Читать книгу ​ Geheimnisse dunkler Gassen: Die Seherin von Paris 2 - Alfred Bekker - Страница 6

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Es war durchaus überraschend für König Ludwig XIV., als der päpstliche Legat Kardinal Francesco Cagliarini um Audienz bei ihm ersuchte.

Jeder am Hofe der mächtigsten Nation von Europa wusste indessen, wie es um das Verhältnis des Königs zum Vatikan stand. Oder umgekehrt: Mit dem Verhältnis des Vatikans zum König von Frankreich. Immerhin war Ludwig XIV. ein König eigener Gnaden, der sich keinerlei Vorschriften machen ließ, rein auf Glaubensbekenntnissen basierend.

War dies etwa ein erneuter Versuch des Vatikans, hier am Hofe wieder stärker Fuß zu fassen, um die Geschicke des Landes über die Beeinflussung seines Königs mit zu bestimmen?

Sein Misstrauen war durchaus berechtigt. Doch er ließ es dennoch zu. Der Legat durfte vor ihm erscheinen, um persönlich deutlich zu machen, was sein wahres Anliegen war. Wobei eindeutig die schiere Neugierde des Sonnenkönigs über seine diesbezüglichen Vorbehalte siegte.

Der Kardinal erschien mit dem Selbstbewusstsein, wie es einem Legaten des Vatikans gebührte in Begleitung mehrerer Getreuer, die anscheinend seinem persönlichen Schutz dienten. Etwas, was natürlich den König von Frankreich in keiner Weise zu beeindrucken vermochte. Zumal König Ludwig für seinen eigenen Schutz gesorgt hatte. In Form von gut ausgebildeten und von ihm persönlich ausgesuchten Mitgliedern seiner Geheimpolizei.

Niemand wusste, wie viele Mitglieder seine Geheimpolizei überhaupt zählte. Da konnte man nur spekulieren. Die einen meinten, die Geheimpolizei sei tätig in allen Bereichen des Landes. Andere wiederum neigten eher zu der Ansicht, sie würde ihre Tätigkeit auf Schloss Versailles konzentrieren, immerhin auf jene bis zu zehntausend Adelige, die hier ihrer Wohnpflicht genügten.

Im Grunde genommen wusste darüber nur einer wirklich Bescheid, nämlich der König höchst persönlich. Sonst wäre ja die Geheimpolizei nicht wirklich geheim geblieben.

Auch betreffend die Männer, die er jetzt hier zum Empfang des Kardinals bereitgestellt hatte, in den Uniformen von Schlosswachen, was nur darüber hinwegtäuschen sollte, wozu diese Männer tatsächlich fähig waren. Falls es darauf ankommen sollte wohlgemerkt.

Nach wie vor war das Misstrauen des Sonnenkönigs allzu hellwach. Obwohl er sich den äußeren Anschein gab, sich über den Besuch eher zu freuen.

Kardinal Cagliarini stolzierte hoch erhobenen Hauptes bis zur schicklichen Mindestdistanz heran an den Thron Seiner Majestät, deutete eine elegante Verbeugung an und stellte sich mit lauter, klarer Stimme vor. Nicht in der Sprache des Vatikans, sondern in der Sprache des Königs höchstselbst. Eine Sprache, die er so perfekt beherrschte, als sei er auf Schloss Versailles aufgewachsen. Obwohl er persönlich zum ersten Mal dieses wahrhaft gigantische Schloss betreten haben mochte.

König Ludwig XIV. hielt sich derweil bedeckt. Er wartete ab. Ohne ein Wort zur Begrüßung wohlgemerkt. Er war der König. Er tat genau das, was er für richtig hielt. Ob nun da ein Legat des Vatikans vor ihm aufmarschierte oder nicht.

Möge Er endlich sich erklären!, schienen seine Augen streng aufzufordern, nachdem er beschlossen hatte, keine weitere sowieso nur vorgetäuschte Freude über den Besuch zu zeigen.

Kardinal Cagliarini richtete sich wieder zur vollen, imposanten Größe auf. Seine mehrlagigen Gewänder, die ihn als höchsten Würdenträger auswiesen, raschelten leise, und dann endlich begann er mit einer Stimme, die von Freundlichkeit nur so zu triefen schien. Anscheinend hielt er es für diplomatisch opportun, so zu sprechen, als sei alles zwischen dem Vatikan und der Führung über Frankreich völlig in Ordnung:

„Mit Verlaub, Eure Majestät. Ich bitte um Vergebung für mein allzu kühnes Vorsprechen. Doch ich versichere Euch hoch und heilig, ganz und gar Euer Diener zu sein. Wohl wissend zwar um gewisse Umstände, die sicherlich Eure Majestät zu quälen vermögen, doch immerhin Umstände, die gleichermaßen auch den Interessen des Vatikans zuwider gehen.“

Die Augen des Königs verengten sich automatisch zu schmalen Schlitzen. Er sagte jedoch immer noch nichts.

Falls es überhaupt noch möglich gewesen wäre: Jetzt wäre sein Misstrauen sogar noch gewachsen. Worauf wollte der Legat des Vatikans denn eigentlich mit seinem übertrieben schleimigen Gehabe hinaus?

Der Kardinal hatte indessen offenbar beschlossen, nicht mehr länger um den sprichwörtlichen heißen Brei herum zu reden, sondern tatsächlich auf den Kern seines Anliegens zu kommen, zumindest diesem sich entscheidend anzunähern.

„Es wurde offensichtlich, dass es eine okkulte Bedrohung gibt an Eurem Hofe! Verzeiht, wenn ich es wage, dies so offen anzusprechen, aber ich bin gekommen, um deutlich zu machen, dass der Vatikan durchaus nicht nur um gewisse Umstände weiß, sondern vor allem auch, dass der Vatikan in großer Sorge darum ist. Betrifft es ja nicht nur Euer Land, sondern beeinflusst auch weitere Königshöfe in ganz Europa. Mit Auswirkungen am Ende gar auf den Vatikan selbst? Daher war ich so kühn, um Audienz bei Euch zu bitten, um deutlich zu machen, wie der Vatikan dieses Verschwörungspotenzial selbst einordnet und inwiefern es möglich sein könnte, Euch bei der Bekämpfung solch gefährlicher Vorgänge entscheidend zu unterstützen.“

„Ach ja?“, war das Einzige, was König Ludwig dazu zu sagen hatte. Vorerst. Er bestätigte weder, dass es so etwas wie eine okkulte Verschwörung an seinem Hofe überhaupt geben könnte, noch bestritt er es.

Kardinal Cagliarini hielt kurz inne. Anscheinend wollte er erst noch überlegen. Sein weiteres Vorgehen in dieser Angelegenheit. Um nicht sogar Gefahr zu laufen, Seine Majestät zu verärgern, was zwangsläufig dazu hätte führen können, dass die Audienz einfach beendet wurde. Schlussendlich hatte er ja nicht die weite Anreise hierher unternommen, um gar mit leeren Händen zurückzukehren in den Vatikan.

Soviel jedenfalls stand fest. Auch für den König selbst, der den Kardinal genauestens beobachtete, damit ihm auch ja nicht der geringste Fingerzeig entging, um auf diesem Wege vielleicht herauszufinden, was den Kardinal denn in Wahrheit umtrieb.

Nur ein Hilfsangebot des Vatikans? Ausgerechnet also ein Vatikan, der sich um eine okkulte Verschwörung sorgte hier am Hofe und darob vorgab, solidarisch zu sein?

„Verzeiht, Eure Majestät, wenn ich es ansprechen muss, denn sicherlich ist dies ein Thema, das Ihr nicht unbedingt mit einem Legaten des Vatikans erörtern wollt. Doch der Vatikan ist durchaus zu der Überzeugung gelangt, dass Madame de Montespan nur ein Teil dieser Verschwörung war. Obwohl es keine gültigen Beweise dafür zu geben scheint, hat sie offenbar lange Zeit Eure Getränke mit allerlei unappetitlichen Zutaten gepanscht. Nur zu Eurem Schaden, nicht zu Eurem Nutzen.“

Er hob wie abwehrend beide Hände und versprach: „Bitte, Eure Majestät, es liegt mir völlig fern, nun den Namen der Madame unnötig in den Schmutz zu ziehen. Es ist durchaus auch dem Vatikan daran gelegen, die Mutter Eurer Kinder nicht unbedingt ins Zwielicht zu bringen. Zumal Ihr auf elegante Weise dieses Problem ja längst gelöst habt. – Falls Ihr mir diese kühne Bemerkung erlaubt.“

„Kommt endlich zur Sache, Kardinal!“, forderte König Ludwig ihn jetzt auf. Es klang ein wenig ungehalten, was den Kardinal offensichtlich erschreckte.

War er etwa doch zu weit gegangen, als er dieses Thema so unmittelbar angesprochen hatte? Aber er schien es dennoch für notwendig zu erachten, weshalb er eilig weitersprach.

„Nichts davon ist jetzt noch von Bedeutung, und es hat auch nur indirekt mit meinem Hiersein zu tun. Aber Ihr habt ja Ermittlungen angestrengt im Umfeld des satanistischen Priesters Etienne Guibourg, die eindeutig Rückschlüsse darauf zuließen, dass die Verschwörung in der Tat viel weitreichender sein muss als das, was Madame Euch angetan hat. Es scheint gar, dass Madame selbst nur ein Werkzeug derer war, die eigentlich hinter alledem stecken. Ein Werkzeug wie wahrscheinlich auch jene Magierin Madame La Voisin, die ja Teil jener Giftmischer-Verschwörung um Madame Montespan war.“

Was König Ludwig XIV. in diesem Augenblick noch nicht einmal anzumerken war, trieb ihn im Innern tatsächlich mächtig um. Er dachte an jenen Attentäter, der vergeblich versucht hatte, ihn umzubringen, von seinen Geheimpolizisten jedoch rechtzeitig davon hatte abgebracht werden können. Unter der Folter hatte er doch tatsächlich gestanden, das Attentat nur deshalb versucht zu haben, weil der König von Frankreich unter dem Befehl Satans stünde. Dafür habe ein geheimer Kreis von Satansjüngern mit seinen Ritualen gesorgt.

Immerhin basierend auf Erkenntnissen, die zwar nicht endgültig hatten bewiesen werden können, die aber dennoch Fakt sein konnten. Denn hatte die Montespan nicht schon im Jahre des Herrn 1666 an sogenannten Schwarzen Messen teilgenommen? Wobei sogar Kinderleichen herbeigeschafft worden waren, um sie unter grausigen Ritualen dem Satan zu opfern? Dies alles nur, um Macht über den Geist des Königs zu erlangen?

Dieser Attentäter war jedenfalls davon ausgegangen, dass solches inzwischen bereits von Erfolg gekrönt war. Was natürlich eindeutig eine Fehlaussage sein musste, denn König Ludwig XIV. erfreute sich derzeit nicht nur bester Gesundheit, sondern durfte sicher sein, nicht im Geringsten seine Willenskraft eingebüßt zu haben.

Dem gegenüber standen jedoch jene Namen, die der Attentäter unter der Folter ausgeplaudert hatte. Alles Namen, die mit Etienne Guibourg in Verbindung standen.

Fazit der „hochnotpeinlichen Befragung“ immerhin blieb, König Ludwig sei bereits nichts weiter mehr als die Marionette dieses Kreises – und falls dies noch nicht der Fall sein sollte, so stünde dieser „Circle Rufucale“ – so wörtlich – kurz davor, aus dem Geheimen heraus die Macht über die mächtigste Nation Europas zu gewinnen.

Und wie viel davon glaubte der Kardinal da vor ihm zu wissen? Etwa alles?

Dann musste der Sonnenkönig zwangsläufig davon ausgehen, dass der Vatikan längst schon erfolgreich seine eigenen Spione am Hofe im Einsatz hatte.

Allerdings etwas, was für Ludwig nicht weiter überraschend erschien beim gegenwärtigen Verhältnis zwischen ihm und dem Vatikan, der ja vor allem jene Nationen gern unterstützte, die sich von ihm maßgeblich beeinflussen ließen – und das waren mehr oder weniger alle, die Frankreich feindselig gegenüber standen.

Und jetzt hatte ausgerechnet der Vatikan einen so hohen Würdenträger als Legaten entsendet? Um ihm irgendwelche Hilfe anzubieten? Das roch nicht nur befremdlich, das stank für den König förmlich zum Himmel.

Wie sollte eine solche Hilfe denn außerdem überhaupt aussehen können?

„Ist es nicht seltsam, mit Verlaub gesagt, Eure Majestät, und ich bitte ausdrücklich um Vergebung, dass ich auch diesen Punkt jetzt ansprechen muss, um zu verdeutlichen, wie groß das Interesse des Vatikans ist, Euch nach Kräften zu stärken in Eurem Kampf gegen okkulte Verschwörer. Der Attentäter starb schließlich auf Grund der Ungeschicklichkeit des Folterers, rechtzeitig, bevor er noch konkreter hätte werden können.

Ungeschicklichkeit des Folterers? So jedenfalls wurde es behauptet. Immerhin ein erfahrener Folterer, dem dies zuvor noch nie passierte? Und immerhin ein Folterer, der nicht lange darauf unter mysteriösen Umständen selber plötzlich und für immer spurlos verschwand?

Bitte, Eure Majestät, ich muss schon wieder darum bitten, Eurem untertänigen Diener zu verzeihen ob seiner an den Tag gelegten Kühnheit, doch so glaubt mir, wenn ich Euch inbrünstig versichere, ausschließlich nur Eures eigenen Wohles wegen hier zu sein. Wobei ich nicht umhin kann, als die Wahrheit auszusprechen, um eben zu untermauern, was die gemeinsamen Interessen des Vatikans und Eurer Majestät sind und im Grunde genommen sogar sein müssen.“

Er hielt kurz inne, und erst als der König gar nicht darauf reagierte, wagte er es, fortzufahren.

„Wäre es denn abwegig anzunehmen, dass jener Henkersknecht und Folterknecht mit den Verschwörern unter einer Decke steckte und in ihrem Auftrag verhindern musste, dass der Gefangene unter der Folter weitere belastende Aussagen machen konnte?

Dem Vatikan ist bekannt, dass wohl manche in Eurem Umfeld dies eher für eine fixe Idee halten, aber ich versichere Euch, dass der Vatikan dies ganz und gar nicht so sieht. Dass der Vatikan ganz und gar auf Eurer Seite steht in dieser Frage und in dem Verschwinden den entscheidenden Beweis sieht, dass man letztlich auch den Folterknecht selbst hatte loswerden wollen, ehe seine Rolle in der Angelegenheit noch deutlicher hätte werden können.

Angesichts dessen noch einmal und in ehrlicher Anteilnahme: Ich muss es wirklich so deutlich aufführen und hoffe dabei inbrünstig auf Vergebung, aber ich bin dazu beauftragt und ermächtigt, Euch voll und ganz zu unterbreiten, was der Kenntnisstand des Vatikans ist. Um Euch die unverbrüchliche Ehrlichkeit des Hilfsangebotes noch einmal deutlich zu machen.“

Er schöpfte tief Atem. Und dann platzte es regelrecht aus ihm heraus: „Ist nicht kürzlich erst sogar der Chef Eurer Geheimpolizei ermordet worden?“

König Ludwig fuhr halb in seinem Thron auf, ließ sich aber wieder schwer zurückfallen.

„Woher wisst Ihr das alles?“, ächzte er. „Muss ich nicht nur jene Verschwörer fürchten, sondern auch noch Spione Eures Vatikans?“

„Bitte, Eure Majestät, untertänig, aber ...“ Der Kardinal wurde brüsk unterbrochen.

„Gemessen an dem, was der Vatikan ansonsten zu bieten hatte an Anfeindungen gegen mein Volk, meine Nation und vor allem gegen meine Person, muss ich schon sagen, dass ich es äußerst befremdlich, um nicht zu sagen bedrohlich finde, wenn es hier am Hofe nur so von Spionen meiner Feinde zu wimmeln scheint. Was kommt denn da noch? Verschwörer, die auf okkulte Weise über mich triumphieren wollen und auch vor Mord nicht zurückschrecken, gibt es offensichtlich ja schon mehr als genug. Dann auch noch Spione des Vatikans, die ich nach bisherigen Erfahrungen keineswegs so positiv einzuschätzen vermag, als Ihr es beliebt? Spione etwa auch noch der Habsburger?

Nicht zu vergessen: Auch die Niederlande und England sind erbitterte Feinde. Und deren Spione schließlich hier am Hof? Womöglich in Personalunion mit den Spionen des Vatikans, die gleich auch noch für seine befreundeten Nationen mit herumspionieren? Sollte man sie wirklich als harmloser einordnen als die okkulte Bedrohung?

Was gar, wenn alles dies zusammen ebenfalls Teil der Verschwörung ist?“

Er fixierte den Kardinal so streng mit den Augen, dass dieser sich unwillkürlich duckte.

„Und was ist letztlich mit Euch? Stolziert hier herein, um angeblich ein Hilfsangebot zu machen. Welcher Art denn eigentlich? Sollen Eure Spione hier am Hof offiziell aus dem Kreis der Verschwörer austreten oder was? Um ihren guten Willen zu bezeugen, oder wie?“

„Bitte, Eure Majestät, untertänig, aber es lag keineswegs in meiner Absicht, Euch derart zu erzürnen.“

„Und was war wirklich Eure Absicht, Kardinal? Na? Den König von Frankreich in Sicherheit zu wiegen, um Eure Spione in Zukunft noch erfolgreicher tätig werden zu lassen? Gar als Hilfe gegen die übrigen Verschwörer am Hofe?“

Kardinal Francesco Cagliarini gab sich ehrlich erschüttert.

„Bitte, Eure Majestät, ich bitte noch einmal um Vergebung, falls dieser Eindruck entstanden sein sollte, doch das Hilfsangebot des Vatikans ist wirklich ernst gemeint. Dafür bürge ich mit meinem Leben!“

„Mir Eurem Leben? Ist das wirklich Euer Ernst?“

Jetzt richtete sich der Kardinal wieder zu voller Größe auf und verkündete mit fester Stimme: „Was immer Euch beliebt, Eure Majestät: Ich bin nur ein Bote, obzwar tatsächlich und durchaus ermächtigt, Euch ein verbindliches Angebot zu machen. Ein Angebot deshalb, weil der Vatikan gemeinsam mit Euch voller Sorge ist, was all diese Vorgänge betrifft.

Wie schon angesprochen: Es steht nach Auffassung des Vatikans nicht nur Frankreich dabei im Fokus der okkulten Verschwörer, sondern das gemeinsame Abendland. Satanische Mächte sind und bleiben der Erzfeind des Himmlischen, des Göttlichen, mithin von alledem, wofür der Vatikan steht!“

Das machte den König jetzt tatsächlich ein wenig nachdenklich. Es reichte zwar nicht, sein waches Misstrauen zu beseitigen, doch er brach nun doch nicht ab, sondern bewahrte sich noch genügend Neugierde, um den Legaten des Vatikans endlich sein eigentliches Angebot unterbreiten zu lassen.

Es genügte ein aufforderndes Kopfnicken des Königs, um den Kardinal zu befleißigen, zu versichern: „Monsignore Rafaelo Santorini, Eure Majestät, ist der Vorsitzende eines Exorzisten-Kollegs, das eigens vom Vatikan bereits eingerichtet wurde, um den Circle Rufucale erbarmungslos zu bekämpfen. Wie Ihr seht, Eure Majestät, hat der Vatikan denselben Feind.

Ihr kennt diesen Namen: Circle Rufucale. Es scheint nicht nur so, sondern es entspricht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der absoluten Wahrheit, dass genau dieser Zirkel für die nötige Koordination aller Verschwörungen sorgt. Hier am Hofe, aber auch ...“, er unterbrach sich kurz und atmete mehrfach tief durch, ehe er fortfuhr, „ ...aber auch im Vatikan selbst! Und bei allen Differenzen, die ich nicht ermächtigt bin auch nur in Zweifel zu ziehen, und die ja vorwiegend außenpolitische Gründe haben ...“

Jetzt wurde er vom König abermals unterbrochen: „Weil eben der Vatikan auf der Seite der Habsburger steht, der Niederlande und sogar England? Und weil der Vatikan mit daran beteiligt ist, gegen meine Krone wahre Hetzkampagnen sogar am spanischen Hof anzuzetteln?“

„Ich weiß, Eure Majestät, und verstehe auch Eure Bedenken, wenn ausgerechnet von einem Legaten des Vatikans eine solche Hilfe angeboten wird. Aber ich bitte dennoch untertänig, zu bedenken, dass das eine nicht unbedingt das andere ausschließt. Diese Bedrohung der okkulten Verschwörer ist eine Bedrohung aus dem Innern. Bedrohungen aus dem Äußeren habt Ihr nicht zu befürchten. Dafür seid Ihr zu stark. Ihr habt hinlänglich bewiesen, unanfechtbar zu sein. Aber jene Bedrohung eben aus dem Innern ... Es ist eine Bedrohung die jeder zu spüren bekommt. Sogar der Vatikan selbst eben. Satanische Mächte, die aus diesem Innern heraus alles unternehmen, um die Macht zu erlangen. Letztlich wohl nicht nur über die französische Krone, sondern auch, und das ist der eigentliche Grund meines Hierseins: über den Vatikan selbst! Über das Oberhaupt der Kirche mithin!“

König Ludwig musterte den Legaten lange. Während dieser Zeit blieb der Legat vorsichtshalber lieber stumm und verhielt sich ebenfalls abwartend. Er hatte alles angesprochen, um nicht zu sagen: Es war bereits zu viel gewesen, was über seine Lippen gekommen war. Immerhin hatte er indirekt zugegeben, dass es tatsächlich Spione des Vatikans am Hofe gab, die sogar bestens informiert waren.

Dieser Besuch von ihm: Ein Akt der Ehrlichkeit? Oder eben ein grober Fehler, was zur zwangsläufigen Ablehnung durch den König führen musste?

König Ludwig betrachtete den Legaten und sah in ihm ganz deutlich einen Abgesandten des Feindes. Außenpolitisch gesehen zumindest.

Aber auch eines Freundes? Innenpolitisch gesehen?

Ein Konflikt in seiner Brust. Doch er musste sich entscheiden.

Da war einerseits sein durchaus berechtigtes Misstrauen gegen alle und jeden. Seit dem gewaltsamen Ende des Chefs seiner Geheimpolizei erst recht. Was sein Misstrauen sowieso schon zu einem Höhepunkt gebracht hatte. Sogar gegenüber allen, die sich als Freunde ausgaben.

Und jetzt dieser Gesandte des unzweifelhaft feindlich gesinnten Vatikans mit einem Angebot zur Hilfe? Mittels eines Exorzisten-Kollegs?

Immerhin eine Art Sondereinheit, speziell zur Bekämpfung des gefürchteten „Circle Rufucale“ eingerichtet. Wenn er sich darauf einließ, wenn er es erlaubte, dass dieses Kolleg hier am Hofe seine Ermittlungen aufnehmen konnte ... Welches zusätzliche Risiko entstand da für ihn, den König? Wenn er sowieso jedem misstrauen musste, würde er dem Kolleg zwangsläufig ebenfalls misstrauen müssen. Er misstraute seinen vorgeblichen Freunden – und seinen Feinden sowieso. Aber wenn er das Kolleg zuließ, bestünde zumindest die Wahrscheinlichkeit eines gewissen Erfolges.

Es ging immerhin gegen einen Zirkel, der so diffus war wie seine Absichten. Nichts war wirklich greifbar. Wann immer man meinte, auf eine passende Spur zu stoßen, gab es gleich wieder Tote, und die Spur verlief erneut im Sande.

War es angesichts dessen nicht überzeugend, wenn der Vatikan in einer solchen Verschwörung nicht nur eine Gefahr für die Krone Frankreichs, sondern auch für sich selbst sah? Wozu sonst ein solches Kolleg speziell darauf ansetzen?

Und wenn der Vatikan dann über seine Spione zu der Überzeugung gelangt war, am ehesten hier am Hofe ansetzen zu müssen, um vielleicht sogar der Wurzel dieser Bedrohung auf die Spur zu kommen: Was verlor er selbst dabei, wenn er sich darauf einließ?

Ja, sollte das Exorzisten-Kolleg doch ruhig seine Arbeit aufnehmen. Eigenständig. Mit seiner Erlaubnis zwar, aber ohne seine Unterstützung, aber auch, ohne es bei der Arbeit behindern zu wollen. Um letzten Endes allein nur Ergebnisse für sich selbst sprechen zu lassen. Ohne dabei zwangsläufig allzu großes Vertrauen hineinsetzen zu müssen wohlgemerkt.

„Also gut!“, entschied König Ludwig XIV. schließlich: Eine Entscheidung, die sicherlich weitreichende Folgen haben würde. Die er jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich bereits abzusehen vermochte.

Immerhin holte er sich damit ein Exorzisten-Kolleg an den Hof mit weitreichenden Befugnissen. Falls sich dies wirklich als Fehler herausstellen würde, wäre es schwierig, so etwas wieder so einfach rückgängig zu machen. Er würde dabei zumindest sein Gesicht verlieren. Vielleicht sogar mehr?

Würde es nicht auch noch seine innenpolitische Position zusätzlich schwächen – zusätzlich zur außenpolitischen?

Gut, er hatte außenpolitisch nicht wirklich etwas zu befürchten, aber es musste ja auch nicht unbedingt schaden, wenn er auf diese Weise so etwas wie Gemeinsamkeit mit dem Vatikan demonstrierte.

„Das Kolleg ist hiermit zugelassen!“

Kardinal Cagliarini verbeugte sich tief vor der Krone Frankreichs.

„Es wird zum Nutzen Frankreichs sein!“, versprach er im Brustton der Überzeugung. „Das Kolleg wird die Satanischen finden und exorzieren. Dies ist sein Auftrag.“

„Ja, ich weiß, zum Wohle Frankreichs!“, wurde der König ungehalten.

Der Legat des Vatikans sah darin das eindeutige Zeichen dafür, sich schleunigst zurückziehen zu müssen. Er hatte ja erreicht, was er hatte erreichen wollen. Mehr war jetzt sowieso nicht mehr zu besprechen.

Und so hatte es sich zugetragen, dass König Ludwig XIV. tatsächlich dem Exorzisten-Kolleg unter der Leitung von Monsignore Rafaelo Santorini Tür und Tor geöffnet hatte. Einem Kolleg, das sich in der Ausübung erbarmungsloser Brutalität vom eigentlichen Zirkel, den es ja bekämpfen wollte, kaum unterschied. Was aber erst zum Tragen kam, nachdem es bereits zu spät geworden war, es wieder rückgängig zu machen.

Seitdem verrieten schreckliche Schreie gequälter Exorzisten-Opfer, was da wirklich vorging neuerdings hinter den Mauern von Versailles. So laut immerhin, dass Orchester lauter aufspielen mussten, um sie zu übertönen.

Kein Wunder, dass König Ludwig XIV. letztlich nicht mehr länger umhin kam als jenen Mann zusätzlich zum Sonderermittler zu bestimmen, dem er jetzt noch als einzigem Vertrauen entgegen zu bringen vermochte: Robert de Malboné!

Nicht etwa als Ergänzung des Kollegs, sondern gewissermaßen als vielleicht letzten Ausweg, nachdem er berechtigte Zweifel an dem Vorgehen des Kollegs nicht mehr länger einfach so beiseiteschieben konnte.

Und Robert hatte inzwischen bereits seine Ermittlungen aufgenommen. Ermittlungen, die ihn schließlich nach Paris geführt hatten.

Genau dorthin, in eine Umgebung, wohin man als Adeliger vom Hofe Frankreichs für gewöhnlich niemals gehen sollte. Noch nicht einmal in der Not.

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