dem Planeten sprach, dann gab es die auch. Baxter wollte die Mission so schnell es ging abschließen, aber trotzdem sollten im Idealfall alle seine Leute mit nach Hause kommen.
Ein Schatten glitt über ihn. Der Kommandant sah nach oben. Das Landungsschiff patrouillierte über ihnen, scannte ein ums andere Mal die Umgebung nach Gefahren ab. Baxter beruhigte das Wissen über den Schutzengel über ihnen, denn sie hatten viel zu tun heute.
Da sie von Jason Mind die Information erhalten hatten, dass die Überlebenden vermutlich in einem Hohlraum unter dem Cranium Hauptquartier verschüttet waren, hatte Baxter den Abwurf eines schweren M-250 Tiefbau-Androiden veranlasst. Bisher ruhte der Androide noch in seiner würfelförmigen Transportposition. Auf Stimmbefehl hin würde er sich in jede benötigte Form verwandeln.
Der Kommandant trat auf einen der Techniker zu. Der Mann hielt einen tragbaren Scanner in den Händen.
„Haben Sie Lebenszeichen gefunden, Babinski?“
Der Angesprochene nickte schnell. „Wir gehen von zwei Überlebenden aus. Ihre Vitalzeichen sind schwach, aber stabil.“
Enttäuschung erfasste den Kommandanten. Er hatte gehofft, mehr Mitglieder des Kommandos retten zu können. Laut den Aussagen des Psionikers Mind war einem der Teammitglieder eine Sprengladung zum Verhängnis geworden. Anscheinend hatte es noch jemanden beim Zusammensturz des Hauptquartiers erwischt.
Der Blick von Baxter glitt über das Trümmerfeld. „Kommen wir von oben dran?“
„Keine Chance, Lieutenant Commander. Das ist alles viel zu instabil. Vermutlich würden wir dabei lediglich den Androiden verlieren.“
„Damit ist keinem gedient. Also von unten?“
Babinski grinste. „So sieht es aus, wir grabend uns von unten durch, bis in den Hohlraum. Dann schafft der Androide unsere Leute raus.“
„Fangen Sie an, Babinski!“
Der Techniker ging zu dem Kubus aus extrem widerständigen Therbosit. „M250 Bereitschaft-Modus!“, sagte er mit glasklarer Stimme.
Ein Piepen drang aus dem Inneren des Würfels. Bolzen wurden dröhnend zurückgezogen. Äußerlich veränderte sich aber noch nichts an dem Würfel.
„Tiefbau-Charakteristik 01c.“
Erneut erklangen Geräusche aus dem Würfel. Dieses Mal klangen die Geräusch drängender und lauter. Dann war die Veränderung auch von außen zu erkennen. Das Therbosit wurde von der Steuerungseinheit des Androiden aktiviert, verlor seine feste molekulare Struktur und verformte sich. Wie von Geisterhand erschien ein keilförmiger Tiefbauroboter, mit einem gewaltigen Bohrer. Vier Stützen fuhren aus, stemmten den Bohrer in die Höhe und ein Kettenantrieb wurde darunter auseinander geklappt.
Baxter hatte schon ein paarmal der Transformation von Mehrzweckandroiden beigewohnt, aber der Vorgang faszinierte den Kommandanten immer noch.
Babinski richtete seinen Handscanner auf das Trümmerfeld, fertigte eine exakte Skizze der Umgebung an. Das leistungsfähige Gerät drang mühelos durch die massiven Trümmer, erfasste das Erdreich und zeigte dann die zwei Überlebenden an.
Mit sicheren Bewegungen markierte der Techniker eine Route für den Androiden auf dem Display, und übermittelte diese dann an dessen Steuereinheit. Kaum eine Sekunde später piepte der Androide. Auf dem Handgerät erschien der Start-Button. Babinski tippte darauf und unverzüglich setzte sich der Androide in Bewegung, rumpelte etwas von der Einsturzstelle weg, und fuhr einen Halbkreis, um zu drehen. Lautlos setzte sich der Bohrer in Bewegung, bis er eine ausreichend hohe Frequenz erreichte hatte. Die Basisplatte mit dem Bohrer wurde steil in Richtung Boden gestellt, dann näherte sich die Spitze des Bohrers unaufhaltsam dem Erdreich.
Baxter trat einige Schritte weg und hielt sich die Ohren zu. Tiefer und tiefer senkte sich der Bohrer schräg ins Erdreich. Als eine ausreichend tiefe Vorbohrung erreicht war, klappte der Bohrer wieder waagerecht herunter. Erneut wurde das verformbare Therbosit-Chassis aktiviert. Vor den Augen des Außenteams vergrößerte sich der Durchmesser des Bohrers, bis er breiter als der gesamte Androide war. Mit knirschenden Ketten rumpelte der Tiefbauandroide bis zu der Vorbohrung, arbeitete sich mit rotierendem Bohrer tiefer und tiefer ins Erdreich hinein.
Baxter trat zu Babinski, um den Fortschritt der Operation auf dem Handgerät des Technikers verfolgen zu können. Der Androide arbeitete sich momentan noch steil in die Tiefe. Das war wichtig, damit Ground Zero bei der unterirdischen Annäherung des Roboters nicht zu starken Vibrationen ausgesetzt wurde. Sonst stand der Erfolg der ganzen Unternehmung auf der Kippe. Es durfte keinesfalls zu weiteren Verschüttungen kommen. Das konnte das Todesurteil für die beiden Überlebenden sein.
„Hier SHULACO. Wie sieht es bei der Bergung aus?“, hörte Baxter die Stimme von Knox in seinem rechten Ohr.
Grinsend sah er zum Landungsschiff hinauf. Catrina Knox nutzte garantiert dessen Kameras, um ganz nah dabei zu sein. Zumindest hätte Baxter es auch so gemacht. „Bisher sieht alles gut aus, Nummer Eins. Der Androide arbeitet sich zu unseren Leuten durch. Die Cranium Soldaten stellen weiterhin keine Gefahr für uns dar. Gibt es diesbezüglich Nachricht vom Admiral?“
Es dauerte etwas. „Negativ, Jim.“
Baxter runzelte die Stirn. Es war lange her, dass Catrina ihn Jim genannt hatte. Das waren bessere Zeiten für sie beide gewesen. Am Klang ihrer Stimme hörte der Kommandant, dass Knox mit der Notsituation der Menschen ebenso wenig wie er zufrieden war.
„Sollen wir nach Abschluss der Bergung Wasser an die Menschen verteilen?“, fragte Baxter.
Dieses Mal dauerte es noch länger, bis er eine Antwort bekam. Was gerade passierte, war ein Novum. Baxter glaubte an streng vertikale Strukturen, aber in dieser Sache wollte er die Meinung seiner Ersten Offizierin hören.
„Ich halte das für unsere Pflicht als Offiziere der Raumflotte“, klang es dann aus seinem Ohrhörer.
Baxter nickte. Er wollte nämlich nicht der Verantwortliche für den Tod einer ganzen planetaren Bevölkerung sein. „Dann machen wir es so. Außenteam Ende.“ Der Kommandant sah auf das Display des Handgeräts in den Händen von Babinski. Der Android befand sich auf dem Rückweg. „Hat er die Überlebenden bereits geborgen?“
Der Techniker nickte. „Seine Programmcharakteristik enthält auch eine Medbot Funktionalität!“
„Hat er die Überlebenden identifizieren können?“
Babinski klickte sich durch das Steuerungsmenü des Androiden. Nach einem weiteren Tippen seines Fingers nickte er. „Bei den zwei Überlebenden handelt es sich um Commander Nataly Sawyer und Lieutenant Commander Jason Mind. Beide bekommen bereits intravenös Flüssigkeit zugeführt. Leider ist keiner der Offiziere bei Bewusstsein. Der Medbot hat in beiden Fällen neben multiplen Frakturen schwere Schädel-Hirn-Traumata diagnostiziert.“
*
Maxyn hatte seinen Weg fortgesetzt. Nach seinem ersten Jünger waren bereits auch ein zweiter und auch ein dritter hinzugekommen. Die Bewegungsabläufe der frisch Erwachten waren noch sehr abgehackt, gelegentlich stolperten sie auch völlig unbeholfen hinter ihrem neuen Meister her.
Ganz so einfach wie es sich der Psioniker vorgestellt hatte, war seine Missionsarbeit nicht. Das lag natürlich zum Großteil daran, dass er mit einem Minimum seiner ursprünglichen Fähigkeiten auskommen musste. Deshalb hatte er bis jetzt jeden seiner neuen Gefolgsleute einzeln überzeugen müssen.
Da sah Maxyn auf der anderen Straßenseite einen Supermarkt. Einer der Schläfer lag zwischen den Flügeln der vollautomatischen Tür und hielt sie somit offen. Darin musste es von potenziellen Jüngern nur so wimmeln!
Lächelnd ging er auf das Geschäft zu. Seine Jünger folgten ihm wie treue Schoßhunde. Dies war die Gelegenheit, mal etwas Neues auszuprobieren!
Elegant stieg er über den bewegungslosen Körper hinweg. Die Person lag auf dem Rücken, und er erkannte, dass es eine etwa fünfzigjährige Frau war.
Hinter Maxyn versuchten seine neuen Freunde ebenfalls den Supermarkt zu betreten, scheiterten aber kläglich daran. Der Psioniker drehte sich nicht um, hörte nur das Stolpern und das anschließende Hinfallen der Männer hinter sich. Hätte er sich jedoch umgedreht, hätte er wahrscheinlich über die Szene lachen müssen. Das wäre aber nicht besonders zuträglich für seine Konzentrationsfähigkeit gewesen, aber die brauchte er jetzt.
Maxyn hatte sich nicht getäuscht. Der geräumige Supermarkt wimmelte nur so von Kunden. Wie auch überall sonst lagen die Menschen planlos herum. Zu seiner Verwunderung sah der Psioniker eine einzige Gestalt im hinteren Teil des Geschäfts langsam umherstreifen. Es gab also noch weitere Exemplare wie seinen Wirt. Aber Maxyn machte sich keinerlei Sorgen. Auf gefühlt tausend Schläfer kam vielleicht ein Frühaufsteher.
Dies war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Er hörte, wie hinter sich seine treuen Begleiter ins Ladenlokal kamen. Sie bauten sich in einer Reihe hinter ihm auf, dann erstarrten sie in Bewegungslosigkeit. Es sind biomechanische Roboter, dachte der Psioniker einmal mehr. Aber das war nur eine Teilwahrheit. Die Gehirne seiner Jünger zeigten jetzt bereits mehr Aktivität, als sie es zum Zeitpunkt ihres Aufwachens getan hatten. Vielleicht lag das in seiner Funktion als Anführer begründet, vielleicht war es einfach nur eine Zeitfrage. Letztlich war dies aber auch nicht relevant. Viel wichtiger war ein anderer positiver Aspekt, in dessen Genuss er aufgrund seiner Begleitung kam. Das Nervensystem seiner Jünger funktionierte wieder soweit, dass in ihren Körpern auch wieder latent psionische Energie produziert wurde. Jeder gesunde menschliche Körper produzierte diese Form der Energie. Einen Psioniker unterschied von einem Normalmenschen, dass er sich dieser Tatsache bewusst war, da er diese Energie spüren konnte. Wer sensibel genug war, lernte eines Tages diese Energie zu manipulieren. Zuerst bei sich selbst, später vielleicht auch bei anderen Menschen. Genau dazu benötigte Maxyn seine Jünger, sie produzierten psionische Energie, mit der er dann arbeiten konnte.
Maxyn breitete seine Arme aus. „Brüder und Schwestern!“, hallte sein Ruf durch das Geschäft, aber nichts geschah. Bisher hatte er auch noch keine psionische Energie eingesetzt. Das änderte sich jetzt, denn er bereitete hier ein kleines Kunststück vor.
Auf seinen gedanklichen Befehl hin breitete sich sein psionisches Energiefeld aus, bis es das ganze Geschäft umfasste. Jeder Mensch vor ihm stand nun in seinem direkten Einflussbereich.
„Steht auf“, donnerte seine Stimme.
Die Veränderung war sofort zu erkennen. Hatten die Menschen bisher überwiegend bewegungslos am Boden gelegen, kam jetzt sichtlich Bewegung in ihre Körper. Der Befehl des Psionikers war angekommen, die Schläfer begannen zu erwachen. Aber noch war nicht der der kritische Moment überschritten.
Maxyn visualisierte zwei blaue Flammen, die aus seinen Handflächen herauszüngelten. Augenblicklich erschienen tatsächlich die Flammen über seinen Händen. Langsam richtete er seine Handflächen auf den Verkaufsraum vor sich aus. Auf einen Gedanken hin verwandelten sich seine Hände in regelrechte Flammenwerfer, die den ganzen Laden in einen bläulichen Feuerschein tauchten. Doch es waren keine natürlichen Flammen, denn sie setzten nichts in Brand. Anstelle dessen leckten das Feuer aber gierig nach den Schläfern und erfasste sie alle.
„Steht endlich auf!“, brandete die Stimme des Psionikers erneut auf.
Die Bewegungen in den Menschen nahm spürbar an Intensität zu, während sie in die blauen Flammen getaucht waren. Dann geschah es. Nacheinander begannen die ehemaligen Kunden des Geschäfts, sich unbeholfen vom Boden zu erheben. Bei einigen Menschen gelang dies nicht so recht, denn sie landeten teils recht unsanft wieder auf dem Fußboden. Andere waren entweder geschickter, oder hatten einfach mehr Glück. Aber die Zeit arbeitete für Maxyn, dass spürte er. Sein mentales Feuer hatte die ehemaligen Schläfer soweit energetisiert, dass sie alle wieder aufstehen würden. Und genau so war es auch.
Dies war der erste Teil seines kleinen Experiments. Nun folgte der zweite, ebenso wichtige Schritt. Blitzschnell griff er mit seinen geistigen Fühler nach seinen Jüngern. Er hatte sich an ihren psionischen Energien bedient, um die Menschen wieder auf die Füße zu bekommen. Zu seiner Beruhigung war noch mehr als genug an Psikraft vorhanden, um den letzten Schritt der Manipulation vorzunehmen.
„Ich bin Euer Herr und Meister“, bellte der Psioniker und stattete seine Worte mit extrem viel Energetik aus. Seine Worte drangen tief in die Köpfe der Menschen. Es dauerte nur Momente, da erzitterte der Laden unter einem Ruf, der gleichzeitig aus zahlreichen Mündern erklang. „Du bist unser Herr und Meister!“
Maxyn unterdrückte ein böses Lächeln. Letztlich hatte es besser geklappt, als er vermutet hatte. Aber bevor er mit seinen zahlreichen neuen Jüngern losziehen konnte, musste er sich noch um ein drängendes Problem kümmern.
„Bevor wir weiterziehen, solltet ihr Euch stärken! Esst und trinkt so viel ihr könnt!“
Das ließen sich auch seine treuen Begleiter hinter ihm nicht zweimal sagen. Sie schlossen sich ihren Brüdern und Schwestern an, die wie Heuschrecken über die gut gefüllten Regale des Geschäfts herfielen.
Der Psioniker beobachtete amüsiert, wie sich zwei seiner neuen Freunde in der Frischeabteilung gütlich taten. Sie stopften sich ungeschälte Bananen und Kartoffeln in den Mund, versuchten darauf herumzukauen.
Irritiert streckte Maxyn seine geistigen Fühler aus und analysierte den Zustand der beiden Frauen. In einigen Stunden würde dieses Verhalten der Vergangenheit angehören. Die cerebrale Leistungsfähigkeit der Menschen erhöhte sich vor den Augen des Psionikers. Die Bevölkerung des Planeten brauchte tatsächlich nur einen kleinen Schubs, um wieder zu funktionieren. Diese Aufgabe übernahm Maxyn doch gerne. Selbstverständlich waren ihm die Einzelnen dabei völlig gleichgültig. Anstelle dessen ging es ihm ausschließlich um die Steigerung seiner eigenen Machtfülle. Die Menschen würden unter ihm nicht zu leiden haben. Da stahl sich ein böses Lächeln auf sein Gesicht. Die Menschen werden nicht mehr zu leiden haben, als sie im Kollektiv leiden mussten. Der Psioniker hatte große Ziele mit diesem Planeten. Es sollte das Epizentrum eines neuen Sternenreichs werden. Zuerst würde er diesen Planeten erobern, was wirklich nicht schwer war. Dann würde das Planetensystem folgen. Aber damit war sein Wille nach Dominanz noch lange nicht ausgelebt. Vielleicht konnte ihm dabei ja die Infrastruktur des Kollektivs gute Dienste leisten?
Maxyn drehe sich um und verließ den Supermarkt. Sollten sich seine Jünger ruhig noch eine Weile stärken, er brauchte das nicht. Als Psioniker konnte er jede Form der Energie aus der Natur entnehmen.
Vor der Tür stutzte Maxyn. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah er an der Hauswand eine schmale Antenne. Als er sich das nächste Gebäude ansah, bemerkte er dort ebenso ein. Selbiges traf auch am Gebäude direkt neben dem Supermarkt zu. Neugierig griff der Psioniker auf das Gehirn des Gardisten zu, suchte nach Informationen zu den Antennen. Zu seiner Überraschung wurde er nicht nur fündig, sondern stieß auf reichlich viele Informationen. Anscheinend verfügte sein Wirtskörper über eine technische Ausbildung.
Bei den Antennen handelte es sich um kombinierte Sende- und Empfangseinheiten. Sie hatten das Basisnetz für das Cranium Kollektiv gebildet, waren überall auf dem Planeten zu finden.
Während ihm lautes Scheppern aus dem Geschäft hinter ihm verriet, dass die Plünderung noch im vollen Gang war, keimte eine Idee in ihm auf. Wenn dieses Funknetz schon einmal so gut funktioniert hatte, konnte es das nicht vielleicht wieder tun? Dieses Mal in seinem Sinne?
Maxyn durchstöberte das Gedächtnis des Gardisten und wurde zuerst entmutigt. Aber der Psioniker gab nicht auf, dafür war er nämlich nicht auf diesen Planeten gekommen. Die Hauptsendeeinheit hatte sich im Cranium Hauptquartier befunden und war zerstört worden. Aber würde sich eine Autokratie wie das Kollektiv nicht Schutzvorkehrungen für den Notfall einfallen lassen? Das war zumindest genau das, was der Psioniker tun würde.
Da tauchte plötzlich ein Bild vor seinem inneren Auge auf. Er sah das Gebirge. Ein ehemaliges Bergwerk. Dann sah er, was in dem verlassenen Stollen eingerichtet worden war. Ein Notfall-Hauptquartier!
Maxyn legte seinen Kopf in den Nacken und stieß ein triumphierendes Lachen aus. Natürlich hatte Cranium vorgesorgt. Es gab auf dem ganzen Planeten mehrere dieser Backup-Zentren. Die Einrichtung in den Bergen war jedoch die einzige, die sein Wirtskörper kannte. Mehr brauchte der Psioniker aber auch gar nicht zu wissen. Nun kannte er nämlich den Schritt, der seinen Plan um einiges beschleunigen würde. Wenn eine solche Infrastruktur existierte, konnte er sie doch auch für seine Zwecke einsetzen. Er hatte ja auch nichts Verwerfliches vor. Anstelle dessen wollte er den Schläfern nur wieder ein neues Zuhause geben. Im Grunde war dies doch ein Akt gelebter Nächstenliebe!
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6
An Bord der SHULACO, Orbit des Planeten Pantera
Die Krankenstation war mit allem bestückt, was zur Behandlung der Besatzung im Einsatz nötig war. Außerdem war bei der Einrichtung der Räumlichkeiten darauf geachtet worden, den Kranken möglichst viel Komfort und Lebensqualität zu bieten. Indirekte Beleuchtung, hochwertige Werkstoffe und ein ansprechendes Ambiente taten ihr Übriges. Momentan wurden hier aber nur zwei Patienten behandelt.
Nataly Sawyer und Jason Mind waren in einem abgetrennten Teil der Abteilung untergebracht worden. Das Licht war gedimmt, damit die beiden Patienten ungestört ruhen konnten. Die Patienten hatten beide ein starkes Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Doktor Ramirez studierte das Display am Bett von Commander Sawyer. Insgesamt hatte die Patientin deutlich mehr Brüche davongetragen als ihr Leidensgenosse, aber das Trauma ihres Gehirns schien definitiv weniger stark ausgeprägt zu sein. Aber dennoch war Sawyer immer noch nicht bei Bewusstsein. Dieser Aspekt bereitete der Ärztin Sorgen. Insgesamt waren aber alle Werte im Normalbereich, insbesondere auch der Gehirndruck. Ramirez machte einen Vermerk in der Patientenakte, dann wandte sie sich dem Bett von Mind zu.
Im Gegensatz zu Sawyer hatte Doktor Ramirez in seinem Fall einen kleinen Teil des Schädeldachs entnehmen müssen, damit die Schwellung nicht zu stark auf sein Gehirn drückte. Deshalb hatte die Ärztin den Lieutenant Commander in einen gläsernen Sarkophag legen müssen, der zusätzlich von einem Energiefeld hermetisch von der übrigen Krankenstation separiert wurde. Auf diese Weise konnte die Schädeldecke des Patienten eröffnet bleiben, was der Ärztin eine ganze Bandbreite von Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stellte.
Aber der Zustand von Mind gefiel der Ärztin nicht. Vor einigen Stunden hatte sie dem jungen Offizier Nanobots verabreicht, die über eine Elektrolytlösung in dessen Blutkreislauf gespült worden waren. Julia Ramirez wollte mit den Nanomaschinen die Struktur des Gehirns schützen, und bei der Beseitigung der Schwellung helfen. Aber irgendwie ging es nicht voran. Der Gehirndruck von Mind war nicht gestiegen, aber eben auch nicht deutlich gesunken.
Der Echtzeitscan des Gehirns zeigte der Ärztin die Druckspitzen, die auf das Gehirn einwirkten. Das musste dauerhaft unterbunden werden, wenn das Gehirn des Offiziers nicht irreparabel geschädigt werden sollte.
Völlig konzentriert blätterte Ramirez die Patientenakte von Mind durch. Organisch war er gesund gewesen. Bis auf die Frakturen und dem Gehirntrauma traf das auch jetzt zu. Der Offizier war gesund wie ein junger Ochse. Das eröffnete Ramirez zusätzliche Optionen.
Neugierig sah sie sich das schlagende Herz im Echtzeitscan an. Die Pumpe arbeitete absolut präzise und effizient. Zur genaueren Untersuchung wurde jetzt auch ein Elektrokardiogramm im Display eingeblendet. Auch dort fanden sich keine Auffälligkeiten. Ramirez nickte, damit stand ihrem Behandlungsansatz absolut nichts mehr im Wege.
Mit ein paar Wischbewegungen öffnete die Ärztin das Menü für die Medikation des Patientenbettes. Mind lag im Koma, dass wollte Ramirez gar nicht ändern – ganz im Gegenteil. Das Problem momentan war, dass sein Blut-Kreislauf so gut funktionierte und das Gehirn momentan wortwörtlich angeschlagen war. Ein niedrigerer Blutdruck würde Mind gut tun. Der Preis für eine Absenkung des Blutdrucks war jedoch die Belastung des Herzens. Aber Mind war jung und fit. Er würde das gut überstehen!
Ramirez wählte ein Medikament aus, bestimmte die Dosierung und bestätigte es per Fingertipp. Sofort begann das Krankenbett zu arbeiten. Ein Ultraschalldiffusor verabreichte Mind zischend das Medikament.
Gespannt beobachtete Ramirez die Auswirkung ihrer Entscheidung. Zuerst passierte nichts, damit hatte sie gerechnet. Nach einigen Momenten setzte dann aber doch etwas ein. Die Pulsfrequenz von Mind senkte sich von sechzig Schlägen pro Minute auf knapp vierzig Schläge. Das Mittel wirkte also!
Auf dem Display vor Ramirez erschien eine Warnmeldung.
Pulsfrequenz stark gesunken. Einsatz von Adrenalin Ja/Nein?
Die Ärztin tippte auf Nein. Dieses Prozedere basierte auf den Standardeinstellungen des Behandlungsbettes. Auf diese Weise sollte ein Herzstillstand vermieden werden.
Flink navigierte Ramirez durch die Menüs und passte die Steuerung an. Sollte die Pulsfrequenz von Mind auf dreißig Schläge sinken, würde umgehend eine Injektion mit Adrenalin erfolgen.
Als Nächstes nahm sich die Ärztin wieder den Schädel von Mind vor. Der Scan auf dem Display zeigte, dass ihre Maßnahme auch bei der Absenkung des Gehirndrucks wirkte. Die grellroten Druckspitzen waren völlig verschwunden. Ramirez lächelte.
In diesem Moment öffnete sich die Tür der Krankenstation. Catrina Knox kam gefolgt von Commander Baxter herein.
„Wie geht es den Patienten?“, wollte Baxter wissen.
Doktor Ramirez fasste die Fakten kurz und bündig zusammen.
Baxter nickte. Noch war die Mission nicht erfolgreich, denn er sollte gerade auch die Kommandantin sicher zurückbringen.
„Was macht die Hilfsmission auf dem Planeten?“, wollte Ramirez im Gegenzug wissen. Dawkins, der andere Bordarzt, war mit einem Trupp Sanitäter im Einsatz auf dem Planeten, um die regungslosen Menschen mit Wasser zu versorgen.
„Wir haben diesbezüglich immer noch keine neuen Befehle vom Hauptquartier. Anscheinend ist diese Frage zu einem Politikum geworden!“
Die Ärztin nickte. „Und wenn dann eine endgültige Entscheidung getroffen wurde, sind längst alle Planetenbewohner verdurstet.“
„Das ist auch unsere Befürchtung, Doktor Ramirez. Wir halten die Hilfe für unsere Pflicht als Offiziere der Raumflotte!“, schaltete sich jetzt auch Lieutenant Commander Knox ein.
„Ich würde genauso handeln, schließlich sind die Cranium Soldaten auch und zuerst immer noch Menschen!“
Knox hörte dem Gespräch zwischen dem Commander und der Ärztin nicht mehr weiter zu. Ihr Blick wanderte zu Commander Sawyer, die bewusstlos auf dem Bett lag. Der Anblick überraschte die Offizierin. Sawyer war deutlich jünger und attraktiver, als sie es erwartet hatte. Olivfarbener Teint, volle Lippen und dunkle Augenbrauen. Unter der Bettdecke zeichnete sich ein femininer, aber gleichzeitig auch muskulöser Körper ab. Knox schluckte.
Schließlich wanderte der Blick der Ersten Offizierin zu Jason Mind. Der gläserne Sarkophag erinnerte Knox an ein Märchen, nur wusste sie nicht mehr welches es war.
Dann zog sich etwas in der Offizierin zusammen. Sie sah den Psioniker jetzt zum ersten Mal außerhalb des Ätherraums. Auf der Planetenoberfläche waren die Verletzten aus Sicherheitsgründen im Inneren des Androiden verblieben. Nun sah sie das Gesicht des Psionikers mit eigenen Augen. Es wirkte, als würde der junge Offizier lediglich tief und fest schlafen. Knox sah das entfernte Knochenteil an seinem Schädel und darunter das Gewebe des Gehirns.
Knox lenkte ihren Blick erneut auf das Gesicht von Mind. Es konnte keinen Zweifel geben, sie war ihm tatsächlich im Ätherraum begegnet, egal wie verrückt sich das auch anhörte. Doch jetzt geschah etwas, was noch verrückter war. Jason Mind öffnete seine Augen und sah Knox an. Außerdem breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
„Komm` zu mir, Catrina“, sagte Mind. Doch die Stimme kam nicht aus dem Mund des Mannes. Sie erklang direkt in ihrem Kopf!
Die Erste Offizierin war geschockt und stieß einen schrillen Schrei aus.
Der Schrei ließ sowohl Baxter als auch Ramirez herumfahren. Dann war es schließlich der Commander, der beherzt reagierte. Knox verdrehte die Augen und klappte zusammen. Baxter war schon bei ihr, ließ ihren Körper langsam zu Boden gleiten.
Ramirez wurde auch unverzüglich aktiv, hievte zusammen mit Baxter die Erste Offizierin auf ein freies Behandlungsbett. Mit routinierten Handgriffen untersuchte sie die Bewusstlose. „Organisch ist alles in bester Ordnung. Hat Knox öfter solche Blackouts?“
Baxter nickte. „Sie scheint eine unerkannte Psionikerin zu sein. Vor Kurzem ist sie schon mal zusammengeklappt. Während ihrer Bewusstlosigkeit ist sie dann Mind im Ätherraum begegnet.“
Ramirez zuckte mit den Achseln. Diese Thematik würde wohl immer suspekt für sie bleiben. Dazu war sie einfach viel zu sehr Naturwissenschaftlerin.
„Ähm ... hallo?“, sagte eine brüchige Stimme hinter ihnen.
Baxter und Ramirez drehten sich zur Sprecherin herum. Es war Commander Nataly Sawyer. Sie hatte die Augen geöffnet und blickte sie reichlich verwirrt an.
„Wo bin ich hier?“
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7
Catrina Knox schlug die Augen auf. Flackernder Kerzenschein spendete gerade einmal so viel Licht, damit der Tisch vor ihr und Jason Mind aus dem Dunkel gerissen werden konnten. Ansonsten schien die Dunkelheit vollkommen zu sein. Irritiert sah sie an sich herunter. Sie trug ein smaragdfarbenes Dinnerkleid aus Samt. Das Smaragdgrün passte hervorragend zu ihren Augen.
Der Tisch vor ihr bog sich unter erlesenen Speisen aus der ganzen Galaxis. Ihr Blick wanderte über köstliche Fischgerichte, Fleisch das auf die unterschiedlichsten Weisen zubereitet worden war, exotische Früchte und Salate. Vor Knox stand ein Teller aus echtem Porzellan, der unvorstellbar wertvoll sein musste. Um den Teller herum war eine ganze Batterie aus Gabeln, Löffel, und Messern drapiert. Als nächstes streifte ihr Blick gleich zwei Gläser Wein und ein Glas Wasser. Irgendjemand hatte sich wirklich ziemlich viel Mühe mit diesem Arrangement gemacht. Das alles war wunderschön anzusehen und duftete köstlich, aber die Offizierin beschäftigte etwas völlig anderes.
„Wo sind wir hier? Das ist nicht der Ätherraum!“
Mind sah seine Tischpartnerin an und hob grinsend sein Rotweinglas, verharrte damit in der Luft.
Knox verstand die Geste, hob ebenfalls ihr Glas und stieß mit Mind an. Dabei betrachtete sie ihren Gesprächspartner etwas genauer. Anders als in der grobstofflichen Realität hatte er hier keine Kopfverletzung und ihm fehlte auch kein Stück aus der Schädeldecke. Desweiteren trug Mind einen edlen, maßgeschneiderten Anzug. Wie es auch bei Knox der Fall war, harmonierte das stahlblau des Anzugs mit seiner Augenfarbe. Dann setzte sie das Glas an ihre Lippen und probierte einen Schluck Wein. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber der Rotwein war eine Offenbarung. Er schmeckte besser als jeder Wein, denn sie jemals getrunken hatte.
„Woher wissen Sie das?“
Sie zuckte mit den nackten Schultern. „Ich sehe hier zwar nicht viel, aber was ich sehe, ist absolut scharf und detailreich. Im Ätherraum wirkte alles fast wie gezeichnet.“
Jason zwinkerte ihr zu und zeigte mit dem Zeigefinger auf die junge Frau. „Ziemlich clever für eine Flottenoffizierin!“
Beide lachten. Dann aber nickte Mind. „Sie haben natürlich vollkommen recht, wir sind nicht im Ätherraum. Um genau zu sein, sind wir gerade in meinem Kopf. Dies hier ist ein Mentalraum, den ich selbst erschaffen habe. Außer uns beiden, und diesem Tisch voller wunderbarer Köstlichkeiten, gibt es hier überhaupt nichts!“
„Wenn Sie das sagen, wird das so sein. Schließlich sind sie hier der Psioniker“, sagte Knox nachdenklich und ließ ihren Zeigefinger über den Rand des Glases vor sich gleiten. Das fühlte sich so unglaublich echt an, dass sie mit dem eben Gesagten so ihre Probleme hatte.
Der Psioniker sah sie an, beobachtete sie. Irgendetwas von dem was sie gesagt hatte, hatte für eine Unstimmigkeit in seinem Gesichtsausdruck gesorgt.
„Warum bin ich hier?“, fragte Knox ohne Umschweife.
„Auf Pentara geht etwas vor sich, von dem Sie unbedingt wissen müssen.“
„Geht es wieder um diesen anderen Psioniker?“
Mind sah Knox nachdenklich an und nickte. „Der Kerl ist wesentlich gerissener, als ich vorausgesehen hatte. Auf irgendeine Art und Weise hat er einen der Planetenbewohner besetzt.“
Knox runzelte die Stirn. „Was meinen Sie mit besetzt, Jason?“
„Der Psioniker hat sozusagen die Kontrolle über den Körper eines Menschen erlangt.“
Sollte das wirklich möglich sein? Gehörte so etwas nicht viel eher in die Kategorie Spukgeschichten?
„Ist das wirklich möglich? Ist das nicht eher eine Art von abergläubischer Folklore?“
Anstelle eine Antwort zu geben nahm Mind nun sein Glas Wein. Er trank einen Schluck des erlesenen Tropfens. Der Blick mit dem er sie ansah, sprach Bände.
„Das hier ist keine Folklore, Catrina. Dieser Mann läuft auf dem Planeten herum und rekrutiert eine stetig größer werdende Gefolgschaft. Aber damit wird er sich nicht begnügen.“
Knox verstand, dass sich Mind in dieser Sache vollkommen sicher war. Dennoch verstand sie nicht so ganz seine Besorgnis. „Was kümmert es uns? Andere werden sich um diese Sache kümmern. Unsere Mission im Netaris-System ist so gut wie beendet.“
Jetzt blitzten die Augen ihres Gesprächspartners regelrecht auf und er legte penibel seine Hände auf der Tischplatte zusammen. „Soweit ist das in sich stimmig, Catrina. Aber Sie vergessen da etwas.“
„Und das wäre?“
Ein schmales Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Was wäre, wenn unser Freund dort unten ein kleines Geheimnis herausgefunden hat, von dem selbst unser hochgeachtetes Flottenoberkommando nichts ahnt?“
„Und was könnte das sein, Jason?“
Der Psioniker schob sich genüsslich eine Sardelle in den Mund.
„Cranium hatte den Kampfverband der Raumflotte bereits Schachmatt gesetzt.“ Mind breitete seine Arme aus. „Unter Commander Sawyer haben wir Cranium das Genick gebrochen. Diese Möglichkeit war wohl definitiv nicht in den Szenarios der Superintelligenz vorgesehen. Unser Einsatz verlief unglaublich mühelos, wir dachten es würde sich um eine Falle handeln. Aber könnte es nicht sein, dass Cranium sich durchaus auf Probleme vorbereitet hatte?“
Das war natürlich vorstellbar. Dann verstand sie plötzlich, worauf Mind hinauswollte. „Du meinst, Cranium hat noch einen Trumpf im Ärmel?“
„Ganz genau das ist der Fall. Bisher war die ganze Bevölkerung Panteras offline. Nun läuft da aber jemand herum, der aus Machtgeilheit selbst die Büchse der Pandora öffnen würde!“
„Was ist dort unten, Jason?“
„Nichts weniger als alles Nötige, für einen Restart von Cranium!“
Etwas in der Offizierin zog sich zusammen. Jetzt bewunderte sie den Psionikern vor sich schon fast für seine Gelassenheit.
„Im nördlichen Gebirge befindet sich eine Backup-Station. Unser Freund ist auf dem Weg dorthin, weil er glaubt, das Funknetz von Cranium für seine Zwecke missbrauchen zu können. Wenn es ihm gelingt, könnte er sich zum neuen Herrscher von Pentara aufschwingen.“
„Du glaubst es wird ihm nicht gelingen?“
Jason zuckte mit den Schultern. „Letztlich spielt es keine Rolle. Beide möglichen Optionen würden für uns eine Katastrophe darstellen. Ihr müsst schnellstens die Backup-Station zerstören und den Psioniker ausschalten. Letzteres ist besonders wichtig, denn es könnte noch weitere Einrichtungen auf dem Planeten geben.“
Sie nahm sich ein Stück Papaya und schob es sich in den Mund. So wie es aussah, würden sie doch nicht so bald zurück zum Hauptquartier fliegen können. Da wollte sich die Offizierin doch noch etwas gönnen ...
*
Commander James Baxter hatte seiner Ersten Offizierin aufmerksam zugehört. Dabei hatte sich sein Gesicht jedoch zusehends verhärtet.
„Wissen Sie, wie ich diese Situation gerade definieren würde?“
Knox sah ihren Vorgesetzten mit großen Augen an und schwieg.
„Absurd. Was Sie mir hier gerade vorschlagen, ist völlig absurd.“
„Ich weiß, wie es sich anhört, aber es ist die Wahrheit!“
Baxter lachte schnaubend. „Das wäre eine Aktion, wie ich sie schon viele Male durchgezogen habe. Meistens hatte ich Glück, aber beim letzten Mal habe ich mir einen blutigen Kopf dabei geholt. Sie wissen, dass ich momentan unter Beobachtung stehe?“
Um ein Haar hätte sich Knox verplappert. Sie hätte nicht gedacht, dass er von der Sache wusste. Also schüttelte sie schweigend den Kopf.
„Wir haben unsere Befehle, Catrina. Unsere Job auf Pentara ist erledigt. Wir sollen Commander Sawyer und den Psioniker schnellstmöglich zum Hauptquartier bringen.“
Knox schluckte. Dieses Mal war es Baxter, der im Recht war. Aber sah er nicht die unmittelbare Gefahr? In diesem System konnte sich das Schicksal des ganzen Sternenreichs entscheiden!
Doch plötzlich lächelte Baxter. „Aber wissen Sie was, Catrina? Sie haben völlig recht!“
Knox sah ihren Vorgesetzten ungläubig mit offenem Mund an.
„Ich habe keine Lust mehr, mich zu verbiegen. Dazu bin ich nicht Commander geworden. Wir haben hier ein Problem, also lösen wir es. Wenn ich deshalb rausgeschmissen werden, ist es eben so!“
Catrina schluckte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Baxter so reagieren würde. Knox hatte versucht, offene Türen bei ihm einzurennen. „Also gut, Sir!“
Der Commander verließ mit schwungvollen Schritten das Kapitänszimmer und betrat die Brücke. Sein Körper wurde von Energie durchflutet, endlich fühlte er sich wieder wie der Alte. Dieses Gefühl war es, das ihn angetrieben hatte, Commander zu werden. Baxter wollte die Dinge in die Hand nehmen, sie managen. Und genau das tat er jetzt, auch wenn es das letzte Mal sein würde!
„Scannen sie das Gebirge nördlich der Hauptstadt nach Auffälligkeiten, Mister Suko!“
„Aye, Commander“, bestätigte der Sensoroffizier.
Es dauerte eine Weile. In Baxter tobten die Gefühle. Er hoffte inständig, dass er diese verdammte Backup-Station aufspüren und zerstören konnte. Dem feindlichen Psioniker wollte er dabei ganz gehörig in den Hintern treten.
Dann endlich war es soweit. Der Sensoroffizier leitete seine Daten auf den Hauptschirm. „Da ist tatsächlich etwas, Commander Baxter. Es ist nicht viel, aber es ist merkwürdig.“ Suko machte eine Pause und markierte eine Stelle auf der Luftaufnahme. Dann schaltete er eine Infrarotaufnahme des Gebiets hinzu. „Wir haben hier eine Wärmequelle mitten im Nichts. Es könnten versteckte Schornsteinschächte sein. Außerdem hat der Computer eine visuelle Anomalie festgestellt. Mit bloßem Auge ist sie nicht sichtbar, aber unsere Bilderkennungssoftware glaubt dort eine Art Tarnfeld entdeckt zu haben.“
Baxter jubelte innerlich. Das war ein Volltreffer!
„Ich will mit runter“, sagte eine Stimme vom Eingangsbereich der Kommandozentrale. Es war Sawyer. Sie stand auf Krücken und wurde von zwei Sicherheitsleuten flankiert.
„Sir, Commander Sawyer bittet um ein Gespräch.“, meldete einer der Sicherheitsmänner.
„Gewährt“, sagte Baxter nickend.
Sofort zogen sich die Männer vom Sicherheitsdienst wieder zurück. Sawyer humpelte auf Baxter zu.
„Sie bleiben auf der SHULACO, Commander Sawyer!“
Sawyer schüttelte den Kopf. „Das war meine Mission. So wie es aussieht, haben wir etwas übersehen ...“, begann die Offizierin.
„Sie haben nichts übersehen, Nataly. Sie haben ihren verdammten Job teuflisch gut gemacht. Als Kommandant dieser Mission lehne ich Ihr Gesuch jedoch ab!“
„Aber ...“, begann die attraktive Offizierin erneut.
„Kein aber! Sie haben aber meine Erlaubnis, den Einsatz von hier aus zu begleiten.“
Nataly Sawyer schluckte hart. Das gefiel ihr überhaupt nicht, aber sie akzeptierte die Entscheidung von Baxter. Immerhin war er ein Mann der klaren Worte. Das konnte man beileibe nicht von jedem Offizier in Diensten der Raumflotte sagen. „Viel Glück“, raunte Sawyer und verließ die Brücke. Glücklich war sie keinesfalls über die Entwicklung, aber auf diese Weise konnte sie noch etwas schlafen. In ihrem Körper arbeiteten Nanobots unter Hochdruck an der Heilung der Frakturen. Der damit verbundene Energieaufwand ihres Körpers schlauchte sie ganz schön. Ein Königreich für ein Bett, dachte Sawyer und betrat den Aufzug.
*
Maxyn hatte seine Jünger weit aus der Stadt heraus geführt. In wenigen Stunden würde bereits die Dämmerung einsetzen. Motorisierte Fahrzeuge konnten sie aber bis auf weiteres nicht einsetzen, da sie auf das Cranium Netzwerk angewiesen waren. Also konnten sie sich genauso gut heute noch per pedes auf den Weg machen, die Strecke würde nicht kürzer werden.
Neben den Informationen aus dem Gehirn seines Wirtskörpers konnte der Psioniker jetzt auch auf die anderen Gehirne seiner Jünger zugreifen. Insgesamt überraschte es ihn, wie reichhaltig dieser Fundus an Informationen in den Köpfen der Menschen war. Er war eigentlich davon ausgegangen, dass es sich um Marionetten handelte. Die Realität sah aber anders aus. Im frühen Kindesalter bekam jedes Kind ein Neuroimplantat verpasst. Dennoch blieben die Menschen Einzelwesen, waren aber dauerhaft mit dem Kollektiv verbunden.
Cranium war aber die Basis des Zusammenlebens auf dem Planeten gewesen. Unablässig stellte die Superintelligenz Informationen für das Kollektiv, aber auch für jeden Einzelnen zur Verfügung. Zusätzlich behielt jede Person weitestgehend ihre Selbstständigkeit. Lediglich wenn es um die Ausführung spezieller Aufgaben, wie bei den Sicherheitsbehörden oder dem Militär ging, übernahm die Superintelligenz die Kontrolle. Aus dem Grund wurde das Implantat und damit auch das Kollektiv als Bereicherung und nicht als Einschränkung angesehen.
Der Existenz als Individuen war es zu verdanken, dass Einzelne unter seinen Jüngern sehr wohl über Informationen über die streng geheime Militäreinrichtung in den Bergen besaßen. Jeder Mensch kannte jemanden, der vielleicht wieder jemanden kannte, und diese Person teilte dann seine Informationen. Im einen Fall war es eine Freundin, die in einem Diner ganz in der Nähe der geheimen Basis arbeitete. Obwohl es offiziell keinen Militärstützpunkt in der Nähe gab, sah man zum dortigen Schichtwechsel regelmäßig Cranium Soldaten, die sich einen Kaffee oder einen Donut bestellten.
Bei einem anderen Mann in Maxyns Gefolgschaft war es der Vetter, der regelmäßig mit einer Wagenladung voll Proviant raus ins Nirgendwo fuhr und damit die Basis versorgte. Der Fahrer hatte zwar immer ein Geheimnis daraus gemacht, aber in einer alkoholgeschwängerten Nacht hatte er über seinen Ärger mit einem Wachtposten berichtet. Geheimnisse blieben eben nicht geheim, wenn mehr als eine Person davon wussten!
Die Sonne ging unter. Gleichzeitig begann die Straße steil anzusteigen. Aber der Psioniker wusste, dass es jetzt nicht mehr lange bis zu der versteckten Basis war. Auf etwa halber Strecke hatte er seine Jünger eine Tankstelle ausräumen lassen. Wenn er schon nicht auf regelmäßige Kalorienzufuhr und Wasser angewiesen war, sein Gefolge war es definitiv. Die Fürsorge beruhte nicht auf Nächstenliebe, sondern weil er seine Ressourcen schon wollte. Wenn sein Plan funktionierte, würde er sich schon sehr bald von seinen Begleitern trennen können. Dann besaß er nämlich einen ganzen Planeten voller Jünger!
Nach etwa einer halben Stunde sah Maxyn das Leuchten auf der linken Seite der Straße. Es schien von nirgendwo zu kommen, aber an dieser verdammten Straße gab es keine Straßenlaternen. Neugierig trat der Psioniker näher heran. Schon verrückt, dachte er. Das Leuchten scheint aus der Luft selbst zu kommen.
Der Verstand seines Wirts hatte dafür die passende Erklärung parat, aber Maxyn interessierte sich nicht dafür. Er war am Ziel, das war alles was für ihn zählte.
Endlich erreichte er die Stelle, von der das seltsame Leuchten ausging. Aus direkter Nähe sah er, dass es nahezu eine vollkommen quadratische Fläche war. Maxyn bewunderte den Techniker, der für den Tarnmechanismus verantwortlich war. Das minimale Leuchten fiel nur auf, wenn jemand in der Dunkelheit direkt daran vorbeikam. Wahrscheinlich war es aus einem Fahrzeug schon nicht mehr zu erkennen.
Fasziniert betrachtete der Psioniker die Fläche. Es sah absolut so aus, als bestünde sie aus nichts anderem als massivem Felsen. Die Felswand wirkte überaus plastisch, wölbte sich sogar in Richtung der Fahrbahn.
Maxyn streckte seine Hand aus. Fast hatte er trotz seines Wissens erwartet, dass er kühlen Fels unter seiner Handfläche spüren würde. Das war aber nicht der Fall. Seine Hand drang hindurch und verschwand bis zu seinem Unterarm in der raffinierten Tarnung. Er lächelte ein böses Lächeln. Der Psioniker war goldrichtig hier!
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8
Hinter dem Tarnschirm versteckte sich die Einfahrt zu einer militärischen Einrichtung, die mitten in den Felsen hineingebaut war. Vermutlich hatte es hier früher ein Bergwerk gegeben. Nun dienten die Räumlichkeiten dem Cranium Kollektiv.
Maxyn sah zwei Wachtposten am geöffneten Tor. Sie lagen in ihren roten Uniformen auf dem Asphalt. Die Witterung und der Wassermangel hatten den Männern schon arg zugesetzt, aber sie lebten noch. Der Psioniker hatte keine Zeit, um sich um sie zu kümmern. Er wollte hier und heute schließlich Großes leisten!
Dabei half ihm ausgerechnet das Wissen seines Wirts. Der ehemalige Gardist hatte die Einrichtung erst vor kurzer Zeit besucht und kannte sich deshalb bestens aus. Maxyn führte seine Jünger auf das Gelände des Stützpunktes, und gab ihnen dann den Befehl, draußen zu warten. Er selbst wandte sich in Richtung des Stollens, der zum Herz der Anlage führte.
Kurz bevor er den Berg betrat, sah er nach oben. Er sah, was er erwartet hatte. Ein großer Antennenmast wuchs aus dem nackten Felsen heraus. Von hier aus würde er seine psionisch aufgeladene Botschaft an die Bewohner des Planeten absenden können!
Das Innere der Anlage war stark gesichert gewesen. Es gab zwei Checkpoints und drei Stellungen mit schweren Projektilgeschützen. Doch die Soldaten hatte alle das gleiche Schicksal wie ihre Kameraden vor dem Stollen ereilt. Wobei es den Männern im Stollen noch deutlich besser ging, da hier zumindest die Witterungseinflüsse keine Rolle spielten.
Endlich erreichte Maxyn sein Ziel. Die Backup-Station war in einem flachen Gebäude untergebracht, etwa im Zentrum des Bergs. Auch hier lagen wieder regungslose Rotuniformierte herum. Der Psioniker stieg über die Schläfer und legte seine Handfläche auf einen Scanner, der neben der Tür angebracht war. Das System erwachte augenblicklich aus dem Bereitschaftsmodus und verglich die Handfläche des Wirts mit den hinterlegten Scans. Das System brauchte keine Sekunde, dann summte das Schloss des Gebäudes und der Psioniker konnte eintreten.
Abgestandene Luft schlug ihm entgegen. Seit dem Blackout hatte hier niemand mehr eine Tür geöffnet und auch nicht die Klimaanlage in Gang gesetzt. Sein Ziel lag im hintersten Teil des Gebäudes. Niemand begegnete Maxyn auf dem Weg dorthin, um ihn herum herrschte absolute Stille. Sein Weg endete vor einer Stahltür mit einem Tastenfeld.
Ohne dass sich Maxyn eigenständig darum kümmern musste, erschien eine Zahlenkombination vor seinem geistigen Auge.
Für einen Moment zögerte er. Ging das hier gerade nicht etwas zu einfach? Misstrauisch runzelte er die Stirn. Aber was sollte schon passieren? Hier war niemand mehr, der ihm gefährlich werden konnte. Wahrscheinlich freute sich sein Wirt lediglich auf den Relaunch von Cranium, und war deshalb besonders kooperativ. Aber dieses Mal würde es anders werden als zuvor, davon konnte der besetzte Körper aber nichts ahnen.
Lächelnd gab der Psioniker den achtstelligen Code über das Tastenfeld ein. Die Tür wurde entriegelt und die Backup-Station lag offen vor ihm.
Maxyn zog die schwere Tür auf und schlüpfte hinein. Hinter ihm fiel die Tür wieder ins Schloss und verriegelte sich. Das Innere der Station wurde von grellweißen Lampen erhellt und schien klinisch sauber zu sein.
Es dauerte eine Weile bis er verstand, dass er sich hier nur in einem Vorraum befand. Links und rechts zweigten Türen ab, aber die interessierten ihn nicht. Sein Ziel lag hinter der Tür vor ihm. Entschlossen drehte er den Knauf der Tür und trat ein. Durch seine Jünger wusste er einiges über das Kollektiv, und entsprechend waren auch seine Erwartungen. Doch dieser Anblick machte ihm dennoch zu schaffen.
Im Zentrum des Raums war ein gläserner Zylinder, der mit bläulicher Flüssigkeit gefüllt war. Darin schwamm ein überdimensioniertes Gehirn. Irritiert trat der Psioniker näher. Er musste sich korrigieren, denn es war nicht ein Gehirn. Es waren zahlreiche menschliche Gehirne, die zu einem größeren Gebilde zusammengesetzt worden waren. Diese neue wirkte nun exakt so, wie ein einziges großes Gehirn. Von der Unterseite des Organs verlief ein vieladriges Datenkabel zum Sockel des Zylinders und verschwand darin.
Was er sah beeindruckte und ängstigte den Psioniker zugleich, aber durch seine Jünger wusste er, dass Cranium selbst ganz ähnlich ausgesehen haben musste – nur unendlich größer!
Maxyn konnte seine Augen kaum von dem Gehirn abwenden. Seine besonderen Sinne verrieten ihm, dass es lebte. Es war offline geschaltet, existierte seit langer Zeit in diesem Inselsystem und war deshalb nicht von der Niederlage der ursprünglichen Superintelligenz betroffen. Zu seiner Überraschung stellte Maxyn keinerlei Anzeichen von Psiaktivität bei dem Gehirn fest. Kopfschüttelnd betrachtete er die unzähligen Computerbänke hinter dem Zylinder. Sie waren momentan offline, deshalb war die Luft auch noch recht kühl.
Triumph breitete sich in dem Psioniker aus. Er war am Ziel, jetzt galt es nur noch die Station in Betrieb zu nehmen!
Er trat zum Kontrollpult und legte seine Rechte auf das Kontrollfeld. Augenblicklich erwachte das Display und begrüßte ihn. Neugierig navigierte Maxyn durch die Menüs. Kurze Zeit darauf fand er dann die Schaltfläche für die Startsequenz und hob den Finger, um sie einzuleiten.
Er zögerte kurz. Sein Finger verharrte über dem Bedienfeld. In diesem einen Moment hatte Maxyn plötzlich ein seltsames Gefühl, so als hätte er möglicherweise irgendetwas vergessen. Aber was war es?
Der Psioniker berührte die Schaltfläche auf dem Steuerfeld. Ein Quittungston erklang und gleichzeitig fuhren die Computersystem hinter dem Zylinder hoch.
Online, erschien auf dem Display.
Maxyn lächelte, doch sein Lächeln erstarb. Er hatte etwas gefühlt. In seinem Kopf! Das Implantat des Gardisten nahm wieder seinen Dienst auf. Da war plötzlich eine fremde Präsenz in ihm. Was zur Hölle war das?
Der Psioniker fuhr zu dem Zylinder herum.
Das zusammengesetzte Gehirn schwamm weiterhin regungslos in der bläulichen Flüssigkeit. Aber es fühlte sich für ihn an, als würde er geradezu verhöhnt von dem Ding. Was spielte sich gerade hier ab?
„Willkommen mein Freund“, hörte er die Stimme in seinem Kopf.
Maxyn schluckte. Das hier entwickelte sich völlig anders, als er es gedacht hatte.
„Jemanden mit deinen Fähigkeiten gab es noch nicht in unserem Kollektiv!“
In diesem Moment verstand Maxyn seinen Fehler. Er wollte das Kollektiv mittels des Implantats manipulieren, doch der Psioniker stand jetzt allein gegen ein Kollektiv aus Millionen von Menschen. Außerdem waren seine Jünger viel zu weit entfernt, um auf sie zugreifen zu können. Was für einen katastrophalen Fehler hatte er da gemacht?
Hektisch fuhr er wieder zum Kontrollterminal herum. Seine Hände flogen über das Bedienfeld. So einfach würde er sich nicht geschlagen geben. Irgendwie musste er den Vorgang doch rückgängig machen können!
Nach kurzer Zeit fand er die Option zum Abschalten und streckte seine Hand aus, um die Schaltfläche zu aktivieren. Doch sein Finger verharrte einen Zentimeter vor der Schaltfläche. Der Psioniker befahl seinem Finger die Schaltfläche zu berühren, doch es gelang ihm einfach nicht. Panik stieg in ihm auf.
„Nein!“, donnerte die Stimme in seinem Kopf.
Folgsam nahm Maxyn seine Hand herunter. Was hatte er da gerade tun wollen? Das war doch Wahnsinn? Irritiert schüttelte er den Kopf. Sein altes Leben war nun vorbei, denn er war jetzt ein ergebenes Mitglied des Kollektivs geworden!
*
Das Landungsschiff flog einen Bogen um das Zielgebiet. Sie befanden sich relativ weit draußen auf dem Land. Außer der Landstraße, die sich wie eine Schlange durch das Gebirge zog, gab es wenig zu sehen. In einiger Entfernung zu dem vermuteten Cranium Stützpunkt gab es eine Kleinstadt, sonst nur Staub und Felsen. Hier draußen war niemand mehr, der ihnen hätte auflauern können. Dennoch war Vorsicht immer noch besser als Nachsicht, fand zumindest Jim Baxter. Neben ihm saß Catrina Knox. Das war ein absoluter Verstoß der Einsatzregeln, denn wenn das Landungsschiff abstürzte, würden beide Offiziere sterben und die SHULACO führungslos zurücklassen. Aber einerseits war jedes Mitglied der Brückencrew in der Lage, das Schiff wieder in einem Stück nach Hause zu bringen, und andererseits lehnten sie sich mit diesem Einsatz gerade sowieso schon meterweit aus dem sprichwörtlichen Fenster. Ihr Auftrag war erfüllt, sie hatten auf Pentara nichts mehr verloren. Wenn irgendetwas schiefging, würde das definitiv beide Offiziere den Kopf kosten.
Der Pilot landete auf der Straße vor dem getarnten Areal. Baxter und Knox stiegen sofort aus der Maschine aus, dicht gefolgt von den übrigen vier Mitgliedern des Außenteams. Jedes Mitglied war mit einem Laserkarabiner bewaffnet, denn Baxter wollte nichts dem Zufall überlassen. Wenn es Ärger gab, waren sie vorbereitet.
Baxter hatte schon einige Tarnmechanismen in Aktion erlebt, deshalb war das Hologramm nichts wirklich Spektakuläres für ihn. Dennoch grinste er, als seine Fußspitze mitten in der scheinbar massiven Felswand vor ihm verschwand. Der Commander spielte etwas mit dem Tarnmechanismus herum, dann trat er durch das Hologramm hindurch. Knox und das übrige Team folgte ihm mit erhobenen Waffen.
Alles wirkte ruhig, ziemlich genau so, wie Baxter es erwartet hatte. „Scannen Sie die Anlage nach auffälliger elektromagnetischer Strahlung, Mike“, wandte er sich an einen Mann von der Sicherheit.
Der Offizier hob seinen Minicomputer und löste den Scan aus. Nach kurzer Zeit grinste Mike Henley und zeigte auf den großen Tunnel, der mitten in den Berg hineinführte. „Da entlang, Sir!“
Baxter nickte. Genau so wäre er vorgegangen. Das Wertvollste servierte man nicht auch noch auf dem Präsentierteller! Da kam ihm ein Gedanke. Es war etwas weit hergeholt, aber manchmal musste man ja auch abseits von den gewohnten Denkschienen operieren. Seine Erste Offizierin hatte doch angeblich latent vorhandene Psikräfte. Warum nicht auch dieses Potenzial während dieser Mission nutzen?
„Catrina, wollen ...“, begann Baxter. Doch er kam nicht weiter, denn die junge Offizierin schien wieder zu kollabieren. Knox war blass geworden und verdrehte die Augen. Dieses Mal reagierten Henley und Lambert, die direkt neben ihr standen und fingen die Frau auf.
Baxter zerbiss einen Fluch. Der Anfall passierte gerade zur Unzeit. Das Landungsschiff befand sich zur Feuerunterstützung in der Luft, deshalb wollte er es nicht erst landen lassen, damit Knox an Bord gebracht werden konnte. Diese Möglichkeit schied also aus. „Lambert, Sie sind doch Sanitäter?“
Der Mann nickte.
„Sie beziehen mit Knox hinter dem Unterstand der Wachen Stellung, bis wir wieder rauskommen. Wenn Ihnen irgendetwas seltsam vorkommt, tauchen Sie unter. Schützen Sie um jeden Preis das Leben des Lieutenant Commander!“
Der Hüne nickte und legte sich den bewusstlosen Körper von Knox so mühelos über die Schulter, als wäre es nur eine Puppe. „Aye, Sir“, bestätigte der Soldat und verschwand in Richtung des Unterstands.
Lambert war ein guter Mann, Baxter hätte ihm ohne mit der Wimper zu zucken seine Großmutter anvertraut. Knox war in guten Händen. Aber dennoch machte sich der Commander Sorgen. Die Ohnmachtsanfälle seiner Ersten Offizierin häuften sich zu sehr. Hoffentlich steckte nichts anderes dahinter!
*
Das Außenteam konnte den Stützpunkt schnell infiltrieren. Niemand leistete Widerstand, dafür fanden sie die üblichen regungslosen Menschen wie überall auf dem Planeten vor. Leider hatten diese Männer bisher kein Wasser bekommen. Momentan konnten sich Baxter und seine Leute auch nicht um sie kümmern, denn die Mission hatte Vorrang.
Ihr Vormarsch endete vor einem flachen Gebäude. Das Außenteam musste sich jetzt etwa in der Mitte des Felsens befinden. Was sie suchten, lag direkt vor ihnen.
Der Eingangsbereich des flachen Baus wurde von einem Handflächenscanner geschützt. Bis jetzt hatten sie keinen Alarm ausgelöst. Baxter wollte auch, dass das so blieb. Da fiel sein Blick auf einen der regungslosen Cranium Soldaten direkt vor ihm. Der arme Teufel lebte noch, starrte an ihm vorbei.
Baxter hakte seine Feldflasche vom Gürtel und setzte sie dem Mann an den Mund. Dann hob er den Soldaten hoch, und legte dessen Hand auf den Handflächenscanner. Ohne merkliche Verzögerung entriegelte das Sicherheitssystem den Eingang.
„Danke mein Freund“, murmelte Baxter und ließ den Mann in roter Uniform vorsichtig wieder auf den Boden gleiten. Dabei war es ihm so, als hätte ihn der Mann kurz in die Augen geblickt. Vielleicht setzte ja langsam doch der Prozess des Erwachens ein? Das wäre absolut begrüßenswert und konnte die Arbeit des fremden Psionikers zumindest deutlich erschweren.
Baxter zog die Tür auf und führte sein Team in das Gebäude. Doch ihr Vormarsch stoppte abrupt. Sie gelangten bis in einen Vorraum, dann standen sie vor einer stählernen Tür. Neben der Tür hing ein Tastenfeld an der Wand. Links und rechts befand sich jeweils eine Tür, aber für Baxter gab es keinen Zweifel, dass ihr Ziel hinter der Tür vor ihnen lag. Es würde etwas länger dauern, aber dafür waren seine Männer schließlich ausgebildet.
„Kümmern Sie sich um die Tür, Mike!“
„Aye, Commander“, bestätigte der Sicherheitsmann, und holte seine Ausrüstung hervor. Doch bevor er mit der Arbeit beginnen konnte, überschlugen sich die Ereignisse.
Nahezu zeitgleich wurden die Türen links und rechts von ihnen geöffnet. Außerdem wurde auch die Tür hinter ihnen aufgerissen. Menschen in Zivilkleidung drangen aus den Türen hervor und richteten großkalibrige Waffen auf sie.
Baxter verzog unwillig das Gesicht. Wo zum Henker kamen die alle her? Warum waren sie kampfbereit? Trotzig umklammerte er seinen Laserkarabiner, doch es waren zu viele Angreifer. Damit aber noch nicht genug. Die Statusleuchte der Tür vor ihnen wechselte von rot auf grün. Im Zeitlupentempo öffnete sich die Stahltür.
Im Rahmen stand ein grinsender Kerl. Er trug die Uniform der Cranium Streitkräfte, hielt es aber noch nicht einmal für nötig, sich zu bewaffnen.
„Wenn haben wir denn da?“, sagte der Soldat.
Mit einem Mal wusste Baxter, mit wem er es da gerade zu tun bekam. Vor ihm stand der Psioniker, vor dem sie Jason Mind gewarnt hatte. Sie waren ihm geradewegs in die Arme gelaufen. Das war dann auch das Letzte, was Jim Baxter dachte.
Der blonde Cranium Soldat blickte ihn mit flammendem Blick an. Plötzlich begann sich alles um den Commander zu drehen. Er spürte, dass irgendetwas nach seinem Geist griff. Baxter konnte nichts dagegen tun. Dann war es vorbei. Baxter war zu einer Marionette geworden!
––––––––
9
An Bord der SHULACO
Nataly Sawyer ging es zwar schon deutlich besser, aber sie war weiterhin noch nicht dienstfähig. Deshalb war ihr Platz auf der Krankenstation. Sawyer hätte liebend gern in eine normale Kabine gewechselt, aber so war das Standardvorgehen eben.
Als sie sich erneut hingelegt hatte, musste sie an Mind denken. Sawyer kannte ihn noch nicht lange, aber in ihrer gemeinsamen Zeit bei der Sektion 4 waren sie zu Kampfgefährten geworden. Insgeheim machte sie sich bittere Vorwürfe, dass sie für den Zustand des Psionikers verantwortlich war. Es gab da nichts zu diskutieren, denn es das war wirklich der Fall. Nataly hatte die Sprengladungen ausgelöst. Auf diese Weise hatte sie den Auftrag erfolgreich beenden können. Die Kommandantin war bereit gewesen, sich selbst und ihre Männer dafür zu opfern.
Alle Agenten der Sektion 4 wussten, worauf sie sich eingelassen hatten. Die Einsätze der Sektion forderten oftmals Tote, weil sie oft genug gegen übermächtige Gegner ins Feld zogen. Die Sektion 4 war die letzte Verteidigungslinie des axaraborianischen Sternenreichs in diesem Quadranten. Von den Agenten wurde deshalb alles gefordert. Dafür genossen sie besondere Privilegien und bekamen ein fürstliches Gehalt ausgezahlt.
Dennoch ließ sie das Schicksal ihrer Männer nicht kalt. Wenn sich das jemals änderte, würde sie den Dienst quittieren. Sawyer hatte sich das bereits vor langer Zeit geschworen, denn sie wollte Menschen anführen und nicht über Leichen gehen. Manchmal war der Unterschied dazwischen marginal, aber es gab ihn.
Irgendwann war die Kommandantin dann über diese Gedankengänge eingeschlafen. Doch ihr Schlaf währte nicht lange. Nataly schreckte aus hoch. Sie hatte etwas gehört, aber was war es gewesen? Irritiert blickte sie sich um. Plötzlich sah sie Jason Mind an ihrem Bett stehen. Wie konnte das sein? Hatte es eine Spontanheilung gegeben?
Sawyer runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Der Körper von Mind war durchscheinend! Sie schüttelte den Kopf, da verstand sie endlich. Der Psioniker stand nicht wirklich an ihrem Bett. Es war nur eine geistige Projektion von Mind!
„Hey, der Schlag auf den Kopf hat ja doch keine bleibenden Schäden hinterlassen!“
Sawyer musste grinsen, wurde dann aber wieder schlagartig ernst. „Mit mir geht es bergauf. Aber was ist mir dir, Jason?“
Der Psioniker zuckte mit den Schultern. „Ich arbeite dran“, sagte er lakonisch. „Aber ich schaue nicht zum Spaß vorbei!“
„Das habe ich mir schon gedacht. Was ist los?“
Die Projektion von Mind verschränkte die Arme, so wie er es immer getan hatte. Sawyer hielt es für eine Geste, um sich selbst Energie zu geben.
„Cranium ist wieder aktiv. Das Außenteam ist in eine Falle gelaufen und Commander Baxter wurde von dem gegnerischen Psioniker umgedreht.“
„Was?“ Sawyer hatte die Worte von Mind gehört, konnte sie aber nicht glauben. „Bist du dir da ganz sicher?“
Mind nickte ernst. „Es gibt keinen Zweifel, aber das ist noch nicht alles!“ Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Der Psioniker wird mit dem Landungsschiff zurückkommen. Aber er bringt Kämpfer mit. Nataly, er will die SHULACO kapern!“
„Verdammt“, entfuhr es Sawyer.
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10
„Sie schon wieder, Commander Sawyer?“, begrüßte sie einer der beiden Wachen vor dem Eingang der Kommandobrücke mit einem schiefen Grinsen.
Sawyer nickte. „Das Schiff ist in Gefahr, dort unten auf Pentara spitzt sich die Lage zu!“
Der Sicherheitsmann zuckte mit den Schultern. „Schon seltsam, dass Sie das vom Schiff aus beobachten können.“ Bevor Sawyer etwas darauf erwidern konnte, öffnete er den Zugang zur Brücke. „Commander Baxter ist auf einer Außenmission. Momentan ist Lieutenant Jackson der diensthabende Offizier. Viel Glück bei ihm, er ist mindestens so eigen wie der Commander.“
Sawyer humpelte so schnell es ging auf die Brücke. Die Stützen brauchte sie nicht mehr, aber jeder ihrer Schritte tat ihr noch höllisch weh. Aber da musste Sawyer durch, wenn sie hier noch etwas retten wollte.
„Commander Sawyer?“, begrüßte sie Jackson mit einem fragenden Blick.
„Ich habe Informationen, die Sie kennen sollten!“
Der Offizier nickte Sawyer auffordernd zu. „Und die wären?“
Sawyer legte dem diensthabenden Offizier der SHULACO die Sache in knappen Worten dar. Jackson hörte gewissenhaft zu. Als Sawyer fertig war, schüttelte er aber energisch den Kopf. „Ich habe vor ein paar Minuten mit Commander Baxter gesprochen und hatte absolut nicht den Eindruck, dass er sich in eine willenlose Marionette verwandelt hat!“
Sawyer überlegte angestrengt. „Und wenn es genau das ist, was Sie denken sollen, Lieutenant?“
Jackson runzelte die Stirn. „Sie hatten ihre Gelegenheit, Commander. Wenn Sie möchten, können Sie das gleich auch persönlich mit Commander Baxter klären.“
„Wie meinen Sie das?“
Jackson deutete mit seinem Kopf in Richtung des taktischen Interface. „Das Landungsschiff wird in Kürze in unserem Hangar landen!“
Sawyer sah den einzelnen Punkt, der direkt auf das Zentrum des Displays zuhielt. Es war das Landungsschiff!
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren rannte Sawyer von der Brücke. Ihre rechte Hüfte schmerzte so stark, als würde jemand bei jedem Schritt ein Messer mit einer glühenden Klinge hineinstechen. Aber darum würde sich Nataly später kümmern, wenn es dann noch eine Gelegenheit dazu gab!
Jackson sah Sawyer kopfschüttelnd hinterher. Vielleicht sollte er heute noch mit Doktor Ramirez sprechen, anscheinend verursachten die Medikamente des Commanders Halluzinationen. Anders war für den kommandierenden Offizier das Verhalten der erfahrenen Offizierin jedenfalls nicht zu erklären. Jackson zuckte mit den Schultern. Sawyer würde sich schon noch beruhigen.
*
Schwer atmend trat Sawyer in den Aufzug und hämmerte auf den Knopf für das D-Deck. Innerlich verfluchte sie den bornierten Offizier. Aber irgendwo verstand sie die Reaktion sogar. Letztlich war es ein Fehler von Baxter gewesen, eigentlich war sein Platz während einer Außenmission auf der Brücke. Wahrscheinlich hatte er Knox wegen ihrer Blackouts nicht alleine losschicken wollen, aber das hatte sich jetzt gerächt!
Der Lift hielt und seine Türen glitten auseinander. Das Deck wurde vor allem als Lager genutzt, deshalb hielten sich hier normalerweise keine Menschen auf. Neben den anderen Lagern war hier auch die Waffenkammer untergebracht.
Als Sawyer um eine Ecke bog, sah sie die Sicherheitstür des Waffenlagers und atmete auf. Offenbar hatte weder Baxter noch Jackson dort Sicherheitsleute postiert. Im Normalfall war das auch völlig überflüssig, denn auf den Schiffen der Sektion gehörten weitreichende Sicherheitsmaßnahmen zum Alltag. Wer nicht über die nötige persönliche Kennung verfügte, oder beim Retina-Scan durchfiel, erhielt keinen Zutritt. Zusätzlich wurde ein Alarm ausgelöst, um jeden weiteren unberechtigten Zugriffsversuch auf die Waffenkammer zu verhindern.
Mit einem mulmigen Gefühl nannte Sawyer ihre persönliche Kennung und absolvierte den Retina-Scan. Wenn Jackson oder Baxter sie von der Nutzung der Waffenkammer ausgeschlossen hatten, würde sie es in Kürze erfahren. Und mit ihr das ganze Schiff!
Doch es schrillte kein Alarm los. Anstelle dessen öffnete sich die Tür der Waffenkammer mit einem leisen Zischen. Als Sawyer leicht humpelnd das Waffenlager betrat, wurden automatisch die Schränke geöffnet, für die sie die nötige Sicherheitsstufe besaß. Lediglich die Schränke für vollautomatische Geschütze blieben ihr vorenthalten, aber aufgrund ihres Zustands hätte sie sich ohnehin nicht für eines der schwerfälligen Geschütze entschieden.
Anstelle dessen zog sich die Commanderin eine leichte Körperpanzerung über. Sie entschied sich für ein Energieschwert und schnallte sich die Scheide auf ihren Rücken. Außerdem nahm sie noch zwei durchschlagkräftige Blaster aus einer Halterung.
Die Kiefer von Sawyer mahlten übereinander. Vielleicht hatte dieser Psioniker Knox und Baxter übertölpeln können. Mit ihr würde das aber keinesfalls so laufen. Sie würde ihm eine Überraschung bereiten, von der er sich nicht so leicht wieder erholen konnte!
––––––––
11
Thomas MacFly tat seit gut zehn Jahren seinen Dienst als Techniker auf Schiffen der Raumflotte. MacFly liebte Raumschiffe schon seit seiner Kindheit. Wenn er gewollt hätte, hätte er durchaus auch die Akademie der Raumflotte besuchen können, aber das hätte für ihn keinen Vorteil dargestellt. MacFly wollte sich mit Technik beschäftigen, nicht mit Menschen. Der knorrige Mechaniker war auf dem Schiff nur als Poppy bekannt, denn er hatte deutlich väterliche Gefühle für die SHULACO und deren Ausrüstung.
Zu Beginn seiner Dienstzeit war er auf einem Trägerschiff eingesetzt worden. Als einer der Piloten nach einem Einsatz voller Wut gegen seinen Jäger getreten hatte, hatte er den Offizier mit einem Schraubenschlüssel niedergeschlagen. Das Ergebnis war ein Disziplinarverfahren gewesen. Dass Ergebnis davon war, das Poppy ein Jahr lang keinen Urlaub einreichen durfte. Für einen Mann wie ihn war das ein Witz gewesen, denn er hatte weder Familie, noch ein Privatleben. Er lebte für seinen Job!
Poppy lag gerade unter einem Shuttle und unterzog es einer Inspektion, als sich im hinteren Teil des Hangars ein Menschenauflauf bildete. Langsam öffneten sich die Hangartüren. Durch den sich stetig verbreiternden Spalt sah der Techniker das Landungsschiff, mit dem der Commander und der Erste Offizier Richtung Pantera gestartet waren. Er würde sich auch dieses Schiff ganz genau ansehen müssen. Baxter war schließlich für sein ungestümes Gemüt bekannt. Sollte er eine größere Beschädigung finden, würde er mit Baxter reden müssen!
Mit brummendem Antigravantrieb schwebte das Landungsschiff durch das Stasisfeld, das den Hangar trotz seiner geöffneten Tore vom Weltall isolierte. Auf Anhieb konnte Poppy jedenfalls keine Beschädigung an dem Schiff erkennen. Aber das sah meist völlig anders aus, wenn er sich die Schiffe aus der unmittelbaren Nähe ansah.
So wie er gehört hatte, war dieser kleine Ausflug die letzte Amtshandlung der SHULACO im Netaris-System. Poppy freute sich auf den Stützpunkt, dort hatte er noch mehr Gelegenheit, um die SHULACO anständig zu warten.
Der Blick des Technikers wanderte erneut zu dem Begrüßungskomitee. Normalerweise kam nie jemand in den Hangar. Der endende Einsatz änderte das ganz gewaltig. Poppy sah einige Sicherheitsleute, ein paar Mitglieder der Brückencrew und auch Doktor Ramirez.
Achselzuckend widmete sich der Techniker wieder seiner Arbeit, schließlich machte die sich nicht von alleine. Eine verstopfte Hydraulikleitung erforderte seine ganze Aufmerksamkeit, denn er wollte die Leitung nicht beschädigen. Behutsam führte er die Ultraschallsonde ein, als er hörte, wie das Landungsschiff im Hangar aufsetzte. Instinktiv sah Poppy doch nochmal rüber und sah die Bewegung. Wer zum Teufel ist das, dachte der Techniker.
Hinter ein paar Fässern war jemand in einem Kampfanzug in Stellung gegangen. Es war eine Frau, die er bisher noch nicht an Bord des Kreuzers gesehen hatte. Sie hatte sich ein Energieschwert auf den Rücken geschnallt und in ihren Händen hielt sie zwei Blaster.
Poppy rang mit sich selbst, die Frau führte sicherlich nichts Gutes im Schilde! Gerade wollte er die Menschengruppe mit einem Ruf warnen, als sich rotuniformierte Soldaten aus dem Landungsschiff in den Hangar ergossen.
Der Techniker ging blitzschnell hinter seinem rollbaren Werkzeugschrank in Deckung. Keine Sekunde zu früh, denn die Soldaten eröffneten mit ihren Waffen das Feuer!
Zitternd presste sich Poppy gegen den Werkzeugwagen. Er hörte die Schüsse der großkalibrigen Projektilwaffen, als sich plötzlich Blasterschüsse darunter mischten. Irgendjemand bot den Angreifern Paroli. Vorsichtig lugte der Techniker rechts an seinem Sichtschutz vorbei. Die Blasterschüsse stammten von der Unbekannten, die er noch vor einigen Minuten als Bedrohung angesehen hatte. Poppy grinste, so schnell konnte man sich täuschen. Denn die Unbekannte verstand ihr Handwerk, hielt die Angreifer mit Sperrfeuer aus ihren Blastern in Schach. Aber lange würde sie das nicht aushalten können. Also traf Poppy eine Entscheidung. Blitzschnell griff er sich ein Werkzeug aus dem Wagen und robbte zu der Unbekannten herüber.
Die Frau bemerkte ihn, zuckte zusammen und hätte ihm beinahe auch einen Schuss aus ihrem Blaster verpasst.
„Techniker MacFly und sein Ultraschallbolzenschussgerät melden sich zum Dienst!“
Die Unbekannte gab weiter Schüsse auf die Rotuniformierten ab. Dann hatten sich die Angreifer organisiert und nahmen die Position der Frau aus verschiedenen Positionen unter Sperrfeuer. Sie ging mit angewinkelten Armen sofort in Deckung.
Krachend wurden die Tonnen von Projektilen getroffen. „Sie schickt der Himmel!“
Poppy grinste. Dies war sein Hangar. Hier standen seine Schiffe. Wer hier rumballerte, bekam es unweigerlich mit ihm zu tun!
*
Knox öffnete die Augen. Innerhalb von Sekunden registrierte sie, dass sie schon wieder weggetreten war. Dieses Mal hatte es aber kein Treffen mit Mind gegeben. Der Grund für den Blackout war ein anderer gewesen. Etwas oder jemand hatte sie bemerkt und gezielt ausgeschaltet. Der verdammte Psioniker, sie hatte ihn unterschätzt! Die Offizierin blinzelte. Wo war sie?
„Wir sind allein, Lieutenant Commander.“
Knox setzte sich auf und sah sich um. Jemand hatte sie hinter den Unterstand der Wachen am Eingangsbereich des Cranium Stützpunkts verfrachtet. Vermutlich war es Lambert, der lässig mit seinem Karabiner im Anschlag neben ihr stand.
„Was ist passiert?“
Der Soldat nickte in Richtung des Stützpunkts. „Kurz nachdem sie ohnmächtig geworden sind, haben unsere Leute den Stützpunkt infiltriert. Einige Zeit später sind sie wieder rausgekommen, wurden aber von Zivilisten und Cranium Soldaten abgeführt. Baxter wirkte seltsam verändert, wie ferngesteuert. Er hat das Landungsschiff gerufen, dann sind alle damit abgehauen.“
In Richtung SHULACO, dachte Knox. „Dann muss das Cranium Kollektiv aus irgendeinem Grund wieder aktiviert worden sein!“
Lambert nickte schweigend.
Die Konsequenzen konnten sowohl für den Planeten, die SHULACO, aber auch für den ganzen Quadranten fatal sein.
„Dann ziehen wir eben nochmal den verdammten Stecker.“
„Ganz Ihrer Meinung, Lieutenant Commander!“
Lambert half Knox auf die Beine. Ihre Knie fühlten sich zwar an, als wären sie aus Pudding, aber da musste die Offizierin durch. Zuletzt hob sie auch ihren Karabiner vom Boden auf. Zusammen gingen sie in Richtung des Tunnels, der direkt in den Berg hineinführte.
„Die haben hier auf uns gewartet“, flüsterte Lambert.
Knox war da nicht so sicher. Das konnte natürlich eine Falle gewesen sein, aber es fühlte sich nicht so an. Mind hatte sie über den Psioniker und dessen Plan informiert. Ihr Gegenspieler wollte lediglich das Cranium-Netzwerk für seine Zwecke missbrauchen, aber weshalb sollte er Cranium an sich rebooten? Das machte doch überhaupt keinen Sinn?
„Vielleicht sind hier ja auch gleich mehrere Leute über den Tisch gezogen worden?“
Lambert zuckte mit seinen Schultern. Für Gespräche war später noch Zeit, jetzt mussten sie aber erst mal in die Backup-Station reinkommen.
Knox und Lambert sicherten sich gegenseitig, indem Knox im Rückwärtsgehen alles unter Kontrolle behielt und Lambert sich um das kümmerte, was vorne passierte.
„Wie kann das sein?“, wollte Lambert wissen.
„Was?“
Lambert erreichte ein flaches Gebäude und drückte sich mit seinem Rücken dagegen. Knox tat es ihm gleich.
„Ist es Ihnen nicht aufgefallen? Hier ist absolut niemand mehr!“
Lambert hatte recht. Selbst die Schläfer waren nicht mehr da. Es sah wirklich so aus, als wären alle abgerückt. Da kam Knox auf eine Idee, und sie schloss ihre Augen.
„Geht das schon wieder los?“, befürchtete der Soldat.
„Keine Sorge, ich scanne nur das Gebäude.“
Sekunden später öffnete die Offizierin wieder ihre Augen. „Dort drinnen ist zwar noch jemand, aber es ist definitiv kein Mensch.“
Lambert runzelte die Stirn. „Was denn dann?“
„So was wie eine absolut kalte Form von Intelligenz, ohne jede Form von Emotion.“
„Cranium?“, fragte Lambert.
Knox nickte.
„Dann kaufen wir ihn uns!“
*
Sawyer und Poppy saßen so richtig in der Tinte. Den wichtigsten Teil ihres Jobs hatten sie definitiv erfüllt. Sie hatten den Psioniker und seine Cranium Soldaten aufgehalten, damit hatte Jackson auf der Brücke Zeit für Gegenmaßnahmen gewonnen. Nun stellte sich nur noch die Frage, ob sie davon auch noch etwas hatten. Momentan wurden sie nämlich von Soldaten eingekesselt.
Zwei Blaster mit halb entladenen Magazinen und ein Bolzenschussgerät halfen ihnen nicht gegen die Obermacht.
Sawyer schwitzte. Zusammen mit Poppy war sie ständig in Bewegung gewesen, hatte kontinuierlich die Position gewechselt. Aber die Cranium Soldaten wussten, was zu tun war. Durch ihre geballte Feuerkraft hatten sie ihre beiden Gegner gezielt in eine Ecke getrieben. Bald war das Spiel zu Ende.
Nataly hatte neben den Soldaten auch einen Blick auf Baxter und einen anderen Mann in der Uniform von Cranium werfen können. Beide Männer nahmen nicht am Kampf teil, sondern verfolgten ihn nur aus sicherer Entfernung. Baxter wirkte wie abgeschaltet, während der andere Kerl sie mit flammenden Augen anstarrte. Wenn Mind recht hatte, musste das der Psioniker sein.
Poppy riss sein Bolzenschussgerät hoch und verpasste einem Cranium Soldaten einen Bolzen genau zwischen die Augen, als er direkt vor Sawyer aus der Deckung sprang. Wie ein Baum stürzte der Tote um.
Nataly robbte über den Boden, wollte einen Haken um einen kleinen Hubwagen schlagen, als sie von Cranium Soldaten umringt wurde. Doch die Männer schossen nicht.
Auch Poppy erging es nicht anders. Als er kurze Zeit später gleich in zwei Mündungen sah, war auch für ihn der Kampf beendet. Er ließ das Bolzenschussgerät fallen und es rutschte in Sawyers Richtung.
Völlig gelassen kam der Blonde mit Commander Baxter im Schlepptau Sawyer entgegen geschlendert. Er grinste anmaßend und sah auf Sawyer herunter.
„Das war aber eine nette Trainingseinlage“, sagte er verächtlich. Er zuckte mit den Schultern. „Aber jetzt ist Schluss damit. Sie haben uns lange genug aufgehalten.“
Der Psioniker trat zu einem seiner Männer und zog dessen Pistole aus dem Holster. In aller Ruhe richtete er sie auf die Stirn von Sawyer. „Sie sind die erste Person, die ich erschieße“, sagte er fast schon amüsiert. „Früher habe ich andere Methoden bevorzugt!“
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12
Lambert besaß ein natürliches Talent für Zerstörung. Wie Knox es vorhergesehen hatte, war das Gebäude leer. Es blieb nur noch eine Stahltür, die sie von ihrem Ziel trennte. Der Soldat hatte sich das Tastenfeld angesehen und dann den Kopf geschüttelt. „Das bekommen wir auf herkömmliche Weise nicht auf, ich bin kein Hacker.“
Die Erste Offizierin der SHULACO hatte genickt. „Was schlagen Sie also vor?“
Lambert zeigte es ihr. Aus einem Rucksack förderte er Sprengstoff hervor und verteilte die klebrige Masse großzügig um die stählerne Tür. Dann hatte er sie aus dem Gebäude herausgeführt.
Als er den Auslöser betätigte, wurde das Gebäude in seinen Grundfesten erschüttert und es gab einen mordsmäßigen Lärm im Inneren.
Lambert war sofort wieder hineingestürmt, bereit jeden Gegner mit seinem Karabiner umzunieten. Doch da war niemand. Da sie die Tür aus massivem Stahl nicht bezwingen konnten, hatten sie eben anstelle dessen die Wand vernichtet. Sie hatte nachgegeben und die Stahltür lag auf dem Boden, versperrte nun nicht mehr den Weg ins Allerheiligste des Gebäudes.
Lambert und Knox gingen über die stählerne Gangway der Tür in den dahinterliegenden Raum.
Was Knox sah, verschlug ihr den Atem. Sie wusste aber nicht zu sagen, ob das überdimensionierte Gehirn in seinem bläulich schimmernden Zylinder, oder das Videodisplay schuld daran waren. Wahrscheinlich war es das lapidare Wort Online, dass sie am meisten fertigmachte. Denn damit war nichts anderes gemeint, als das das Kollektiv wieder online und kampfbereit war!
Knox rief sich zur Ordnung. Sie durfte sich keine Blöße leisten, wenn sie etwas für ihre Leute auf der SHULACO tun wollte. „Blasen Sie diese Scheiße in die Luft, Lambert.“
Der Soldat grinste zufrieden. „Aye, Commander!“
*
Nataly Sawyer sah dem Tod ins Auge. Doch dann kam alles anders. Die Cranium Soldaten um sie herum brachen wie auf ein lautloses Kommando zusammen.
Nur der Psioniker blieb auf den Beinen, taumelte aber zur Seite und schrie vor Schmerzen auf. Die Waffe behielt er mit seiner Rechten umklammert.
Sawyer und Poppy sahen sich nur ganz kurz an, doch dem Psioniker reichte die Zeit. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck richtete er sich wieder auf. „Ah, ich bin endlich wieder der Alte!“ Wie um seine Worte zu untermalen, richtete er den Lauf seiner Waffe auf Sawyer.
Die Offizierin runzelte den Kopf und spürte plötzlich, wie etwas nach ihrem Bewusstsein griff. Sie versuchte sich dem Griff zu entziehen, aber erfolglos.
„Du bist nicht nur schön, sondern auch ganz schön widerspenstig!“ Der Psioniker ließ von Sawyer ab und lenkte seinen Blick zu Poppy. Sein Lächeln erstarb schlagartig.
Der Techniker lief plötzlich rot an, griff sich panisch an den Hals, so als würde ihn jemand würgen. Und tatsächlich war das auch der Fall.
„Du bist ein hässlicher Vogel. Deshalb stirbst du jetzt!“, höhnte der Psioniker.
Mit geweiteten Augen verfolgte Sawyer das Schauspiel, während der Blonde immer noch seine Waffe auf sie gerichtet hielt. Wenn sie sich auch nur einen Zentimeter bewegte, war sie tot!
„Mayxn!“, der Schrei gellte durch den Hangar.
Wie von der Tarantel gestochen, fuhr der Psioniker herum.
Sawyer konnte es nicht fassen. Jason Mind stand hinter dem Psioniker. Er trug einen provisorischen Kopfverband und sah alles andere als gut aus.
„Du bist es!“, stieß Maxyn aus und hob seine Linke. Aus seinen Fingerspitzen züngelten grünliche Flammen und vereinten sich zu einem Feuerball. „Ich habe dich die ganze Zeit gefühlt, aber ich habe nie eine Spur finden können!“
Sawyer war darauf trainiert, zu agieren und zu reagieren. Deshalb handelte sie auch jetzt gnadenlos und unerbittlich. Ihre Rechte schoss hervor, packte das Bolzenschussgerät, das in ihre Richtung geschlittert war. Ansatzlos drückte sie sich explosionsartig mit ihren Beinen vom Boden ab. Der Schmerz explodierte in ihrer rechten Hüfte und es knackte vernehmlich.
Maxyn lachte und richtete seine Linke auf Jason Mind. Die grünen Flammen nahmen erneut an Intensität zu, bündelten sich mehr und mehr. Jede Sekunde war es soweit. Maxyn würde den Feuerball auf Mind schleudern.
Mind versuchte sich darauf vorzubereiten, aber er wusste, dass er dem ungleich stärkeren Psioniker vor ihm unterliegen würde. Da sah er die Bewegung hinter dem Rotuniformierten. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Das war doch unmöglich!
Sawyer prallte gegen Maxyn und rammte ihm das Bolzenschussgerät gegen den Hinterkopf. Zeitgleich riss sie den Auslöser mehrfach durch.
Die Bolzen hieben aus nächster Nähe in den Kopf des Psionikers. Es knackte laut, als die beiden Bolzen das Schädeldach von Maxyn wegsprengten.
Sawyer wurde von Blut, weißem Gewebe und Knochenfragmenten getroffen. Doch erleichtert sah sie, dass die Flammen aus der Linken ihres Gegners verschwunden waren. Der Psioniker in der roten Uniform des Kollektivs war tot, bevor er auf seine Knie brach.
Sawyer atmete schwer, wischte sich mit dem Unterarm über ihr Gesicht.
„Danke, Miss“, keuchte Poppy immer noch atemlos.
Nataly lächelte.
„Sind wir jetzt quitt?“, fragte sie in Richtung von Mind.
Der Psioniker lachte. „Du schuldest mir mindestens noch eine Lebensrettung!“
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ENDE