Читать книгу Micheles dunkler Fluch: Die venezianische Seherin 3 - Alfred Bekker - Страница 6
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ОглавлениеDer Tod kam mit den Ratten.
Und die Ratten mit den Schiffen, die in so großer Zahl in Venedig anlandetetn.
Seit Mitte des vierzehnten Jahrhunderts gab es eine Pestwelle nach der anderen. Und immer wieder raffte es unzählige Bürger von Venedig dahin, aber nicht nur in der Lagunenstadt, weil sich die Pest jedes Mal von hier aus über ganz Europa ausbreitete. Und niemand konnte damals auch nur ahnen, was die Ursache war. Deshalb machten viele ein Versagen Gottes verantwortlich – und flüchteten sich in heidnische Vorstellungen, egal wie absurd sie auch erscheinen mochten.
Michele konnte von sich behaupten, ganz besonders gottesfürchtig zu sein. Er war ein unscheinbarer, zurückhaltender, um nicht zu sagen schüchterner Mann, dem das Gebet zu seinem Allmächtigen immer schon wichtig gewesen war, und der seine Familie über alles liebte.
Er lebte für sie, und sie lebten für ihn!
Da waren beispielsweise seine Eltern, mit bescheidenem Wohlstand, denn der Vater war ein Schiffsbauer, und solche waren in der Lagunenstadt begehrt, die ja in erster Linie vom Handel lebte als wohl einer der größten Handelsknoten der damaligen Welt, um nicht zu sagen vielleicht der größte sogar. Wobei die Bürger von Hamburg oder London beispielsweise durchaus auch eine andere Meinung vertreten hätten.
Jedenfalls: Michele wuchs unbesorgt und wohlbehütet auf und brauchte sich über seine eigene Zukunft keine Sorgen zu machen. Dachte er zumindest. Und das dachte sicherlich auch die ganze Familie, solange sie in ihrem ansehnlichen Haus lebten inmitten anderer ihres Standes, die man in Venedig Populani nannte. Sie machten sowieso den größten Teil der Bevölkerung aus. Und damit waren sie deutlich zu unterscheiden zu den Bewohnern in jenen Gebieten, in denen Armut und Elend vorherrschten – und natürlich auch von den Nobilhòmini, die sich alleinverantwortlich für Politik, gehobene Verwaltung, Kriegs- und Flottenführung dünkten.
Was die Armenviertel betraf, wurden diese indirekt sogar von der immer wiederkehrenden Pest genährt: Wer alles verlor durch die Pest, nicht nur seine Angehörigen, sondern mit diesen auch praktisch jeglichen Besitz, endete zwangsläufig hier.
Etwas, worum sich Michele eben keinerlei Sorgen zu machen brauchte. Bis im Jahre des Herrn 1395 wieder einmal eine Pestwelle Venedig traf und teilweise entvölkerte. Betroffen war diesmal auch die Familie von Michele.
Das hieß: Alle waren betroffen außer einem, nämlich ihm! Alle wurden in ihrem eigenen Haus eingesperrt, und die Beteuerungen Micheles, gar nicht betroffen zu sein von dieser grausamen Krankheit, stießen draußen auf taube Ohren.
Mehr noch: Man steckte weitere Pestkranke hinzu, so dass es im Haus von Micheles Familie ziemlich eng wurde.
Wasser und Nahrung bekamen alle im Haus durch eine Klappe an der Haupteingangstür gereicht. Die weiteren Zugänge und sogar die Fenster im Erdgeschoss wurden von den wachsamen Hütern der Pesthäuser, die in der Regel spitznasige Pestmasken trugen, sorgfältig vernagelt, damit auch niemand aus dieser Todesfalle jemals mehr entrinnen konnte.
Jeder im Haus wusste dabei nämlich, was dies bedeutete: So lange es noch jemanden im Haus gab, der die Nahrung und das Wasser an jener Klappe in Empfang nahm, geschah erst einmal überhaupt nichts. Doch wehe, Nahrung und Wasser wurden nicht mehr in Empfang genommen: Dies würde das Startzeichen dafür sein, ihr als Pesthaus gekennzeichnetes Anwesen bis auf die Grundmauern niederzubrennen.
Oh, die dafür verantwortlich waren, die mit ihren spitznasigen Masken, von denen sie annahmen, sie könnten gegen die Pest schützen, hatten darin längst eine gewisse Routine entwickelt: Sie begossen das Gebäude mit Öl und achteten sorgfältig darauf, dass die Nachbargebäude von dem anschließenden Feuer nicht ebenfalls betroffen wurden.
Es war auch der Grund, wieso man nicht jedes Haus zum Pesthaus erklärte, sondern nur jene, die man abfackeln konnte, ohne dass es zu einem Flächenbrand ausartete. Häuser, die dafür nicht geeignet waren, mussten von den Pestkranken verlassen werden. Sie wurden in die verbliebenen Pesthäuser mit eingesperrt, während man beinahe das gesamte Inventar ihres Hauses, vor allem eben Dinge des täglichen Bedarfs, komplett ebenfalls dem Feuer zuführte.
Dass sich die Pest trotzdem beinahe ungehindert verbreiten konnte, brachte die Verantwortlichen nicht dazu, ihre Taktik in Sachen Pestbekämpfung zu ändern. Sie waren auch nach rund fünfzig Jahren der immer wiederkehrenden Pest der festen Überzeugung, damit das einzig Richtige zu tun.
Michele war eines der Opfer, die man als eine Art Kollateralschaden hinnahm. Ein Wort, das allerdings damals noch gar nicht gebräuchlich gewesen war. Es hätte auch nichts geändert, hätte man es in diesem Zusammenhang bereits benutzt.
Es war und blieb eine traurige Tatsache, dass es immerhin ja nicht hundertprozentig sicher sein konnte, dass jeder im Pesthaus tot war, nur weil niemand mehr zur Klappe kam. Michele zum Beispiel, der die Zeit in dieser tödlichen Falle überwiegend voll des inbrünstigen Gebetes verbrachte, weil er der Meinung war, Gott höchst selbst habe ihm die Gnade der Gesundheit und Immunität gegen die Pest gewährt, kam gar nicht auf die Idee, sich dorthin zu begeben. Das taten andere, denen er sich untergeben fühlte. Schließlich war er der Jüngste in der Familie, und es stand ihm nicht zu, sich dahingehend vorzudrängen.
Bis alle tot waren, außer ihm, was er allerdings zu spät gewahr wurde. Dann nämlich, als schon die ersten Rauchschwaden aufstiegen und ihm allmählich dämmerte, dass man das Haus in Brand gesteckt hatte.
In seiner aufkeimenden Panik versuchte er natürlich, der Todesfalle doch noch zu entrinnen. Er schrie und tobte, um auf sich aufmerksam zu machen. Er klagte den Allmächtigen an, weil dieser ihm zwar Immunität gegen die Krankheit gewährt hatte, aber keine Immunität gegen menschliche Dummheit und Ignoranz.
Alles vergeblich. Und als er schließlich versuchte, dort auszubrechen, wo sich die Klappe für Nahrung und Wasser befand, bemerkten die Maskenträger das draußen rechtzeitig, nahmen sogleich Stangen zur Hand, die sie eigens zu diesem Zweck mit sich führten, und stießen ihn durch die Klappe hindurch gnadenlos zurück.
Er schrie und tobte weiter, was ihm nichts nutzte. Auch der wiederholte Hinweis, dass er doch gar nicht von der Pest befallen sei, wurde ganz einfach nicht geglaubt.
Eigentlich hätte sein Toben dazu führen müssen, das Feuer wieder zu löschen, denn hieß es denn nicht, dass nur dann ein Pesthaus abzufackeln sei, wenn es keinerlei Lebenszeichen mehr gab?
Immerhin etwas, was irgendwann tatsächlich die Brandstifter halbwegs zur Einsicht brachte. Das bereits großenteils abgebrannte Gebäude wurde schließlich wieder von ihnen gelöscht. Wenngleich nur insoweit, dass es Michele möglich wurde, das alles doch noch zu überleben.
Nicht ohne bitter dafür bezahlen zu müssen, denn sein Körper war von grässlichen Brandwunden entstellt, und er rang nach seiner Rettung immer noch mit dem Tode.
Es gab ein paar wenige Beherzte, die endlich glauben wollten, dass er gar keine Pest hatte und somit keinerlei Gefahr war für die Gesunden. Soweit das bei diesen Brandwunden überhaupt noch erkennbar war, stellten sie fest, dass er im Grunde genommen die ganze Zeit über völlig pestfrei gewesen war, weil die typischen Anzeichen fehlten.
Obwohl ihm das die ganze Zeit über niemand hatte glauben wollen. Denn seit wann gab es denn so etwas? Ein Gesunder in einem Pesthaus, so unmittelbar mit all diesen Pestkranken zusammen, ohne von diesen angesteckt zu werden?
Es gelang im Hospital der barmherzigen Schwestern, dort vor allem der blinden Catrina di San Marco, Micheles Leben endgültig zu retten. Ein Leben, das kaum jemand, der ihn sah, für wirklich lebenswert einstufte.
Dabei geschah mit Michele etwas, was man nur mit einem Satz umschreiben konnte: Der Wahnsinn wurde zu seiner eigentlichen Bestimmung. Grässlich verunstaltet, aber in seiner Beweglichkeit dennoch kaum eingeschränkt, konnte er sich zwar frei bewegen nach seiner Genesung, doch er war zu einem abstoßenden Monstrum geworden, wie beinahe alle ihn sahen. Außer den barmherzigen Schwestern, denen er allerdings in keiner Weise dankbar war ob seiner letztendlichen Lebensrettung, sondern die er hauptverantwortlich machte dafür, dass er für den Rest aller Tage dazu verurteilt war, dieses Monstrum zu sein.
Wie sollte er als solches überhaupt weiterleben können?
Das gelang ihm nur, weil er zu einer Art Ikone wurde: Der Entstellte, der als einziger Mensch offenbar immun war gegen die Pest. Nachweislich. Ein menschliches Monstrum mit offensichtlich magischen Kräften. Den man gern berührte, um von dieser Magie vielleicht etwas auf sich selbst überfließen zu lassen. Für die nächste Pestwelle.
So konnte er weiterleben. Nicht mehr als der Sohn eines angesehenen Schiffsbauers, sondern als der Bettler Michele, den jedes Kind kannte im Armenviertel, an dessen Rand er sich niederließ. Er lebte überwiegend im Freien, weil ihm trotz des Nimbus, der ihm anhaftete, keiner Unterkunft zu gewähren wagte. Doch er lebte nicht wirklich schlecht. Man gab ihm alles das, was er zum Überleben benötigte. Während sein Wahnsinn mit jedem weiteren Tag absurdere Strukturen annahm.
Der Grundgedanke von ihm war dabei, dass Gott mit ihm ein ganz besonders böses Spiel getrieben hatte. Als hätte Gott ihn nur deshalb von der Pest verschont, um ihn zu diesem Monstrum werden zu lassen, als das er hier bettelnd seinen Lebensunterhalt bestritt.
War dies denn wirklich noch ein Gott, den er anbeten konnte?
Und daraus entstand im Laufe der Zeit und am Ende sorgfältiger Überlegungen, bei denen er nicht bemerkte, dass sie immer absurder wurden, für dies alles nicht Gott verantwortlich zu machen, sondern seinen Gegenspieler:
War dies alles, was ihm widerfahren war, nicht eher ein Werk des Teufels?
War also nicht eher dieser derjenige, der ihn auserkoren hatte, zu überleben, gezeichnet als einer der seinen, wie es deutlicher nicht mehr werden konnte? Ein Monstrum eben, erfüllt von der Magie des abgrundtief Bösen, erkennbar geworden für jeden, dem er begegnete, die Verkörperung des Satans überhaupt hier auf Erden gar?
Michele blieb der verunstaltete Bettler, der jetzt allerdings tagsüber nicht mehr bemüht war, seinen grauenerregenden Anblick zu bedecken, sondern ihn offen zu zeigen.
Zu offen für die meisten Menschen, die es nicht mehr wagten, ihm nahe zu kommen. Für sie erschien er tatsächlich wie die Inkarnation des Teufels auf Erden. Sie vergaßen, dass er anfangs halbwegs wie ein Heiliger behandelt worden war.
Somit wurden die milden Gaben, auf die er zwingend angewiesen war, immer dürftiger.
Bis erneut die Pest Venedig heimsuchte, in aller Grausamkeit. Nämlich im Jahre des Herrn 1400. Etwas, das ihn einerseits kalt ließ, weil er sich nach wie vor als völlig immun ansah gegen die Pest, immerhin vom Satan selbst dazu auserkoren. Allerdings hatte er sich in diesen Wahnsinn bereits so stark hineingesteigert, dass er jetzt der Meinung war, der Satan hätte die Pest nur deshalb erneut nach Venedig gebracht, um seinen würdigsten Diener auf Erden zu prüfen, nämlich ihn.
Das blieb nicht nur einfach so eine vielleicht unbegründete Meinung von ihm, sondern es geschah, dass des Nachts Satan ihm persönlich erschien. Eine nebulöse Gestalt, die nur er selbst überhaupt sehen konnte als der Auserwählte auf Erden. Und so war er auch der einzige, der diese Stimme vernahm, mit der Satan zu ihm sprach.
Das meiste blieb unverständlich für Michele, so sehr er sich auch bemühte. Es klang für seine Ohren irgendwie nach einem Lallen. Eher noch, als würde es sich um klar ausgesprochene Worte handeln.
Trotzdem glaubte er, zu erkennen, was Satan von ihm wollte:
Auf keinen Fall sollte er weiterhin der Bettler Michele bleiben, verabscheut von den meisten Menschen und von daher gesehen auf längere Sicht sogar dem Hungertod überantwortet.
Aber was sollte er stattdessen tun?
Da hörte er vom Rabendämon. Er hörte von dessen Anhängern, von den scheußlichen Ritualen, die sie durchführten, um so durch die Gunst des Rabendämons die Pest zu überwinden.
Der Rabendämon war also augenscheinlich ein Gesandter Satans. Und wenn dem so war, stand er im Grunde genommen noch unter Michele, dem Auserwählten der Hölle. Denn er hatte auf jeden Fall die Pest überlebt und würde das auch dieses Mal schaffen. Ganz ohne Rituale, um dem Rabendämon zu gefallen.
Es konnte also nur so sein; jedenfalls gelangte Michele zu genau dieser Erkenntnis, dass Satan von ihm wollte, dass er den Rabendämon in irgendeiner Weise unterstützte, als eine Art Verbündeter.
Doch wie sollte das geschehen?
Diese Frage trieb ihn um, und deshalb machte er sich daran, mehr zu erfahren über diesen heidnischen Kult.
Als der Bettler Michele war er bekannt genug, um die richtigen Leute finden zu können, die ihm darüber Auskunft geben konnten. Und weil sie den Verunstalteten sowieso nicht ernst nahmen, erfuhr er Dinge, die man keinem anderen jemals erzählt hätte.
Allerdings wollte keiner der Anhänger des Kultes ausgerechnet ihn mit dabei haben.
Er machte ihnen klar, dass dies auch gar nicht seine Absicht sei. Er hatte nämlich völlig andere Absichten. Ein jeder sollte sich einfach nur einmal daran erinnern, wer er tatsächlich war: Nämlich der einzige Mensch möglicherweise der gesamten Welt, der eindeutig bewiesen hatte, dass die Pest ihm nicht das Geringste anhaben konnte.
Er also war jemand, der allen Anhängern des Rabendämons genau dieses eindeutig voraus hatte. Der selbst dem Rabendämon überhaupt nicht huldigen musste, weil er dessen Segen in keiner Weise mehr benötigte.
Dafür wusste er vom Satan persönlich, dass etwas ganz anderes für ihn vorgesehen war: Er war nämlich der einzige, der den Anhängern des Rabendämons entscheidend Unterstützung gewähren konnte, wenn sie um dessen Gunst buhlten.
So begann seine eigentliche Aufgabe auf Erden. Im Namen und Auftrag des Teufels und der Hölle. Nur deshalb war er immun gegen die Pest gemacht worden und musste das Schicksal ertragen, abstoßend verunstaltet weiter zu leben. Nach fünf Jahren dieses Martyriums war endlich seine Zeit gekommen, nicht nur den Teufel auf Erden zu repräsentieren, sondern aktiv als solcher auch zu handeln.
Noch wussten die Jünger des Rabendämons nicht, was er damit meinte. Er musste es ihnen beweisen. Noch in derselben Nacht, als er endlich mehr als nur ein diffuses Lallen aus dem Mund der Inkarnation des Satans verstand, nämlich den Sinn des Gesagten in vollem Umfang:
Sein erster Mord!
Es war viel leichter, als zuvor vermutet. Die Freudenmädchen zogen sich gern mit ihren Freiern in dunkle Ecken zurück, und oftmals verabredeten sie sich in solchen dunklen Ecken und warteten dort auf ihre Freier, bis diese zu ihnen stießen.
Michele musste dem nur zuvor kommen. Er musste nur in die Schatten der Nacht eintauchen, dort, wo sie besonders tief waren, musste mit dem Knüppel einmal hinterrücks zuschlagen, um dem Mädchen das Bewusstsein zu rauben. Dann musste er dessen Zunge herausziehen und möglichst lang abschneiden. Denn falls das Mädchen vor der Zeit zu sich kommen würde, durfte es nicht mehr schreien können.
Erst dann vollendete er sein blutiges Werk, indem er bei noch lebendigem Leib das pochende Herz aus der Brust schnitt.
Die ersten Male war er dabei alles andere als geschickt vorgegangen, und er musste dabei immer befürchten, die Mädchen würden vor der Zeit doch wieder zu sich kommen.
Ob dies überhaupt geschah, wusste er im Nachhinein gar nicht zu sagen, denn da hatte er sich längst schon im Blutrausch befunden. Ein Rausch, der eindeutig des Satans war. Damit belohnte er seinen würdigsten Diener auf Erden ganz besonders.
Mit den erbeuteten Leichenteilen floh er dann. Nicht ohne Ziel, denn er hatte den Anhängern des Rabendämons ja etwas versprochen: Er würde ihnen im Auftrag des Satans und der Hölle wirksam helfen können bei ihrer Huldigung des Dämons.
Mit der Zunge und dem Herz seiner Opfer nämlich!
Ein blutiges Geschenk, das jene gern annahmen. Zumal er ihnen weismachen konnte, dass er als der Auserwählte Satans mit einem solchen Mord die idealen rituellen Beigaben bereitstellte: Während die verruchte Seele der Ermordeten endgültig dem Satan anheim fiel, würden die blutigen Hinterlassenschaften endgültig zu jenem Status führen, der alle, die sich an ihrem Verzehr beteiligten, endgültig gegen die Pest immunisierten.
Die grausige neue Laufbahn des ehemaligen Bettlers Michele als nunmehr Serienmörder begann. Von der Obrigkeit zunächst noch unbemerkt, weil ignoriert.
Bis Michele eines Nachts einen Fehler beging, indem er das falsche Opfer fand, nämlich die Adelstochter Viara di Baseggio, die in Begleitung von Carmaro di Laurentis in das Armenviertel gekommen war. In einem unbedachten Moment, als Carmaro di Laurentis nichts davon mitbekam.
Derselbe Carmaro di Laurentis, der dann wenig später gemeinsam mit dem Zuhälter Arrenzio den Serienmörder Michele stellte, während er schon dazu angesetzt hatte, dem Freudenmädchen Claudile die Zunge herauszuschneiden.
Di Laurentis schien jedoch zu wissen, dass Michele die entnommenen Körperteile seiner Opfer dem Kult des Rabendämons überließ, von dem er dafür inzwischen reichlich belohnt wurde, was ihm bedeutend mehr Wohlstand sicherte als das schiere Überleben in der Rolle des Bettlers Michele. Deshalb hatten die beiden keineswegs vor, ihn dingfest zu machen. Ganz im Gegenteil: Arrenzio klagte ihn nur an, dass er einige seiner Mädchen umgebracht hätte, was Carmaro di Laurentis dazu veranlasste, Michele eindringlich zu warnen, falls er sein Betätigungsfeld nicht verlagerte.
Michele hatte als Bettler immerhin so ziemlich alles mitbekommen, was im Armenviertel von Bedeutung war. Deshalb kannte er Carmaro di Laurentis und wusste um dessen Macht, dass man hier vor diesem Mann erzitterte, allein schon bei der Nennung seines Namens. Es war klar für ihn, dass er gut beraten war, ihm zukünftig lieber aus dem Weg zu gehen.
Zumindest hielt dieser Vorsatz einige Tage lang an, während er neue Opfer fand, weit genug von dem Bereich entfernt, in dem Arrenzio seine Freudenmädchen einsetzte.
Doch dann regte sich in ihm berechtigter Widerstand: Ausgerechnet er, als der wahre Beauftragte der Hölle, der einzige lebende Satan auf Erden, sollte sich einschüchtern lassen von jenem Carmaro di Laurentis? Was bildete sich dieser denn überhaupt ein?
Zorn erfüllte ihn, und dieser Zorn trieb ihn zurück in jenen Bereich. Er legte sich auf die Lauer, geschützt von den Schatten der Nacht, im Selbstbewusstsein, als die rechte Hand des Satans sowieso unantastbar zu sein.
Er wollte wissen, wie er Carmaro di Laurentis gegenüber seine schiere Überlegenheit unter Beweis stellen konnte. Und dafür musste er erfahren, was hier die genaueren Zusammenhänge waren, die ihn bislang nicht sonderlich interessiert hatten. Er hatte sich viel lieber seiner eigentlichen Aufgabe gewidmet, das Werk des Satans zu vollbringen, indem er diesem die verruchten Seelen der Freudenmädchen, Diebinnen und Bettlerinnen zuführte und gleichzeitig für die entscheidenden Ritualgegenstände für die Anhänger des Rabendämons sorgte.