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Avalon Space Fighter - Weltraumkrieg

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Avalon Space Fighter - Weltraumkrieg

von Alfred Bekker

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© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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"AVALON Space Fighter" spielt in einer fernen Zukunft. Die Raumfahrt ist seit Erfindung der galaktischen Transmitterstraßen so gut wie vergessen. In dieser Welt gibt es die sogenannten Spacer, das sind Jugendliche, die sich die Wracks der alten Schiffe wieder herrichten und damit äußerst waghalsige Raumrennen fliegen. Dann greift eine außerirdische Macht die Galaktische Netzrepublik an. Die Spacer sind die einzigen, die jetzt in der Lage sind, den fremden Raumflotten Widerstand entgegen zu setzen. Schließlich können sie froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Ihnen gelingt mit der AVALON die Flucht zu einem einsamen Sonnensystem.

Kapitel 1: Wettflug im All

Rhon schaltete auf die höchste Beschleunigungsstufe. Ein dumpfer, brummender Laut, verbunden mit einem leichten Zittern, durchlief den Raumjäger AVALON-22. Rhons Gesicht wirkte angespannt. Er schaltete die automatische Steuerung ab und musste sich nun auf das Höchste konzentrieren – denn vor ihm lag die Davis-Wolke: Ein Gebiet voller Asteroiden, Kleinplaneten und frei durch das All schwebender Brocken aus Gestein und Eis. Um diese Wolke schnell genug zu durchqueren, hatte er alle automatischen Steuerungssysteme, die den Raumpiloten normalerweise unterstützten, abgeschaltet. Er flog jetzt nur noch per Hand.

Ein Steuerknüppel wurde dazu aus den Armaturen ausgefahren.

Auf dem Hauptbildschirm des kleinen Ein-Mann-Raumjägers vom AVALON-Typ sah Rhon nun einen zweiten Jäger auftauchen. Es war ein baugleicher Jäger – geformt wie ein dreieckiger Keil mit einem kleinen, kuppelartigen Aufbau und nur für eine Person gedacht. Es gab zwar einen zweiten Sitz in den AVALON-Jägern, aber der war nur für Notfälle – etwa wenn ein verunglückter Pilot gerettet werden musste.

Rhon schaltete den Funk ein.

„Hier Rhon. Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du willst dich vor dem Rennen drücken!“

Auf einem kleinen Nebenbildschirm war das Gesicht von Erric zu sehen, dem Piloten des zweiten Raumjägers.

„Hi, Captain!“

„Willst du das Rennen jetzt noch, oder hast du es dir anders überlegt, Erric?“

„Natürlich will ich es! Was denkst du denn?“

„Naja, die Davis-Wolke ist keine einfache Strecke...“

„Wenn sie dir zu schwierig ist, Rhon... Also ich habe hier in letzter Zeit des öfteren trainiert, deswegen dürfte das für mich kein Problem sein!“

Rhon grinste. „Alles klar, dann gehen wir jetzt in Startdistanz. Startzeitpunkt ist exakt in sechzig Sekunden von meinem Signal an. Zielpunkt: Asteroid X456.“

„Mit Höhlendurchflug bei Mantop 6677?“, hakte Erric nach.

„Na, willst du ein interessantes Rennen oder im Cockpit einschlafen, Erric?“

Errics Raumjäger ging auf Startdistanz, was bedeutete, dass er nicht mehr als zehntausend Kilometer von Captain Rhons AVALON-22 entfernt war. Das war eine Strecke halb um den Äquator eines Planeten der erdähnlichen Klasse – aber im All nicht mehr als ein Katzensprung.

Errics Raumjäger flog also bis auf 10 000 Kilometer an Rhons Maschine heran, dann flogen beide Raumschiffe für einige Augenblicke synchron nebeneinander.

„Signal“, sagte Rhon und betätigte dabei eine Schaltung auf dem Touchscreen in seinem Cockpit. Sechzig weitere Sekunde mussten sie nun synchron fliegen – mit gleichbleibendem Abstand und gleicher Geschwindigkeit. Danach konnte das Rennen starten.

Als das Rennen startete, gingen beide Maschinen sofort auf höchste Beschleunigungsstufe. Rhon wurde förmlich an den Sitz gedrückt. Mit beiden Händen hielt er den Steuerknüppel. Sein Blick war auf den Hauptschirm gerichtet. Wenn er sich nur auf das verlassen hätte, was man durch die Sichtfenster des Jägers sehen konnte, dann hätte das ganz schnell ins Auge gehen können, denn die Ortungssysteme der AVALON-22 konnten sehr viel mehr erkennen. Rhon hatte sie vor dem Start noch einmal gründlich überprüft und das System zusätzlich noch durch ein paar kleine Änderungen verbessert.

Zumindest hoffte er, dass es Verbesserungen waren.

Aber falls nicht, würde er das bald merken.

Haarscharf schnellte die AVALON-22 an einem Ball aus schmutzigem, grauweißem Eis vorbei. Dieser Zwergplanet hatte in seinem Inneren allerdings einen Kern aus Gestein und Metall, weswegen seine Anziehungskraft vergleichsweise hoch war. Rhon nutzte sie aus, um sich damit wie mit einer Schleuder fortschießen zu lassen und noch mehr zu beschleunigen, als es das Triebwerk gestattet hätte. Einem Felsbrocken von nur wenigen hundert Metern Durchmesser musste er allerdings wenig später etwas ausweichen und verlor dabei wieder an Tempo.

Unzählige Objekte schwebten in der Davis-Wolke, die sich über ein Raumgebiet von zehn Astronomischen Einheiten erstreckte. Man konnte die Bahnen dieser Brocken, die wie ein gewaltiges Trümmerfeld wirkten, nicht exakt vorausberechnen. Dazu stießen sie zu häufig gegeneinander, was dann zur Folge hatte, dass sie sich völlig anders durch das All bewegten, als man es ursprünglich hätte erwarten können. Die Instrumente registrierten die Anziehungskraft eines weiteren Objektes. Aber es war nicht rund, sondern wie eine Hantel geformt und bestand aus festem, granitähnlichem Gestein. Außerdem drehte es sich völlig chaotisch um den eigenen Schwerpunkt und hatte dadurch Ähnlichkeit mit einem torkelnden Kreisel. Dass dieses Objekt sich so unkontrolliert bewegte, musste wohl daran liegen, dass es erst vor kurzem eine Kollision mit einem mindestens gleichgroßen Himmelskörper hinter sich gehabt hatte. Ein paar kleine Gesteinsbrocken waren bei diesem Zusammenstoß offenbar abgesprungen und umkreisten jetzt den hantelförmigen Asteroiden. Für Captain Rhon waren das in erster Linie gefährliche Geschosse, auf die er achten musste. Manche waren nur so groß wie ein Fußball, umkreisten die Steinhantel aber so schnell, dass sie wie eine Granate gewirkt hätten, wenn sie auf die Außenhaut des Raumjägers getroffen wären.

Die automatische Steuerung der AVALON-22 hätte jetzt eigentlich das Tempo vermindert und einen Kurs berechnet, bei dem darauf geachtet wurde, dass keiner dieser kleinen Brocken, die allesamt von der Ortung angezeigt wurden, dem Raumjäger zu nahe kamen.

Aber Rhon hatte diese Automatik ja abgeschaltet.

Genau das wollte er nämlich vermeiden, weil es ihn aufgehalten hätte. Erric war ihm mit seiner AVALON-11 ohnehin schon dicht genug auf den Fersen. Und daran, auf welche Weise der Raumjäger seines Verfolgers durch dieses kosmische Trümmerfeld raste, konnte Rhon sofort erkennen, dass auch Erric jede Automatik abgeschaltet hatte und per Hand flog.

Mit Höchstbeschleunigung raste Rhon an der dünnsten Stelle der Steinhantel vorbei, die aussah wie eine Wespentaille.

Plötzlich gab es einen Ruck. Ein Alarmsignal schrillte. Etwas hatte die AVALON-22 am Heck getroffen. Rhon blickte auf die Instrumente. Irgendeinen der unzähligen Gesteinsbrocken hatte er wohl unterschätzt. Und nun klaffte ein etwa ein Meter großes Loch in der rechten Tragfläche des Jägers.

Halb so schlimm, dachte Rhon. Schließlich brauchte man die Tragflächen des keilförmigen Raumjägers ohnehin nur dann, wenn man in die Atmosphäre eines erdähnlichen Planeten eindrang und dort landen wollte.

Rhon riss den Steuerknüppel zur Seite und ließ den Raumjäger einen Schwenk nach links machen, um einem weiteren, kartoffelförmigen Gesteinsbrocken auszuweichen, der allerdings bereits die Größe eines kleinen Mondes hatte. Es hatte hier sogar mal eine vollautomatisch betriebene Station gegeben, die die Aufgabe gehabt hatte, Strahlungskonzentrationen zu messen, aber man hatte sie aufgegeben. Beim Vorbeiflug war der Kuppelbau der Station allerdings noch in einem der Krater zu sehen, von denen der Kartoffel-Asteroid vollkommen übersät war.

Captain Rhon hielt sich dicht an der Oberfläche des Asteroiden. An einigen Stellen traten Gase aus dem Inneren in kleinen Fontänen aus und bildeten Nebelwolken, die die Sicht etwas behinderten. Die Gaskonzentration reichte bereits aus, um die AVALON-22 etwas abzubremsen.

Rhon bemerkte jetzt, dass Erric mit seinem Jäger vom Ortungsschirm verschwunden war. Die Instrumente zeigten ihn einfach nicht mehr an. Als ob die Schwärze des Weltraums ihn mitsamt seinem Raumjäger verschluckt hatte!

An den Tragflächen der AVALON-22 bildeten sich Funken. Flammen blitzten auf. Das kam durch die Reibung an den Gasen.

Harmlos, dachte Rhon. Offenbar war bei den aus dem Kartoffel-Asteroiden austretenden Gasen der Sauerstoffanteil recht hoch. Und Sauerstoff entzündete sich nun einmal schnell. Aber ein AVALON-Raumjäger war dagegen gut gerüstet. Solange der Hitzeschutz intakt war, konnten da draußen die Flammen ruhig hochschlagen. Von der Oberfläche des Himmelskörpers sah das dann wohl wie eine Sternschnuppe aus.

Dann ließ er den Asteroiden hinter sich.

Von links schoss Etwas dicht an ihm und der AVALON-22 vorbei. Flammen blitzten grell auf und die Sichtfenster verdunkelten sich automatisch, damit Rhon nicht geblendet wurde.

Die Flammen verloschen und im nächsten Moment zeigten die Instrumente an, um was für ein brennendes Geschoss es sich da handelte.

Es war Erric mit seinem Raumjäger.

Er hatte den kartoffelförmigen Asteroiden offenbar auf der andere Seite umrundet. Und nun schoss er um Haaresbreite an Rhons Raumjäger vorbei und gewann die Führung in diesem rasanten Rennen. Die Flammen verloschen, als Erric aus dem Einflussbereich der Gase geriet – genau wie bei Rhons Jäger.

„Na, was sagst du nun“, meldete sich Erric über Funk. „Haarscharf vor der Nase deiner Maschine her! Das machst du mir so schnell nicht nach!“

„Glück gehabt. Das hätte ins Auge gehen können“, gab Rhon zurück.

„Ach Quatsch, du bist doch sonst auch nicht so zimperlich! Oder bist du plötzlich zum Angsthasen geworden?“

Rhon schaltete auf Höchstbeschleunigung. Er wurde erneut an seinen Sitz gepresst und versuchte nun, sich die Führung zurückzuholen. „Abgerechnet wird am Schluss, Erric!“, ließ er seinen Konkurrenten über Funk wissen.

Erric musste unterdessen ein paar kleineren Eisbrocken ausweichen und verlor dadurch etwas an Geschwindigkeit. Rhon gelang es, mit seinem Jäger gleichzuziehen. Das Triebwerk lief mit voller Kraft und alles im Cockpit vibrierte jetzt leicht. Beide Raumfahrzeuge jagten dicht nebeneinander und fast gleichauf durch das All.

Dann tauchte Mantop 6677 vor ihnen auf. Der Zwergplanet war annähernd kugelförmig und einer der größten Himmelskörper in der gesamten Davis-Wolke. Aber er hatte nicht viel Masse, denn er war so löchrig wie ein Schweizer Käse. Das Gestein, aus dem er bestand, hatte eine geringe Dichte und Höhlengänge zogen sich durch den Zwergplaneten. Eine davon war groß genug, um hindurchzufliegen. Man kam dann auf der anderen Seite von Mantop 6677 wieder heraus.

Wer als erster in diese tunnelartige Höhle flog, hatte das Rennen schon so gut wie gewonnen. Innerhalb des Höhlengangs war es nahezu unmöglich, den anderen zu überholen und wenn man mit dem Raumjäger auf der anderen Seite wieder herausgeschossen kam, war da nur noch eine sehr kurze Strecke bis zum Zielpunkt zurückzulegen. Zu kurz, um da noch einmal für ein Überholmanöver ausreichend beschleunigen zu können.

Beide Raumjäger rasten mit höchster Beschleunigung auf den Eingang der Höhle zu.

Rhon erreichte mit seiner AVALON-22 den Eingang des Höhlengangs nur ganz knapp vor seinem Konkurrenten.

„Tut mir leid, Erric. Aber diesmal gewinnst du nicht“, ließ Rhon seinen Kontrahenten über Funk wissen.

„Das war Glück – sonst gar nichts“, knurrte Erric.

Captain Rhon sah Errics angestrengtes, konzentriert wirkendes Gesicht auf dem kleinen Nebenbildschirm.

Das Rennen war gelaufen – so dachte zumindest Rhon. Niemand konnte so wahnsinnig ein und jetzt noch versuchen, ihn zu überholen.

Nicht einmal Erric – und der war für seine tollkühne Waghalsigkeit bekannt.

Doch Rhon sollte sich getäuscht haben.

Erric versuchte trotz allem Risiko noch innerhalb des Höhlenganges zu überholen, denn er wusste ganz genau, dass es danach zu spät sein würde, um das Rennen noch gewinnen zu können.

Erric beschleunigte und holte auf. Dann versuchte er, vorbeizuziehen. Eine der Tragflächen seines Raumjägers geriet dabei an die Höhlenwand. Funken sprühten, und dann gab es eine Explosion.

Die Druckwelle schleuderte Rhon mit seiner AVALON-22 förmlich aus dem Höhlenausgang – wie eine Kugel aus einer riesigen Kanone.

Eine Feuersbrunst wallte hinter der AVALON-22 her und flammte aus dem Höhlenausgang heraus. Trümmerteile von Errics Jäger wurden durch das All geschleudert und glühten kurz auf.

„Erric!“, rief Rhon über Funk. „Erric!“ Rhon schlug der Puls bis zum Hals. Er konnte noch kaum fassen, was gerade geschehen war, und es dauerte ein paar Sekunden, ehe er begriff, dass er von Erric wohl keine Antwort mehr bekommen würde.

Kapitel 2: Der Raumkreuzer

Rhon bremste seinen Raumjäger ab. Es hatte jetzt keinen Sinn mehr, zum Zielpunkt zu fliegen. Stattdessen drehte Rhon ab und ließ die AVALON-22 einen Halbkreis fliegen. Noch immer flog er die Maschine mit der Hand. „Bordrechner, bitte die Umgebung des Explosionsherdes nach Lebenszeichen aller Art absuchen“, sagte er dann laut.

„Negativ“, meldete die Kunststimme des Bordcomputers. „Es ist nicht möglich, irgendwelche Lebenszeichen anzumessen.“

Rhon schluckte.

Nach dem, was er von der Explosion mitbekommen hatte, war eigentlich auch nichts anderes zu erwarten gewesen. Rhon blickte auf die Ortungsanzeige. Mehrere Dutzend Trümmerstücke des explodierten Jägers waren eindeutig zu sehen. Aber nicht Erric. Die Raumanzüge waren mit Sendern ausgestattet und eigentlich hätte Rhon daher ein entsprechendes Signal längst auf dem Schirm haben müssen, falls Erric doch wider Erwarten überlebt hatte. Ganz ausgeschlossen war das selbst bei einer so gewaltigen Explosion und der völligen Zerstörung des Schiffes nicht. Die Raumanzüge waren Feuer- und Druckfest und wenn die Explosion selbst den Raumpiloten nicht zerfetzte, sondern er nur von der Druckwelle erfasst wurde, musste er noch irgendwo im All schweben. Aber war war nichts. Kein Sender. Keine Biozeichen gar nichts.

„Erric, was hast du für einen Mist gemacht!“, schimpfte Rhon. „Kein Mensch versucht in dieser Höhle zu überholen.“ Er schüttelte fassungslos den Kopf. Offenbar war Erric doch von der Explosion zerrissen worden – und zwar so gründlich, dass nicht einmal einzelne Teile seines Raumanzug noch orten ließen, die aus einem Material waren, das sich eigentlich von den Sensoren erkennen ließ. Erric war immer schon sehr draufgängerisch gewesen, aber dass er bei einem Rennen so weit gehen würde, in der Höhle von Mantop 6677 ein derart riskantes Manöver zu fliegen, hatte Captain Rhon nicht erwartet. Obwohl sie immer Rivalen gewesen waren, wenn es darum ging, zu bestimmen, wer der bessere Raumjägerpilot von ihnen war, so hatten sie sich doch auf der anderen Seite sehr nahe gestanden. Rhon hatte einen Freund verloren. Eine Flut von Gedanken überkam ihn jetzt und er biss sich dabei auf die Lippen.

Ein letztes Mal wiederholte er die Suche, schaltete erneut sämtliche Ortungssysteme auf Höchstleistung und vergrößerte das abzusuchende Gebiet um die Hälfte.

Das Ergebnis blieb jedoch dasselbe.

Null.

Erric, du Wahnsinniger!, ging es ihm durch den Kopf. Das hätte nicht passieren dürfen.

Rhon war innerlich so gefangen, dass er das Signal auf dem Touchscreen übersah. Die Computerstimme war von ihm abgestellt worden, die ihn sonst auf das Signal hingewiesen hätte. Aber deren Gequatsche konnte er im Moment nicht ertragen.

Das blinkende Signal bedeutete, dass jemand ihn über Funk zu erreichen versuchte.

Rhon öffnete die Verbindung.

„Hier Rhon“, meldete er sich.

„Hier AVALON Raumkreuzer. Habt ihr dort ein Problem? Ich habe hier eine ziemlich üble Explosion geortet.“

Auf dem Nebenbildschirm erschien ein Gesicht: Jung, weiblich, sehr ebenmäßig, meergrüne Augen. Das lange schwarze Haar war zu einem streng wirkenden Knoten zusammengefasst.

Ausgerechnet die, dachte Rhon.

Ihr Name war Tabeja und sie stammte von einem Planeten, dessen Siedler von der Philosophie des Ya-don geprägt waren, deren höchster Wert die Beherrschung aller menschlichen Leidenschaften durch Gedankendisziplin war. Das gab ihr oft ein für Außenstehende recht kühl und zurückhaltend wirkendes Auftreten. Ihr Gesicht zeigte selten Regungen und wirkte völlig gleichmütig.

Erric hatte Tabejas Ya-don-Gläubigkeit nie davon abgehalten, sie ständig anzubaggern und manchmal schien es so, als würde nur Tabejas strenge Erziehung im Geist des Ya-don sie daran hindern, darauf einzugehen.

„Erric hat versucht, mich in der Höhle von Mantop 6677 zu überholen und das ist schief gegangen“, berichtete Rhon knapp und mit belegter Stimme.

„Oh“, sagte Tabeja leise und auf ihrer ansonsten stets vollkommen glatten Stirn erschien eine ganz leichte Falte, die von der Nasenwurzel etwa zwei Fingerbreit die Stirn hinaufreichte. Für ihre Verhältnisse war das ein Gefühlsausbruch.

„Erric kommt nicht zurück“, erklärte Rhon.

Captain Rhon steuerte seinen Raumjäger auf schnellstem Weg aus der Davis-Wolke heraus. Danach schaltete er sogar die Computersteuerung wieder ein und lehnte sich zurück.

Sein Bildschirm zeigte eine Übersicht des gesamten Systems. Zehn Planeten kreisten um den Stern, den man vor langer Zeit nach dem berühmten Raumkapitän und Entdecker James Armando Davis benannt hatte. Das war in einer Zeit gewesen, als Raumfahrt nicht nur ein Zeitvertreib für Jugendliche, sondern ein wichtiges Verkehrsmittel für Wirtschaft, Forschung und Militär gewesen war. Die Planeten Davis-3 und Davis-4 waren erdähnlich und besiedelt. Und vor allem gab es dort Transmitter-Stationen über die man sich innerhalb von Augenblicken auf jeden besiedelten Planeten in der Galaxis beamen lassen konnte. Die Galaktische Netzrepublik umfasste hunderttausende von Planeten – aber so weit entfernt sie auch sein mochten – Waren und Personen ließen sich ohne Zeitverlust überall hinbeamen, sofern es dort einen Transmitter gab. Dass die Raumfahrt nach der Erfindung des Transmitters so gut wie ausgestorben war, konnte niemanden verwundern. Schon seit Jahrhunderten wurden kaum noch Raumschiffe gebaut. Die Schiffe der alten Raumflotte waren abgewrackt worden und schwebten in riesigen Weltraumschrottplätzen.

Zu den wenigen, die sich für diesen Schrott interessierten waren die sogenannten Spacer – Jugendliche, die sich die alten Schiffe wieder herrichteten und sie unter anderem dazu benutzten, in abgelegenen Gegenden der Galaxis Rennen zu fliegen. Es gab sie überall – und man ließ sie gewähren, solange sie niemandem Schaden zufügten, außer vielleicht sich selbst.

Abgesehen davon gab es auch gar nicht mehr genug Raumfahrzeuge in der Hand der Behörden, mit denen man die Spacer von ihrem Hobby hätte abhalten können.

Rhon flog auf Davis-10 zu, einen himmelblauen, kalten Gasriesen, dessen Durchmesser dreißig mal so groß war wie der Durchmesser der Erde. 67 Monde umkreisten Davis-10 und außerdem ein ehemaliges Kriegsschiff der galaktischen Kriegsflotte. Wie so viele andere Schiffe war es auch abgewrackt worden, nachdem die Transmitterverbindungen ein richtiges Netz aus Beam-Straßen über die Milchstraße gespannt hatte. Fast die gesamte Milchstraße gehörte zur Galaktischen Netzrepublik. Wer hätte diesen Verbund schon angreifen sollen?

Bis zur nächsten Galaxis klaffte ein sternenloses Nichts von vielen hunderttausend Lichtjahren.

Der Raumkreuzer hieß AVALON und war geformt wie ein langgezogenes Y. An Bord gab es eine Flotte von hundert Raumjägern, die mit den Bezeichnungen AVALON-01 bis AVALON- 100 durchnummeriert waren. Allerdings waren die Maschinen nicht alle einsatzfähig und die Spacer hatten viele der Jäger ausgeschlachtet, um damit den verbleibenden Rest wieder herzurichten.

Die Spacer der AVALON hatten Rhon zu ihrem Captain gewählt. Er hatte Erric bei der entscheidenden Abstimmung geschlagen, wenn auch nur knapp. Genauso knapp wie Rhon ihn bei den meisten Rennen besiegt hatte, die sie gegeneinander geflogen waren.

Nur selten war Erric als erster ins Ziel gelangt – und offenbar war es ihm enorm wichtig gewesen, Rhon diesmal zu schlagen. Jedenfalls hatte Erric dafür alles auf eine Karte gesetzt – und verloren.

So ein dummer sirianischer Dreikopfhund!, dachte Rhon. Er selbst war zwar auch risikobereit, aber für ein einfaches Übungsrennen sein Leben zu riskieren, wäre ihm nicht eingefallen.

Erric schien das hingegen gleichgültig gewesen zu sein.

Deinen Ruf als Mann ohne Nerven hast du jetzt jedenfalls für die Ewigkeit, dachte Rhon voller Bitterkeit.

An der AVALON öffnete sich ein Außenschott und Rhon bremste den Raumjäger stark ab. Dann ließ er die AVALON-22 in die Luftschleuse einfliegen. Das Schott schloss sich wieder. Ein paar Augenblicke dauerte es noch, in denen Luft in die Schleuse gepumpt wurde.

„Atmosphäre ist hergestellt“, meldete schließlich die Computerstimme.

Rhon öffnete das Jägercockpit und kletterte heraus. In dem etwas klobigen Raumanzug, den er sicherheitshalber bei Rennen trug, war das gar nicht so einfach. Er setzte den Helm ab, stieg aus dem Anzug und warf ihn ins Cockpit, bevor er es wieder schloss. Eigentlich sollte man das so nicht machen und zu seinen Aufgaben als gewählter Captain gehörte es unter anderem auch, darauf zu achten, dass mit den Ausrüstungsgegenständen von allen ordentlich umgegangen wurde. Schließlich waren viele davon nicht mehr zu ersetzen. Raumanzüge wurden kaum noch hergestellt. Allenfalls noch für Forscher, die Welten unter die Lupe nehmen wollten, auf denen es keine Transmitter-Stationen gab. Aber diese Anzüge waren Einzelstücke und kosteten ein Vermögen. In den Kleiderkammern der AVALON hatten die Jugendlichen hunderte von voll funktionsfähigen Raumanzügen vorgefunden. Alle aus unverrottbaren Materialien, die sich unter günstigen Umständen Jahrtausendelang halten konnten. Aus diesen Kleiderkammern stellten sich die Spacer auch ihre Uniforme zusammen. Uniformen, die inzwischen von niemandem mehr getragen wurden. Dazu hatten sie sich von der bordeigenen Roboter-Werkstatt eigene Embleme anfertigen lassen. Ein Erkennungszeichen, das nur für die Spacer der AVALON galt und in das außerdem noch ein Kommunikator eingebaut war, sodass jeder von ihnen andauernd über Funk erreichbar war.

Zumindest so lange er sich in der AVALON aufhielt.

Über die bordeigenen Transmitter konnte man nämlich von hier aus jederzeit auf seine Heimatwelt zurück. Rhon selbst stammte von der Erde und die lag zwanzigtausend Lichtjahre vom gegenwärtigen Standort der AVALON entfernt. Aber über das Transmitternetz konnte man sich innerhalb von nicht einmal zehn Sekunden dorthin – oder an jeden anderen zur galaktischen Netzrepublik gehörenden Ort – beamen lassen.

Tabeja zum Beispiel kehrte in den Zeiten, da sie an Bord war, fast täglich nach Hause auf den Ya-don-Planeten zurück, um dort unter Anleitungen eines Ya-don-Meisters ihre geistigen Übungen zu machen.

Rhon ging die wenigen Schritte durch die Korridore.

Ein Vibrationssignal zeigte ihm an, dass jemand ihn über den Kommunikator, den er an der Schulter trug, zu erreichen versuchte. Aber Rhon reagierte nicht darauf. Zu sehr hatte ihn Errics Tod aufgewühlt. Und dass man ihn zum Captain gewählt hatte, hieß ja schließlich nicht, dass er kein Recht auf ein paar Minuten Privatleben hatte und allen jederzeit zur Verfügung stehen musste.

Immer noch ziemlich aufgewühlt erreichte er die Zentrale der AVALON. Dort gab unzählige Bildschirme. Alle in Drei-D-Qualität.

Auf dem Hauptschirm war die blaue Oberfläche des Gasriesen Davis-10 zu sehen und davor die Schatten von drei seiner Monde, die den Planeten auf unterschiedlichen Bahnen umkreisten. Im Hintergrund konnte man allerdings kaum Sterne erkennen.

Das lag daran, dass das Davis-System ganz am Rande der Milchstraßen-Galaxis lag. Dort war die Sternendichte schon sehr gering. Man nannte das den Halo oder auch einfach den galaktischen Rand. Dahinter gähnte das Nichts des Leerraums. Hunderttausende von Lichtjahre weit war dort kein einziger Stern zu finden. Geschweige denn besiedelbare Planeten.

„Was ist passiert?“, fragte Tabeja, als Rhon die Zentrale betrat. Sie saß an der Konsole, von der aus man Funk und Ortung bediente und drehte sich auf ihrem Stuhl halb herum.

Auch die anderen in der Zentrale hatten jeweils ihre Posten eingenommen. Aber jetzt sahen sie alle fragend in Rhons Richtung.

„Ich kann euch nicht mehr sagen, als ich schon über Funk mitgeteilt habe!“, erklärte Rhon düster und ließ sich in den Sitz des Captains fallen. Sein Blick fiel auf die Konsole, an der normalerweise Erric seine Instrumente bediente. „Abgesehen davon habe ich nichts dagegen, wenn ihr euch die automatischen Aufzeichnungen anseht, die der Bordcomputer meiner AVALON-22 angefertigt hat.“ Er atmete tief durch. „Und wenn ihr jetzt einen anderen Captain wollt, dann von mir aus! Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich irgendwann noch einmal in einen Raumjäger steige, um ein Rennen zu fliegen.“

Augenblicke herrschte Schweigen.

Dann meldete sich Annn zu Wort. Sie schrieb sich mit drei n, was sie für cool hielt und das in der gesamten Netzrepublik geltende Bürgerrecht auf freie Wahl des Namens erlaubte das.

„Es macht dir niemand einen Vorwurf, Rhon“, sagte sie und ihre Stimme klang angenehm sanft dabei. Ihr Haar war blond und kinnlang, die Augen so blau wie die Oberfläche von Davis-10. Annn war eine weltraumbegeisterte Individualistin, die sich vor allem für Lebensformen auf Welten interessierte, auf denen es keine Transmitter gab und die daher auch nie besiedelt werden würden. Die Raumfahrt begeisterte sie deshalb, denn anders konnte man diese Welten gar nicht erreichen. Von Raumrennen wie Erric und Rhon sie sich geliefert hatten, hielt sie dagegen gar nichts. Und daraus hatte sie auch nie einen Hehl gemacht.

„Ich mache mir selbst einen Vorwurf“, sagte Rhon. Er zuckte die Schultern. „Jedenfalls war ein Sieg in diesem verfluchten Rennen auf jeden Fall nicht Errics Leben wert!“

„Erric kannte das Risiko“, mischte sich nun eine krächzende Stimme von links ein. Sie gehörte Xorr, einem vogelähnlichen Zirpanier. Dessen Heimatwelt gehörte auch zur Netzrepublik. Xorr war etwa ein Meter achtzig groß, hatte einen falkenähnlichen, von Gefieder umkränzten Kopf und einen federlosen, von einem Gewand verhüllten Körper. Die nach hinten geknickten Vogelbeine ließen ihn ungeschickt erscheinen, was aber täuschte. Die Flügel waren bei den Zirpaniern verkümmert und zu Armen geworden, an deren Enden ein zweites paar handähnlicher Klauen wuchs.

Mit seinen sechzig Jahren war Xorr ganz gewiss der Älteste an Bord und eigentlich viel zu alt, um noch ein Spacer zu sein. Aber die Lebenserwartung von Zirpaniern war sehr viel höher als die von Menschen und mit sechzig Jahren war man bei den Vogelartigen gerade erst in der Pubertät.

„Das beste, was man über ihn sagen kann ist, dass er ein blöder Schwächling war!“, dröhnte nun eine tiefe Bassstimme durch den Raum. Sie gehörte dem 2,50 Meter großen Sirak, der zum Volk der Ampanor gehörte. Vier ungemein kräftige Arme zeichneten ihn aus und zwei säulenartige Beine.

Seine Haut war grün und geschuppt – und außerdem vollkommen haarlos. Die Facettenaugen wirkten blicklos und wenn er seinen breiten, froschähnlichen Mund öffnete, konnte man sehen, dass er keinen einzigen Zahn hatte.

Die bekam man bei den Ampanor erst nachdem man seine volle Größe erreicht hatte und das bedeutete, dass Sirak noch einen ganzen Meter zulegen musste.

Alle sahen etwas irritiert zu dem riesenhaften Ampanor hinüber, der wohl merkte, dass seine Bemerkung aus irgendeinem Grund nicht so sonderlich gut bei den anderen angekommen war.

„Tu mir einen Gefallen und benutze deinen Übersetzungscomputer, wenn du dir nicht ganz sicher bist!“, meinte Tabeja etwas säuerlicher als man es sonst von ihr kannte. Errics Tod schien sie doch mehr mitgenommen zu haben, als es ihr die Ya-don-Lehre zu zeigen gestattete.

Sirak schien etwas ratlos zu sein. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte er. „Erric war der blödeste Schwächling, den ich kenne! Er war blöd genug, mir das Cockpit der AVALON-99 so umzubauen, dass ich hineinpasse...“ Er brach ab, sah auf das Display seines Armbandcomputers, öffnete dann sein zahnloses Breitmaul und rülpste laut.

Rülpsen war unter Ampanor ein Ausdruck der Scham.

„Tut mir leid“, meinte er. „Ich dachte, ich beherrsche eure Sprache gut genug... Aber in sensiblen Momenten sollte ich vielleicht wirklich nicht auf den Übersetzer verzichten. Ein blöder Schwächling ist die wörtliche Übersetzung für das, was ihr vielleicht einen allerbesten Freund nennen würdet...“

„Wieso nennt ihr einen guten Freund einen blöden Schwächling?“, fragte Xorr und bewegte dabei ruckartig seinen Vogelkopf.

„Ganz einfach: Ein Ampanor freundet sich lieber mit denjenigen an, die blöd und schwach sind!“

„Ein seltsames Verhalten“, meinte Xorr.

„Ganz und gar nicht!“, widersprach Sirak. „Solche Freundschaften halten länger! Denn wer blöd und schwach ist braucht deine Hilfe dringender!“

Xorr stieß einen Krächzlaut aus, von dem niemand wusste, was er bedeuten sollte – und Xorr selbst verriet es nicht.

„Also ich bin jetzt ehrlich gesagt nicht in der Stimmung für irgendwelche Besonderheiten der Ampanor-Kultur!“, meinte Annn ziemlich giftig.

Rhon hingegen hatte die ganze Zeit überhaupt nicht zugehört. Er saß in sich gekehrt im Sessel des Captains.

Das Leuchtsignal an der Sessellehne, an der sich auch ein kleiner Touchscreen befand, über den man Zugang zum Bordrechner hatte, übersah er.

Kapitel 3: Ein lebender Toter

Im nächsten Augenblick glitt die Schiebetür zur Seite und ein junger Mann trat ein, dessen Kopf wie eine Krake aussah. Ein unterdrückter Laut war zu hören – unverkennbar eine menschliche Stimme.

Der Krakenmann griff sich das achtarmige Gebilde, nahm es von seinem Kopf und warf es auf den Boden.

„Klonxx findet das gar nicht nett!“, schrillte jetzt in den Köpfen aller Anwesenden eine Stimme. Keiner von ihnen hörte diese Stimme wirklich mit seinen Ohren. Es war eine telepathische Gedankenstimme, die direkt in das Gehirn hineinwirkte. „Klonxx ist sehr ärgerlich! Warum wird Klonxx nicht weiter getragen?“

„Weil Klonxx selber laufen kann!“, sagte der junge Mann, der das Krakenwesen auf den Boden geworfen hatte.

„Erric!“, entfuhr Tabeja, die wohl für einen Moment sämtliche Lehren über Gedankendisziplin, die ihre Ya-don-Lehre predigte, vergessen hatte.

Die anderen starten den Ankömmling einfach nur fassungslos an und als Rhon den Sessel des Captains herumdrehte, wirkte er für einige Augenblicke wie vom Schlag getroffen.

„Ja, ich bin's wirklich!“, sagte Erric. „Und ich versichere hiermit feierlich, dass ich keineswegs ein Gespenst bin, wie manche jetzt vielleicht glauben!“

„Wie... wie kommst du hier her?“, stammelte Rhon.

„Tut mir leid wegen dem Jäger. Ich denke die AVALON-11 ist jetzt wohl hin... Da werden nicht einmal mehr ein paar Einzelteile übrig geblieben sein, die man noch verwenden könnte...“

„Verdammt, der Jäger ist mir völlig gleichgültig!“, rief Rhon. „Ich habe gesehen, wie du explodiert bist!“

„Ich zum Glück nicht“, gab Erric zurück. „Tja, ich weiß nicht, ob ich das mal erwähnt hatte, aber wenn ich euch mit diesen technischen Details komme, dann hört ihr mir ja meistens nicht zu und verdreht nur die Augen... Also ich habe schon seit längerem versucht, mir einen kleinen Transmitter ins Cockpit zu bauen. Ehrlich gesagt hatte ich ihn noch nie ausprobiert, ob die automatische Auslösung auch wirklich funktioniert. Soweit war ich nämlich noch nicht. Scheint aber so zu sein.“

„Das heißt... du hast dich einfach weggebeamt!“, stellte Rhon ziemlich fassungslos fest.

Erric nickte. „Ganz genau. Der Transmitter war so eingestellt, dass ich direkt in einer der Beam-Stationen unseres Raumkreuzers gelandet bin...“

„Und dann hältst du es nicht für nötig, mal einen Ton zu saqen?“, fragte Rhon. „Wir haben alle gedacht, du wärst nicht mehr unter den Lebenden und bei der Explosion zerrissen worden.“

„Ich hab's ja versucht“, meinte Erric. „Also erstmal musste ich natürlich aus meinen Raumanzug herauskommen und dann ist mir ein kleines Missgeschick mit dem Kommunikator passiert!“

„Alles Ausreden!“, meinte Rhon. „In Wahrheit ist es dir nur vollkommen egal, was in den Köpfen von anderen vor sich geht!“

„Nein, so war das nicht! Als ich das Problem gelöst hatte, habe ich sofort Kontakt mit dir aufzunehmen versucht. Erst über Funk mit deinem Jäger, dann mit deinem Kommunikator und jetzt auf dem Weg zur Brücke auch noch mit dem Sprechgerät im Sessel des Captains!“

Erric deutete auf das gut sichtbare Leuchtsignal auf dem Touchscreen der Armlehne.

„Also, ich wusste ja nicht...“, murmelte Rhon.

„Na, bitte, ich hab's doch gesagt! Also bei mir geht ja sicher mal das eine oder andere daneben, aber an allem bin ich nun auch nicht schuld!“

„Klonxx denkt, dass da ein paar der Anwesenden ärgerliche Gedanken über Erric hegen!“, meldete sich das Krakenwesen mit einem seiner doch manchmal ziemlich aufdringlichen Gedanken zu Wort.

„Halt die Klappe und misch dich da nicht ein!“, wandte sich Erric an das Krakenwesen namens Klonxx.

„Klonxx hat doch gar nichts gesagt. Alles nur Gedanken! Aber die Wahrheit kommt immer heraus...“

Niemand wusste, woher Klonxx kam, von welchem Planeten er stammte oder was für einem Volk er angehörte. Und bisher hatte nicht einmal Annn, die sich ja sehr für solche Fragen interessierte, mehr darüber herausbekommen können.

Als sich Rhon und die anderen Spacer die AVALON auf dem Raumschrottplatz in Besitz nahmen und wieder flott machten, war Klonxx bereits an Bord.

Und so geschwätzig er mit seinen Gedankenbotschaften ansonsten auch sein mochte – darüber, wie er an Bord gelangt war, hatte das Krakenwesen nichts verlauten lassen.

„Vielleicht hättest du trotzdem irgendeinen Weg finden können, uns nicht so im Unklaren zu lassen“, meinte Tabeja.

„Zum Beispiel hättest du uns vor deinem Flug darüber informieren können, dass du dir eine Möglichkeit zum beamen in den Jäger gebaut hast!“, sagte Rhon.

„Hey, Mann! Ich rede den ganzen Tag über meine Konstruktionsideen und keiner hört mir zu! Aber wenn ich dann mal aus lauter Rücksichtnahme etwas nicht erwähne, ist es auch wieder nicht richtig.“

„Klonxx glaubt nicht, dass dies eine hilfreiche Bemerkung war, der von deinen Gesprächspartnern gut aufgenommen wird!“, drängte sich das Krakenwesen wieder mit einem seiner Gedanken auf. Auf seinen Tentakeln kroch es über den Boden und legte dabei eine Geschwindigkeit vor, die man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutraute. „Klonxx möchte nicht, dass aus seiner Geschwindigkeit der Schluss gezogen wird, dass er nicht mehr getragen werden müsste...“

„Manchmal frage ich mich, ob das Biest nicht nur Gedanken senden, sondern auch lesen kann!“, meinte Erric. Er atmete tief durch. „Also es tut mir leid, ich habe niemanden von euch in eine verfrühte Trauer stürzen wollen!“

„Klonxx glaubt, dass deine Worte bei den anderen arrogant und unangemessen erscheinen!“

„Und Erric glaubt, dass Klonxx seine Gedanken für sich behalten sollte!“, reagierte Erric nun ziemlich gereizt auf den Gedanke des Krakenwesens.

Klonxx kletterte inzwischen eine der Wände der Zentrale empor. Aufgrund der Saugnäpfe an den Tentakeln war das für das Krakenwesen auch kein Problem. Er kroch über einen der großen Panorama-Bildschirme und hatte schließlich seinen Platz unter der Decke erreicht.

Immer wieder konnte man Klonxx irgendwo im Schiff unter der Decke klebend finden. Manchmal, wenn jemand vorbei kam, ließ er sich dann einfach fallen, um ein Stück getragen zu werden.

Das musste wohl Erric auf seinem Weg zur Zentrale passiert sein.

Aber das empfanden die Spacer keineswegs als die nervigste Eigenschaft des Krakenwesens. Das war zweifellos die absolute Offenheit und Respektlosigkeit, mit der er seine Gedanken äußerte – ohne Rücksicht darauf, ob er damit jemanden beleidigte oder ob es vielleicht jemandem peinlich war. Inzwischen waren sich alle ziemlich sicher, dass er Gedanken zumindest teilweise auch lesen konnte, auch wenn er anscheinend nicht alles, was in den Gehirnen von Menschen, Zirpaniern oder Ampanor vorging richtig begriff.

Klonxx fand allerdings nichts dabei, auch peinliches einfach auszusprechen – so wie es ihm in den Sinn kam.

Manchmal war das lustig – aber längst nicht immer.

Erric ging zu seiner Konsole in der zentrale. Durch einen Knopfdruck aktivierte er sie. „Hey, jetzt seht mich nicht so an! Das Ganze hat auch etwas Positives!“

„Ehrlich gesagt ist mir das entgangen“, meinte Annn.

„Na, der Cockpit-Transmitter hat funktioniert! Besser als ein altmodischer Schleudersitz ist er auf jeden Fall! Es ist doch besser, sich direkt auf das Mutterschiff in Sicherheit beamen zu lassen, wenn mal was so richtig schiefgeht, als in der Nähe eines explodierenden Raumschiffs durch das All zu schweben und darauf hoffen zu müssen, dass irgendwer da ist, der einen findet.“

„Da ist was dran“, stimmte Sirak zu. Der riesenhafte Ampanor hatte das untere seiner beiden Armpaare vor dem flachen Bauch verschränkt. „Was meinst du, könntest du so etwas auch in meine AVALON-99 einbauen? Das würde meine Elternfünfheit sehr beruhigen.“

Bei den Ampanor gab es nicht nur zwei, sondern fünf Geschlechter, was für den Nachwuchs den Nachteil hatte, dass man unter den Ampanor dazu neigte, überfürsorglich zu sein. Schließlich gab es immer fünf Elternteile, die sich um ein einziges Kind kümmerten. Trotz ihres sehr kriegerisch wirkenden Äußeren waren Ampanor-Eltern eher überängstlich und Sirak hatte oft genug davon erzählt, wie mühsam er sich seine Freiheiten hatte erkämpfen müssen. Und zwar jede einzelne! Dass er sich regelmäßig vom Ampanor-Planeten aus auf ein viele tausend Lichtjahre entferntes ausrangiertes Kriegsraumschiff beamte, um sich mit anderen Spacern zu treffen, fanden vier seiner fünf Eltern überhaupt nicht gut. Und dass Erric ihm die AVALON-99 so umgebaut hatte, dass sein massiger Körper ins Cockpit passte und Sirak auf diese Weise an den Rennen teilnehmen konnte, hatte der junge Ampanor seiner Elternfünfheit überhaupt nicht erzählt. Es war besser, wenn sie das gar nicht erfuhren, sonst machten sie sich nur unnötig Sorgen und hätten ihm vielleicht sogar sein Spacer-Leben verboten. Die Elternfünfheit ging noch immer davon aus, dass ein Ampanor in Siraks Alter einfach schon viel zu groß und umfangreich war, um sich noch ins Cockpit eines Raumjägers quetschen zu können.

„Man könnte das mit einem Transmittersitz im Cockpit noch verbessern“, meldete sich nun Xorr zu Wort. Der vogelartige Zirpanier bewegte dabei ruckartig den Schnabel in Errics Richtung.

„Immer her mit guten Vorschlägen!“, meinte dieser. Offenbar war Erric froh, dass inzwischen über etwas anderes gesprochen wurde, als über seine vermeintliche Wiederauferstehung und die Tatsache, dass er sich nicht schnell genug gemeldet hatte, was zumindest Tabeja und Rhon doch erkennbar verärgert hatte.

„Wie wäre es, wenn ich mich zum Beispiel gleich vom Pilotensitz in eine Zirpanier-Klinik auf meinem Heimatplaneten beamen lassen könnte! Denn es könnte doch sein, dass ich mich trotzdem verletzt hätte und dann wäre es doch besser...“

Ein durchdringendes Pfeifen ertönte.

„Ich glaube, das kommt von deiner Konsole, Annn“, stellte Rhon fest.

Annn wandte sich an ihre Anzeigen. „Ein Objekt im Leerraum. Ich hatte schon vor einiger Zeit den Verdacht, dass da etwas sein könnte, und eine Alarmfunktion eingeschaltet, die mir anzeigen sollte, wenn sich da wieder etwas tut...“

„Ein Objekt im Leerraum?“, fragte Erric. „Was sollte das sein?“

„Es gibt einzelne Sonnen und Planeten da draußen“, meinte Tabeja. „Die wirken zwar wie Sandkörner in einem Ozean, aber...“

„Nein, so was ist das nicht“, widersprach Annn. Ihre Finger glitten über den Touchscreen. Auf dem großen Bildschirm wurde der Raumsektor herangezoomt, indem das Objekt geortet worden war.

Aber da war nur Schwärze zu sehen – und im Hintergrund ein paar sehr ferne Galaxien.

„Ich sehe nichts“, sagte Erric. „Du vielleicht, Xorr? Zirpanier haben ja angeblich sehr viel bessere Augen als Menschen.“

Xorr stieß einen Krächzlaut aus, der wohl seiner eigenen Sprache entstammte.

„Klonxx meint, dass hieß nein, ich erkenne auch nichts“, drängte das immer noch an der Decke klebende Krakenwesen sich mit einem seiner Gedanken auf.

„Das Objekt sendet Energie aus. Ich werde die Position markieren“, erklärte Annn und ließ erneut ihre Finger über den Touchscreen tanzen.

Drei rote Punkte blinkten im nächsten Moment.

„Es ist nicht nur ein Objekt – es sind drei“, stellte Annn fest.

„Den Energieausstrahlungen nach sind das Raumschiffe oder Sonden oder irgend etwas in der Art“, glaubte Erric, der sich die Daten inzwischen auch auf seine eigene Konsole geholt hatte.

„Könnten das ein paar Spacer-Kollegen von uns sein?“, fragte Rhon.

„Wir können sie ja anfunken“, schlug Tabeja vor.

Rhon nickte. „Dann mach das doch!“

„Hier Raumkreuzer AVALON per Überlichtfunk. Bitte um Antwortsignal!“, versuchte es Tabeja. Einige Momente vergingen, ohne dass eine Antwort eintraf.

„Versuchs nochmal“, sagte Rhon.

„Ich schicke jetzt ein Dauersignal. Die sollen sich melden, aber ich glaube, das wollen die gar nicht...“, meinte Tabeja nachdenklich.

„Spacer wie wir – so weit draußen im Leerraum. Das ist ungewöhnlich“, meinte Annn.

Rhon nickte nachdenklich. Annn hatte recht. Da draußen gab es nichts, was für Spacer interessant war. Keine Planeten oder Asteroiden, die als interessanter Hindernisparkur in einem Raumrennen fungieren konnten. Nicht einmal Annn mit ihrer Vorliebe für exotische unbesiedelte Planeten wäre da auf ihre Kosten gekommen, denn da draußen gab es buchstäblich nichts. Die wenigen Sonnensysteme, die da einsam in dieser endlosen Leere existierten, waren zigtausend Lichtjahre voneinander entfernt und taugten nicht als Markierungspunkte für ein Raumrennen.

„Die Signale, die von diesen Objekten ausgehen, sind irgendwie seltsam“, meinte Annn. „Jedenfalls sind sie anders als bei den Raumschifftypen, die man so auf den Raumschrottplätzen in der Galaxis zuhauf findet!“

„Vielleicht waren das ja begabte Bastler, die einiges an ihren Raumern verbessert haben!“, schlug Erric eine Erklärung dafür vor.

„Oder es sind keine Spacer....“, gab Annn zurück.

„Wir sollten uns das mal aus der Nähe ansehen“, sagte Rhon. „Ist lange her, dass wir zuletzt ein Stück in den Leerraum hinausgeflogen sind. Und aus der Nähe bekommen wir vielleicht bessere Daten herein!“

Kapitel 4: Die Fremden

Ein dumpfes Brummen ließ den gesamten Raumkreuzer erzittern. Die Triebwerke waren nun in ihrer Aufwärmphase.

Xorr hatte die Steuerung übernommen. Er tippte mit seiner Klauenhand auf dem Touchscreen herum. „Ich schalte jetzt auf maximale Beschleunigung!“, meldete er.

„Energie für die Überlichtflugphase ist ausreichend!“, sagte jetzt Tabeja.

Auf dem Hauptbildschirm erschien jetzt eine Übersicht, die veranschaulichte, wie weit die AVALON noch von ihrem Ziel entfernt war.

„Wir gehen auf eine Position, von der wir von allen Objekten etwa gleich weit entfernt sind“, bestimmte Rhon. „Sagt mal, hat irgendjemand von euch etwas davon gehört, dass in letzter Zeit irgendwelche unbemannten Sonden oder dergleichen zu Forschungszwecken in den Leerraum geschossen wurden?“

„Ich werde mal im galaktischen Datennetz nachsehen, ob ich darüber irgend etwas finde“, kündigte Annn an.

Das Brummen der Triebwerke wurde lauter. Die AVALON setzte sich in Bewegung und auf dem Hauptschirm geriet der blaue Planet Davis-10 langsam aus dem Blickfeld.

„Eigentlich habe ich meiner Elternfünfheit versprochen, niemals in den Leerraum zu fliegen“, meinte Sirak. Der Ampanor wirkte beinahe etwas verzagt.

„Keine Sorge, wenn wir unser Ziel erreicht haben, sind wir immer noch nahe genug an unserer heimatlichen Milchstraßen-Galaxis, dass du dich jederzeit in das Wohnzimmer deiner Elternfünfheit beamen kannst – vorausgesetzt, sie haben ihren Transmitter nicht in einem anderen Zimmer stehen!“, versuchte Annn ihn zu beruhigen.

„Und denk immer daran - ehe du sie um Erlaubnis gefragt hättest und die Diskussionen dieser netten Fünfergruppe von Erziehungsberechtigten zu Ende wären, sind wir sowieso wieder zurück!“, glaubte Erric. Er blickte auf die Anzeigen. „Vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht. Wir können jetzt in den Zwischenraum eintreten.“

„Und los!“, befahl Rhon.

Keine Geschwindigkeit höher als die Lichtgeschwindigkeit – das war ein unumstößliches Naturgesetz im Universum. Wenn man mit einem Raumschiff ein Vielfaches der Lichtgeschwindigkeit erreichen wollte, ging das nur, in dem man eine Abkürzung die Raumzeit nahm. Das war der Zwischenraum. Ein Raum jenseits des normalen Universums, für den deshalb auch andere Naturgesetze galten.

Wenn die AVALON in den Zwischenraum eintrat, verschwand sie für einen Beobachter und wurde wieder sichtbar, sobald sie am Zielpunkt aus dem Zwischenraum austrat.

Kaum eine Viertelstunde später trat die AVALON wieder aus dem Zwischenraum aus. Aber in dieser Zeit hatte das Schiff mehr als fünfzig Lichtjahre zurückgelegt.

„Du hast unseren Kreuzer aber auch schon etwas sanfter gelenkt, Krähenkopf!“, meinte Erric an Xorr gerichtet.

„Klonxx denkt, dass hier wohl kaum jemand glaubt, dass du das besser hinbekommen hättest.“

Erric warf einen ärgerlichen Blick zu dem Krakenwesen, das inzwischen die Decke entlang auf die gegenüberliegende Seite der Zentrale gekrochen war und sich dort mit den Saugnäpfen seiner Tentakel festgesaugt hatte. „So freche Gedanken erlaubst du dir nur, weil du genau weißt, dass ich dich da oben nicht erreichen kann!“, knurrte Erric.

„Ehrlich gesagt, muss ich unserer Krabbelkrake recht geben“, meinte Sirak.

Erric machte eine wegwerfende Handbewegung. „Am besten, du fragst erstmal deine Elternfünfheit, bevor du dich hier äußerst!“

„Naja, deine Flugkünste haben wir alle hier auf dem Bildschirm mitansehen müssen als du mit der AVALON-11 in der Höhle von Mantop-6677 explodiert bist“, gab Annn zu bedenken. „Nach vollendeter Flugkunst sah das für keinen von uns aus.“

„Ich schlage vor, ihr hört jetzt mal auf damit“, fuhr Rhon dazwischen. „Wie wär's stattdessen mit einer Analyse der Ortungsdaten?“

„Ich zoome mal eines der drei Objekte näher heran“, sagte Tabeja und ließ ihre Finger dabei über den Touchscreen gleiten.

Auf dem Hauptbildschirm war jetzt ein zylinderförmiger Gegenstand zu sehen. Die dazugehörigen Daten, die von den Sensoren gerade aufgezeichnet worden wurden, wurden daneben eingeblendet.

„Sieht aus wie ein Raumschiff“, meinte Rhon. „Sahen nicht früher die Frachter so aus?“

„Aber das ist kein Frachter-Typ, der in der Datenbank gespeichert ist“, stellte Erric fest. „Ich habe das mal eben kurz abgeglichen.“

„Soll ich nochmal versuchen, Funkkontakt zu bekommen?“, fragte Tabeja.

„Mach das“, nickte Rhon.

„Keinerlei Lebenszeichen an Bord“, warf nun Annn ein. „Vielleicht ist es unbemanntes Forschungsschiff, das man in den Leerraum geschickt hat, um irgendwelche Theorien über das Entstehen des Universums zu bestätigen...“

„Tja, was anderes außer irgendwelchen wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte hier draußen auch suchen!“, meinte Erric.

„Es gab mal ein Programm, vollautomatisch gesteuerte Schiffe durch den Leerraum zu schicken, damit sie andere Galaxien erreichen, um dort Beam-Stationen auf unbewohnten Planeten zu errichten.“

„Das muss aber schon Jahrhunderte her sein!“, meinte Rhon.

„Ist es auch“, bestätigte Annn. „In der Zeit, als man ernsthaft daran dachte, die Netzrepublik über unsere Milchstraßengalaxis hinaus zu erweitern. Aber das hat man dann aus Kostengründen wohl aufgegeben. Und davon abgesehen, waren diese unbemannten Schiffe, die man damals aussandte, auch nicht auf eine Rückkehr programmiert.“

„Kannst du den Raumschifftyp abgleichen?“, fragte Rhon.

„Ich habe die entsprechenden Daten noch nicht über das Netz gefunden, aber ich bin dran“, sagte Annn.

„Auf jeden Fall können wir keinen Transmitter an Bord dieser Zylinder-Schiffer orten“, erklärte unterdessen Tabeja. „Ich habe einen vollständigen Scan aller drei Objekte durchgeführt und die typischen Abstrahlungen eines Transmitters müssten in jedem Fall von den Instrumenten angezeigt werden.“ Sie drehte sich halb zu Annn herum. „Das spricht als gegen diese Theorie, Annn.“

„Achtung, viertes Objekt materialisiert aus dem Zwischenraum“, meldete Sirak. „Die Ortungsdaten zeigen an, dass dieses Objekt annähernd baugleich mit den drei anderen ist.“

„Klonxx meint, dass das nach einer richtigen Versammlung aussieht.“

„Kann jemand mal die Gedanken dieser Krake abschalten?“, meinte Erric.

„Wer dieses Krakenwesen auf die Brücke geholt hat, sollte auch selbst dafür sorgen, dass es wieder verschwindet, wenn es ihm dann auf die Nerven geht“, fand der vogelköpfige Xorr.

„Klonxx beansprucht Freiheit der Gedanken und des Aufenthaltsortes!“ Das Krakenwesen bewegte sich entlang der Decke, bis es sich über dem Kopf des Captains befand.

„Nicht fallenlassen!“, sagte Rhon streng. Er deutete auf den Bildschirm, wo das gerade aufgetauchte Schiff inzwischen herangezoomt worden war. „Wer immer das auch sein mag, wir wissen jetzt, dass diese Zylinderschiffe ebenfalls einen Überlichtantrieb benutzen, der auf der Nutzung des Zwischenraums basiert.“

„Wir bekommen ein Kommunikationssignal!“, meldete Tabeja. „Kommt übrigens von dem zuletzt aufgetauchten Zylinderschiff...“

„Auf den Schirm damit!“, forderte Rhon.

Augenblicke später erschien auf dem Hauptbildschirm der AVALON ein skelettartiger, secharmiger Roboter. Im Hintergrund waren weitere Roboter zu sehen, manche von gleicher Gestalt, andere mit mechanischen Körpern, die eher an Spinnen erinnerten.

„Also das ist der Grund dafür, dass wir keine Biozeichen orten konnten!“, stieß Annn hervor. „Alles Maschinen!“

Der Skelettartige im Vordergrund – der von einigen anderen, baugleichen Modellen auf der Brücke des Zylinderschiff äußerlich nicht zu unterscheiden war, begann nun den Kopf ruckartig zu wenden und dabei sehr schrille, an ein Vogelkonzert erinnernde Laute zu erzeugen.

„Übersetzer aktivieren!“, befahl Rhon.

„Universal-Übersetzer aktiviert“, meldete Tabeja, „aber ich bin mir nicht sicher, ob unser System in der Lage ist, dieses Gequietsche...“ Sie brach ab. „Jetzt bekommen wir eine Übersetzung herein. Achtung, ich synchronisiere mal kurz Ton und Bild.“ Ihre Finger tippten über den Touchscreen.

„Hier spricht Befehlshaber-29“, wurden die Quietschlaute des Roboters nun übersetzt. „Lasst ein Andockmanöver zu, öffnet die Außenschleuse und deaktviert alle Antriebs- und Waffensysteme. Es wird sich dann eine genügend große Anzahl von Einheiten an Bord begeben, um euer Schiff zu übernehmen...“

„Klonxx meint, dass die magere Gestalt recht unverschämt rüberkommt!“, empörte sich unterdessen das Krakenwesen über dem Captain und brachte in diesem Fall wohl ziemlich genau die Gedanken aller exakt auf den Punkt.

„Die Besatzung soll sich zur Gefangennahme bereithalten. Gegen jeden Widerstand wird hart und kompromisslos vorgegangen...“, fuhr der Roboter fort.

„Ich finde, hier hört der Spaß auf“, meinte Erric. „Ich meine, wir sind ein paar Jugendliche, denen es nicht reicht, am Rechner zu sitzen und die es cool finden, die fast ausgestorbene Kunst des Raumflugs zu bewahren – aber alles was wir tun, ist doch, dass wir mit Weltraumschrott spielen! Da kann ja wohl niemand etwas dagegen haben!“

„Hatte ja auch bisher niemand“, ergänzte Annn.

„Es tauchen übrigens gerade drei weitere Zylinderschiffe aus dem Zwischenraum auf“, meldete Tabeja. „Und das sind glaube ich noch nicht die letzten. Ich orte hier ein erhöhtes Maß an Zwischenraumwellen, was darauf hindeutet, dass wir noch mehr Besuch bekommen...“

„Klonxx hat doch schon geäußert, dass hier ein riesige Versammlung der Zylinderschiffe stattfindet.“

Eine Vielzahl von Gedanken ging Rhon jetzt durch den Kopf. Was waren das für Schiffe? Woher kamen sie? Wer hatte sie geschickt – und was hatten sie offenbar speziell gegen Spacer?

Tabeja meldete inzwischen, dass bei einem der Zylinderschiffe mehrere kleinere Raumfähren ausgeschleust worden waren und sich auf die AVALON zubewegten.

„Das sind wohl die Invasionstruppen, die uns entern sollen!“, meinte Erric. „Zu dumm, dass man bei allen Raumkriegsschiffen die Energiewaffen unbrauchbar gemacht hat, bevor man sie stillgelegt hat...“

„Soll ich Fluchtkurs setzen und auf maximale Beschleunigung schalten?“, fragte Sirak. Er schien es für das Beste zu halten, möglichst schnell zu verschwinden.

„Wir werden uns erst davonmachen, wenn wir wissen, was hier eigentlich los ist!“, widersprach Rhon. Er erhob sich von seinem Sessel und deutete auf den Bildschirm, wo der Roboter inzwischen seine Drohung wiederholte.

„Kann der Kerl mich verstehen?“

„Wenn ich den Kanal freischalte ja. Die haben schließlich unsere Sprache in ihrem Übersetzerprogramm, dann haben sie auch genügend Daten, um deine Worte zu übersetzen.“

„Dann verbinde mich mal!“, verlangte Rhon.

„Verbindung hergestellt“, meldete Tabeja.

Rhon atmete tief durch. „Hier spricht Captain Rhon vom Spacer-Schiff AVALON. Ich möchte wissen, wer ihr seid und wer euch die Befugnis gibt, gegen uns vorzugehen. Schließlich haben wir gegen kein bekanntes Gesetz der Netzrepublik verstoßen.“

„Wir übernehmen die Herrschaft. Das Staatswesen, das ihr die Galaktische Netzrepublik nennt, wird der Universellen Ordnung unterstellt. Jeder Widerstand ist zwecklos und wird mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft.“

Dann wurde das Bild des Roboters ausgeblendet.

Die Übertragung war zu Ende. An einer Antwort schien man auf dem Zylinderschiff gar nicht interessiert zu ein.

„Hey Mann, wie sind die denn drauf!“, stieß Erric kopfschüttelnd hervor. „Spielen uns da vielleicht ein paar andere Spacer einen Streich?“

„Negativ“, sagte Tabeja. „Da deutet wirklich nichts drauf hin. Der Raumschiff-Typ ist unbekannt, die Roboter strahlen völlig andere Signaturen ab als jeder Roboter-Typ, über den ich im Datennetz einen Vergleich anstellen konnte...“

„Und es gibt keine Biozeichen“, erinnerte Annn. „Wenn also jemand uns einen Streich spielen will, ist er nicht an Bord...“

Es gab immer mal weder Rivalitäten und Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Spacer-Gruppen. Hin und wieder war es sogar auch manchmal zu wechselseitiger Sabotage an den Raumschiffen gekommen.

Man beamte sich dann kurzerhand an Bord des anderen Schiffes, sorgte dafür, dass im Maschinenraum irgend etwas nicht so funktionierte, wie es sollte und beamte sich dann sofort wieder zurück. Das Risiko erwischt zu werden war zumindest bei sehr großen Schiffen nicht besonders hoch. Zwar musste der Saboteur eine Transmitter-Station benutzen, um zurück auf sein eigenes Schiff zu gelangen, aber auf den gewaltigen Kreuzern wie der AVALON gab es davon so viele, dass die meistens doch zahlenmäßig recht kleinen Spacer-Mannschaften sie unmöglich alle bewachen konnten.

Allerdings war ein solches Verhalten eigentlich verpönt.

Wenn man Meinungsverschiedenheiten hatte, dann trug man das normalerweise durch ein Rennen aus und nicht auf so unfaire Weise.

Dennoch...

Rhon mochte die Möglichkeit noch nicht ganz ausschließen. Er überlege, mit wem sie in letzter Zeit in Streit geraten waren. Auch ehemalige Besatzungsmitglieder, von denen man sich aus irgendeinem Grund im Streit getrennt hatte, weil sie die Regeln, die sich die AVALON-Besatzung intern gegeben hatte, nicht akzeptieren wollten, kamen in Frage.

„Die Beiboote beschleunigen. Wenn wir nichts tun, legen die in einer Viertelstunde an unserer Schleuse an!“, stellte Sirak fest.

„Dann geh auf Beschleunigungsstufe 3 und programmiere einen Kurs, der es unmöglich macht, dass sie an unsere Schleusentür klopfen“, bestimmte Rhon.

Tabeja drehte sich halb herum. „Wenn die irgendeine Befugnis hätten, wären die mit einem Transmitter ausgerüstet und bräuchten keine Beiboote, um an Bord zu kommen“, stellte sie fest.

Rhon nickte. „Die würden sich einfach 'rüberbeamen... Aber so etwas haben die ja nicht an Bord.“

„Rhon, die kommen wirklich aus dem Leerraum. Vielleicht aus irgendeiner fremden, fernen Galaxis.“ Tabeja deutete zum Bildschirm. Der Funkkanal war ja geschlossen, deshalb konnte der Roboter nichts von dem verstehen, was in der Zentrale der AVALON besprochen wurde.

„Kursänderung ist durchgeführt!“, meldete Sirak.

Jetzt hieß es abwarten. Die Roboter würden sehr schnell erkennen, dass die Besatzung der AVALON keineswegs die Absicht hatte, irgend jemandem die Schleuse zu öffnen.

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten.

Der Hauptbildschirm der AVALON wurde von einem grellen Lichtblitz überblendet. Eine Erschütterung ging durch das Schiff.

„Wir werden beschossen!“, meldete Tabeja fassungslos. Die Beherrschtheit, die die Y-don-Philosophie ihr vorschrieb, war in diesem Moment ganz von ihr abgefallen. „Treffer in Frachtraum 3.“

Zwei weitere, noch stärkere Erschütterungen gingen nun durch das Schiff.

Rhon spürte für einen Moment, wie er den festen Boden unter den Füßen verlor. Er schwebte ein Stück empor. Die künstliche Schwerkraft war ausgefallen. Das Notaggregat wurde automatisch eingeschaltet. Rhon taumelte zu Boden, als er plötzlich nicht mehr schwerelos war. Er rappelte sich auf.

Annn war durch die Erschütterungen und den anschließenden Ausfall der Schwerkraft ebenfalls zu Boden geschleudert worden, währen Sirak sich mit zwei seiner vier Hände an der Konsole festhielt.

„Diese Robos schießen mit scharfen Energiewaffen!“, stellte Erric fest. Er schien völlig entgeistert zu sein.

„Maximale Beschleunigung, Sirak!“, rief Rhon. „Wir müssen hier so schnell wie möglich weg!“

––––––––


Kapitel 5: Weltraumgefecht

Die Maschinen der AVALON dröhnten auf eine Weise, die Rhon sofort aufhorchen ließ. Er hatte wieder im Sessel des Captains Platz genommen. Seine Finger glitten über den Touchscreen an der Armlehne. Er aktivierte eine Anzeige und im nächsten Moment kannte er die Ursache für das veränderte Geräusch.

„Teiltriebwerk drei arbeitet nicht richtig“, stellte er fest.

„Ich bemerke das auch gerade“, sagte Xorr und bewegte dabei ruckartig seinen Vogelkopf. „Wir sollten es abschalten, sonst kommt es zu Überspannung und vielleicht fällt dann die gesamte Triebwerkstechnik aus...“

„Dann werden wir langsamer und es dauert länger, bis wir die nötige Geschwindigkeit erreichen, um in den Zwischenraum einzutauchen und zu verschwinden!“, stellte Erric fest.

Erneut wurde die AVALON von einem Energieschuss getroffen.

Die Erschütterung, die das Schiff diesmal erfasste, war nicht so stark wie bei den vorangegangenen Treffern. Allerdings klang der Schadensbericht sehr dramatisch. „Außenhülle ist in Sektion 12 aufgerissen. Die künstliche Schwerkraft ist dort ausgefallen, Atemluft und Kühlgase entweichen.“

„Der Bereich muss abgeschottet werden“, meinte Rhon.

„Ist schon geschehen. Offenbar haben diese alten Kreuzer ein Programm, dass sich automatisch in solchen Fällen startet. Es gibt auch ein Reparaturprogramm, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man das in Gang setzt....“

„Wir waren ja bisher auch noch nie in einem Gefecht“, sagte Rhon. „Was ist mit Schutzschilden gegen Energiebeschuss? Gibt es so etwas?“

„Ich suche schon die ganze Zeit danach“, meinte Tabeja. „Aber es scheint so zu sein, dass die Schutzschilde zusammen mit der Bewaffnung unbrauchbar gemacht wurden, als das Schiff stillgelegt wurde...“

„Wir müssten beides wieder aktivieren, dann könnten wir uns wenigstens wehren!“, warf Erric ärgerlich ein. Er schlug wütend mit der Handkante gegen den Rand seiner Konsole. „Aber man kann da noch nicht einmal herumprobieren, weil die betreffenden Systeme alle mit Codes gesichert sind!“

Rhon atmete tief durch. Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Captain nannten ihn die anderen – wie die Kommandanten der alten Raumkreuzer, die früher für den Frieden in der Galaxis gesorgt hatten. Aber was war das schon für ein Captain, der nur einen Teil der Bordsysteme kannte? Bisher war alles nur ein cooles Spiel gewesen. Mit einem Raumschiff durch das All fliegen, das niemand mehr haben wollte, weil die Zeit der Raumfahrt anscheinend endgültig vorbei war – so wie die Zeit der Pferdewagen oder der Autos und anderer primitiver Verkehrsmittel. Aber jetzt wurden sie tatsächlich angegriffen. Und wer auch immer diese Robos, wie Erric sie nannte, geschickt hatte, schien es wirklich ernst zu meinen und sogar bereit zu sein, Schiffe zu zerstören und die Besatzung zu töten, wenn man nicht gehorchte.

„Geh auf einen Kurs, der uns außerhalb der Schussweite unserer Gegner bringt, Sirak!“, befahl Rhon. „Danach wird das defekte Teiltriebwerk abgeschaltet.“

„Sollten wir nicht besser mit dem Transmitter flüchten und...“ Sirak sprach nicht weiter.

„Die AVALON zurücklassen?“, fragte Rhon.

„Einfach wegbeamen und zulassen, dass diese Robos unser schönes Schiff zu einem Schrotthaufen zerschießen?“, empörte sich Erric. „Von mir aus kann sich jeder hier verziehen, aber ich werde auf jeden Fall bleiben! Dazu habe ich einfach zu viel Arbeit in diesem Raumschiff stecken! Und ihr alle doch auch!“

„War nicht so ganz einfach, hier alles wieder in Gang zu kriegen“, erinnerte sich Annn. „Aber mein Leben ist mir trotzdem mehr wert.“

„Ich finde auch, wir sollten darüber nachdenken“, erklärte Xorr.

„Ich will wissen, was hinter diesem Angriff steckt“, murmelte Rhon.

Ein weiterer, diesmal weniger heftiger Treffer erfasste den Raumkreuzer. Er hatte das Schiff an einem der Hangars getroffen, in dem Raumjäger untergebracht wurden. Die AVALON besaß jetzt zwei funktionsfähige Raumjäger weniger. Der Hangar wurde für einige Augenblicke so aufgeheizt, dass dort sämtliche technischen Systeme ausfielen. Das Außenschott ließ sich nicht mehr öffnen und hatte sich teilweise verformt, aber immerhin gab es nicht ein zweites Loch in der Außenhülle.

Aber der nächste Treffer war sehr viel schwerer. Das Licht in der Zentrale flackerte und fiel dann aus. Absolute Finsternis herrschte aber auch jetzt nicht. An den Wänden gab gab es Leuchtstreifen aus fluoreszierendem Material, die genau für diesen Fall dort angebracht worden waren. Für eine Weile gaben sie Licht ab. Die Computer in der Zentrale verfügten allesamt über einen Energiepuffer, der dafür sorgte, dass sie nicht gleich abstürzten, sondern noch für eine Weile funktionierten.

„Ich versuche den Notstrom zu aktivieren!“, meldete Tabeja.

Wenig später flackerte das Licht wieder auf.

„Energieversorgung?“, fragte Rhon.

„Ist wieder hergestellt“, meldete Tabeja.

„Dann sind wir ja mit einem blauen Auge davongekommen“, murmelte Rhon.

„Klonxx meint, dass diese Bemerkung sinnlos ist, da die Augenfarbe des Captains schon vor dem letzten Treffer blau war“, mischte sich zu allem Überfluss auch noch das Krakenwesen mit einem aufdringlichen Gedanken in das Gespräch ein.

„Das erkläre ich dir ein anderes Mal“, knurrte Rhon.

„Das mit dem blauen Auge stimmt leider auch nicht“, stellte Tabeja fest. „Es hat durch den letzten Treffer eine Überspannung gegeben, die auf den Haupt-Transmitter übergegriffen hat. Da alle Transmitter untereinander verbunden sind, müssen wir damit rechnen, dass wir da bis auf weiteres einen Totalausfall haben!“

„Das bedeutet, wir können uns nicht wegbeamen?“, entfuhr es Sirak.

„Und das Schlimmste ist, dass so ein Schaden nicht so einfach zu beheben ist“, fügte Tabeja nickend hinzu.

„Setz einen offenen Überlichtfunkspruch ab!“, ordnete Rhon an. „Inhalt: Notruf der AVALON und Warnung an alle vor den Robos!“

„Wird erledigt“, nickte Tabeja.

„Es sollen alle wissen, was hier los ist!“, fügte Rhon noch hinzu.

Inzwischen tauchten noch vier weitere Zylinderschiffe aus dem Zwischenraum auf und gingen sofort auf Abfangkurs zur AVALON. Sirak nahm ein paar Kurskorrekturen vor, um den Robo-Schiffen nicht genau entgegen zu fliegen.

Mehrere Energieschüsse brannten sich noch in die Außenhülle der AVALON, drangen aber nicht durch. Dann hatte der Raumkreuzer endlich die nötige Geschwindigkeit erreicht, um in den Zwischenraum überzuwechseln.

„Zwischenraumeintritt in zehn Sekunden!“, meldete Sirak.

Rhon atmete tief durch. „Dann wollen wir mal hoffen, dass wir nicht im letzten Moment noch einen schweren Treffer bekommen!“

Die letzten Sekunden vor dem Zwischenraumeintritt kamen Rhon wie eine kleine Ewigkeit vor.

Die Zylinderschiffe der Robos feuerten jetzt aus allen Energiegeschützen. Einen kleineren Treffer gab es noch am Heck der AVALON. Dann ging ein Ruck durch das Schiff und die AVALON verschwand aus dem Normalraum.

Auf dem Bildschirm wurden aus den fernen Galaxien im Hintergrund jetzt langgezogene Streifen, die sich wölbten und schließlich eine Art Tunnel zu formen begannen. Die Angreifer konnten den Spacern jetzt nichts mehr anhaben. Mit einem Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit jagte der Raumkreuzer nun durch den Zwischenraum.

„Welchen Kurs?“, fragte Sirak.

„Zurück zum Davis-System“, befahl Rhon.

„In Ordnung“, sagte Sirak. Der Ampanor machte dabei eine Bewegung, die wie ein Kopfschütteln wirkte. Bei den Ampanor war das eine Geste der Bestätigung und wenn Sirak sich aufregte, dann kam es vor, dass er manchmal nicht daran dachte, dass Menschen ihn missverstehen konnten. Er führte ein paar Schaltungen an seiner Konsole durch, wobei er alle vier Hände benutzte und fügte dabei noch hinzu: „Unsere Maschinen haben etwas gelitten. Ich habe die defekten Systeme abgeschaltet. Wahrscheinlich werden wir etwa fünf Stunden brauchen, ehe wir das Davis-System erreichen.“

„Etwas länger als üblich“, lautete Errics Kommentar.

Rhon wandte sich an Tabeja. „Ich möchte, dass unser Notruf und unsere Warnbotschaft permanent und auf sämtlichen zur Verfügung stehenden Überlicht-Funkfrequenzen gesendet werden.“

„Okay.“

„Captain!“, meldete sich Annn.

„Was gibt es?“

„Ich habe hier gerade einige beunruhigende Meldungen, die über das Datennetz hereinkommen.“

Rhon hob die Augenbrauen. „Und?“

Annn drehte sich halb herum. „Wir sind anscheinend nicht die einzigen, die von solchen mit Robotern bemannten Schiffen angegriffen wurden!“ Sie nahm ein paar Schaltungen an ihrer Konsole vor und im nächsten Moment veränderte sich die Anzeige auf dem Bildschirm.

Eine Übersicht über die gesamte Galaktische Netzrepublik wurde eingeblendet. Sie umfasste nahezu die gesamte Milchstraßen-Galaxis. Mehrere Dutzend Punkte blinkten in dem Gewirr unzähliger Sterne auf. Und die Anzahl dieser aufblinkenden Markierungen nahm innerhalb weniger Augenblicke zu.

„Überall, wo ihr eine dieser Markierungen seht, wurde das Auftauchen von Zylinderschiffen gemeldet, die im übrigen stets dieselbe Botschaft abschickten...“

„Lass mich raten: Sie haben zum aufgeben aufgefordert und mit dem Schlimmsten gedroht, wenn man sich ihnen nicht unterwirft“, mischte sich Erric ein.

„Von mindestens drei bewohnten Planeten wird bereits gemeldet, dass Kampfroboter mit Fähren abgesetzt wurden...“, erklärte Annn. „Es sind so viele Meldungen, ich kann sie gar nicht alle so schnell verfolgen.“

„Die greifen anscheinend die Netzrepublik von allen Seiten an“, stellte Xorr fest. Sein Vogelkopf vollführte zwei, drei ruckartige Bewegungen, denen noch ein Krächzlaut folgte. Der vogelartige Zirepanier erschrak offenbar. „Auf Zirpan sind sie offenbar auch schon gelandet! Ich bekomme gerade eine Nachricht... Jetzt bricht jeder Netzkontakt ab!“

Rhon versuchte über den Touchscreen an seiner Sessellehne Kontakt zu einer Familie auf der Erde zu bekommen. Die Verbindung kam zu Stande. Auf einem der Nebenbildschirme erschien das Gesicht seines Vaters. „Junge, hier ist der Teufel los! Alle sprechen davon, dass gerade eine Invasion stattfindet. Überall kommen Raumschiffe aus dem Zwischenraum, und setzen Kampfroboter auf allen besiedelten Planeten ab. Du kannst nicht zurückkommen. Die Roboter haben die Energieversorgung des irdischen Transmitternetzes zerstört. Niemand kann noch von der Erde aus irgendwohin beamen – und es kann auch niemand mehr von außerhalb herkommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie alles andere auch unter Kontrolle bekommen. Ich rechne damit, dass auch diese Verbindung jeden Moment wieder abbricht.“

„Dad – kann ich irgend etwas für euch tun?“

„Ich gebe zu, dass ich diesen Spacer-Spleen von dir nie so richtig ernst genommen habe, aber im Moment seit ihr verrückten Weltraumfreaks wahrscheinlich die Einzigen, die überhaupt noch eine Chance haben, vor den Invasoren zu fliehen...“

„Dad...“

„Ich weiß nicht, was hier noch geschehen wird. Auf einigen anderen Planeten ist es zu schweren Gefechten und großen Zerstörungen gekommen. Vielleicht sprechen wir uns hier und heute zum letzten Mal...“

„Nein, Dad!“

„Viel Glück und alles Gute, Rhon! Ich wollte dir noch sagen, dass...“

„Dad?“

Der Ton brach ab. Und wenig später war auch kein Bild mehr zu sehen.

„Das Problem ist, dass es niemanden gibt, der sich dieser Invasion entgegenstellen kann“, sagte Xorr etwas später. Der Vogelartige wirkte sehr ruhig, angesichts der Tatsache, dass auch seine Heimatwelt Zirpan längst von der Invasion betroffen war. Aber vielleicht entstand dieser Eindruck nur deshalb, weil sich Gefühle bei Zirpaniern einfach nicht im Gesicht widerspiegelten, sonder eher durch Laute zum Ausdruck gebracht wurden. „Es fehlt eine Raumflotte, die gegen die Invasoren vorgeht...“

„Beinahe die Einzigen, die heute noch wissen, wie man ein Raumschiff fliegt, sind doch wir Spacer“, meinte Erric.

„Dann wäre es eigentlich logisch, dass es auch wir Spacer sind, die etwas gegen die Robos unternehmen!“, schlug Xorr vor.

Er erntete dafür ein paar erstaunte Blicke.

Aber genauso, wie es den anderen Besatzungsmitgliedern oft nicht möglich war, die Gefühle eines Zirpaniers anhand von Gesten oder Krächzlauten richtig einzuschätzen, wusste der Vogelartige mit dem Gesichtsausdruck oder den Blicken seiner menschlichen Gesprächspartner etwas anzufangen. Und so war er jetzt etwas verunsichert. „Habe ich irgend etwas Falsches gesagt?“

„Nein, nur etwas Ungewöhnliches“, sagte Annn. Sie zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. „Schließlich sind wir doch eigentlich nur ein paar Teenager, die Spaß und Nervenkitzel suchen.“

„Aus dem Spiel wird ernst“, stellte Xorr fest. „Wir tragen die Uniformen von Raumsoldaten aus alter Zeit. Jetzt werden wir vielleicht auch so kämpfen müssen, wie es damals der Fall war...“

„Ohne Waffen?“, fragte Annn. „Du vergisst, dass wir nicht mal Schutzschilde hatten. Wenn wir nicht rechtzeitig in den Zwischenraum gelangt wären, dann hätten die Robos - ich hasse übrigens diesen Ausdruck – doch unsere gute alte AVALON in einen Haufen glühender Trümmerstücke zerlegt!“

„Naja, viel hat daran ja auch nicht gefehlt“, gab Erric zu bedenken. „Man muss sich ja nur mal ansehen, was alles kaputt ist.“

„Jetzt hört mir mal gut zu“, erhob jetzt Rhon seine Stimme. „Wir können jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken und einfach abwarten, was geschieht. Als erstes müssen wir zusehen, dass wir die AVALON so weit wie möglich wieder herrichten. Die paar Löcher in der Außenhülle müssten doch zu flicken sein! Und auch die Triebwerke bekommen wir doch wohl wieder hin...“

„An mir soll's nicht liegen“, meinte Erric.

„Klonxx denkt, dass da einer etwas großspurig daherkommt anstatt Vorschläge zu liefern!“ Das Krakenwesen, das sich inzwischen in der Nähe der Schiebetür befand, durch die man die Zentrale verlassen konnte, ließ sich nun von der Decke herabfallen. Mit einem platschenden Geräusch landete es auf dem Boden.

Da seine Glupschaugen gleichmäßig auf seinem Kopf verteilt waren, konnte man nie erkennen, in welche Richtung Klonxx nun eigentlich gerade sah oder wem er sich zuwandte.

„Sirak, ich möchte, dass du dich um die offenen Stellen in unserer Außenhülle kümmerst“, sagte Rhon.

„Kein Problem“, erwiderte der Ampanor – und das meinte er auch wirklich so. Denn ein robuster Ampanor konnte eine ganze Weile ohne Atemluft auskommen und extreme Temperaturschwankungen aushalten. Als sich die Spacer die AVALON hergerichtet hatten, war er sogar manchmal zu kleineren Weltraumspaziergängen draußen im All gewesen, um kleinere Reparaturen durchzuführen. Schließlich hatten Schiffe wie die AVALON während der langen Zeit, die sie auf sogenannten Weltraumschrottplätzen quasi eingemottet zugebracht hatten, trotz allem erheblich gelitten. Vor allem Einschläge kleinerer Gesteinsbrocken hatten der Außenhülle damals einige Schäden zugefügt, um die Sirak sich hatte kümmern müssen.

Er kannte sich also aus.

„Klonxx hat gedacht, Sirak braucht Hilfe“, meldete sich das Krakenwesen, das immer noch vor der Schiebetür auf dem Boden kauerte und dort inzwischen unruhig mit einem seiner Tentakel auf dem Boden herumklopfte. Offenbar hatte Klonxx bereits geahnt, dass Sirak früher oder später diesen Auftrag bekommen würde.

Und da es auch dem Krakenwesen nichts ausmachte, ab und zu mal eine Weile ohne Atemluft oder in der Kälte des Weltalls zuzubringen, war er der geborene Hilfspartner für den vierarmigen Ampanor.

Auch während der Instandsetzung der AVALON war Klonxx dem Ampanor immer wieder zu Hilfe gekommen. Allerdings hatte er sich dabei als höchst launisch erwiesen. Geholfen hatte er grundsätzlich nur aus eigenem Antrieb. Gab man ihm dazu eine Anweisung, weigerte er sich.

Jetzt aber schien das Krakenwesen die Sache selbst etwas vorantreiben zu wollen. „Was ist? Klonxx fragt sich, worauf Sirak noch wartet!“

Sirak knurrte etwas vor sich hin.

Von dem Krakenwesen angetrieben zu werden, das gefiel ihm überhaupt nicht. Zudem war er ohnehin gereizt, weil es ihm bislang nicht gelungen war, Kontakt zu seiner Elternfünfheit herzustellen. Deswegen machte er sich nun doch zunehmend Sorgen...

Rhon wandte sich unterdessen an Erric. „Siehst du eine Möglichkeit, die Waffensysteme und vor allem die Schutzschilde zu reaktivieren?“

„Theoretisch ja... Schließlich ist Energie gleich Energie und...“

„Keine Vorträge: Ja oder nein?“

„Ich versuche mein Bestes! Aber man hat sich damals große Mühe gegeben, um genau das zu verhindern. Dass nämlich irgendwelche Unbefugte die Waffen wieder in Betrieb nehmen. Sonst hätten sich auch schon längst Kriminelle die Schiffe reihenweise unter den Nagel gerissen und nicht nur so harmlose, völlig friedlichen Typen wie wir!“

„Wir werden nicht ewig im Zwischenraum bleiben können, und ganz gleich, wo wir wieder im Normaluniversum materialisieren: Wir müssen damit rechnen auf Robo-Schiffe zu treffen.“

Erric nickte. „Und dann werden wir uns zumindest verteidigen müssen...“

„Genau.“

„Ich brauche so viel Rechnerkapazität wie möglich! Sonst dauert es Jahrhunderte, bis ich die Verschlüsselungen und Zugangscodes irgendwann mal geknackt habe...“

„Was die Rechnerkapazität angeht, hast du Vorrang...“

„Okay.“

Der vogelartige Xorr meldete sich nun zu Wort. „Sollte ich mich vielleicht um die Wiederherstellung der defekten Teiltriebwerke kümmern?“, schlug er vor. Der Zirpanier verlieh seiner Äußerung durch einen hinzugefügten Krächzlaut noch etwas mehr Nachdruck.

Zumindest verstand Rhon das so, wobei er zugegeben musste, dass er sich immer wieder ziemlich grob irrte, was die Einschätzung dieser zirpanischen Laute anging.

„Tabeja, du übernimmst die Steuerung. So lange wir im Zwischenraum sind, ist das zwar eine Routineaufgabe, aber ich möchte, dass du bei der kleinsten Unregelmäßigkeit mich sofort alarmiert.“

„Und was hast du für mich vorgesehen?“, fragte Annn.

„Ich möchte, dass du so viele Daten aus dem Netz sammelst, wie du bekommen kannst. Wir brauchen ein Lagebild, das so vollständig wie möglich ist, um unsere weiteren Schritte beurteilen zu können.“

„Das Datennetz scheint zu schrumpfen“, stellte Annn fest. „Es scheinen immer mehr Teilnehmer, keinen Kontakt mehr zu bekommen.“

Rhon nickte. „Eben deswegen werden wir uns beeilen müssen. Ich nehme an, die Robos werden dafür sorgen, dass überall die Knotenpunkte für die Übertragung zerstört werden..“

„Du meinst...“

„Spätestens in ein oder zwei Tagen gibt es kein galaxisweites Datennetz mehr“, war Rhon überzeugt. „Jedenfalls keines, das nicht unter der Kontrolle der Robos steht. Erst das Transmitternetz, jetzt das Datennetz... Sie gehen ganz systematisch vor.“

Kapitel 6: Im Licht von Davis-10

Die Abdichtungsplatten schwebten durch einen der Hangars. Die beide Raumjäger, die sich hier eigentlich befanden, waren durch das Loch in der Außenhaut hinausgeschleudert worden. Die künstliche Schwerkraft funktionierte inzwischen schon wieder, aber die Teile schwebten trotzdem schwerelos daher. Das lag an den Antigravaggregaten, mit denen sie versehen waren. Sirak steuerte diese Aggregate über ein kleines Gerät, das er in einer seiner vier Hände hielt. Völlig selbsttätig schwebten die Platten dorthin, wo sie gebraucht wurden.

Sirak wäre zwar auch stark genug gewesen, sie mit seinen mächtigen Pranken selbst zu heben, aber er hatte auch nichts dagegen, dass die Antigravaggregate ihm die Arbeit etwas erleichterten.

Wenn eine der Platten an Ort und Stelle war, krabelte Klonxx dorthin, um die Dichtungsmasse anzubringen, die dafür sorgte, dass das neue Stück Außenwand der AVALON in Zukunft auch wieder in der Lage war, die Atemluft zu halten. Schließlich wäre es verhängnisvoll gewesen, wenn andauernd etwas davon durch mikroskopisch kleine Lecks ins All ausgetreten wäre.

„Klonxx merkt, dass sich im Augenblick alle große Sorgen um ferne Wesen machen, die ihnen nahe stehen“, meldete sich das Krakenwesen mit seinen Gedanken bei Sirak, während dieser gerade damit beschäftigt war, eine der Reparaturplatten mit Hilfe des Antigravaggregats genau dort hin zu bugsieren, wo sie hingehörte.

Sirak öffnete seinen breiten, maulartigen und vollkommen zahnlosen Mund, so als wollte er etwas erwidern. Aber es kam kein einziger Laut heraus. Schließlich befanden sie sich beide im luftleeren Vakuum.

„Klonxx kann deine Gedanken auch erkennen, wenn du sie nicht in einfache Luftvibrationen umsetzt... Die Formulierung erfordert deinerseits nur ein bisschen Konzentration...“

„Am besten, wir konzentrieren uns jetzt vollkommen auf unsere Aufgabe, damit wir so bald wie möglich damit fertig sind.“

„Um die Außenarbeiten durchzuführen werden wir ohnehin warten müssen, bis die AVALON aus dem Zwischenraum ausgetreten ist und sich wieder im Normaluniversum befindet, meint Klonxx!“

Das Krakenwesen hatte damit vollkommen recht. Während es des Zwischenraumflugs war es zu gefährlich, sich außerhalb des Schiffes aufzuhalten. Zumindest war es ein unbekanntes Risiko, das auch die Raumfahrer der alten Zeit stets vermieden hatten. Sirak hatte dazu ausgiebig die Aufzeichnungen studiert, die aus dem Raumfahrtzeitalter noch erhalten waren. Jeder hatte diese Aufzeichnungen bis jetzt über das Datennetz abrufen können. Geheimhaltung gab es dabei nicht mehr, denn diese Zeit lag einfach schon zu lange zurück.

Nur noch Historiker interessierten sich dafür.

Und Spacer, die wissen wollten, wie man die Schiffe instandsetzte.

Man wusste erschreckend wenig über die Naturgesetze des Zwischenraums und nach dem Ende der Raumfahrt innerhalb der Galaktischen Netzrepublik hatte auch jeglicher Ansporn gefehlt, das näher zu erforschen. Wozu auch? Die Transmitter basierten schließlich auf einer ganz anderen Technik und nachdem so gut wie niemand mehr überlichtschnell durch das All flog, brauchte man auch nichts Näheres mehr über den Zwischenraum zu wissen.

„Etwas weiter nach links!“, gab Klonxx mit Hilfe eines sehr klaren Gedankens eine Art Anweisung, woraufhin der vierarmige Ampanor an dem Steuergerät für die Antigravaggregate herumschaltete. Dann nahm Klonxx ein pistolenähnliches Gerät, dass er schon die ganze Zeit mit einem seiner Tentakel gehalten hatte und schoss damit die Dichtungsmasse in die Fugen. Er machte das so geschickt, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes getan.

„Klonxx meint, die anderen wären ziemlich schlecht dran, wenn sie uns nicht hätten!“

„Kann schon sein“, gestand Sirak zu.

„Wir sind die einzigen, die ohne Luft und in großer Kälte arbeiten können...“

„Stimmt, es sei denn sie tragen einen Raumanzug.“

„Ihr Blut würde anfangen zu kochen ohne Raumanzug. Unseres nicht.“

„Wie bitte? Das ist doch Quatsch! Bei dieser Kälte!“

„Klonxx weiß, dass Menschen zum Großteil aus Wasser bestehen. Klonxx weiß auch, dass Wasser unter dem Luftdruck und der Bordtemperatur auf der AVALON bei 100 Grad kocht. Aber nicht im Vakuum! Hier kocht das Wasser bei weniger als 37 Grad – und das ist die Körpertemperatur der Menschen. Also finge Menschenblut schon nach wenigen Augenblicken an zu kochen.“

„Jetzt schalt mal deine Dauerdenke ab, Klonxx!“

„Wir haben etwas gemeinsam, obwohl wir ganz unterschiedlicher Art sind. Ansonsten bin ich vollkommen allein. Es gibt niemanden wie mich und niemanden, über den ich mir über große Entfernungen Sorgen machen müsste.“

„Klonxx, was soll das alles jetzt?“

„Klonxx weiß nicht, ob er dich bedauern soll, weil du dir Sorgen um deine Elternfünfheit machst oder sich selbst, weil er einzigartig und allein ist.“

„Klonxx braucht niemanden zu bedauern. Und jetzt nur noch sachbezogene Gedanken, klar?“

Abermals öffnete Sirak sein Maul. Bevor er in den Vakuumbereich gegangen war, hatte er mit einem lauten Knall sämtliche Luft aus seine Lungen herausgepresst – so ähnlich wie dass auch die Buckelwale der Erde machten, bevor sie zum Tieftauchen auf bis zu 3000 Meter unter die Meeresoberfläche gingen. So kam nicht einmal ein gefrierender Hauch aus seinem zahnlosen Maul heraus.

„Klonxx will nur noch eine Sache mitteilen...“

„Wenn es sich nicht vermeiden lässt!“

„Klonxx arbeitet gerne mit Sirak zusammen. Es ist seltsam, dass wir auf eine gemeinsame Art einzigartig sind und uns von allen unterscheiden... Klonxx kannte so etwas früher nicht und findet es... interessant.“

In der Nähe von Davis-10 trat die AVALON aus dem Zwischenraum aus. Sie materialisierte im Ortungsschatten eines vollkommen bewaldeten Mondes, der als grüne Murmel im All zu schweben schien. Eigentlich hieß dieser Mond Davis-10/43, weil es der 43. Mond des himmelblauen Gasriesen war, aber an Bord der AVALON nannten alle dieses Objekt nur Grüne-Murmel. Wie man in den Datenspeichern der AVALON sehen konnte, hatten das auch schon die alten Raumfahrer getan und deshalb hatten die Spacer diesen Namen übernommen, obwohl eigentlich keiner mehr von ihnen noch selbst irgendwann mal mit einer Murmel gespielt hatte.

Die Grüne-Murmel hatte immer wieder als Orientierungspunkt bei den Weltraumrennen gedient, die die Spacer untereinander oder gegen andere Schiffsbesatzungen geführt hatten. Außerdem gab es auf der Oberfläche einige Lagerstellen seltener Rohstoffe, die man für den Betrieb der Maschinen brauchte und so waren die Spacer mehr als einmal auch auf der Oberfläche gelandet, um davon etwas an Bord der AVALON zu holen.

Tabeja führte alle nötigen Steuerschaltungen durch und leitete ein Bremsmanöver ein. Schließlich kam die AVALON beim Austritt aus dem Zwischentraum mit etwa dreißig Prozent der Lichtgeschwindigkeit in den Normalraum hineingeschossen und der Raumkreuzer sollte ja nicht ungeschützt an der Grünen-Murmel vorbeifliegen.

Inzwischen funktionierten auch einige der beschädigten Teiltriebwerke wieder, was das Manöver etwas erleichterte.

Dann glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen, als sie auf den Übersichtsschirm sah.

Sofort nahm sie per Kommunikator Kontakt mit dem Captain auf, der gerade die Hangars der Jäger inspizierte, um einen Überblick zu bekommen, welche Maschinen überhaupt noch einsatzfähig waren.

„Captain! Fremdes Raumschiff 120 000 Kilometer Backbord!“

„Wer ist das?“

„Antwortet nicht auf automatisches Kontaktsignal. Aber vom Typ her ist es ein schwerer Raumkreuzer – also noch etwas größer als unsere AVALON.“

„Scheint, als hätte da noch jemand die Idee gehabt sich hinter der Grünen-Murmel zu verstecken“, meinte Rhon.

„Captain, da ist noch was.“

„So?“

„Ich messe die Energiesignatur einer aktivierten Strahlenwaffe!“

„Bin gleich in der Zentrale, Tabeja!“

Wenig später war Rhon in der Zentrale. Er hatte einen der Antigravschächte benutzt, in denen man durch das ganze Schiff schweben konnte und so war er nicht einmal außer Atem.

Tabeja und Annn waren dort.

Zwei Drittel des Hauptschirms wurden von der blauen Kugel des Gasriesen Davis-10 eingenommen. Von dem Grüne-Murmel-Mond war im Wesentlichen nur ein dunkler Schatten zu sehen. Nur am Rand schien ein grünlicher Streifen auf.

Ebenfalls nur als Schatten war das langgezogene Ypsilon eines schweren Raumkreuzers zu sehen. Von der Form her glich dieser Raumkreuzer der AVALON, allerdings war das fremde Schiff um etwa ein Drittel länger und hatte wahrscheinlich auch erheblich mehr Raumjäger an Bord.

„Ich habe inzwischen herausgefunden, was für ein Schiff das ist“, meinte Tabeja. „In den Schiffslisten aus dem Raumfahrtzeitalter ist es unter dem Namen CAMELOT verzeichnet.“

„CAMELOT – AVALON – das passt ja wie die Faust aufs Auge“, meinte Rhon.

Tabeja runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

„Na, gehört doch beides zur Sage um König Artus. Avalon, das geheimnisvolle Reich in einer anderen Welt, durch das man angeblich durch das Tor von Glastonbury auf der Erde gelangen kann. Und Camelot war die legendäre Burg von König Artus...“

„Auf dem Ya-don-Planeten sieht man irdische Sagen als nutzlosen geistigen Ballast an, dem man keinen Raum in seinem Gehirn lassen sollte...“, gab Tabeja zurück.

„Schade, es sind ein paar spannende Stories unter diesen Sagen...“

„Es sind ausgedachte Geschichten ohne verbürgten Wahrheitsgehalt“, sagte Tabeja kühl. „Die Lehre des Ya-don lehnt so etwas grundsätzlich ab.“

Wirklich Schade, dass diese Ya-don-Lehre ihr offenbar fast alles verbietet, was Spaß macht!, dachte Rhon. Aber er hütete sich, das laut auszusprechen. Schließlich hatte er die Hoffnung ja noch nicht aufgegeben, ihr vielleicht doch irgendwann mal etwas näher zu kommen. Auf der anderen Seite wusste er aber, wie empfindlich Tabeja reagierte, wenn man irgend etwas sagte, was auch nur entfernt wie eine Kritik an der Lehre des Ya-don klang.

Also mied Rhon dieses Thema lieber, wenn er sich mit Tabeja unterhielt.

„Das sind wahrscheinlich Spacer“, mischte sich nun Annn ein. „Allerdings hatten wir definitiv noch nie etwas mit ihnen zu tun. Der Abgleich der Schiffssignaturen mit unseren Aufzeichnungen beweist das einwandfrei...“

„An den Schiffsnamen CAMELOT hätte ich mich auch erinnert“, erwiderte Rhon und drehte sich dabei halb zu ihr herum. „Naja, könnte natürlich auch sein, dass sie es umbenannt haben.“

„Zumindest eine Energiekanone ist einsatzbereit“, fuhr Annn fort. „Der Ortungsscan lässt da keinen Zweifel. Und außerdem haben sie an der Außenhülle ein paar Spuren, die auf ein Gefecht hindeuten.“

„Bei dem die CAMELOT allerdings sehr viel weniger abgekriegt hat als wir“, ergänzte Tabeja.

Auf dem Hauptschirm teilte sich jetzt ein Bildfenster ab. Darauf waren einige Zoom-Aufnahmen von der Außenhülle der CAMELOT zu sehen. Die charakteristischen Gefechtsspuren waren deutlich markiert.

„Und warum melden die sich nicht?“, murmelte Rhon. Er beugte sich über Tabejas Konsole, ließ die Finger über ein paar Kontaktpunkte tanzen und hatte dann ein paar Datenkolonnen auf dem Schirm. Aber näheren Aufschluss über den Grund dafür, dass sich die andere Seite nicht meldete, hatte er deswegen auch nicht.

„Vielleicht haben die Robos das Schiff längst übernommen!“, vermutete Annn. Sie zuckte mit den Schultern, als Rhon sie daraufhin ansah. „Kann doch sein, oder?“

„Für mich sahen die Robo-Verbände bisher nicht so schwach bestückt aus, dass sie es nötig hätten, Spacern wie uns den instandgesetzten Weltraumschrott abzujagen...“

„Ach, du wolltest doch einen Lagebericht, Rhon“, erinnerte Annn. „Das Datennetz ist inzwischen so gut wie tot. Ich war auf das Abhören der Funkkommunikation angewiesen. Aber fest steht, dass Davis-4 vollständig besetzt ist. Es müssen hunderte von Robo-Schiffen dort gelandet sein, aber es wird wenigstens nicht mehr gekämpft. Aber auf Davis-3 scheint die Hölle los zu sein...“

„Hast du....“

„Von meiner Familie habe ich leider nichts gehört. Und im Moment ist es auch schwierig, irgend etwas herauszubekommen... Aber Davis City, die System-Hauptstadt, soll vollkommen zerstört worden sein.“

Rhon hob die Augenbrauen.

Erric stammte aus Davis City, der größten Stadt auf Davis-3 und außerdem ein Knotenpunkt für Transmitter- und Datenverbindungen in dieser Randregion der Milchstraße. Deswegen waren in Davis City auch die Ordnungskräfte stationiert. Truppen der Netzrepublik, die bei Bedarf per Transmitter überall dorthin gebeamt werden konnte, wo sie gebraucht wurden.

Vorausgesetzt natürlich, die Transmitter funktionierten noch, was inzwischen ja wohl kaum noch irgendwo der Fall war.

Errics Eltern arbeiteten beide bei den Sicherheitskräften der Netzrepublik.

„Hast du es Erric schon gesagt?“, fragte Rhon.

„Ich dachte...“

„Was?“

„Naja, gehört so was nicht auch zu den Aufgaben eines Captains? Außerdem wollte ich erst wirklich sicher sein, was da passiert ist. Und wie ich schon sagte, im Moment ist es ziemlich schwierig, überhaupt etwas herauszufinden!“

Rhon atmete tief durch. „Was da passiert ist, kann man sich ja wohl denken!“, meinte er düster. „Die Robos haben ganz gezielt Davis City ausgeschaltet.“

„Rhon?“ Annn schluckte. „Ich möchte gerne mit einem Jäger nach Davis-3 fliegen, um nachzusehen, was dort los ist.“

„Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Idee ist“, erwiderte Rhon.

„Verstehst du das nicht?“

Ein Pfeifton unterbrach sie. Es war Sirak. „Alle Arbeiten an der Außenhülle sind abgeschlossen“, beruhigte er. „Sieht zwar nicht gerade aus wie neu, aber ich denke, es hält alles.“

„Wir sind nicht hier um einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen“, gab Rhon zurück.

„Wir bekommen jetzt eine Verbindung zur CAMELOT!“, meldete Tabeja.

Rhon ging zu seinem Sessel. „Auf den Schirm damit!“

Auf dem Hauptschirm der AVALON erschien ein hageres, kantiges Gesicht, das von rotem, zerzaustem Haar umrahmt war. Für einen Spacer wirkte er fast schon etwas zu alt. Aber manche konnten einfach nicht damit aufhören, auch wenn sich jeder über sie lustig machte.

„Hier spricht Barton, Spacer-Captain der CAMELOT.“

„Rhon, Captain der AVALON. Bist du der Barton, der das Rennen Minas-5 gewonnen hat?“

Der Rothaarige grinste. „Schön, dass sich daran noch jemand erinnert. Aber das ist schon eine Weile her.“

„Ja, da habe ich gerade mit dem Spacer-Leben angefangen“, sagte Rhon. „Damals war ich allerdings noch nirgendwo Captain und flog auf einem kleinen Kreuzer mit. Ist schon fast anderthalb Jahre her... Warum habt ihr euch bis jetzt nicht gemeldet?“

„Wir hatten ein ziemlich übles Gefecht hinter uns.“

„Haben die Robos eure Funkanlage zerschossen, Barton?“

„Robos?“, frage Barton. „Der Name für die Blechbüchsen passt. Werde ich mir merken. Nein, wir waren nur in den letzten zwanzig Minuten nicht vollständig im Funkschatten des grünen Mondes, dass wir euch antworten konnten.“

„Funkschatten?“, fragte Rhon.

„Mann, ihr seid so auffällig, dass ich erst gedacht habe, ihr wärt vielleicht darauf aus, die Invasoren zu provozieren, damit sie endlich auf euch aufmerksam werden! Ihr könnt von Glück sagen, dass die im Augenblick vollauf mit den Kämpfen auf Davis-3 beschäftigt zu sein scheinen und uns nicht weiter beachten. Aber das muss ja nicht so bleiben, oder?“

„Hör Barton..“

„Tut uns den Gefallen und funkt nicht wild in der Gegend herum. Rhon, wir sind in einem echten Weltraumkrieg und nicht in einem Spiel, so wie bisher! Stöbert mal ein bisschen in den alten Datenspeichern der Raumflotten herum! Euer Bordcomputer müsste genauso wie unserer randvoll damit sein! Steht eine Menge Interessantes darüber drin, wie man sich während eines Gefechtes verhalten sollte, damit man nicht gleich abgeschossen wird...“

„Werde ich bei Gelegenheit nachholen“, gab Rhon etwas kleinlaut zurück. „Unserer Ortung zufolge ist eines eurer Geschütze funktionsfähig! Zumindest hat sie ein entsprechendes Energieniveau!“

Barton lachte breit. „Ja, wir haben es geschafft, die Verschlüsselung zu umgehen.“

„Und wie?“

„Unter anderen Umständen hätte ich so ein Geheimnis mit niemandem geteilt.“

„Spacer-Geheimnis sozusagen.“

„Aber wie ich schon sagte: Das Spiel ist vorbei und die wenigen, die noch in Freiheit sind, müssen zusammenhalten, Rhon. Wir sind die einzigen, die noch wissen, wie man Raumschiffe fliegt und die notfalls vielleicht auch damit kämpfen könnten!“ Er zuckte mit den Schultern. „Naja, mit Einschränkungen, wenn man euer Funkverhalten betrachtet...“

„Unsere Transmitter sind leider alle im Eimer. Wenn du jemanden rüberschicken willst, geht das nur per Beiboot.“

„Die Transmitter solltet ihr übrigens selbst dann nicht benutzen, wenn es euch gelingen sollte, sie zu reparieren“, erläuterte Barton.

Rhon runzelte die Stirn. „Wieso das denn nicht?“

„Die Invasoren verfolgen Transmittersignale. Überall dort, wo sich jemand irgendwohin beamt, spüren sie diese Signale auf und ermitteln Herkunftsort und Zielpunkt. Und dann greifen sie dort an. Manchmal schicke sie nur einen ferngelenkten Raumtorpedo, in anderen Fällen ein ganzes Schlachtschiff, je nachdem für für wichtig sie die jeweilige Transmitter-Station halten. Also lasst die Dinger besser abgeschaltet!“

In diesem Moment wurde plötzlich die Übertragung gestört. Ein Ruck ging durch das Schiff und das Licht in der Zentrale flackerte.

„Notstromaggregat ist angesprungen“, meldete Tabeja. „Wir hatten eine kurzzeitige Überlastung der Energiesysteme durch...“

„Durch was?“

„Einen Energieschutzschirm!“, stellte Tabeja verblüfft fest.

Dann war es für mehrere Augenblicke dunkel auf der Brücke. Und nicht einmal die Touchsscreens der Konsolen strahlten jetzt noch Helligkeit ab.

Einzig und allein die fluoreszierenden Streifen an den Wänden sorgten dafür, dass man die Hand noch vor Augen sehen konnte.

„Na großartig! Totalabsturz des Bordrechners!“, maulte Annn. „Das dauert eine Viertelstunde, bis wir überhaupt wieder irgend etwas machen können!“

Ehe Rhon noch irgend etwas fragen oder bemerken konnte, vibrierte sein Kommunikator, der natürlich von dem allgemeinen Stromausfall nicht betroffen war. Rhon nahm das Gespräch entgegen.

„Hier ist der Captain, was ist los?“

„Erric hier. Wir hatten gerade für eine Minute einen Schutzschirm! Ist das nicht klasse?“

„Wir hatten bis eben auch noch Strom“, erwiderte Rhon.

„Der kommt schon wieder! Ich weiß auch, was ich verkehrt gemacht habe und das wird nicht nochmal passieren.“

„Ein Totalabsturz des Rechnersystems ist nicht ohne. Bis Annn und Tabeja das wieder hingekriegt haben, sind wir praktisch blind und manövrierunfähig!“

„Sorry, aber mal ehrlich: Es gibt Schlimmeres, Rhon!“

„Erric, ich muss dir noch etwas anderes sagen.“ Rhon brach ab. Er suchte noch nach den richtigen Worten, um Erric so schonend wie möglich beizubringen, was mit Davis City geschehen war – der Stadt, in der Errics Familie lebte.

Oder gelebt hatte.

So genau wusste das im Moment niemand, aber man musste wohl vom Schlimmsten ausgehen.

„Hey, was ist los? Ich habe hier noch eine Menge zu tun, Rhon. Du wolltest mir noch was sagen...“

„Ja, aber ich glaube, das mache ich besser persönlich. Ich bin gleich bei dir...“

Kapitel 7: Das Laufbaum-Alien

Rhon traf im hinteren Teil des Maschinentrakts auf Erric. Der vordere Bereich war den Triebwerken vorbehalten, die Xorr inzwischen wieder vollständig repariert hatte. Im hinteren Teil des Maschinentrakts war die Energieversorgung für die Waffensysteme und der Schildgenerator, der einen Energieschirm um die AVALON projizieren konnte, mit dessen Hilfe sich ein Beschuss abwehren ließ.

Zumindest wenn die Treffer nicht zu energiereich waren.

„Ich dachte erst, dass ich es über den Bordcomputer hinbekomme und irgendwie die Codes knacke. Aber jetzt habe ich es auf andere Weise geschafft! Dazu musste ich ein paar Verbindungen ändern und außerdem...“ Erric redete in einem fort vor sich hin.

Rhon überlegte dabei, wie er ihn unterbrechen konnte.

„Erric!“, sagte er schließlich. „Ich wollte dir sagen, was mit Davis City passiert ist!“

„Davis City?“ Erric hielt inne und runzelte die Stirn.

Rhon nickte. „Nach allem, was wir wissen, gibt es die Stadt nicht mehr. Die Robos haben wohl den Kommunikations- und Transmitterknotenpunkt zerstören wollen.“

Errics Gesicht veränderte sich. Es zeigte Verzweiflung, Wut, Trauer und alle nur denkbaren Mischungen zwischen diesen Gefühlen. Er schlug die Faust gegen das Gehäuse des Steuermoduls für die Energieversorgung, das genauso abgestürzt war, wie alle anderen Rechnersysteme an Bord. „Verdammt...“, murmelte er.

„Annn versucht alles darüber herauszubekommen. Aber das Datennetz ist zusammengebrochen und wir sind auf sehr spärliche Informationen aus dem Funkverkehr der Robos angewiesen.“

Erric schwieg einige Augenblicke. Er ging zwei Schritte auf und ab. Die Arme verschränkte er dabei vor der Brust. Sein Blick war starr. Er schien intensiv darüber nachzudenken, was er jetzt tun konnte.

Dann blieb er plötzlich stehen und schnipste mit den Fingern. „Ich muss nach Davis-3 fliegen, um zu sehen, was dort los ist!“

„Und was willst du dann tun? Dich von den Robos abschießen lassen?“, gab Rhon zurück. „Ich verstehe dich – und ich verstehe auch Annn, die dasselbe vorhat. Aber es ist leicht, kopflos in einen Jäger zu steigen und dann vielleicht nicht wiederzukehren.“

„Aber die Jäger haben doch auch Schutzschirme und wenn wir jetzt schonmal das System für die AVALON geknackt haben, dann kriegen wir den Rest auch noch hin!“

„Du bist ein Optimist, Erric. Aber denk dran: Das warst du auch, als du versucht hast, mich in der Höhle von Mantop zu überholen.“

Es dauerte zwanzig Minuten, bis die Bordsysteme wieder hochgefahren werden konnten. Die Ortung funktionierte wieder. Tabeja meldete dem Captain, dass sich drei Robo-Schiffe von Davis-3 aus in Richtung auf die aktuelle Position der AVALON bewegten. Aber das musste nichts damit zu tun haben, dass man einen der beiden Raumkreuzer – die AVALON oder die CAMELOT – eventuell entdeckt hatte und nun vielleicht zu einer groß angelegten Jagd durch das All geblasen wurde.

Allerdings wurde die Lage weiterhin aufmerksam beobachtet.

Bevor die AVALON eventuell eingekreist und angegriffen wurde, musste man genug beschleunigen, um erneut in den Zwischenraum entfliehen zu können. Genug Energie hatte die AVALON dafür ja noch.

Und dasselbe galt wohl auch für die CAMELOT.

Ein Jäger flog zur AVALON hinüber. Dort wurde das Außenschott eines Hangars geöffnet, nachdem die Bordcomputer wieder funktionierten, und der Jäger flog ein.

Sanft landete die Maschine auf der dafür vorgesehenen Fläche.

Der Pilot war ganz sicher sehr begabt.

Unter anderen Umständen hätte ich mich gefreut, ihn in einem Rennteam einer Weltraumstaffel zu haben!, dachte Rhon, während er auf einem Bildschirm im Maschinentrakt mitverfolgte, was geschah.

Der Pilot, der dann den Jäger CAMELOT-21 verließ und von Rhon und Erric an der Luftschleuse abgeholt wurde, überraschte die beiden dann doch ziemlich. Zunächst einmal trug er keinen Raumanzug, was wohl einfach daran lag, dass es für seinesgleichen einfach im Zeitalter der Raumfahrt keine Anzüge gegeben hatte und es wohl sehr fraglich war, ob es überhaupt möglich war, für ihn einen Anzug zu produzieren.

Der Pilot glich nämlich einem wandelnden Bonsai-Bäumchen.

Er – oder vielleicht war es auch eine Sie, ein Es oder noch etwas ganz anderes - krabbelte auf seinen Wurzelbeinen über den Boden.

An den Enden seiner sich verästelnden Zweige befanden sich jeweils kleinere oder größere Greiforgane, die wie geschaffen dafür zu sein schienen, Konsolen und Touchsscreens zu bedienen.

Dort wo sich der Stamm zum ersten Mal in zwei Hauptäste teilte, waren ein paar Augen. Mit einem Riemen war ein Übersetzungsgerät am linken Hauptast befestigt, dass Gedanken des Baumwesens direkt in menschliche Sprache übertragen konnte. Schließlich besaß der Baum keinen Mund oder irgendeine andere Körperöffnung, mit der er hätte sprechen können.

Nahrung nahm er auf, indem er seine Wurzelfüße in Nährerde steckte und der einzige Laut, die seine Art von sich gab, war Blätterrascheln.

Ein Laufbaum, dachte Rhon. Er hatte schon von dieser Spezies gehört. Man wusste nicht mehr genau, von welcher Welt die Laufbäume ursprünglich stammten, den schon in der Zeit der Raumfahrer hatten sie sich auf vielen Welten verbreitet. Die menschlichen Raumfahrer schätzten schon damals ihre Gesellschaft. Sie waren pflegeleichter als irdische Zimmerpflanzen, weil sie sich selbst versorgten und außerdem noch Aufgaben erfüllen konnten – sahen aber Ziergewächsen sehr ähnlich. Erst nachdem man bereits jahrhundertelang die Laufbäume als Zimmerpflanzenersatz an Bord von Raumschiffen gehalten hatte, waren Biologen darauf gekommen, dass diese Wesen hoch intelligent waren. Mindestens so intelligent wie Menschen. Vor allem erwies sich, dass sie ein ausgeprägtes Talent hatten, technische Systeme zu bedienen.

„Ich bin Cheftechniker der CAMELOT“, sagte der Laufbaum. „Man nennt mich dort Lancelot.“

Wie passend, dachte Rhon. Lancelot war schließlich ein Ritter aus der Tafelrunde von König Artus auf Camelot gewesen. Und irgendeinen Namen hatte ihm Captain Barton und seine Spacer-Mannschaft schließlich geben müssen. „Es steht dir allerdings frei mir einen anderen Namen zu geben, wenn dir das lieber ist.“

„Nein, Lancelot ist schon in Ordnung“, sagte Rhon.

„Menschen brauchen für andere Wesen einen Namen, um sie besser unterscheiden zu können. Unter uns Laufbäumen ist das nicht der Fall...“

„Ja, davon habe ich gehört“, nickte Rhon.

„Ich schlage vor, wir verlieren keine Zeit und ihr bringt mich zum Rechnerzugang des Maschinentraktes. Es gibt da eine primitive Verschlüsselung, die offenbar dafür geschaffen wurde, Menschen daran zu hindern, die Waffensysteme stillgelegter Kriegsschiffe zu benutzen und damit kriminelle Zwecke zu verfolgen...“

Erric und Rhon wechselten einen kurzen Blick.

„Primitive Verschlüsselung?“, fragte Rhon etwas ungläubig. Schließlich hatten sich inzwischen einige von ihnen daran trotz Unterstützung durch die Rechnersysteme mehr oder weniger die geistigen Zähne ausgebissen.

„Die Denkstruktur eines Laufbaums unterscheidet sich grundlegend von der eines Menschen“, erklärte Lancelot. „Dinge, die euch kompliziert erscheinen, sind für mich sehr einfach, während ich umgekehrt immer wieder feststellen muss, dass es andere Dinge gibt, die ich auch nach viele Jahren, die ich fast ausschließlich unter Menschen gelebt habe, nicht begreife...“

„Aber wenn es so einfach war, die Waffen der CAMELOT wieder in Betrieb zu nehmen, weshalb habt ihr dann offenbar eines der Geschütze reaktiviert?“, mischte sich nun Erric ein.

„Weil wir ein Problem mit der Energieversorgung hatten, nachdem ein schwerer gegnerischer Treffer einen Haupttransformator zum Durchbrennen brachte. Um den Schaden zu beheben brauchten wir ein paar seltene Mineralien, die man unter anderem auf dem Grüne-Murmel-Mond findet. Sobald unsere Raumjäger zurück sind, werden wir den Schaden behoben haben.“

„Was ist mit den Geschützen der Jäger?“, hakte Erric sofort nach. „Kann man die nicht auch wieder in Gang bekommen?“

Sie gingen den Flur entlang zum Antigravschacht. Der Laufbaum verlangsamte etwas das Tempo und blieb schließlich stehen. Vielleicht dachte er über Errics Frage nach. Oder er hatte sie nicht richtig verstanden. Doch dann kam doch eine Antwort. „Ich nehme an, dass es auch da möglich ist, den Zugangscode wieder freizuschalten, sodass man die Jägerwaffen wieder mit Energie laden kann. Wir sind noch nicht dazu gekommen, das auszuprobieren, da man uns andauernd verfolgt hat!“

––––––––


Später, als der Laufbaum vor einem der Touchscreens im Maschinentrakt platzgenommen hatte und mindestens ein Dutzend seiner zahlreichen feinen Greiforgane gleichzeitig benutzte, um Einstellungen vorzunehmen, konnten Erric und Rhon nur staunend zusehen.

Xorr gesellte sich auch dazu.

Tatsächlich hatte Lancelot bereits nach einer halben Stunde sämtliche Verschlüsselungen geknackt, die verhinderten, dass die Geschütze mit Energie geladen werden konnten. Und nun wurden die Waffe mit Hilfe der Bordenergie aufgeladen.

„Ihr habt das Glück, dass auf Eurem Schiff die Energieversorgung nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, wie auf unserem“, erläuterte der Laufbaum. „Schon in Kürze werden sämtliche Waffe und Schutzschilde daher einsatzfähig sein.“

„Das ist eine gute Nachricht“, meinte Erric. „Dann können wir es den Robos mal so richtig zeigen, wenn sie das nächste Mal auftauchen...“

„Ich würde auf jeden Fall zu größtmöglicher Vorsicht raten“, erklärte Lancelot. Dazu raschelte er heftig mit den Blättern, was wohl seine Aussage noch unterstreichen sollte. Außerdem verströmte er einen deutlich wahrnehmbaren Geruch, der an Harz erinnerte, nur sehr viel durchdringender war. Die Bedeutung dieser Duftnote war allerdings wohl nur anderen Laufbäumen vermittelbar. Jedenfalls konnte der Übersetzer sie nicht in menschliche Sprache übertragen. „Der Einsatz dieser Waffen ist nicht ungefährlich...“

„Ach, das dazugehörige Menue im Steuerungscomputer ist nicht so schwierig“, meinte Erric leicht hin. „Das habe ich mir schon mal angesehen... Nur – ohne Energie war natürlich nichts zu machen!“

„Ich wollte nicht an deiner Lernfähigkeit zweifeln“, gab der Laufbaum zurück. Seine gestelzte, umständliche aber immer höflich wirkende Art zu sprechen schien ziemlich gut zu einem Ritter der Tafelrunde zu passen, auch wenn der eine ganz und gar unritterliche Körperform besaß. „Es geht mir um etwas anderes...“

„Und das wäre?“, mischte sich jetzt Rhon ein.

„Die Energieentladungen sind auf große Entfernungen messbar. Das gilt insbesondere auch für die Schutzschirme, die noch mehr Energie benötigen als die Geschütze. Wenn ihr also in Zukunft wieder an diesen Systemen herumschaltet und für eine oder zwei Minuten einen viel zu stark dosierten Schutzschirm aufbaut, der dann zusammenbricht und alle Systeme zum Absturz bringt, dann müsst ihr damit rechnen, dass die Ortung der Invasoren das aufzeichnet und auf euch aufmerksam wird!“

„Wir werden versuchen, es in Zukunft besser zu machen“, meinte Rhon.

„Uns fehlen noch die Geschütze der Jäger“, erinnerte Erric.

Aber Lancelot hatte eine anderer Reihenfolge im Sinn. „Zuerst werde ich euch zeigen, wie man die Schutzschirme hochfährt, ohne sich selbst zu beschädigen. Allerdings nur mit einer Simulation, denn sonst wäre das wie ein Blitz am Sternenhimmel für unsere Feinde...“

Die Waffen und Schutzschild-Systeme der Jäger wieder einsetzbar zu machen erwies sich für Lancelot also genauso wenig kompliziert, wie es bei den Energiewaffen des Mutterschiffs der Fall gewesen war. Mit der Zeit schien der Laufbaum sogar noch zusätzlich Routine darin zu gewinnen, die Verschlüsselungen zu knacken.

Schließlich flog Lancelot mit seinem eigenen Jäger zurück zur CAMELOT und die Mannschaft der AVALON versammelte sich in der Zentrale.

Auf dem Hauptschirm war währenddessen zu sehen, wie zwei Jäger der CAMELOT vom grüne-Murmel-Mond zurück zu ihrem Mutterschiff flogen. Dem Funkverkehr war zu entnehmen, dass sie offenbar die Mineralien gefunden hatten, die Captain Bartons Schiff fehlten, um die Energieversorgung wieder vollkommen instand zu setzen.

„Ich will nach Davis-3 fliegen, um mich dort umzusehen“, kündigte Erric an.

„Und ich ebenfalls!“, schloss sich Annn diesem Wunsch an.

„Und wie stellt ihr euch das vor?“, fragte Rhon. „Überall wimmelt es nur so von Raumschiffen der Robos. Ihr würdet euer Ziel nicht mal erreichen, geschweige denn, wieder lebend zurückkehren!“

„Erstens haben wir jetzt Waffen und Schutzschilde!“, meinte Erric.

„In deren Gebrauch ihr nicht geübt seid!“, unterbrach ihn Rhon. „Und zweitens bricht auch der stärkste Energieschirm irgendwann zusammen, wenn er zu viele Treffer einstecken muss.“

„Und zweitens habe ich mir etwas überlegt, wie wir den Planeten erreichen“, erklärte Erric.

„Da bin ich aber mal gespannt.“

„Das Geheimnis heißt Schleichflug. Ich habe schon mit Annn darüber gesprochen und sie traut sich so etwas ebenfalls zu. Eine gute Pilotin ist sie ja.“

Annn nahm eine Schaltung an ihrer Konsole vor. Daraufhin aktivierte sich eine maßstabsgetreue Drei-D-Übersicht des gesamten Davis-Systems. Die Robos-Schiffe waren markiert, ebenfalls sämtliche Planeten, Monde und andere Himmelskörper des Systems, sofern sie mit mindestens 100 Kilometer Durchmesser hatten, wie eine Einblendung verriet.

„Es ist ganz einfach“, meinte Annn. „Wir benutzen ja nur winzige Jäger, keine großen Raumkreuzer. Und deswegen habe wir gute Chance, dass man uns einfach übersieht...“

„...vorausgesetzt, wir benutzen unsere Triebwerke nur dann, wenn wir im Ortungsschatten irgend eines Himmelskörpers sind“, vollendete Erric.

Annn hatte all jene Himmelskörper in der Darstellung markiert, die dafür in Frage kamen, dass die Jäger sich dahinter verstecken konnten. „Von einem Jäger kann man auf diese Entfernungen hin nur die Energieabstrahlungen orten. Wenn es die nicht gibt, sind wir auch nicht auf den Ortungsschirmen unserer Feinde. Immer, wenn wir einen Planeten oder einen Mond, Asteroiden oder sonst was haben, wohinter wir uns verstecken können, beschleunigen wir. Danach schalten wir alle Systeme ab und lassen uns mit dem vorhandenen Schwung durch das All treiben. Natürlich müssen wir ab und zu mal eine Steuerdüse einschalten, um auf Kurs zu bleiben, aber der Schwung dürfte jeweils ausreichen, um den nächsten Ortungsschatten zu erreichen.“

„Bei manchen dieser Monde und Planeten lässt sich sogar die Schwerkraft wie eine Schleuder ausnutzen“, fügte Annn noch hinzu.

„Das ist keine schnelle Art der Reise“, stellte Rhon fest.

„Wir fliegen ja auch kein Rennen“, sagte Annn.

„Bitte versteh uns, Rhon! Annn und ich stammen beide von Davis-3 und wir müssen einfach beide wissen, was dort los ist.“

„In Ordnung“, nickte Rhon schließlich. „Aber das Risiko bleibt trotzdem hoch!“

Kapitel 8: Expedition in die Hölle

Captain Barton von der CAMELOT meldete sich nochmal auf der AVALON. „Unsere Systeme sind jetzt wieder hergestellt“, erklärte er. „Wir werden in Kürze von hier verschwinden.“

„Und was wird aus der Idee, dass sich alle Spacer gegen die Robo-Invasoren wehren?“, fragte Rhon etwas irritiert.

„Wir übermitteln euch die Koordinaten eines Systems im Delta-Sektor. Das soll unser Treffpunkt sein. Wann immer ihr andere Spacer trefft, gebt ihnen diese Koordinaten weiter. Und wir sollten alle hoffen, dass sich irgendwann genügend Schiffe versammelt haben, um den Kampf aufzunehmen. Aber zunächst brauchen wir irgendwo eine Rückzugsbasis...“

Rhon nickte knapp.

Vom Delta-Sektor hatte er gehört. Das war eines jener Gebiete in der Galaxis, die nicht zur Netzrepublik gehörte, weil man die dortigen Systeme nicht für besiedlungswürdig gehalten hatte. Es gab dort keine Transmitter-Stationen und so war es ohne Raumschiff auch unmöglich dort hin zu gelangen.

„Koordinaten wurden übermittelt“, stellte Tabeja fest.

„Wann werdet ihr nachkommen?“, fragte Barton.

„Wir haben hier noch etwas zu erledigen“, erwiderte Rhon.

Von dem Plan, den Annn und Erric hatten, verriet er Barton jedoch nichts. Der rothaarige Alt-Spacer hätte vermutlich ohnehin nur versucht, ihnen dieses Vorhaben auszureden.

Und vielleicht sogar mit gutem Grund, ging es Rhon durch den Kopf.

Zwei Stunden später beschleunigte die CAMELOT und flog in den Ortungsschatten des gewaltigen Gasriesen Davis-10. Jenseits des Riesenplaneten konnte das Schiff nahezu unbemerkt bis auf dreißig Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, was nötig war, um in den Zwischenraum überwechseln zu können.

Aus der Sicht der AVALON-Besatzung war die CAMELOT allerdings bereits verschwunden, nachdem sie den blauen Horizont von Davis-10 überschritten hatte.

Als Annn und Erric bereits in ihren Raumanzügen steckten und das Schott zum Hangar passieren wollten, wartete Sirak dort auf sie. Klonxx klebte über ihm an der Decke.

„Klonxx meint: Bleibt stehen, bevor ihr euch sinnlos ins Unglück stürzt!“

Erric blickte auf und grinste. „Du kannst uns ja begleiten! Auf dem Notsitz wäre sicher Platz für dich!“

„Klonxx meint: Kein Bedarf. Außerdem rät er euch von eurem Vorhaben ab.“

„Hört mal, ich bin hier, weil ich euch etwas geben möchte“, mischte sich nun Sirak ein. Er hielt in zwei seiner vier Hände jeweils einen pistolenähnlichen Gegenstand. „Das sind Laserstrahler. Ich benutze sie zum Zuschneiden der Platten, wenn ich einen Hüllenbruch schließe... Aber man könnte diese Werkzeuge auch als Waffe gegen die Robos einsetzen. Schließlich wollt ihr doch auf Davis-3 landen, wenn sich die Gelegenheit ergibt und es könnte ja sein, dass ihr dann ein paar unangenehme Begegnungen habt...“

Erric nickte, nahm die beiden Strahler an sich und gab einen davon an Annn weiter.

„Danke, Sirak!“, sagte Erric.

Wenig später starteten Erric und Annn jeweils mit einem Raumjäger. Solange sie den Grüne-Murmel-Mond als Ortungsschatten benutzen konnten, beschleunigten sie. Dann schalteten sie die Maschinen ihrer Raumjäger ab, ließen sich von der Schwerkraft des Waldmondes einfangen und weiterschleudern, bis sie in den Einflussbereich eines weiteren Mondes von Davis-10 gerieten und erneut Fahrt aufnehmen konnten.

Im Davis-System gab es außer den Planeten und ihren Monden viele Zwergplaneten und Asteroiden – und das nicht nur in der Davis-Wolke am Rande des Systems, wo die Spacer in der Vergangenheit oft ihre Rennen abgehalten hatten.

Das machte Errics Plan etwas leichter durchführbar, denn es gab auf ihrem Weg nach Davis-3 immer wieder Möglichkeiten, im Schutz eines Himmelskörpers zu beschleunigen oder den Kurs zu korrigieren.

Außerdem standen die Planeten des Systems recht günstig – sie bildeten beinahe eine Reihe. Von den Planeten befand sich derzeit nur Davis-4 auf der gegenüberliegenden Seite seiner Sonne.

In den Flugphasen, in denen Erric und Annn sich im Schleichflug ihrem Ziel näherten, vermieden sie auch jeglichen Funkkontakt. Schließlich konnte auch ihr Funkverkehr bemerkt werden und möglicherweise zu Entdeckung führen.

––––––––


Davis-3 hatte einen rötlich schimmernden Mond, dessen Oberflächenstruktur große Ähnlichkeit mit dem Mars des irdischen Sonnensystems hatte. Die ersten Siedler aus dem legendären Raumfahrer-Zeitalter, die es bis hier her geschafft hatten, gaben ihm einst den Namen Red Sand. Abgesehen von ein paar Bergwerken hatte es dort jedoch nie Siedlungen gegeben. Und seid Transmitter eine Massenware geworden waren, über die jeder Haushalt verfügte, hatten die wenigen Bergbauingenieure, die die vollautomatische Mineralienförderung auf Red Sand überwachten, nicht einmal mehr dort gewohnt. Stattdessen waren sie in ihren bequemen Wohnungen in den Städten von Davis-3 in ihre Raumanzüge gestiegen und hatten sich mit dem eigenen Haus-Transmitter nach Red Sand gebeamt. Wenn ihre Schicht dann zu Ende war, kehrten sie auf demselben Weg zurück und konnten sogar den Druckanzug wechseln, wenn damit etwas nicht stimmte.

Erric wusste genau darüber Bescheid, denn sein Vater hatte lange als Bergbauingenieur gearbeitet. Jeden Tag ein paar mal Davis City – Red Sand und zurück – aber gebeamt war das ein Klacks.

Allerdings hatte Errics Vater schon seit Jahren nicht mehr auf Red Sand die Maschinen überwacht. Er war aufgestiegen und hatte junge Bergbauingenieure ausgebildet. Insgeheim hatte er wohl immer gehofft, dass Erric in diesem Beruf vielleicht auch eines Tages seine Zukunft sah.

Aber das war für Erric nie in Frage gekommen.

„Du hoffst ja nur, dass du mal in einem dieser halblegalen Spacer-Rennturniere ein großes Preisgeld gewinnst! Aber darauf kann man doch seine Zukunft nicht aufbauen!“, hatte Erric seine Worte noch im Ohr.

Wie sehr war sein Dad ihm damit auf die Nerven gegangen!

Und von seiner Mom hatte er in dieser Hinsicht auch keine Unterstützung erwarten können, denn sie war als Computerspezialistin für denselben Bergbaukonzern tätig gewesen.

Aber im Augenblick wünschte sich Erric nichts so sehr, als dass er diese nervigen Predigten nochmal hätte hören können...

Der Mond Red Sand umkreiste Davis-3 in einer sehr weiten, elliptischen Bahn. Der von rotem Sand und unzähligen Kratern übersäte Himmelskörper war der letzte Ortungsschatten, bevor die beide Jäger Davis-3 erreichen würden.

Es war auch eine letzte Gelegenheit, gefahrlos Funkkontakt aufzunehmen.

„Ist dir aufgefallen, dass ein Großteil der Robo-Schiffe von hier verschwindet?“, meldete sich Annn.

„Die scheinen anderswo gebraucht zu werden.“

„Das kann nur bedeuten, dass es auf Davis-3 wohl auch keinen Widerstand mehr gibt.“

„Wo ist dein Zuhause, Annn?“

„Prana-Halbinsel.“

„Dann fliegen wir dort zuerst hin.“

„Im Moment sind noch zwölf Robo-Schiffe im Orbit von Davis-3!“, stellte Annn fest.

„Wir warten, bis sie hinter dem Horizont sind. Dann könnte es sein, dass wir mit etwas Glück zunächst gar nicht bemerkt werden.“

„Maximale Beschleunigung?“, fragte Annn.

„Maximale Beschleunigung“, bestätigte Erric. „Und die Funksperre gilt ab jetzt nicht mehr.“

„Dann los....“

Sobald die letzte Einheit der Robo-Flotte hinter dem Horizont von Davis-3 verschwunden war, starteten die beiden Jäger durch. Sämtliche Antriebsdüsen zündeten und sie schossen zunächst dicht an der Oberfläche von Red Sand vorbei. Die aus Sauerstoff und Kohlendioxid bestehende Atmosphäre des Mondes hatte nur ein Fünftausendstel des auf erdähnliche Planeten üblichen Drucks. Das konnte schon fast als Vakuum gelten. Aber um eine Feuerspur über den Himmel des roten Mondes zu ziehen, reichte es.

Aber darauf kam es jetzt nicht an.

„Noch schätzungsweise fünf Minuten, dann taucht das erste Robo-Schiff hinter dem östlichen Horizont wieder auf“, hörte Erric Annns Stimme über Funk. „Wäre also nicht schlecht, wenn wir ein bisschen Tempo zulegen!“

„Mehr geben die Kisten nicht her“, erwiderte Erric fast entschuldigend. „Muss mit den Waffensystemen zusammenhängen, die jetzt wieder aktiv sind. Die Energie, die wir dafür vorhalten müssen, geht halt irgendwo anders verloren. Aber sobald wir zurück sind, wird mir für dieses Problem schon eine technische Lösung einfallen!“

„Wenn...“, murmelte Annn.

Eigentlich war dieses Wort gar nicht mehr für Erric bestimmt gewesen. Aber sie hatte in diesem Augenblick nicht daran gedacht, dass die Funkverbindung permanent eingeschaltet war, weil beide Maschinen ein miteinander synchronisiertes Flugmanöver flogen.

„Was?“, fragte Erric.

„Nichts, Erric.“

Unmittelbar bevor die beiden Raumjäger in die bläulich-grüne Sauerstoff/Stickstoffatmosphäre von Davis-3 eintauchten, kam das erste Robo-Schiff wieder hinter dem Planeten hervor.

„Beten wir dafür, dass von diesen Blechmännern gerade mal keiner auf den Ortungsschirm gesehen hat!“, meinte Erric.

„Ich nehme an, dass die ihre Daten direkt in den Zentralspeicher in ihrem Kopf gefunkt bekommen!“, befürchtete Annn.

„Du könntest irgendwie etwas mehr Optimismus verbreiten, Annn.“

„Ich fürchte, dazu gibt es leider nicht den geringsten Anlass, Erric!“

Die beiden Jäger sanken tiefer. Einzelheiten der Oberfläche wurden sichtbar. Küstenlinien, ein Ozean, Inseln. Und dann hatten sie die Position erreicht, wo sich die Prana-Halbinsel auf zweihundert Kilometern ins Meer hinein erstreckte. Kleinere Siedlungen, eine große Transmitter-Station für Frachtbedarf, von der aus es eine Direktverbindung zu allen wichtigen Hauptplaneten gab, darunter auch zur Erde – das war die Prana-Halbinsel gewesen. Eine Mischung aus Park und Wohnlandschaft. Aber das alle schien nicht mehr zu existieren.

„Hey, die Küste entspricht gar nicht mehr dem Verlauf, wie er im Kartenmaterial meines Navigationsgerätes gespeichert ist“, stellte Erric fest.

„Die Prana-Halbinsel gibt es nicht mehr...“ murmelte Annn völlig fassungslos. „Das...“ Sie stockte und ihre Stimme klang belegt und sie musste ein Schluchzen unterdrücken. „Das kann doch nicht wahr sein! Nein!“

Sie schrie es fast. Und dann steckte ihr plötzlich ein Kloß im Hals. Sie war nicht mehr in der Lage, auch nur einen einzigen Ton hervorzubringen.

Erric suchte nach ein paar tröstenden Worten. Aber es schien nichts zu geben, was er in dieser Situation sagen konnte und auch nur ansatzweise sinnvoll geklungen hätte. Außerdem musste Erric daran denken, wie es wohl in Davis City aussehen mochte, wo seine Familie lebte.

„Es tut mir leid, Annn“, sagte er schließlich.

„Erric, warum?“

„Im Infrarotbild sieht man einen großen Krater auf dem Meeresgrund. Könnte von einem Energiebeschuss stammen. Die Halbinsel wurde völlig ausradiert und der dabei entstehende Tsunami hat die gesamte Küstenlinie verändert.“

„Warum?“, flüsterte Annn noch einmal.

Aber sie erwartete von Erric keine Antwort darauf. Diese Antwort kannte sie nämlich längst selbst. Es war die Transmitter-Frachtstation. Die hatten die Robos offenbar als wichtig genug angesehen, um sie so nachhaltig zu vernichten.

Hier konnten sie nichts mehr tun.

Es gab niemanden mehr, den man hätte retten können.

„Achtung, eine Robo-Drohne von achtern!“, meldete Erric, als er das Objekt auf dem Ortungsschirm auftauchen sah. Die Drohne war nur halb so lang wie die Raumjäger der Spacer, hatte aber die zylindrische Form der Robo-Schiffe.

Dass es sich um die gleiche Technologie handelte, konnte man deutlich durch den Scan erkennen.

Die Drohne schnellte heran und feuerte dabei gleich ihren ersten Strahlenschuss ab. Um ein Haar hätte sie Errics Maschine getroffen, doch der hatte zuvor bereits reagiert. Schon als Erric bemerkt hatte, dass die Ortung der Drohne ihn erfasste, schaltete er für kurze Zeit einfach den Antrieb ab und ließ seinen Raumjäger mehrere hundert Meter in die Tiefe sinken. Wie ein Stein fiel der Raumjäger der Wasseroberfläche entgegen und der Peilstrahl der Drohne ging ins Leere.

Der anschließende Energieschuss brannte über Errics Jäger hinweg.

„Ich schalte das rückwärtige Geschütz auf Zielerfassung!“, meldete Annn über Funk. „Und Feuer!“ Ein Energiestrahl schoss aus dem Heck von Annns Jäger heraus und erfasste die Drohne. Nur einen Sekundenbruchteil später explodierte sie. Für Augenblicke entstand ein Glutball, heller als das Licht der Sonne Davis.

Ein paar glühende Trümmerteile fielen schließlich ins Meer.

„Lancelot hatte recht“, sagte Annn. „Die Bedienung der Zielerfassung ist nicht weiter schwer...“

„Wir müssen damit rechnen, dass diese Explosion registriert wurde“, gab Erric zu bedenken.

Annns Antwort wirkte ziemlich niedergeschlagen. „Ehrlich gesagt ist mir das im Augenblick ziemlich gleichgültig“, murmelte sie vor dich hin.

Angesichts der Tatsache, dass vermutlich niemand von ihren Angehörigen auf der Prana-Halbinsel überlebt hatte, war ihre Reaktion nur zu verständlich, fand Erric.

––––––––


Kapitel 9: In Davis City

„Captain, da sind insgesamt drei Robo-Schiffe, die sich in bedenklicher Weise auf uns zubewegen“, meldete Tabeja.

Rhon hob die Augenbrauen. Er starrte auf die Drei-D-Übersicht, mit deren Hilfe die Positionen der drei feindlichen Schiffe veranschaulicht wurde. „Glaubst du, das sie uns entdeckt haben?“

„Die Computeranalyse ergibt dafür eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent“ erklärte Tabeja. „Es wäre gut möglich, dass sie aus demselben Grund hier her fliegen, aus dem wir diesen Mond ebenfalls schätzen...“

„Doch nicht etwa wegen seiner Mineralien?“, mischte sich Xorr ein. Er vollführte dabei mit seinem Schnabel eine Bewegung, so als würde er gähnen. Er hatte soeben mit einem der Jäger einen Kurzaufenthalt auf dem Grüne-Murmel-Mond hinter sich, um einen kleinen Vorrat an jenen Mineralien anzulegen, die man für den Betrieb der Maschine an Bord unbedingt brauchte. In kleinen Mengen zwar, aber das änderte nichts daran, dass sie einem sehr fehlen konnten, wie das Beispiel der CAMELOT gezeigt hatte. Die Lagerstätten ragten zumeist in Form von großen Felsmassiven aus dem mondumspannnden Urwald heraus, sodass man sie fast schon ohne die Hilfe von Analysegeräten finden konnte.

„Wenn wir jetzt die Position verändern und die Triebwerke starten, werden die Robos vielleicht erst auf uns aufmerksam“, meinte Rhon. „Aber den Kurs dieser Schiffe müssen wir genau beobachten...“

„Wäre nicht schlecht, wenn wir Erric und Annn jetzt eine Nachricht schicken könnten, dass sie sich mit ihrem Ausflug nach Davis-3 etwas beeilen sollen“, meinte Sirak.

„Das wissen sie hoffentlich auch so“, murmelte Rhon.

Die beiden Jäger schossen über den Hauptkontinent von Davis-3 hinweg. Aber schon von weitem war zu sehen, dass die Angriffe der Robos sich hier ähnlich verheerend ausgewirkt hatten wie auf der Prana-Halbinsel. Mehrere Krater reihten sich wie die olympischen Ringe aneinander. Auch diesen Knotenpunkt hatten die Angreifer offenbar restlos ausschalten wollen.

In den Außenbezirken der Stadt gab es immerhin noch Gebäude.

Dass auch dort die Überlebensbedingungen nach den gewaltigen Explosionen nicht gerade rosig waren, wollte Erric im Moment nicht so recht wahrhaben. Denn hier lebte seine Familie – oder besser gesagt, sie hatte dort gelebt. Denn die Hitze- und Strahlungswellen, die sich von den Einschusskratern aus kreisförmig ausgebreitet hatten, mussten noch im weiteren Umkreis eigentlich alles verbrannt haben.

Von den Häusern standen nur noch die extrem feuerfesten Wände. Sie waren mit einer Schicht aus Ruß überzogen.

„Wir landen“, bestimmte Erric.

„Erric, da unten lebt niemand mehr. Du wirst nichts finden, außer ein paar angerußter Ruinen. Sieh dir nur die Strahlungswerte an!“

„Wir tragen ja schließlich Raumanzüge“, gab Eric zurück. „Wenn du willst, kannst du ja umkehren oder eine Runde über den Einschusskrater drehen, aber ich muss dort hin.“

„Ich messe die Signaturen von Robos dort unten.“

Erric atmete tief durch, ließ seine Finger über den Touchscreen gleiten. „Tatsächlich. Da sind offenbar Aufklärungstrupps von Robotern unterwegs. Aber die paar Blechmänner sollen mich nicht daran hindern, zu landen...“

Annn verstand sehr gut, weshalb Erric dort landen wollte.

Zu sehen, was aus der Stadt geworden war, in der seine Eltern gelebt hatten, musste ein Schock für ihn sein – selbst dann, wenn er es geahnt hatte, nachdem sie auf der Prana-Halbinsel gewesen waren. Aber anscheinend musste er sich noch gründlicher davon überzeugen, dass es wirklich keinen Sinn mehr hatte, nach Überlebenden zu suchen oder sich irgendwelche falschen Hoffnungen zu machen.

„Landen wir“, sagte Annn also. „Gib mir die Position durch, die du anvisierst.“

Sie drehten noch einen Halbkreis über die Stadt. Viel Zeit, um sich dort unten umzusehen blieb ihnen nicht, denn die dort in den Ruinen umher streifenden Robos waren sicherlich längst auf sie aufmerksam geworden.

Die beiden Jäger landeten in der Nähe eines Gebäudes, von dem nur noch die Grundmauern standen. Nirgends gab es noch Glas und die Wände waren von Ruß bedeckt.

Erric kletterte aus seiner Maschine. Den Helm des Raumanzugs hatte er geschlossen. Die Strahlungswerte waren bedenklich hoch und der Staub, der sich überall abgesetzt hatte, war hoch giftig.

Annn folgte seinem Beispiel.

Erric trat in das Gebäude. Es gab keine Türen und Fenster mehr und von den Einrichtungsgegenständen waren nur noch Umrisse zu sehen.

Annn sah auf das Analysegerät, das sie am Handgelenk ihres Raumanzugs trug. Die Hitze musste so groß gewesen sein, dass selbst das Glas der Fenster zu vulkanascheähnlichem Staub zerschmolzen war. Hier hatte niemand überleben können.

Erric sah eine Stelle an der Wand, die entfernt an den Umriss eines Menschen erinnerte.

Für Augenblicke war er weder fähig etwas zu sagen, noch überhaupt auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Die Robos gingen offenbar mit größter, wahrhaft maschinenartiger Rücksichtslosigkeit vor.

„Wir können hier nichts mehr tun, Erric“, hörte er Annns Stimme in seinem Helmfunk. Aber sie klang für ihn wie aus weiter Ferne.

„Wer hat diese Mordmaschinen geschickt?“, fragte Erric dann verzweifelt und mit belegter Stimme. „Wer tut so etwas?“

„Vielleicht hat sie niemand geschickt, Erric.“

„Aber – es sind Maschinen!“

„Ich denke, dass irgendwo, in einer fernen Galaxis eine Zivilisation die Herrschaft über ihre eigenen Maschinen verloren hat und diese sich dann eigenständig weiter entwickelt haben. Auf keinem der Robo-Schiffe haben wir schließlich Biozeichen messen können.“

Erric zuckte mit den Schultern. „Und was soll das für eine Universelle Ordnung sein, die sie überall verbreiten wollen?“

„Offenbar eine Ordnung, in der für Wesen wie uns kein Platz ist.“

„Wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich weiter ausbreiten, Annn. Vielleicht ist diese Idee gar nicht schlecht.“

„Welche Idee?“

„Alle Spacer irgendwo zu sammeln, in einem abgelegenen Teil der Galaxis eine Basis aufbauen, um dann einen Kampf gegen die Robos zu beginnen! Und vielleicht gelingt es ja, sie irgendwann einmal wieder zu vertreiben.“

„Zuerst werden wir froh sein müssen, wenn wir ihnen entkommen“, meinte Annn.

Wenig später traten sie wieder ins Freie.

Ein greller Strahl blitzte auf und senkte nur wenige Millimeter an Errics Helm vorbei in die Hauswand, wo er sich zischend einbrannte.

Erric und Annn warfen sich augenblicklich zu Boden, während weitere Strahlenschüsse in ihre Richtung gefeuert wurden und über sie hinweg zischten.

Einer, der wie ein Metallskelett gebauten Robos stand an einer Hausecke und richtete seine beiden Arme in Richtung von Annn und Erric. Beide Arme endeten in kegelförmigen Strahlern anstatt in mechanische Greiforganen.

Annn drehte sich am Boden um die eigene Achse und sofort, wo sie gerade noch gelegen hatte, brannte sich bereits ein Strahlenschuss in den Boden.

Erric riss unterdessen den Laserstrahler hervor, den Sirak ihm gegeben hatte und der die ganze Zeit über an der Magnethalterung seines Anzugs befestigt gewesen war. Er schaltete die eigentlich als hochpräzises Werkzeug gedachte Waffe auf größte Strahl-Streuung. Ein bläulich schimmernder, kegelförmiger Lichtblitz schoss aus dem Strahler heraus und erfasste den Robo.

Wie ein blitzender Lichtflor umgab den Roboter jetzt ein zischender Lichtflor.

Dabei taumelte er zurück und konnte sich nur mühsam auf den Beinen halten.

Offenbar war der Robo von einem Energieschutzschirm umgeben. Annn feuerte jetzt ebenfalls ihre Waffe ab, aber ihr Strahl war auf höchste Dichte geschaltet.

Im nächsten Moment explodierte der Robo mit einer derart grellen Explosion, dass sie wahrscheinlich beide geblendet worden wären, wenn die Visiere ihrer Raumhelme sich nicht automatisch verdunkelt hätten.

„Nichts wie weg hier!“, rief Annn über Helmfunk und rappelte sich auf.

Erric folgte ihrem Beispiel.

Sie hetzten die wenigen Meter bis zu ihren Jägern. An einer der Hauswände tauchte bereits ein weiterer Kampfrobo auf, ein zweiter schwebte mit einem Antigravaggregat, das ihn schwerelos werden ließ, hinter einem Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite empor und richtete seine Strahlwaffenarme auf die Flüchtenden. Annn und Erric kamen ihnen zuvor – diesmal mit konzentrierter Strahlenergie auf höchst möglicher Stufe. Die Robos zerplatzten. Glühende Trümmerteile regneten herab.

Eines davon traf Errics Jäger am Heck – verursachte aber wohl keinen größeren Schaden.

So schnell wie möglich kletterten sie in die Cockpits ihrer Maschinen.

Und während von überall her Kampf-Robos zwischen den ausgebrannten Gebäuden hervorkamen, legte Erric bereits den Hebel für den Schnellstart um.

Beide Raumjäger schossen geradezu davon.

Einer der heraneilenden Kampfrobos wich ihnen noch taumelnd aus und sandte ihnen dann ein paar Strahlenschüsse aus seinen Waffenarmen hinterher. Annns Jäger wurde am Heck getroffen, aber sie hatte längst den Schutzschirm eingeschaltet, der diesen Treffer abfing.

„Und jetzt ab durch die Mitte!“, meinte Erric.

„Scheint, als hätte jemand was dagegen! Robo-Drohne von Backbord!“, gab Annn zurück. Die Drohne näherte sich rasend und feuerte bereits. Ein Schuss traf Errics Raumjäger. Der Schutzschirm war zwar eingeschaltet, wurde aber auf das Äußerste belastet. Nur eine Sekunde später nahm Annn die Drohne ins Visier und feuerte zurück. Sie zerplatzte und wurde für ein paar Augenblicke zu einem grellweißen Feuerball.

„Ich glaube, einen gemütlichen Rückflug können wir uns abschminken!“, meinte sie.

Vom Boden aus feuerten immer noch Dutzende von Kampfrobos auf die beiden davonschießenden Jäger. Manche dieser Kampfmaschinen waren dazu sogar mit ihren Antigravaggregaten bis zu zwanzig Meter in die Höhe geschwebt, um besser zielen zu können.

Aber die beiden durch die Atmosphäre von Davis-3 schießenden Raumjäger waren bereits zu weit entfernt.

Es dauerte nicht lange und man sah von Davis City aus nur noch ihre Kondensstreifen am Himmel.

Ein Alarmsignal schrillte in der Zentrale der AVALON. Eine Folge mehrerer Erschütterungen war durch das Schiff gegangen.

Die Robo-Schiffe, von denen erst nicht ganz klar gewesen war, was ihre Kursänderung zu bedeuten hatte, mussten wohl doch schon seit längerem auf den Raumkreuzer aufmerksam geworden sein. Was Captain Rhon und seine Spacer verraten hatte, konnte ihnen im Moment gleichgültig sein. Vermutlich war es irgendeine Energieabstrahlung des Schiffes, die man auch aus größerer Entfernung noch anmessen konnte.

Jedenfalls hatten jetzt gleich ein gutes Dutzend Schiffe ganz offensichtlich die Verfolgung des Raumkreuzers aufgenommen und versuchten, die AVALON zu stellen.

Manche der Robo-Schiffe gingen kurz in den Zwischenraumflug und materialisierten dann plötzlich ganz in der Nähe in Schussweite, um schon im nächsten Moment mit allen Geschützen zu feuern.

Unzählige kleinere Treffer hatte die AVALON bereits erhalten. Aber bislang hatten die Schutzschirme sie alle schlucken können.

Aber die letzten Treffer waren schwerer gewesen.

„Der Schutzschirm hat noch 40 Prozent seiner Energie!“, stellte Tabeja fest. „Noch ein oder zwei solcher Treffer und er bricht zusammen.“

„Ausweichkurs programmieren“, befahl Rhon.

„Ist schon geschehen“, antwortete Sirak, der die Steuerung übernommen hatte und dabei versuchte, den Abstand zu den angreifenden Einheiten stets so groß wie möglich zu halten.

Xorr bediente die Waffensysteme. Aber natürlich war die Mannschaft der AVALON alles andere als kampferprobt.

Was das gewagte Manövrieren anging, war das natürlich etwas anderes. Da hatten die Spacer jede Menge Erfahrung durch ihre Rennen, die durchaus nicht nur mit Raumjägern, sondern je nach Startbedingungen und Regeln auch mit den großen Mutterschiffen geflogen wurden.

Und genau diesen Vorteil wollte Rhon ausnutzen...

„Klonxx meint, dass wir nicht länger auf eine Rückkehr von Annn und Erric warten können!“, mischte sich nun auch noch das Krakenwesen in die Kommunikation in der Zentrale ein. „Klonxx denkt, dass nur ein schneller Übertritt in den Zwischenraum Schiff und Besatzung retten können!“

„Und Rhon meint, dass man Klonxx auch durch die Luftschleuse ins All schießen könnte, um die Robos zu verwirren!“, sagte der Captain gereizt.

„Klonxx hat nur einen konstruktiven Vorschlag gemacht und ist jetzt beleidigt.“

Rhon erhob sich von seinem Sessel und wandte sich an den derzeitigen Steuermann der AVALON. „Sirak?“

„Captain?“

„Beschleunigung auf Eintrittsgeschwindigkeit. Wir gehen in den Zwischenraum.“

„Willst du Annn und Erric etwa hier zurücklassen?“, fragte Xorr etwas irritiert und unterstrich diesen Eindruck noch durch ein für seine Verhältnisse sehr schrilles Krächzen. Sein Schnabel blieb auch danach noch halb geöffnet.

„Wir machen nur einen kleinen Raumsprung bis in die Davis-Wolke!“, erklärte Rhon. „Und dort warten wir auf Annn und Erric. Die werden über ihre Ortung schon mitbekommen, wo wir sind.“

„Der Flug in der Davis-Wolke ist schon für einen Jäger risikoreich“, erklärte Tabeja stirnrunzelnd. „Für ein so großes Schiff wie die Avalon gilt das noch sehr viel mehr!“

„Ja, und auch für unsere Gegner noch viel mehr – denn im Gegensatz zu denen, kennen wir uns dort aus und sind es gewohnt, zwischen all den Gesteinsbrocken, gefrorenen Riesenschneebällen und Asteroiden herumzukurven! Ich hoffe, dass die Robos erst einmal einige Probleme haben, uns dorthin zu folgen und wenn sie mit ihren Energiegeschützen herumballern, ist dort jede Menge herumfliegendes Material, das uns als Deckung dienen kann!“

Ein weiterer mittelschwerer Treffer erwischte jetzt die AVALON.

Tabeja meldete ein Absinken der Schutzschirm-Energie auf zehn Prozent. Ein Treffer noch, dann war der Schirm nicht mehr vorhanden.

„Klonxx meint, dass es hier auch nicht gerade ohne Risiken abgeht!“, meldete sich zu allem Überfluss das Krakenwesen noch einmal mit einer seiner Gedanken. Worauf aber niemand reagierte.

„Maximale Beschleunigung!“, befahl Rhon nur. „Wir müssen jetzt aus den Maschinen alles herausholen, was möglich ist!“

Kapitel 10: Zielpunkt Delta-Sektor

Die Avalon ging in den Überlichtflug, verschwand für kurze Zeit im Zwischenraum und tauchte dann mitten in der Davis-Wolke wieder ins Normaluniversum.

„Achtung, Kollision mit 500-m-Gesteinsbrocken!“, konnte Tabeja gerade noch melden, bevor eine starke Erschütterung durch das Schiff ging.

Einer der zahlreichen, unregelmäßig geformten Brocken aus Eis und Gestein hatte die AVALON gerammt.

Glücklicherweise war er am sofort aktivierten Schutzschirm abgeprallt.

„Schutzschirm hat standgehalten“, meldete Sirak. „Einen Energietreffer können wir uns allerdings nicht mehr leisten.“

„Klonxx meint, dass der Punkt zum Austritt aus dem Zwischenraum vielleicht etwas sorgfältiger hätte bestimmt werden können!“, äußerte sich das Krakenwesen und krabbelte an der Decke entlang, bis es sich genau über Siraks Konsole befand. Von dort blickte es herab, so als hätte es diesen Standort gewählt, um mit seinen gleichmäßig über den Kopf verteilten Augen die Daten erkennen zu können, die auf dem Touchscreen zu sehen waren.

„Fehlt nur noch, dass er jetzt sagt: Lass mich ran!“, meinte Xorr und unterstrich seine Worte mit einem sehr tief aus seiner zirpanischen Vogelkehle kommenden Gurrlaut.

„So viel wie möglich unserer Bordenergie auf den Schutzschirm umlenken!“, befahl Rhon.

„1000 m-Objekt von oben!“, meldete Tabeja.

„Ausweichkurs ist schon eingegeben!“, meldete sich Sirak zu Wort.

Rhon ging an eine der Konsolen, die im Moment nicht benutzt wurden und aktivierte sie. „Ich werde die Steuerung persönlich übernehmen“, kündigte er an. Er wandte sich an Sirak. „Nichts für ungut, aber gerade hier in der Wolke habe ich etwas mehr Erfahrung als du!“

„Kein Problem!“, sagte der vierarmige Ampanor. „Hauptsache, du steuerst uns hier einigermaßen heile durch dieses kosmische Minenfeld!“

––––––––


Mehrere Robo-Schiffe waren inzwischen der AVALON in die Davis-Wolke gefolgt. Sie materialisierten an verschiedenen Stellen aus dem Zwischenraum. Einige von ihnen hatten sofort unübersehbare Probleme mit den zahllosen größeren und kleineren Himmelskörpern, die in diesem Raumgebiet ihre teils nicht vorhersehbaren Bahnen zogen.

Auf dem Bildschirm der AVALON leuchtete ein Blitz auf. Ein kleiner Asteroid war gerade mit dem Energieschirm eines dieser Robo-Schiffe zusammengestoßen.

Rhon steuerte unterdessen recht sicher an einem Zwergplaneten vorbei, der eigentlich die nötige Größe und Masse hatte, um als richtiger Planet zu gelten. Allerdings war eine Seite so stark abgeplattet, dass das Objekt aussah wie ein Apfel, von dem man ein Stück abgeschnitten hatte. Welche Kollisionen in seiner Geschichte auch immer zu dieser seltsamen Form geführt haben mochten, er wich zu stark von der Kugelform ab, um als Planet verzeichnet zu werden. Da half es auch nichts, dass er eine dünne, sehr schwefelhaltige Atmosphäre hatte. Rhon steuerte die AVALON sehr dicht an der pockennarbigen Oberfläche entlang. An manchen Stellen schossen Geysire aus Methan an die Oberfläche. Einer der dieser Geysire erfasste auch den Raumkreuzer, aber der Energieschirm lenkte das ausströmende Methan ab. Dabei entstand ein silbrig-grüner Schimmer.

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Als die AVALON das Objekt hinter sich gelassen hatte, feuerte ein Robo-Schiff seine sämtlichen Energiegeschütze ab. Ein Asteroid wurde getroffen und explodierte. Die Bruchstücke flogen auseinander. Manche davon erreichten sogar die AVALON.

„Schutzschirm hält stand!“, meldete Tabeja, während ein paar leichtere Erschütterungen das Schiff heimsuchten.

Xorr feuerte mit den Geschützen der AVALON zurück. Ein weiterer kleiner Asteroid wurde dabei zersprengt, dessen Bruchstücke wie Geschosse durch das All flogen. Ein gezielter, konzentrierter Energiestrahl traf das Robo-Schiff, das daraufhin zerbarst. Einzelne Trümmerstücke des Zylinderschiffs explodierten erneut, nachdem sie sich schon ein ganzes Stück von der eigentlichen Detonation entfernt hatten.

„Captain, wir empfangen einen Notruf“, meldete Tabeja. „Es ist Annn!“

„Klonxx freut sich! Raumjäger sind zurück!“

„Leider nur einer der beiden Jäger“, fügte Tabeja hinzu. „Bei der Explosion scheint Annns Jäger stark beschädigt worden zu sein. Er treibt antriebslos und ohne Schutzschirm im All...“

Ein Brummen dröhnte durch den Fußboden. Rhon hatte die Triebwerke höher geschaltet. Die AVALON drehte sich. „Ich habe sie hier auf dem Schirm. Wir holen sie an Bord!“, kündigte Rhon an.

„Das ist nicht ungefährlich!“, stellte Xorr fest und wie zur Bestätigung dieser Ansicht explodierte eines der Trümmerstücke des Robo-Schiffs so dicht neben der AVALON, dass eine Erschütterung durch das Schiff ging und der verstärkte Schutzschirm für ein paar Augenblicke sehr bedenkliche Werte erreichte.

„Die Trümmerstücke sind zum Teil wie Sprengsätze!“, stellte Tabeja fest. „Es scheint sich um Waffensysteme zu handeln, die wir noch nicht richtig kennen... Rhon, du riskierst, dass uns hier alles um die Ohren fliegt, wenn du auf diesem Kurs bleibst!“

„Sollen wir Annn vielleicht zurücklassen?“

„Wie wär's, sie mit einem Jäger zu holen?“

„Keine gute Idee!“, mischte sich Xorr ein und vollführte dabei eine seiner typischen ruckartigen Kopfbewegungen. „Man sieht ja, was da draußen mit einem Jäger passieren kann...“

„Sirak, es gibt doch einen Traktorstrahlen-Projektor an Bord...“

„Den haben wir noch nie eingesetzt!“, gab Sirak zu bedenken.

„Dann ist das heute eine Premiere. Übernimmst du das? Ich werde so nahe wie möglich an Annns Jäger heranfliegen und dann sammelst du Annns Maschine mit den Traktorstrahlen ein.“

Der Ampanor verschränkte das obere Armpaar vor der Brust.

„Ich hoffe, das geht gut!“

In der alten Zeit der Raumflotte waren mit Hilfe von Traktorstrahlen Frachtcontainer verladen worden, die zum Beispiel Ausrüstung und Verpflegung für die Besatzung enthielten. Aber damals betrug die Besatzung eines Raumkreuzers wie der AVALON auch mehr als 200 Mann. Für eine Handvoll Spacer einen Container zu benutzen, wäre wirklich etwas übertrieben gewesen, zumal Rhon und seine Freunde es eigentlich ohnehin gewohnt waren, alles, was sie brauchten, per Transmitter an Bord zu beamen.

Doch das ging ja jetzt nicht mehr.

Ein paar Trümmerstücke trafen noch mit dem Schutzschirm der AVALON zusammen und prallten an ihm ab.

Trotz des Fingerspitzengefühls, das Rhons Umgang mit der Raumschiffsteuerung ausmachte, war das unter diesen Bedingungen wohl einfach nicht zu vermeiden.

Tabeja meldete unterdessen, dass sich erneut mehrere Robo-Schiffe aus verschiedenen Richtungen auf die AVALON zu bewegten.

„Klonxx meint, dass wir uns dann wohl etwas beeilen müssen!“, äußerte sich das Krakenwesen, das noch immer exakt über Siraks Konsole an der Decke klebte und sich schon geraume Zeit nicht ein bisschen bewegt hatte.

„Ich habe Annns Raumjäger mit dem Traktorstrahl erfasst“, stellte Sirak fest.

„Schutzschild abschalten und Außenschott öffnen“, befahl Rhon.

Das war der kritische Punkt an der Sache: Während der Jäger mit den Traktorstrahlen ins Innere der AVALON gezogen wurde, musste der Schutzschirm abgeschaltet werden.

Eine leichte Erschütterung war zu spüren.

„Das war ein vierzig-Meter-Brocken!“, meinte Tabeja.

Die erste Quittung für das Abschalten des Schutzschirms, dachte Rhon. Aber anders ging es eben einfach nicht. Noch ein paar weitere kleinere Brocken schrammten jetzt gegen die Außenhülle der AVALON.

„Raumjäger geborgen!“, meldete Sirak schließlich.

„Verbindung herstellen!“, befahl Rhon.

Auf dem Hauptschirm erschien Annns Kopf – aufgenommen von der Cockpit-Kamera. Sie öffnete gerade das Visier ihres Raumhelms.

„Hier Annn!“ Sie atmete tief durch. „Das war Rettung in letzter Minute....“

„Alles in Ordnung mit dir?“

„Mit mir ist alles okay. Aber was ist mit Erric?“

„Wir dachten, darüber könntest du und mehr sagen...“

„Habt ihr ihn nicht gefunden?“

Rhon schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Spur von ihm...“

„Als wir in die Davis-Wolke flogen, um euch einzuholen, waren wir noch beieinander und ich hatte ihn immer auf dem Schirm. Wir sind fast synchron geflogen...“

„Wann hast du ihn verloren?“

„Als das Robo-Schiff explodiert ist!“

Rhon wandte sich an Tabeja. „Wir müssen nochmal einen genaueren Scan durchführen. Er muss hier irgendwo sein...“

Wieder wurde die AVALON von ein paar Bruchstücken getroffen. Diesmal waren es etwa hundert kleinere und größere Felsbrocken mit einem mittleren Durchmesser zwischen 20 und 200 Metern, die auf die Außenhülle der AVALON hagelten.

„Ich habe hier ein paar Trümmerteile, die von einem unserer Jäger stammen könnten!“, stellte Xorr plötzlich. „Ich müsste das nochmal genauer überprüfen...“

„Das muss er sein“, flüsterte Tabeja.

„Oder besser gesagt, das was von ihm übrig geblieben ist, meint Klonxx!“, mischte sich das Krakenwesen ein.

In diesem Moment blitzte etwas auf dem Hauptschirm auf. Es war eine vergleichsweise schwache Lichterscheinung, wenn man sie mit den Explosionen verglich, die hier stattgefunden hatten. Und zwischen den verglühenden Trümmerteilen des Robo-Schiffs fiel einem menschliche Auge dieser kleine Blitz nicht auf.

Klonxx allerdings schon.

Er ließ sich auf Siraks Konsole fallen.

„Heh, was soll das denn?“, polterte der Ampanor ungehalten. „Jetzt geht es aber zu weit!“

Klonxx betätigte über den Touchscreen den Zoom für den Hauptbildschirm und vergrößerte die Stelle, wo der Blitz zu sehen gewesen war. „Klonxx meint, dort ist ein beachtenswertes Phänomen!“

„Und Sirak meint, dass Klonxx' Tentakel hier nichts zu suchen haben!“, erwiderte Sirak ziemlich ärgerlich, packte das Krakenwesen und warf es von seiner Konsole herunter.

Klonxx platschte ein paar Meter weiter auf den Boden – genau vor die Füße von Annn, die in diesem Moment gerade die Zentrale betrat.

In diesem Moment war auf dem Schirm ein weiterer Blitz zu sehen. Ein etwa 50 Meter durchmessender Felsbrocken platzte daraufhin auseinander.

Sirak starrte wie entgeistert auf seine Anzeigen.

„Das gibt's doch nicht“, murmelte er und stieß dazu einen gurgelnden Laut der Verwunderung aus. Mit den Fingern seiner dritten Hand glitt er über den Touchscreen. Die Daten ließen keinen Zweifel...

„Was ist hier eigentlich los?“, fragte jetzt Annn, während Klonxx die Wand emporkletterte.

„Das da eben war ein Laserstrahler, wie ich ihn Erric mitgegeben habe!“

„Sein Helmfunk muss ausgefallen sein“, meinte Tabeja.

„Dann hat er sich mit dem Schleudersitz retten können, als sein Raumjäger explodierte“, wollte Annn wissen, die noch nicht einmal den Raumanzug ausgezogen, sondern lediglich den dazugehörigen Helm abgelegt hatte.

Rhon steuerte näher an die Position heran, wo der Laserstrahl geortet worden war.

Schließlich hatte Sirak den in seinem Raumanzug hilflos im All schwebenden Erric auf dem Ortungsschirm. „Noch etwas näher, Rhon, dann kann ich ihn mit dem Traktorstrahl hereinholen – so wie Annns Jäger...“

„Achtung, feindliches Raumschiff nähert sich auf Schussweite!“, meldete Tabeja.

Hinter einem der pockennarbigen Asterioden tauchte ein Zylinderschiff auf. Es feuerte sofort.

Ein Schuss traf die AVALON schwer.

„Hüllenbruch in Sektion 1. Wir müssen abschotten!“, meldete Tabeja.

„So lange Erric nicht an Bord ist, können wir keinen Schutzschirm hochfahren“, stellte Rhon fest. „Xorr? Feuer frei!“

Rhon schaltete eine der Steuerdüsen ein. Die AVALON vollführte eine halbe Drehung und trieb noch etwas näher an den im All schwebenden Erric heran. Ein wahrer Schauer von kleinen Felsbrocken hagelte dabei von schräg unten gegen die Außenhülle des Raumkreuzers und machte es zeitweilig sogar unmöglich, die Schleuse zu öffnen, um Erric hereinzuholen.

Während Sirak den im All schwebenden Erric per Traktorstrahl zum Schiff hinzog, feuerte Xorr sämtliche Geschütze ab. Die meisten dieser Schüsse wurden von den Schutzschirmen des Gegner geschluckt. Die AVALON hingegen hatte keinerlei Schutz. Ein weiterer schwerer Treffer sorgte dafür, dass für Sekunden sogar die Energieversorgung auf ein Notaggregat geschaltet werden musste und das Licht in der Zentrale flackerte.

Xorr machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und krächzte. „So geht das nicht! Das ist ein ungleicher Kampf!“, stellte er fest. „Wir brauchen Verbündete...“

„Klonxx ist gespannt, wo die so plötzlich herkommen sollen!“ Das Krakenwesen konnte sich selbst in dieser Situation offenbar einfach nicht mit seinen Kommentaren zurückhalten.

„Dann sieh mal gut zu, Tentakel-Schwätzer!“, erwiderte Xorr. Er richtete die Zielerfassung der Energiegeschütze anders aus und feuerte nun nicht mehr auf das Robo-Schiff, sondern auf den Asterioden, hinter dem das Schiff hervor gekommen war. Das Gestein, aus dem der Asteroid bestand, war sehr porös, wie man an den entsprechenden Ortungsdaten sehen konnte. Ganze Stücke wurden aus der Oberfläche heraus gesprengt. Und innerhalb kurzer Zeit flogen Steine von großen Gesteinsbrocken dem Zylinderschiff entgegen. Zwar prallten sie am Schutzschirm ab, aber das geschah so heftig und mit so viel Energie, dass der Kurs des Robo-Schiffs dadurch abgelenkt wurde und die Zielerfassung völlig durcheinander gebracht wurde.

„Erric ist an Bord!“, meldete Sirak inzwischen.

„Außenschleuse geschlossen?“, fragte Rhon.

„Geschlossen“, bestätigte der Ampanor.

„Schutzschirm hochfahren. Ich gehe auf maximale Beschleunigung...“

––––––––


In einem halsbrecherischen Manöver lenkte Rhon die AVALON zwischen zwei sehr eng beieinander stehenden Asteroiden her. Der Schutzschirm ließ all die Geröllstücke, die bis dahin von überall her auf die Außenhülle der AVALON geprasselt waren, jetzt zurückprallen. Dann erreichte der Raumkreuzer ein Gebiet innerhalb der Davis-Wolke, in dem die Dichte an schwebenden, planetenähnlichen Objekten etwas geringer war.

Eine relativ freie Strecke, die vielleicht ausreichte um dreißig Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu erreichen und dann in den Zwischenraum zu verschwinden, tat sich vor ihnen auf.

Die Maschinen der AVALON dröhnten und ließen das ganze Schiff erzittern.

Augenblicke vergingen. Augenblicke, in denen nur abgewartet und gehofft werden konnte.

„Robo-Schiff auf Abfangkurs!“, meldete Tabeja.

Eine Übersicht, die in einem Teilfenster des Hauptbildschirms eingeblendet wurde zeigte, dass eines der Robo-Schiffe offenbar versuchte, die AVALON noch anzufangen.

Aber dazu war es zu spät.

Das Schiff trat in den Zwischenraum ein und verschwand für seine Verfolger. „Sirak, du übernimmst die Steuerung“, bestimmte Rhon und atmete tief durch. „Kurs zu den Koordinaten aus dem Delta-Sektor, die Barton uns gegeben hat.“

„In Ordnung“, bestätigte der Ampanor.

„Klonxx fragt sich, ob eigentlich niemand mal sehen will, wie es Erric geht“, erreichte ein Gedanke des Krakenwesens die anderen Besatzungsmitglieder.

Klonxx ließ sich mit einem platschenden Geräusch von der Decke auf den Boden fallen und krabbelte auf die Schiebetür zu, die sich vor ihm öffnete. „Offenbar muss man hier alles selbst machen, denkt Klonxx.“

Die Schiebetür schloss sich wieder hinter ihm.

„Auf jeden Fall wäre Erric wohl kaum noch gerettet worden, wenn Klonxx nicht gewesen wäre“, stellte Annn fest und folgte dem Krakenwesen.

––––––––


„Durch die Explosion war mein Helmfunk nicht mehr funktionsfähig und ich musste irgendwie auf mich aufmerksam machen“, sagte Erric später, als er zusammen mit Rhon, Annn, Tabeja und Sirak in einem der Aufenthaltsräume der AVALON saß. Davon gab es wirklich genug an Bord. Schließlich war das Schiff ja auch für eine viel größere Besatzung ausgelegt. Vor ihnen standen dampfende Getränke auf dem Tisch. Annn hatte seinerzeit einen nagelneuen Getränkeautomaten spendiert, den Sirak dann eingebaut hatte. Erric wandte sich Sirak. „Der Laser, den du mir gegeben hast, der war meine Rettung – und zwar nicht nur in den Ruinen von Davis City, als die Kampf-Robos über uns herfielen, sondern auch, als ich da so im All schwebte und darüber nachdachte, wie ich es verhindern kann, dass ich für eine Million Jahre oder länger dort zusammen mit all den Asteroiden meine Bahn ziehe, die vielleicht zehn- Oder zwanzigtausend Jahre einmal um den Stern Davis herumführt...“ Erric grinste. „Ich habe einfach versucht, ein bisschen Feuerwerk zu machen.“

„Jedenfalls sind wir froh, dass du wieder hier bist“, sagte Rhon. „Wir dachten schon, dass wir dich verloren hätten.“

„Wäre das zweite Mal in relativ kurzer Zeit gewesen, was?“, meinte Erric. „Und das alles nur, weil unsere Transmitter an Bord nicht zu benutzen sind, sonst hätte ich mich doch wie bei meinem kleinen Fehler in der Höhle von Mantop retten können...“ Er hob seinen Becher mit dampfendem Synthetik—Kaffee. „Aber keine Sorge, so schnell wollte ich euch eigentlich dann doch noch nicht verlassen!“ Sein Gesicht wurde düster und sehr ernst. Auf seiner Stirn bildete sich eine tief Furche. „Davon abgesehen haben wir ja auch eine wichtige Aufgabe. Eine, die so groß ist, dass mir manchmal Zweifel kommen, ob wir das überhaupt schaffen...“

„Die Robos vertreiben?“, fragte Annn. „Ganz gleich, ob uns das gelingt: Es wird nichts mehr so werden, wie es mal war, Erric.“

Erric nickte. „Ja, ich weiß“, murmelte er. „Ich weiß...“

––––––––


Einen Tag später erreichte die AVALON den Delta-Sektor und trat bei den angegebene Koordinaten aus dem Zwischenraum aus. Sie gehörten zu einer Welt, die in den Sternkatalog-Dateien der AVALON unter dem Namen Snowball verzeichnet war.

Der Name war passend gewählt worden, denn Snowball glich einem großen, etwas schmutzigen Schneeball. Der Planet war völlig vereist, hatte aber eine Sauerstoff/Stickstoff-Atmosphäre, die der irdischen Norm entsprach.

Snowball war nie besiedelt worden und es gab keine Transmitter-Station dort. Beides waren wichtige Voraussetzungen, um eine Rückzugsbasis zu errichten.

Die Camelot kreiste in einer Umlaufbahn um Snowball. Aber sie war nicht allein. Da waren noch ein halbes Dutzend weiterer Raumschiffe, die sich im Orbit des Planeten versammelt hatten. Alles Schiffe der alten Raumflotte, wie Tabeja sehr schnell feststellte.

Spacer-Schiffe.

„Hallo Rhon, schön euch wiederzusehen“, sagte Captain Barton wenig später, als eine Verbindung hergestellt worden war und das Gesicht des Rothaarigen auf dem Hauptschirm der AVALON angezeigt wurde. „Euer Schiff sieht schon wieder etwas ramponiert aus...“

„Das wird uns in Zukunft sicher noch öfter geschehen“, erwiderte Rhon.

Barton grinste. „Gut möglich. Herzlich willkommen im Delta-Sektor. Es sind schon einige von uns auf dem Planeten gelandet und haben damit begonnen, dort eine gut getarnte Basis zu errichten.“

„Klonxx findet das großartig“, äußerte sich das Krakenwesen, noch ehe Rhon es geschafft hatte, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen.

ENDE

Die Planetenkriege der Terraner: Science Fiction Fantasy Großband 3 Romane 9/2021

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