Читать книгу Killer ohne Reue: Ein Jesse Trevellian Thriller - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 4
Teil 2
ОглавлениеAlec Mercer, seines Zeichens Geschäftsführer von MADISON GEN-TECH, empfing uns in seinem Büro in Midtown Manhattan. In den Labors in New Rochelle wurden Experimente mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen durchgeführt - aber die Geschäfte von MADISON wurden von dieser Büroetage in der Third Avenue aus gesteuert.
Natürlich hofften wir, dass man hier etwas weniger zugeknöpft sein würde, als wir das bisher von dieser Firma gewohnt waren.
Mercer thronte hinter einem gewaltigen Schreibtisch. An den Wänden hingen großformatige Gemälde, deren Malstil an Graffitis in der Bronx erinnerte. Mercer schien Wert darauf zu legen, dass man ihn und sein Unternehmen für innovativ hielt.
"Mr. Trevellian und Mr. Tucker vom FBI", säuselte die brünette Sekretärin, die uns hereingeführt hatte.
Mercer reichte uns nacheinander die Hand. Er faßte hart zu, wie ein Mann, der gleich zeigen will, wer der Boss ist.
"Bitte nehmen Sie Platz. Wollen Sie einen Kaffee?"
"Wir kommen lieber gleich zur Sache", sagte Milo.
Mercer zuckte die Achseln und kratzte sich an seinem eckigen Kinn.
"Ist mir auch recht. Allerdings ist mir ehrlich gesagt schleierhaft, wie ich Ihre Ermittlungen unterstützen könnte."
Wir setzten uns.
"Oh, da würde mir schon einiges einfallen", erwiderte ich.
Mercer hob die Augenbrauen. "Ach, ja?"
"Zum Beispiel könnten Sie Ihre wissenschaftliche Abteilung dazu bewegen, nicht Katz und Maus mit uns zu spielen", meinte ich.
Auf Mercers Gesicht erschien ein geschäftsmäßiges Lächeln.
"Vielleicht übertreiben unsere Leute es manchmal mit der Geheimhaltung. Aber Sie müssen verstehen, Mr. Trevellian. Wir sind auf einem äußerst sensiblen Gebiet tätig. Ein Gebiet, das immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es gibt viele Seiten, die an den Erkenntnissen brennend interessiert sind, die unsere Wissenschaftler in New Rochelle gewinnen. Und wir können es uns nicht leisten, Millionen zu investieren, nur um uns die Früchte unserer Arbeit kurz vor dem Ziel von der Konkurrenz stehlen zu lassen."
"Wer, glauben Sie, könnte ein Interesse an einem Behälter mit Pest-Bakterien haben?", fragte ich. "Vielleicht einer Ihrer Konkurrenten oder Geschäftspartner?"
"Das halte ich nicht für ausgeschlossen", meinte Mercer.
"Die Einbrecher wussten ausgesprochen gut Bescheid. Ihnen war bekannt, wie man die Alarmanlagen überlisten kann, in welchem Rhythmus die Wachen patrouillierten und welchen Behälter sie an sich zu bringen hatten..."
Mercer seufzte. "Die Art und Weise, in der Sie das sagen, klingt beunruhigend, Mr. Trevellian."
"Es liegt der Verdacht nahe, dass die Täter einen oder mehrere Komplizen bei der Belegschaft hatten. Anders ist dieser Coup für mich nur schwer vorstellbar..."
"Wir sind sehr sorgfältig bei der Auswahl unseres Personals, wie ich Ihnen versichern darf", erwiderte Mercer etwas ungehalten.
Milo sagte: "Die Tatsachen sprechen leider für sich, Mr. Mercer. Wir möchten gerne die Personaldaten haben, um alle in Frage kommenden Personen durch das Raster laufen lassen zu können. Diese Daten seien hier in Ihrer Zentrale..."
"Das ist richtig", gab Mercer etwas zögerlich zu.
"Dann machen Sie sie uns bitte zugänglich!"
Mercer lehnte sich etwas zurück, tickte mit dem Finger nervös auf der Schreibtischplatte. "Haben Sie dafür denn irgendeine Art Dokument, das Sie dazu berechtigt?"
Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da hatte Milo die richterliche Anordnung bereits hervorgeholt. Nach den ersten Erfahrungen mit MADISON waren wir auf Nummer sicher gegangen.
Schließlich wollten wir dieses Büro nicht mit leeren Händen verlassen.
Mercer las sich das Schriftstück eingehend durch.
Dann betätigte er die Sprechanlage. "Wenn Sie mal eben zu mir ins Büro kommen würden, Harold", knurrte er. An mich gewandt fuhr er dann fort. "Ich möchte das erst von unserem Anwalt prüfen lassen, Sir!" Er verzog den Mund. "Eine reine Formsache."
"Natürlich! Sagen Sie, wie rekrutieren Sie eigentlich Ihr Sicherheitspersonal?", fragte ich.
"Wir haben eine eigene Abteilung dafür. Unsere Wachleute sind hochqualifiziert. Alles Ex-Cops, Ex-Marines und so weiter. Natürlich mit einwandfreiem Leumund."
"Aber diese Männer hatten keine Ahnung von dem, was innerhalb der Labors gelagert wurde."
"Nur eine ungefähre Ahnung. Dass es gefährliche Substanzen sind, für die die höchste Sicherheitsstufe gilt. Warum fragen Sie?"
"Ich denke an das Feuergefecht, das sich die Wachleute mit den Einbrechern geliefert haben. Die Pesterreger hätten dabei sehr leicht entweichen können, wenn der Behälter in Mitleidenschaft gezogen worden wäre!"
Mercer lächelte wie ein Wolf. Ein Goldzahn blitzte auf.
"Haben Sie einmal einen CX-Sicherheitsbehälter gesehen?"
"Ja, man hat mir welche gezeigt."
"Ich hoffe, dass man Ihnen dann dann auch erläutert hat, welche extremen Belastungen diese Behälter aushalten können. Im übrigen waren unsere Wachleute offenbar nicht darüber im Bilde, dass ein Einbruch bereits stattgefunden hatte."
"Unsere Kollegen hatten von sämtlichen Wachleuten am Tatort Aussagen aufgenommen", stellte Milo fest. "Aber die deuten eher darauf hin, dass Ihre Leute überhaupt nicht im Bilde darüber waren, was sie da zu bewachen hatten - geschweige denn, dass irgendwie dafür ausgebildet gewesen wären!"
"Geheimhaltung ist in unserem Business alles, Sir!"
Milo wollte noch etwas erwidern.
Aber in diesem Moment betrat ein Mann im dunklen Anzug den Raum. Mercer stand auf. Er gab dem Mann die richterliche Verfügung. "Lesen Sie das, Harold!"
Der Anwalt brauchte nicht lange, um sich eine Meinung gebildet zu haben.
"Ich fürchte, Sie können nichts dagegen machen, Sir! Dies ist eine richterliche Durchsuchungserlaubnis."
"Heißt das, dass die hier alles auf den Kopf stellen könnten?", fragte Mercer ungehalten.
Harold nickte. "So ist es."
Ich sagte kühl: "Vielleicht sind Sie ja jetzt etwas kooperationsbereiter."
Mercer betätigte die Gegensprechanlage und wies seine Sekretärin an, uns ein Update der Personaldaten anzufertigen.
*
Der Mann, der sich Smith nannte, hatte eine Plastiktüte aus dem Handschuhfach genommen, den CX-Behälter dort hineingetan und ihn so auf den Beifahrersitz seines Chevys gelegt.
Der Regenmantel mit dem Schussloch lag auf dem Rücksitz.
Immer wieder blickte er in den Rückspiegel während sich sein Chevy durch den abendlichen Verkehr New Yorks quälte.
Ungefähr ein Dutzendmal bog er ab, fuhr über Einbahnstraßen im Kreis. Er musste sichergehen, dass ihm keiner folgte.
Zwei habe ich erledigt, ging es ihm durch den Kopf. Zwei!
Aber sie waren zu dritt...
Und der dritte Mann würde alles andere als erbaut darüber sein, wenn er mitbekam, dass seine beiden Komplizen von Kugeln durchlöchert in einem billigen Motelzimmer lagen.
Smith atmete tief durch.
Irgendwann, als er schließlich die Upper East Side erreicht hatte, bog er in eine kleine Seitengasse ein.
Die Häuserfronten ragten schroff empor.
An beiden Straßenseiten parkte ein Wagen hinter dem anderen. Schließlich fand Smith eine Lücke. Er brauchte einige Augenblicke, bis er den Chevy in die enge Lücke hineingefahren hatte.
Er nahm die Plastiktüte mit dem CX-Behälter und stieg aus.
Mit einer nachlässigen Bewegung schloss er den Wagen ab.
Er ging die Straße ungefähr fünfzig Meter zurück, blieb dann vor einem zehnstöckigen Gebäude stehen. Ein mattes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er die Sprechanlage am Eingang betätigte. Eine Überwachungskamera richtete ihre Linse auf ihn.
"Guten Tag, was wünschen Sie?", fragte eine weibliche Stimme.
"Hier ist Smith. Ich werde erwartet!"
*
Am nächsten Morgen, als wir in Mr. McKees Büro saßen, lag der ballistische Bericht vor. Es stellte sich heraus, dass eine der Waffen, die bei dem Überfall auf das Gelände von MADISON GEN-TECH benutzt worden war, bereits in unseren Datenbanken verzeichnet war.
Es handelte sich um eine automatische Pistole vom Kaliber .45. Vor zwei Jahren war mit dieser Waffe ein Wachmann erschossen worden, der vor einem Waffen- und Munitionsdepot der Navy seinen Dienst getan hatte.
"Es blieb damals bei einem versuchten Überfall", erläuterte uns Agent Max Carter, ein Innendienstler der Fahndungsabteilung. "Einer der Täter wurde gefasst, die anderen entkamen. Zeugenaussagen zu Folge muss es sich um zwei oder drei Männer gehandelt haben, die versuchten, in das Depot einzudringen. Allerdings wurden sie offenbar entdeckt, bevor sie irgend etwas erbeuten konnten."
"Was ist mit dem, der damals gefasst wurde?", fragte Mr. McKee.
"Es handelte sich um einen gewissen John F. Monty", erklärte Carter. "Und der sitzt heute noch auf Riker's Island ein. Leider hat er seine Komplizen nie verraten."
"Vielleicht kommen wir trotzdem über diesen Monty weiter", meinte Agent Medina. Orry war indianischer Abstammung und bekannt dafür, immer wie aus dem Ei gepellt herumzulaufen. Er galt als der bestangezogendste G-man des Districts. Während er den Kaffeebecher zum Mund führte, lockerte er etwas die Seidenkrawatte.
"Vielleicht könnten Sie und Clive sich darum kümmern", meinte Mr. McKee. "Dass Monty damals nicht ausgesagt hat, um sich damit eine gnädigere Justiz zu verschaffen, muss ja schließlich seinen Grund haben. Vielleicht wird er oder jemand aus seiner Familie finanziell unterstützt... Was weiß ich!"
Orry nickte.
"Wir nehmen uns das Umfeld dieses Mannes mal vor", versprach er.
"Weiß man irgend etwas über die Motive, die Monty und seine Komplizen damals hatten?", fragte ich an Carter gewandt.
Dieser schüttelte den Kopf.
"Leider nein, Jesse. Monty hat allerdings ein Vorstrafenregister, das eigentlich auf einen ganz gewöhnlichen Kriminellen deutet."
"Nichts, was in Richtung Geheimdienste deutete?", hakte Mr. McKee nach.
"Nein", sagte Carter. "Aber das muss natürlich nichts heißen. Selbst wenn ganz gewöhnliche Kriminelle den Überfall auf MADISON GEN-TECH ausgeführt haben, dann sagt das nichts darüber aus, wer diesen Coup in Auftrag gegeben hat. Gangster vom Format eines John F. Monty sind einfach zu kleine Fische, als daß sie die Möglichkeit hätten, einen CX-Behälter mit genveränderten Yersinia Pestis eigenständig zu vermarkten. Vielleicht wussten die Täter nicht einmal, was sie da genau erbeuteten. Sie haben einfach ihren Job gemacht. Fragt sich nur, für wen."
*
Die Fahndung lief auf Hochtouren. Vor allem suchten wir natürlich nach dem verschwundenen CX-Behälter. Jeder Polizist in New York City bekam eine Art Steckbrief mit einer genauen Beschreibung dieses Behälters und Farbfotos. Radio und Fernsehen verbreiteten Suchmeldungen, in denen allerdings der Inhalt dieses Behälters nicht erwähnt wurde. Schließlich sollte erstens keine Panik ausgelöst werden und zweitens gab es fahndungstaktische Gründe dafür, kein Detailwissen zu verbreiten. Schließlich war der Kreis derer, die über den Inhalt dieses Behälters Bescheid wissen konnten, sehr begrenzt. Vielleicht gehörten nicht einmal die Täter dazu ganz sicher aber ihre Auftraggeber.
Allerdings wurde in den Suchmeldungen eindringlich davor gewarnt, den CX-Behälter zu öffnen oder zu beschädigen.
Inzwischen lag eine erste Auswertung der Personaldaten von MADISON GEN-TECH vor.
Es gab eine Liste von insgesamt zwölf Personen, die Zugang zu dem mikrobiologischen Labor gehabt hatten, aus dem der CX-Behälter entwendet worden war. Es handelte sich ausschließlich um Wissenschaftler.
"Nur diese Zwölf konnten wissen, wo sich der Behälter mit Yersinia Pestis in der Nacht des Überfalls befinden würde", erläuterte Carter. "Und viel Zeit zum Suchen hatten die Täter bekanntlich nicht!"
"Könnte es nicht auch sein, dass jemand die Datenbanken von MADISON angezapft hat?", fragte Milo.
"Theoretisch möglich, in diesem Fall aber unwahrscheinlich. Die Laborrechner haben keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Es gibt keine Datenfernverbindungen oder dergleichen. Offenbar wollte man auf Nummer sicher gehen und mit allen Mitteln verhindern, dass das Know-how von MADISON in die Hände der Konkurrenz gerät."
"Also nehmen wir mal an, dass zumindest die Auftraggeber gewusst haben, woran bei MADISON gearbeitet wird", sagte ich.
"Diese Zwölf sind dann wirklich die einzigen, die dieses Wissen weitergeben konnten? Da müsste man doch sicher noch ein paar Leute in der Manhattaner MADISON-Zentrale hinzurechnen. Alec Mercer wusste zum Beispiel ganz gut Bescheid. Und natürlich Fürbringer in Zürich."
"Ich spreche von Detailwissen", erwiderte Carter. "Wie weit die Kenntnisse von Alec Mercer gehen, weiß ich nicht. Aber es gibt da tatsächlich noch eine dreizehnte Person, die wir uns genauer ansehen sollten. In den Personaldaten ist vermerkt, dass diese Person seit zwei Monaten ein absolutes Verbot hat, den Laborbereich zu betreten."
"Um wen handelt es sich?", fragte ich.
"Dr. George Hiram. Es steht in in den Unterlagen keine Begründung für diese Maßnahme. Aber man sollte Hiram mal befragen."
Jetzt mischte sich Mr. McKee ein und fragte: "Gibt es bei den anderen Zwölf irgend etwas, was auffällig ist?"
"Dr. Tremayne reiste im letzten Jahr viermal nach Karachi, Pakistan."
"Um Urlaub zu machen oder im Auftrag der Firma?"
"Eine interessante Frage, Sir, auf die wir leider noch keine Antwort haben!"
Mr. McKee wandte sich an Milo und mich.
"Nehmen Sie beide sich die Liste mal vor und versuchen Sie etwas damit anzufangen..."
*
George Hiram hatte eine Wohnung in Midtown Manhattan.
Sündhaft teuer und ziemlich eng, aber dort trafen wir ihn nicht an.
Von Nachbarn erfuhren wir, dass Hiram sich zur Zeit in seinem Ferienhaus in Florida erholte.
Florida, New York State, wohlgemerkt - ein kleines verschlafenes Nest an einem traumhaften See, etwa siebzig Meilen nordwestlich von New York City.
Es war eine ziemlich lange Fahrt dorthin. Unterwegs las Milo mir Teile des Dossiers vor, das Agent Carter uns über Hiram zusammengestellt hatte.
Er war ohne Zweifel ein interessanter Mann.
Er hatte zunächst eine beeindruckende Universitätskarriere hinter sich gebracht. Ein geradezu kometenhafter Aufstieg, dann der Wechsel in die freie Wirtschaft. Er wurde Leiter der Entwicklungsabteilung von Fürbringer do Brasil, der brasilianischen Tochtergesellschaft des Züricher Unternehmens. Vor zwei Jahren schließlich wechselte er zu MADISON GEN-TECH.
Wir verzichteten darauf, in der MADISON-Zentrale nachzufragen, was es damit auf sich hatte, dass Hiram der Zutritt in den Laborbereich untersagt war. Zuerst wollten wir Hirams Version der Geschichte hören - ohne dass diese irgendwie zuvor beeinflusst werden konnte.
Außerdem kannte Hiram das gesamte Forscher-Team, das derzeit in den MADISON-Labors tätig war.
Und vielleicht konnten wir über ihn einen entscheidenden Hinweis erhalten.
Denn viel Zeit hatten wir nicht.
Mr. McKee hatte es gar nicht auszusprechen brauchen. Jedem der G-man, die an dem Fall arbeiteten, war klar, dass jeder Augenblick, in dem der Behälter mit den genveränderten Yersinia Pestis-Erregern in falschen Händen war, eine Gefahr bedeutete.
Eine Gefahr für zahllose Menschenleben.
"Ich weiß nicht, was man sich in dieser Lage wünschen soll", meinte Milo irgendwann, während der Fahrt. "Angenommen, irgendein Geheimdienst hat das Teufelszeug längst außer Landes gebracht, dann kann man zumindest hoffen, dass es dann erst einmal sachgemäß in einem militärischen Depot gelagert wird..."
"In den Händen irgend eines kleinen Diktators, der damit große Weltpolitik machen will?", gab ich zu bedenken.
"Regime wechseln schnell, Jesse. Vielleicht kommt es niemals zum Einsatz! Jedenfalls ist mir bei dem Gedanken daran immer noch um einiges wohler, als wenn ich mir vorstelle, dass das Zeug hier in New York in die Hände von Dilettanten oder Wahnsinnigen gerät..."
Ich verstand, was Milo meinte.
"Die erste Variante kann genauso verhängnisvoll sein", meinte ich jedoch. "Auch wenn die Katastrophe dann vielleicht ein paar Jahre auf sich warten lässt."
Beinahe zwei Stunden brauchten wir für die gut 70 Meilen.
Florida, N.Y. war klein aber nobel.
Der Lake Florida war traumhaft in den Bergen gelegen und von mondänen Privatvillen umringt. Diese Häuser gehörten Leuten, die es weit genug gebracht hatten, um sich ein wenig aus dem Ameisenhaufen New York City zurückziehen zu können.
In Florida waren sie allerdings immer noch nahe genug an den Schaltzentralen von Wall Street, um die Kontrolle zu behalten.
Kein Wunder, dass die Grundstückspreise hier in den letzten Jahren in einem Maß gestiegen waren, das außerhalb jeder Vernunft lag.
George Hiram mochte ein bedeutender Wissenschaftler sein, aber dass er bei MADISON genug verdiente, um sich hier niederlassen zu können, überrascht mich doch ein wenig.
Milo und ich brauchten eine weitere Stunde, bis wir Hirams Bungalow gefunden hatten. Für die Verhältnisse von Florida, N.Y., war es ein bescheidenes Anwesen, auch wenn es direkt am See lag und zusätzlich über einen Swimming Pool verfügte.
Ich parkte den Sportwagen in der Einfahrt.
Wir stiegen aus, sogen die klare Luft ein. Die Sonne schien und ließ die Wasseroberfläche des Sees glitzern.
"Hier könnte ich es auch aushalten", meinte Milo.
Wir gingen zur Tür und klingelten.
Eine Frau in den Dreißigern öffnete uns.
Sie hatte brünettes Haar, ein feingeschnittenes Gesicht und trug Ohrhänger mit jeweils drei weißen Perlen.
Der schwarze Badeanzug schmiegte sich hauteng an ihren perfekten Körper.
Die Linke hatte sie in die geschwungene Hüfte gestemmt.
Und in der Rechten hielt sie einen Revolver, dessen Lauf direkt auf meinen Bauch zielte.
*
"Wer sind Sie?", fragte die Frau. Ihre stahlblauen Augen musterten mich von oben bis unten.
Ich sagte: "Jesse Trevellian, Special Agent des FBI. Der Mann neben mir ist mein Kollege Agent Tucker. Und wenn Sie mir versprechen, nicht nervös zu werden, zeige ich Ihnen sogar meinen Ausweis!"
Einen Augenblick lang schien sie unschlüssig darüber zu sein, was sie tun sollte. Sie verlagerte das Schwergewicht ihres Körpers auf das andere Bein. Ihr aufregende Figur bildete dabei eine geschwungene Linie. Geradezu schwindelerregend.
"Na schön", sagte sie. "Aber ganz langsam. Passen Sie gut auf!"
"Sie sollten aufpassen", erwiderte ich kühl.
"Ach, ja?" Sie lächelte auf eine Art und Weise, die mir nicht gefiel. "Sie verkennen die Lage, Jesse - oder wie Sie auch immer heißen mögen. Ich habe nämlich den Abzug an der Waffe - und nicht Sie! Also tun Sie, was ich sage!"
"Auf Polizistenmord steht im Staat New York die Todesstrafe!"
"Glauben Sie, man wird Ihre Knochen je finden, wenn wir Ihre Leichen hier irgendwo in den Bergen verscharren?"
Ich griff sehr vorsichtig in die Innentasche der leichten Lederjacke, die ich trug.
Als ich meinem Gegenüber dann im nächsten Moment den Dienstausweis des FBI entgegenhielt, erbleichte sie etwas.
Der Lauf ihrer Waffe senkte sich.
Ein Mann mit dunklem Vollbart tauchte aus dem Hintergrund heraus auf. Er war mindestens zehn Jahre älter als die Frau im schwarzen Badeanzug.
"Was ist los, Sally?", fragte er.
"Wir haben Besuch, George", murmelte sie vor sich hin.
"Mr. George Hiram?", fragte ich.
"Ja. Was wollen Sie?"
"Trevellian, FBI. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Labors von MADISON GEN-TECH stellen."
George Hiram und Sally sahen sich kurz an. Auf Hirams Stirn erschienen ein paar tiefe Furchen.
"Ich wüsste nicht, was ich dazu zu sagen hätte", erklärte er.
"Das wird sich herausstellen", erwiderte ich.
Hiram atmete tief durch. "Kommen Sie herein!"
Er führte uns durch den Bungalow hindurch auf die Terrasse.
Er deutete auf die Sitzecke und bot uns einen Platz an.
"Möchten Sie etwas trinken?", fragte er, nachdem wir uns gesetzt hatten.
"Höchstens einen Kaffee", sagte ich.
Und Milo schloss sich dem an.
Hiram nickte. "In Ordnung. Den etwas rauen Empfang durch meine Frau bitte ich zu entschuldigen..." Er legte einen Arm um Sallys Taille. Auf dem Weg hier her, hatte sie den Revolver irgendwohin verschwinden lassen. Jedenfalls hielt sie ihn nicht mehr in den zierlich wirkenden Fingern ihrer Rechten. Ihre Zähne blitzen, während sie lächelte.
"Ich mache Ihnen einen Kaffee", versprach sie.
Ich sah ihr nach.
Ihre Bewegungen hatte etwas Katzenhaftes. Lautlos glitten ihre schlanken Füße über den Steinboden.
Ihr Badeanzug war hinten tief ausgeschnitten und ließ so gut wie den gesamten Rücken frei. Mir fiel ein dunkler Punkt zwischen den Schulterblättern auf. Erst auf den zweiten Blick sah ich, worum es sich handelte.
Es war eine Tätowierung.
Ein eigenartiges Symbol, das ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Drei Kreuze, angeordnet wie die Blätter eine Kleeblatts.
Hiram bemerkte meinen Blick , sagte aber nichts.
"Sie haben Fragen an mich?", stellte er fest. Er ließ sich in einen der breiten Korbsessel fallen. "Ich habe von dem Überfall auf MADISON GEN-TECH natürlich gehört. Allerdings ist mir schleierhaft, weshalb Sie mit Ihren Fragen ausgerechnet zu mir kommen..."
"Wissen Sie, was die Einbrecher dort mitgenommen haben?", fragte Milo.
Dr. Hiram wandte leicht den Kopf, dann zuckte er die breiten Schultern. "Ich kann es nur vermuten."
"Und was vermuten Sie?"
"Wenn die Diebe dumm waren, haben sie sich mit der Kantinenkasse zufrieden gegeben", versuchte er einen Witz zu machen. "Wenn sie wussten, was wertvoll ist, werden sie versucht haben, an Datenmaterial heranzukommen und Forschungsergebnisse zu stehlen."
"Sie haben einen CX-Behälter mit genetisch veränderten Yersinia Pestis-Kulturen in ihrer Gewalt", stellte Milo sachlich fest.
Hirams Gesicht blieb unbewegt.
Er bewegte kaum die Lippen, als er sagte: "Dann wünsche ich Ihnen bei Ihrer Aufgabe viel Glück - auch wenn Sie kaum darum zu beneiden sind."
Ich fragte: "Wofür genau waren diese Bakterienkulturen bestimmt?"
"Ich bin nicht autorisiert, darüber irgend etwas zu sagen, Mr. Trevellian", war Hirams spröde Erwiderung.
"Mr. Hiram, es geht vielleicht um das Leben von sehr vielen Menschen. Wenn dieser Behälter in die Hände von..."
"Mr. Trevellian, Sie versuchen jetzt, ein rabenschwarzes Szenario zu entwerfen. Aber ich bin Wissenschaftler. Das bedeutet, dass ich es gewöhnt bin, mit Risiken rational umzugehen. Glauben Sie, MADISON GEN-TECH ist die einzige Firma auf der Welt, die mit solchen Bakterienkulturen experimentiert? Überall werden Mikroorganismen gentechnisch verändert..."
"Aber Pesterreger dahingehend zu verändern, dass sie resistent gegen Antibiotika sind, deutete doch wohl auf die Entwicklung von Kampfstoffen hin..."
"Wenn Sie sich vor biologischen Kampfstoffen durch Impfstoffe oder Seren schützen wollen, müssen Sie zuvor Ihren Feind kennen! Aber niemand wird deswegen freiwillig seine Bakterienarsenale für Sie öffnen. Also müssen Sie die Pestilenz, die Sie bekämpfen wollen, erst selbst erzeugen. Wie Sie es auch drehen, Mr. Trevellian. Es sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Sie können das nicht trennen. Im übrigen wurde in New Rochelle mehr oder minder Grundlagenforschung betrieben. Die kommerzielle Umsetzung wurde von anderen Konzernteilen in die Hand genommen."
"Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Täter Zugang zu Informationen hatten, über die insgesamt nur dreizehn Personen in den Labors von New Rochelle verfügten. Sie kannten sich bestens aus und haben vielleicht sogar mit jemandem zusammengearbeitet, der Zugang zu den Labors hatte."
"Mich können Sie von Ihrer Liste gleich wieder streichen", erklärte Hiram.
"Ach, ja?"
"Ich habe keinen Zugang mehr zum Laborbereich."
"Das wissen wir."
"Sie meinen, dass ich die nötigen Informationen vorher hätte weitergeben können!"
Ich lächelte dünn. "Wäre das so abwegig, Dr. Hiram?"
"Warum sollte ich das tun?"
"Fangen wir anders an", schlug ich vor. "Weshalb haben Sie keinen Zugang mehr zum Laborbereich? Sie haben eine Bilderbuchkarriere hinter sich. Jede Firma, die sich mit Gen-Technik, Mikrobiologie oder Biochemie beschäftigt, würde Sie mit Kusshand abwerben. Von Dozentenposten an den besten Universitäten mal ganz abgesehen..."
Hiram schien etwas erstaunt zu sein.
"Sie sind gut informiert!"
"Das ist ein Teil unseres Jobs."
"Ich verstehe..."
"Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet!"
"Es gab gewisse Differenzen zwischen mir und dem Leiter der Entwicklungsabteilung..."
"Dr. Ressing."
Hiram nickte. "Ja, genau."
"Worin bestanden die Differenzen?"
"Sie waren privater Natur. Mehr werde ich dazu nicht sagen, Mr. Trevellian."
"Warum kündigen Sie nicht bei MADISON?"
"Mein Vertrag sieht vor, dass ich innerhalb einer Sperrfrist von einem halben Jahr kein Angebot aus der Industrie annehmen darf." Er grinste. "Schlecht geht es mir allerdings auch nicht, schließlich erhalte ich bis zum Ablauf dieser Frist weiterhin mein Gehalt."
Jetzt erschien Sally mit einem Tablett, auf dem eine Kanne mit Kaffee sowie passendes Geschirr standen.
"Es tut mir sehr leid, Mr. Trevellian. Aber Sie haben den weiten Weg hier heraus nach Southampton wohl völlig umsonst gemacht", meinte Hiram, während Sally den Kaffee servierte.
Ich beachtete diese Bemerkung nicht.
Aus irgendeinem Grund wollte Hiram uns lieber früher als später loswerden.
"Was wissen Sie über die Pakistan-Reisen von Dr. Tremayne?", fragte ich dann in die Stille hinein.
Hiram blickte auf. Er wechselte einen kurzen Blick mit Sally. Sie hatte sich bereits halb zum Gehen gewandt. Jetzt erstarrte sie.
"Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen."
"Hatten seine Reisen dorthin irgend etwas mit Firmenprojekten zu tun?"
"Warum fragen Sie ihn nicht selbst?"
Ein harter Brocken!, dachte ich. Er wand sich um jede klare Aussage herum. Vielleicht hatte er aus seiner Sicht gute Gründe dafür. Möglich, dass die Geschäftsführung von MADISON ihm eine Art Maulkorb-Order gegeben hatte. Und was immer es auch an Differenzen im Forscherteam der Entwicklungszentrale des Fürbringer-Konzerns gegeben hatte, so war Hiram ganz offensichtlich nicht bereit, dafür seine noch ausstehenden Gehaltszahlungen und eine eventuell fällige Abfindung aufs Spiel zu setzen.
Ich wandte mich an Sally.
"Warum setzen Sie sich nicht zu uns?", fragte ich.
Sie zögerte.
Ein kurzer Blickwechsel mit Hiram, dann setzte sie sich.
"Sally kann zu der ganzen Angelegenheit nun wirklich nichts sagen", meinte Hiram. Er tickte dabei nervös auf der Sessellehne herum.
Ich blickte direkt in Sallys blaue Augen.
Ihr Lächeln war geschäftsmäßig, wirkte etwas unterkühlt.
"Haben Sie für das Schießeisen, mit dem Sie mich gerade bedroht haben eigentlich einen Waffenschein?", erkundige ich mich.
"Natürlich", erklärte sie. "Die Waffe ist ordnungsgemäß registriert."
"Sie schienen mir ziemlich nervös zu sein?"
"Ach, ja?"
"Wovor hatten Sie Angst, Sally?"
"Angst?"
"Wie sollte man die Art und Weise, in der Sie meinen Kollegen und mich begrüßt haben, sonst erklären?"
Sie zuckte die Achseln. "Die Welt ist verseucht vom Verbrechen", sagte sie mit leiser, fast brüchiger Stimme. "Das Böse regiert alles..."
"Ist das nicht etwas übertrieben?"
Sie sah mich erstaunt an. "Das sagen Sie? Ein FBI-Agent? Sie müssten es doch besser wissen, Mr. Trevellian. Sie müssten wissen, wie schlecht die Welt ist, wie weit die Herrschaft des Bösen bereits vorangeschritten ist. Vor zwei Wochen wurde hier in Southampton in eine Villa eingebrochen. Der Besitzer wurde erschossen. Die Beute: 500 Dollar Bargeld, einige Antiquitäten, die im Grunde unverkaufbar sind, weil man sie sofort identifizieren würde..." Sie beugte sich etwas vor.
Der hautenge Badeanzug spannte sich um die beiden Wölbungen ihrer festen Brüste. "Ich denke, Sie verstehen sehr gut, was ich meine..."
Ich kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten.
Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie ein Ruck durch George Hirams Körper ging. Ein kurzes Zucken. Das Gesicht wurde starr, die Augen blickten ins Nichts.
Auf der Stirn war ein roter Punkt zu sehen.
Blut sickerte heraus.
Und in der nächste Sekunde war die Hölle los.
*