Читать книгу 34 Kurz-Krimis - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 5
EIN PROFI GIBT NICHT AUF
ОглавлениеJoe Martinez steckte das Zielfernrohr auf das Gewehr und legte an. Von hier, dem siebten Stock eines Rohbaus, aus dem irgendwann einmal das Bürogebäude eines mittelgroßen Versicherungskonzerns werden sollte, hatte Martinez eine hervorragende Aussicht auf das ehrwürdige Gerichtsportal. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern, dann würde Gordon Smith durch dieses Portal geführt werden - jener Mann, dem Martinez eine Kugel in den Kopf jagen wollte... Martinez war ein Profi-Killer, sein Ruf in Syndikats- und Unterweltkreisen mehr als hervorragend! Er arbeitete schnell und präzise. Und vor allem konnte man sich auf ihn verlassen! Wenn er einen Auftrag annahm, konnte man todsicher davon ausgehen, daß er die Sache auch durchzog. Joe Martinez hatte noch nie versagt. Martinez verengte die Augen ein wenig. Der Finger am Abzug spannte sich, als der gepanzerte Wagen vorfuhr. Sicherheitsbeamte stiegen aus und blickten sich mit der Waffe im Anschlag nach allen Seiten um. Und dann kam endlich Gordon Smith zum Vorschein, von beiden Seiten von Polizisten eingekeilt. Gordon Smith mußte sterben. Martinez wußte über diesen Mann zwar kaum mehr, als man aus der Presse erfahren konnte, aber die Sache lag wohl ziemlich klar auf der Hand. Smith sollte als Kronzeuge gegen einige große Nummern des organisierten Verbrechens aussagen, wodurch diese vielleicht endlich hinter Gitter kamen. Natürlich war diesen Leuten kaum ein Preis zu hoch, um Smith aus dem Weg zu räumen. Und so hatten sie über einen Mittelsmann Joe Martinez angeheuert - den Besten seines Fachs. Martinez hielt den Atem an.
Smith befand sich nun genau in seinem Fadenkreuz. Unter seiner Kleidung trug der Kronzeuge sicher eine kugelsichere Weste. Das bedeutete, daß Martinez den Kopf treffen mußte, wenn er sichergehen wollte. Noch einen Sekundenbruchteil wartete er ab, dann glaubte er den richtigen Zeitpunkt für gekommen und feuerte. Martinez wußte, daß er wahrscheinlich nicht mehr als einen Schuß haben würde. Aber für einen Profi seiner Klasse reichte das in der Regel auch.
Und genau so schien es auch diesmal zu sein. Durch das Zielfernrohr beobachtete er, wie Smith getroffen zu Boden stürzte. Die Sicherheitsbeamten rotierten und ließen irritiert die Köpfe kreisen. Martinez lächelte kalt und packte sein Gewehr in eine Tasche für Golfschläger. Es hatte ihn niemand gesehen.
*
Joe Martinez wohnte in einer schäbigen Absteige, in der man sich nicht sonderlich um Identität und Herkunft der Gäste kümmerte, solange im Voraus bezahlt wurde. Gestern abend war er in die Stadt gekommen und morgen früh würde er sie auch schon wieder verlassen. Bis zum nächsten Auftrag vielleicht. Die erste Hälfte seines Honorars hatte man ihm bereits im Voraus bezahlt, die zweite würde wohl irgendwann in den nächsten Tagen auf seinem Züricher Bankkonto eingehen. Alles war glattgegangen. Leicht verdientes Geld! dachte Martinez, bis er am nächsten Morgen eine böse Überraschung erlebte, als er die Morgenzeitung aufschlug. Über das Attentat auf den Kronzeugen Gordon Smith wurde groß berichtet. Und Martinez glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er da lesen mußte, daß Smith noch lebte! Smith lag schwerverletzt im Städtischen Krankenhaus und war bis auf weiteres nicht vernehmungsfähig. Martinez ballte grimmig die Rechte zur Faust. Er würde noch einmal in Aktion treten müssen! Schließlich war er Profi und hatte immerhin einen exzellenten Ruf zu verlieren. Und diesmal vielleicht sogar noch mehr! durchzuckte es ihn fröstelnd. Denn es mochte gut sein, daß seine Auftraggeber es ihm nicht verzeihen würden, wenn er versagte... Schließlich ging es ja auch für sie um die Existenz. Martinez würde die Sache also zu Ende bringen müssen. Um jeden Preis!
*
Joe Martinez besorgte sich in einem einschlägigen Fachgeschäft einen weißen Kittel. Natürlich konnte er sich bei seiner Anmeldung nicht einfach danach erkundigen, in welchem Zimmer man Gordon Smith untergebracht hatte. Das hätte nur Verdacht erregt. Und wahrscheinlich führte man den Kronzeugen sogar unter falschem Namen. So mußte er also suchen. Flur um Flur ging Martinez durch, bis er schließlich fündig wurde. Vor einem Krankenhauszimmer hatte ein uniformierter Beamter Posten bezogen. Das mußte es sein! Martinez versuchte wie selbstverständlich an dem Wachmann vorbeizugehen, aber dieser trat ihm in den Weg.
"Wer sind Sie?"
"Dr. Morton, Facharzt für Neurologie. Der Patient hat eine schlimme Kopfverletzung. Und da vielleicht das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen ist, meinte der Chef, ich sollte ihn mir mal ansehen!"
"Der Chef? Sie meinen Dr. Miller!"
"Ja, genau den!" Der Wachmann trat zur Seite. "Gehen Sie hinein!" meinte er. Und Martinez dachte: Jetzt ist es so gut wie geschafft!
Er würde eintreten, die Tür hinter sich schließen, dann die Schalldämpferpistole unter dem Kittel hervorziehen und abdrücken. Eine Sekundensache.
*
Mit einem schnellen Schritt war Martinez im Krankenzimmer und seine Rechte hatte bereits nach der Waffe unter dem Kittel gegriffen, da erstarrte er mitten in der Bewegung. Er blickte direkt in die Mündungen einiger Revolver. Jemand hielt ihm eine Polizeimarke unter die Nase. "Wir wußten, daß es ein Profi sein mußte, der es auf Smith abgesehen hatte", erklärte einer der Kriminalbeamten, während Martinez ein anderer die Waffe abnahm und ihm Handschellen anlegte.
Martinez fluchte.
"Ich begreife nicht...", murmelte er.
"Wir brauchten nur warten", fuhr der Beamte fort. "Ein Profi gibt schließlich nicht auf, stimmt's?" Er grinste. "Ich schätze, wir haben irgendwo ein schönes Foto von Ihnen in unseren Karteien..."
"Und wo ist Smith?" knurrte Martinez.
"An einem sicheren Ort, wo er sich vermutlich besser von seiner Schußverletzung erholen wird als hier!" war die trockene Antwort.