Читать книгу Kommando-Operation: Drei Military Action Thriller in einem Band - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 5
Erster Teil
ОглавлениеCamp Boulanger, einige Stunden später
Der Seahawk-Helikopter landete dort, wo sich eigentlich die Forschungsstation Camp Boulanger hätte befinden müssen. Zwei weitere Seahawks waren dort bereits gelandet. Die Maschine sank mit ihren Kufen auf die glatte Schneefläche.
Chrobak öffnete die Außentür. Ein kalter Wind blies ins Innere des Helis.
Aber noch waren die Temperaturen in einem Bereich, der das Tragen von Gesichtsmasken nicht unbedingt erforderlich machte. Allerdings war es unerlässlich, Stirn und Wangen mit einer UV-Schutzcreme einzureiben.
Haller war der Erste, der ausstieg. Das Marschgepäck ließen die OFO-Kämpfer im Laderaum des Seahawk.
Ridge folgte als zweiter und danach stieg Dr. Van Karres aus der Maschine.
Captain Rick Sutarro vom Marine Corps der US Navy kam ihnen entgegen und grüßte militärisch korrekt.
"Wo ist das Camp geblieben?", fragte Ridge. "Ich kann hier nirgends etwas erkennen, das auch nur im Entferntesten Ähnlichkeiten mit einem Forschungscamp hätte."
"Es hat Neuschnee gegeben, Sir. Und das nicht zu knapp! Außerdem hatten wir einen der ersten Stürme dieses Jahres, was zu Schneeverwehungen geführt hat. Da können ein paar unscheinbare Baracken schon mal von der Bildfläche verschwinden."
"Klingt nicht gerade beruhigend, Captain."
"Darum bin ich auch sehr froh, dass unsere üblichen Einsatzorte einige Breitengrade weiter nördlich sind!", gab Sutarro zurück. Der Captain deutete zum Horizont. Das Wetter war diesig. Die Sonne war zu einem verwaschenen Fleck geworden. "Sehen Sie, wie tief der Sonnenstand bereits ist? Wir haben schon drei Stunden nach Mitternacht und sie steht trotzdem nur einige Grad über dem Horizont."
"Wird wohl bald Winter!", meinte Haller.
Sutarro nickte.
"Die Forschungsstationen werden jetzt überwiegend geräumt. Eine Bevölkerung von schätzungsweise dreihundert Personen bewohnt im Sommer diesen Kontinent, der größer als Europa ist. Im Winter sind es höchstens noch ein Dutzend. Und wer sich entschlossen hat hier zu bleiben, muss damit rechnen, für Monate nicht wegzukommen."
Captain Sutarro führte Ridge und seine Leute zum Eingang einer Baracke, die fast völlig unter Schnee begraben war. Der Wind hatte die Schneemassen verweht und dafür gesorgt, dass sie sich überall zu Bergen auftürmten, wo sich auch nur der geringste Widerstand bot.
Die OFO-Kämpfer folgten Sutarro ins Innere.
Angehörige der Militärpolizei und des Geheimdienstes der Navy untersuchten die Station.
„Wir haben bis jetzt von Professor Boulanger und seinen Leuten keine Spur“, berichtete Sutarro. „Sie sind verschwunden. Wir haben allerdings inzwischen einen Blutfleck gefunden. Außerdem befand sich auffällig wenig elektronisches Equipment im Camp.“
„Was glauben Sie, ist passiert?“, fragte Haller.
Sutarro zuckte die Achseln. „Boulanger hat an das Institut in Berkeley gemeldet, dass sein Camp angegriffen würde. Das ist das letzte, was wir von ihm und seinen Leuten gehört haben…“
„Dann wurden die Wissenschaftler vielleicht verschleppt“, vermutete Ridge.
„Ja - oder man hat lediglich die Leichen verschwinden lassen. Genau wie sämtliche Aufzeichnungen. Wenn Sie mich fragen, da wollte jemand Spuren verwischen.“
*
Eine Stunde später war das OFO-Team wieder in der Luft. Der Ausgangspunkt für ihre Mission lag etwa hundertzwanzig Kilometer von Camp Boulanger entfernt. Der Seahawk ging hinter einer Kette von felsigen Anhöhen nieder, die allerdings nichts anderes als aus dem Eispanzer herausragende Gebirgsgipfel waren.
Gomez war die erste, die in voller Kampfmontur ausstieg. Das Marschgepäck war auf das Nötigste reduziert. Die OFO-Kämpfer hatten Nahrungsrationen bei sich, die überwiegend aus reinem Speck bestanden. Wahre Kalorienbomben waren das - aber in dieser Umgebung überlebenswichtig. Insgesamt drei Biwaks hatte das Team dabei. Die Einzelteile waren auf das Gepäck aller 7 OFO-Soldaten des Alpha-Teams verteilt. Jeder war außerdem mit einer sechzehnschüssigen automatischen Pistole vom Typ P226 ausgerüstet.
Gomez und Russo trugen zusätzlich spezielle Scharfschützengewehre, die sich auch mit Explosivgeschossen bestücken ließen. Alle anderen waren mit der üblichen MP7 von Heckler & Koch ausgerüstet.
Nachdem das gesamte Team ausgestiegen war, hob der Seahawk wieder vom Boden ab. Seine kreisenden Rotorblätter wirbelten Schneewolken in die Luft.
„Jetzt hängt es nur noch von uns ab“, sagte Ridge durch seine Gesichtsmaske hindurch. Seine Stimme klang dumpf. Über eine Interlink-Verbindung konnten die Team-Mitglieder notfalls jederzeit miteinander in Kontakt treten. Aber einstweilen galt dafür dasselbe wie für alle anderen Funkkontakte. Sie waren auf Notfälle zu beschränken und möglichst zu unterlassen.
Haller setzte sich an die Spitze des Trupps.
Sie stapften durch den Schnee.
Wortlos.
Vor ihnen türmten sich die aus dem Schnee ragenden Gipfelspitzen gigantischer Felsmassive auf, von denen nur die letzten paar hundert Meter sichtbar waren. Gemessen am Oberflächenniveau des antarktischen Eispanzers handelte sich nur um Anhöhen und kleinere Felsen. Dahinter schloss eine Eisebene an, unter der sich der unterirdische See befand.
Von da an würde es keinen Schutz und keine Deckung mehr geben, bis sie X-Point erreicht hatten.
Niemand konnte wissen, was sie dort erwartete.
Eine graue Wand bedeckte den Himmel. Die Sonne war kaum zu sehen.
„Es riecht nach Schnee“, meinte Chrobak.
„Ich hoffe, dass Sie sich irren, Sergeant!“, gab Ridge zurück.
„Vielleicht ist schlechtes Wetter im Augenblick unser bester Verbündeter!“, meinte Haller.
Ridge lachte kurz auf.
„Sagen Sie das noch einmal, wenn Sie frierend im Biwak sitzen, Ihnen der Magen knurrt und Sie auf einem zähen Stück Speck herumkauen, Lieutenant!“
*
Stunden krochen dahin, in denen die Mitglieder des OFO-Teams beinahe wortlos durch die öde, weißgraue Landschaft stapften.
Der Wind wurde heftiger, Schneefall setzte ein. Der Himmel verdüsterte sich. In dem zerklüfteten Gebiet, das sie zu durchqueren hatten, kamen sie nicht besonders schnell voran.
Die Temperatur sank auf unter minus 20 Grad und schien sich in einer Art freien Fall zu befinden.
„Für die Touristen-Saison sind wir wohl etwas spät dran“, meinte Alberto Russo. Der Italiener war der letzte im Team, der auch seine Gesichtsmaske angelegt hatte. Die OFO-Soldaten waren daher äußerlich kaum unterscheidbar, lediglich die Statur und Einzelheiten der Ausrüstung konnten einem Hinweise darauf geben, mit wem er es zu tun hatte.
Die einzige Reaktion, die auf Russos Bemerkung erfolgte, war die wegwerfende Handbewegung, die eines der beiden weiblichen Mitglieder des Teams vollführte.
„Dachte ich mir doch, dass Sie die Ski-Saison bevorzugen, Marisa“, meinte der Italiener.
„Mit Skifahren kenne ich mich nicht besonders aus“, kam die Erwiderung. „Bei uns in den Niederlanden gibt es nämlich kaum Berge.“
Damit war klar, dass er Dr. Van Karres angesprochen hatte.
Ein Geräusch ließ alle aufhorchen. Russos Flachsereien waren auf einmal Nebensache.
„Das ist ein Helikopter“, stellte Haller fest.
Sie starrten in die graue Wolkenwand hinein. Die Maschine näherte sich genau aus jener Richtung, in der das Ziel von Ridge und seinen Leuten lag: X-Point, die mysteriöse Station mitten in der Eisebene.
„In Deckung!“, rief Ridge.
Die Teammitglieder hechteten zwischen die Felsen, warfen sich zu Boden. Ihre Bekleidung war ohnehin in weißer Wintertarnfarbe gehalten, ganz im Gegensatz zu gewöhnlichen Polarexpeditionen, deren Kleidung in der Regel in Signalfarbe gehalten war, um im Notfall eine Rettung zu ermöglichen.
Die Männer und Frauen der Omega Force One kauerten in ihrer Deckung. Die Waffen waren im Anschlag.
Russo und Gomez bestückten ihre Spezialgewehre mit panzerbrechender Explosivmunition. Mit gezielten Treffern in die Rotoraufhängung konnte man damit auch gegen Helikopter notfalls etwas ausrichten. Vorausgesetzt man kam überhaupt noch zum Schuss und es handelte sich nicht um einen schwer bewaffneten Kampfhubschrauber, dessen Granatwerferbatterien Dauerfeuer spuckten.
Ein dunkler Punkt bildete sich in der grauen Wand, wurde langsam größer.
„Ein Apache-Kampfhubschrauber“, murmelte Haller.
„Ja, aber ohne die US-Kennung“, stellte Ridge fest, der ganz in Hallers Nähe kauerte.
Ein zweiter Apache-Helikopter kam aus der grauen Wolkenwand heraus und zog im Tiefflug einen Bogen.
„Sind Sie wirklich sicher, dass die Kameraden von der US Navy uns informiert hätten, wenn sie irgendeine Aufklärungsaktion im Zielgebiet geplant hätten?“, fragte Haller an Ridge gewandt. Er schrie es fast und versuchte dabei den Lärm der Rotoren zu übertönen. Schnee wirbelte auf. Aber der trug ironischerweise zu ihrer Tarnung bei.
Beide Helikopter flogen in einem weiten Bogen zurück und verschwanden wenig später hinter den nächsten Anhöhen.
„Das sind nicht unsere Leute“, meinte Ridge an Haller gerichtet, nachdem die Maschinen verschwunden waren. „Dann wüssten wir davon. Außerdem würde es auch keinen Sinn machen, Kampfhubschrauber in das Gebiet um X-Point zu schicken.
Luftaufnahmen gibt es ja inzwischen genug von der Station!“
„Nur das man auf ihnen leider nicht das sieht, was wirklich dort geschieht!“, ergänzte Laroche.
„Wenn unsere Gegner über Apaches verfügen, dann sind sie ziemlich gut ausgerüstet“, stellte Haller fest.
Ina Van Karres konnte sich diesem Urteil nur anschließen. „Vor allem muss die Station dann Ausmaße haben, die weit über das hinausgehen, was bis jetzt vermutet wurde!“
Haller zuckte die Achseln. „Es ist viel leichter, einen Bunker ins Eis hineinzubauen als in felsigen Untergrund“, gab er zu Bedenken.
Ridge deutete Richtung Süden.
„Vorwärts“, befahl er.
Sie setzten ihren Weg fort.
Der Wind wurde immer heftiger. Ein Sturm kündigte sich an. Von den Helikoptern sahen sie nichts mehr. Wahrscheinlich waren sie längst zu ihrer Ausgangsbasis zurückgekehrt.
An einer geschützten Stelle schlugen die Männer und Frauen der Omega Force One ihr Lager auf.
Nachtlager war dafür nicht der richtige Ausdruck, schließlich blieb es die ganze Zeit über hell, sodass an diesem Einsatzort ein gewöhnlicher Tag/Nacht-Rhythmus nicht existierte. Aber erstens mussten Ridges Leute nach dem anstrengenden Marsch durch die Felsen ein paar Stunden regenerieren und zweitens war bei dem aufkommenden Sturm an ein schnelles Fortkommen ohnehin nicht zu denken. Der Wind kam ihnen direkt entgegen. Noch boten ihnen die umgebenden Berge und Felsen Schutz vor der Gewalt dieser Windstärken. Wenn sie das Hochland erst einmal hinter sich hatten, würde sich das ändern.
Gomez und Van Karres bewohnten ein Biwak zusammen, während Chrobak und Russo ebenfalls gemeinsam in einem Zelt schliefen. Das dritte Biwak war größer als die beiden anderen. In ihm kampierten Ridge, Chrobak und Haller. Das Aufstellen und verankern der Zelte hatten sie dutzendfach geübt. Jeder Handgriff saß. Es musste schnell gehen, denn niemand konnte sagen, ob das Wetter nicht noch schlechter werden würde.
Die Biwaks waren ebenso wie der Rest der Ausrüstung in weißer Wintertarnfarbe gehalten.
Wahrscheinlich dauerte es ohnehin kaum länger als eine halbe Stunde, ehe sich zudem eine Schneeschicht auf die Außenhaut gelegt hatte. Wurde sie zu schwer, musste eventuell einer der Insassen noch einmal hinaus.
Die OFO-Soldaten rollten sich in ihre Schlafsäcke. Allein die Körperwärme der Insassen heizte das Biwak schon mit der Zeit gegenüber der Umgebung erheblich auf. Zudem wurde der Wind durch die isolierende Spezialbeschichtung der Außenhaut fern gehalten.
Pierre Laroche kramte unruhig in seinen Sachen herum.
„Ihr Laptop lassen Sie einstweilen besser dort, wo es jetzt ist“, meinte Ridge dazu. „Erstens sollen wir Funkstille halten und zweitens bekämen Sie bei diesem Wetter wahrscheinlich ohnehin keinen Kontakt zum Satelliten.“
„Keine Sorge“, meinte Laroche. Er holte das Hochleistungsfunkgerät hervor. „Wir müssen zwar Funkstille halten - aber niemand kann etwas dagegen sagen, wenn wir mithören, was sich im Äther um uns herum so tut.“
Ridge zuckte die Achseln. „Wenn Sie sich davon etwas versprechen.“
„Alors, ich bin eben gerne gut informiert, mon Colonel!“
„Dann tun Sie, was Sie nicht lassen können!“
Laroche drehte an einem der Regler. Es quietschte und rauschte.
Der Franzose machte ein angestrengtes, konzentriertes Gesicht.
Ridge verdrehte die Augen. „Vielleicht nehmen Sie besser den Kopfhörer, sonst kriegt niemand ein Auge zu.“
„Ja, Sir!“, nickte Laroche.
„Es gefällt mir nicht, dass wir es mit einem Gegner zu tun haben, der über Apache-Hubschrauber verfügt“, meldete sich Haller zu Wort.
Ridge sah seinen Stellvertreter im Team einen Augenblick lang nachdenklich an und nickte schließlich. Er verstand Haller inzwischen gut genug, um zu wissen, worauf der Deutsche jetzt hinauswollte.
„Was wir gesehen haben war nur die Spitze des Eisbergs“, meinte er.
„Wer sich Apaches leisten kann, der hat noch ganz andere Sachen in petto.“
„Dieses miese Geschäft, das da mit geheimen Atomtests betrieben wird, ist ja wohl einträglich genug, um sich die teuerste Söldnertruppe der Welt zusammenzustellen“, sagte Haller bitter.
Ridge nickte.
Er kaute auf einem Stück Speck herum.
„Hoffen wir, dass es profitgierige Gangster sind“, meinte er. „Von mir aus Handlanger von NEXUS - das ist mir allemal lieber, als wenn wir es mit Terroristen zu tun haben, die sich fanatisch einer Idee verschrieben haben und denen das eigene Leben nichts bedeutet.“
„Mit Gangstern kann man immerhin verhandeln“, stimmte Haller zu.
Eine Weile schwiegen sie.
Plötzlich meldete sich Laroche zu Wort.
„J'ai trouvé quelque chose!“, rief er. „Ich habe etwas gefunden!“
„Dann schießen Sie mal los, Lieutenant!“, gab Ridge zurück.
„Ich habe Funkkontakt von einem der Apaches aufgeschnappt. Sie kommunizieren auf Englisch mit ihrer Basis.“ Der Franzose nahm den Kopfhörer ab und reichte ihn Ridge. „Hören Sie mal rein, ob es sich um die in den Streitkräften der USA übliche Kommunikation handelt. Ich glaube nicht…“
Ridge nahm den Hörer, setzte ihn auf und lauschte einige Augenblicke angestrengt.
Dann riss er ihn sich förmlich vom Kopf.
„Möglich, dass das Amerikaner waren“, meinte er grimmig. „Aber ganz gewiss keine Angehörigen irgendwelcher Verbände unserer Streitkräfte.“
„Also doch - wie wir vermutet haben“, mischte sich Haller ein. „Es ist eine Söldnertruppe.“
„Anhand einiger typischer Befehle könnte man vielleicht herausfinden, wo sie ausgebildet wurden und eventuell sogar, wer diese Leute angeheuert hat!“
„Und Sie glauben, jemand hat sich die Mühe gemacht, die unterschiedlichen BefehlOFOrmen aller Söldnertruppen dieser Welt aufzuzeichnen und uns zum Vergleich anzubieten?“, höhnte Ridge.
„Pour-quoi non?“, fragte Laroche zurück. „Es wäre doch möglich, dass die Geheimdienste über derartige Informationen verfügen, vielleicht sogar das FBI!“
„Wäre zu schön um wahr zu sein. Auf jeden Fall werden wir nichts riskieren, nur um des ungewissen Erfolgs einer solchen Anfrage willen“, bestimmte Ridge.
Laroche bemühte sich, kein beleidigtes Gesicht zu machen.
„C'est domage!“, fand er.
„Möglicherweise kommen wir in eine Lage, in der wir gezwungen sind, Kontakt aufzunehmen“, sagte Haller. „In dem Fall sollten wir die Gelegenheit nutzen und eine entsprechende Anfrage abschicken.“
„Guter Vorschlag“, lobte Ridge. „Nur bis dahin werden Sie sich noch gedulden müssen, Laroche!“
*
Es dauerte fast 24 Stunden, ehe der Sturm nachließ. Ein voller Tag, den sie jetzt im Rückstand waren. Aber sich gegen die Naturgewalten dieses weißen Kontinents stemmen zu wollen hatte keinen Sinn.
So blieb ihnen nur die Möglichkeit abzuwarten.
Stunden angespannter Langeweile folgten, die jedem Mitglied des Teams ein Höchstmaß an psychischer Stabilität abverlangte. Schließlich waren sie auf die wenigen Quadratmeter im Inneren der Biwaks zusammengedrängt und hatten gerade Platz genug, um sich lang auf dem Boden ausstrecken zu können.
Allen im Team war die Erleichterung anzumerken, als es endlich weiter ging.
„Immerhin sind wir vor unserer nächsten Etappe gut ausgeruht“, meinte Haller.
Sie bauten die Biwaks ab.
Jeder Handgriff saß. Im Kühlhaus hatten sie das alles oft genug geübt. Die Bewegungen gingen fast automatisch von der Hand.
Wenige Minuten später setzten sie ihren Weg fort. Es hatte viel Neuschnee gegeben, was das Fortkommen behinderte. An manchen Stellen, wo der Wind den Schnee verweht hatte, sanken sie bis zu den Knien in die weiße Pracht ein.
Schließlich erreichten sie den Kamm jener Kette von Anhöhen und Felsen, hinter dem die Eisebene begann, unter der sich der verborgene See befand. Begraben unter einem Panzer aus Kilometer dickem Eis.
Das Wetter wurde zunehmend besser. Die Sonne sandte ihre Strahlen sogar hin und wieder zwischen den grauen Wolkentürmen hindurch. An manchen Stellen riss der Himmel regelrecht auf und das leuchtend blaue Firmament wurde sichtbar.
Von nun an stand das Team so gut wie deckungslos da. Die Eisfläche hatte nur wenige Unebenheiten. Sie war ziemlich gleichmäßig mit hart gefrorenem Schnee bedeckt.
Der einzige Trumpf, den Ridge und seine Leute bei ihrem Heranpirschen an die Station X-Point auf ihrer Seite hatten, war die ungeheure Weite und Eintönigkeit dieser Landschaft. Hier einen Menschen zu finden - noch dazu in weißer Tarnkleidung - glich der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.
Fragt sich nur, wie gut der Sucher ausgestattet ist! , ging es Haller durch den Kopf, während er den Blick über die Weite schweifen ließ.
Wenn er Infrarotkameras hat, wie man sie in einen Apache-Kampfhubschrauber optional einbauen kann...
Mit Infrarotkameras wurden Wärmebilder erzeugt. Je nach Empfindlichkeit ließen sich schon kleinste Temperaturunterschiede deutlich abbilden.
Und ein Mensch mit seiner Körpertemperatur von 37 Grad war nun einmal deutlich wärmer als seine Umgebung in der eisigen Antarktis, selbst wenn ein ausgedehntes Sommerhoch an der Küste mal eine Hitzewelle mit einstelligen Minustemperaturen brachte.
Allerdings war die Fläche, die ein mit Infrarotsucher ausgestatteter Helikopter zu kontrollieren hatte immer noch sehr groß.
Unsere Chance ist die Überraschung, dachte Haller. Die andere Seite weiß nicht, dass wir kommen. Und darum werden sie uns auch nicht finden…
Pierre Laroche hatte die ganze Zeit über das Funkgerät aktiviert, um mitzuhören, was im Äther so los war. Hin und wieder bekam er ein paar Forschungsstationen herein, die sich an der McMurdo Bay und direkt am Südpol konzentrierten.
Hier waren sie weit von beiden Punkten entfernt.
Die Betreiber von X-Point hatten schon genau gewusst, wo sie ihren finsteren Plan in die Tat umsetzten.
Ab und zu fing Laroche auch Fetzen von Funksprüchen auf, die möglicherweise mit X-Point in Zusammenhang standen. Aber da war er sich nicht sicher.
Nach einigen Stunden Marsch legten sie eine kurze Pause ein. Eine Positionsbestimmung mit Hilfe des Navigationssystems war unerlässlich, auch wenn das Risiko bestand, dass sie angepeilt wurden.
Aber in dieser gleichförmigen Landschaft konnte man andererseits sehr schnell die Orientierung verlieren und dann womöglich in die falsche Richtung marschieren.
Nach einer kurzen Mahlzeit und einer Verschnaufpause setzen sie den Weg fort.
Es wurde kaum noch gesprochen.
Selbst Russo und Gomez hatten ihren ständigen verbalen Kleinkrieg eingestellt.
Haller ging voran. Ihm folgten Ridge und Chrobak, der ohnehin nicht besonders redselig war. Anschließend marschierten Van Karres und Laroche.
Gomez und Russo bildeten die Nachhut.
Haller hatte zunächst ein recht flottes Marschtempo vorgelegt, aber Ridge hatte den ehrgeizigen Deutschen etwas gezügelt. „Wir müssen unsere Kraft einteilen, Lieutenant“, warnte er, ohne dass einer der anderen Teammitglieder davon etwas mitbekam.
Haller zuckte die Achseln.
„Sie wissen doch, wie launisch das Wetter hier ist!“, meinte Haller.
„Da dachte ich…“
„Schon gut, Lieutenant.“
Der Wind ließ in den folgenden Stunden noch einmal spürbar nach.
Die Wolkendecke löste sich auf. Die letzten düsteren Flecken verschwanden hinter der Felsenkette. Die Sonne brannte den Männern und Frauen der Spezial Force One grell ins Gesicht.
Aber es war eine Sonne ohne Kraft, wie ein flüchtiger Blick auf das Thermometer zeigte.
Als orangeroter Glutball hing sie nur wenige Grad über dem Horizont. So tief, dass man glauben konnte, sie würde jeden Augenblick versinken.
Plötzlich hielt Haller an.
Er lauschte.
Mit einem Handzeichen bedeutete er den anderen, ebenfalls genau hinzuhören.
Ein leises, sehr entferntes Brummen drang zu ihnen herüber.
Im nächsten Moment hob sich ein schwarzer Punkt gegen das Sonnenlicht ab.
Ridge nahm den Feldstecher an die Augen.
„Ein Apache!“, stellte er fest.
„Hier herrscht ja reger Betrieb!“, feixte Russo. „Da ist man schon buchstäblich Arsch der Welt und findet sich trotzdem in einer Einflugschneise!“
„Dumme Sprüche und nichts dahinter!“, murmelte daraufhin Mara Gomez unter ihrer Gesichtsmaske hervor. „Bereite dich lieber darauf vor, diesen Brummer rechtzeitig vom Himmel zu holen, sollte er uns angreifen!“ Mit diesen Worten überprüfte sie die Ladung ihres Spezialgewehrs.
„Es ist nicht gesagt, dass sie uns suchen“, war Ridge überzeugt.
„Vorhin haben sie uns nicht bemerkt. Ich schätze, sie machen einfach regelmäßige Kontrollflüge, um sicherzustellen, dass sich niemand Unbefugtes ihrer Station zu weit nähert.“
Einige Augenblicke lang starrten die Mitglieder des Teams in Richtung des schwarzen, brummenden Punktes.
Ridge wartete offenbar noch ab, wohin der Weg dieses Kampfhubschraubers führen würde.
„Er kommt näher!“, stellte Haller schließlich fest.
Ein Ruck ging durch Ridge.
„Verteilen und eingraben!“, befahl er. „Sehen Sie zu, dass Sie so viel Schnee zwischen sich und den Himmel bekommen wie möglich! Wenn sie Infrarot-Ortung haben, wird das Bild vielleicht etwas weniger eindeutig!“
Da war ein Vibrieren in Ridges Stimme, dass Haller nicht entging.
Selbst dieser alte Haudegen hatte Respekt vor diesem Gegner. Er weiß genau, wie mies unsere Chancen stehen, wenn die andere Seite tatsächlich unsere Position ausmacht! , ging es dem Lieutenant durch den Kopf.
Ridge wandte sich an Russo und Gomez.
„Sollten wir angegriffen werden, versuchen Sie, den Vogel mit Hilfe Ihrer Explosivgeschosse vom Himmel zu holen. Wir haben dann keine andere Wahl mehr.“
„Ja, Sir!“, bestätigte Russo.
Und Gomez gab zu bedenken: „Die werden uns anschließend ihre gesamte Killertruppe auf den Hals hetzen!“
„Aber die müssen mit uns auch erst einmal fertig werden!“, erwiderte der Kommandant des Alpha-Teams grimmig.
Mit fieberhafter Eile stoben die OFO-Kämpfer auseinander. Sie mussten sich so weit wie möglich verteilen. Falls einer von ihnen entdeckt und ausgeschaltet wurde, sollten die anderen so wenig wie möglich in Mitleidenschaft gezogen werden.
Jeder der sieben OFO-Soldaten hatte einen ultraleichten Klappspaten dabei. In einer schneereichen Gegend so überlebenswichtig wie eine Notration.
So schnell es ging versuchten sie, Vertiefungen in den Schnee hinein zu graben.
Aber der Apache war zu schnell. Er kam näher.
Knatternd flog er einen Bogen.
Es war nur notdürftig möglich, sich noch schnell genug mit Schnee zu bedecken.
Es ist zu wenig, um auf eine Infrarotanzeige irgendeinen Effekt zu haben!, ging es Haller durch den Kopf.
Der Apache verlangsamte seinen Flug.
Die Maschine verharrte einen Augenblick wie ein Kolibri in der Luft.
Die Granatwerferbatterien an der Unterseite des Helis schwenkten hin und her.
„Sie greifen an!“, brüllte Laroche, der noch immer den Funk der anderen Seite abhörte.
Für Russo und Gomez das Signal zum eingreifen.
Es gab zwei Optionen. Sich tot stellen und darauf hoffen, dass der Apache einfach wieder abdrehte, so wie er es bei ihrer ersten Begegnung getan hatte. Aber das war unter anderen Bedingungen gewesen. Zerklüftetes Gelände und ein aufkommender Sturm waren wichtige Verbündete auf Seiten der OFO-Soldaten gewesen.
Jetzt gab es diesen Schutz nicht.
Gomez feuerte als Erste.
Ihr Schuss war ungenau. Das Explosivgeschoss traf das Heck des Apache und riss ihn herum. Im selben Moment spuckten die Granatwerfer-Batterien Feuer. Ein Regen aus verrissenen Granatschüssen ging über den OFO-Kämpfern nieder. Heulend fuhren die Geschosse in den Boden, rissen Löcher und kleine Krater in das Eis hinein. Ganze Brocken wurden in die Luft geschleudert.
Russo nahm sich für seinen Schuss ein paar Sekunden mehr Zeit.
Der Helikopter trudelte. Er drehte sich und hatte Ähnlichkeit mit einer Feuer spuckenden Wunderkerze.
Russo drückte ab und traf den Apache exakt an der Rotorenaufhängung. Die Explosion war ohrenbetäubend. Die Rotoren und ein Teil der Fahrerkabine platzten einfach weg.
Das Wrack glitt zur Seite, senkte sich Augenblicke später in die weiße, harte Eisfläche hinein. Der Tank explodierte. Flammen umhüllten das, was von dem Apache noch übrig geblieben war.
Die Besatzung hatte keinerlei Überlebenschance.
Mark Haller spürte die Welle aus Druck und Hitze.
Wie die anderen OFO-Soldaten auch presste er sich so dicht wie möglich an den Boden. Trümmerteile wurden durch die Luft geschleudert.
Haller war der Erste im Team, der sich aufrappelte und wieder auf den Beinen stand.
Er blickte sich um, sah in jene Richtung, aus der der Apache sich genähert hatte und nahm den Feldstecher zur Hand.
Eigentlich hatte der Lieutenant erwartet, jetzt die zweite Maschine herannahen zu sehen. Schließlich konnte man davon ausgehen, dass X-Point darüber informiert war, dass jemand versuchte in das Gebiet einzudringen, das offenbar von internationalen Atomgangstern zu ihrem ganz privaten Forschungsgelände und Sperrgebiet erklärt worden war.
Aber im Augenblick tat sich da nichts.
Kein schwarzer Punkt vor der blutroten Sonne. Kein verräterisches Brummen von Rotoren.
Hinter sich hörte Haller Schritte im Schnee.
„Du fragst dich wohl, wo der zweite Heli bleibt?“, fragte Ina Van Karres, die offenbar Hallers Gedanken erraten hatte.
Haller drehte sich halb zu ihr herum.
Die attraktive Niederländerin hatte sich die Gesichtsmaske heruntergezogen und den äußeren Thermoanzug ein Stück geöffnet. Der Brand des abgeschossenen Apache hatte für eine sengende Hitzewelle gesorgt und zu den Dingen, die man unter den klimatischen Bedingungen der Antarktis unbedingt vermeiden musste gehörte Schweiß. Feuchtigkeitsabsorbierende Schichten in der modernen Polarkleidung sorgten dafür, dass Feuchtigkeit weder am Körper blieb, noch nach außen drang. Beides war gleichermaßen gefährlich.
„Was sagt denn dein Einfühlungsvermögen als Psychologin dazu?“, fragte Haller leicht spöttisch.
„Gedankenlesen gehört noch nicht zu den Studieninhalten der Psychologie!“, erwiderte sie. „Ich weiß genauso wenig wie du, was die andere Seite vorhat.“
Ridge trat hinzu und mischte sich ein.
„Sie werden uns jagen wie die Hasen!“, glaubte er. „Los, nehmen wir unsere Beine in die Hand und sorgen dafür, dass wir so schnell wie möglich ein paar Kilometer Land gewinnen. Das ist unsere einzige Chance.“
*
U.S.S. INDEPENDENCE, einige Stunden zuvor Stürme peitschten den Südatlantik auf. Grauer Dunst bedeckte den Himmel und die Wellen bekamen eine Höhe, die selbst an einem Giganten wie der USS INDEPENDENCE nicht spurlos vorbei ging. Die Schwankungen waren für jeden an Bord deutlich zu spüren.
Soeben hatte Admiral Thompson die Meldung erhalten, dass die Truppe unter dem Befehl von Captain Sutarro zurück war.
Die Helikopter-Staffel, die bei Camp Boulanger gelandet war, um das Schicksal der Stationsbesatzung zu ermitteln, war wohlbehalten zurückgekehrt.
Während des gesamten Einsatzes war Funkstille gehalten worden.
Dieser Befehl war von Sutarro und seinen Leuten strikt einzuhalten gewesen.
Admiral Thompson war sich nur zu bewusst, wie heikel diese Mission auch in diplomatischer Hinsicht werden konnte.
Die Antarktis war eine entmilitarisierte Zone. Normalerweise hatten dort weder Navy-Einheiten der Vereinigten Staaten von Amerika noch irgendeines anderen Landes dort etwas zu suchen.
In diesem Fall unterstützte die USS INDEPENDENCE jedoch eine offizielle, wenn auch geheime UNO-Mission, durchgeführt von der speziellen multinationalen Eingreiftruppe, die der Weltorganisation seit kurzem zur Verfügung stand.
Zwar war diese Unterstützung grundsätzlich sowohl mit dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen als auch mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates - insbesondere Russland und China -
abgestimmt, um es nicht zu unnötigen Verwicklungen kommen zu lassen.
Aber Thompson wusste sehr wohl, wie schnell es trotz alledem zu Irritationen kommen konnte.
Insbesondere dann, wenn jene Staaten Wind von der Anwesenheit des Flugzeugträgers im Südatlantik bekamen, die aller Wahrscheinlichkeit nach in der Abgeschiedenheit der Antarktis ihre Atomwaffen testeten.
Captain Sutarro verließ einen der Helis.
Er salutierte vor dem Colonel.
„Freut mich, dass Sie wohlbehalten zurück sind, Captain!“, sagte Thompson, der trotz des eisigen Windes, der über das Flugdeck der U.S.S. INDEPENDENCE peitschte, keine Miene verzog. „Haben Sie etwas über das Schicksal von Albert Boulanger und seinen Leuten herausfinden können?“
Captain Sutarro nickte.
„Es hat im Camp offensichtlich eine Schießerei gegeben. Wir haben Einschüsse festgestellt und Projektile sichergestellt, die unsere Geigerzähler zum ticken gebracht haben“, berichtete Sutarro.
„Habe ich das richtig verstanden? Diese Projektile waren radioaktiv verseucht?“
„Verseucht ist etwas übertrieben. Aber sie wurden wahrscheinlich in der Nähe von spaltbarem Material gelagert. Genaueres werden unsere Laborexperten herausbekommen.“
Thompson nickte düster.
„Langsam setzten sich die Einzelteile des Puzzles zusammen“, murmelte er. „Und ich kann nicht behaupten, dass mir das Bild gefällt, das dabei entsteht!“
„Von Boulanger und seinen Leuten haben wir keine weitere Spur gefunden. Mit Hilfe von DNA-Tests werden wir feststellen können, von wem die Blutspuren im Camp stammen. Ich vermute, dass die Angreifer einfach kurzen Prozess gemacht und die Leichen ein paar Duzend Meilen weiter vergraben haben. Wir haben die Umgebung mit Infrarotkameras abgesucht, aber nichts gefunden.“ Sutarro zuckte die Achseln. „Wäre auch verwunderlich gewesen, denn die Toten müssten inzwischen bereits zu sehr ausgekühlt sein, als dass sie noch im Infrarot-Scan sichtbar wären. Außerdem zwang uns eine Schlechtwetterfront zur Rückkehr.“
„Schon gut, Captain!“, murmelte Thompson.
Seine Gedanken waren bei Boulanger und seinem Team.
Wahrscheinlich würde man für die Forscher nichts mehr tun können.
Zwar konservierte das Klima der Antarktis die Leichen für Jahrtausende, aber es war nicht damit zu rechnen, dass man sie fand.
Zumindest nicht in den nächsten fünfhundert oder tausend Jahren. Die Gletscher wanderten Richtung Küste und nahmen die zu Eismumien gefrorenen Leichen mit sich.
Ein Grab, so kalt wie sonst kaum ein anderes…
*
Es war Ridge, der das Tempo vorlegte. Er marschierte voran und versetzte mit seiner Kondition und Entschlossenheit sogar Marisa Gomez in Erstaunen. Russo hatte mehrfach versucht, die junge Argentinierin mit seinen Sticheleien und dreisten Flirtversuchen anzusprechen und normalerweise bekam er dafür von Gomez stets eine verbale Quittung in gleicher Münze. Doch seit dem Gefecht mit dem Apache war Gomez erstaunlich schweigsam geblieben.
Allerdings war auch Russos Angriffsgeist erlahmt.
Wie die anderen auch, suchten seine Augen immer wieder angestrengt den Horizont ab.
Keiner aus dem Team konnte so recht glauben, dass sich bislang kein weiterer Apache gezeigt hatte. Immerhin wussten sie, dass die Gegenseite mindestens zwei Kampfhubschrauber dieses Typs besaß und es gab eigentlich keinen Grund, um die zweite Maschine nicht sofort gegen die Eindringlinge einzusetzen.
Haller vermutete, dass der zweite Apache mit einer ausgedehnteren Überwachungs-Mission betraut war und einfach nicht schnell genug am Ort des Geschehens sein konnte.
Wenn dem so war, blieb dem Team noch eine Galgenfrist.
Inzwischen war ein kalter, trockener Wind aufgekommen, der über die Ebene fegte. Dieser Wind war ihr Verbündeter. Erstens blies er von hinten und erleichterte damit den Marsch. Zweitens sorgte er dafür, dass ihre Spuren verweht wurden.
Ridge stoppte plötzlich, nachdem die Gruppe ein paar Kilometer hinter sich gebracht hatte.
„Eingraben, tarnen und abwarten!“, lautete sein knapper Befehl.
„Wickeln Sie sich zu zweit in den Stoff Ihrer Biwaks ein, wenn Sie frieren!“
„Sollen wir uns hier einfach abknallen lassen?“, maulte Gomez.
Ridge deutete in Richtung der Berge.
Dort türmten sich bereits grauschwarze Wolkengebirge auf. Der Wind wurde heftiger. Eine neue Sturmfront war vielleicht im Anmarsch.
„Vielleicht haben wir ja Glück, und der anderen Seite wird das Wetter für eine Jagd auf uns zu schlecht, Gomez!“
Es war eigentlich nicht ihre Art, Befehle in Frage zu stellen. Aber die Belastung durch das Klima und die äußeren Umstände dieses Einsatzes waren immens. Selbst bei Elitekämpfern, wie sie in der Spezial Force One dienten, von denen jeder im Laufe seiner Karriere mehrfach auf psychische Stabilität hin getestet worden war, ging das alles nicht spurlos vorüber.
Ridge als erfahrenem Kommandanten war das schon seit längerem aufgefallen.
Sie sind eben keine Kampfmaschinen!, ging es ihm durch den Kopf.
In einer Zeit, in der ein Krieg ohne High-Tech nicht mehr denkbar erschien, blieb der Faktor Mensch immer als möglicher Schwachpunkt.
Ridge verzichtete daher darauf, Gomez zurecht zu weisen.
„Wir haben hier einerseits so gut wie keine Deckung. Und andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die andere Seite tatenlos hinnimmt, dass eine ihrer Maschinen abgeschossen wurde. Sie werden also zurückkehren - und zwar an die Absturzstelle. Mit etwas Glück übersehen sie uns dabei. Wenn die Gefahr vorüber ist, können wir weiter marschieren. So viel Zeit haben wir!“
Ridge ließ den Blick von einem zum anderen schweifen.
„Nutzen Sie Ihre Chance und graben Sie sich diesmal besser ein als beim letzten Mal.“
Es war kein Problem, den Neuschnee hinwegzuschaufeln. Bei der darunter liegenden, hartgefrorenen Schicht hingegen war es Schwerstarbeit. Der eigentliche Eispanzer war ohne Spezialwerkzeug, geeignete Bohrer oder Sprengstoff so gut wie undurchdringlich.
Laroche hatte anstatt seines Spatens sein Speziallaptop in der Hand.
„Sind Sie des Wahnsinns, Laroche?“, fauchte Ridge ihn an.
„Miro gräbt für mich mit“, erklärte er. „Ein paar Minuten kann ich es wagen, das Gerät zu aktivieren. Mir kommt da gerade eine Idee.“
Er hatte die Handschuhe ausgezogen. Darunter trug er Handwärmer aus Fleece, die die Fingerkuppen freiließen. Ansonsten hätte er die Tastatur nicht bedienen können.
Der Franzose saß im Schneidersitz auf dem Boden und hackte wie wild auf die Tasten ein. Er arbeitete mit fieberhafter Eile. Dann wandte er sich an Ridge.
„Ich habe hier etwas für Sie, Sir!“
Der Colonel ging neben dem Franzosen in die Hocke.
Auf dem Schirm des Laptops war eine Satellitenaufnahme des Einsatzgebietes zu sehen.
„Unsere gegenwärtige Position liegt bei der Markierung“, erklärte Laroche. „Jedenfalls, wenn man von der letzten Positionsbestimmung per GPS ausgeht. Wir müssten dringend eine weitere durchführen.“
„Ich weiß.“
Laroche veränderte mit einem Knopfdruck die Anzeige.
„Dies ist dasselbe Gebiet in einer Infrarotansicht. Sie sehen um X-Point herum eine Zone mit größerer Wärmeabstrahlung. Der Stand der Aufnahmen ist etwa vor drei Wochen.“
„Die Wärmezone ist nicht zu übersehen. Aber worauf wollen Sie hinaus?“
„Darauf!“
Wieder tickten Laroches Finger über die Tastatur.
An der Menueleiste blinkte eine Warnung auf. Ein Mini-Fenster öffnete sich und zeigte an, dass die Betriebstemperatur in den Risikobereich abfiel.
„Ein kleines Zusatz-Tool, das ich mir für diesen Einsatz installiert habe!“, kommentierte Laroche.
Im nächsten Moment baute sich ein neues Infrarotbild auf. „Das Farbraster, mit dem auf den von der NASA zur Verfügung gestellten Satellitenbildern die Temperaturunterschiede dargestellt wurden, ist auf Grund der besseren Übersicht recht grob gewesen. Ich habe ein feineres Darstellungsraster auf die vorhandenen Daten angewendet und dabei Temperaturdaten in einem bestimmten Bereich besonders hervorgehoben! Et voilà! C'est le resultat!“
Ridge nahm sich die Gesichtsmaske ab und starrte ungläubig auf den Schirm.
Um das nach wie vor eindeutig als Wärmezone erkennbare Gebiet um X-Point herum gab es noch weitere, nicht so deutlich hervortretende Wärmezonen. Eine davon hatte eine Ausdehnung von fast einem Kilometer.
Die anderen waren kreisförmig um diese ausgedehnte Zone herum gruppiert.
Ridge rief seinen Stellvertreter herbei.
„Lieutenant, sehen Sie sich das mal an!“
„Ja, Sir!“
Haller eilte herbei.
Ridge wandte sich an Laroche. „Wofür halten Sie das? Weitere Stationen?“
„Exactement“, bestätigte Laroche. „Die große Wärmezone in der Mitte scheint die Zentrale zu sein und die übrigen…“
„Wahrscheinlich haben sich dort Wachtposten eingegraben!“, vermutete Haller.
Ridge war derselben Ansicht. „Ja, sie bilden einen Ring von vielleicht 25 Kilometer Durchmesser. Aber ich verstehe nicht, wie X-Point da hineinpasst!“
Laroche zuckte die Achseln. „Zunächst einmal wissen wir nicht, ob es sich bei den Wärmeflecken wirklich um verborgene Stationen handelt oder etwas ganz anderes. Ich vermute zum Beispiel eher, dass es geheizte Depots sind. Auf jeden Fall wissen wir eins: Was immer dort vergraben liegt, hat man wesentlich besser gegen Wärmeabstrahlung isoliert als X-Point.“ Laroche klappte das Laptop zu. „Ende der Sitzung.
Ich hoffe das Ding funktioniert noch, wenn ich es das nächste Mal benutze…“
„Mein Vorschlag wäre, wir nehmen uns einen dieser vermeintlichen Außenposten oder Depots vor und reißen ihn uns unter den Nagel“, war Hallers Ansicht. „Vielleicht erfahren wir dann, was hier wirklich gespielt wird!“
Ridge zögerte.
„Ich denke darüber nach“, versprach er.
Russo meldete sich zu Wort. „Der zweite Apache kommt!“, rief er.
Der Italiener hatte den Horizont mit dem Feldstecher abgesucht, nachdem er sich genug eingegraben hatte.
Der unverkennbare Brummton, den die Rotoren des Helis verursachten, war inzwischen zu hören.
Die Maschine näherte sich.
Noch war sie nichts weiter als ein kleiner dunkler Punkt am Horizont.
Aber das würde sich rasch ändern.
So schnell es ging verbargen sich die Männer und Frauen der Omega Force One in ihren Verstecken und bedeckten sich mit Schnee.
Dann warteten sie einfach ab.
Der Apache flog an ihnen vorbei. Seine Flugbahn senkte sich. Die Maschine setzte zur Landung an. Dort, wo noch immer eine deutlich sichtbare Rauchsäule von dem abgeschossenen Wrack in den Himmel aufstieg, landete der Helikopter.
Die Männer und Frauen der OFO warteten ab.
Haller fühlte die Kälte langsam in seine Kleidung hineinkriechen.
Etwa eine halbe Stunde später stieg der Apache wieder auf. Er flog in einem Bogen auf die in ihrer spärlichen Deckung verharrenden OFO-Kämpfer zu.
Der Helikopter drehte dann seitwärts und flog in einer Schlangenlinie über das Gebiet.
Er suchte offenbar das Gebiet ab.
Fast zwei Stunden kreuzte er immer wieder in dem Gebiet herum. Oft flog er sehr tief und schwebte an manchen Stellen nur wenige Meter über dem Boden. Schneewolken wurden dadurch in die Luft gewirbelt.
Laroche hatte das Funkgerät eingeschaltet und versuchte, die Frequenz abzuhören, auf der der Apache mit seiner Basis kommunizierte.
Immerhin erfuhr der Franzose auf diese Weise, dass die Absturzursache des Apache für die andere Seite nicht ganz klar war.
Allerdings hatte die abgeschossene Maschine wohl noch an die Zentrale weitergeben können, dass jemand versuchte, in die geheime Sperrzone einzudringen.
Das Wetter verschlechterte sich zunehmend. Die Sonne sank seit Monaten erstmalig wieder beinahe hinter den Horizont, so dass es dämmrig wurde.
Immer wieder kreuzte der Helikopter über das Gebiet, aber ohne Erfolg. Die Windgeschwindigkeit nahm zu. Die Herbststürme konnten durchaus bis zu 140 km/h erreichen, was einem ausgewachsenen Orkan gleichkam. Noch war es nicht so weit, aber die Tendenz war eindeutig erkennbar. Die Sicht wurde schlechter.
Mehrfach überquerte der Helikopter die eingegrabenen OFO-Kämpfer im Tiefflug. Dann eröffnete er plötzlich das Feuer. Ein Hagel von Granaten und Explosivgeschossen feuerte aus den schwenkbaren Batterien heraus.
Das Feuer war so dicht, dass keiner der Elite-Kämpfer es wagen konnte, auch nur den Kopf zu heben, geschweige denn auf den Helikopter zu feuern.
Der Apache drehte anschließend ab und entfernte sich.
Vom Horizont her nährten zwei weitere Helikopter. Es handelte sich jedoch um leicht bewaffnete Transportmaschinen. Sie schwebten näher heran.
Laroche hatte den Funkverkehr abgehört.
Er aktivierte das Interlink, mit dem alle Teammitglieder untereinander verbunden waren. Jetzt noch Funkstille zu halten war sinnlos. Sie waren bereits entdeckt worden, schlimmer konnte es also kaum noch kommen.
„Die wollen eine Söldnertruppe absetzen und hier jede Schneeflocke einzeln umdrehen!“, rief der Franzose. „Wir müssen hier weg!“
„Nein!“, widersprach Ridge über das Interlink. Er wirkte erstaunlich besonnen. Gerade in kritischen Situationen blieben seine Nerven stahlhart. „Wir bleiben hier und warten, bis sie nahe genug herangekommen sind. Alles andere wäre Selbstmord.“
„Vielleicht hilft uns ja das Wetter!“, meinte Haller sarkastisch.
„Positiv denken, Mark!“, meinte Ina Van Karres.
„Ist das alles, was eine Psychologin dazu sagen kann?“, gab Haller zurück.
„Im Augenblick ist es wichtiger, dass ich meine MP7 bedienen kann!“, antwortete sie.
Die Transport-Helikopter setzten an verschiedenen Stellen zur Landung an.
„Sie versuchen uns einzukreisen“, meinte Alberto Russo.
Der Apache kehrte indessen noch einmal zurück und streute ziemlich großzügig sein tödliches Dauerfeuer.
Vielleicht setzte die andere Seite darauf, dass die OFO-Kämpfer ihre Deckung verließen und sich in heilloser Flucht zu retten versuchten.
Aber genau das taten die Männer und Frauen des Spezialteams der unter dem Kommando der Vereinten Nationen nicht.
Sie harrten aus.
Während des Beschusses herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. Die Einschüsse waren ziemlich wahllos. Ein Flächenbeschuss. Eisbrocken wurden in die Luft geschleudert. Die acht Millimeter-Kanone des Apache wummerte unaufhörlich und die Granatwerfer Batterien sprühten Feuer. Teilweise waren die Einschüsse nur wenige Meter von einzelnen OFO-Kämpfern entfernt.
In diesem Feuersturm zu überleben war reine Glücksache.
Die Ergebnisse der Infrarotortung schienen wohl nicht eindeutig genug für einen präzisen Beschuss zu sein. Andererseits hatte die Besatzung des Apache offenbar doch aus irgendeinem Grund Verdacht geschöpft.
Augen zu und durch! , dachte Haller.
Irgendwann war es vorbei. Der Apache drehte ab. Offenbar war es jetzt Aufgabe von Bodeneinheiten, nachzusehen, ob etwas getroffen worden war.
Allerdings blieb er in der Nähe und patrouillierte hin und her.
„Jeder bleibt, wo er ist!“, meldete sich Ridge noch einmal über das Interlink.
Nach dem Ende des Beschusses hatte Haller im ersten Moment schon gedacht, er sei taub.
Aus verschiedenen Richtungen pirschten sich jetzt die Bodentruppen heran.
Nachdem die etwa drei Dutzend Bodenkämpfer sowie zwei gepanzerte schneetaugliche Fahrzeuge abgesetzt worden waren, gingen die Helikopter wieder in die Luft.
Von dort aus beobachteten die Besatzungen genau, was sich am Boden tat und würden jede Regung im Schnee sofort an die Bodentruppen weiter melden.
Die Söldner trugen ebenso weiße Tarnkleidung wie die Mitglieder des OFO-Teams.
Sie waren kaum zu sehen. Vorsichtig näherten sie sich und suchten dabei das Gebiet ab. Insbesondere dort, wo Einschläge durch Geschützfeuer zu sehen waren, hielten sie sich länger auf.
Quälend langsam gingen die Minuten dahin und sammelten sich zu Stunden.
Das Wetter wurde inzwischen immer schlechter.
Die Kälte war für die Mitglieder des OFO-Teams kaum noch auszuhalten. In den kalten Löchern weiter auszuharren war die reinste Folter. Und doch gab es keine andere Möglichkeit.
Sie warten nur darauf, dass wir hervorkommen, damit sie uns dann zur Strecke bringen können!, durchzuckte es Mark Haller.
Seine MP 7 war schussbereit.
Die Verbände des Gegners befanden sich bereits in Reichweite dieser Waffe, die zur Standardausrüstung der Omega Force One gehörte und bis zu 950 Projektile vom Kaliber 4,6 mm x 30 pro Minute verschoss.
Aber sie waren noch längst nicht nahe genug herangekommen.
Mark konnte sich nur zu gut ausmalen, was passierte, wenn jetzt ein Schuss fiel. Der Apache konnte dann seine schweren Waffen gezielt einsetzen. Er wusste in diesem Fall sehr genau, wo er seine tödlichen Bleiladungen konzentrieren musste. Das wäre das sichere Ende gewesen.
Nein, an Ridges Strategie hatte Haller nicht das Geringste auszusetzen. Sie mussten die Entscheidung im Nahkampf suchen, denn dann konnte der Apache seine Feuerkraft nicht in die Waagschale werfen. Schließlich hätte er sonst mit großer Wahrscheinlichkeit die eigenen Truppen getroffen.
Die gegnerischen Söldner verteilten sich immer mehr.
Haller fiel auf, dass sie aufrechter gingen und sich nach und nach weniger Gedanken um ihre Deckung machten.
Offenbar glaubten sie nicht mehr daran, noch auf Widerstand zu stoßen.
Sie sollten sich getäuscht haben!
*
Eine quälend lange Zeit verging, ehe die Gegner nah genug heran waren. Haller hatte das Gefühl, zu einem Eisklumpen geworden zu sein.
Ein Schützenpanzer näherte sich.
Die dazugehörige Mannschaft war ausgeschwärmt. Eine 8-mm-Kanone schwenkte herum.
Er rollte direkt auf Russos Position zu.
„Kein Risiko eingehen! Lassen Sie den Blechkasten hochgehen, Russo!“, befahl Ridge über die Interlink-Verbindung.
Russo hatte sein Spezialgewehr mit panzerbrechender ExplosivMunition bestückt.
Der Italiener wartete noch ein paar Augenblicke, dann feuerte er.
Das gepanzerte Fahrzeug explodierte.
Eine Welle aus Druck und mörderischer Hitze brandete über die eingegrabenen OFO-Kämpfer hinweg.
Ridge gab den Befehl zum Feuern.
Die ersten Augenblicke waren entscheidend, denn da herrschte heillose Verwirrung unter den angreifenden Söldnern.
Haller reckte sich etwas aus seiner Deckung hervor und ließ die MP7
losknattern.
Dr. Ina Van Karres, die sich in ein paar Metern Entfernung in den Schnee hinein gegraben hatte, folgte seinem Beispiel.
Innerhalb von wenigen Augenblicken waren ein Dutzend Angreifer ausgeschaltet.
Die anderen zogen sich zurück. Sie warfen sich zu Boden und versuchten Deckung zu finden. Aber das war so gut wie unmöglich. Die Bodenunebenheiten waren dazu einfach zu gering.
Gomez zielte inzwischen auf den Apache, der noch in der Nähe kreiste, aber zu einer Beobachter-Rolle verurteilt war, so fern er nicht die eigenen Leute erschießen wollte.
Ein Geschoss traf den Apache an der Vorderseite, explodierte, drang aber nicht durch die Panzerung hindurch.
Trotzdem geriet der Helikopter ins Trudeln.
Die 8-Millimeter-Kanone schwenkte herum und wurde immer wieder abgefeuert. Wie Flammenzungen zuckte das Mündungsfeuer aus ihrem Lauf heraus.
Auf die eigenen Leute nahm der Pilot jetzt keine Rücksicht mehr.
Offenbar herrschte Panik an Bord.
Gomez setzte einen Treffer in die Aufhängung der Heckrotoren.
Ein weiterer Treffer am Heckrotor, für den Russo verantwortlich war, ließ den Apache unsanft zu Boden gehen.
Der Helikopter pflügte geradewegs in den Schnee hinein, blieb darin schließlich stecken und explodierte. Metallteile flogen durch die Luft.
Der immer heftiger aufkommende Wind trieb sie noch höher, als es ohnehin zu erwarten gewesen war.
Chrobak und Laroche hielten inzwischen die von der anderen Seite heranrückenden Söldner auf Distanz. Aus ihrer der Deckung heraus feuerten sie immer wieder in Richtung der Angreifer, die sich zu Boden geworfen hatten und nun mehr oder minder robbend vorarbeiten mussten.
Die Transporthubschrauber hielten Distanz. Sie flogen in verschiedene Richtungen und landeten schließlich an Zielpunkten, die außer Sichtweite lagen.
Immer wieder ließen Ridge, Haller und die anderen ihre Maschinenpistolen vom Typ MP7 sprechen. Der Schusslärm war ohrenbetäubend.
Die andere Seite erwiderte dies mit verbissenem Gegenfeuer. Nach und nach brachten die Söldner Granatwerfer in Stellung und belegten Ridge und seine Truppe nun ihrerseits mit Dauerfeuer.
Eines dieser Geschosse schlug ganz in der Nähe ein.
Der Boden erzitterte.
Ein Schrei gellte durch den Gefechtslärm.
Es war Russo.
„Es hat mich erwischt!“, rief er über die Interlink-Verbindung. „Am Bein… Verdammt…“
Ridge und Haller wechselten aus ihren Deckungen heraus einen kurzen Blick.
Ina Van Karres ergriff als Ärztin die Initiative.
„Was hat dich getroffen, Alberto?“
„Ein Splitter nehme ich an!“, gab Russo Auskunft. „Verdammt, hier ist alles voller Blut.“
Das war der schlimmste Alptraum, den man sich unter diesen Umständen nur vorstellen konnte. Eine Verletzung im Einsatz - und dann noch bei aufkommendem Sturm in der Antarktis.
Schneefall setzte ein und wurde rasch heftiger.
Der Wind wurde schneidend.
Offenbar gab es auch auf Seite der Söldner Tote und Verletzte.
Der Überraschungsangriff durch die Angehörigen der Omega Force One hat dafür gesorgt, dass der Gegner jetzt erheblich geschwächt war.
Abgesehen von Alberto Russos Verletzung machte sich Mark Haller noch über etwas anderes Sorgen.
„Wie viel Munition habt ihr noch?“, fragte er, als plötzlich das Feuergefecht abbrach.
Das hatte in erster Linie damit zu tun, dass die Sicht erheblich schlechter geworden war. Starkes Schneetreiben hatte eingesetzt und sorgte dafür, dass die dicken Flocken den Söldnern ins Gesicht geweht wurden.
„Wir sollten nicht allzu verschwenderisch mit den Patronen umgehen“, war Ridges Meinung.
Haller schob inzwischen ein neues Magazin in seine MP7.
Er fragte sich, wie lange die Kampfpause wohl dauern würde.
„Ich gehe zu Russo!“, meinte Dr. Van Karres.
„Sei keine Närrin!“, sagte Haller.
Aber Van Karres war fest entschlossen. Sie befreite sich von ihrer Schneetarnung, schnellte hoch und richtete sich halb auf, um sich orientieren zu können. Dann robbte sie über den Boden.
Ihre komplette Ausrüstung ließ sie zurück. Alles, was irgendwie hinderlich sein konnte und dazu zählte auch die MP7. Lediglich die Ausrüstung für medizinische Notfälle baumelte ihr vom Gürtel.
Bewaffnet war sie jetzt nur noch mit der automatischen Pistole vom Typ Sig Sauer P226, die sie wie alle anderen an diesem Einsatz beteiligten Soldaten auch in einem an das rechte Bein geschnallten Spezialholster trug.
Einige Schüsse peitschten noch.
Aber durch das Schneetreiben wurde die Sicht immer schlechter und so waren es nur Schüsse, die aufs Geratewohl hin abgefeuert wurden und allenfalls die Chance eines Zufallstreffers hatten.
Die andere Seite kann sich das leisten!, durchzuckte es Mark Haller grimmig.
Schließlich verfügten die Söldner über ausreichend Munition.
Der Geschosshagel wurde wieder heftiger.
Salven von Granaten wurden abgefeuert und schlugen scheinbar wahllos in dem Gebiet ein, in dem sich Ridge und seine Leute verschanzt hatten.
Ein Treffer riss genau dort ein Loch von anderthalb Meter Tiefe neben Ina. Sie rollte sich um ihre eigene Achse und barg das Gesicht im Schnee.
Ein wahres Trommelfeuer prasselte nun in Richtung der OFO-Kämpfer.
Ina Van Karres rappelte sich auf, schnellte in geduckter Haltung voran und warf sich dann mit einem Hechtsprung wieder zu Boden. Sie landete in der Vertiefung, die Russo angelegt hatte, um darin Deckung zu finden.
Der Schnee war rot.
Russo stöhnte auf.
Er hatte eine stark blutende Wunde am Bein. Dr. Van Karres machte sich sofort daran, das Bein zu untersuchen und die Blutung zu stillen.
Die junge Niederländerin ging dabei mit fieberhafter Eile vor. Sie streifte sich die dicken, wasser- und winddichten Überhandschuhe ab.
Mit den fingerlosen Handwärmern aus Fleece konnte sie eine Weile arbeiten, aber mit jeder Minute, die verrann, wurden ihre Finger steifer und unbeweglicher. Die Kälte war mörderisch und der Windchill Faktor verstärkte ihre Wirkung noch. Selbst wenn die Temperaturen von den im antarktischen Winter gemessenen Kälterekorden nahe - 89° Celsius noch sehr weit entfernt waren, konnte man sich bei dieser stürmischen Witterungslage sehr leicht irreparable Erfrierungen an ungeschützten Hautpartien holen. Erfrierungen, die dann unweigerlich zu Amputationen führten.
Russo stöhnte noch einmal vor Schmerzen auf, als Dr. Van Karres eine bestimmte Stelle an seinem Bein berührte. Für das Anlegen von Hygienehandschuhen aus Latex, wie es eigentlich der Vorschrift entsprochen hätte, war keine Zeit.
Schussgeräusche und die Detonationen von einschlagenden Granaten machten für fast eine halbe Minute jegliche Verständigung unmöglich.
Der Lärm war ohrenbetäubend. Rechts und links schlugen die Geschosse ein.
Die Söldnertruppe schien mehr oder minder blind drauflos zu ballern.
Von einem wirklich gezielten Beschuss konnte bei diesen Sichtverhältnissen wohl keine Rede sein.
„Du hast Glück, Alberto!“, brüllte Dr. Van Karres, nachdem der Geschosshagel abgeebbt war.
„Scusi, aber unseren ersten Körperkotakt hatte ich mir deutlich romantischer vorgestellt!“, erwiderte Russo. Er war offensichtlich darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.
„Spar dir deine Energie, du wirst sie noch brauchen!“, prophezeite ihm die Niederländerin.
„Das verdammte Bein fühlt sich an, als wäre es gar nicht mehr da!“
„Glaub mir, das würde sich anders anfühlen!“
„Woher weißt du das denn?“
„Du kannst es nicht lassen, dummes Zeug zu quatschen, was? Sei froh, dass es wahrscheinlich nur eine Fleischwunde ist!“
Sie legte den Verband an.
„Eine etwas liebevollere Pflege, wenn ich bitten darf!“, meinte Russo.
Van Karres achtete nicht weiter auf seine Worte. Sie ging an Russos Rucksack und begann, darin herumzukramen. Van Karres zog die Außenhaut des Biwaks hervor und griff zu ihrem Kampfmesser.
Mit schnellen Schnitten trennte sie mehrere Streifen heraus. Einen davon riss ihr der immer heftiger werdende Wind aus der Hand.
Die anderen begann sie um Russos Bein zu wickeln. Das Geschoss, das Russo verletzt hatte, hatte auch seine Thermohosen und die verschiedenen Schichten an Spezialunterwäsche durchschlagen. Die in das Gewebe eingearbeitete Kevlarschicht war ebenfalls durchdrungen wurden. Eine aus größerer Distanz abgefeuerte Gewehrkugel wäre wohl aufgehalten worden, aber kein Granatsplitter. Um sich davor am gesamten Körper zu schützen, hätten die Omega Force One Soldaten so unförmige Anzüge tragen müssen, die es ihnen kaum ermöglicht hätten, einen fast hundert Kilometer weiten Weg durch die Eiswüste des sechsten Kontinents zurückzulegen. Schließlich wurden sie nicht wie ein Sondereinsatzkommando der Polizei an den Einsatzort gebracht, sondern mussten erst einmal herausfinden, wo sich das Ziel dieser Operation eigentlich befand.
„Fertig“, sagte Van Karres, nachdem sie Russos Bein eingewickelt hatte. Sie steckte das Messer weg und stopfte die Reste der Wasser und Wind abweisenden Biwak-Haut in den Rucksack zurück.
„Fragt sich nur, wo wir unterkriechen, wenn der Sturm heftiger wird!“, meinte Russo. „In diesem Biwak ja wohl nicht mehr.“
„Wäre es dir lieber, wenn dein Bein abfrieren würde?“, erwiderte Van Karres, die sich schnell die Handschuhe wieder überstreifte.
Die andere Seite hatte jetzt das Feuer komplett eingestellt.
Van Karres gab über Interlink einen knappen Bericht über Russos Zustand.
„Wir müssen hier weg“, sagte Colonel Ridge daraufhin an alle. „Im Augenblick schützt uns der Schneesturm und die schlechte Sicht.“
„Ich glaube nicht, dass wir mit einem Verletzten bei diesen Witterungsverhältnissen weit kommen werden“, erwiderte Mark Haller.
„Ich weiß, dass es hart werden wird“, gestand der Colonel seinem Stellvertreter im Team ohne weiteres zu. „Aber die Alternative wäre, einfach hier auszuharren. Da könnten wir uns allerdings gleich selbst eine Kugel in den Kopf jagen. Der Gegner hat uns eingekreist und braucht nur auf besseres Wetter zu warten.“
„Und darauf, dass wir die Nerven verlieren oder uns die Munition ausgeht!“, sagte Haller.
„Exakt.“
„Warum nicht das Unerwartete tun?“, fragte Haller.
Ridge schwieg einige Augenblicke. Aber Mark wusste, dass der Colonel genau begriffen hatte, worauf sein Stellvertreter hinaus wollte.
„Einen Gegenangriff…“, murmelte er. „Das ist so wahnwitzig, dass die Idee schon wieder gut ist.“
„Einen der Helikopter müssen wir in die Hände bekommen. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn Miro das Ding nicht fliegen könnte! Und zwei Mann haben vielleicht eine Chance durchzukommen!“
„Sie sprechen nicht zufällig von sich selbst und Chrobak!“
„Ich bin dabei!“, meldete sich der Russe über Interlink.
„Falls wir scheitern, besteht immer noch die Chance, dass der Rest der Truppe die Mission allein zu Ende bringt!“, ergänzte Mark.
Einen Augenblick lang zögerte Ridge noch.
„Das ist gegen jede Vernunft“, sagte er.
„Darum wird es niemand erwarten!“, erklärte Haller.
Ridge war Profi genug, um zu erkennen, dass in Hallers Vorschlag wahrscheinlich trotz aller damit verbundenen Risiken die größte Überlebenschance für das Team lag. So wie Haller ihn kannte, ging es dem Colonel insgeheim natürlich gegen den Strich, auf den Vorschlag seines Stellvertreters eingehen zu müssen. Aber so etwas ließ Ridge sich nicht anmerken. Es ging um den Erfolg der Mission. Und sonst gab nichts. Jede persönliche Empfindlichkeit musste hinter diesem Ziel zurückstehen. Wer das nicht schaffte, war für den Einsatz in einer Eliteeinheit wie der Omega Force One schlicht und ergreifend nicht geeignet, geschweige denn hätte sie kommandieren können.
„Okay“, entschied der Colonel schließlich. „Wir machen es, wie Sie es vorgeschlagen haben, Lieutenant.“
„Danke, Sir.“
„Ich hoffe, dass Sie mich nicht in Kürze verfluchen werden, Haller!“