Читать книгу Star Force - Rebellen des Mars - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 5
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ОглавлениеJohn Darran ließ eine Vollversammlung aller seiner Leute einberufen.
Sie trafen sich in der Kommandozentrale des Kugelraumers, dessen Beiboot Darran in EXPLORER II umbenannt hatte - benannt nach einem der vergleichsweise primitiven irdischen Star Ships, mit denen sie gekommen waren.
Es herrschte eine eigenartige Stimmung, während sich die Kommandozentrale mit den Männern der Star Force füllte.
Net Rovan betrachtete Darran von der Seite, bemerkte die Anspannung im Gesicht des Commanders.
Ein entscheidender Moment lag vor ihnen allen. Darran mußte auch jene überzeugen, die während des letzten Problefluges der EXPLORER II auf dem Mars zurückgeblieben waren. Die meisten von ihnen waren damit beschäftigt gewesen, auch das zweite Beiboot des Kugelraumers wieder instand zu setzen. Nachdem sie der Induktiv-Schulung unterzogen worden waren, war das ein lösbares Problem geworden.
Er muß alles auf eine Karte setzen, dachte Net Rovan, während sein Blick noch immer auf dem Commander ruhte. Eine andere Möglichkeit bleibt ihm nicht. Er hat sich jetzt so weit vorgewagt - für ihn gibt es kein Zurück mehr.
Rovan atmete tief durch.
Er konnte sich nicht erinnern, jemals bei irgendeinem Kommandounternehmen oder in einer anderen brenzligen Situation, in die er als Angehöriger der Star Force geraten war, ein derart mulmiges Gefühl in der Magengegend empfunden zu haben.
Hängt vielleicht damit zusammen, daß du in solchen Augenblicken nie Zeit genug zum Nachdenken hattest! überlegte Rovan.
Die Star Force Männer sahen Darran erwartungsvoll an. Gemurmel entstand unter jenen, die noch nichts von John Darrans Plan wußten.
Darran wandte den Kopf.
Sein Blick traf sich mit dem Net Rovans.
"Was machen wir, wenn einige nicht bereit sind, ihr ganzes irdisches Leben hinter sich zu lassen und Ihnen zu folgen, Commander?" raunte Rovan.
Darran hob die Augenbrauen.
"Dann werden wir das akzeptieren müssen!"
"Sollen wir sie einfach davonziehen lassen?"
"Sie könnten ein Star Ship nehmen und damit zur Erde zurückfliegen. Aber warten wir erstmal ab!"
"Viel Glück, John!" sagte Rovan dann.
Darran nickte nur leicht. Davon werde ich jetzt eine ganze Menge grauchen, dachte er.
Schließlich waren sie alle vollzählig.
Totenstille herrschte in der Kommandozentrale des Kugelraumers. Alle Augen waren auf den Commander gerichtet. Jeder der Anwesenden spürte, daß dies keine gewöhnliche Dienstbesprechung war. Keine Besprechung wie Dutzende andere zuvor. Deutliche Ansopannung machte siuch bei den Star Force-Leuten bemerkbar. Jeder im Raum wußte, daß etwas sehr wichtiges bevorstand.
"Wir haben ein Problem", begann Darran. "Und deswegen habe ich Sie alle hier zusammengerufen. Vielleicht wird sich der eine oder andere von Ihnen auch bereits Gedanken darüber gemacht haben. Spätestens seit Sie die Induktivschulung absolviert haben und die wahre Macht der außerirdischen Technologie abzuschätzen in der Lage sind." Und dann setzte John Darran ihnen seine Gedanken auseinander wie zuvor schon den Männern an Bord der EXPLORER II.
Er sprach mit ruhiger, überlegt klingender Stimme, brachte die Argumente mit der nötigen Nüchternheit vor - ließ aber auch die Zweifel erkennen, die ihn geplagt hatten. Zweifel, die er jetzt zu Gunsten einer klaren Entscheidung in den Hintergrund gedrängt hatte. Das mußte einfach sein. Die Zeit des Zögerns und der Übelegung mußte zu Ende gehen. Jetzt mußte gehandelt werden. Bevor andere handelten.
Nachdem John Darran geendet hatte, herrschte einige Augenblicke lang wieder Stille.
Einigen der Gesichter sah man an, wie schockiert sie waren.
Ein Commander der Star Force rief sie alle zu nichts weniger auf als zum Ungehorsam gegenüber jener Organisation, der sie alle dienten. Zum Hochverrat gegenüber der Nation, der sie dienten – der Westunion, die für sie alle die Freiheit und den Fortschritt symbolisierte.
"Das ist Meuterei!" rief jemand. "Schlicht und ergreifend Meuterei! Es mit einem anderen Begriff zu bezeichnen wäre Verharmlosung!"
Darrans Blick schwenkte herum.
Er sah in das schreckverzerrte Gesicht von Sergeant Pablo Maranas. Ein Gemurmel entstand. Hier und da regte sich Zustimmung und Empörung.
"Ich weiß, was ich verlange, vor welche Wahl ich Sie stelle", erklärte Darran und das Gemurmel legte sich wieder. Die natürliche Autorität Darrans zeigte Wirkung. "Jeden einzelnen von Ihnen... Und ich weiß auch, daß ich im Grunde von jedem hier erwarte, daß er alles Bord wirft, woran er sein bisheriges Leben lang geglaubt hat. Von der Karriere und solchen banalen Dingen mal ganz abgesehen, daß ist ein anderes Kapitel. Aber auch das will ich nicht unterschätzen!"
Darran registrierte, daß seine Autorität noch ihre Wirkung zeitigte. Aber ihm war sehr wohl bewußt, daß die Stimmung im Handumdrehen kippen konnte. Alles stand auf Messers Schneide.
"Verdammt nochmal, warum glauben Sie eigentlich, besser dafür geeignet zu sein, über das Schicksal der Erde zu entscheiden als unsere Regierung?" rief Maranas erbost.
Einige andere Männer knurrten etwas, das wie verhaltene Zustimmung klang.
"Ja, wie kommt er eigentlich dazu?"
"Hält er sich für einen Übermenschen oder so etwas?"
"Verdammt, setzen wir ihn fest und stecken ihn in eine Arrestzelle!"
Darran blieb gelassen.
Er verstand diese Leute nur zu gut.
Was er ihnen vorgeschlagen hatte, mußte geradezu ungeheuerlich in ihren Ohren klingen.
"Bis unsere Regierung den Ernst der Lage wirklich erkannt hat, wird es längst zu spät sein. Wir müssen jederzeit damit rechnen, daß die fremden Angreifer, die den Kugelraumer kampfunfähig geschossen haben, zurückkehren... Und bis dahin müssen wir alles tun, um vorbereitet zu sein."
"Das ist doch illusorisch!" meinte Sergeant Norman Coburn kopfschüttelnd. Darran kannte ihn gut. Coburn war eigentlich ein gutmütiger Mensch, aber man tat besser daran, seine Reizschwelle nicht zu überschreiten...
Aber diesmal konnte ich ihm das nicht ersparen! dachte Darran.
Der Commander bedachte den Sergeant mit einem ruhigen Blick. Die sonore Stimme strahlte Sicherheit aus. Viel mehr Sicherheit, als Darran selbst in diesem Moment empfand. Aber nach außen hin durfte er jetzt keine Schwäche zeigen, durfte keinerlei Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen lassen. Nur so konnte er diese Leute überzeugen. Stärke zeigen, das ist es...
"Wir müssen es versuchen", erklärte Darran. "Jedenfalls bin ich fest entschlossen dazu. Ich bin nicht bereit, einfach die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, was passiert. Wir wissen so gut wie nichts von dem, was da draußen in der Galaxis vor sich geht... Aber was unten auf der Erde mit dem Wissen der Fremden passieren wird, daß läßt sich an den Fingern einer Hand ausrechnen. Die PAZIV und die Westunion werden sich zerfleischen, um in den Besitz der Alien-Technologie zu kommen... Es geht um die Menschheit, Sergeant Coburn!"
Ein anderer Sergeant meldete sich Wort.
Er hieß Rufus Blackwood, war 39 Jahre alt und eine Art Mädchen für alles, was technische Dinge anging. Seine Ärmel waren hochgeschoben, so daß man die tätowierten Unterarme sehen konnte.
"Ich hatte immer einen verdammt großen Respekt vor Ihnen Commander", erklärte er, räusperte sich dann und druckste etwas herum. Mit einer nervösen Geste fuhr er sich über das Gesicht. Dann endlich sprach er weiter. "Ich nehme an, daß jeder von uns Angehörige unten auf der Erde hat. Menschen, die uns wichtig sind, die wir lieben... Haben Sie daran mal gedacht, Commander?"
Commander Darran nickte.
"Ja, das habe ich. Es geht mir da nicht anders als Ihnen allen."
"Wir werden lange nicht zurückkehren können, wenn wir Ihnen folgen, Commander."
"Das ist nicht auszuschließen. Aber wenn wir es nicht tun, dann gibt es 'da unten' wie Sie sich ausdrückten vielleicht schon bald niemanden mehr... Jeder von Ihnen hat eine Induktiv-Schulung hinter sich. Und wenn Sie damit auch nicht das komplette Wissen jener Spezies besitzen, die den Kugelraumer ursprünglich benutzte, so wissen Sie doch mehr als genug, um sich vorzustellen, was ein Schiff wie die EXPLORER II in den falschen Händen bedeutet..."
"Der Commander hat recht!", mischte sich nun Sergeant Cole Indish ein, ein dunkelhaariger Mechaniker, von dem Darran wußte, daß man sich absolut auf ihn verlassen konnte. "Wir dürfen es einfach nicht zulassen..."
Coburn war noch immer skeptisch. "Wir müßten Verstärkung haben! Mit dieser Handvoll Leute können wir kaum etwas ausrichten."
"Das stimmt", gab Darran zu. "Wir werden uns verstärken müssen."
"Und wie soll das geschehen?"
"Wir werden früher oder später mit der EXPLORER II oder ihrem Schwesterschiff auf der Erde landen und alle diejenigen aufnehmen, die sich uns anschließen wollen. Manche werden wir gezielt ansprechen müssen. Fachkräfte, Wissenschaftler, Techniker... Mit Hilfe der Technologie des Kugelraumers werden wir hier eine neue Macht aufbauen, die vielleicht verhindern kann, daß für die Erde der jüngste Tag anbricht."
"Und wo sollen all diese Leute wohnen?" fragte Rufus Blackwood. "Hier im Wrack des Kugelraumers vielleicht? In der Station im Lowell-Krater dürfte es auch ziemlich eng werden..."
"Und wenn die Feinde der Roboter zurückkehren, dann dürfte ein einziger Schuss genügen, um dieser 'neuen Macht' ein Ende zu setzen!" kommentierte Cole Indish ziemlich bissig.
Gemurmel brandete durch den Raum.
John Darran hob die Hände. Es dauerte eine Weile, bis die Anwesenden sich wieder einigermaßen beruhigt hatten.
"Wir werden diese Station mit Hilfe der fremden Technologie, die uns in die Hände gefallen ist, umbauen", kündigte Darran an. Er machte eine Pause, ging ein paar Schritte nach vorn und blieb dann stehen. Sein Blick musterte die Gesichter seiner Leute. Schließlich fuhr er fort: "Wir werden daraus Port Mars machen, eine unabhängige Stadt auf dem Mars, die es mit jeder Macht der Erde aufnehmen und in einiger Zeit vielleicht sogar Bedrohungen von außerhalb des Sonnensystems die Stirn bieten kann..."
Port Mars - ein Name, der wie ein Programm klingt! dachte Net Rovan, während er den Worten des Commanders zuhörte.
Es wird nie wieder so werden wie es war, ging es ihm dann durch den Kopf. Die Zeiten, in denen der Mensch annehmen konnte, allein im Kosmos zu sein waren vorbei. Und damit auch die Zeiten, in denen sich die Menschheit vor allem darauf konzentriert hatte, sich selbst an den Rand des Abgrunds zu bringen...
Seltsam, dachte Rovan. Jeden anderen, der so daherredet wie der Commander, hätte ich für einen Spinner gehalten. Aber bei ihm klingt es so, als gäbe es gar keine Alternative.
"Ich kann niemanden dazu zwingen, sich meinem Plan anzuschließen", sagte Darran. "Wenn jemand von Ihnen dagegen ist, soll er es sagen. Wir werden für diejenigen, die sich uns nicht anschließen wollen, versuchen, eine Möglichkeit zur Rückkehr zu finden..."
Niemand meldete sich.
"Dann gehe ich davon aus, daß ich mich weiterhin so auf Sie verlassen kann, wie bisher."
Zustimmendes Gemurmel ertönte.
Net Rovan trat näher an Darran.
"Ich glaube, du hast gewonnen, John!"
Aber John Darran schüttelte den Kopf.
"Dies ist der Anfang", sagte er.
Ihm war bewußt, daß die tatsächlichen Bewährungsproben erst noch vor ihm lagen.
Und darum wollte sich ein Gefühl der Erleichterung auch nicht einstellen.
*
Robert Berringer, seines Zeichens für acht Jahre gewählter Präsident der Westunion, nahm die Datenbrille von den Augen und legte sie auf den Schreibtisch. In der letzten halben Stunde hatte er sich mit Hilfe der Brille die Ermittlungsergebnisse angesehen, die den jüngsten Attentatsversuch auf General Wilbert T. McCloud, den Chef der Star Force, betrafen.
Die Angelegenheit hatte Berringer ziemlich mitgenommen. Nicht in erster Linie aus persönlicher Anteilnahme, sondern weil der Vorfall gezeigt hatte, wie leicht das Sicherheitsnetz reißen konnte, daß die höchsten Stellen der Westunion umspannte.
Im Fall der Fälle steht jeder aus der Führung doch wie auf dem Präsentierteller da! ging es dem Präsidenten durch den Kopf. Es war eine schlichte, grausame Wahrheit. Absolute Sicherheit gab es nicht. Sie existierte einfach nicht. Bestensfalls war sie eine Illusion.
Eine Illusion, die jetzt verblaßt ist! ging es Berringer durch den Kopf.
Ein leicht melancholischer Zug machte sich in seinem Gesicht breit.
Wirst du auf deine alten Tage jetzt etwa weinerlich? Du hast doch noch so viel vor. Spar dir diese Art von Gefühlen für deinen Ruhestand auf... Vielleicht kannst du sie dir dann leisten!
Offenbar hatte die von der PAZIV gesteuerte Spionage Ausmaße erreicht, die Berringers furchtbarste Alpträume in dieser Hinsicht bei weitem übertrafen.
Die PAZIV hatte sich in erster Linie auf die Erschließung der Meere für den Menschen verschrieben. Die Besiedlung anderer Planeten war von den dortigen Machthabern mehr oder minder als utopisch angesehen worden. Etwas, das in absehbarer Zeit nicht zu verwirklichen war. Vorhandene Weltraumprogramme in Indien und China waren danach mehr und mehr eingestellt und schließlich auf ein Minimum zurückgefahren worden, das gerade noch ausreichte, Satelliten in stabile Umlaufbahnen zu schießen und dort zu halten.
Anders die WU.
Sie hatte die Zukunft der Menschheit immer im Weltraum gesehen. Die Stationen auf dem Mond und dem Mars legten davon Zeugnis ab.
Aber die überlegene Weltraumtechnik der WU ließ sich natürlich auch wunderbar für den Einsatz auf U-Booten oder in den Unterwasserstädten der PAZIV anwenden. Ganz abgesehen von der Möglichkeit, sie in der Waffentechnik einzusetzen. Es war also alles andere als verwunderlich, daß die PAZIV schon seit Jahren versucht hatte, ein dichtes Spionagenetz über die gesamte WU auszubreiten.
Aber das, was nun geschehen war, ging über alles bisherige hinaus.
Das ist Krieg! dachte Berringer. Ein verdeckter, unerklärter Krieg, geführt mit den Mitteln der Spionage... Ein Krieg der kleinen bis mittleren Nadelstiche. Immerhin vermied diese Form der Auseinandersetzung den Einsatz des großen Nuklear-Hammers. Wenn Berringer auch sonst nichts Positives darin zu sehen vermochte, so beruhigte ihn doch die Tatsache etwas, daß das derzeitige Niveau der Eskalation immer noch verhältnismäßig niedrig anzusiedeln war.
Berringer würde darauf reagieren müssen.
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, unterdrückte ein Gähnen.
Bei dem Mann, der jetzt den Raum betrat, handelte es sich um Darius Carrow, einen der zahlreichen Sicherheitsberater des WU-Präsidenten. Er war klein und drahtig. Das gelockte Haar hing ihm bis in die Stirn. Die Anzüge, die er trug, waren von einem Schneider in Mailand nach Maß angefertigt worden.
"Guten Morgen, Sir", sagte Carrow.
Berringer nickte ihm zu, wies auf einen der dunklen Ledersessel im Raum.
"Setzen Sie sich, Carrow."
"Danke, Sir."
"Einen Drink?"
"Nein danke, Sir."
"Aber Sie haben nichts dagegen, wenn ich mir einen genehmige..."
"Natürlich nicht."
Berringer stand auf, ging zu einem gut getarnten und perfekt an das Ambiente angepaßten Getränkeschrank und holte sich eine Flasche Bourbon heraus, dazu ein Glas. Carrow registrierte, daß die Flasche bereits halb leer war und fragte sich, innerhalb welchen Zeitintervalls der Präsident den fehlenden Rest wohl geleert haben mochte. Manche Dinge lassen sich wohl nur mit chemischer Unterstützung ertragen, dachte Carrow zynisch. Er hatte Berringer während des Wahlkampfes erlebt und wußte, daß der Präsident in Krisensituationen zum Bourbon griff. Angemerkt hatte man das Berringer nie.
"Gibt es irgend etwas neues über diese Dean-Berkewitz-Sache?" fragte der Präsident schließlich.
Carrow schüttelte den Kopf.
"Nein, Sir. Wir nehmen an, daß der Spionagering um Berkewitz zerschlagen ist."
"Es muß doch Verbindungen zu anderen Gruppen geben! Läßt sich da denn nicht..."
"Unsere Sicherheitsorgane verstehen ihr Handwerk, Sir", versicherte Carrow. "Aber sie verfügen nicht über die Fähigkeit der Zauberei. Sämtliche Spuren wurde sorgfältig verfolgt. Vor allem natürlich Datenspuren, die die Mitglieder dieses Rings in den Kommunikationssystemen hinterlassen hatten."
"Und?"
Carrow zuckte die Achseln. "Ich nehme an, daß diese Leute einfach sehr geschickt waren. "
"Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, daß sich so etwas wie dieses versuchte Attentat auf General McCloud wiederholt?" erkundigte sich der Präsident.
Carrow machte ein unbestimmtes Gesicht. Er hat Angst, der nächste zu sein, der auf der Liste des PAZIV-Geheimdienstes steht, überlegte Carrow. Eine sehr verständliche, naheliegende Angst, die Carrow gut nachvollziehen konnte. Die Arme des PAZIV-Geheimdienstes schien buchstäblich überall hin zu reichen. Jede noch so abgeschottete Institution schien vom Feind unterwandert. Überall lauerten Agenten im Verborgenen, die nur darauf warteten, im Interesse ihrer Auftraggeber loszuschlagen... Oder ist es etwas anderes, was ihn so verunsichert erscheinen läßt? ging es Darius Carrow durch den Kopf.
Carrow kannte den Präsidenten wie kaum ein zweiter. Und er gehörte zu den wenigen Menschen, die das Vertrauen des mächtigsten Mannes der Westunion besaßen. Carrow hatte schon zu Berringers Team gehört, als der jetzige Präsident noch ein mehr oder minder bedeutungsloser Provinzpolitiker gewesen war, der sich mit aller Kraft nach oben zu strampeln versuchte. Carrow war mit ihm 'nach oben' gespült worden. Bis ins Zentrum der Macht. Eigenartigerweise war ihm Berringer auf diesem langen gemeinsamen Weg immer fremder anstatt vertrauter geworden.
"Ich kann Ihnen Ihre Frage nicht beantworten, Sir", sagte Carrow schließlich. "Wir haben die Informationsbeschaffung im Raum der PAZIV seit langem völlig vernachlässigt. Das ist nicht Ihre Schuld, sondern vor allem Ihren Vorgängern zuzuschreiben..."
Berringer lehnte sich zurück, stützte den Kopf auf der Handfläche.
"Ich weiß", sagte er.
Die Westunion hatte stets auf ihre technologische Überlegenheit gesetzt. So hatten ihre Nachrichtendienste seit Jahren schon kaum noch Agenten 'vor Ort'. Man hatte sich vor allem auf Überwachung der elektronischen Datenströme und umfangreiche Abhörmaßnahmen verlassen, um über Entwicklungen im PAZIV-Machtblock informiert zu sein.
Ein Fehler, wie sich jetzt langsam herausstellte.
Die PAZIV war den klassischen Weg gegangen, hatte von langer Hand ihre Agenten im anderen Machtblock etabliert.
So etwas ließ sich natürlich nur über einen Zeitraum vieler Jahre aufbauen.
"Wir können diesen strukturellen Nachteil auf unserer Seite nicht im Handumdrehen ausgleichen, Sir", erläuterte Carrow.
"Leider muß ich Ihnen recht geben."
"Ich habe eine detaillierte Gefahrenanalyse in Auftrag gegeben", erklärte Carrow. "Sobald die vorliegt, können wir uns darüber unterhalten, welche Konsequenzen gezogen werden müssen. Bis dahin würde ich an Ihrer Stelle mit dem Schlimmsten rechnen."
Berringer hob den Kopf. Seine Züge veränderten sich. Tiefe Furchen bildeten sich auf seiner Stirn. In seinen Augen flackerte es unruhig. Er trank das Bourbon-Glas leer, schenkte sich sogleich nach.
"Mit dem Schlimmsten?" echote er.
Carrow nickte. "Maulwürfe und Saboteure selbst in den höchsten Rängen. Der PAZIV-Geheimdienst hatte wahrlich Zeit genug, um sein Spionagenetz aufzubauen. Und wie der Attentatsversuch auf General McCloud zeigt, können sie überall zuschlagen..."
"Für McCloud galt schließlich auch Sicherheitsstufe eins..."
"So ist es."
"Offenbar ist auf nichts mehr Verlaß."
"Sie müssen vorsichtiger sein denn je."
"Wem sagen Sie das!"
Berringers Finger tickten nervös auf der Sessellehne herum. Er schien ins Nichts zu blicken und über irgend etwas nachzudenken. Ein harter Gesichtsausdruck dominierte seine Züge.
Vielleicht bedauert er insgeheim, daß das Attentat gescheitert ist! überlegte Carrow. Abwegig war dieser Gedanke nicht. Berringer war ein eiskalt kalkulierender Machtmensch. Und wenn McCloud aus dem Weg gewesen wäre, hätte das im Moment für Berringer einiges an Problemen gelöst.
Insbesondere, was die John Darran-Expedition anging. Der General hatte immer seine Hand über Darran gehalten. Wenn es nach Berringer gegangen wäre, hätte man Darran niemals die Leitung dieser Mission anvertraut, sondern jemandem, der in den Augen des Präsidenten zuverlässiger war.
Berechenbarer.
Jemand, der keine Extra-Touren machte, der Befehle bindungslos ausführte, ohne nach dem Grund zu fragen oder sich irgendeinen eigenständigen Gedanken zu der Angelegenheit zu machen. Aber McCloud hatte anders entschieden. Ein Fehler, wie in Berringers Beurteilung längst feststand. Ein Fehler, dessen ungeheure Tragweite noch gar nicht absehbar war.
"Da Sie gerade den Namen McCloud erwähnten", begann der Präsident.
Carrow erriet Berringers Gedanken.
"Sie denken an Darran."
"Hat er sich inzwischen gemeldet?"
"Nein, hat er nicht. Die Star Ships warten im Orbit und warten auf Ihre Befehle."
"Ein unhaltbarer Zustand."
"Dann ändern Sie ihn!"
Berringer atmete tief durch. "Was glauben Sie, was auf dem Mars geschehen ist?"
"Jede Äußerung dazu wäre reine Spekulation, Sir!" versuchte Carrow sich aus der Bredouille zu ziehen.
Berringer lächelte matt. "Dann spekulieren Sie mal!" forderte er seinen Sicherheitsberater auf. "Na, los! Was schwirren in Ihrem von Intelligenz nur so berstenden Schädel für Gedanken herum?"
Carrow quittierte diese Bemerkung mit Gleichmut.
"Niemand weiß, was auf dem Mars geschehen ist, Sir. Möglich, daß die Außerirdischen - oder auf wen immer Darran und seine Leute in dem fremden Raumschiff getroffen sind - unsere Crew niedergemacht haben. Für diese Version spricht auch, dass im Anschluß daran ein weiteres Schiff der Außerirdischen ein paar Flüge im Bereich zwischen Erde und Mars durchgeführt hat..."
Berringer nickte leicht. Das fremde Schiff war unter anderem auch auf die Star Force Flotte getroffen, die Darrans Crew hinterhergesandt worden war.
"Ja, was Sie sagen hat was für sich", murmelte er etwas abwesend, blickte dabei gedankenverloren auf das Etikett seiner Bourbon-Flasche.
Er hörte Carrows Worten zu, der fortfuhr: "Bei diesem - deutlich kleineren! - Raumschiff handelt es sich vermutlich um ein Beiboot der auf dem Mars havarierten Einheit. Jedenfalls ergeben das alle Untersuchungen, die diesbezüglich angestellt wurden."
"Das bedeutet, daß es Überlebende auf dem havarierten Raumer gab!" stellte Berringer fest.
"Richtig. Und ob die unsere Leute mit offenen Armen empfangen haben, möchte ich doch stark bezweifeln."
"Es gäbe auch noch eine andere Erklärung", sagte Berringer gedehnt. Er machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und sah seinem Sicherheitsberater direkt in die Augen.
"Und die wäre?" fragte Carrow.
"Hielten Sie es für abwegig, daß John Darran und seine Leute es vielleicht geschafft haben, eines der Beiboote des havarierten Raumers flugtauglich zu machen und es zu benutzen?"
Ach, darauf läuft es hinaus! dachte Carrow. Er mißtraut Darran! Von Anfang an war das der Fall. Ich frage mich, wieso er nicht verhindern konnte, daß ein Mann die Leitung der Mars-Expedition übernimmt, dem der Präsident offensichtlich ALLES zutraut...
Carrow hob die Augenbrauen.
"Wenn es Darran und seine Leute waren, die in dem fremden Raumer saßen - warum haben Sie dann keine Signale gegeben?"
"Ebenfalls eine interessante Frage, Carrow."
"Sie denken an Meuterei?"
"Sieht es für Sie nach etwas anderem aus!"
Carrow mochte es nicht, wenn man eine Frage mit einer Gegenfrage beantwortete. Er mochte es auch nicht, wenn jemand dadurch versuchte, ihn zu manipulieren. Berringer schien darin ein Meister zu sein. Erprobt in hunderten von Fernsehauftritten, die er als Politiker zu absolvieren gehabt hatte. Wie viele Male hatte Carrow das schon erlebt! Zu oft, um es nicht sofort zu bemerken. Bei Auftritten vor den Medien konnte es überlebenswichtig sein, unangenehmen Fragen möglichst geschickt aus dem Weg zu gehen und den Gesprächspartner in die Richtung zu manipulieren, in die man das Gepräch sich entwickeln lassen wollte.
Berringer bemerkte die Überraschung in Carrows Gesicht.
Ein dünnes Lächeln bildete sich um die Mundwinkel des Präsidenten herum.
"Was würden Sie tun, wenn Sie durch Zufall in den Besitz des größten Machtmittels gelangen würden, daß im Umkreis von mindestens einem Lichtjahr existiert?" fragte er und sein Blick schien Carrow dabei geradezu zu durchbohren, so intensiv wirkte er in diesem Augenblick.
Carrow zögerte.
"Nun..."
Der Sicherheitsberater war niemand, der schnell aus der Deckung kam. Nicht einmal gegenüber einem Mann wie Berringer, den er so lange kannte.
Präsident Berringer fuhr den Zeigefinger seiner linken Hand wie eine Waffe aus und richtete ihn auf den Sicherheitsberater.
"Denken Sie einen Augenblick darüber nach, Carrow, bevor Sie antworten. Sie müssen zugeben, daß die Versuchung gewaltig ist."
Carrow lehnte sich zurück, rutschte etwas auf seinem Sessel herum.
"Von welcher Versuchung sprechen Sie?" fragte er dann. "Meinen Sie, Darran sitzt im Beiboot eines außerirdischen Raumschiffs und versucht uns eines Tages damit zu erpressen? Glauben Sie das wirklich?"
"Das wäre eine Möglichkeit."
"Ich weiß nicht, Sir!"
"Oder er verkauft dessen Technologie an unsere Feinde - womit er derart reich werden könnte, daß sein Einfluß zwangsläufig größer wäre als der jeden anderen lebenden Menschens."
Carrow versetzte es einen Stich.
Er bezeichnet die PAZIV bereits als 'unsere Feinde'! ging es dem Sicherheitsberater siedend heiß durch den Kopf. Er hat nicht 'Gegner' oder 'die andere Seite' gesagt, sondern wirklich 'Feinde'...
Das ließ für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Carrow stand jeder Form kriegerischer Auseinandersetzung gegenüber auf rein emotionaler Basis reserviert gegenüber. Mehrere Mitglieder seiner Familie waren im großen Krieg von 2031 ums Leben gekommen. Ein Trauma, das bis heute an ihm nagte.
Hat er damit nicht eigentlich recht? meldete sich eine andere Stimme in Carrows Kopf. Die PAZIV – unser Feind... Der Präsident hat doch nur ausgesprochen, was der Realität entspricht.
Carrow wußte das am besten.
Schließlich gehörte er, was Sicherheitsfragen anging, zu den bestinformierten Personen des ganzen Planeten.
Wenn er Berringer im Grunde auch recht geben mußte, so blieb doch ein Rest an Unbehagen. Zuerst erkannte Carrow nicht gleich, womit dieses Unbehagen zu tun hatte, doch dann begriff er es: Berringer machte nicht einmal den Versuch, zu verhindern, daß alles auf eine Konfrontation mit der PAZIV hinauslief. Er hatte dies als feststehende Größe der zukünftigen Entwicklung vollkommen akzeptiert.
Für ihn ist die Frage nur noch, wann es zum großen Knall kommt und wie gut die Westunion darauf vorbereitet ist! erkannte Carrow. Und du? Bist du nicht irgendwan einmal in den Dunstkreis der Politik gegangen, um genau so etwas zu verhindern? Hast du dicht nicht genau aus diesem Grund zu einem Spezialisten für Sicherheitsfragen ausbilden lassen? Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, alles hinzuwerfen...
Mit einemmal war es Carrow klar, daß er bei Berringer nicht mit Klugheit und Besonnenheit rechnen konnte, wenn es um den Umgang mit der PAZIV ging. Berringer würde nichts dafür tun, um das aufzuhalten, was Carrow für eine Katastrophe hielt.
Wie hast du je etwas anderes glauben können? dachte er. Reines Wunschdenken wahrscheinlich.
Er bemerkte Berringers auf sich gerichteten Blick.
Carrow zuckte beinahe etwas zusammen. In seinem Inneren herrschte ein Gedankenchaos.
Wenn du jetzt die Brocken hinwirfst, wird alles nur schlimmer! dachte er. Vielleicht kannst du die Entwicklung so gut es geht beeinflussen...
"Wie sollen wir Ihrer Meinung nach reagieren?" fragte Berringer. "Unsere Star Ship Flotte hat den Mars erreicht und dort befindet sich auch das Beiboot, von dem ich annehme, daß sich an Bord ein gewisser John Darran mit seinen größenwahnsinnigen Renegaten befindet."
"Eine Annahme, die bisher nichts weiter als Spekulation ist!" gab Carrow zu bedenken.
"Eine sehr begründete Spekulation", erwiderte der Präsident und lehnte sich dabei zurück.
Carrow wurde klar, worauf der Präsident der Westunion hinaus wollte. Wenn Berringers Vermutung der Wahrheit entsprach, dann stellte John Darran und seine Leute eine massive Bedrohung der nationalen Sicherheit dar.
Und das widerum hatte zur Konsequenz, daß man sie eliminieren mußte, um Schlimmeres zu verhindern. Ein Schluß, der sich aufdrängte.
Er will, daß ich es bin, der das ausspricht, dachte Carrow.
"Reicht die Bewaffnung der Star Ships aus, um überhaupt etwas gegen die Waffen der Fremden auszurichten?" fragte Carrow.
"Das ist noch nicht ausprobiert worden!"
"Bei einem Angriff setzen wir das Leben unserer Leute aufs Spiel und möglicherweise kommt überhaupt nichts dabei heraus", gab Carrow zu bedenken.
"Die Leute kennen das Risiko. Sie sind schließlich bei der Star Force und nicht bei den Pfadfindern."
Die Besatzungen der Star Ships und ihr Schicksal sind ihm vollkommen gleichgültig! erkannte Darius Carrow.
Dann fragte er: "Wo befindet sich dieses 'Beiboot'?"
"Auf dem Mars. Unweit des Lowell-Kraters, wenn man den Berichten unserer Star Ships glauben schenken kann."
"Ist es möglich aus dem Orbit heraus das Beiboot des Alien-Schiffs zu vernichten?"
"Wir wissen nichts über die Abwehrmöglichkeiten, die die Fremden in ihren Schiffen installiert haben."
"Gegen die ballistischen Sprengköpfe an Bord unserer Star Ships dürfte es kaum eine wirksame Abwehr geben, Carrow."
Er hat sich wahrscheinlich längst entschieden! dachte Carrow. In Wahrheit braucht er nur jemanden, mit dem er die Verantwortung teilen kann. Jemanden, der ihm zustimmt und ihn in dem bestärkt, was er ohnehin getan hätte.
Aber Carrow hatte keine Lust, in diesem Spiel seine Rolle klaglos einzunehmen. In seinem Hirn arbeitete es. Was konnte er tun um diesen Zug, der sich schon in Bewegung gesetzt zu haben schien, noch aufzuhalten? Was..?
"Stellen Sie vorsichtshalber erst ein Ultimatum", riet Carrow.
Berringer schien überrascht zu sein. Ein flüchtiges Lächerln flog über sein Gesicht, so als wollte er sagen: Carrow, du alter Zauderer!
"Sie haben bisher nicht reagiert. Weder Darran noch das fremde Schiff."
"Das ist richtig, Sir."
"Warum sollten sie es also jetzt tun? Es gibt keinen vernünftigen Grund, das anzunehmen, Carrow."
"Was kostet Sie ein Versuch, Sir?"
"Nun..."
"Sie erhalten sich damit eine Option..."
"Welche?"
"Das fremde Schiff doch noch für die Westunion technologisch auszubeuten. Wenn Sie es erst einmal zerschossen haben – vorausgesetzt, das ist mögllich! – dürfte das schwierig werden!"
Berringer hob das Kinn. Er bedachte Carrow mit einem nachdenklichen Blick. "Vielleicht haben Sie recht", murmelte er. "Also ein Ultimatum. Sorgen Sie für eine Formulierung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt."
"Wird erledigt", versprach Carrow.
"Darran kann was erleben, wenn er wirklich dahinterstecken sollte und uns alle an der Nase herumgeführt hat!" knurrte der Präsident. Seine Augen wurden schmal dabei. Die Mundwinkel zogen sich nach unten. Ein düsterer Zug machte sich in seinem Gesicht breit.
*