Читать книгу Im Land von El Tigre (Neal Chadwick Western Edition) - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 4

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"Bis jetzt scheint alles ruhig..."

"Das muß nichts heißen, Corporal!"

"Natürlich nicht, Sir..."

Sie ritten an der Spitze einer Kolonne von etwa zwanzig Blauröcken, die den Auftrag hatte, einen Geldttransport zu bewachen.

Auf einem unscheinbaren Kastenwagen befand sich der Monatssold für die Soldaten von Fort Deming, New Mexico -

einer kleinen Garnison in der Nähe der mexikanischen Grenze.

Die Räder knarrten über den steinigen, trockenen Boden der Sierra. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel. Sie stand jetzt annähernd im Zenit.

Als sie früh am Morgen aufgebrochen waren, war ihnen allen klar gewesen, daß sie am heutigen Tag die schwierigste Etappe ihres Weges vor sich haben würden.

Major Reilly wußte, daß sie sich jetzt im Einflußbereich von El Tigre befanden. Und das machte ihn unruhig.

Reilly studierte aufmerksam den Horizont, sah die Säulen aus flimmernder Luft und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Vor ihnen lag eine zerklüftete Felslandschaft. Reilly kannte sich einigermaßen in der Gegend aus und wußte, daß es keine andere Möglichkeit gab, als durch die langgezogene, schmale Schlucht zu reiten, die die Felsmassive in einer leicht gebogenen Linie durchschnitt.

Früher war diese Schlucht ein Flußbett gewesen, aber daran erinnerte sich kaum noch jemand. Der Fluß war ausgetrocknet und jetzt gab es nur noch Geröll und Staub.

Bevor sie in die Schlucht hineinritten, wandte Major Reilly sich an Wheeler, den Corporal, der neben ihm ritt.

"Weisen Sie die Männer an, ihre Gewehre aus den Sätteln zu nehmen."

"Ja, Sir!"

Sie wechselten einen kurzen Blick.

Corporal Wheeler war klar, was diese Entscheidung seines Vorgesetzten nur bedeuten konnte. Reilly rechnete damit, daß es gefährlich wurde.

Und er hatte allen Grund dazu.

Die Überfälle hatten sich in letzter Zeit gehäuft und sie alle trugen die Handschrift der Bande von El Tigre. Selbst bewaffnete Militäreskorten konnten diese verwegenen Gesetzlosen nicht abschrecken.

Wheeler gab Reillys Anweisung an die Männer weiter. Die Gewehre wurden herausgezogen und durchgeladen. Das Getrappel der Hufe war zu hören und hallte wenig später auch von den Felswänden wider, aber sonst war es still.

Eine gespannte Stille allerdings, der niemand so recht trauen mochte.

Wenn diese Hunde einen Überfall auf diesen Transport geplant haben, dann ist hier der beste Ort dazu! überlegte Reilly nüchtern. Sie mußten also auf der Hut sein.

Zunächst geschah nichts.

Alles blieb ruhig, während der Zug seinen Weg durch die enge Schlucht fortsetzte. Die Männer schauten mißtrauisch hinauf zu den Plateaus auf den schroffen Felsmassiven und den Terrassen, die Wind und Wetter hier und da in den Stein gemeißelt hatten.

Aber da war nichts.

Kein Laut, keine Bewegung.

Nichteinmal eine einsame Wildkatze auf der Jagd.

Sie hatten die Schlucht bereits zu einem Gutteil durchquert, da ging plötzlich Hölle los.

*

Reilly riß sein Pferd zurück, daß sich daraufhin wiehernd auf die Hinterhand stellte. Ein Schwall von Geröll und Steinen brach die Steilwand hinunter. Von überall her kamen die Echos der vom heruntzerbrechenden Gestein verursachten Geräusche, so daß es im ersten Moment den Anschein hatte, als bräche das Chaos von allen Seiten über die kleine Abteilung herein.

Reilly wußte, daß solche Erdrutsche natürliche Ursachen haben konnten, aber sein Instinkt sagte ihm, daß es diesmal nicht so war.

"Alles kehrt!" rief der Major seinen Männern zu, aber dieser Befehl ging im allgemeinen Getöse unter. Zudem brach nun auch in ihrem Rücken ein Steinhagel los, so daß ihnen gar keine Fluchtmöglichkeit mehr blieb.

Schreie gellten durch die Schlucht und hallten an den Felswänden wider.

Es waren die ersten Todesschreie und ihnen würden noch mehr folgen. Steine zertrümmerten Schädel und Knochen; Pferde spielten verrückt und warfen ihre Reiter ab.

Auch Reilly selbst fand sich im Staub wieder und konnte alles in allem froh sein, sich noch rühren zu können. Er hatte den Army-Revolver aus dem Holster gezogen und blickte sich nach dem bis jetzt unsichtbar gebliebenen Feind um, von dem er wußte, daß er hier irgendwo sein mußte...

Und dann - der aufgewirbelte Staub hatte sich kaum gelegt, der Steinhagel war gerade erst verebbt - fielen die ersten Schüsse.

Reilly sah Corporal Wheeler nur wenige Meter von ihm entfernt niedersinken. Eine Kugel hatte ihm den Brustkorb aufgerissen.

Oben auf den Felsplateaus waren Bewegungen zu erkennen. Am Boden liegend und sich herumdrehend legte Reilly an und feuerte.

Schwer zu sagen, ob er jemanden traf.

Es wurde hin und her geschossen und die Echos sorgten für perfekte Verwirrung.

Reilly sah einen nach dem anderen von seinen Männern sterben. Die Schüsse schienen von allen Seiten zu kommen und es war für die Soldaten kaum Deckung vorhanden.

Die Blauröcke feuerten mehr oder weniger ungezielt herum, sich immer wieder umwendend und drehend. Sie waren wie Kaninchen auf freiem Feld... Ein ideales Ziel!

Reilly rappelte sich auf und stürmte in Richtung des Wagens, in dem sich das Geld befand. Einige der Männer hatten versucht, sich dort zu verschanzen.

Zwischendurch stolperte der Major fast über die Leiche eines seiner Untergebenen.

Dann spürte er einen brennenden Schmerz an der linken Schulter, der ihn zusammenzucken ließ.

Eine Kugel hatte ihn erwischt und riß ihn etwas herum.

Taumelnd legte er die letzten Meter bis zum Wagen zurüc, ehe er zu Boden strauchelte. Eine weitere Kugel fuhr ihm in den Unterschenkel und ließ ihn laut aufschreien.

"Kommen Sie, Major!"

Das war Edwards, ein junger Offizier, der gerade von West Point gekommen war. Aber das Patent, das er vorweisen konnte, half ihm in einer solchen Lage auch nicht.

Der junge Mann packte den am Boden liegenden Reilly am Arm und zog ihn mit einem kräftigen Ruck unter den Wagen - die einzige Stelle in diesem verfluchten Tal, an dem man ein klein wenig Deckung hatte.

Reilly biß die Zähne zusammen, lud seine Waffe nach und feuerte ein paar Mal. Um seine Wunden konnte er sich nicht kümmern, dazu war einfach keine Zeit.

Edwards war allem Anschein nach unverletzt, obwohl sich an seiner Stirn etwas Blut befand.

Aber das stammte nicht von ihm, sondern von Conrads, dem Kutscher. Der lag auch bei ihnen unter dem Wagen, aber gleich eine der ersten Feuersalven hatten ihn böse zugerichtet.

Unterdessen war er verblutet.

"Es sieht verdammt finster für uns aus, Major!" meinte Edwards.

Reilly verzog das Gesicht.

Er hätte so gerne etwas dagegen gesagt, aber der andere hatte unzweifelhaft recht.

"Verkaufen wir uns so teuer wie möglich!" zischte er.

Edwards hatte eine Winchester und mit der holte er zwei Feinde von ihren Stellungen herunter. Wenn die Kugeln sie nicht umbrachten, dann mit Sicherheit der Sturz die Steilwände hinunter.

"Ist das die Bande dieses sagenhaften El Tigre?" fragte Edwards zwischendurch.

Reilly zollte ihm dafür ein heiseres, freudloses Lachen.

"Wer sonst? Wer sonst würde es wagen, sich mit der Armee anzulegen! Und wer sonst wäre so gut bewaffnet!"

"Verdammtes Pack!"

"Kann man wohl sagen, Edwards! Und das Schlimmste an der ganzen Sache ist, daß man die Kerle wahrscheinlich auch diesmal nicht kriegen wird! Sie reiten einfach über die Grenze nach Mexiko!"

*

Es brach über sie herein, wie ein wütender Gewittersturm.

Ein Hagel von Blei ging in ihre Richtung nieder und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich so klein wie möglich zu machen, die Hände vor das Gesicht zu nehmen und zu hoffen, daß sie noch am Leben waren, wenn es vorbei war.

Die Banditen hatten offensichtlich ganz gezielt den Wagen und seine Umgebung unter Feuer genommen, um den letzten Widerstand zu brechen.

Die Kugeln durchsiebten den Wagen förmlich. Das Holz splitterte. Die Schüsse gingen bis in den Boden und wirbelten Staub auf.

Dann ebbte der Hagel ab und als Reilly wieder den Blick zu heben wagte, da sah er ein weit aufgerissenes Augenpaar, daß ihn ungläubig anstarrte.

"Edwards!"

Aber da war nichts mehr zu machen.

Edwards war tot.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, da wurde Reillys Aufmerksamkeit von etwas anderem abgelenkt.

Er hörte das Geräusch von herannahenden Pferdehufen.

Mindestens zehn Reiter, so schätzte er. Eher mehr, als weniger.

Sie kamen schnell heran und er konnte ihre Stimmen hören.

Es war ein Gemisch aus Spanisch und Englisch.

"Hey, Burnett! Der Kerl hier lebt noch!"

Dann war ein Schuß zu hören.

"Was soll das, Marquez?" Diese Stimme war rauh und befehlsgewohnt. Am Akzent konnte man hören, daß es sich unzweifelhaft um einen Amerikaner handelte.

"Ich möchte nicht erleben, daß irgendwann einmal jemand auf mich zeigt und sagt: Jawohl, der war auch dabei!"

rechtfertigte sich jener, der Marquez hieß. In seinem Tonfall lag deutliches Mißbehagen darüber, sich von einem Gringo Befehle geben lassen zu müssen!

"Er hätte ohnehin die nächsten zwei Stunden nicht überlebt!" versetzte Burnett kühl.

In Reillys Gehirn arbeitete es.

Wenn diese Kerle auf mich aufmerksam werden und merken, daß ich noch lebe, dann bin ich geliefert! dachte er.

Er hörte, wie sich einige der Männer aus den Sätteln gleiten ließen.

Dann sah er ihre Stiefel.

Es gab nichts, was er tun konnte, außer abzuwarten und sich tot zu stellen.

Einige der Männer sprangen auf den Wagen.

"Hey, da haben wir einen guten Fang gemacht!" rief jemand.

"Der Boss wird zufrieden sein!"

"Ja, das wird er!" war die Stimme von Burnett zu vernehmen.

"Bei solch einer Beute ist doch wohl ein Zuschlag für jeden von uns drin, was, Burnett?"

Die Antwort war eher zurückhaltend.

"Ich werde mit El Tigre darüber sprechen..."

"Mach das, Burnett! Sollen wir die Pferde auch mitnehmen?"

"Natürlich! Wäre doch schade drum!"

Die Säcke, in denen das Geld war, wurden heruntergenommen und verteilt. Dann zog die Meute so schnell ab, wie sie gekommen war.

*

Als Reilly glaubte, daß die Luft rein war, kroch er unter dem Wagen hervor.

Die Banditen waren auf und davon und ehe auch nur irgendjemand in Fort Deming von dem Überfall erfahren hatte, würden El Tigres Leute über die Grenze nach Mexiko verschwunden sein.

Und dahin konnte ihnen kein Sternträger und schon gar kein Blaurock folgen. Das konnte ernsthafte diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen und an denen war gegenwärtig niemand interessiert.

Man wäre auf die Zusammenarbeit mit den mexikanischen Behörden angewiesen gewesen, aber die zeigten sich seltsam passiv, gerade so, als hätten sie gar kein Interesse daran, die Verbrecher zu verfolgen...

Aber im Augenblick hatte Reilly andere Sorgen. Er richtete sich unter unsäglichen Schmerzen auf und drohte kurz darauf wieder zu Boden zu sinken. Er mußte sich zunächst am Wagen festhalten.

Der Anblick, der sich ihm bot, war furchtbar.

Der Boden war übersäht mit toten Blauröcken, von Steinen erschlagen oder von Kugeln durchsiebt. Pferde lagen mit gebrochen Gliedmaßen in ihrem Blut, manche waren noch am leben und strampelten etwas, über anderen sammelten sich bereits die Fliegen und hoch über der Schlucht kreiste auch schon der erste Geier.

Diese verdammten Hunde! durchfuhr es Reilly grimmig.

Sie hatten alle Pferde, die noch zu verwenden waren, mitgenommen! Wahrscheinlich würde man sie bald auf den Märkten von San Pedro oder Magdalena wiederfinden können.

Reilly verfluchte sie innerlich, aber es gab nichts, was er im Moment dagegen tun konnte.

Er fühlte sich schwach, so unsäglich schwach...

Die Wunde am Bein würde hinderlich beim Gehen sein, aber eine flüchtige Untersuchung sagte ihm, daß es ein Streifschuß war. Schmerzhaft, aber verhältnismäßig harmlos.

Anders war das mit seiner Schulter...

Ein langer Fußmarsch lag vor ihm.

Schon ein gesunder Mann hätte es kaum lebend bis Fort Deming schaffen können. Für Reilly war die Lage entsprechend aussichtsloser.

Der Major beugte sich nieder und nahm Edwards' Gewehr an sich, das er dann als eine Art notdürftige Krücke benutzte.

Dann lief er über das trostlose Schlachtfeld und suchte nach einer gefüllten Feldflasche.

Er fand eine.

Bevor er dann aufbrach, versorgte er seine Schulter noch mit einem notdürftigen Verband, den er aus dem Hemd eines ermordeten Kameraden fertigte.

Dann humpelte er davon, ohne viel Aussicht, sein Ziel auch zu erreichen. Aber was blieb ihm anderes, als es dennoch zu versuchen?

Er war keiner, der bereit war, sich einfach niederzulegen und aufzugeben.

Er dachte an Wheeler, an Edwards und an all die anderen Männer, die jetzt tot im Staub lagen.

Er hatte für seine Leute die Verantwortung getragen, und jetzt war nichts von ihnen geblieben, als eine Mahlzeit für Geier und Coyoten.

Mit manchen von ihnen - mit Wheeler, dem Corporal zum Beispiel, war er befreundet gewesen.

Diese Teufel hatten ihnen nicht den Hauch einer Chance gelassen!

Es wird Zeit, daß jemand diesem Gesindel endlich das Handwerk legt! durchfuhr es Reilly. Schritt für Schritt setzte er einen Schritt vor den anderen. Ihm war schwindelig und seine Wunden schmerzten, aber er versuchte, so wenig wie möglich darauf zu achten.

Er mußte weiter, immer weiter...

Soweit ihn seine Beine noch trugen.

Er sah sich selbst bereits vor seinem geistigen Auge in den Sand sinken und die Augen endgültig schließen. Aber Reilly versuchte mit aller Kraft, solche Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen.

Noch atmete er, noch war ein Rest seiner Kraft in ihm, noch konnte Meter um Meter, Schritt um Schritt hinter sich bringen...

Er verlor das Gefühl für Zeit.

Wie automatisch bewegte er sich vorwärts und bald nahm er kaum noch etwas anderes wahr, als die Beine, die ihn trugen

- und seine Wunden.

Er hörte den Wind durch die Felsen pfeifen und das klang in seinen Ohren wie ein gespenstisches Totenlied.

Irgendwann hatte er die langezogene Schlucht hinter sich gelassen, was sich für ihn vor allem dadurch bemerkbar machte, daß es jetzt nirgends mehr Schatten gab.

Er blinzelte.

Vor ihm befand sich eine weite, menschenfeindliche und von der Sonne verbrannte Ödnis. Reilly hielt einen Moment lang an und nahm einen Schluck aus der Feldflasche.

Wie weit mochte das nächste Wasserloch entfernt sein?

Diese Gegend machte den Eindruck, als hätte es hier in den letzten tausend Jahren nicht geregnet. Der Boden war trocken und an vielen Stellen aufgesprungen.

Die wenigen Pflanzen, die sich hier hatten halten können, waren hellbraun.

Säulen aus flimmernder, vibrierender Luft hatten sich in der Ferne aufgerichtet. Irgendwo dahinter kam dann die nächste Bergkette.

Reilly blickte sich kurz um, um sich ein wenig zu orientieren. Er kannte den Weg im Schlaf, aber es würde das erste Mal sein, daß er ihn zu Fuß zurücklegte.

*

Schritt um Schritt legte er wie mechanisch zurück, aber die Berge wollten einfach nicht näherkommen.

Es schien, als käme er kaum vorwärts. Gleichzeitig spürte er, wie ihn die Kräfte verließen.

Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.

Er hörte sein eigenes, heiseres Keuchen und den Wind.

Sonst war alles still.

Ein Fuß vor den anderen, immer wieder und wieder.

Dann strauchelte er plötzlich. In ihm war nicht mehr genug Kraft, um das Gleichgewicht zu halten. Er fiel hin und schlug hart auf den trockenen, aufgesprungenen Boden.

Einfach liegenbleiben, dachte er. Und die Augen schließen.

Die Versuchung war groß, aber er hatte den festen Willen, nicht aufzugeben.

Einen Augenaufschlag lang geschah gar nichts. Nicht ein Muskel bewegte sich, nicht eine einzige Sehne seines Körpers wurde angespannt.

Wenn ich jetzt nicht bald wieder hochkomme, ist es aus!

durchfuhr es ihm.

Aber es war ihm bei diesem Gedanken nicht so zumute, als würde sich eine eisige Hand auf seine Schulter legen. Ihn fröstelte, aber das lag am Wundfieber, nicht an der Furcht.

Nein, die Wahrheit war, daß es sich um einen ganz nüchternen Gedanken handelte. Fast so, als wäre es gar nicht sein Leben, um das es ging...

Aber wenn er leben wollte, durfte er sich dieser gefährlichen Lethargie nicht hingeben, auch wenn es so naheliegend schien.

Er nahm seine ganze Kraft zusammen, versuchte hochzukommen und brach dann gleich darauf wieder zusammen. Die Winchester, auf die er sich gestützt hatte, knickte ihm weg und fiel in den Staub.

Er atmete tief durch, sammelte neue Kraft und versuchte es nocheinmal.

Diesmal hatte er mehr Erfolg. Taumelnd und ein wenig unsicher setzte er seinen Weg fort.

Als es zu dämmern begann, hatte er die Ebene durchquert und die Bergkette erreicht. Sein Orientierungssinn mußte trotz allem ganz gut funktioniert haben, denn die Stelle, an der er die Berge schließlich erreichte, war nicht weit vom Pass entfernt, den er nehmen mußte.

Er sah zur Sonne, die Horizont versank.

Bald würde sie ihre letzten Strahlen über die Ebene schicken und dann würde es sehr schnell ziemlich dunkel werden.

Und vor allem kalt.

Reilly fror ohnhin schon erbärmlich, obwohl es eigentlich noch warm war. Er fror und gleichzeitig schwitzte er. Das Wundfieber war schlimmer geworden.

Es würde eine schlimme Nacht werden, ganz gleich, ob er sich dazu entschloß, weiter zu marschieren, oder ob er sich etwas Schlaf gönnte.

Zunächst schleppte er sich weiter.

Wenn er sich jetzt niederlegte, wußte er nicht, ob oder in welchem Zustand er am Morgen erwachen würde. Jeder Meter, den

er heute noch zurücklegen konnte, wollte er hinter sich bringen.

Als die Dämmerung jedoch soweit fortgeschritten war, daß die Orientierung schwierig wurde, entschloß er sich doch widerstrebend dazu, sich einen Platz zum kampieren zu suchen.

In seinem Zustand konnte er es sich einfach nicht leisten, auch nur eine halbe Meile in die falsche Richtung zu laufen.

Er suchte also ein paar vertrocknete Sträucher zusammen und zündete sie an. Das ganze ergab ein notdürftiges Lagerfeuer.

Burnett...

Marquez...

Diese Namen kamen ihm jetzt wieder in den Sinn. Und auch die Stimmen, die dazu gehörten.

Er würde sie nicht vergessen.

Niemals.

Ihre Gesichter hatte er nicht gesehen, aber wenn es ihm gelang, dies hier zu überleben und er dann eines Tages einem dieser Halunken gegenüberstehen würde, dann würde er ihn an der Stimme wiedererkennen!

Reilly war sich in dieser Beziehung vollkommen sicher. Die Stimmen dieser beiden Männer hatten sich unlöschbar in sein Bewußtsein gebrannt.

Reilly legte sich auf den Boden. Dabei ließ er die Winchester immer in Reichweite. Dann fiel er in einen unruhigen, dumpfen Schlaf.

*

Es war die Kälte, die ihn am nächsten Morgen weckte. Eine Kälte, die alles zu durchdringen schien. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, vielleicht noch eine Stunde, dann würde sie sich über den Horizont schieben.

Es war vielleicht nicht schlecht, die Morgenkühle zum Marschieren zu nutzen.

Er richtete sich mühsam auf und warf einen kurzen Blick auf das Feuer. Es war längst niedergebrannt. Reilly setzte seinen Weg fort, während es langsam heller wurde.

Schritt um Schritt setzte er vorwärts, während die Zeit verstrich. Ein paar Stunden rannen dahin, ehe er den Pass erreicht hatte.

Dann brannte die Sonne wieder unbarmherzig auf ihn hernieder.

Noch ein Schluck aus der Wasserflasche, dann warf er das leere Gefäß weg.

Hier würde er nirgends Aussicht haben, Wasser zu finden.

Hier gab es nur Staub, Felsen und Ödnis.

Wie lange kann man unter diesen Bedingungen überleben?

dachte er.

Es war fruchtlos, näher darüber nachzudenken. Bereits jetzt, nur kurze Zeit, nachdem er den letzten Schluck genommen hatte, fühlte sich seine Kehle bereits wieder staubtrocken an.

Er spürte seine Beine kaum, wie sie einen Fuß vor den anderen setzten. Aber er hörte den Wind sein grausames Lied durch die Felsen pfeifen.

Für einen kurzen Moment wunderte es Reilly geradezu, daß sich noch kein Geier eingefunden hatte.

Mehr und mehr wurde Reilly von Schwindelgefühlen ergriffen.

Schließlich kam er taumelnd zu Boden. Nocheinmal spannte er seine Muskeln und Sehnen, um wieder hochzukommen, aber vergeblich. Er konnte den Staub mit den Lippen spüren.

Er wollte nicht aufgeben, wollte sich noch geschlagen geben, obwohl es keine Aussicht auf Überleben mehr für ihn gab.

Aber er hatte einfach keine Kraft mehr.

Das ist es also! dachte er. Das Ende...

Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen.

Gnädige Dunkelheit senkte sich über ihn. Und dann war da gar nichts mehr. Nur noch namenlose Schwärze - und Stille.

Im Land von El Tigre (Neal Chadwick Western Edition)

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