Читать книгу Das Blei der Bosse: Zwei Kriminalromane - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 16
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ОглавлениеEin Kollege brachte den Reedereibesitzer. Der Kollege war erst kurz in New York. Ich erinnerte mich an seinen Namen: Samuel Gold. Und ich erinnerte mich auch daran, dass er großen Wert darauf legte, mit seinem vollen Vornamen angesprochen zu werden: Samuel, nicht etwa Sam.
Milo tat ihm auch diesmal den Gefallen, während ich in Sichtdeckung blieb: "Hallo, Samuel!"
Seine Augen gingen suchend in die Runde. Anscheinend vermisste er mich. Ich gab ihm heimlich ein Zeichen. Er tippte grüßend an seine Hutkrempe und nickte Milo lächelnd zu.
In seiner Begleitung befand sich ein distinguierter Herr, ungefähr mittelalt, aber schon mit leicht angegrauten Schläfen. Er hatte einen teuren Cashmere-Mantel an und einen kunstvoll um den Hals gewickelten Seidenschal. Seine Miene war verkniffen. Mich entdeckte er nicht. Er war zu sehr mit seinem unterdrückten Zorn beschäftigt.
Als er Mister Jonathan D. McKee sah, begann er wie wild mit den Armen zu gestikulieren. "Das wird noch ein Nachspiel haben, sage ich Ihnen! Sie werden für den Schaden geradestehen müssen, den meine Gesellschaft Ihretwegen hat."
Das Gesicht des Chefs blieb unbewegt. Er ließ sich nicht provozieren.
Milo schaute ihn erwartungsvoll an.
Er nickte nur. Das bedeutete, dass er Milo nach wie vor die Befragung überließ.
Samuel stellte den erregten Herrn vor: "Gestatten, das ist Mister Perry Hopkins, seines Zeichens Reeder und Besitzer der MARY ANN. Sieht so aus, als wollte er Schadenersatz, weil wir es wagen, auf seinem Schiff herumzulaufen, und weil bei der Auseinandersetzung einiges zu Bruch ging."
"Darauf können Sie Gift nehmen!", drohte Perry Hopkins.
Milo rückte einen Sessel zurecht und sagte freundlich: "Na, dann setzen Sie sich doch erst einmal."
Er tat es tatsächlich.
Milo setzte sich gegenüber.
Samuel tippte wieder grüßend an die Hutkrempe und zog sich zurück. Sein Job war vorläufig erledigt. Er würde zur Verfügung stehen, sobald man ihn wieder brauchte. Aber es sah im Moment nicht so aus, als würden wir bei Hopkins Hilfe benötigen.
Milo gab sich ausgesprochen freundlich und vor allem - verständnisvoll. Es brachte nichts, wenn er sich mit Perry Hopkins auf eine Diskussion einließ, wer nun für den entstandenen Schaden verantwortlich zeichnete und wer nicht. Vor allem brachte es keine Klärung der Angelegenheit.
Erst als sich der Reedereibesitzer dank Milos wohldosierter Freundlichkeit einigermaßen beruhigt hatte, schoss Milo die entscheidende Frage ab: "Wie erklären Sie sich die Mordschützen hier an Bord? Gäste von Ihnen? Sie kannten sogar den Geheimcode, um das Schiff zu entführen. Ihre eigenen Leute?"
"Ich... ich...", stammelte Perry Hopkins. Er gab sich überrumpelt. Ihm fehlten offensichtlich die Worte.
Milo ließ ihm Zeit.
Bis Hopkins sagte: "Ich versichere Ihnen, ich habe keine Ahnung!"
Keiner von uns mochte ihm das abnehmen. Er war von vornherein offensiv eingestellt gewesen. Hätte er nicht ganz anders reagieren müssen, schon bei der Nachricht vom Geschehen? Vielleicht - mit Betroffenheit? Vielleicht auch mit Zorn über das, was geschehen war - immerhin auf seinem eigenen Schiff -, jedoch nicht ausgerechnet mit Zorn auf den FBI... Nein, er hatte im Gegenteil beschlossen, hart zu erscheinen, sogar Schadenersatz zu fordern. Nicht etwa von den Gangstern, sondern - von uns.
Das war zumindest eine kuriose Haltung. Ob es mehr war: Das herauszufinden, war Milos Aufgabe.
Milo änderte seine Taktik. Er entschloss sich zur ein wenig härteren Gangart. Er hakte nach: "Nun, Mister Hopkins, was ist Ihrer Meinung nach denn hier abgelaufen? War das so eine Art Tag der offenen Tür auf der MARY ANN oder wie soll man es nennen? Wissen Sie denn nie, wer auf Ihrem Schiff ist? Keinerlei Sicherheitsvorkehrungen?" Milo schüttelte den Kopf.
Hopkins schaute zu Boden, als wollte er sich sammeln.
Diesmal ließ ihm Milo keine Bedenkzeit: "Da kann doch jeder machen, was er will. Und wenn nun ein Verrückter etwa eine Bombe zurücklässt, die auf hoher See erst hochgeht? Was ist mit der Sicherheit Ihrer Passagiere? Was ist mit Ihrer Verantwortlichkeit denen gegenüber? Was würden Sie denn im Ernstfall sagen? Dasselbe wie jetzt? Vielleicht sogar Schadenersatz von den betroffenen Passagieren fordern oder so? Finden Sie das nicht selber reichlich unlogisch?"
"Ich bitte Sie, das stimmt doch alles gar nicht!", begehrte Hopkins auf.
Milo winkte mit beiden Händen ab. Er lächelte wieder freundlich und sagte entschuldigend: "Es war nicht so gemeint, Mister Hopkins. Es ist halt nur, wir brauchen eine Erklärung dafür, wie es dazu kommen konnte. Verstehen Sie das? Selbstverständlich sind wir bemüht, dass Ihr Schaden ersetzt wird. Sofern es in unseren Kräften steht. Deshalb ist es besser, wenn Sie uns alles sagen, was Sie wissen. Vielleicht ist etwas dabei, das wir entsprechend auswerten können? Sprechen Sie jeden Gedanken offen aus, auch wenn er ihnen noch so abwegig erscheinen mag. Nur so haben wir eine Chance, die wahren Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen - auch zu Ihrem eigenen Nutzen."
Das Spiel verfehlte seine Wirkung nicht. Auf einmal gab sich Hopkins tatsächlich zugänglicher: "Es gibt immer eine Wache, auf jedem Schiff. Rund um die Uhr. Das sind schließlich Millionenwerte. Die kann man nicht unbeaufsichtigt lassen."
"Und wo waren die Wachen von der MARY ANN?"
"Die sind in Schichten aufgeteilt, und die komplette Schicht hat gefehlt. Sie ist einfach nicht angetreten, weil man jeden einzeln angerufen hat, um ihm abzusagen. Ersatz wurde angesagt."
Und dieser Ersatz, das waren die Gangster? Eine Frage, die Milo nicht laut auszusprechen brauchte: Hopkins schöpfte tief Atem. "Hören Sie, ich muss mich ebenfalls entschuldigen. Sobald ich von der Sache erfahren habe - durch Ihre Kollegen -, habe ich bereits selber ein wenig recherchiert. Ist ja nur logisch. Vorhin das war nicht so gemeint. Sie müssen sich einfach mal in meine Lage versetzen. Als ich gestern Abend ins Bett ging, war sozusagen die Welt noch in Ordnung. Und jetzt..."
Kurz barg er das Gesicht in den Händen. Dann: "Das Schiff... Es - es kann jetzt nicht rechtzeitig aus dem Hafen. Das kostet mich eine ganze Menge Geld. Mehr, als Sie sich vorstellen können. Einmal ganz abgesehen von den notwendigen Renovierungsarbeiten. Die Fahrt wird ausfallen müssen. Können Sie sich denn vorstellen, was das bedeutet? Glauben Sie denn, die Passagiere sind darüber erfreut? Die freuen sich auf ihren Urlaub in der Karibik und dürfen nicht einmal auf das Schiff, wie Ihr Kollege auf dem Weg hierher schon angekündigt hat. Was wundern Sie sich denn dann noch, dass ich mich aufrege?"
Jetzt ereiferte er sich wieder.
Milo war wieder an der Reihe. Er blieb ruhig. "Womit immer noch nicht geklärt ist, wie den Gangstern dieser Coup gelingen konnte, ohne dass Sie es verhindert haben."
"Ich weiß es nicht, ganz ehrlich nicht. Ich habe einen angerufen. Nun, vielleicht ist das Wort recherchiert zuviel gesagt, aber ich habe bei diesem Anruf in Erfahrung gebracht, dass die Wachen abgezogen wurden."
"Und Sie haben dabei nicht erfahren, w e r die Wachen abgezogen hat? Ich meine, das geht doch gewiss nicht so ohne weiteres. Was hat die Leute denn davon überzeugt, dass die Sache rechtens ist? - Wen wollen Sie decken?"
"Nun, ich..." Hopkins brach ab.
"Sehen Sie, Mister Hopkins, es hat überhaupt keinen Sinn, wenn Sie uns etwas verschweigen. Es ist doch klar, dass Sie in erster Linie in Frage kommen, nicht wahr? Damit sind Sie automatisch unser Hauptverdächtiger."
"Wie bitte?"
"Wer also hat außer Ihnen solch weitreichende Befugnisse?"
Hopkins schwieg. Seine Wangenmuskeln spielten.
Milo fuhr fort: "Bis geklärt ist, wer den Coup ermöglichte, sind Sie festgenommen. Das Schiff kann vorläufig nicht freigegeben werden. Ihre Passagiere müssen sich ein anderes Schiff nehmen, so leid es mir tut."
"Ich kann doch nichts dafür!", sagte Perry Hopkins. Es klang jetzt verzweifelt. "Also gut, ich sage es Ihnen ja schon. Was bleibt mir denn anderes übrig?" Dann: "Es kann nur mein Koordinator gewesen sein! Anders kann ich mir das gar nicht erklären."
"Hat das Ihr Mann bestätigt, den Sie angerufen haben?"
Hopkins nickte zögernd.
"Wie heißt dieser - Koordinator?", erkundigte sich Milo.
"Fred Steinfeld!", antwortete Hopkins nach kurzer Bedenkzeit. Es schien ihm wirklich schwerzufallen, einen so wichtigen Mann zu verraten. Und wie ein Verräter kam er sich jetzt auch offensichtlich vor.
"Was ist das eigentlich bei Ihnen, ein Koordinator? Ich meine, welche Funktion hat er?"
"Na, der teilt die Wachen ein, die Matrosen halt eben, die dafür vorgesehen sind. Wenn man so will, ist das mein Sicherheitschef. Nur wenn der jeden persönlich angerufen hat, konnte das klappen. Die würden doch sonst nie auf so etwas hereinfallen."
"Und wo finden wir den Mann?"
Hopkins gab die genaue Adresse preis.
"Und wieso erzählen Sie uns das erst jetzt? Ich meine, wir hätten doch eine Menge Zeit gespart, wenn Sie mir gleich...?"
"Ja, verstehen Sie denn nicht? Er ist mein Sicherheitschef, also nach mir der Mann mit dem größten Einfluss. Ich sehe ja selbst, dass es keine andere Erklärung gibt, als dass er mit den Gangstern gemeinsame Sache gemacht hat. Aber ich wollte es einfach nicht glauben. Er hat schon für meinen Vater gearbeitet. Eigentlich ist es völlig unmöglich, dass er so etwas wirklich gemacht hat. Auch wenn alles dafür spricht. Auch wenn es überhaupt keine andere Erklärung zu geben scheint."
"Dann können wir davon ausgehen, dass dieses Schiff - vielleicht sogar auch alle anderen in Ihrem Besitz - länger schon zu illegalen Zwecken missbraucht wurde?"
Betretenes Schweigen.
Das war eigentlich Antwort genug.
"Sie sind sich vollkommen darüber im klaren, wie schwerwiegend Ihre Anschuldigungen sind, Mister Hopkins?"
"Hören Sie, das sind keine Anschuldigungen, sondern ganz einfach Tatsachen, vor denen ich mich nicht mehr länger verschließen darf!"
"Dann sind Sie auch bereit, dies zu Protokoll zu geben?"
"Was denn, dann war das hier überhaupt kein offizielles Verhör?"
"Sie wurden lediglich zur Sache befragt, und nun haben Sie sich als ein besonders wichtiger Zeuge erwiesen, der eine schwerwiegende Aussage zu machen hat." Milo lächelte entwaffnend.
Hopkins winkte ab. "Nun, ich habe noch nie mit der Polizei zu tun gehabt. Außer als Autofahrer. Ich habe keinerlei Erfahrung und kenne mich mit Ihren Gepflogenheiten nicht aus. Aber ich bin zu allem bereit. Wo soll ich meine Aussage zu Papier bringen?"
Milo rief nach Samuel. Der sollte für das weitere sorgen.
Sobald Hopkins draußen war, verließ ich meine Deckung.
"So, und jetzt erkläre uns, was du mit Hopkins vorhast!", verlangte Milo.
"Entweder, der Mann ist ein halbwegs begabter Schauspieler, oder er hat uns die Wahrheit gesagt", antwortete ich ihm ausweichend. "Obwohl es ihn nicht automatisch zum Unverdächtigen macht, nur weil er die Schuld einem anderen in die Schuhe schiebt. - Wie dem auch sei: Zunächst einmal sollten wir uns eben um diesen anderen, nämlich um Fred Steinfeld kümmern. Der ist im Moment wichtiger als Hopkins. Und erst, wenn der sich wirklich als unser Mann erweist, ist Hopkins sozusagen aus dem Schneider."
Mister Jonathan D. McKee hatte nichts dagegen einzuwenden. Vor allem nicht, als ich ihm meinen Plan betreffend Hopkins erläuterte.
Er fand meinen Plan zwar recht riskant, aber der würde sowieso nur in Kraft treten, falls Fred Steinfeld uns nichts bringen würde. Dann würde uns keine andere Wahl bleiben. Er war deshalb damit einverstanden - und ich würde das Risiko eingehen müssen.
Bis es soweit war, wurde Hopkins festgehalten. Offiziell, weil man ja angeblich erst ein umfassendes Protokoll über seine schwerwiegende Aussage anlegen musste...