Читать книгу Meine 8 besten Thriller im Oktober 2021: Krimi Paket - Alfred Bekker - Страница 11

Kommissar X - Der Amokläufer

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Neal Chadwick

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VIELLEICHT WUSSTE DER Mann nicht wirklich, was er tat. Aber das machte die Sache nicht weniger schlimm. Brannigan hielt die automatische Pistole in seiner Rechten krampfhaft umklammert. Sein Blick war starr, sein Gesicht rot angelaufen und seltsam verkrampft. Die Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. Der Arm mit der Pistole hob sich und als dann der erste Schuß krachte, stoben die Passanten schreiend auseinander. Panik griff um sich, während jemand getroffen zu Boden sank. Der Mann preßte die Hände gegen die Brust, aber das Blut rann ihm zwischen den Fingern hindurch. Der Mann blickte ungläubig zu Brannigan auf, der für einen Augenblick innehielt. Dann brach der Mann zusammen, schlug hart auf den Asphalt und regte sich nicht mehr. Brannigan wirbelte herum. Er hörte die Schreie. Die Stimmen drohten, ihn halb wahnsinnig zu machen.

"Ein Verrückter!" rief jemand. "Ein Irrer!"

Dann taumelte Brannigan vorwärts. Ein zweiter Schuß löste sich aus seiner Pistole und dann ein dritter. Nur am Rande nahm Brannigan war, wie jemand getroffen nach hinten gerissen und durch die Wucht des Projektils gegen ein Schaufenster geschleudert wurde. Das Glas ging klirrend entzwei. Brannigan beschleunigte seine Schritte. Er wirbelte herum. Er wußte nicht, wohin er eigentlich wollte. Dunkel erinnerte er sich, gerade noch hinter dem Steuer seines Wagens gesessen zu haben.

Und jetzt war er in dieser belebten Einkaufsstraße, umgeben von Menschen, die versuchten, sich vor ihm in Sicherheit zu bringen. Brannigan fühlte seinen Puls bis zum Hals schlagen. Er hatte Angst. Namenloses Entsetzen kroch ihm wie eine kalte, glitschige Hand den Rücken hinauf.

Er hörte eine Stimme, schnellte herum, sah eine Gestalt und feuerte sofort, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. Immer wieder betätigte er den Abzug. Die Gestalt, die er gesehen hatte, gehörte einem Mann in den Fünfzigern, der gerade in seinen Wagen hatte einsteigen wollen. Schützend hatte der Mann seinen Aktenkoffer hochgerissen, aber das hatte ihm nichts genützt. Die erste Pistolenkugel war glatt durch das harte Kunststoffmaterial hindurchgeschlagen und in seinen Oberkörper eingedrungen. Der Mann war längst tot, aber Brannigan feuerte noch immer. Er war wie besessen und konnte einfach nicht aufhören. Auch nicht, als zwei weitere Passanten getroffen aufschrieen. Als Brannigan sich dann herumdrehte, sah er in ein schreckensbleiches Gesicht, das nur stumm den Kopf schüttelte. Ein vielleicht fünfzehnjähriger Junge in Jeans und Turnschuhen, der unwillkürlich erstarrt war, als er in die Pistolenmündung blickte.

"Nein", flüsterte der Junge und schien dabei unfähig zu sein, sich zu bewegen. Brannigan drückte sofort ab. Glücklicherweise traf er nicht richtig. Die Kugel fuhr dem Jungen in die Schulter.

"Stehen bleiben! Keine Bewegung!" rief eine Stimme, die wie ein Messer in Brannigans Bewußtsein drang und ihn sich erneut herumdrehen ließ. Der Junge nutzte das. Die Lähmung, die ihn noch eine Sekunde zuvor gefangen gehalten hatte, schien wie weggeblasen zu sein. Er rannte um sein Leben und flüchtete in einen Kaufhauseingang. Brannigan sah indessen die dunkelblaue Uniform eines Polizisten, der seine Dienstwaffe aus dem Holster gerissen und auf den Amokläufer gerichtet hatte.

"Ich sagte, Sie sollen die Waffe fallen lassen!" rief der Polizist, der sichtlich nervös war. "Ich will Sie nicht erschießen, aber ich werde es tun, wenn Sie mich dazu zwingen!"

Es war Brannigan nicht anzusehen, ob er sein Gegenüber überhaupt verstanden hatte.

Eine volle Sekunde lang geschah überhaupt nichts. Brannigan stand einfach nur da, aber er warf seine Waffe nicht weg.

Niemand wird mich kriegen! durchzuckte es ihn heiß. Niemand! Nicht noch einmal!

Dieser Gedanke hämmerte immer wieder in seinem Kopf. Brannigan schluckte. Er dachte an damals. Aber es würde sich nicht wiederholen. Nie wieder. Dafür würde er sorgen.

Und dann riß er urplötzlich seine Waffe hoch und feuerte.

Der Polizist schoß annähernd gleichzeitig und traf Brannigan im Oberkörper. Brannigan wurde nach hinten gerissen, ein weiterer Schuß löste sich aus seiner Waffe und traf einen Passanten in den Rücken, der sich gerade in Sicherheit bringen wollte.

Brannigan taumelte, schaffte es aber bis zu einer Parkuhr, an der er sich aufstützte. Den Polizisten hatte es am Bein erwischt und so lag dieser mit grimmig verzerrtem Gesicht auf dem Asphalt, den 38er Revolver immer noch in der Rechten. Brannigan ächzte. Er fühlte den Schmerz an seiner Seite und preßte die Linke dagegen. Er blickte nicht hinab. Stattdessen hob er erneut die Pistole und ließ seinem uniformierten Gegenüber keine andere Wahl.

Bevor Brannigan abdrücken konnte, hatte eine weitere Kugel ihn getroffen und dann noch eine. Er schlug rückwärts gegen einen parkenden Wagen und rutschte an dem glatten Blech zu Boden. Die Pistole hielt er immer noch fest umklammert, auch dann noch, als seine Augen schon erstarrt ins Nichts blickten.

*




JO WALKER WAR ZIEMLICH guter Laune, als er die Räume seiner Agentur betrat, die in einer Traumetage am nördlichen Ende der Seventh Avenue gelegen war. Walker, dem man den respektvollen Beinamen Kommissar X gegeben hatte - war so etwas wie die Nummer eins unter den New Yorker Privatdetektiven. Und so war er bei der Erstellung eines neuen Sicherheitskonzepts hinzugezogen worden, das eine Kette von Juweliergeschäften für ihre an der gesamten Ostküste verstreuten Filialen einführen wollte. Keine aufregende Tätigkeit, dafür ziemlich zeitraubend und arbeitsintensiv. Doch dafür stimmte das Honorar. Jo hatte den Scheck in der Jackett-Innentasche.

Als seine blondmähnige Assistentin April Bondy ihn begrüßte, zog er das Papier grinsend hervor und zeigte es ihr.

"Na, der Streß scheint sich ja gelohnt zu haben!" meinte April dazu und fügte dann noch lächelnd hinzu: "Über eine Erhöhung meiner Bezüge mit dir zu reden dürfte jetzt wohl reine Formsache sein, nehme ich an..."

Jo hob die Augenbrauen.

"Nach diesem dicken Fisch kannst du von Glück sagen, wenn ich mich nicht plötzlich dazu entschließe, die Agentur einfach dicht zu machen, um..."

"...dich zur Ruhe zu setzen?" April stemmte ihre schlanken Arme in die wohlgeformten Hüften und lache dann laut los.

"Warum nicht?" fragte Jo. "Was ist so abwegig daran?"

"Nichts als leere Drohungen! Wir wissen beide, daß du das nie tun würdest!"

Jo zuckte die Achseln. "Vermutlich hast du recht."

"Natürlich habe ich das!"

"Aber für heute finde ich, sollten wir Schluß machen."

Doch April schüttelte entschieden den Kopf. "Ich fürchte, daraus wird nichts, Jo."

"Und warum nicht? Soweit ich weiß, habe ich heute keine Termine mehr. Es gibt auch keinen Fall, an dem..."

"Vielleicht doch, Jo."

Jo runzelte die Stirn. Er löste den ersten Hemdknopf und lockerte den Krawattenknoten ein Stück. "Was soll das heißen?" fragte er gleichzeitig.

"In deinem Büro sitzt eine Frau, die ganz so aussieht, als würde sie unsere nächste Klientin. Sie wartet schon eine halbe Stunde..."

"Du hättest ihr einen anderen Termin geben können."

"Natürlich, Jo. Aber sie machte mir einen so niedergeschlagenen Eindruck, daß ich mir dachte, daß ihre Sache wohl nicht länger warten kann."

Jo seufzte. Wann hatte es schon je einen Klienten gegeben, der freudestrahlend im Büro eines Privatdetektivs saß und mit sich und der Welt zufrieden war?

"Hat die Dame dir schon gesagt, worum es geht?"

"Nur, daß ihr Lebensgefährte erschossen wurde. Aber nichts weiter. Sie brach gleich in Tränen aus. Sei also nett zu ihr."

"Sicher."

Als Jo dann einen Moment später sein Büro betrat, saß dort eine gutaussehende Dunkelhaarige, deren verlaufenes Make-up für sich sprach. Jo reichte ihr die Hand und sie nickte. Sie brauchte eine Sekunde, um etwas herauszubringen. Ein Kloß schien ihr im Hals zu sitzen.

"Sie sind Walker?"

"Ja."

"Geld spielt keine Rolle", sagte sie und zuckte dann ihre schmalen Schultern. "Oder besser gesagt: fast keine. Ich habe einiges auf der hohen Kante und..."

"Vielleicht sagen Sie mir erst einmal, wer Sie sind und worum es geht, Miss..."

"Carter, Joanne Carter."

Jo nahm in dem Sessel hinter dem Schreibtisch Platz und lehnte sich etwas zurück, während er sein Gegenüber einer knappen Musterung unterzog. Diese Frau schien noch ganz unter einer Art Schock zu stehen und war deshalb wohl etwas durcheinander. Was immer es auch gewesen war, das ihr so zugesetzt hatte - es konnte keine Kleinigkeit sein.

"Meine Mitarbeiterin hat mir gesagt, daß man Ihren Lebensgefährten erschossen hat", begann Jo, nachdem er bemerkte, daß es Joanne Carter schwer fiel, über die Sache zu sprechen und den richtigen Anfang zu finden.

Sie nickte. "So ist es", meinte sie. "Sein Name ist Walt Brannigan. Und der Mann, der ihn erschossen hat, war Polizist und hat selbst eine Kugel ins Bein gekriegt..." Sie atmete tief durch und Jo begann zu dämmern, um welche Sache es sich hier drehte. Indessen hob Joanne den Kopf und sah den Privatdetektiv offen an. "Vielleicht haben Sie in der Zeitung von der Sache gelesen. Walt hat in einer belebten Geschäftspassage wild um sich geschossen und dabei insgesamt fünf Menschen erschossen..."

Jo beugte sich etwas nach vorne.

"Sie meinen..."

"Er ist Amok gelaufen, daß wollten Sie doch sagen, nicht wahr? Ein Verrückter, der wild um sich ballert, der in seiner Verzweifelung oder seinem Wahn oder aus welchen Gründen auch immer so viele Menschen wie möglich mit sich in den Tod zu reißen sucht!" Sie wischte die Träne hastig beiseite, die sich unmerklich auf ihre Wange gestohlen hatte.

"Ich habe von der Sache tatsächlich gehört", meinte Jo. "Und soweit ich weiß, hatte der Polizist wohl keine andere Wahl..."

Sie nickte. "Ja, so denken alle darüber. Polizei, Staatsanwaltschaft, Presse und so weiter."

"Und was ist falsch daran?"

Sie schluckte. "Vielleicht nichts", murmelte sie dann. "Ich weiß selbst schon nicht mehr, was ich darüber denken soll. Ich weiß nur eins: Es gibt keinen Grund, weshalb Walt auf die Straße gehen und wahllos Menschen erschießen sollte!"

Jo zuckte die Achseln. "Aber er hat es doch getan, oder? Aus welchem Grund auch immer..."

Sie hob den Kopf und schien sich ihrer Sache auf einmal sehr sicher zu sein. "Walt und ich leben zusammen. Wahrscheinlich kennt ihn niemand besser als ich. Und ich sage Ihnen, die Vorstellung ist völlig absurd."

Jo musterte sie. Was sollte er dazu sagen? Es schien ihm, als wollte die Frau einfach die Realitäten nicht anerkennen. Walt Brannigan wäre nicht der erste Amokschütze gewesen, der seiner engsten Umgebung als völlig normal erschienen war. Bis zu dem bestimmten Tag, an dem es geschah.

"Sehen Sie, Miss Carter, man kann in den Kopf eines Menschen nicht hineinschauen. Und in den eines Toten schon gar nicht. Ich weiß nicht, warum Ihr Freund das getan hat - und wahrscheinlich wird es man es auch nie mehr erfahren."

"Er war Mitarbeiter eines erfolgreichen Ingenieurbüros. Ein erfolgreicher, dynamischer Mann. Er war gesund, er hatte eine glückliche Kindheit auf dem Lande und mit uns beiden lief es auch sehr gut. Sagen Sie mir, weshalb ein Mann durchdreht, in dessen Leben doch wirklich alles zu funktionieren scheint! Selbst sein Ferrari war abbezahlt!"

Jo überlegte. So, wie sie das sagte, klang das tatsächlich ein bißchen merkwürdig. Aber wahrscheinlich lag es einfach nur daran, daß sie beide zu wenig über Brannigan wußten. Jo fragte sich, wie er ihr schonend beibringen konnte, daß er wahrscheinlich nicht der richtige Mann für ihre Angelegenheit war. Vermutlich wandte sie sich besser an einen Psychologen.

Aber als er sie da so sitzen sah, brachte er es nicht über sich. Und so fragte er: "Vielleicht sagen Sie mir einfach mal, was ich für Sie tun soll und ich sage Ihnen dann, ob es im Bereich meiner Möglichkeiten liegt!"

Sie nickte. "Okay", meinte sie und versuchte ein Lächeln, das ihr aber gründlich mißlang. Die innere Anspannung war ihr nach wie vor deutlich anzusehen. "Ich will, daß Sie herausfinden, was wirklich geschehen ist."

"Das steht doch sicher im Polizeibericht - und in etwas öffentlichkeitswirksamerer Form in den Zeitungsartikeln. Ich weiß nicht, was meine Nachforschungen da noch sollen."

"Ich möchte wissen, was wirklich geschehen ist, Mister Walker. Das Ende der Geschichte, das steht im Polizeibericht, aber so etwas geschieht nicht aus heiterem Himmel! Das kann mir niemand erzählen!" Sie hielt einen Moment lang inne und der Blick ihrer dunklen Augen ruhte auf Jos Gesicht. "Werden Sie die Sache übernehmen? Wie gesagt: Ich bin bereit, tief in die Tasche zu greifen! Aber das ist es mir wert!"

"Ich kann Ihnen nichts versprechen, Miss Carter."

"Das weiß ich. Trotzdem, versuchen Sie etwas herauszufinden."

Jo nickte. Und damit hatte er sich entschieden. Er war sich nicht sicher, ob er diese Entscheidung nicht bald schon wieder bereuen würde. Jedenfalls hatte ein flaues Gefühl dabei.

"Hat Walt Brannigan vielleicht Drogen genommen?"

"Nein."

"Niemals?"

"Niemals. Ich hätte das gemerkt."

"Auch nicht irgend welche Aufputscher, um mehr Leistung zu bringen? Sie sagten, er war sehr erfolgreich. Manchmal..."

"Nicht Walt!" schnitt sie Kommissar X das Wort ab.

"Haben Sie sonst irgendeinen Verdacht? Dann sagen Sie ihn mir am besten gleich."

"Nein."

"Ich nehme an, die Leiche ist obduziert worden?"

"Ja, aber was sollte man außer den Kugeln, die Walt getötet haben, noch finden?"

Jo zuckte die Schultern. "Das hängt immer ein bißchen davon ab, wonach man sucht!"

"Davon verstehe ich nichts."

"Wenn Sie mir noch Ihre eigene Adresse und die des Ingenieurbüros geben könnten, bei dem Walt Brannigan beschäftigt war."

"Natürlich."

Jo reichte ihr Zettel und Kugelschreiber. Während sie schrieb, fragte er dann: "Woher kam die Waffe, mit der Ihr Freund herumgeballert hat?"

"Er hatte sie immer im Handschuhfach."

"Weswegen? Wurde er bedroht?"

Sie zuckte die Achseln. "Ich weiß es nicht. Aber ist das heut' zu Tage so ungewöhnlich? Die einen haben abgezählte dreißig Dollar in der Tasche, um bei einem Überfall nicht die ganze Brieftasche abliefern zu müssen, andere tragen Reizgas bei sich oder besuchen Kurse in Selbstverteidigung."

"Und Walt Brannigan hatte eben eine Pistole, meinen Sie."

"Ja."

"Hat er sie zuvor schon einmal gebraucht?"

"Nein, nie."

"Sind Sie sicher?"

"Ich bin sicher. Sie lag immer nur im Handschuhfach. Ich habe sie einmal per Zufall dort gesehen. Das war noch ganz zu Anfang, als wir uns kennenlernten."

"Die Waffe war immer geladen?"

"Das weiß ich nicht."

Jo nickte. "Gut", meinte er. "Ich werde versuchen, etwas herauszufinden. Vielleicht überlegen Sie sich noch einmal, ob Sie Ihr Geld wirklich zum Fenster herausschmeißen wollen oder..."

"Glauben Sie mir, ich weiß, was ich tue!" erwiderte sie bestimmt.

"Okay."

Sie erhob sich. "Ich werde mich bei Ihnen melden, Mister Walker!"

*




"BESONDERS AUFSCHLUSSREICH ist der Untersuchungsbefund von Brannigans Leiche ja nicht gerade..." meinte Jo an Captain Tom Rowland gewandt, während er die entsprechende Mappe auf den Tisch legte. "Warum hat man keine weitergehenden Analysen angestellt?"

Der korpulente Rowland war Leiter der Mordkommission Manhattan C/II und seit vielen Jahren Walkers Freund.

Rowland verschluckte sich fast an seinem Kaffee und blickte Kommissar X stirnrunzelnd an.

"Soll das etwa Kritik sein?"

"Nur eine Frage unter Freunden, Tom!"

Der Captain atmete tief durch und meinte dann: "Der Arzt meinte, daß das nicht notwendig sei. Und der Staatsanwalt war derselben Meinung. Die Sache liegt doch so glasklar auf der Hand, wie nur irgendetwas!"

"Erzähl mal."

"Er hatte keinen Alkohol im Blut und es gibt keine Indizien, die dafür sprechen, daß er drogensüchtig war. Warum sollte man ihn dann auseinanderschneiden?"

"Mag sein, Tom."

"Was soll der ganze Aufstand eigentlich, Jo? Ein Mann ist durchgedreht, das kommt öfter vor!"

"Seine Lebensgefährtin glaubt nicht daran."

"Wundert dich das?"

"Ein Mann, für den alles gut läuft, der erfolgreich im Beruf ist und in einer harmonischen Zweierbeziehung lebt - weshalb geht der auf die Straße und schießt wild um sich? Findest du das nicht ein bißchen seltsam?"

Rowland lachte heiser. "Ich bin zu lange in dem Job, um so etwas noch seltsam zu finden, Jo!"

"Du könntest veranlassen, daß Brannigans Leiche noch einmal untersucht wird."

"Und wonach soll man suchen?"

Job hob die Schultern. "Bin ich Arzt?"

Rowland erhob sich und kam auf die andere Seite seines Schreibtischs. "Hör zu, Jo, ich will dir mal ein paar Dinge über Brannigan erzählen!"

"Ich bin gespannt!"

"Sein Leben war keineswegs so glatt, wie diese Joanne Carter dir vielleicht glauben machen wollte." Der Captain zuckte mit den breiten Schultern. "Wahrscheinlich wußte sie es auch nicht besser. Sie kannte ihn ja kaum anderthalb Jahre..."

Jo hob die Augenbrauen. "Und was zum Beispiel wußte sie nicht?"

"Zum Beispiel, daß es vielleicht nicht das erste Mal war, daß Walt Brannigan durchdrehte."

"Wovon sprichst du, Tom?"

"Von einer Vergewaltigungsgeschichte, ist gut zweieinhalb Jahre her. Es war wohl nur ein Versuch, die Frau konnte sich in Sicherheit bringen."

"Wer war die Frau?"

"Nora Gaynor, eine Kollegin aus dem Ingenieurbüro, in dem Walt Brannigan tätig war." Rowland hob die Schultern. "Die Sache ist im Sand verlaufen. Du weißt ja, wie das ist, wenn Aussage gegen Aussage steht und nichts Handfestes vorhanden ist, das irgendetwas beweisen könnte."

Jo machte eine hilflose Geste. "Vielleicht hast du recht und ich jage einer Fata Morgana hinterher."

"Bestimmt. Und da ist übrigens noch etwas! Brannigan nahm seit einem halben Jahr Therapiestunden bei einem Psychologen."

"Weswegen?"

"Anfänge von Paranoia, Jo. Verfolgungswahn."

"Deshalb die Pistole!"

"So ist es. Er hatte sie immer im Handschuhfach liegen."

"Nahm er Medikamente?"

"Ja, Beruhigungsmittel. Aber nur in den Mengen, die ihm der Arzt verschrieben hat." Rowland seufzte. "Die Sache ist abgeschlossen, Jo. Und ich habe nicht die Absicht, den Aktendeckel noch einmal zu öffnen."

"Und eine weitere Untersuchung?"

"Wird es nicht geben. Die Leiche ist frei!"

"Liegt sie noch im Leichenschauhaus?"

"Ja, und wartet darauf, daß sie jemand abholt, um sie zu beerdigen. Warum bohrst du so hartnäckig in der Sache herum, Jo? Was glaubst du, könnte eine weitere Untersuchung bringen?"

Jo zuckte die Achseln. "Was weiß ich! Hinterher ist man immer schlauer! Aber stell dir mal vor, jemand hätte Brannigan etwas eingeflößt..."

"Etwas, daß ihn so wild macht, daß er um sich schießt? Brannigan war so gut wie abstinent! Die einzige Droge, die er in großen Mengen konsumierte, war Kaffee!"

"Und wenn es etwas war, wonach man nicht gesucht hat?"

Rowland machte eine wegwerfende Handbewegung. "Komm schon, jetzt fängst du an, dich lächerlich zu machen Jo! Bei aller Freundschaft!"

Jo lächelte dünn. "Ich weiß, Tom. Aber will diese Möglichkeit zumindest sicher ausschließen können, verstehst du?"

Rowland stellte geräuschvoll die Kaffeetasse auf den Tisch und schüttelte dann energisch den Kopf. "Ich kann die Sache nicht noch mal aufrollen und für eine Obduktion sorgen, nur weil eine Klientin von dir irgendeinen vagen Verdacht hat oder sich nicht erklären kann, wie aus dem netten, dynamischen Mann an ihrer Seite plötzlich ein Monster wird! Das ist ihr Problem und damit muß sie - fürchte ich - auch ganz allein fertig werden!"

*




JOANNE CARTER BEWOHNTE eine sicher nicht billige Wohnung in Midtown Manhattan. An der Tür war noch immer auch Walt Brannigans Name zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie es einfach noch nicht übers Herz gebracht, das Schild abzunehmen.

Als sie Jo Walker die Tür öffnete, schien sie im ersten Moment ein wenig verwundert zu sein.

"Sie, Mister Walker?"

"Ich dachte, ich schau mir mal, wie Walt Brannigan gelebt hat!"

"Kommen Sie herein!"

Jo nickte und trat in eine sachlich und sehr modern eingerichtete Wohnung.

"Was machen Sie eigentlich beruflich?"

"Ich habe einen Job in einem Makler-Büro."

"Immobilien?"

"Ja."

Jo sah sie an und meinte dann: "Ich will ganz offen sein: Bis jetzt habe noch nicht viel herausfinden können."

Sie zuckte mit den Schultern. "Das wäre wohl auch etwas zuviel verlangt."

"Die Leiche ist freigegeben. Wenn Sie wollen, dann gebe ich Ihnen die Adresse eines Bekannten, der früher bei der Gerichtsmedizin war und sich dann selbstständig gemacht hat." Jo zuckte die Achseln. "Ich habe schon ab und zu mit ihm zusammengearbeitet. Wenn wirklich etwas medizinisch Greifbares übersehen wurde, das die plötzliche Wandlung Ihres Freundes erklären könnte, dann wird er es finden! Von Polizei und Staatsanwaltschaft ist in der Hinsicht wohl nichts mehr zu erwarten. Der Fall gilt als abgeschlossen, und solange nicht neue Indizien vorgelegt werden, kann auch mein Freund Rowland von der Mordkommission da nichts machen."

Sie nickte. "Gut", meinte sie.

"Hat Brannigan noch Angehörige?"

"Nur seine Mutter, soweit ich weiß. Sie wohnt in Queens."

"Das ist ja sozusagen gleich um die Ecke. Kennen Sie sie?"

"Ja, wir verstehen uns großartig."

"Das ist gut. Reden Sie mit ihr, denn sie wird ein Wörtchen mitzureden haben, was die Leiche Ihres Freundes angeht. Wenn Sie beide verheiratet gewesen wären, wäre das etwas unkomplizierter."

"Das wird schon klappen", meinte sie zuversichtlich.

"Ich würde gerne Brannigans persönliche Sachen ansehen. Er wohnte hier zusammen mit Ihnen, nicht wahr?"

"Ja." Sie bewegte den Kopf ein wenig zur Seite. "Kommen Sie mit, Mister Walker. Das meiste, was Sie hier sehen, stammt von ihm. Er hat hier zuvor allein gelebt. Ich bin zu ihm gezogen, verstehen Sie?" Sie führte Jo zu Brannigans Schreibtisch. "Ich habe alles so gelassen", meinte sie.

"Hat sich die Polizei das angesehen?"

"Ja."

"Ist etwas mitgenommen worden?"

"Nein. Mit Ausnahme einer Packung Beruhigungspillen und dem dazugehörigen Rezept."

"Die Schublade hier ist abgeschlossen", stellte Jo fest. "Haben Sie den Schlüssel?"

Sie nickte. Dann drehte sie sich um und ging. Währenddessen wandte sich Jo dem Büroschrank zu, der nicht abgeschlossen war. Er bestand aus metallenen Laden, in denen jeweils Dutzende von Hängemappen zu finden waren. Es schien sich dabei vorwiegend um technische Zeichnungen und Entwürfe zu handeln. Dazu Notizen und Berechnungen. Für jemanden, der nichts davon verstand, wirkte das wie Chinesisch.

Jo öffnete die nächste Lade und schaute flüchtig in die Hängemappen. Eine war voll mit Quittungen, die Brannigan vermutlich für die Steuer gesammelt hatte, eine andere enthielt aus Zeitschriften herausgerissene Kochrezepte. Mitten dazwischen lag ein aufgeschlagenes Buch, in dem Brannigan offenbar sehr intensiv gelesen hatte. Jedenfalls waren Passagen mit einem grellgrünen Textmarker gekennzeichnet. Jo nahm das Buch heraus und warf einen Blick auf den nach hinten geknickten Umschlag. Angstneurosen - Ursachen, Diagnose und Therapie lautete der Titel. Offenbar ein populärwissenschaftlicher Taschenbuch-Ratgeber.

Indessen war Joanne mit dem Schlüssel zurück und gab ihn Jo. Der Privatdetektiv gab ihr dafür das Buch. "Walt Brannigan hatte psychische Probleme, nicht wahr?"

Sie sagte nichts. Sie nahm das Buch an sich, ohne einen Blick darauf zu werfen und nickte dann.

"Ja."

"Er war in Therapie. Ich nehme an, Sie wußten das."

"Wenn ich es Ihnen gesagt hätte, hätten Sie den Fall nicht übernommen, Mister Walker! Dann wäre die Sache für Sie genauso klar gewesen, wie für die Polizei!"

Jo zuckte die Achseln. "Wahrscheinlich haben Sie recht! Und vielleicht ist es noch nicht zu spät, um die Sache aufzugeben!"

"Mister Walker! Nur, weil jemand ein paar Probleme hat, muß er noch lange nicht zu einem Killer werden, der ohne jeden Grund auf irgendwelche Menschen schießt!"

"Paranoia ist nicht irgendein kleines Problem, Miss Carter!"

"Ich weiß. Aber Walt war nicht verrückt!" Sie seufzte. "Wie soll ich es Ihnen nur erklären?" stieß sie dann hervor. Unterdessen öffnete Jo die Schublade. "Walts Ängste hatten einen realen Hintergrund", erklärte Joanne Carter dann.

Kommissar X zog die Augenbrauen in die Höhe. "Ach, ja?"

"Vor acht Jahren ist Walt auf offener Straße überfallen worden. Er war zusammen mit einem Freund unterwegs, der dabei ums Leben kam. Die Mugger glaubten wohl, daß er irgendeinen Trick versuchen wollte und haben drauflos geschossen."

"Sie kennen die Geschichte nur aus Brannigans Erzählung, nehme ich an..."

"Was wollen Sie damit sagen? Es war ein traumatisches Erlebnis und seitdem hatte er auch die Waffe bei sich." Sie zuckte die Achseln. "Wir haben nicht oft darüber gesprochen. Es war Walt unangenehm und ich wollte nicht in der Wunde herumbohren."

"Bei wem war er in Therapie?"

"Bei einem gewissen Dr. Stanley. Aaron Stanley, glaube ich."

"Wenn Sie noch etwas wissen, erzählen Sie es mir besser. Von diesem Dr. Stanley werde ich es kaum erfahren. Der wird sich auf seine Schweigepflicht berufen!"

Sie nickte.

Jo sah sich den Inhalt der Schublade an. Er fand eine Straßenkarte von Vermont und einige zusammengerollte Bilder. Aquarelle und Kohlezeichnungen in verschiedenen Formaten.

Jo zeigte Miss Carter die Blätter. "Kennen Sie die?"

"Nein. Ich wußte gar nicht, daß er sich künstlerisch betätigte."

"Die Sachen sind datiert... Ungefähr jede Woche eins."

"Ich schätze, daß er sie während seiner wöchentlichen Therapie-Sitzungen gemalt hat", meldete sich nun Joanne zu Wort.

"Haben Sie nie mit ihm darüber gesprochen, was dort ablief?"

"Nein. Und das ist jetzt die Wahrheit. Er meinte, daß das allein seine Sache sei und er damit fertig werden müßte."

Einige der Bilder zeigten offenbar die Szene des Überfalls. Der tote Freund, die Mugger. Es war alles deutlich zu sehen.

Dann nahm sich Jo die Karte von Vermont vor. Eine Stelle war markiert.

"Was könnte das zu bedeuten haben?" fragte Jo.

"Keine Ahnung", kam die Antwort. "Vor ein paar Wochen war Walt mal in Vermont. Ich glaube, das muß etwas mit seiner Arbeit zu tun haben. Aber über den Job haben wir nie gesprochen. Das eine feste Regel in unserer Beziehung."

Zum Teufel mit dieser Regel! dachte Jo. Ohne sie wäre es vielleicht einfacher gewesen, in der Sache voranzukommen.

*




DAS INGENIEUR-BÜRO P. McGreedy war eine hervorragende Adresse im Brückenbau, wenn man den Informationen glauben schenken konnte, die Walkers Assistentin April über diese Firma eingeholt hatte.

Als Jo am nächsten Tag dort auftauchte und die Büros im fünfzehnten Stock eines an der Third Avenue gelegenen Turms sah, schien es nicht geringsten Anlaß zu geben, daran zu zweifeln.

Wer sich Geschäftsräume leisten konnte, die eine solche Top-Adresse hatten, der mußte sehr gut und sehr erfolgreich sein.

Ein Mann mit dunklem Teint und dünnem Oberlippenbart reichte Jo die Hand und zeigte ihm bei seinem geschäftsmäßigen Lächeln zwei Reihen blitzender Zähne. Dieses Lächeln war gut einstudiert. Aber es sagte nichts aus, sondern war reine Maske.

"Mein Name ist Hernandez. Ich nehme an, Sie kommen von Miller Inc. und wollen die Entwürfe sehen. Man hat mir schon gesagt, daß..."

"Mein Name ist Walker und ich komme nicht von Miller Inc.", unterbrach ihn Jo.

Jetzt erst schien Hernandez Jo etwas genauer anzusehen. Er runzelte für einen Moment die Stirn und meinte dann: "Macht ja nichts. Vielleicht kann ich Ihnen trotzdem weiterhelfen."

"In diesem Ingenieurbüro war ein Mann namens Brannigan tätig..."

Ein Schatten flog augenblicklich über Hernandez Gesicht. Seine aufgesetzte Freundlichkeit war wie weggeblasen.

"Was soll die Fragerei? Ich dachte, die Polizei hätte dieses leidige Kapitel endlich abgeschlossen!"

"Hat sie auch. Aber ich interessiere mich trotzdem dafür."

"Sie sind von der Presse, stimmt's? Machen Sie, daß Sie rauskommen!"

"Ich bin Privatdetektiv und ermittle im Auftrag von Brannigans Lebensgefährtin. Sie kommt über die Sache nicht so leicht hinweg!"

Herandez musterte Jo abschätzig von oben bis unten und meinte dann: "Um so schändlicher von Ihnen, daß Sie aus der Geschichte noch Geld zu machen versuchen!" Er verzog das Gesicht und versuchte damit, Verachtung zu signalisieren. Aber seine Maske funktionierte diesmal nicht so ganz. Es war nicht Verachtung Jo gegenüber, die Hernandez in erster Linie empfand. Da war noch irgendetwas anderes, das viel stärker war. Jo konnte es deutlich spüren.

"War Brannigan ein guter Ingenieur?" fragte Jo.

"Schon möglich!" knirschte Hernandez. "Wissen Sie was? Bei mir sind Sie an der falschen Adresse, wenn Sie etwas über Brannigan erfahren wollen."

"Haben Sie nicht zusammengearbeitet?"

"Ich hatte kaum Kontakt zu ihm."

"Mochten Sie ihn nicht?"

"Nein." Er atmete tief durch. "Und Ihre Fragerei mag ich genauso wenig!"

Plötzlich durchschnitt eine energische Frauenstimme die stickige Büroluft und ließ die beiden Männer herumwirbeln. "Darf ich vielleicht erfahren, worum es hier geht?" Die Frau war eine echte Schönheit. Das enganliegende Kleid zeichnete ihre perfekte Figur ziemlich genau nach. Sie hatte blondes, lockiges Haar, aber Jo schätzte, daß weder die Locken, noch die blonden Haare echt waren. Aber das machte nichts. Beides stand ihr hervorragend.

Hernandez wandte Jo noch einen recht giftigen Blick zu und ging dann wortlos davon. Kommissar X zuckte mit den Schultern, sah ihm kurz nach und wandte sich dann dem schönen Lockenkopf zu.

"Mein Name ist Walker. Ich Privatdetektiv und interessiere mich für die Walt Brannigan-Story."

Sie reichte ihm die Hand.

"Pamela McGreedy."

"Draußen steht P.McGreedy. Das sind Sie?"

"Sie sind nicht der erste, den das überrascht. Das zwanzigste Jahrhundert ist zwar fast zu Ende, aber wenn eine Frau behauptet, daß sie Brücken konstruieren kann, sind viele noch immer ziemlich skeptisch."

Jo lächelte dünn. "Aber der Firma P.McGreedy scheint es trotzdem recht gut zu gehen!"

"Wir arbeiten hart dafür." Sie musterte Jo, trat etwas näher an ihn heran und sagte dann in einem ganz anderen, viel weicheren Ton: "Sie sagten, Sie wären wegen Brannigan hier."

"So ist es."

"Kommen Sie in mein Büro. Ein paar Minuten habe ich für Sie!"

Wenig später waren sie allein und als Jo ihr gegenübersaß und so hinter ihrem Schreibtisch sitzen sah, konnte er das Gefühl nicht loswerden, daß sie es war, die etwas von ihm herauszubekommen versuchte.

"Sehen Sie, Mister Brannigan war einer unserer besten Leute. Sympathisch, sehr gewissenhaft. Es ist mir ein Rätsel, was da plötzlich in ihn gefahren ist!"

"Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?"

"An dem Tag, an dem er Amok lief. Das war vielleicht so gegen Mittag. Ich bin dann noch zu einer Baustelle hinausgefahren!"

"Ist Ihnen etwas an ihm aufgefallen?"

"Nein!" Sie schüttelte energisch den Kopf. "Er war wie immer. Für wen arbeiten Sie eigentlich? Für seine Lebensversicherung?"

"Ich wüßte nicht, daß Mister Brannigan eine hatte."'

"Wer dann? Seine Freundin?"

"Kennen Sie Miss Carter?"

Sie nickte "Ja, wir sind uns mal auf einer Party begegnet. Hören Sie, Mister Brannigan stand uns allen hier sehr nahe und die Sache hat mich persönlich tief getroffen..." Jo sah ihr gleich an, daß da noch etwas kommen mußte. Sie wollte auf etwas anderes hinaus, druckste noch ein paar Sekunden herum und beugte sich dann etwas vor: "Vielleicht könnten Sie mich über den Fortgang Ihrer Ermittlungen auf dem Laufenden halten! Meinetwegen gegen entsprechendes Honorar."

Jo lächelte dünn.

"Tut mir leid! Zwei Klienten in derselben Sache, das ist einer zuviel. So etwas mache ich aus Prinzip nicht!"

Sie setzte das charmanteste Lächeln auf, daß sie auf Lager hatte. "Keine Ausnahme möglich?"

"Nein."

Jo erhob sich. Die Unterhaltung nahm eine Richtung, die ihm nicht gefiel. "Ich werde vielleicht noch einmal vorbeikommen."

"Tun Sie das. Und vielleicht überlegen Sie sich mein Angebot noch einmal. Ich würde finanziell nicht kleinlich sein."

"Ich frage mich, warum es Ihnen so verdammt viel wert ist. Bauen Sie eigentlich auch Brücken in Vermont?"

Vielleicht eine halbe Sekunde lang stutzte sie. Dann blitzten ihre weißen Zähne bei einem Lächeln.

"Wir bauen überall Brücken, wenn uns jemand den Auftrag gibt!" erklärte sie, "Warum fragen Sie?"

"Nur so."

*




PAMELA MCGREEDY ATMETE tief durch, nach dem der athletisch gebaute Privatdetektiv den Raum verlassen hatte. Wir hätten uns unter anderen Umständen kennenlernen sollen! dachte sie, denn sie fand, daß er ein überaus attraktiver Mann war.

Aber so standen sie und Walker vielleicht auf verschiedenen Seiten... Abwarten! dachte sie, stand auf und ging zum Fenster um einen Blick hinab in das Gewimmel der Straßenschlucht zu werfen.

Als sie merkte, daß sich hinter ihr die Tür öffnete, drehte sie sich wieder herum. Es war Hernandez, der sich da in ihr Büro geschlichen hatte.

"Frank!"

"Was wollte dieser Schnüffler von dir?"

"Dasselbe wie von dir", gab Pamela kühl zurück und musterte den Mann mit dem dunklen Teint, dessen Gesichtsfarbe ein wenig blasser als üblich geworden war. Er hat keine Nerven! dachte Pamela. Dann stellte sie sachlich fest: "Er hat Vermont erwähnt."

"Was?" Hernandez' Kinnladen fiel herunter und er vergaß einige Augenblicke lang, seinen Mund wieder zu schließen. "Was bedeutet das, Pam?"

"Keine Ahnung."

"Und wie hat der Kerl davon erfahren?"

Pamela hob die Arme. Sie wirkte hilflos. "Ich weiß es nicht, Frank!"

Hernandez schluckte. Seine Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben. Er trat jetzt näher und baute sich vor Pamela auf. "Wir müssen etwas unternehmen!" meinte er.

"Nun verlier mal nicht gleich die Fassung, Frank! Wir wissen ja noch nicht einmal, wie viel dieser Walker überhaupt weiß..."

"Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie..."

"Hör zu, Frank! Ich bin hier der Boß! Für mich geht es um mindestens genausoviel, wie für dich!"

"Okay, okay..."

Hernandez hob beschwichtigend die Hände. Dann fuhr er sich mit einer fahrigen Geste durch das dunkle Haar. "Ob Brannigan vielleicht noch irgendwo Material über die Vermont-Sache hatte? Das würde erklären, weshalb dieser Walker bescheid wußte!"

"Wenn wir jetzt etwas tun, wecken wir vielleicht nur schlafende Hunde, Frank! Nimm einen Drink oder irgendetwas anderes, das dich beruhigt und sieh zu, daß du für unsere Firma ein bißchen Geld verdienst!"

*




"WIE KONNTE MAN SO ETWAS übersehen?" fragte Jo an Dr. Clifford gewandt. Clifford war ein erfahrener Mann, der fast zehn Jahre in der Gerichtsmedizin tätig gewesen war. Aber eine eigene Praxis brachte mehr Geld, als jede noch so gute Anstellung und so hatte er sich eines Tages doch noch selbstständig gemacht.

Dr. Clifford hob die Schultern.

"So etwas kann schon mal geschehen, Walker. Sie wissen doch, wie das an einem Tatort zugeht! Jede Menge Hektik. Und steht ein ungeduldiger Detective hinter dir und will alles mögliche wissen! Außerdem kann das, was an äußeren Anzeichen eventuell noch zu sehen war genauso gut auf die Beruhigungsmittel zurückzuführen sein, die Brannigan regelmäßig nahm."

"Aber für Sie gibt es keinen Zweifel?"

"So ist es. Walt Brannigan stand unter dem Einfluß einer synthetischen Droge. Vermutlich eine Injektion... Der kleine Einstich ist dem Gerichtsmediziner neben den schlimmen Schußverletzungen wohl nicht weiter aufgefallen. Mir ist das auch schon passiert. Wenn man eine Leiche mit mehreren Einschüssen vor sich hat, neigt jeder dazu, das Urteil schon im Kopf gefällt zu haben, bevor die Fakten da sind!"

"Kennen Sie das Zeug, das Sie bei ihm gefunden haben?"

"Nein. Aber das ist nicht verwunderlich. Diese Sachen werden heute in kleinen Labors gemixt. Am Computerschirm konstruiert man sich Moleküle mit annähernd beliebigen Eigenschaften. Die Behörden können die Stoffe kaum so schnell analysieren und verbieten, wie sie erfunden werden."

"War Brannigan süchtig?"

"Ganz ausschließen kann ich das nicht. Aber dann hätte ich größere Konzentrationen in den inneren Organen vermutet. Ich denke, daß er dieses Zeug noch nicht lange genommen hat, vielleicht sogar zum ersten Mal. Und dann ist da noch etwas."

Jo hob die Augenbrauen. "Nur raus damit."

"Er hat an Armen und Beinen Blutergüsse."

"Von denen stand auch etwas im Polizeibericht. Aber der Arzt hat es darauf geschoben, daß Brannigan erstens gestürzt ist, als man ihn erschoß und zweitens vielleicht jemand versucht hat, ihn festzuhalten."

Aber Clifford schüttelte den Kopf. "Der Arzt wußte ja auch nicht, daß Brannigan mit diesem Teufelszeug vollgepumpt war..."

"Und wonach sieht das Ihrer Meinung nach aus?"

"Er wurde festgehalten und hat sich gewehrt! Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß er sich die Spritze selbst gesetzt hat - so wie die Einstichstelle liegt. Meiner Ansicht nach gehört Brannigan dorthin, wo er gerade hergekommen ist. In die Gerichtsmedizin!"

*




DAS MEGA STAR WAR EIN Glitzerladen der Sonderklasse, kaum ein halbes Jahr alt und nichts für schmale Brieftaschen. Hier trafen sich Leute, die es geschafft hatten und sich in gepflegter, modern gestylter Atmosphäre amüsieren wollten.

Aber das Mega Star war auch ein Ort an dem synthetische Drogen umgeschlagen wurden. Die Drogenfahnder hielten noch still. Sie waren nicht an den kleinen Fischen interessiert, sondern wollten die großen Hintermänner.

Jo bestellte sich an der Bar einen Champagner. Die Flasche war sündhaft teuer, dafür war immerhin das Lächeln der wohlproportionierten Bedienung umsonst.

Jo saß eine Weile einfach nur da, nippte an seinem Champagner und beobachtete die Leute. Das flimmernde Laserlicht, die Musik... Das alles wirkte ermüdend und förderte nicht gerade die Konzentration. Und dann glaubte Kommissar X plötzlich, seinen Augen nicht mehr zu trauen!

Eine Sekunde lang war er sich nicht ganz sicher, aber im nächsten Moment traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Zwischen all den herausgeputzten Schickeria-Typen bewegte sich Pamela McGreedy mit der ihr eigenen Geschmeidigkeit. Sie hatte Jo noch nicht gesehen, und das war vielleicht auch besser so.

Pamelas Gesicht schien ziemlich ernst zu sein, fast angespannt. Besonders gut zu amüsieren schien sie sich nicht. Den einen oder anderen, der ihr begegnete, grüßte sie knapp. Sie war also nicht zum ersten Mal hier.

Schließlich ging sie zur Bar und sprach dort einen Mann an, dessen zurückgekämmtes Haar von der Pomade glänze, die er sich da hineingeschmiert hatte.

Was dann zwischen den beiden über die Bühne lief, war nichts anderes, als ein lupenreiner Deal. Und keiner von beiden machte sich die Mühe, es irgendwie zu verbergen. Warum auch?

Der Mann mit den Pomade-Haaren verdrückte sich dann ziemlich schnell, während Pamela McGreedy an der Bar blieb. Jo nahm seinen Champagner und ging zu ihr. Als sie ihn erkannte, schien sie nicht einmal besonders überrascht zu sein. Aber vielleicht konnte sie ihr Erstaunen auch nur besonders gut verbergen.

Jedenfalls hob sie die Augenbrauen und murmelte dann: "Welch eine Überraschung, Jo Walker! Ich habe Sie noch nie hier gesehen..."

"Ich war auch noch nie hier!"

Sie lächelte. "Beschatten Sie mich jetzt etwa?"

"Warum nicht?"

Sie zuckte die Achseln und lachte dann sogar. Schließlich meinte sie: "Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich über Walt Brannigan weiß."

"Ich bin inzwischen etwas schlauer geworden. Sie wollten es doch unbedingt wissen, wenn ich etwas herausgefunden habe."

"Haben Sie Ihre Meinung geändert?"

Jo grinste und zündete sich dabei eine Zigarette ab. "Ich sage es ihnen sogar umsonst, Miss McGreedy! Aber vielleicht sollten Sie erst einmal etwas von dem Zeug nehmen, daß Sie gerade von Kerl mit den fettigen Haaren gekauft haben."

Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich jetzt deutlich. Sie war ärgerlich, machte aber dann doch gute Miene zum bösen Spiel. Das hatte sie in ihrem Job gelernt. "Wollen Sie auch etwas, oder warum fragen Sie?"

"Danke, nein."

"Sehen Sie, es geht in meiner Branche ziemlich hart zu. Wenn man nicht aufpaßt ist man schneller weg vom Fenster, als man sich das in den schlimmsten Alpträumen vorstellen kann." Ihre Züge wurden jetzt weicher. Ein Lächeln stand plötzlich in ihrem Gesicht und umspielte ihre vollen Lippen.

"Brannigan war vollgepumpt mit einem solchen Muntermacher."

Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. "Ach, wirklich? Um ehrlich zu sein: Das Gegenteil hätte mich mehr überrascht!"

"Vielleicht hat er es nicht freiwillig genommen", murmelte Jo wie beiläufig.

Sie verengte ein wenig die Augen. "Was soll das heißen?"

"Das soll heißen, daß es Anzeichen dafür gibt, daß Brannigan das Zeug gewaltsam verabreicht, und er dann hinter das Steuer seines Wagens gesetzt wurde."

"Warum sollte jemand so etwas tun?" Jo spürte ihre innere Unruhe jetzt sehr deutlich.

"Um ihn zu töten. Wenn man mit so einer Dosis am Steuer sitzt, ist ein Unfall praktisch vorprogrammiert."

"Aber Walt Brannigan hatte keinen Unfall, Mister Walker!"

"Er ist nicht weit gefahren. Jeder reagiert anders auf diese Substanzen. Brannigans Mörder konnte nicht damit rechnen, daß sein Opfer unter einem Trauma litt und immer eine Pistole im Handschuhfach hatte..."

Pamela sah Jo nachdenklich an und meinte dann: "Sie scheinen wirklich zu glauben, was Sie da sagen!"

"Das ist noch nicht alles", fuhr Jo fort. "Das Zeug, das man bei Brannigan gefunden hat ist noch nicht lange auf dem Markt. Dreimal dürfen Sie raten, wo zum ersten Mal aufgetaucht ist!"

"Na, wo schon! Hier in diesem Laden vielleicht?"

"Ja."

Sie zuckte mit den Achseln, als würde sie das nicht weiter interessieren. Aber das Gegenteil war der Fall, Jo konnte es ihr deutlich anmerken. "Es gibt hier öfter mal etwas Neues", meinte sie wie beiläufig dazu. "Und das in jeder Beziehung." Sie hob das Glas und stieß mit Jo an.

"Wer hätte ein Motiv gehabt, um Brannigan umzubringen?"

"Sie nehmen den unwahrscheinlichsten Fall an, Mister Walker. Ich glaube nicht an Mord."

"Das ist inzwischen keine Glaubensfrage mehr, Miss McGreedy."

"Nennen Sie mich Pam, so wie alle anderen. Und lassen Sie uns um Gottes Willen jetzt über etwas anderes reden!" Sie trank ihr Glas aus und ließ es sich Barmixer wieder auffüllen.

"Was ist mit Hernandez?"

"Was soll mit ihm sein?"

"Er schien nicht gut auf Brannigan zu sprechen gewesen zu sein. Warum eigentlich?"

"Rivalitäten gibt es in jeder Firma. Brannigan war immer ein bißchen besser als er, das konnte er nicht vertragen. Hernandez ist Latino und glaubt immer, daß er deshalb benachteiligt würde. Aber das ist Unfug - zumindest, was unsere Firma angeht."

"Bei Ihnen gibt es auch eine gewisse Nora Gaynor, nicht wahr?"

"Von der Geschichte wissen Sie also auch schon. Sie scheinen gut in Ihrem Job zu sein."

"Ich tue mein Bestes."

"Nora arbeitet nicht mehr bei uns. Nachdem ihre Vergewaltigungsanklage gegen Brannigan fallengelassen wurde, hat sie gekündigt."

"Und was war dran an der Sache?"

Pamela zuckte die Achseln. "Keine Ahnung, was wirklich dahinter steckte. Brannigan hatte ein Alibi. Er war auf einer Feier und wurde von zwei Dutzend Menschen zu genau der Zeit gesehen, als er angeblich versucht haben soll, über Nora herzufallen." Sie trat etwas näher an Jo heran und meinte dann: "Geben Sie die Sache auf! Sie sind auf dem Holzweg."

"Es wundert mich, daß Sie da so sicher sind!"

"Ihr Ton gefällt mir nicht, Jo! Verdächtigen Sie am Ende vielleicht sogar noch mich?"

"Was wäre, wenn sich herausstellt, daß Sie haargenau denselben Stoff nehmen, der aus Walt Brannigan einen Berserker machte?"

Sie nestelte etwas an Jos Jackenrevers herum und meinte dann kühl: "Irgendwie schmeckten die Drinks hier auch schon einmal besser!" Dann stellte sie ihr Glas auf den Tresen und ging wortlos davon. Jo blickte ihr und fragte sich, was für eine Rolle sie in Bezug auf Brannigan wirklich gespielt hatte. Jedenfalls sagte sie ihm nicht alles, was sie wußte.

Jo trank sein Glas aus und sah dann den Pomade-Mann sich zwischen den Leuten hindurchschlängeln. Seinem Gesichtsausdruck zu Folge liefen seine Geschäfte nicht eben schlecht.

Kommissar X beobachtete ihn eine ganze Weile lang, Dann verschwand der Kerl schließlich durch einer Tür, durch die es zum Notausgang und zu den Toiletten ging.

Vielleicht war das eine Gelegenheit, sich mal ein bißchen mit ihm zu unterhalten. Selbst, wenn er das Zeug, das Dr. Clifford in Brannigans Leiche gefunden hatte, nicht selbst verdealte, wußte er vielleicht, woher es kam.

Jo ging ihm nach und kam durch einen engen, kahlen Flur.

Bei den Türen, die zu den Toilettenräumen führte, blieb er kurz stehen. Jemand betätigte eine Spülung und einige Sekunden später kam der Pomade-Mann aus einer der Kabinen heraus und zog dabei noch den Reißverschluß seiner Hose zu.

Als er Jo in der Tür stehen sah, erstarrte er unwillkürlich und unterzog den Privatdetektiv einer knappen Musterung. Dann ging der Dealer zum Waschbecken, um sich die Hände zu Waschen. Über den Spiegel behielt er Jo dabei ständig im Auge.

"Was gibt es zu glotzen?" knurrte er.

"Du verkaufst hier Sachen zum Muntermachen, nicht wahr?"

"Bist du ein Bulle?"

"Keine Sorge", wehrte Jo ab.

Der Pomade-Mann drehte sich herum. Er trug ein ziemlich weites Jackett, aber als er sich eines der Einweg-Handtücher griff, konnte Jo deutlich die Ausbuchtung unter der Achsel sehen. Vielleicht ein Schulterholster.

"Du hast aber diesen Ton!" zischte der Pomade-Mann Kommissar X an.

"Dann hast du dich eben verhört. Ich will mich nur ein bißchen mit dir unterhalten..."

Der Pomade-Mann schien ziemlich mißtrauisch zu sein, was in seiner Branche auch sicher angebracht war. Jedenfalls griff er blitzschnell unter sein Jackett. Jo hatte diese Bewegung vorausgeahnt und so war er vorbereitet, als sein Gegenüber einen Augenblick später mit dem kurzen Lauf eines 38er Revolvers auf den Privatdetektiv zeigte.

Aber Jos Reaktion war blitzschnell.

Er ließ den Fuß hochschnellen und kickte dem Dealer die Waffe aus der Hand. Sie fiel geräuschvoll gegen eine der leichten Kunststoffwände, die die einzelnen Toilettenkabinen voneinander trennten und hinterließ dort ein paar Kratzer.

Nur den Bruchteil eines Augenblicks verging, da hatte Jo den Pomade-Mann am Kragen gepackt und grob gegen die Wand gedrückt. Ohne Revolver in der Hand, schien er sich nicht zu trauen, etwas gegen Jo zu unternehmen, denn körperlich war er dem Detektiv unterlegen.

Blitzschnell durchsuchte Jos Linke die Taschen des Mannes. Er fand einen Führerschein auf den Namen Arnold Parker, ein Springmesser und natürlich das Stoffsortiment. Das Springmesser nahm Jo an sich, den Rest beließ er dem Kerl.

"Worum geht es?" knirschte Parker. "Wenn du nicht zu den Bullen gehörst, bist du wahrscheinlich einer von Buzzatis Bluthunden!"

Wahrscheinlich die Konkurrenz! dachte Jo. "Hör zu!" sagte der Privatdetektiv dann. "Was du hier treibst, interessiert mich nicht sonderlich, aber ich kann dir eine Menge Schwierigkeiten machen!"

"Was willst du?"

"Eine Auskunft!"

"Schieß los!"

"Hast du zufällig etwas Neues in deinem Angebot?"

Er verzog das Gesicht. "Ich habe immer das Allerneuste. Was soll die Frage?"

"Es geht um eine Substanz, die mit der Abkürzung DSE bezeichnet wird!"

"Diese Sachen haben viele Namen!"

"Ja, aber mit dieser Substanz ist ein Mann vollgepumpt und dann hinter das Steuer seines Wagens gesetzt worden!"

"Keine Ahnung, was du meinst." Er wandte das Gesicht ab.

"Du hast sicher davon gehört!"

"Glaube ich nicht!"

"Es geht um den Amokläufer, der in einer Geschäftspassage fünf Menschen umgebracht hat!"

"Damit habe ich nichts zu tun!"

Jo packte ihn fester.

"War Walt Brannigan ein Kunde von dir?" In dieser Beziehung mußte Jo sicher gehen.

"Ich kenne die Namen meiner Kunden nicht...", erwiderte Parker schwach.

Jo ließ ihn los und zog ein Foto hervor. Parker warf einen kurzen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf. "Kenne ich nicht."

In der nächsten Sekunde bemerkte Jo mit den Augenwinkeln eine blitzschnelle Bewegung. Ehe er ausweichen konnte, war es auch schon zu spät. Ein harter Schlag traf ihn am Kopf und er taumelte zurück. Ein Tritt vor den Solar Plexus raubte ihm für den Bruchteil eines Augenblicks die Luft und ließ ihn zu Boden gehen. Dem nächsten Tritt konnte er gerade noch dadurch ausweichen, daß er sich auf den glatten Fliesen herumdrehte.

Jo sah ein paar klobiger Stiefel. Als er aufblickte, grinste ihn ein sommersprossiges, breites Gesicht an. Am Kinn war eine Narbe, die einen kleinen Halbkreis bildete. Die rotblonden Haare waren kurzgeschoren und zeigten steil nach oben.

Walker war alles andere, als ein kleiner Mann, aber dieser Kerl überragte ihn noch um einen halben Kopf.

Er fletschte die Zähne und blieb dann wie eine versteinerte Drohung stehen. "Was wollte dieser Wurm?" fragte er an Parker gewandt.

Parker ging indessen ein paar Schritte, nahm seine Pistole wieder an sich und zupfte sich dann sein Jackett glatt. "Dürfte sich erledigt haben, Bill."

"Einer von Buzzatis Leuten?" fragte der Rothaarige.

Parker zuckte mit den Achseln. "Alles andere wäre unlogisch, was immer der Kerl auch behauptet. Er wollte wissen, woher wir das neue Zeug haben." In Parkers Gesicht zeigte sich so etwas wie Triumphgefühl, als er Jo noch eines letzten Blickes würdigte. "Buzzatti will uns wahrscheinlich von unserer Quelle abschneiden..." Er lachte heiser und auf eine Weise, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. "Aber das ist die Hose gegangen! Wir werden in Zukunft etwas mehr aufpassen müssen!"

"Was soll ich mit dem Kerl machen?" fragte der rothaarige Bill. "Umlegen?"

Unter seiner Jacke holte er eine Pistole mit Schalldämpfer hervor.

Einen Moment lang schien alles in der Schwebe zu hängen. Parker wandte sich ab, ging drei Schritte zur Tür und blieb dann stehen, ohne sich umzuwenden.

Jo erwog indessen, blitzschnell unter sein Jackett zu greifen und die Automatic herauszureißen. Aber es war zu bezweifeln, daß er schnell genug sein würde. Der rothaarige Riese beobachtete ihn äußerst aufmerksam. Nicht die geringste Anspannung von Walkers Muskeln und Sehnen schien ihm zu entgegen.

"Umlegen macht nur Komplikationen!" meinte Parker kalt. "Du kannst ihn ein bißchen vermöbeln, so daß er für einige Wochen im Krankenhaus liegt und wir Ruhe vor ihm haben!" Parker strich sich mit der Rechten durch seine glänzenden Haare und ging dann davon.

Die Augen des Rothaarigen musterten Jo indessen kühl. Parkers Schritte verhallten im Flur. Er schien zur Hintertür hinauszugehen.

Aber dann war da noch ein Geräusch. Es kam von der Bar her. Jemand schien eine Tür zu öffnen und den Flur entlangzugehen.

Für einen sehr kurzen Augenblick war der rothaarige Bill nicht hundertprozentig bei der Sache. Jo riß die Automatic aus dem Schulterholster und rollte sich erneut auf dem Boden herum, während der nervöse Finger seines Gegenübers abdrückte. Bills Pistole machte 'plop!' und das Projektil kratzte dicht neben Jo an den Fußbodenfliesen. Aber als der Kerl dann in den Lauf von Jos Automatic blickte, er- starrte er. "Keine Bewegung!" zischte Jo. "Die Waffe auf den Boden!"

Die Pistole klackerte auf die Fliesen und in Bills Gesicht stand die stumme Frage, weshalb sein Gegenüber ihn nicht gleich umgelegt hatte. Er selbst hätte umgekehrt sicher nicht gezögert. Dann kam ein Mann in den Toilettenraum. Anfang sechzig, graues, schütteres Haar, ein Anzug für tausend Dollar. Er blickte auf, als er einen Schritt durch die Tür gemacht hatte, runzelte die Stirn und begriff zu spät, was hier gespielt wurde. Bill hatte ihn schon gepackt und ihn mit einer ruckartigen Bewegung wie einen Schutzschild vor seinen Körper gezogen.

Jo hätte sich zugetraut, Bills Kopf zu treffen. Aber das war es nicht wert. Er sah die Angst in den Augen grauhaarigen Mannes. Bill war vermutlich ohnehin nur ein Handlanger. Und Arnold Parker, der vielleicht etwas wußte, war sicher schon über alle Berge.

Bill schleifte den Grauhaarigen hinaus den Flur, gab ihm dann einen Stoß und warf ihn Jo entgegen. Gleichzeitig setzte der Gorilla zu einem Spurt an. Jo fing den Mann im Tausend-Dollar-Anzug auf, was ihn wertvolle Sekunden kostete. Die Tür zum Hinterausgang wurde geöffnet und wieder zugeschlagen.

"Was ist hier eigentlich los?" fragte der Grauhaarige, nachdem er zweimal tief durchgeatmet hatte. Jo steckte seine Waffe weg.

"Vergessen Sie's", meinte Kommissar X zähneknirschend.

*




JOANNE CARTER RUNZELTE die Stirn, als sie mit den übervollen Einkaufstüten im Arm vor ihrer Wohnungstür stand und feststellen mußte, daß sie einen Spalt weit geöffnet war.

Die Tür war aufgebrochen worden und es versetzte Joanne einen Stich, als sie erkannte, was bedeutete. Jemand hatte bei ihr eingebrochen.

Innerlich fluchte sie. Mir bleibt im Moment auch nichts erspart! ging es ihr wütend durch den Kopf. Aber zum Glück hatte sie kaum Wertsachen in der Wohnung. Für das, was wirklich wichtig war, hatte sie ein Bankschließfach.

Aber das tröstete sie nicht wirklich.

Mit dem Fuß öffnete sie die Tür ganz und ging hinein.

Es mußte ein sehr rücksichtsvoller Einbrecher gewesen sein. Jedenfalls schien es auf den ersten Blick so, als hätte er kaum Unordnung gemacht.

Joanne stellte die Einkaufstüten im Flur ab. Eine Sekunde lang dachte sie daran, daß der Täter vielleicht in der Wohnung war. Sie lauschte, hörte aber nichts.

Sie würde trotz allem die Polizei verständigen. Das Telefon stand im Wohnzimmer, also ging sie auf direktem Weg dorthin. Sie nahm den Hörer ab und wählte die Notruf-Nummer. Während Sie wenig später einem Beamten vom Einbruchsdezernat zu schildern versuchte, was geschehen war, fiel ihr Blick auf Walt Brannigans Schreibtisch und seinen Büroschrank.

Das war es also gewesen, was der Einbrecher gesucht hatte. Dort war alles durchwühlt. Und dennoch - das Chaos hielt sich Grenzen. Wer immer auch hier gewesen war - er hatte ganz genau gewußt, was er wollte. Für den vergoldeten Füllfederhalter auf dem Schreibtisch hatte er sich zum Beispiel überhaupt nicht interessiert.

"Wir werden jemanden bei Ihnen vorbeischicken!" sagte die gestreßt klingende Männerstimme am Telefonhörer.

"Tun Sie das!" erwiderte Joanne und legte auf.

Sie atmete tief durch und wandte ein wenig den Kopf. Dann ließ ein Geräusch sie erstarren. Namenloses Entsetzen hatte auf einmal von ihr Besitz ergriffen. Mit den Augenwinkeln sah gerade noch etwas wie eine schemenhafte Gestalt und eine Bewegung.

Sie hob schützend die Hand, aber es ging zu schnell.

Der Schlag war wuchtig genug, um sie hart zu Boden schlagen zu lassen. Mit dem Kopf kam sie dabei gegen die harte Kante des niedrigen Wohnzimmertisches. Einen Moment lang war sie wie weggetreten. Ihr war schwarz vor den Augen. Schwindel erfaßte sie. Alles begann sich zu drehen, während ihre Rechte den Kopf berührte. Dunkel nahm sie wahr, daß sie aus einer Wunde blutete.

Sie wollte sich herumdrehen und erheben, aber bevor es soweit war, kam der zweite Schlag.

*




JOANNE CARTER ÖFFNETE die Augen. Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie Jo Walker sah. Sie lag in einem Krankenhausbett und hatte einen dicken Verband um den Kopf.

"Wie geht's ihnen?" fragte Jo.

"Den Umständen entsprechend", meinte sie. "Der Arzt meinte, ich hätte Glück gehabt. Wenn der Kerl etwas fester zugeschlagen hätte, würden wir uns jetzt nicht mehr unterhalten können. Ich werde wohl noch eine ganze Weile hier in dieser Klinik bleiben müssen."

Jo nickte.

"Sind Sie sicher, daß es ein Mann war?"

Sie zuckte mit den Schultern und versuchte sich aufzurichten, blieb aber doch in Kissen. Sie stöhnte etwas und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf. "Mein Schädel hat, glaube ich, in meinem ganzen Leben noch nicht so gebrummt! Ich hoffe, das geht irgendwann wieder vorbei!"

"Bestimmt."

Sie seufzte. "Um ehrlich zu sein, Mister Walker: Ich habe nicht viel von dem Täter gesehen. Die Leute vom Einbruchsdezernat waren auch schon hier, um mich zu befragen. Ich konnte ihnen leider nicht weiterhelfen..."

"Aber Sie sind sich sicher, daß es ein Mann war?"

Sie sah Jo etwas hilflos an. "Ich nehme es an", meinte sie. "Hängt der Einbruch mit Walts Tod zusammen?"

Jo nickte entschieden. "Das könnte durchaus sein. Seine Unterlagen sind das einzige, an dem der Täter interessiert gewesen ist."

"Wie reimen Sie sich das zusammen, Mister Walker?"

"Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht genau, was fehlt. Mit einer Ausnahme. Da war eine Karte von Vermont..."

Sie nickte. "Ich erinnere mich."

"Sie haben sie nicht irgendwohin getan?"

"Nein. Sie müßte dort liegen, wo Sie sie hingelegt haben, Mister Walker!"

"Dann hat sie der Einbrecher mitgenommen."

"Und warum?"

"Eine gute Frage. Hatte Ihr Freund in letzter Zeit in Vermont zu tun?"

"Vor einiger Zeit war er mal für zwei Tage dort."

"Hatte das mit seiner Arbeit im Ingenieur-Büro zu tun?"

"Ja. Jedenfalls hat er das gesagt. Die Sache hat ihn eine Weile ziemlich beschäftigt. Ich erinnere mich jetzt, daß er zwei Nächte über seinen Berechnungen gesessen hat."

"Worum ging es?"

"Ich habe ihn nicht gefragt. Warum auch? Für mich waren das alles nur Hieroglyphen, aber ich konnte mir ja denken, daß es um eine Brücke gehen mußte. Es war auch nicht das erste Mal, daß Walt Arbeit mit nach Hause genommen hat..."

Eine Schwester kam herein. Das charmante Lächeln verschwand augenblicklich, als sie Walker sah. "Miss Carter ist heute schon einmal befragt worden", stellte sie mit einem sehr bestimmten Unterton fest. Sie hatte ihre schlanken Arme in die geschwungenen Hüften gestemmt und wirkte sehr entschlossen. "Ich muß Sie bitten zu gehen, Lieutenant!"

Jo grinste. So schnell, konnte man zum Polizei-Lieutenant aufsteigen. "Eine Frage noch, Miss Carter: Sagt Ihnen der Name Arnold Parker etwas?"

Joanne überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf.

"Nein. Nicht das ich wüßte."

"Wie ist Ihre Dienstnummer?" forderte die Schwester indessen. "Ich werde mich bei Ihren Vorgesetzten über Sie beschweren."

"Tun Sie das ruhig!" lächelte Jo.

*




WÄHREND JO HINTER DEM Steuer seines champagnerfarbenen 500 SL saß, meldete sich April von der Agentur aus.

"Ich hoffe du hast gute Nachrichten!" meinte Jo.

"Ich habe etwas herumtelefoniert, Jo. Rutland, Vermont, so war der Name des Ortes, den Brannigan angekreuzt hatte."

"Es gibt nicht viele größere Städte in Vermont", erwiderte Jo. "Ich habe nur kurz hingesehen, aber ich glaube nicht, daß ich mich täusche."

"Die Firma P.McGreedy ist jedenfalls für eine Brückenkonstruktion in Rutland verantwortlich... Ich bin zwei Dutzend Stadtverwaltungen in Vermont durchgegangen, aber es scheint das einzige Projekt von McGreedy in diesem Staat gewesen zu sein. Doch die Brücke steht seit acht Jahren!"

"Das ist wirklich interessant!" meinte Jo. "Ich frage mich, was Walt Brannigan bei einer Brücke zu suchen hatte, an der wohl kaum noch gebaut wurde..."

Eine Viertelstunde später stellte Jo seinen Wagen in der Nähe von Pamela McGreedys Privatadresse in Greenwich Village ab. Es war jetzt halb sechs. Pamela würde vermutlich bald nach Hause kommen und dann würde sie sich ein paar Fragen von Jo gefallen lassen müssen.

Wen jemand in Brannigans Unterlagen herumgewühlt und nur bestimmte Sachen mitgenommen hatte, dann gestattete das nur eine Schlußfolgerung: Der Täter war ein Fachmann. Jedenfalls, was Brücken anging, nicht so sehr, was den Einbruch betraf, denn der Trug alles andere als die Handschrift eines Profis. Die Tür war mit einem Stemmeisen geknackt worden. Plumper ging es kaum noch.

Jo hatte die Tür gerade zugeschlagen, da hörte er hinter sich eine ziemlich unfreundliche Stimme.

"Können Sie nicht lesen!" rief ein Mann aus einem Buick heraus. "Ich bin Arzt, das da vorne ist mein Parkplatz! Was glauben Sie, was passiert wenn es einen Notfall gibt und ich erst um drei Häuserblocks laufen muß, um zu meinem Wagen zu kommen! Dann tragen Sie die Verantwortung!"

Jo hob beschwichtigend die Hände. "Ist ja gut!" meinte er. "Ich fahre ein Stück weiter!"

Aber der Mann beruhigte sich noch lange nicht. Er schien wirklich sehr ärgerlich zu sein. "Es ist immer dasselbe! Und immer sind es Leute wie Sie, mit dicken Karossen! Sie glauben wohl, daß die Straße Ihnen gehört! Mercedes, BMW, letztens sogar ein blauer Ferrari!"

Jo hatte schon die Hand an der Fahrertür seines SL gehabt, jetzt ging er um den Buick herum zu dem heruntergekurbelten Fenster. Der Mann schien wirklich Arzt zu sein. Auf seinem Beifahrersitz war seine halb geöffnete Tasche aus der ein Stethoskop herausschaute. Daneben eine Packung mit Einweghandschuhen.

"Sagten Sie gerade etwas von einem blauen Ferrari?"

Ferraris waren nicht gerade ein Auto für Jedermann. Aber Walt Brannigan hatte einen gefahren. Einen, mit derselben Farbe. Blau.

"Was soll das? Machen Sie nun Platz und stellen Ihre verdammte Angeber-Karre woanders hin oder muß ich Sie erst abschleppen lassen?"

Jo hielt ihm seine Lizenz unter die Nase und meinte dann: "Es ist sehr wichtig, Mister! Es geht um Mord! Ich suche mir einen anderen Parkplatz, aber sagen Sie mir, wann Sie hier einen blauen Ferrari gesehen haben!"

Er atmete tief durch.

"Meine Praxis ist im zweiten Stock. Kommen Sie dort hin, dann reden wir weiter!"

Jo nickte. "Okay."

*




"DER FERRARI IST AM Zwölften dieses Monats hier gewesen", berichtete der Arzt, an dessen Praxis-Tür der Name Max Jeffers stand. "Ein Dienstag... Ich hatte schon den Abschleppwagen bestellt, aber als der eintraf, war der Wagen weg. Die Nummer habe ich mir auch aufgeschrieben." Der Zwölfte! durchzuckte es Jo. Das war der Tag gewesen, an dem Walt Brannigan Amok gelaufen war.

"Um wie viel Uhr war das?"

"Halb fünf, glaube ich. Warten Sie..." Er blätterte in seinem Terminkalender herum. "Ich mußte zu einem Notfall. Ein Kind mit Blinddarmreizung. Ich bin raus zu meinem Wagen und der Kerl hatte mich zugestellt, so daß ich weder vor noch zurück konnte!"

Also war Walt Brannigan vor seinem Amoklauf noch bei Pamela McGreedy gewesen. Und Pamela konsumierte vermutlich dasselbe Zeug, das aus Brannigan einen Berserker gemacht hatte...

"Ich danke Ihnen sehr", meinte Jo und wandte sich zum Gehen.

Dr. Jeffers blickte auf und fragte dann: "Was hat der Kerl denn verbrochen?"

"Er lebt nicht mehr", erwiderte Jo.

*




ALS JO WENIG SPÄTER Pamela McGreedys Wohnungstür erreichte, kam ihm jemand entgegen, den er sehr wohl kannte. Es war Frank Hernandez, dessen Gesicht ein bißchen die Farbe verlor, als er Jo sah. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.

"Was machen Sie denn hier, Walker? Sie können das Schnüffeln nicht lassen, was?"

Jo grinste schief.

"Was dagegen?"

"Wie man's nimmt!" Hernandez' Augen verengten sich ein wenig. Er musterte Jo abschätzig und ging dann wortlos an ihm vorbei. Er hatte kaum drei Schritte hinter sich gebracht, da ließ ihn Jos Stimme herumfahren.

"Was glauben Sie, weshalb jemand eine Landkarte von Vermont stehlen könnte, die man an jeder Tankstelle bekommen kann?"

Frank Hernandez schien wie vom Blitz getroffen. Er wollte etwas sagen, aber die Worte blieben ihm buchstäblich in der Kehle stecken.

Jo kam einen Schritt auf ihn zu. Er wußte nicht, was er getroffen hatte, aber es mußte etwas sein.

"Was soll die Frage?" knurrte er dann.

"Es wird Sie wohl kaum überraschen, daß in Brannigans Wohnung eingebrochen wurde..."

"Keine Ahnung, wovon Sie sprechen..."

Jo zuckte die Achseln. "Irgendwie kann ich daran nicht so recht glauben..."

Hernandez hob den drohend den Zeigefinger. In seinen Augen funkelte es böse. "Wollen Sie mir irgendetwas unterstellen? Oder was soll das Ganze?"

"Warum verlieren Sie denn gleich die Nerven?"

Es lag Hernandez wohl noch etwas auf den Lippen, aber er verkniff es sich. Er ging wortlos den Flur entlang und Jo wandte sich Pamelas Wohnungstür zu.

Er mußte dreimal klingeln, ehe sie öffnete. Sie trug Jeans und einen ziemlich knappen Pullover. Aber sie sah darin genauso hübsch aus wie im formellen Büro-Dress. Sie war einfach eine ungewöhnlich attraktive Frau. Und eine Lügnerin, und zwar gar keine schlechte.

Sie schenkte Jo ein entzückendes Lächeln, als sie ihm öffnete.

"Jo Walker! Das ist eine Überraschung!"

"Wirklich?"

"Kommen Sie herein! Ich hatte nicht damit gerechnet, daß Sie meine Privatadresse in Ihre Ermittlungen mit einbeziehen." Sie zuckte die Schultern. "Aber ich habe auch nichts dagegen. Wollen Sie etwas trinken?"

"Das, was Sie mir zuletzt eingeschenkt haben, war jedenfalls nicht reiner Wein!"

Jo ging hinter ihr her in die Wohnung. Als sie dann wieder ansah, war ihr keine Reaktion anzusehen. "Wovon sprechen Sie, Jo?"

"Davon, da Sie mich angelogen haben."

"Jo, ich..."

"Kurz bevor Walt Brannigan Amok lief, war er noch hier. Das ist sicher. Seine Ferrari hat da unten am Straßenrand einen Arzt zugeparkt, der ziemlich sauer war. Und ich wette mit Ihnen, daß Sie im Umkreis einer Meile der einzige Mensch ist, den er hier kannte!"

"Ich hatte gehofft, Sie wären einfach nur so hier..."

"Was wollte Brannigan kurz vor seinem Amoklauf hier?"

"Finden Sie es so ungewöhnlich, daß man sich nach Büroschluß noch auf eine Tasse Kaffee trifft?"

"Der Kaffee scheint ihm nicht bekommen zu sein."

"Er war hier, weil er mir noch ein paar Unterlagen vorbeigebracht hat, die er dringend mit mir besprechen wollte. Ich hatte Ihnen doch gesagt, daß ich Brannigan zum letzten Mal gegen Mittag gesehen habe..."

"...weil Sie dann zu einer Baustelle gefahren sind."

"Sie haben ein gutes Gedächtnis." Sie nickte. "Genau so war's, Jo!"

"Und warum haben Sie mir erst etwas anderes erzählt, als ich Sie fragte, wann Sie Brannigan zum letzten Mal gesehen haben?"

"Haben Sie eine Zigarette, Jo?"

"Warum weichen Sie mir wieder aus?"

Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sie wand sich noch, aber sie schien langsam zu begreifen, daß sie in der Klemme saß. Jo gab ihr eine von seinen Zigaretten. "Ich habe wohl einfach vergessen, es zu erwähnen", sagte sie leichthin.

Jo gab ihr Feuer.

"Wenn Sie schon lügen, dann denken Sie sich etwas Besseres aus, Pamela! Sie können mich vielleicht einmal aufs Kreuzt legen, aber ein zweites Mal würde ich Ihnen das nicht empfehlen!"

"Jo, das ist alles ein Mißverständnis!"

"Ach, ja?"

"Brannigan war hier. Aber er war völlig normal, als wir hier zusammen saßen!" Sie machte eine hilflose Geste und rang nach den passenden Worten. "Ich meine, es deutete nicht das geringste darauf hin, daß er kaum eine halbe Stunde später wie ein Verrückter auf Passanten schießen würde..."

"Wie kam die Droge in ihn hinein? Zufällig dasselbe Zeug, das Sie bevorzugen..."

"Von mir hatte er es nicht!"

"Ach, wirklich?"

"Warum glauben Sie mir nur nicht?"

"Als Brannigan hier her kam, war er noch Herr seiner selbst. Er konnte Autofahren und hatte keine Schwierigkeiten, den Weg vom Büro zu Ihrer Wohnung zu finden. Aber auf dem Rückweg passierte etwas, das mehreren Menschen das Leben gekostet hat!"

"Das tut mir Leid, aber ich habe nichts damit zu tun!"

"Brannigan wurde das Zeug gewaltsam eingetrichtert. Er hatte vermutlich keine Ahnung, was es war und wie es wirkte... Hatten Sie einen Komplizen, Pamela?"

"Was?" Ihre Fassung war jetzt dahin. Sie schüttelte stumm den Kopf.

"Ich nehme an, daß es Hernandez war. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie es allein schaffen konnten, Brannigan zu überwältigen..."

"Und warum sollte ich so etwas tun? Warum sollte ich meinen besten Mann in den Tod schicken?"

Sie wandte sich ab und ging zum Fenster. Ihre Finger zitterten, als sie die Zigarette zum Mund führte und hinausblickte.

"Eine gute Frage", meinte Jo.

Sie drehte sich herum und zischte: "Sie haben doch sonst auf alles eine Antwort!"

"Vermont", sagte Jo einfach nur.

"Was soll das?"

"Hernandez reagierte ganz merkwürdig, als ich ihn vorhin traf und ihm von einer Landkarte von Vermont erzählte, die bei einem Einbruch mitgenommen wurde!"

"Jetzt wollen Sie mir auch noch einen Einbruch anhängen?"

"Ihnen oder jemand anderem aus dem Ingenieur-Büro P.McGreedy. Denn derjenige, der in Brannigans Wohnung eingestiegen ist um ein Haar seine Lebensgefährtin erschlagen hätte, hat sich nur für Brannigans Unterlagen interessiert!"

Sie war jetzt still.

"Das wußte ich nicht", sagte sie dann, nach einer Weile.

"Was wußten Sie nicht?" hakte Jo nach. Aber sie wich aus. Als sie aufblickte, erklärte sie: "Waren Sie schon bei der Polizei mit Ihrem Wissen?"

"Wollen Sie mich wieder kaufen?"

Sie zuckte die Achseln. "Jeder Mensch ist käuflich, Jo. Jemand wie Sie müßte das doch wissen! Bohren Sie in dieser Vermont-Sache nicht mehr herum. Mit dem Brannigans Tod hat das nichts zu tun."

"Da bin ich mir nicht so sicher. Und warum sollte ich Ihnen ausgerechnet jetzt glauben, wo Sie mir doch die Zeit nur Lügen erzählt haben?"

"Als Walt meine Wohnung verlassen hatte, stand noch hier am Fenster. Und ich habe gesehen, wie er sich unten mit zwei Männern unterhalten hat...!"

"Und das ist dann passiert?"

Sie zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht. Ich habe mich abgewandt. Es interessierte mich in dem Moment nicht, verstehen Sie? Ich konnte ja nicht, wissen, daß man Walt etwas verabreichen und ihn dann hinter das Lenkrad setzen würde."

"Haben Sie die Männer erkannt?"

"Nein", murmelte sie kopfschüttelnd. Dann meinte sie: "Sie glauben mir nicht, stimmt's?"

"Wundert Sie das?"

Sie atmete tief durch und sagte dann: "Okay, Jo! Ich werde Ihnen jetzt sagen, wie es wirklich war!"

Kommissar X verzog das Gesicht.

"Ich bin gespannt!"

*




"WENN SIE MIT DIESER Sache zur Polizei gehen sollten, werde ich behaupten, daß diese Unterhaltung nie stattgefunden hat, Jo!"

Jo lächelte dünn. "so etwas in der Art habe ich mir schon gedacht", murmelte er.

"Sie hatten schon den richtigen Riecher", meinte sie dann. "Es geht um die Brücke in Rutland, Vermont. Als unser Büro daran gearbeitet hat, waren wir noch ganz am Anfang... Sie können sich denken, wie das ist, wenn man als Anfänger in einen Markt hineinkommen möchte! Da geht knochenhart zu! Kurz und gut: Uns ist in unserer Konstruktion ein Fehler unterlaufen..."

"Die Brücke steht doch schon seit Jahren", warf Jo ein.

Sie nickte. "Ja, so ist es. Wahrscheinlich wäre nie jemand auf die Sache gestoßen..."

"Vorausgesetzt, sie stürzt nicht eines Tages ein!"

"Man merkt, daß Sie nichts davon verstehen, Jo!"

"Dann erklären Sie es mir!"

Sie machte sich einen Drink und bot Jo auch einen an. Aber der lehnte ab. "Es ist gut möglich, daß die Brücke zwanzig Jahre steht, ohne, daß es Grund zu Beanstandungen gibt!"

"Wenn es nicht auch die andere Möglichkeit gäbe, hätten Sie nicht solche Kopfschmerzen deswegen!" sagte Jo sachlich. "Sie und Hernandez."

"Hernandez hat damals den Fehler gemacht. Und Brannigan kam darauf, weil er unglücklicher Weise die alten Pläne hervorgekramt hat, um sie als Vorbild für ein anderes Projekt zu benutzen." Sie hob hilflos die Hände. "Er bestand darauf, die Stadt Rutland zu informieren, weil er meinte, das Risiko wäre zu groß, daß das Material der Dauerbelastung nicht standhält..." Sie lächelte schwach. "Aber Risikoabschätzungen sind sowieso ein heikles Gebiet..." Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas uns blickte Jo offen an. "Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet hätte? Die Schadensersatzansprüche wären noch das Geringste gewesen! Wir hatten fast wieder von vorne anfangen müssen! Der gute Ruf, den P.McGreedy in den letzten Jahren sich erworben hat - er wäre dahin gewesen. Die Top-Aufträge wären in den nächsten Jahren an uns vorbeigegangen. Und von Frank Hernandez hätte sich wohl kaum noch jemand eine Brücke berechnen lassen!"

"Darum ging es also hier bei Ihnen, als Walt Brannigan bei Ihnen vorbeischaute. Es hat nicht lange gedauert, nicht wahr?"

Pamela nickte.

"Wir haben ihm Geld angeboten. Wir haben ihm gesagt, daß er doch auch das Schicksal der Firma mit berücksichtigen müßte. Wirklich alle Register sind gezogen worden."

"Wir?" echote Jo.

"Ja, Frank war auch dabei. Aber Walt war nur gekommen, um uns mitzuteilen, daß er sich endgültig entschieden hätte. Er war kein sehr entschlußfreudiger Mann. Fast zwei Wochen hat er die Sache vor sich hergeschoben und darauf herumgebrütet."

"Was für ein Glück für Sie, daß er nicht mehr lebt!"

"Hören Sie auf, Jo!"

Sie war jetzt wirklich zornig. "Glauben Sie, ich würde Ihnen das erzählen, wenn ich Walt umgebracht hätte? Glauben Sie, ich würde zugeben, daß Frank und ich die Gelegenheit dazu hatten, genau das mit ihm zu machen, was Sie vermuten!"

"Sie haben es nur zugegeben, als Ihnen nichts anders übrig blieb!"

Sie trat auf Jo zu und blieben nahe vor ihm stehen. Ihre vollen Brüste hoben sich und senkten sich. "Ich will, daß mir glauben, Jo!" Ein paar Locken waren ihr in die Stirn gefallen. Mit einer beiläufigen Bewegung strich sie sie zur Seite.

"Nichts lieber als das!" erwiderte Jo indessen.

"Ich habe mit Walts Tod nichts zu tun!"

"Und der Einbruch?"

"Das war Frank Hernandez! Er hat einfach die Nerven verloren! Ich habe ihm noch ausdrücklich gesagt, er soll nichts unternehmen. Aber er wußte es natürlich besser, dieser Idiot!"

"Was ist passiert, nachdem Brannigan gegangen ist?"

In ihren Augen leuchtete es. "Sie glauben mir also?"

"Eigentlich will ich wenigstens das Ende Ihrer Story erfahren, bevor ich mich da festlege."

"Von den beiden Kerlen da draußen habe ich Ihnen ja erzählt. Es fällt mir übrigens ein, daß einer ziemlich groß war und rote Haare hatte. Von den Gesichtern konnte ich von oben natürlich nichts sehen."

Jo hob die Augenbrauen.

"Rote Haare?"

"Ja. Ein Stoppelschnitt. Man konnte die Kopfhaut sehen. Hernandez ist dann übrigens gleich gegangen." Sie verengte ein wenig die Augen. "Warum schauen Sie mich so an, Jo?"

Jo verzog das Gesicht. "Ich habe mir gerade überlegt, daß Sie mir diesmal vielleicht doch die Wahrheit sagen!"

Sie hatte plötzlich ihre schlanken Arme um seinen Hals gelegt. Er spürte den Druck ihrer Brüste gegen seinen Oberkörper.

"Was wird das?" fragte Jo lächelnd. "Ein Bestechungsversuch der charmanten Art?"

"Ich möchte, daß wir uns mal wiedertreffen, wenn Sie mich nicht mehr für eine Mörderin halten!"

"Warum nicht!" Er nahm ihre Arme und löste sich von ihr.

*




FRANK HERNANDEZ BEWOHNTE ein Penthouse. Als er die Tür öffnete und Jo Walker vor sich sah, schlug sie augenblicklich wieder zu. Oder besser: Er versuchte es. Aber Jo hatte blitzschnell reagiert und seinen Fuß hineingestellt.

Hernandez atmete tief durch. "Soll ich die Polizei rufen?" rief er. "Ich habe keine Lust, mich mit Ihnen zu unterhalten!"

"Rufen Sie ruhig die Polizei! Sie nehmen mir damit etwas ab, was ich vielleicht sonst selbst tun müßte!"

"Sie sind ein Bluffer, Walker!"

Jo grinste. "Ich lasse es sehr gern drauf ankommen. Sie auch?"

"Sie sind verrückt!"

"Zumindest die Jungs vom Einbruchsdezernat werden früher oder später den Weg zu Ihnen finden, Hernandez!" Jo zuckte die Achseln. "Sie hätten nicht in Brannigans Wohnung einsteigen sollen, Hernandez. "Und vor allem hätten Sie Joanne Carter nicht so behandeln dürfen..."

Hernandez war ziemlich perplex.

Seine Augen sahen Jo ungläubig an und er ließ es sich auch gefallen, daß der Privatdetektiv beim Eintritt in die Wohnung drei Schritte vor ihm her ging.

"Sie reimen sich da nur irgend eine Story zusammen, Walker!" preßte Hernandez einen Augeblick später heraus. Es klang allerdings nicht so, als wäre er selbst sonderlich überzeugt von dem, was er sagte. Seine Nasenflügel bebten. "Ich wette, Sie haben nicht den Hauch eines Beweises für das, was Sie da erzählen!"

Jo winkte ab. "Kommen Sie mir nicht auf die Tour, Hernandez. Ich hatte ein intensives Gespräch mit Pamela McGreedy."

"Was Sie nicht sagen!"

"Sie war sehr gesprächig..."

Hernandez verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse. "Ich sagte doch, das alles nur Bluff!"

"Soll ich von der Vermont-Story anfangen? Von der Brücke, bei der Sie sich verrechnet haben? Von dem kurzen Gespräch in Pamela McGreedys Wohnung, in dem Sie und Pamela Brannigan erfolglos versucht haben umzustimmen. Kurze Zeit später spielte er verrückt. Vermutlich wußten Sie nichts von der Pistole, die er bei sich hatte. Sie dachten, er baut einen Unfall..."

"Das ist eine Unterstellung!" zischte Hernandez.

Jo ging ein paar Schritte und sah dann zwei gepackte Koffer hinter dem Tisch stehen. "Ich sehe, Sie wollten gerade verreisen..."

"Ein paar Tage Urlaub", meinte Hernandez dazu. "Ich habe ein Ferienhaus auf Long Island und jede Menge Überstunden, von denen ich jetzt ein paar abfeiern werde."

"Wird es Ihnen zu heiß in New York City?"

"Ich habe mit dem Einbruch nichts zu tun!"

"Und mit Brannigans Tod?"

"Machen Sie sich nicht lächerlich, Walker!"

"Und Sie haben auch nie eine Brücke für die Stadt Rutland in Vermont gemacht, was?"

"Hat Pamela Ihnen das mit dem Einbruch erzählt?"

"Ja."

"Sie will sich doch nur selbst schützen, indem sie mich anschwärzt!"

Jo nickte. "Dasselbe habe ich mir auch gesagt!"

Hernandez hob die Schultern und schien nicht ganz zu begreifen. "Und was wollen Sie dann bei mir?"

"Draußen haben zwei Kerle auf Brannigan geartet, nachdem er Pamelas Wohnung verlassen hatte. Haben Sie die angeheuert, damit sie Brannigan mit etwas voll pumpen, das ihn auf die eine oder andere Art ins Jenseits befördern würde?"

"Sie sind verrückt, Walker!"

"Glauben Sie mir, es wird kein besonderes Problem sein, zumindest einen der beiden aufzutreiben..."

Hernandez war ziemlich blaß geworden. Jo ging zum Telefon und nahm den Hörer ab.

"Wen rufen Sie an?"

"Die Polizei. Das Einbruchsdezernat. Die werden sich freuen, wenn ich ihnen den Einbrecher präsentieren kann. Man wird die ganze Geschichte mit der Brücke aufrollen..."

Hernandez hatte sich kaum merklich zur Seite bewegt. Eine schnelle Bewegung und ehe Jo die Nummer in den Apparat tippen konnte, sah der Privatdetektiv mit den Augenwinkeln den kurzen Lauf einer Revolvermündung.

"Legen Sie den Hörer wieder auf!" sagte Hernandez. Seine Waffe war ein Kleinkaliber, aber deshalb nicht weniger tödlich. Vermutlich war der Ingenieur nicht unbedingt ein routinierter Schütze. Doch Jo hatte keine Lust, es darauf ankommen zu lassen.

Stattdessen sagte der Privatdetektiv ruhig: "Sie sollten die Liste Ihrer Dummheiten nicht noch verlängern, Hernandez!"

Seine Zähne blitzten, als er das Gesicht zu einer Maske verzog. "Keine Sorge, Walker! Ich weiß sehr genau, was ich tue! Und Sie lassen mir leider keine andere Wahl... Die Hände nach oben!"

Jo gehorchte. Die Automatic aus dem Schulterholster zu reißen wäre Selbstmord gewesen. Dazu stand Kommissar X einfach zu sehr im Schußfeld. Keine drei Meter lagen zwischen ihm und Hernandez. Da hatte selbst ein Stümper hervorragende Chancen, etwas zu treffen.

Hernandez Arm hob sich. Die Waffe zeigte jetzt direkt auf Jos Kopf. Der Zeigefinger spannte sich nervös um den Abzug.

Jo blieb so gelassen, wie das in dieser Lage möglich war.

"Glauben Sie, Sie können etwas gewinnen, wenn Sie mich erschießen?" fragte er.

"Jedenfalls bin ich erledigt, wenn ich es nicht tue!" erwiderte Hernandez. "Der Einbruch, die Sache mit der Brücke... Das wird mir beruflich das Genick brechen! Aber dafür habe ich nicht all die Jahre hart gearbeitet, um nach oben zu kommen. Jetzt, wo ich es geschafft habe, können Sie nicht im Ernst erwarten, daß ich das alles kampflos aufgebe!"

"Es wird auch so herauskommen...", meinte Jo, aber das schien Hernandez nicht im Geringsten zu überzeugen.

"Meinen Sie?" lachte er heiser. "Brannigans Unterlagen habe ich vernichtet, Pam wird nichts sagen, weil sie nicht so dumm ist, sich ins eigene Fleisch zu schneiden. Bleiben nur noch Sie, Walker! Sie würden nicht Ruhe geben, wenn ich Sie am Leben ließe!"

"So wie Brannigan!"

"Jetzt spielt es ohnehin keine Rolle mehr, was Sie denken, Walker!"

Hernandez Augen hielten Jo fixiert, während er ein paar Schritte seitwärts ging. Er beugte sich vorsichtig zu seiner Stereo-Anlage hinunter und stellte sie an.

Stampfender Disco-Sound dröhnte im nächsten Moment durch die Wohnung. Jo konnte sich an einer Hand ausrechnen, was nun folgen würde. Der dumpfe Rhythmus würde das Schußgeräusch des Kleinkalibers verschlucken.

Hernandez drückte ab.

Aber Jo hatte damit gerechnet und sich einen Sekundenbruchteil zuvor hingeworfen, so daß die Kugel über ihn hinwegpfiff. Jo rollte sich herum, riß die Automatic heraus und rettete sich dann erst einmal hinter die massive Ledercouch.

Hernandez feuerte noch zweimal schnell hintereinander, einer ging in die Couch, der andere zerstörte eine Stehlampe.

Dann tauchte Jo blitzartig seiner bescheidenen Deckung hervor und brachte die Automatic in Anschlag. Hernandez stand indessen schon halb in der Wohnungstür.

"Fallenlassen!" rief der Privatdetektiv, aber Hernandez entschied sich anders und drückte noch ein letztes Mal ab.

Doch Jo war schneller. Hernandez erwischte es am rechten Unterarm, sein Schuß ging in die Decke. Ächzend rannte er davon.

Mit einem Satz war Jo über die Couch gestiegen. Er spurtete hinaus, während die Disco-Musik noch immer mit ohrenbetäubender Lautstärke vor sich hin stampfte.

Hernandez hatte es geschafft, in den Aufzug zu kommen. Es gab keine Möglichkeit, ihn zu stoppen, bevor er nicht am Ziel angekommen war. Und das war vermutlich das Erdgeschoß. Jo blieben nur die Treppen. Ungefähr ein Dutzend Stockwerke lagen vor ihm und das war auch für jemanden von Jos guter Kondition kein Pappenstil.

Als Jo das Erdgeschoß erreichte, war der Aufzug natürlich längst dort. Aber von Hernandez war nirgends eine Spur zu sehen. Jo lief hinaus ins Freie. Mit einem schnellen Blick sondierte er die Lage und sah er Hernandez in einem Wagen sitzen. Hernandez ließ gerade den Motor an.

Eine Sekunde lang trafen sich die Blicke der beiden Männer. Jo rechnete damit, daß Hernamndes das Steuer seines Wagens herumreißen und sich dann in den Verkehr hineindrängen würde, um so schnell wie möglich davonzukommen.

Aber er tat etwas ganz anderes.

Er setzte den Wagen mit ruckartig in Bewegung ließ ihn auf den Bürgersteig schnellen. Einige Passanten liefen auseinander. Hernandez hielt direkt auf Jo zu.

Kommissar X rettete sich durch einen Sprung zur Seite. Er rollte herum und wollte Hernandez einen Schuß in die Reifen verpassen, aber da stand plötzlich eine Frau in der Schußbahn, die Jo entsetzt anstarrte.

Hernandez ließ den Wagen unterdessen aufheulen. Rücksichtslos drängte er sich in den Verkehr. Jemand hupte und irgendwo berührten sich auch ein paar Stoßstangen.

Hernandez fuhr wie der Teufel.

Mit quietschenden Reifen sah man ihn dann noch um die nächste Straßenecke biegen.

*




"DU HAST ES GESCHAFFT, Jo!" Captain Tom Rowland ließ eine Mappe auf geräuschvoll den Schreibtisch fallen. "Die Akte ist wieder offen, die Ermittlungen sind erneut aufgenommen!"

Jo lächelte kurz. Aber es lag kein Triumph darin. Nicht einmal Zufriedenheit, denn die Sache war noch nicht abgeschlossen.

"Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, Tom!"

Rowland lachte dröhnend.

"Nein!" meinte er ironisch. "Da wir hier unter chronischer Unterbeschäftigung leiden, bin ich froh über jedes bißchen an zusätzlicher Arbeit für meine Leute!"

Seit gut zwölf Stunden wurde nach Frank Hernandez gefahndet - bislang ohne Erfolg. Inzwischen hatten die Leute vom Einbruchsdezernat Fotos von Hernandez in Joanne Carters Nachbarschaft herumgezeigt und es gab tatsächlich ein paar Zeugen, die ihn wiederkannten. Er hatte Handschuh getragen, was bei der warmen Witterung mehr als auffällig war.

Außerdem war in seiner Wohnung das Stemmeisen gefunden worden, mit dem man die Tür aufgebrochen hatte. Winzige Farbspuren bewiesen das einwandfrei.

"Auf die Dauer hat der Kerl keine Chance", meinte Rowland. "Er ist verwundet und wird sich irgendwo seinen Arm behandeln lassen müssen! Wir werden ihn sicher kriegen."

"Davon bin ich überzeugt!" erwiderte Jo.

Rowland hob die Schultern. "Fragt sich nur, wer ihn am Ende bekommt: Wir oder die Kollegen vom Einbruch!"

Jo nickte. "Auf Mord wird man ihn wohl nur schwer festnageln können..."

"Man hat etwas von diesem neuen Zeug in seiner Wohnung gefunden!" Gab Rowland zu bedenken. "DSE wird es, glaube ich, abgekürzt."

"Ja, in gewissen Kreisen scheint dieser Stoff zur Zeit die Runde zu machen."

"Hernandez hatte die Gelegenheit und ein Motiv. Was will man mehr von einem Mörder, Jo?" Jo zuckte die Achseln. Dasselbe galt ebenfalls für Pamela McGreedy. Für sie sprach nur, daß sie Jo gegenüber ausgepackt hatte. Vielleicht war das aber auch nur ein geschickter Schachzug gewesen, um von sich abzulenken.

Aber da war noch eine andere Sache...

"Pamela McGreedy will gesehen haben, wie zwei Männer auf Brannigan gewartet und ihn in Empfang genommen haben... Mit einem davon bin ich wahrscheinlich schon einmal zusammengetroffen. Jedenfalls paßt die Beschreibung. So viele Riesen mit kurzgeschorenen roten Haaren gibt es nun auch wieder nicht."

Rowland legte die Stirn in Falten und lehnte sich zurück. "Was soll das für einer sein?"

"Ein Schläger. Er heißt Bill O'Mara und arbeitet für einen Mann namens Arnold Parker. Und der verkauft genau das Zeug, das Brannigan verabreicht wurde." Er grinste. "Ich war bei Hayes im Rauschgiftdezernat. Die waren ziemlich zugeknöpft, aber immerhin weiß ich jetzt, daß die beiden dort keine Unbekannten sind."

"Und wie bringst du das zusammen?"

"Vielleicht ist das Ganze nur ein Märchen von Miss McGreedy. Sie könnte den rothaarigen Bill im Mega Star gesehen haben. Dann hat sie ihn mir beschrieben, um mich auf eine falsche Fährte zu setzen. Die andere Möglichkeit ist, daß Hernandez ihn und einen zweiten Mann für ein paar Dollar angeheuert hat, um die Sache durchzuziehen..."

"...um sich nicht selbst die Hände schmutzig machen zu müssen!"

"So ist es."

Dann klingelte das Telefon auf Rowlands Schreibtisch und er nahm ab. Als der Captain dann kurze Zeit später wieder auflegte, berichtete er: "Das war Hayes vom Rauschgift!"

"Und?" Jo verschränkte die Arme vor der Brust.

"Wir sollen O'Mara in Ruhe lassen. Die haben diesen Parker, für den er arbeitet schon seit längerem im Auge und wollen über ihn an die höheren Chargen herankommen." Er grinste. "Das soll ich übrigens insbesondere auch dir noch einmal klarmachen - wenn ich dich das nächste Mal sehe!"

"Na, dann hast du mich eben nicht gesehen, Tom!"

"Du willst denen doch wohl nicht in die Suppe spucken, Jo! Du bringst eine Operation in Gefahr, die mit dem FBI zusammen durchgeführt wird und lange vorbereitet ist! Halt dich da besser heraus! Bill O'Mara wird mit dem ganzen Schwarm ins Netz gehen. Dann können wir ihn befragen."

"Verstehe", murmelte Walker.

"Es geht nicht anders, Jo!"

Jo erhob sich und wandte ich zum Gehen. Rowland hatte natürlich recht. Außerdem lag gegen O'Mara ja auch nichts Greifbares vor, wenn man von Pamela McGreedys Aussage absah. Und welches Spiel Pamela wirklich spielte, darüber war Jo sich noch nicht ganz im Klaren.

"Warum hat dieser Hayes mir das eigentlich nicht selbst gesagt?"

Rowland kam nicht mehr dazu, Walkers Frage zu beantworten. Die Tür ging auf und einer seiner Detectives kam herein. "Was gibt es, Brian?" knurrte der Captain.

"Ich sollte Ihnen doch bescheid sagen, sobald uns dieser Hernandez ins Netz gelaufen ist!"

Rowland sprang auf. "Wo ist er jetzt?"

"Beim Arzt."

*




"SCHEINT, ALS SÄSSEN Sie ziemlich tief drin, Hernandez", stellte Rowland fest. Jo stand etwas abseits und hatte dem Verhör bisher mehr oder weniger schweigend zugehört. Es war nicht viel dabei herausgekommen. Hernandez saß auf seinem Stuhl, zupfte nervös an der Bandage an seinem rechten Unterarm herum und blickte immer erst fragend zu seinem Anwalt, bevor er einen Ton von sich gab. Über die Angaben zur Person hinaus, war das auch nicht allzuviel.

"Was den Einbruch betrifft ist die Beweislage doch ziemlich klar!" meinte Rowland, wobei er beschwörend mit den Armen wedelte. "Geben Sie es doch einfach zu!"

Der Anwalt schüttelte den Kopf und Hernandez kniff die Lippen aufeinander.

"Sie waren es auch, der Brannigan dieses Teufelszeug gegeben hat, um ihn umzubringen!" Rowland versuchte, Hernandez endlich aus der Reserve zu locken. "So etwas nennt man Mord, Mister Hernandez! Und Sie hatten ein Motiv und waren am Tatort."

"Das sind Unterstellungen!" griff der Anwalt ein.

Rowland achtete nicht auf ihn, sondern hielt den Blick auf Hernandez gerichtet.

"Ich habe Brannigan nicht umgebracht!" murmelte er dumpf. "Warum nehmen Sie Pamela McGreedy nicht fest? Wenn ich Motiv und Gelegenheit hatte, dann hatte sie es auch!"

"Vielleicht holen wir das noch nach", meinte Rowland kühl. "Schließlich könnte es ja auch sein, daß Sie das zusammen durchgezogen haben...!"

Jetzt mischte sich Jo ein.

"Kennen Sie einen Mann namens Bill O'Mara?"

"Nein."

"Sagen Sie nichts, Mister Hernandez!" wies der Anwalt seinen Mandanten an. "Glauben Sie mir, es ist besser so!"

"O'Mara hat rotblondes Haar und eine Narbe am Kinn. Ich wette, Sie sind ihm schon begegnet..."

"Glauben Sie, ich habe jemanden angeheuert?"

"Wäre doch auch möglich, oder etwa nicht?"

"Ich sagte schon, ich habe mit der Sache nichts zu tun!"

"So einfach können Sie sich da nicht herauswinden!" meinte Jo.

"Das werden wir sehen!"

*




EINE TRÜBE DUNSTGLOCKE hing über dem Central Park, als Jo Walker hinaus aus dem Fenster seines Büros blickte und an seiner Zigarette zog. Hinter sich hörte er April hereinkommen.

"Sieht aus, als würden wir ziemlich auf der Stelle zu treten!" meinte sie.

Jo nickte. "Ja. Hernandez schweigt eisern. Ich kann es ihm noch nicht einmal verdenken.

"Glaubst du, daß er es war?"

"Nicht ohne Komplizen."

"Du denkst an diesen O'Mara?"

"Ja."

April musterte ihren Boß einen Augenblick lang und meinte dann ziemlich spitz: "Diese Pamela McGreedy scheinst du schon von deiner Liste gestrichen zu haben, habe ich recht?"

"Du irrst dich!"

Auf dem Schreibtisch hatte Jo die Bilder ausgebreitet, die Walt Brannigan für seine Therapiestunden angefertigt hatte. "Ich hatte die Sachen hier in meiner Schublade und habe sie mir noch einmal angesehen", meinte der Privatdetektiv dazu.

April lächelte nachsichtig.

"Und du glaubst, daß du durch diese Bilder der Wahrheit af die Spur kommst?"

Jo nahm eines der Bilder heraus und zeigte es ihr. "Was siehst du?"

April nahm das Bild und runzelte die Stirn. "Vier Männer!" sagte sie dann. "Einer liegt am Boden, ein zweiter hat die Hände hoch."

"Es stellt wohl den Überfall dar, der vor Jahren auf Brannigan verübt wurde. Der mit den erhobenen Händen ist er selbst, der am Boden Liegende ist soeben erschossen worden. Und nun schau dir mal die Täter an!"

"Er scheint sehr schnell und flüchtig gemalt zu haben..."

"Er hat eine Narbe am Kinn, April!"

"Das könnte auch ein Klecks sein!"

"Richtig, wenn nur auf einer Zeichnung zu sehen wäre, dann hättest du recht. Aber Brannigan hat die Szene während seiner Therapie mehrfach gemalt. Und dieser Punkt da vorne fehlt auf keiner einzigen! Und auf zwei Bildern hat der mit der Narbe zusätzlich rote Haare!"

"Könnte Zufall sein, Jo!"

Jo Walker zuckte die Achseln. "Ja, aber es könnte auch heißen, daß dieser Bill O'Mara einer der Kerle war, die ihn damals überfallen haben!"

April hob die Schultern, während ihr Blick noch einmal über Brannigans Bilder glitt. "Warum sollte dieser O'Mara Brannigan nach all den Jahren umbringen?"

"Eine gute Frage April..."

*




DR. AARON STANLEY WAR ein Mann mit einem braunen Haarkranz. Aber sein Bart war völlig ergraut und deshalb sah er zehn Jahre älter aus, als er in Wirklichkeit war.

Jo traf ihn beim Bowling - und er schien alles andere, als begeistert davon zu sein, daß ihn dabei jemand störte.

"Sie sind Walker? Der Kerl, dessen Assistentin dauernd mein Telefon klingeln läßt?"

"So ist es."

"Lassen Sie sich von meiner Sekretärin einen Termin geben!"

"Ich will keine Stunden bei Ihnen nehmen, sondern ihnen ein paar Fragen stellen. Es geht um Walt Brannigan."

"Ich habe der Polizei doch schon alles gesagt!" Er kniff die Augen etwas zusammen, griff nach seinem Bier und wischte sich eine Sekunde später den Schaum aus dem Bart. "Aber Sie sind Privatdetektiv, und ich wüßte wirklich nicht, was ich für Sie tun kann! Sie wollen etwas über Walt Brannigan wissen, aber Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, daß ich irgendeinem dahergelaufenen Schnüffler Auskünfte über einen Patienten von mir geben werde!"

"Ihre Diagnose war beginnende Paranoia, nicht wahr?"

Stanley legte die Stirn in Falten. "Woher wissen Sie das?"

"Das tut nichts zur Sache. Ich will keine Details aus seiner Krankengeschichte wissen. Ich suche seinen Mörder... Ihm wurde in einer hohen Dosis ein synthetisches Rauschmittel verabreicht. Dann hat man ihn hinter das Steuer seines Wagens gesetzt, damit er sich an der nächsten Kreuzung den Hals bricht. Es hätte wie ein Unfall ausgesehen..."

"Aber Brannigan hatte eine Waffe!" stellte Stanley fest.

"Das hat er Ihnen also erzählt."

"Ich habe es gehört, nachdem er..." Dr. Stanley sprach nicht weiter und zuckte mit den Schultern. Dann faltete er die Hände vor dem kleinen, aber festen Bauch, den er über dem Gürtel mit sich herumtrug. "Ich weiß nicht, wie ich Ihnen da helfen kann!"

"Wann ist Brannigan das erste Mal zu Ihnen gekommen?"

"Vor einem halben Jahr."

"Hatte das vielleicht einen besonderen Anlaß?"

Stanley wandte sich halb herum und murmelte: "Sie glauben doch nicht im Traum, daß ich Ihnen darauf eine Antwort gebe?"

Aber Jo ließ nicht locker. "Brannigan hatte ein traumatisches Erlebnis. Er wurde vor acht Jahren überfallen, sein Begleiter erschossen. Ich nehme an, Sie haben darüber geredet!"

"Wie kommen Sie darauf?"

Jo hatte eine Mappe unter dem Arm, die er jetzt hochhob. "Ich möchte Ihnen etwas zeigen", sagte er. "Ich schlage vor, wir gehen dort drüben zu dem Tisch!"

"Was soll das sein?"

"Bilder, die Walt Brannigan in Ihren Sitzungen angefertigt hat."

"Es stimmt, ich arbeite mit Bildern. Aber ich glaube kaum, daß die für Ihre Hände bestimmt sind!"

Darauf ging Jo nicht ein. "Er hat immer wieder den Überfall dargestellt!"

Sie gingen zum Tisch. Jo breitete Brannigans Bilder aus.

"Ich kenne die Sachen", murmelte Stanley. Die Angelegenheit schien ihn auf einmal doch zu interessieren. "Es muß ein furchtbares Erlebnis gewesen sein. Die Täter hat man nie gefaßt, wie er mir sagte."

"Aber das liegt Jahre zurück, Mister Stanley! Warum ist er vor einem halben Jahr zu Ihnen gekommen? Warum nicht vorher?"

"Das ist nichts Ungewöhnliches. Manche Leute warten jahrelang und schieben ihre Probleme vor sich her oder wollen sie nicht wahrhaben! Ich erlebe das tagtäglich in meiner Praxis!"

"Einer der Täter wird rothaarig portraitiert. Und dieser Klecks dort könnte eine Narbe darstellen. Eine Art Halbkreis..."

"Er erwähnte eine Narbe, ja. Dieses rothaarige Gesicht verfolgte ihn in seinen Träumen."

"War das derjenige von den beiden, der damals geschossen hat?"

"Ja."

"Kurz bevor Brannigan Amok lief, ist er mit zwei Männern gesehen worden. Einer davon war rothaarig."

Dr. Stanley hob die Augenbrauen. "Merkwürdig...", murmelte er

"Hat er über diesen Mann, der ihn damals überfallen hat, noch irgendetwas gesagt?"

"Nein. Aber ich habe in meiner Praxis noch ein paar Bilder, die Brannigan gemalt hat, auf denen er noch deutlicher zu sehen ist. Aber es ist fraglich, ob Sie damit etwas anfangen können."

"Ich möchte sie trotzdem gerne sehen..."

Er seufzte. "Das sind vertrauliche Unterlagen! Wenn ein Polizist mit einem entsprechenden Papier vor meiner Praxistür steht, werde ich sie herausrücken, vorher nicht!"

"Verstehe..."

"In meinem Job muß man vorsichtig sein", fuhr Dr.Stanleys dann fort. "Glauben Sie es kommt noch jemand zu mir, wenn es die Runde macht, daß persönliche Dinge bei mir nicht in guten Händen sind? Dann kann ich dicht machen!"

Jo packte Brannigans Bilder ein und wandte sich dann zum Gehen.

"Tut mir Leid, Sie beim Bowling gestört zu haben!"

Aber Stanley winkte ab. "Vergessen Sie's! Glauben Sie mir, ich bin eine Menge gewöhnt, aber diese Sache ist mir schon nahe gegangen!"

Keine zwei Schritte hatte Jo zwischen sich und den Psychologen gebracht, da ließ ihn Dr. Stanleys Stimme abrupt stoppen. "Steht es fest, daß Brannigan diese Drogen nicht selbst genommen hat?"

Jo drehte sich halb zu ihm herum und nickte. "Inzwischen ist das amtlich. Er ist noch einmal einer gerichtsmedizinischen Untersuchung unterzogen worden. Das Zeug ist ihm mit einer Spritze gegeben worden, die so angesetzt worden ist, daß er sie sich unmöglich selbst geben konnte selbst wenn er ungewöhnlich gelenkig gewesen wäre!" Jo musterte ihn kurz. Da kochte noch etwas in Dr. Stanleys Kopf. Jo konnte es ihm deutlich ansehen. Aber er schien noch mit sich zu ringen, ob er den Dampf herauslassen sollte. "Warum fragen Sie?" hakte schließlich Jo nach. Stanley zuckte nachdenklich mit den Achseln

"Hey, Aaron! Machst du eigentlich noch mit?" rief ein kleiner, drahtiger Mann, der offenbar zu Stanleys Bowling-Brüdern gehörte.

"Einen Moment noch!" fauchte der Psychologe unwirsch. Er trat nahe an Jo heran und fuhr dann in gedämpften Tonfall fort: "Vielleicht sollte ich es Ihnen doch erzählen... Aber eines sage ich Ihnen, wenn Sie glauben, mich irgendwo vorführen zu können, dann werde ich alles abstreiten!"

"Reden Sie schon!"

"Als Walt Brannigan zu mir kam, behauptete er, er hätte einen der Täter zufällig in einem Kaufhaus getroffen. Seitdem litt er wieder unter Alpträumen."

"Hat er ihn danach noch einmal gesehen?"

"Ja. Mehrfach. Aber immer nur, wenn niemand dabei war, der das hätte bestätigen können. Ich hielt das für eine Projektion seiner Ängste. Außerdem habe ich ihm geraten, zur Polizei zu gehen, wenn er wirklich davon überzeugt wäre, den Mann gesehen zu haben, der damals seinen Begleiter erschossen hat."

"Aber bei der Polizei ist wohl nicht gewesen", erwiderte Jo.

Stanley lächelte knapp. "Ich weiß", sagte er. "Er meinte, daß ihm niemand glauben würde. Er schob es immer wieder vor sich her. Vermutlich fürchtete er, daß sich herausstellen würde, daß er sich alles nur eingebildet hatte, daß er im wahrsten Sinn des Wortes anfing, Gespenster zu sehen..."

"Aber dieser Mann existiert", stellte Jo fest.

"Mag sein, aber für Brannigan war er zum Symbol seiner unbestimmten Ängste geworden."

Jo begann zu verstehen. Jemand sah ein Gesicht für wenige Sekunden im Menschengewühl eines Kaufhauses. Schon in der nächsten Minute war er sich nicht mehr hundertprozentig sicher und bekam Angst, für verrückt gehalten zu werden.

*




ALLES LÄUFT AUF BILL O'Mara hinaus! dachte Jo. Und der war im Augenblick tabu. Zumindest für Rowland und seine Leute.

Jo ging trotzdem ins Mega Star. Es konnten ihm kein Cop und kein FBI-Mann verbieten, hier seinen Drink zu nehmen. Falls O'Mara ihm hier über den Weg laufen sollte, so hatte Jo nicht das Geringste dagegen.

Aber weder von O'Mara, noch von seinem Boß Arnold Parker war an diesem Abend etwas zu sehen. Die beiden schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Vielleicht hatte Parkers 'Geschäft' heute gewissermaßen Ruhetag.

Dafür traf er jemand anderen. Pamela McGreedy schenkte Jo ein säuerliches Lächeln, als sie ihn entdeckte und drehte dann demonstrativ den Kopf zur Seite, um ihn nicht zu sehen.

Einen Augenblick später war Jo bei ihr.

"Ich bin nicht besonders gut auf Sie zu sprechen, Jo!" meinte sie, wobei ihr nicht anzusehen war, wie ernst sie das wirklich meinte.

Jo zuckte die Achseln. "Das tut mir leid."

"Das glaube ich nicht!"

"Warum so unfreundlich?"

"Ich war nett zu Ihnen, Jo! Ich habe Ihnen gesagt, was ich wußte und sie hetzen die Meute auf mich."

"Nicht auf Sie, Pam!"

"Auf Hernandez oder auf mich, das ist dasselbe."

"Für seine Kurzschlußreaktion kann ich doch nichts, das müssen Sie zugeben!"

"Heute waren ein paar Detectives bei mir! Und ich habe das dumpfe Gefühl, daß es nicht das letzte Mal war. Ich wurde aufgefordert, die Stadt nicht zu verlassen!"

Jo lächelte dünn. "Und Sie werden es überleben, Pam!"

Sie winkte ab. "Was wissen Sie schon!" zischte sie dann. Sie wandte sich ab. Jo nippte an seinem Drink. Plötzlich wirbelte sie herum. "Sind Sie meinetwegen hier?"

"Ich bin hier, um einen Drink zu nehmen!"

"Erzählen Sie mir nichts! Sie sind hier, weil Sie mir kein Wort geglaubt haben!"

"Schon verwunderlich, wie wichtig es Ihnen ist, was ich glaube!"

Ihre Gesichtszüge wurden jetzt etwas weicher. "Sie interessieren mich eben, Jo!"

"Weil ich in der Brannigan-Sache herumrühre und Sie das beunruhigt?" grinste Jo.

Sie schüttelte energisch den Kopf. Ihr Augenaufschlag war gekonnt.

"Nein", murmelte sie. "Damit hat das nichts zu tun..."

"Wo ist eigentlich Ihr Freund Parker?"

"Wer soll das sein?"

"Der Kerl mit der Pomade im Haar."

Sie zuckte die Achseln. "Ich habe nicht die geringste Ahnung!"

"Er war noch nicht hier!"

"Er kommt nicht jeden Tag." Sie zündete sich eine Zigarette an. Jo gab ihr Feuer. Sie hob die Augenbrauen, als sie fragte: "Was wollen Sie von ihm?"

"Von ihm? Nichts. Ich suche den Kerl, der sein Schatten ist. Vielleicht haben Sie ihn schon einmal gesehen. Er ist rothaarig."

Sie blickte auf. Ihr Gesicht veränderte sich und drückte so etwas wie Erleichterung aus.

"Dann glauben Sie mir also das mit den zwei Männern, die Walt in Empfang genommen haben?"

"Ich weiß es nicht."

Der Blick ihrer dunklen Augen ruhte einen Augenblick nachdenklich auf Walker, dann nickte sie.

"Das kann ich Ihnen nicht übel nehmen", meinte sie dann. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. "Vielleicht gehen wir trotzdem noch woanders hin", meinte sie dann. "Auch wenn Sie sich noch nicht entschieden haben, ob ich vielleicht eine Mörderin bin!"

Jo hob die Schultern. "Warum nicht?" lachte er. Vielleicht tauchten weder Parker noch sein Wachhund O'Mara auf. Und wenn er den beiden nicht begegnete, dann ging Jo damit auch gleichzeitig einigen Schwierigkeiten aus dem Weg.

*




SIE GINGEN HINAUS IN die Nacht.

"Fahren wir zu mir?" fragte Pamela.

"Meinetwegen. Sind Sie mit dem Wagen da?"

"Ja, er steht da vorne." Sie lächelte. "Sie kennen ja den Weg."

"Bis gleich", nickte Jo.

Einen Augenblick später sah Jo sie einsteigen und davonfahren. Seinen eigenen Wagen hatte er in einer nahen Seitenstraße abgestellt, keine zwei Minuten Fußweg entfernt.

Die Seitenstraße war nur mäßig beleuchtet. Eine Straßenlaterne flackerte und schien offenbar kurz vor dem endgültigen Aus zu stehen. Beide Straßenseiten waren mit Parkern besetzt und Jo konnte von Glück sagen, daß man ihn nicht einfach zugestellt hatte.

Kaum hatte Jo den Schlüssel in die Fahrertür seines 500 SL gesteckt, da peitschten zwei Schüsse kurz hintereinander durch die Nacht. Jos Rechte ging instinktiv zum Schulterholster und zog die Automatic heraus. Er blickte sich um, konnte aber nichts sehen.

Dann kam ein Wagen aus einer engen Einfahrt heraus, über die man vermutlich zum Hintereingang des Mega Star gelangen konnte. Es war ein BMW, aber irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Jedenfalls bog das Fahrzeug nicht ab, sondern fuhr quer über die Straße und rammte seitwärts in einen parkenden Buick.

Eine Hupe dröhnte durch die Nacht.

Jo setzte zu einem Spurt an. Einen Moment später hatte er den BMW erreicht. Er sondierte zunächst die Lage, aber, aber nirgends war jemand zu sehen.

Dann riß Kommissar X die Beifahrertür des BMW auf und schaltete die Wagenbeleuchtung ein.

Der Fahrer lag über das Steuerrad gebeugt. Seine Stirn drückte auf die Hupe. Vom Gesicht hatte Jo nur eine Seitenansicht, aber die genügte. Es war Arnold Parker. Zwei Schüsse hatten den Dealer getroffen, einer in den Bauch, der andere hatte ihn von hinten an der Schulter erwischt. Offenbar hatte er sich nach der Kugel in den Bauch noch ins Auto schleppen und losfahren können.

Aber jetzt war er mausetot.

Jo durchsuchte kurz die Taschen des Dealers und fand ein Notizbuch, das er flüchtig durchblätterte. Eine Seite riß er sich heraus. Die Eintragung bestand schlicht aus einem fürchterlich hingeschmierten und kaum leserlichen 'Bill' und einer Nummer. Wahrscheinlich eine Telefonnummer.

Vermutlich war es Bill O'Maras Nummer. Auf dem Rauschgiftdezernat hatte man Jo erzählt, daß O'Mara unbekannt verzogen war. Vielleicht war das nur ein Ablenkungsmanöver. Ein Trick, um ihn von dem Rotschopf - und damit von Parker - fernzuhalten. Aber wenn es die Wahrheit war, konnte diese Nummer goldwert sein.

Parker war tot - und wer immer ihn auch auf dem Gewissen haben mochte - die Pläne des Rauschgift-Dezernats waren damit durchkreuzt. Parker würde keine großen Hintermänner mehr verraten können. Sein Mund war für immer verschlossen.

Jo kam aus dem Wagen heraus und hörte ein Geräusch, das ihn herumfahren ließ.

Jo sah eine schemenhafte Gestalt, die zur Hälfte im Schatten stand. Es war Bill O'Mara. Als der Rotschopf Jo sah, zögerte er nicht eine Sekunde, riß die Waffe hoch, die er in der Rechten hielt und feuerte wild drauflos. Jo sah das Mündungsfeuer aufblitzen und duckte sich hinter das Heck des BMW, während die Kugeln Löcher ins Blech rissen.

Was in O'Maras Kopf vor sich ging, konnte man sich leicht denken. Jemand hatte seinen Boß erschossen und jetzt sah er einen Mann bei dessen Leiche, den er für einen Gorilla der Konkurrenz hielt. Der Fall mußte ihm klar erscheinen.

Als das Feuer etwas verebbte, tauchte Jo aus seiner Deckung hervor, und brachte seine Automatic in Anschlag.

Jo ballerte einmal in O'Maras Richtung. Der Rotschopf feuerte noch einmal zurück und dann machte es 'klick!'. Er hatte seine Waffe leergeschossen und rannte nun davon. Jo kam hinter dem BMW hervor und spurtete hinterher.

Die Jagd ging durch die Einfahrt, aus der BMW gekommen war.

O'Mara war sicher stark wie ein Bär, aber kein sehr schneller Läufer. Jo holte zusehends auf. O'Mara begann zu keuchen. Aus der Jackentasche fingerte er dabei ein Ersatzmagazin für seine Pistole.

Er drehte sich halb herum und sah, daß Jo ihn einholen würde. O'Mara hielt an, schob das Magazin in den Pistolengriff und ballerte einen Sekundebruchteil später los.

Jo duckte sich hinter einen Pulk von Mülltonnen. Die Projektile, die die Blechtonnen schrammten, verursachten eine ganz eigene Art von Musik. Dann rannte O'Mara weiter und erreichte den Wendehammer mit Parkplatz, der sich vor dem Hintereingang des Mega Star befand. Dabei ballerte er mehr oder weniger ungezielt nach hinten.

Jo konnte sich denken, was O'Maras vorhatte.

Er wollte im Dämmerlicht des Mega Star zwischen den vielen Menschen untertauchen. Und wahrscheinlich war das auch das Aussichtsreichste, was der Rothaarige im Moment versuchen konnte.

Einen Augenblick später sah Jo ihn durch den Hintereingang verschwinden. Es würde alles andere, als leicht sein, ihn da drinnen aufzutreiben. Aber vielleicht war es die letzte Gelegenheit, bevor O'Mara ganz abtauchte. Schließlich hatte man seinen Boß umgebracht und er hatte sicher keine Lust, ebenso zu enden.

Jo hatte den Wendehammer zur Hälfte überquert, da sah er mit den Augenwinkeln einen Mann zwischen zwei parkenden Wagen auf dem Asphalt liegen. Ein leises Röcheln war zu hören.

Wer immer er auch sein mochte, einfach liegen lassen konnte man ihn schlecht. Jo ging zu ihm, hielt dabei aber den Finger straff um den Abzug der Automatic gelegt, denn nur wenige Zoll neben dem Kerl lag etwas auf dem Boden, das wie eine MPi aussah.

Der Mann blickte auf.

Das eigentlich weiße Hemd unter seinem Jackett war rot eingefärbt. Er blutete auch aus dem Mund. Jo beugte sich über ihn, aber da schien jede Hilfe zu spät zu kommen.

Er würde sterben, und seinem Blick nach wußte er das auch. Er sank nach hinten, seine Augen erstarrten.

In seinem Rücken hörte Jo dann ein Geräusch. Er drehte den Kopf und blickte in die blanke Mündung eines 38er Special.

Eine Sekunde lang hing alles in der Schwebe. Ein nervös wirkendes Augenpaar fixierte Jo.

"Keine Bewegung und Waffe weg!"

Drei, vier Bewaffnete stürmten zusätzlich heran. Allesamt mit schußbereiten Waffen. Jo hatte nicht den Hauch einer Chance.

"Polizei!" rief einer von ihnen und holte seine Marke hervor.

Jo ließ die Automatic auf den Asphalt fallen und hob langsam die Hände. "Seid ihr vom Rauschgift?"

"Mund halten!" zischt jemand. "Sie haben das Recht zu schweigen..."

Jo kannte den Spruch auswendig. Ein paar Sekunden später waren seine Hände mit Handschellen zusammengekettet, während einer der Männer versuchte, Walkers Lizenz so zu halten, das etwas Licht darauf fiel.

Der Mann war klein und untersetzt. Zwischen Nase und Stirn hatte er eine markante Falte, die seinem Gesicht etwas Unfreundliches gab. Auf seinem Kopf waren kaum noch Haare. Sozusagen als Ausgleich dafür hatte er sich die Koteletten stehen lassen.

"So, Privatdetektiv sind Sie also...", murmelte er und trat nahe an Jo heran.

"Walker... Ich habe Ihren Namen schon einmal gehört!"

"Kann gut sein. Ich habe oft mit der New Yorker Polizei zusammengearbeitet!"

Der Glatzkopf lachte heiser und bleckte dabei die Zähne. Er war ein bissiger Hund, das war Jo gleich klar.

"Was Sie nicht sagen, Walker! Diesmal scheinen Sie aber auf der anderen Seite zu stehen!"

Jo kniff die Augen zusammen. "Was soll das heißen?"

Der Glatzkopf deutete auf den Toten. "Vielleicht erklären Sie uns mal, was hier passiert ist!"

"Denken Sie, daß das auf mein Konto geht?"

Der Glatzkopf zuckte die Achseln. "Ich glaube gar nichts. Aber wenn wir jemanden antreffen, der sich mit einer Automatic in der Hand über einen Toten beugt, der gerade ein paar Kugeln abgekriegt hat, dann wird man ja wohl mal fragen dürfen, oder?"

"Meine Kugeln waren es nicht."

"Wird sich herausstellen, Walker!"

Ein schlaksiger Kerl, der offenbar auch zu den Polizisten gehörte kam heran. "Lieutenant! Dahinten liegt Parker in seinem Wagen. Auch erschossen!"

Der Glatzkopf bleckte die Zähne. Er hatte nicht eine Sekunde den Blick von Jo abgewandt. "Sieh an!" zischte er. "Geht der auch auf Ihr Konto?"

"Nein."

"Und sonst haben Sie nichts dazu zu sagen?"

"Ich war nicht dabei, als es passierte!"

"Sehr witzig!"

Sie nahmen Jo in die Mitte und führten ihn ab.

*




"NEHMEN SIE DEM MANN die Handschellen ab!" befahl Captain Hayes vom Rauschgiftdezernat, als man Walker in das Büro geführt hatte.

Der Glatzkopf machte ein Gesicht, als wäre sein Vorgesetzter so etwas wie ein Gespenst.

"Aber Captain!"

"Hören Sie schwer? Ich kenne den Mann! Er wird mir schon nichts tun!" erwiderte Hayes unwirsch. Dann nahm er einen Schluck aus dem Pappbecher mit schwarzem Kaffee, den er in der Linken hielt und verzog anschließend das Gesicht zu einer Grimasse.

Jo rieb sich die Handgelenke, nachdem seine Hände wieder frei waren und setzte sich dann auf den freien Stuhl. Hayes schickte den Lieutenant hinaus und meinte dann: "Das ist Cunningham. Er ist neu zu uns versetzt worden und sehr ehrgeizig."

Jo grinste schief. "Habe ich gemerkt. Er scheint etwas übereifrig zu sein!"

Hayes zuckte dazu nur mit den Schultern. "Sie sind gewarnt worden, Walker!" gab er zu bedenken.

"Ich habe sowohl Parker als auch O'Mara in Ruhe gelassen!" Jo erzählte in knappen Worten, was passiert war und Hayes nickte schließlich.

"Parkers Konkurrenz scheint uns einen Strich durch die Rechnung gemacht zu haben", murmelte Hayes dann. "Ein Mann namens Buzzati, dessen Gorillas äußerst brutal vorgehen steckt vermutlich dahinter. Aber ob man das je wird beweisen können, ist fraglich."

Das Telefon klingelte. Hayes nahm ab, gab einige Jas von sich und legte nach ein paar Sekunden wieder auf. Dann wandte er sich an Jo. "Sie können gehen, Walker."

"Was ist passiert?"

"Tun Sie einfach, was ich sage und seien Sie froh, daß hinter diesem Schreibtisch nicht Cunningham sitzt!"

"Was ist mit O'Mara?"

Hayes die Augenbrauen. "Wovon sprechen Sie?"

"Ist er immer noch tabu, nachdem Parker tot ist?"

"Was haben Sie gegen den Mann?"

"Nichts Persönliches. Nur, daß er vielleicht ein Mörder ist!"

Hayes lehnte sich zurück und musterte Jo nachdenklich. "Ach, ja?" Dann schüttelte er den Kopf und meinte: "Daß O'Mara kein Heiliger ist, kann ich mir auch denken, aber..."

"Ich glaube, daß O'Mara zusammen mit einem zweiten Mann jemandem eine Spritze verabreicht hat, die in hoher Dosis das Zeug enthielt, mit dem Parker dealte. Das Opfer ist wenig später Amok gelaufen und erschossen worden."

"Ich habe davon gehört", murmelte Hayes. "Diese Brannigan-Sache, nicht wahr? Sie sollten mit ihrem Freund Rowland darüber reden, nicht mit mir!"

Jo zuckte die Achseln. "Sie sind es doch, der die Hand über O'Mara hält! Also ist es vielleicht doch besser, mit Ihnen zu reden, finden Sie nicht?"

Hayes winkte ab. "Sie reden Unfug, Walker! Sagen Sie mir, weswegen O'Mara so etwas tun sollte?"

"O'Mara hat Brannigan vor Jahren überfallen und seinen Begleiter dabei erschossen."

"Davon steht nichts in O'Maras Akten."

"Die Täter wurden nie gefaßt. Die Sache ist im Sande verlaufen. Aber dann haben die beiden sich offenbar zufällig wiedergetroffen! O'Mara könnte Brannigan umgebracht haben, weil dieser ihn identifizieren konnte."

Hayes verzog das Gesicht und schüttelte energisch den Kopf.

"Zu weit hergeholt, Walker! Ich glaube nicht daran!"

"Wenn er es nicht war, dann ist er zumindest ein wichtiger Zeuge!"

"Lassen Sie ihn in Ruhe, Walker! Und wenn Sie diesmal nicht auf mich hören, dann werde ich Ihnen ganz empfindlich auf die Finger klopfen! Und zwar so, daß Ihnen auch Ihr Freund Rowland nicht mehr helfen kann!"

Jo erhob sich. Er konnte es nicht ausstehen, auf diese Weise unter Druck gesetzt zu werden. Irgendetwas war hier faul, das sagte ihm sein Spürsinn ganz deutlich.

Hayes erhob sich auch, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und funkelte Walker mit seinen hellblauen Augen wütend an.

"Was glauben Sie, wie schnell eine Lizenz weg sein kann, Walker! Wir haben Sie ja nicht irgendwo aufgegriffen, sondern an einem Ort, an dem gerade eine Schießerei stattgefunden hatte! Wer weiß, welche Rolle, Sie wirklich dabei gespielt haben... Man kann das so oder so auslegen, wenn Sie verstehen, was ich meine..."

Jo verstand es nur zu gut. Er blieb trotzdem gelassen.

"Sagen Sie mir einfach, was mit diesem O'Mara ist!" erwiderte er. "Alles, was Sie gegen die Hintermänner dieses Arnold Parker unternehmen wollten, ist doch erst einmal geplatzt. Und O'Mara ist doch nur ein bezahlter Schläger, der seinem Boß den Rücken freihält - wobei er ganz offensichtlich im entscheidenden Moment nicht so richtig auf Draht war."

Hayes atmete tief durch. Eine Sekunde später hatte Jo den Zeigefinger seines Gegenübers dicht vor dem Gesicht. "Ich habe Sie jedenfalls gewarnt!"

Jo lächelte dünn. "Ich habe es gehört!"

"Verschwinden Sie! Und laufen Sie unseren Leuten nicht wieder über den Weg!"

"Was ist mit meiner Kanone?"

"Die können Sie sich abholen, wenn sie ballistisch untersucht wurde!"

"Sie wissen, daß das absurd ist!"

"Mir ist jedenfalls wohler dabei, wenn Sie eine Weile ohne Knarre herumlaufen!"

*




ALS JO BEI PAMELA MCGREEDY auftauchte, war es schon kurz nach zwei.

"Ich wette, Ihre Klienten lassen Sie nie so lange warten!" meinte sie. Pamela trug einen Seiden-Kimono, der den größten Teil ihrer langen Beine frei ließ.

Jo lächelte matt.

"Sie sind ja auch nicht meine Klientin!"

"Ich habe es ihnen angeboten!"

"Und ich habe es abgelehnt." Er hob die Schultern. "Wollen wir wirklich wieder damit anfangen?"

Sie gingen in die Wohnung. Sie ging vor ihm her und dabei glitt Jos Blick an ihrer perfekten Figur entlang.

"Was ist passiert?" fragte sie dann.

"Eine Schießerei, zwei Tote, eine unerfreuliche Unterhaltung mit einem Police-Captain und jetzt bin ich erst einmal meine Kanone für eine Weile los!" Jo zuckte die Schultern und fügte dann ironisch hinzu: "Nichts besonderes, also! Sie werde sich Ihre Muntermacher übrigens demnächst woanders besorgen müssen."

"Wieso?"

"Der Kerl mit dem Schmieröl im Haar ist tot!"

Pamela sah Kommissar X verwundert an. "Warum sagen Sie mir das, Jo?"

Jo zuckte die Achseln. "Nur so. Ich dachte, es interessiert Sie vielleicht. Sie sprachen von einem Rothaarigen, der Brannigan zusammen mit einem zweiten Mann erwartet hat."

"Ja", nickte sie.

"Wie sah der Zweite aus?"

"Ich erinnere mich nicht."

"War es Parker?"

"Der mit der Pomade im Haar?" Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Das wäre mir sicher aufgefallen."

"Irgendetwas muß ihnen doch zu dem Kerl einfallen, Pam! Ganz gleich, was es auch ist! Jede Kleinigkeit kann wichtig sein!"

Sie trat an ihn heran. Ihre Arme legten sich um seinen muskulösen Nacken. Es war ein harter Tag für Jo gewesen, aber die körperliche Nähe dieser außergewöhnlichen Frau brachte auf einen Schlag einen Teil seiner Lebensgeister zurück. "Ist das denn so wichtig, Jo?" fragte sie dann nach einer Pause.

Jo zuckte mit den Schultern.

"Ich dachte, ich soll Ihnen glauben!" murmelte er.

Sie sah ihn offen an und schien einen Moment lang nachzudenken. "Er hatte eine Mütze auf", sagte sie. "Von hier oben habe ich sonst auch nichts von ihm sehen können."

"Was für eine Mütze?"

"Eine Schiebermütze aus dunkelrotem Leder."

Dann spürte Jo ihre vollen Lippen auf den seinen. Irgendetwas verursachte ein seltsames, raschelndes Geräusch. Im nächsten Moment bemerkte Jo, daß Pamelas Kimono zu Boden geglitten war.

*




AM NÄCHSTEN MORGEN war das Wetter scheußlich. Es begann zu nieseln, als Jo den champagnerfarbenen Mercedes am Straßenrand abstellte. Die Nummer, die Jo aus Parkers Notizbuch hatte, gehörte zu einer Adresse in dieser Straße.

Jo stieg aus und sah zu, so schnell wie möglich durch die Nässe zu kommen. Ein paar Minuten später stand er vor einer Wohnungstür im 4. Stock eines etwas heruntergekommenen Altbaus. An Parkers schlechter Bezahlung für O'Maras Gorilla-Dienste lag es wohl kaum, daß er hier wohnte.

Vermutlich wollte er einfach nicht auffallen. Und dazu war dies genau die richtige Adresse. Die Fluktuation unter den Mietern war groß, kaum einer kannte den anderen. Wer etwas Besseres fand, verschwand so schnell wie möglich auf Nimmerwiedersehen.

O'Mara hatte hier nicht einmal einen Postkasten. Jo ging die Treppe hinauf. Die Wände waren beschmiert, der Fahrstuhl defekt.

Als Jo dann wenig später vor O'Maras Tür stand, drückte er die Klingel, ohne zu wissen, ob sie auch funktionierte. Dann klopfte er. Vielleicht war O'Mara gar nicht mehr dort und längst untergetaucht. Jo öffnete schließlich die Tür mit einem kleinen Drahtstück.

Bevor Kommissar X eintrat, zog er einen 38er Revolver unter dem Jackett hervor, den er ersatzweise bei sich trug. Auf seine Automatic mußte er wohl noch eine ganze Weile warten, denn Hayes würde es mit der Untersuchung der Waffe wohl kaum besonders eilig haben.

Aber ohne Waffe die Wohnung von Bill O'Mara zu betreten, das wäre unter Umständen glatter Selbstmord gewesen. Wie leicht der Kerl zur Waffe griff, hatte er ja bereits unter Beweis gestellt.

Die Wohnung bestand aus zwei Räumen, Küche und Bad. Und was Jo auf den ersten Blick mitbekam, sah nicht danach aus, als wäre hier jemand überstürzt abgereist.

Der Privatdetektiv sah sich ein bißchen im Wohnzimmer um. Aber er fand nichts, wovon er glaubte, daß es ihn weiterbringen konnte. Immerhin wirkte das Bett im Schlafzimmer benutzt und im Bad war noch seine Zahnbürste. Vielleicht war O'Mara nur kurz weg.

Jo setzte sich in einen der Sessel im Wohnzimmer und wartete. Ein Foto fiel ihm dabei auf, daß O'Mara in einen Rahmen getan hatte. Es zeigte ihn zusammen mit einer sehr hübschen, dunkelhaarigen Frau, deren Gesicht Jo schon einmal gesehen zu haben glaubte. Im Moment hatte er allerdings keine Ahnung, wo das gewesen war.

Ungefähr eine Dreiviertelstunde dauerte es, dann tat sich etwas an der Tür. Jemand kam in großer Eile herein und durchquerte den Flur mit wenigen Schritten. Er rannte ins Schlafzimmer und schien dort ein paar Sachen zusammenzusuchen. Jedenfalls stand er einen Moment später mit einer halboffenen Reisetasche in der Wohnzimmertür.

Es war O'Mara.

Als Jo erblickte, erstarrte er von einer Sekunde zu nächsten zu einer Art Salzsäule. Der Anblick der Mündung des 38er Revolvers in Walkers rechter Hand schien ihn völlig zu lähmen.

"Die Tasche fallen lassen und an die Wand!" befahl Jo.

Eine Sekunde lang nur schien O'Mara mit dem Gedanken zu spielen, seine eigene Waffe herauszureißen. Aber schien einzusehen, daß er keine Chance hatte. Die Tasche plumpste auf den Boden. Er drehte sich und stellte sich an die Wand.

"Was soll das?" murmelte, während Jo von hinten an ihn heran trat. "Warum knallen Sie mich nicht einfach ab? Sie haben es doch gestern schon mal versucht!"

"Ich will Sie nicht abknallen!" erwiderte Jo kühl. "Es sei denn, Sie zwingen mich dazu!"

O'Mara blickte etwas verwirrt drein.

"Was wollen Sie dann?"

"Erst einmal Ihre Waffe!"

Jo zog sie ihm aus dem Hosenbund heraus.

"Und was jetzt?" knurrte O'Mara.

"Drehen Sie sich um und setzen Sie sich in den Sessel da vorne!"

Er gehorchte und blickte Jo dabei giftig an. Als er saß, mußte der Rotschopf unwillkürlich schlucken. Der Mann hatte Angst. Vor all Dingen wohl deshalb, weil er Walker noch immer für einen Killer der Konkurrenz hielt.

Wahrscheinlich konnte Jo in dieser Beziehung sagen, was er wollte. O'Mara würde es kaum glauben.

"Bringen Sie's schon hinter sich! Bei Parker waren Sie auch nicht so zimperlich!"

"Ich habe Ihren Boß nicht umgebracht!" stellte Kommissar X sachlich fest, ohne daß das auf sein Gegenüber großen Eindruck machte.

O'Mara lachte heiser. "Nein, du vielleicht nicht persönlich... Aber du warst dabei!"

"Mein Name ist Jo Walker! Ich bin Privatdetektiv. Mit den Leuten, mit denen Sie sich ansonsten Schießereien liefern, habe ich nichts zu tun!"

Der Rothaarige runzelte die Stirn. "Ich verstehe nicht..."

"Sie heißen Bill O'Mara..."

"Na, und?"

Jo holte ein ausgeschnittenes Zeitungsfoto aus der Jackentasche und hielt es O'Mara hin. "Kennen Sie den Mann?"

"Nie gesehen!"

"Sie haben überhaupt nicht hingeschaut!"

Jetzt schaute er hin. Und er verlor en letzten Rest an Gesichtsfarbe. Er atmete tief durch und meinte dann: "Was soll das ganze eigentlich?"

"Der Mann hieß Walt Brannigan - aber ich nehme an, daß Sie das wissen."

"Sie irren sich!"

"Jemand hat Sie gesehen, als sie Ihn zusammen mit einem Komplizen in Empfang genommen haben. Er wolle in seinen Ferrari steigen, aber Sie haben dafür gesorgt, daß er vorher noch eine Spritze bekam! Es sollte wie ein Unfall aussehen..."

Er schluckte und gestikulierte mit den Händen. Er wollte schon aufspringen, aber Jo hielt ihm den Lauf des 38er unter die Nase und das beruhigte ihn wieder.

O'Mara grinste schwach. "Warum sollte ich so etwas tun?" fragte er. "Wie gesagt, ich kenne diesen Mann überhaupt nicht!"

"Sie haben ihn vor acht Jahren überfallen."

"Das ist nicht wahr!"

"Zusammen mit einem Komplizen!"

"Sie erzählen hier nur irgendetwas!" O'Mara schnappte nach Luft. Die Sache ging ihm viel näher, als er zugeben wollte.

"Bei dem Überfall kam jemand ums Leben!" Jo zuckte die Achseln. "Vielleicht hat Ihnen so etwas damals ja noch etwas ausgemacht... Jedenfalls haben Sie dann Brannigan zufällig in einem Kaufhaus wiedergetroffen. Nach all den Jahren hat er Sie erkannt. Und das bedeutete sein Todesurteil, nicht wahr? Sie haben vermutlich eine ganze Weile gebraucht, bis Sie Brannigan ausfindig gemacht hatten. Aber Sie haben es schließlich geschafft. Das Risiko war Ihnen einfach zu groß..."

"Sie sind verrückt!"

"So? Brannigan hat Sie portraitiert. Für seinen Therapeuten hat er die Szene des Überfalls immer wieder gemalt. Ihr Gesicht ist gut zu erkennen. Ihre roten Haare, die Narbe..."

"Sie bluffen..."

Jo lächelte dünn. "Darauf würde ich mich an Ihrer Stelle nicht verlassen!"

"Was wollen Sie denn? Die Polizei verständigen? Mich festnehmen lassen?" Er lachte, aber in diesem Lachen schwang schon so etwas wie Verzweifelung mit.

"Warum nicht?"

"Kein Gericht wird mich verurteilen!"

"Das muß man abwarten."

O'Mara beugte sich etwas vor und hob die Hände. "Hören Sie, Mister, wir können uns bestimmt einigen..."

Jo verzog das Gesicht. "Sie können mich nicht kaufen!"

"Das glaube ich nicht!" erwiderte O'Mara. "Jeder hat seinen Preis. Auch Sie!"

"Und Sie glauben, ihn bezahlen zu können?"

"Wie viel wollen Sie?"

"Wer war Ihr Partner?"

O'Mara stierte Jo an, als hätte er ein Gespenst vor sich. "Ich glaube, ich habe mich verhört!"

"Der Mann, der Ihnen geholfen hat, Brannigan zu töten! Der mit der dunkelroten Mütze..."

O'Maras Blick gefror zu Eis. Und für Jo war stand es nun endgültig fest, daß er tatsächlich einen von Brannigans Mördern vor sich hatte.

Im nächsten Moment klingelte es an der Tür.

*




JO MUSTERTE O'MARA fragend, aber der wirkte genauso verwirrt. Seine Finger krampften sich in die Sessellehnen.

"Wer kann das sein?"

"Ich weiß es nicht. Ich erwarte niemanden."

"Gehen Sie zur Tür."

Er schüttelte den Kopf. "Sie wollen, daß jemand anderes Ihre Arbeit erledigt, was?"

"Ich will nur, daß Sie durch den Spion schauen."

Es klingelte jetzt bereits zum zweiten Mal. Jo spannte den Hahn des Revolvers. O'Mara stand auf und dann gingen Sie zur Wohnungstür. Jo warf einen kurzen Blick durch den Spion. Draußen stand der Kerl mit der dunkelroten Schiebermütze. Von seinem Gesicht konnte man nur die obere Hälfte sehen, da er den Kragen seines Long-Jacketts hochgeschlagen hatte.

Der Mann blickte sich um und schien nervös zu sein.

"Es ist Ihr Partner", flüsterte Jo. "Überzeugen Sie sich selbst!"

O'Mara gehorchte und nickte dann.

"Was soll ich machen?"

"Mach auf, Bill! Ich bin's! Logan!" kam es indessen von draußen durch die Tür. "Verdammt noch einmal, ich weiß, daß du da bist!"

Jo stellte sich so neben die Tür, daß man ihn nicht sehen konnte, wenn geöffnet wurde. Er machte O'Mara ein Zeichen, das ihm bedeuten sollte, den Kerl hereinzulassen. Die Revolvermündung hielt Kommissar X dabei in Kopfhöhe auf O'Mara gerichtet.

"Einen Moment!" rief der Rothaarige. "Ich komme!"

O'Mara machte die Tür auf und hatte dann nicht einmal mehr eine volle Sekunde zu leben.

Dreimal kurz hintereinander gab es ein Geräusch, das Ähnlichkeit mit einem verhaltenen Niesen hatte und von einer Pistole mit Schalldämpfer herrührte. O'Mara bekam zwei Kugeln in den Oberkörper, die dritte durchschlug seinen Hals. Er taumelte rückwärts und schlug dann der Länge nach hin, während in seinen erstarrten Zügen blankes Unverständnis stand.

Der Killer machte sich mit schnellen Schritten davon.

Jo setzte ihm nach. Der Kerl drehte sich herum und feuerte sofort, als er den Privatdetektiv aus der Wohnungstür treten sah. Logan schoß schnell und ungezielt. Die Kugeln pfiffen über Jo hinweg und kratzten an den kahlen Wänden.

Jo nahm Deckung in einer Türnische und setzte zu einem Spurt an, nachdem der Geschoßhagel abebbte.

Dann ging es ins Treppenhaus. Logan rammte rücksichtslos eine Frau zur Seite, die mit zwei vollen Einkaufstaschen auf dem Weg nach oben war. Die Frau stolperte. Der Inhalt ihrer Papiertaschen verteilte sich über die Stufen.

Als Logan seinen Verfolger auftauchen sah, schoß er sofort los. Jo blieb nichts anderes übrig, als in Deckung zu gehen.

Indessen packte Logan die Frau, riß sie hoch, und hielt sie wie einen Schutzschild vor sich. Die Frau zitterte. Sie wagte es nicht, sich zu wehren.

Als Jo aus seiner Deckung hervorkam, wußte er, daß diese Runde an seinen Gegner ging. Jo konnte nichts tun, als zusehen, wie Logan die Frau vor sich her zog. Die Waffe hatte der Kerl dabei nicht auf seine Geisel gerichtet, sondern auf Jo.

Er schoß ein paar mal. Jo duckte sich. Dann war Logans Pistolenmagazin leer. Er fluchte leise vor sich hin, zog die Frau mit sich und hetzte mit ihr hinab.

Als er das nächste, niedrigere Stockwerk erreicht hatte, ließ er seine Geisel los und hetzte den Flur entlang und lud dabei seine Waffe nach.

Jo spurtete hinterher. Als er den Flur erreichte, sah er Logan gerade eine Tür eintreten.

"Stehen bleiben!" rief Jo mit angelegter Automatic. Sie schossen fast gleichzeitig. Jo warf sich seitwärts in Deckung, während Logan in die Wohnung hineinstürmte.

Als Jo kurze Zeit später die Wohnung erreichte, stand ihm ein ziemlich aufgeregter Mann gegenüber. Er stand im Unterhemd da und hielt eine Eisenstange in der Hand, während sich eine Frau und zwei Kinder an der Küchentür herumdrückten.

"Wo ist der Kerl?" fragte Jo knapp.

Der Kerl erwiderte etwas in einer Sprache, die Jo noch nie gehört hatte, geschweige denn auch nur ein einziges Wort davon verstand.

Aber der Mann wirkte sehr entschlossen, trotz des 38ers in Jos Hand.

Er wollte seine Familie schützen. Was sollte er auch von zwei Bewaffneten halten, die nacheinander durch seine Wohnung stürmten?

Er nahm die Eisenstange mit beiden Händen und kam sogar noch einen Schritt näher. Die Frau rief etwas, eines der Kinder schrie.

Hier ist Endstation! dachte Jo. Der Mann mit der Eisenstange stand da wie ein Stier.

Jo lief zurück auf den Flur und rannte dann die Treppen hinunter. Jo konnte such denken, was Logan gemacht hatte. Er hatte die Feuerleiter genommen, die sich irgendwo an der Hinterfront des Gebäudes befinden mußte.

Im Erdgeschoß gab es einen Hinterausgang.

Jo stürmte hinaus und kam in einen Hinterhof, in dem ein Müllcontainer und mehrere abgestellte Wagen standen. Der Mann, den O'Mara Logan genannt hatte, hatte die Feuerleiter noch nicht bis nach unten geschafft. Gut anderthalb Stockwerke fehlten ihm noch.

Jo grinste.

Der Kerl schien nicht schwindelfrei zu sein. Sein Gesicht war aschfahl und er bewegte sich nur sehr langsam.

Jo hob den 38er und kam näher.

"Keine Bewegung!" rief er zu dem Kerl namens Logan hinauf.

"Ich mache alles, was Sie sagen!" kam es zurück. Logan schien einer Panik nahe zu sein.

Er klammerte sich mit beiden Händen fest. Die Pistole hatte er offenbar eingesteckt, aber so konnte er sie ohnehin nicht herausziehen.

"Und jetzt schön langsam herunterkommen!" wies Jo den Killer an.

"Nicht schießen!" rief dieser. "Ich komme!"

Es ging in Zeitlupe vorwärts. Jo hielt ihn dabei genau im Auge. Logan war ein gerissener Kerl. Wenn er eine Chance witterte, würde er sie sofort nutzen.

Er sollte diese Chance bekommen...

*




JO NAHM DIE BEWEGUNG nur mit den Augenwinkeln war und wirbelte herum. Aber es war zu spät. Er blickte in ein giftig funkelndes Augenpaar und eine Revolvermündung.

"Polizei! Waffe weg!"

Es war niemand anderes, als der glatzköpfige Cunningham, der da in der geöffneten Hintertür stand. Annähernd im selben Moment faßte Logan den letzten Rest an Mut zusammen und gelangte von der Feuerleiter auf einen der schmucklosen Balkons.

"Da oben, Cunningham! Da ist O'Maras Mörder!"

Cunningham kam näher und schüttelte den Kopf. "Der Trick ist so alt wie nur sonst was, Walker! Glauben Sie wirklich, ich falle darauf herein? Ihre Waffe!"

Cunningham spannte den Revolverhahn. Er meinte es ernst und soviel war Logan nun auch nicht wert, daß Jo sich für ihn ein Loch in den Kopf schießen lassen wollte.

"Sie sind ein verdammter Idiot, Cunningham!" knurrte Jo ärgerlich.

"Ach, ja? Aber Sie halten sich für sehr schlau, was?" Cunningham lachte heiser. "Das kostet Sie Ihre Lizenz, Walker! Und wer weiß! vielleicht auch noch mehr als das!"

Cunningham konnte es dann doch nicht lassen und wandte einen flüchtigen Blick die Hauswand hinauf. Aber von Logan war natürlich längst nichts mehr zu sehen.

Cunningham grinste schief.

"Sehen Sie!" meinte er triumphierend. "Da ist niemand! Und da war auch nie jemand."

"Wahrscheinschlich spaziert er jetzt gerade seelenruhig durch das Treppenhaus!"

"Hören Sie auf damit, Walker!"

Jo sah ihn offen an. Und dabei fragte er sich, wie es kam, daß dieser bissige Hund hier so schnell aufgetaucht war. Vielleicht hatte jemand wegen den Schüssen die Polizei gerufen. Aber Cunningham gehörte zur Drogenfahndung, die war sicher nicht die erste Adresse, die dann gerufen worden wäre.

"Sie haben diesen Kerl nur erfunden!" zischte Cunningham indessen.

Jo verdrehte die Augen. "Warum sollte ich so etwas tun?"

"Weiß ich noch nicht. Aber ich werde es herauskriegen, Walker!" Er bückte sich und nahm Jos 38er an sich. "Was suchen Sie hier?"

Jo zuckte die Achseln.

"Ich wette, daß Sie darauf auch schon eine Antwort parat haben."

"Ich war oben bei O'Mara! Jemand ihn durchsiebt!"

"Ja, und Sie haben gerade dafür gesorgt, daß mir der Kerl durch die Lappen gegangen ist!"

"Ist doch seltsam, Walker. Ich finde Sie in der Nähe von Arnold Parkers Leiche und jetzt bei dem toten O'Mara. Ich frage mich, was Sie mit der Sache zu tun haben!"

Jo nickte. "Ja, und Sie waren auch immer schnell zur Stelle!"

"Ich mache meinen Job!"

"Ach, ja? Und wie kommt es dann, daß Ihnen und Ihren Leuten Bill O'Mara nach der Schießerei hinter dem Mega Star nicht in die Arme gelaufen ist?"

"Die Fragen stelle ich, Walker!" knurrte Cunningham ärgerlich zwischen den Zähnen hindurch.

"Einige Ihrer Leute sind genau aus dem Hintereingang gekommen, in den O'Mara gerade verschwunden war! Wenn Sie Parker beobachtet haben, müßten Sie doch wissen, daß O'Mara für ihn arbeitete. Warum haben Sie ihm nicht wenigstens ein paar Fragen gestellt?"

"Mund halten!"

"Ich glaube auch kaum, daß Sie zufällig hier und jetzt aufgetaucht sind, Cunningham!"

Jo griff in seine Jackentasche, um seine Zigaretten herauszuholen, aber das machte Cunningham nur nervös. Er hob den Revolverlauf. "Keine Dummheiten!"

"Sie sollten mich jetzt besser gehen lassen!"

"Das könnte Ihnen so passen! Meine Leute kommen gleich und Sie werden solange hier bleiben!" Er trat nahe an Jo heran. "O'Mara war unser Spitzel!"

*




"DU WIRST NICHTS MEHR in der Sache unternehmen!" dröhnte Captain Rowland aufgebracht. "Deine Lizenz ist vorläufig eingezogen worden und alles, was du jetzt tust, kann dich nur tiefer hineinreiten!"

Rowland hatte nach Dienstschluß noch bei Jo Walker in der Seventh Avenue vorbeigeschaut. Und jetzt ging er aufgebracht in Jos Büro auf und ab und redete auf seinen Freund ein. "Du kannst froh sein, daß man dich auf freiem Fuß gelassen hat, Jo! Deine Lage ist alles andere als rosig! Du solltest dich auf einiges gefaßt machen!"

"Ich weiß!" nickte Jo. "Gerade deshalb werde ich nicht stillsitzen - ob mit Lizenz oder ohne!"

Rowland wandte sich an April Bondy, die am Fenster lehnte. "Mach du es ihm klar, April, vielleicht hast du ja mehr Erfolg!"

April zuckte die Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Das glaube ich kaum!" meinte sie.

"Ich muß diesen Logan finden!" meinte Jo.

"Außer dir hat ihn niemand gesehen, Jo!" gab Rowland zu bedenken.

"Was ist mit der Frau, die der Kerl auf der Treppe als Geisel genommen hat?"

"Wir suchen nach ihr, Jo. Aber im Haus ist angeblich niemand überfallen worden und gemeldet hat sie sich auch nicht. Vermutlich will sie nichts mit der Polizei zu tun haben. Du kannst dir ja denken, warum. Ich tippe auf fehlende Papiere oder so etwas."

"Und die Leute, durch deren Wohnung dieser Logan geflüchtet ist?"

"Das sind Ungarn. Bis wir einen vernünftigen Dolmetscher und eine vernünftige Aussage haben, kann es ein bißchen dauern."

Jo steckte eine Zigarette zwischen seine Lippen. Er wußte selbst, daß es nicht gut für ihn aussah.

Für Cunningham stand fest, daß Jo in der Sache drinsteckte, auch wenn sich bei den Laboruntersuchungen herausstellen sollte, daß sein 38er nicht die Waffe war, die O'Mara getötet hatte.

Jo konnte Cunningham seinen Verdacht noch nicht einmal wirklich übel nehmen. Vermutlich hätte er selbst genauso gedacht.

"Diesen Logan zu finden ist nicht so einfach, wie du denkst!" erläuterte indessen Rowland. "Du weißt ja nicht einmal, ob das nun sein Vor- oder Zuname ist. Er könnte auch falsch sein."

"Was ist mit dieser Syntho-Drogenszene?" meinte Jo.

Aber Rowland schüttelte den Kopf. "Keiner, der sich Logan nennt und auf deine Beschreibung paßt. Das muß aber nichts heißen. Vielleicht ist er bisher einfach noch nicht genug aufgefallen!"

"Schöne Aussichten!"

"Du wirst dir unsere Fotosammlung noch einmal eingehend ansehen müssen, Jo!"

"Inzwischen kann der Kerl sonst wo sein!"

"Laß mich nur machen, Jo!" meinte Rowland. "Es ist ein Mordfall, deshalb kann ich mich um die Sache kümmern, auch wenn ich Hayes dabei ab und zu dazwischen funken muß."

Jo blies den Zigarettenrauch heraus und wischte sich dann mit der flachen Hand über das Gesicht.

"O'Mara war Polizei-Spitzel", murmelte der Privatdetektiv dann. "Darüber müßte es doch Unterlagen geben!"

"Bekomme ich morgen. Aber ich würde mir nicht allzuviel Hoffnungen machen, daß wir so auf die Spur von diesem Logan kommen."

"Und O'Mara? Gibt es über den wenigstens etwas?"

"O'Mara hat als Kleinkrimineller angefangen. Wir wissen nicht viel über ihn, was eigentlich nur heißen kann, daß er zu den Cleveren gehört. Für Parker hat er seit einem halben Jahr gearbeitet."

"Und seit wann bedient er die Polizei?"

"Seit ein paar Monaten. Parker war drauf und dran in der Unterwelt-Hierarchie aufzusteigen. Er hätte O'Mara mit hinaufgezogen und dann wären seine Informationen sehr wertvoll geworden. Hayes sagte mir, daß Parker kurz davor war, sich mit den Herstellern zu treffen und direkt mit ihnen zu verhandeln. Das wäre die Chance gewesen, vielleicht den ganzen Ring hochgehen zu lassen."

Jo lehnte sich zurück.

"Ich habe sie nicht vermasselt!"

"Arnold Parker hat sich eine Menge Feinde gemacht, Jo!" stellte Rowland fest. "Da gibt es zum Beispiel einen Mann namens Buzzati, vor dem er ziemlich viel Angst zu haben schien! Vielleicht war dieser Logan einer von dessen Leuten!"

Jo schüttelte den Kopf. "Das glaube ich nicht. Dann hätten O'Mara und dieser Logan nicht gemeinsam Walt Brannigan umgebracht!"

"Das stimmt."

"Außerdem - warum sollte dieser Buzzati jemanden wie O'Mara umbringen, wo sich dessen Boß doch schon im Jenseits befand!"

"Vielleicht suchen wir in der falschen Schublade!" meinte Jo dann, während er sich erhob.

Rowland hob die Augenbrauen. "Du meinst, daß Logan vielleicht gar nicht in diese Szene hineingehört!"

"Einen Mord begeht man nicht, um jemand anderem einen Gefallen zu tun. Nicht einmal einer wie dieser Logan würde das tun."

"Aber für ein paar Scheine werden Morde begangen!"

"Dann hätte O'Mara sich einen Profi nehmen können. Aber er hat die Sache selbst durchgezogen - mit Stoff, an den er über seinen Boß leicht herumkommen konnte. Warum dieses Risiko?"

"Wir können O'Mara nicht mehr fragen, Jo", erwiderte Rowland. "Und ich weiß im Augenblick auch nicht, worauf du eigentlich hinaus willst?"

"Das will ich dir sagen: Dieser Logan muß selbst ein Motiv gehabt haben, Brannigan umzubringen!"

"Du meinst, er war bei dem Überfall vor acht Jahren der zweite Mann?"

"Ja."

"Und weshalb hat dieser Logan dann O'Mara umgebracht - seinen alten Partner und Komplizen?" mischte sich jetzt April ein. "Da sehe ich beim besten Willen keinen Sinn drin!"

Rowland blickte auf die Uhr, wandte sich an Jo und meinte dann: "Wie auch immer! Ich denke, ich werde mein Überstunden-Konto für dich noch ein bißchen erhöhen müssen, Jo!"

*




IN EINER STUNDE WÜRDE die Sonne aufgehen.

Jo Walker saß hinter dem Lenkrad seines champagnerfarbenen Mercedes, den er gegenüber dem Mega Star abgestellt hatte und blickte über die Straße. Vor einer halben Stunde hatte das Mega Star dicht gemacht. Jetzt kamen nach und nach die Angestellten.

Und dann sah Kommissar X sie.

Eine langbeinige Dunkelhaarige, die auf ihren hochhackigen Schuhen überraschend schnell zu laufen wußte.

Jo stieg aus und ging über die Straße. Dabei blickte er sich um und sondierte die Lage. Er hatte nicht die geringste Lust, irgendjemandem vom Rauschgift-Dezernat über den Weg zu laufen.

Jo hatte sie eingeholt, als sie gerade den Schlüssel in die Tür eines Hondas steckte.

"Miss..."

Sie wirbelte herum und verlor vor den Schlüssel. Er klimperte auf die Bürgersteig-Platten. Jo trat ein paar Schritte näher, hob ihn auf und gab ihn ihr.

"Danke", stammelte sie.

"Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten", begann Jo. Aber sie schien alles andere, als begeistert davon zu sein.

"Nein, danke!" erwiderte sie kühl. "Solche Angebote kenne ich! Ich rate Ihnen, mich in Ruhe zu lassen, sonst schreie ich!" Und mit einer schnellen Bewegung hatte sie in die Tasche ihres dünnen Mantels gegriffen und eine Dose mit Reizgas herausgeholt. Jo reagierte blitzschnell, packte ihr Handgelenk und nahm ihr mit einem raschen Griff die Dose ab.

Ihr Mund stand offen. Bevor sie schreien oder sonst etwas tun konnte, sagte Jo: "Es geht um Bill O'Mara! Wahrscheinlich wissen Sie schon, daß er erschossen wurde!"

"Woher wissen Sie, daß..." Ihre Stimme stockte. Ein Kloß schien ihr im Hals zu sitzen.

"Ich habe Sie zusammen mit O'Mara auf einem Bild gesehen. Es war in seiner Wohnung. Sie zwei auf dem Jahrmarkt. Ich wußte sofort, daß ich Sie schon einmal gesehen hatte, auch wenn ich es da noch nicht für wichtig hielt. Schließlich ist es mir doch noch eingefallen. Es war hier im Mega Star, wo ich Sie zum ersten Mal gesehen habe..."

"Ich habe bei Bill angerufen", sagte sie matt. "Es hat sich niemand gemeldet. Dann bin ich hingefahren. Überall war Polizei und hat nach Spuren gesucht..." Sie brach plötzlich ab und schluckte. Unwillkürlich rann ihr eine Träne über das Gesicht und verwischte das Make-up.

"Er hat Ihnen viel bedeutet, nicht wahr?" vermutete Jo, nachdem er einen Moment lang geschwiegen hatte.

"Ja, obwohl wir uns noch nicht lange kannten." Ein gezwungenes, fast verzweifeltes Lächeln flog über ihr hübsches Gesicht, das jetzt so traurig wirkte. "Wir waren richtig verliebt..." Sie blickte auf. "Wer sind Sie?"

"Mein Name ist Walker, ich bin Privatdetektiv."

Jo sah das Mißtrauen in ihr aufsteigen. Und er konnte sie nur zu gut verstehen.

"Sie wollen doch sicher etwas von mir!"

"Ich bin hinter dem Kerl her, der Bill O'Mara umgebracht hat."

Ihre Augen wurden schmal. "Warum?"

"Ist das nicht gleichgültig? Ich denke, daß wir dasselbe wollen - und das ist das einzige, was im Moment zählt."

Der Blick, mit dem sie ihn dann bedachte, war eine einzige Frage. "Woher weiß ich, daß Ihnen trauen kann?"

Jo zuckte die Achseln.

"Sie wissen es nicht", erwiderte er. "Aber ich weiß es von Ihnen genauso wenig!"

Einen Moment lang zögerte Kommissar X, dann gab er ihr die Reizgasdose zurück. Sie verstand die Geste.

"Ich hoffe, Sie kriegen den Kerl!" erklärte sie mit einer Stimme, die vor Wut vibrierte.

"Unterhalten wir uns woanders, Miss..."

"Lopez. Marcia Lopez."

*




SIE GINGEN ZUSAMMEN in einen der ersten Coffee-Shops, die um diese Zeit geöffnet hatten, und frühstückten. Marcia hatte eine harte Nachtschicht im Mega Star hinter sich. Der rabenschwarze Kaffee machte sie wieder hellwach. Aber nicht nur der.

"War die Polizei Sie schon befragt?" erkundigte sich Jo.

Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Und ich habe mich auch nicht gemeldet!"

"Das verstehe ich nicht..."'

"Meine Einwanderungspapiere sind nicht echt. Und ich will nicht, daß man das alles überprüft - und das wird man sicher, wenn ich erst einmal in der Sache drinhänge."

"Sie hängen längst drin. Die Polizei wird das Foto finden!"

"Ja, aber ob sie mich finden wird, ist eine andere Frage." Sie atmete tief durch und wirkte auf einmal sehr nachdenklich, fast mutlos. Schließlich meinte sie: "Ich glaube nicht, daß es von meiner Aussage abhängt, ob Bills Mörder gefaßt wird oder nicht. Und glaube auch nicht, daß es viel nützen wird, was ich Ihnen sagen kann."

"Warten wir's ab!"

Sie schob ihr Frühstück ein Stück von sich. Irgendwie schien ihr der Appetit vergangen zu sein. Nur den Kaffee trank sie noch aus, dann steckte sie sich eine Zigarette zwischen die vollen Lippen. "Er hat sich auf Sachen eingelassen, die zu groß für ihn waren. Verstehen Sie, was ich meine?"

Jo horchte auf. "Was wissen Sie darüber?"

"Kaum etwas." Ihr Schulterzucken war fast wie eine Entschuldigung. "Und um ganz ehrlich zu sein: So genau wollte ich das auch gar nicht wissen. Irgendwelche krummen Sachen waren es sicher - und da ist es besser, man weiß von nichts."

"Haben Sie mal den Namen Logan gehört?"

Sie überlegte kurz, dann nickte sie. "Da wäre höchstens ein Kerl zu erwähnen, den Bill mal auf einer von diesen Parties getroffen hat, auf die er mich mitnahm. Er kannte den Kerl von früher her. Ein alter Freund, hat er mir später gesagt."

"Was wissen Sie noch über Logan?" hakte Jo nach.

"Nicht viel. Nur, daß die beiden sich offenbar längere Zeit aus den Augen verloren hatten." Sie zuckte mit den Schultern. "Ist dieser Logan so wichtig?"

"Ja", nickte Kommissar X.

"Ich schätze, er war etwas ganz ähnliches wie Bill!" meinte Marcia. "Einer, der für andere die Drecksarbeit macht."

"Sie wissen nicht zufällig, für wen Logan arbeitet?"

"Nein."

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Jo überlegte, ob er ihr sagen sollte, daß Logan Bill O'Maras Mörder war. Aber er ließ es dann. Er durfte keine Zeit verlieren und genau das würde passieren, wenn er ihr das jetzt auf die Nase band. Sie würde es früh genug erfahren.

"Wußten Sie, daß Bill auch mit der Polizei zusammengearbeitet hat?" versuchte Jo den Faden an anderer Stelle wieder aufzunehmen.

Jetzt war sie wirklich überrascht.

"Nein, das ist mir neu!"

"Es war aber so."

"Ich kann es irgendwie nicht so ganz glauben."

"Weshalb?"

"Er hat in letzter Zeit immer nur von seinem großen Geschäft geredet. Ein Geschäft, das so groß wäre, daß er sich zurückziehen könnte." Sie lachte bitter. "Mein letztes Ding, so hat er es immer genannt!"

"Haben Sie eine Ahnung, was das gewesen sein könnte?"

Sie schüttelte bedauernd den Kopf.

"Keine Ahnung!"

"Denken Sie nach! Vielleicht haben Sie irgendeine Kleinigkeit aufgeschnappt, die damit zusammenhängen könnte!"

Ihr Blick war nach innen gekehrt. Sie schüttelte nochmals den Kopf, aber dann blitzte es auf einmal in ihren ausdrucksstarken dunklen Augen.

"Einmal - das ist erst ein paar Tage her! - da habe ein Stück von einem Telefongespräch mitgekriegt. Es war Zufall. Bill wurde angerufen und ich war gerade bei ihm. Er hat mich rausgeschickt, aber Sie wissen ja, wie das ist..."

"Was haben Sie gehört?"

"Einen Namen. Jesper & Smith."

"Klingt wie eine Firma. War das alles?"

"Ja. Und nachdem er aufgelegt hatte, war unwahrscheinlich guter Laune. Er meinte, daß wir beide bald ein neues Leben anfangen könnten. Ein Haus am Meer fände er schön."

Sie begann zu schluchzen.

*




"JESPER & SMITH! ICH hab's!" rief April am nächsten Morgen und schüttete dabei fast den Inhalt ihrer Kaffeetasse über die Computertastatur.

Jo hob die Augenbrauen.

"Und?" fragte er. "Was ist das für eine Firma?"

"Eine, die es schon lange nicht mehr gibt!" erklärte April ihm.

"Was?" Das sah gefährlich nach einer Sackgasse aus.

April wandte sich zu ihrem Chef herum. "Ich erinnere mich jetzt auch, den Namen schon einmal gehört zu haben. Und zwar in Zusammenhang mit irgendeinem Umwelt-Skandal. Jesper & Smith war ein kleineres Chemieunternehmen. Heute gibt es nur noch eine Industriebrache mit leeren Hallen und jeder Menge Giftmüll, der verhindern wird, daß das Gelände in den nächsten dreißig Jahren von irgendjemandem gekauft wird!"

Jo fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und schüttelte dann verzweifelt den Kopf. "Ich verstehe das nicht", meinte er. "Was könnte O'Mara für ein Geschäft gemeint haben, das mit dem Namen Jesper & Smith verbunden ist!"

"Bodenspekulation scheidet wohl aus. Die Sanierungsmaßnahmen übersteigen den Verkaufswert des Grundstücks."

Jo zuckte die Achseln.

"Vielleicht fahre ich einfach hin und sehe mir das ganze mal an. Vielleicht bin ich dann schlauer!"

"Soll ich Tom bescheid sagen?"

Jo grinste.

"Tom tut, was er kann, um diesen Logan zu finden. Was ich mache, braucht er nicht zu wissen. Das bringt ihn nur selbst in Schwierigkeiten." Er zuckte die Achseln. "Andererseits kann auch niemand von mir erwarten, daß ich den ganzen Tag nicht aus dem Haus gehe, oder? Ob nun mit Lizenz oder ohne... Außerdem habe ich einen ganz bestimmten Verdacht!"

*




DIE RIESENHAFTEN, FAST mannsgroßen Buchstaben, die zusammengezogen Jesper & Smith Ltd. bedeuteten, mußten aus weitaus besseren Tagen kommen.

Jo hatte seinen Mercedes unauffällig in der Nähe des Firmengeländes abgestellt. Die letzten paar hundert Meter ging er zu Fuß. Die meisten Gebäudekomplexe wirkten verfallen und ziemlich heruntergekommen.

Aber ganz so verlassen, wie es auf den ersten Blick schien, war das Gelände wohl doch nicht.

Jo fand frische Reifenspuren von mehr als einem halben Dutzend Fahrzeugen auf dem unbefestigten Untergrund.

Wenig später erreichte er das erste Gebäude. Es war eine einfache Fabrikhalle. Die Tore standen offen. Innen herrschte kahle Leere. Anscheinend war alles ausgeschlachtet worden, was transportabel war.

Ein Geräusch ließ Jo plötzlich aufhorchen.

Schritte.

Jo preßte sich an die Betonmauer der Halle, während ein hochaufgeschossener Kerl um die Ecke schlenderte. In der Rechten schlenkerte er lässig mit einer MPi herum, zwischen den Fingern der Linken hatte er eine Zigarette. Aber er war nicht so richtig auf Draht und das rettete Jo das Leben.

Als der Kerl seine MPi in die Höhe riß, hatte Jo ihm schon den Arm zur Seite gebogen. Die innerhalb eines Sekundenbruchteils folgende Gerade, ließ den Wächter mit einem dumpfen Ächzen zu Boden gehen. Er rührte sich nicht mehr und Jo nahm ihm die Waffe ab.

Was immer auch hier auf dem ehemaligen Gelände von Jesper & Smith zu finden war - es mußte sehr wichtig sein, wenn jemand bewaffnete Posten abstellte, um es zu bewachen.

Jo umrundete die Halle. Dahinter kamen andere Gebäudekomplexe, vor allem ehemalige Lager- und Büroräume. Und Labors, wie die alten Hinweisschilder verrieten.

In den ehemaligen Laborräumen schien Betrieb zu sein.

Zwischen den verschieden Gebäuden war ein Schotterplatz, auf dem einige Wagen abgestellt waren. Zwei weitere Bewaffnete patrouillierten auf und ab.

Als Jo einen Wagen heranfahren hörte, schnellte er seitwärts und versteckte sich hinter einem Pulk halb durchgerosteter Fässer.

Der Wagen war ein geräumiger Chevrolet. Er parkte bei den anderen und zwei Männer stiegen aus.

Einer davon war Logan. Er wirkte gutgelaunt.

Der andere Mann hatte hellblondes, sehr schütteres Haar, das sich deutlich von seiner höhensonnengebräunten Haut abhob. Seinem Verhalten nach, war er hier der Boß.

"Ist da drinnen alles klar?" fragte der Blonde an einen der Posten gewandt.

Der Mann nickte.

"Wird wohl alles in Ordnung gehen!"

Der Blonde ging an den bewaffneten Wachhunden vorbei in Richtung Tür. "Komm, packt mit an!" knurrte er dabei. "Ich habe es verdammt eilig heute! Das Zeug soll in den Kofferraum!"

Einen Moment später waren alle vier in dem Gebäude verschwunden. Jo kam hinter den Fässern hervor und nutzte die Gelegenheit, um sich näher an das Gebäude heranzupirschen.

Er konnte sich gerade noch hinter einer Ecke verbergen, als bereits einer der Kerle durch die Tür kam. Er schleppte einen Karton und brachte ihn in den Kofferraum des Chevys.

Was sich darin befand, war nicht schwer zu erraten. Wenn hier nicht alles täuschte, dann wurden an diesem Ort genau die synthetischen Drogen hergestellt und entwickelt, die dann von Leuten wie Arnold Parker in Umlauf gebracht wurden.

Idealere Voraussetzungen konnte man sich auch kaum denken. Die alten Laborräume von Jesper & Smith wieder funktionsfähig zu machen, war sicher nicht allzu schwierig gewesen. Niemand scherte sich darum, was auf diesem Gelände geschah. Und im Notfall konnte man leicht Hals über Kopf alle Zelte abbrechen und verschwinden. Die Spur würde dann erst einmal zu denjenigen führen, in deren Besitz das Grundstück rein rechtlich im Moment war, aber nicht zu den wirklichen Hintermännern.

Plötzlich fühlte Jo etwas Hartes in seinem Rücken.

"Nicht bewegen!" sagte eine sonore Baßstimme. Jemand nahm ihm die MPi aus der Hand und tastete ihn nach weiteren Waffen ab. Jo konnte den anderen nur mit den Augenwinkeln sehen. Es war ein Schwarzer.

"Wenn du nur die kleinste unüberlegte Bewegung machst, dann knall ich dich über den Haufen!" knurrte er. "Und jetzt gehst du schön vor mir her, kapiert?"

Jo nickte leicht.

Der Schwarze brachte Jo zur Vorderfront des Gebäudes. Inzwischen waren zwei weitere Kartons in den Kofferraum des Chevys geladen worden. Der Blonde stand unruhig da und trat von einem Fuß auf den anderen.

Dann blitzte es wütend in seinen hellblauen Augen.

"Wer ist das?" fauchte er, als sein Blick auf Jo fiel.

"Keine Ahnung!" erwiderte der Schwarze.

"Ich kenne den Mann!" meldete sich jetzt Logan zu Wort, der gerade aus der Tür getreten war. Logans Augen wurden schmal, als er Jo musterte. "Er hat mich überrascht, als ich die Sache mit O'Mara erledigt habe!"

Der Blonde wandte sich zu Logan herum und verzog das Gesicht. "Dann bist dafür verantwortlich, daß wir jetzt ein Problem haben!"

"Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte, Mister Crane!" erwiderte Logan schwach.

Der Blonde zuckte den Schultern. "Sorg dafür, daß das Problem verschwindet!" knurrte er zu Logan. "Die Leiche könnt ihr in eines der Fässer da drüben packen! Was dann übrigbleibt, wird wohl kaum noch genug für eine Identifizierung sein!"

Logan nickte und zog seine Pistole unter der Jacke hervor.

Sein Gesicht blieb ausdruckslos, als er die Waffe hob und auf Jos Kopf richtete.

*




IRGENDETWAS LENKTE Logan ab. Aber nicht nur ihn allein. Jedenfalls riß er seine Waffe herum, während irgendwo im Hintergrund etwas gerufen wurde.

Es war eine Warnung, aber die ging in den ersten Schüssen unter, die Logan in wilder Panik abfeuerte.

Jo stürzte sich auf ihn und riß ihm den Arm hoch, so daß die Kugeln in die Luft gingen. Die beiden wälzten sich über den Schotter, während der Blonde Angst um sein Leben bekam und in Panik geriet.

"Nicht schießen!" rief er, als ihm klar wurde, daß er und seine Leute umringt waren. Sie saßen in der Falle.

"Polizei! Hände hoch und Waffen fallen lassen!" rief jemand.

Jetzt gab Logan ebenfalls auf. Jo konnte ihm die Pistole abnehmen und erhob sich. Als er aufblickte, sah er unter den Männern, die jetzt aus ihren Deckungen hervorkamen auch einen, dessen Gesicht er inzwischen nur zu gut kannte.

Es war niemand anderes als Cunningham.

Jo mußte grinsen, als der Lieutenant auf ihn zukam. "Ich hätte nicht gedacht, daß ich mich mal freuen würde, Sie zu sehen, Cunningham! Diesmal haben Sie mir das Leben gerettet!"

Cunningham nickte. "Was geht hier eigentlich vor?" fragte er.

"Ihre Leute werden hier das Labor finden, in dem synthetische Drogen hergestellt werden. Diese Leute hier sind diejenigen, an die Sie durch O'Mara herankommen wollten." Jo klopfte ihm auf die Schulter. "Vielleicht kriegen Sie einen Streifen dazu, Cunningham!"

"Abwarten."

"Wie kommt es eigentlich, daß Sie so schnell zur Stelle waren, Lieutenant?"

Cunningham hob die Augenbrauen. "Wir hatten den Auftrag, Sie zu beschatten, Walker! Ich war fest davon überzeugt, daß Sie ein doppeltes Spiel spielen!" Er grinste breit. "Wir haben mit einem Scanner Ihr Autotelefon abgehört. Ihre Assistentin hat Sie kurz angerufen und uns dabei ungewollt verraten, in welche Einöde Ihre Reise gehen sollte, Walker!"

"Und da haben Sie Verdacht geschöpft und gleich eine große Mannschaft mobilisiert!"

"Jeden Streifenwagen, den ich kriegen konnte!"

"In Wahrheit war es Ihr Spitzel, der ein doppeltes Spiel getrieben hat!" erwiderte Jo.

Cunningham verzog das Gesicht. "O'Mara?"

"Er wußte, was an diesem Ort geschieht. Ich weiß nicht, wie, aber er hat es herausgekriegt und versucht, dieses Wissen zu Geld zu machen... Doch das war mindestens zwei Nummern zu groß für ihn!" Jo deutete auf Logan. "Fragen Sie ihn mal, wie viel man ihm dafür gegeben hat, daß er seinem Ex-Partner ein paar Kugeln in den Körper jagte!"

Cunningham atmete tief durch. Sein Blick blieb noch immer mißtrauisch.

Jo wollte an ihm vorbei gehen, aber der Lieutenant hielt ihn am Arm.

"Moment!" rief er. "Bevor ich Sie hier weglasse, will ich erst einmal haarklein wissen, was Ihre dubiose Rolle bei der Sache eigentlich ist!"

Jo zuckte die Achseln.

*




"WAS GLAUBST DU WOHL, wer zur Beförderung vorgeschlagen wurde?" meinte Rowland ein paar Tage später bei einem Drink in Jo Walkers Residenz.

Jo lächelte. "Du sprichst von Cunningham?"

"Von wem sonst, Jo? Es zwar noch ein Gerücht - aber eins, aus sehr sicherer Quelle!"

Jo zuckte die Achseln. "Ich hoffe nur, daß er sein Jagdfieber in Zukunft nicht mehr an mir ausläßt!"

"Was willst du denn, Jo? Deine Lizenz hast du ja zurück! Und wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre und dich nicht so gut kennen würde, dann wäre ich vielleicht auch auf die Idee gekommen, daß du in der Sache auf irgendeine Art und Weise drinsteckst!" Rowland trank sein Glas aus und fuhr dann fort: "Ich habe vor einer Stunde noch mit dem Staatsanwalt gesprochen."

Jo hob die Augenbrauen. "Und?"

"Diesem Logan Craig wird schwer nachzuweisen sein, daß er an dem Brannigan-Mord wirklich beteiligt war. Er wird es versuchen, aber er riskiert damit einen Schlag ins Wasser."

"Ja", bestätigte Jo. "Das fürchte ich auch. Aber man wird ihn trotzdem wegen Mordes verurteilen, denn was O'Mara angeht, ist die Sache ja wohl hieb und stichfest." Für Joanne Carter würde das allerdings nur ein schwacher Trost sein.

Rowland nickte indessen. "Die Waffe, die er bei der Festnahme bei sich trug ist eindeutig die, mit der O'Mara durchlöchert wurde. Die Kerle schieben sich jetzt gegenseitig die Schuld zu und versuchen jeweils das Beste für sich selbst herauszuholen."

"Das dürfte die Arbeit für den Staatsanwalt erleichtern!"

"Dieser Crane, der das Labor betrieben hat, wird eine ganze Armee von Anwälten daran setzen, ihn wieder herauszuhauen! Du weißt ja, wie das ist, Jo." Rowland zuckte die Achseln. "Ich bin kein Jurist, aber diesmal dürfte das schwierig für ihn werden!"

ENDE

Did you love Alfred Bekker Kommissar X #4: Der Amokläufer? Then you should read 1454 Seiten Thriller Spannung: Extra Krimi Paket 2017 by Alfred Bekker et al.!


Extra Krimi-Paket Mai 2017

Krimis von Alfred Bekker, Uwe Erichsen, Walter G. Pfaus, A. F. Morland, Conrad Shepherd und Thomas West

Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Künstlerpech für Mörder

Walter G. Pfaus: Ein folgsamer Junge

Thomas West: Dunkle Schatten auf weißer Weste

Walter G. Pfaus: Nur ein winzig kleiner Fehler

Conrad Shepherd: Auftrag für RR343

Thomas West: Rockerkrieg in Manhattan

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Uwe Erichsen: Verräter müssen sterben

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Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.



Meine 8 besten Thriller im Oktober 2021: Krimi Paket

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