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Vorwort
Al Capone – Ein amerikanischer
(Alb-)Traum

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Während der Präsidentschaft von Donald J. Trump wurden wiederholt Vergleiche zu Al Capone, dem legendären Gangsterboss im Chicago der 1920er-Jahre, gezogen. Donald Trump selbst hat die in seinen Augen ungerechte strafrechtliche Verfolgung seines Wahlkampfmanagers Paul Manafort 2018 mit der seiner Einsicht nach ebenso ungerechten Behandlung Al Capones verglichen. Die Vergabe von Lizenzen für die Betreibung von Spielcasinos an Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner, die seinen eigenen Spielhallen Konkurrenz machen würden, hat Trump schon 1993 als das schlimmste Verbrechen seit Al Capone bezeichnet. Eine weitere Parallele findet sich in den Recherchen der New York Times im Zusammenhang mit der Weigerung des 45. Präsidenten, seine Steuererklärungen offenzulegen. Dank cleverer Steuerberater und Abschreibungen habe Donald Trump für die Jahre 2018 und 2019 jeweils nur 750 Dollar an Steuern gezahlt. Dabei berief er sich wie einst Al Capone vor Gericht auf das allen Bürgern gemeinsame Bestreben, möglichst wenige Steuern an den Staat abführen zu müssen. Die Presse legte weitergehende Parallelen nahe mit dem Verweis darauf, dass Al Capone wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde, weil man ihn mangels Beweisen nicht für seine Kapitalverbrechen belangen konnte. Gerne wird in diesem Zusammenhang die wohl schon bei Trumps Vater bestehende Verbindung zwischen dem Baugewerbe und dem organisierten Verbrechen erwähnt, die sich in der nachfolgenden Generation fortgesetzt habe. Die Nichte Donald Trumps, Mary L. Trump, hat in ihrem Enthüllungsbuch Zu viel und nie genug: Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf (2020) auf den kontinuierlichen Betrug als die Lebensmaxime des Familienimperiums hingewiesen. Meist unerwähnt bleibt die Geschichte des Großvaters Friedrich Trump aus Kallstadt an der Weinstraße, der 1885 als 16-Jähriger in die USA eingewandert war und nach kurzer Tätigkeit als Friseur in New York ein Hotel im Rotlichtmilieu von Seattle an der Westküste betrieb und von dort aus sein Glück im Goldrausch am kanadischen Yukon versuchte. Seine geplante Wiedereingliederung in die deutsche Gesellschaft als mittlerweile eingebürgerter Amerikaner scheiterte bei einem Heimatbesuch, bei dem er die frühere Nachbarstochter Elisabeth heiratete und sich mit ihr schließlich 1905 dauerhaft in New York niederließ. Dort startete er die amerikanische Erfolgsgeschichte des späteren Trump-Imperiums zunächst als Inhaber eines gutgehenden Friseursalons an der Wall Street und dann als Immobilienmanager. 1918 wurde er eines der ersten Opfer der verheerenden Pandemie der Spanischen Grippe. Später übernahm der 1905 in New York geborene Sohn Fred das unter seiner Leitung florierende Immobiliengeschäft, bevor er es 1971 als Multimillionär an seinen Sohn Donald übergab.

Der wiederholt angestellte Vergleich von Donald Trump mit Al Capone verweist auch auf die Geschichte der Einwanderung um die Jahrhundertwende 1900 und den Prozess der Amerikanisierung. Die Schwierigkeiten der deutschen Trump-Familie und der italienischen Capone-Familie bei der Integration in die primär von weißen angelsächsischen Protestanten, den WASP (White Anglo-Saxon Protestants), bestimmte amerikanische Gesellschaft sind zweifellos vergleichbar. Auf der Suche nach Möglichkeiten der Überwindung des durch eine andere Sprache markierten Außenseiterdaseins wurden neben dem sowohl von Friedrich Trump als auch von Al Capones Vater ausgeübten Friseurhandwerk auch unlautere Mittel im Wettbewerb um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg eingesetzt. Die traditionellen arrivierten amerikanischen Wirtschaftsgrößen, die wie John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt, Andrew Carnegie, J.P. Morgan oder Leland Stanford vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Einsatz ähnlicher Mittel erfolgreiche Unternehmen gegründet hatten, machten sich die entstehenden Diskriminierungsmechanismen gegenüber den Neuankömmlingen bei der Abwehr von Konkurrenz zunutze. Besondere Ereignisse wie der Erste Weltkrieg, die Pandemie der Spanischen Grippe oder der Erlass der Prohibition intensivierten die radikale Trennung zwischen den sogenannten „100 Prozent Amerikanern“ und den in ihren ethnischen Vierteln lebenden europäischen Einwanderern, deren Anzahl um die Jahrhundertwende exponentiell anstieg. Sichtbare Zeichen der Differenz vom „weißen Standard“ betrafen etwa auch orthodoxe Juden aus Osteuropa und dunkelhäutige Süditaliener. Für viele Einwanderer, die oft schon in ihren Heimatländern von den Verlockungen des „amerikanischen Traums“ gehört hatten und dadurch zur Auswanderung motiviert wurden, wirkte dieses Motivationspotenzial für einen künftigen Aufstieg im sprichwörtlichen Land der ungeahnten Möglichkeiten als eine Art Kompensation für die bisher erfahrene Diskriminierung. Allerdings war die Verfolgung des amerikanischen Traums auch Teil eines Verteilungskampfes der verschiedenen Gruppierungen in Amerika um mögliche Erfolgsmodelle in dem den puritanischen Siedlern „verheißenen Land“. Der 44. Präsident der USA, Barack Obama, hat in seinen autobiografischen Werken die im Lauf der Geschichte primär für weiße Bürger reservierten Segnungen des amerikanischen Traums für alle ethnischen Gruppen reklamiert und mit dem Titel seiner 2020 erschienenen Memoiren Ein verheißenes Land der von Puritanern exzeptionell beanspruchten Verheißung eine für alle offene Versprechung entgegengestellt.

Die Frage nach der Deutungshoheit über den amerikanischen Traum bestimmte die Geschichte Amerikas als eines klassischen Einwanderungslands von Anfang an. Die in Europa zirkulierenden Berichte über die Verlockungen des mit dem Land Amerika verbundenen Traums für Arme oder politisch und religiös Verfolgte haben auch viele Italiener, insbesondere im wirtschaftlich benachteiligten Süden, veranlasst, um die Jahrhundertwende 1900 in die USA aufzubrechen und dort einen neuen Anfang zu wagen. Al Capones aus der Umgebung Neapels stammende Eltern kamen zusammen mit ihren ersten beiden Söhnen 1895 in den USA an und ließen sich in New York im italienischen Viertel von Brooklyn nieder. Der Vater gab seinen in Italien ausgeübten Bäckerberuf auf und erlernte das Friseurhandwerk, während die Mutter neben ihrer Tätigkeit als Näherin sich um die ständig wachsende, schließlich acht Kinder umfassende Familie kümmerte. Al Capone wurde im Januar 1899 als vierter Junge der strenggläubigen Familie geboren und in der katholischen St. Michael-St. Edward Kirche getauft. Kindheit und frühe Jugend waren von Kontakten und Rivalitäten mit den in getrennten Bezirken lebenden deutschen, irischen und jüdischen Einwanderergruppen geprägt. Hilfen für die Mitglieder ihrer Kirchengemeinde und gemeinsame Baseballspiele wechselten mit Auseinandersetzungen mit anderen ethnischen Gruppen zur Behauptung der eigenen Lebensweisen ab. Seine Schulzeit beendete Al nach der 6. Klasse mit 14 Jahren, perfektionierte sein Billardspiel und schloss sich der Five-Points-Jugendgruppe an, die sich für Recht und Ordnung im Miteinander mit anderen ethnischen Gruppen einsetzte. Durch die Bekanntschaft mit Johnny Torrio, einem auf der anderen Seite des Gesetzes arbeitenden Organisator, wurde Al bald in die Mechanismen von Schutzgelderpressung, Prostitution und Wettspiele eingeweiht. Als Barkeeper in Frankie Yales „Harvard Inn“ machte er erste Erfahrungen mit kriminellen Aktivitäten in der Auseinandersetzung zwischen den irischen White Handers und den italienischen Black Handers und zog sich bei einem Kampf die ihn als „Narbengesicht“ kennzeichnende Verletzung zu.

Neben den Tätigkeiten für Torrio und Yale ging Al Capone einer regulären Arbeit in einer Papierfabrik nach, wo er seine Frau Mae Coughlin, die Tochter einer großen irischen Einwandererfamilie, kennenlernte und kurz nach der Geburt ihres Sohnes im Dezember 1918 trotz des Widerstands ihrer Mutter gegen die Ehe mit einem Süditaliener heiratete. Ungeachtet seiner zahlreichen Affären, bei denen er sich früh eine an Frau und Kind weitergegebene Syphilis-Erkrankung zuzog, war er der Familie liebevoll verbunden und sorgte zeitlebens für die Mitglieder sowohl der irischen als auch der italienischen Familie, für die er nach der Verlagerung seiner Geschäfte in den Mittleren Westen ein Haus in Chicago kaufte. Der Erlass der Prohibition im Januar 1920, der die Herstellung, den Transport und den Verkauf von Alkohol landesweit verbot, wurde zur willkommenen Geschäftsgrundlage für den Aufbau der als „Outfit“ bekannten Capone-Organisation, die anfänglich in Kooperation mit seinem Partner Johnny Torrio ausgehend von Chicago und Umgebung schließlich ganz Amerika mit Alkohol versorgte. Durch die ambivalente Einstellung der Behörden gegenüber der Prohibition, die von strikter Einhaltung über Duldung bis zur Kollaboration reichte, konnte eine vielseitige Freizeit- und Unterhaltungsindustrie mit Flüsterkneipen, Spielhöllen, Wettbüros und Prostitution entstehen. Probleme ergaben sich im Kampf um Absatzmärkte und Einflussbereiche zwischen den zahlreichen Gangs in Chicago, die in brutale sogenannte „Bierkriege“ ausarteten und der Stadt das Image eines unbeherrschbaren Mekkas des Verbrechens eintrug. Höhepunkt einer Reihe von kriminellen Kapitalverbrechen war die von Al Capone in Abwesenheit orchestrierte Ermordung von sieben Mitgliedern einer mit seinen Geschäften konkurrierenden Gang am Valentinstag 1929. Die enge Zusammenarbeit von korrupten Politikern mit dem organisierten Verbrechen sowie die Angst möglicher Zeugen vor Repressalien verhinderten effektiv jede Strafverfolgung, sodass besorgte Bürger der Stadt sogar den Präsidenten in Washington um Abhilfe durch Einsatz von Bundesbehörden baten mit dem Ziel, Al Capone durch ein Gerichtsverfahren aus dem Verkehr zu ziehen. Aus Angst vor der doppelten Verfolgung durch Rache von Konkurrenten und Strafverfolgung der Justiz erwarb Capone – auch auf Bitten seiner Frau – einen zweiten Wohnsitz am Miami Beach in Florida, um sich allmählich aus dem gefährlichen Geschäft zurückzuziehen. Nur den unermüdlichen Recherchen der Justizbehörden und der Entdeckung von geheimen Kassenbüchern ist es zu verdanken, dass Al Capone wegen nicht abgegebener Steuererklärungen und Steuerhinterziehung der Prozess gemacht werden konnte, der im Oktober 1931 mit einem Schuldspruch durch den gegen jede Korruption gefeiten Richter und der Verurteilung zu insgesamt 11 Jahren Gefängnis endete. Sicher trug auch die unkluge Strategie seiner Verteidiger zu diesem Strafmaß bei, die die Mentalität der aus dem ländlichen Umland rekrutierten Jurymitglieder falsch einschätzten. So verfehlte die von ihnen vorgebrachte Einlassung, Al Capone sei aufgrund des Vorurteils der weißen amerikanischen Gesellschaft gegenüber seiner als kriminell eingestuften italienischen Abstammung verurteilt worden, ihre Wirkung. Nach der erfolglosen Revision musste Al Capone im Mai 1932 die Haft unverzüglich zunächst im Bundesgefängnis in Atlanta antreten, bevor er als besonders prominenter Häftling im August 1934 in das neu eingerichtete Hochsicherheitsgefängnis von Alcatraz auf einer Insel in der Bucht von San Francisco überführt wurde. Die lange Haftzeit, in der er von vielen Mithäftlingen wegen vermeintlicher Vorzugsbehandlung angefeindet wurde, wurde durch die vermehrt auftretenden Auswirkungen seiner Syphilis-Erkrankung stark beeinträchtigt, sodass er 1939 zur Behandlung in das Krankenhaus der Justizvollzugsanstalt in Los Angeles verlegt und schließlich im November 1939 vorzeitig wegen guter Führung entlassen wurde mit der Auflage, sich von Dr. Joseph E. Moore am Johns Hopkins Hospital in Baltimore behandeln zu lassen. Im März 1940 kehrte er nach fast neunjähriger Abwesenheit und physischer Isolation auf sein Anwesen Palm Island in Miami zurück.

Die letzten Jahre bis zu seinem Tod im Januar 1947 waren gezeichnet von den verheerenden Auswirkungen seiner von Demenz begleiteten Erkrankung, die zunehmend unkalkulierbare Verhaltensweisen auslöste. Neben den fortgesetzten Nachforschungen der Steuerbehörden nach dem Verbleib möglicherweise versteckter Gelder und einer Schar von informationsgierigen Journalisten vor seinem Anwesen war sein Alltag vom behüteten Umgang mit der Familie bestimmt. Besonders erfreut war er über die Hochzeit seines Sohnes mit der Tochter irischer Einwanderer und die aus dieser Verbindung hervorgehenden vier Enkelkinder. Als Al nach langer Leidenszeit am 25. Januar 1947, wenige Tage nach seinem 48. Geburtstag, an einem durch Lungenentzündung verursachten Schlaganfall im Kreis seiner Familie starb, kommentierte die Presse gehässig das unrühmliche Ende des einst allmächtigen Gangsterbosses, der abgeschirmt von der Öffentlichkeit im Familiengrab in Chicago beigesetzt wurde.

Auf seinen Nachruhm hatte Al Capone schon zu Lebzeiten hingearbeitet. Allerdings gibt es außer Zeitungsinterviews und Aussagen bei Verhandlungen oder vor Gericht keine eigenen Schriftdokumente, auch weil seine Frau die zwischen ihr und Al während seiner Haftzeit ausgetauschten Briefe bewusst vernichtete. Eine Autobiografie aus der Hand eines Ghostwriters, mit der er das kritische Bild über sich in der ersten, schon 1930 erschienenen Biografie korrigieren wollte, kam wegen Differenzen in der Konzeption nicht zustande. Sein an der historischen Statur des französischen Kaisers Napoleon orientiertes Selbstverständnis – er hatte dessen Biografie während der Haft gelesen – war nicht vermittelbar. Ersten Filmen mit Bezug auf seine Lebensgeschichte gab Al Capone noch vor seiner Verurteilung und Haft sein Plazet. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er posthum durch das entstehende Genre des Gangsterfilms zum prominenten Sujet der amerikanischen Kulturindustrie, die in zahlreichen Varianten den anfänglichen Spagat zwischen Heroisierung einerseits und Ablehnung der Gewalt andererseits aufgab und die Lust an spannender Action etwa in den unter der Regie von Brian de Palma gedrehten Streifen Scarface (1983) oder Die Unbestechlichen (1987) mit Sean Connery und Robert de Niro in den Vordergrund rückte. Gemeinsam war diesen Bearbeitungen das durchgängig mit Al Capones Leben verbundene Thema der Diskriminierung und Kriminalisierung italienischer Amerikaner, wobei die Darstellung des amerikanischen Traums mit dem organisierten Verbrechen verschränkt wurde. Beispiele von Anleihen aus Capones Leben und Wirken in der Hip-Hop-Musik, in Videospielen und kulturellen Veranstaltungen verweisen auf die kreative Energie und Imagination unterprivilegierter und unterrepräsentierter Gruppen nicht nur in der amerikanischen Gesellschaft, sondern weltweit. Gleichzeitig wird im akademischen Bereich der kulturgeschichtliche und politische Kontext der Entstehung einer Parallelgesellschaft anhand von Al Capones mit kriminellen Mitteln erreichten Wirtschaftsimperiums untersucht. Ein Kurs an der Harvard Business School analysiert die marktwirtschaftliche Struktur der Capone-Organisation, und der amerikanische Juristenverband veranstaltet als Mock Trial eine Wiederholung des Strafprozesses wegen Steuerbetrugs.

National und international ist das Phänomen Al Capone insbesondere in jüngster Zeit für die Analyse aktueller Ereignisse genutzt worden. So sind die durch die Pandemie des Coronavirus verfügten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 8. November 2020 mit den durch die Prohibition erlassenen Verboten und kreativen Möglichkeiten des Umgehens persönlicher Restriktionen mit illegalen Aktivitäten Al Capones verglichen worden. Diese Vergleiche betreffen auch das politische System der Demokratie und den Ablauf demokratischer Prozesse. Durch die Kollusion von korrupten Politikern mit Al Capones Organisation und anderen Gangs in Chicago wurden vor allem die Wahlen durch Betrug im Sinne der Gesetzesbrecher verändert. Dies führte schließlich dazu, dass Aufgaben des Staates nicht mehr von den zuständigen Gremien ausgeführt werden konnten, sondern von Vertretern des organisierten Verbrechens übernommen wurden. Durch die Organisation von Suppenküchen für die arme Bevölkerung nach dem Börsenkrach in der Weltwirtschaftskrise konnte sich Al Capone als Wohltäter der Menschheit feiern (lassen), der seine italienischen Landsleute zudem bei der Verwirklichung ihres amerikanischen Traums unterstützte. Donald Trumps erklärte politische Außenseiterrolle und seine damit gerechtfertigte Intention einer Disruption der Demokratie schließt die auch von Capone praktizierte Konstruktion einer auf Lügen basierenden alternativen Realität, die Skepsis gegenüber Wahlen, den Vorwurf des Wahlbetrugs und die Forderung nach Straffreiheit ein. Nicht von ungefähr konnte Trump 2016 im Wahlkampf in Iowa behaupten, dass er jemanden auf der Fifth Avenue in New York erschießen könnte, ohne dadurch einen einzigen Wähler zu verlieren. Es verwundert nicht, dass amerikanische Journalisten ihn wie Capone als „mobster“ bezeichnen, der wie ein Mafiaboss redet (Bogart 2021).

Die Aufgabe, eine Biografie über Al Capone zu schreiben, begegnet vielen Schwierigkeiten. Durch das Fehlen exakter Dokumente über sein Leben und seine Geschäfte müssen viele Bezüge und Entwicklungen kontextuell erschlossen werden. Darstellungen aus dem Kreis von Verwandten können durch Fehlleistungen der Erinnerung von direkt betroffenen Familienmitgliedern, wie seiner Frau Mae, seinem Sohn Albert Francis, genannt Sonny, und dessen Frau Diana Ruth Casey beeinträchtigt oder bewusst zur eigenen Selbstdarstellung und für kommerzielle Zwecke erdacht sein. Eine weitere Fehlerquelle liegt in der Vielzahl der vorhandenen historischen und biografischen Behandlungen sowie wissenschaftlichen Untersuchungen, die von unterschiedlichen Fakten zum Ablauf der Karriere oder des privaten Lebens von Al Capone ausgehen. In der Folge ist eine Reihe von Mythen entstanden, die sich wildwuchernd fortpflanzen und zum Gegenstand einer damit florierenden Kulturindustrie geworden sind, in der die Welt des organisierten Verbrechens das Hauptthema darstellt. Der Ausgangspunkt meiner Sicht auf Al Capone ist die Darstellung seines Lebens aus der Perspektive der durch seine süditalienische Abstammung in der zweiten Einwanderergeneration gekennzeichneten Stellung als Außenseiter, der durch die Realisierung des amerikanischen Traums seinen persönlichen Aufstieg und seinen Einstieg in die amerikanische Gesellschaft erreichen will. Die durch Ausschlussmechanismen der etablierten Wirtschaftselite bestehenden Widerstände führen unter den besonderen historischen Verhältnissen der 1920er-Jahre zu unentschuldbaren Kapitalverbrechen und seinem Ruf als Gangsterboss, hinter dem durch die öffentliche Wahrnehmung der Mensch verschwindet. Es stellt sich die Frage, inwiefern bessere Bedingungen bei der Eingliederung in die bestehenden Strukturen der Gesellschaft solche kriminellen Fehlentwicklungen und das Entstehen von kriminellen Clans des organisierten Verbrechens hätten verhindern können. Die aktuelle Abschottung von unwillkommenen Migranten in den USA ebenso wie partiell in Europa zeitigt ähnliche Verhaltensweisen, die durch eine ernstgenommene Inklusion von Diversität gesteuert werden könnten.

Die Fertigstellung dieser Biografie verdanke ich dem Zusammenwirken zahlreicher Faktoren und geschichtlicher Konstellationen. Vor allem wurden die vorliegenden Untersuchungen und Bearbeitungen kritisch gesichtet und in der Darstellung berücksichtigt. Als besonders aufschlussreich und aktuell haben sich Deirdre Bairs Biografie Al Capone: His Life, Legacy, and Legend (2016), die Erinnerungen von Capones Frau in der Aufzeichnung ihrer Enkelin Diane Patricia Capone (2019) und die historische Studie von John J. Binder, Al Capone’s Beer Wars: A Complete History of Organized Crime in Chicago during Prohibition (2017) erwiesen. Die von Mario Gomes eingerichtete und ständig aktualisierte Internet-Seite „My Al Capone Museum“ ist ein unerlässlicher Quellenschatz von Text- und Bildmaterial für alle Capone-Interessierten. Alle aus diesen amerikanischen Quellen zitierten Texte von und über Al Capone wurden von mir übersetzt. Bei der Konzeption der Biografie konnte ich auf die Ergebnisse des seit vielen Jahren in der Amerikanistik am Obama Institute for Transnational American Studies der Johannes Gutenberg-Universität betriebenen Forschungsschwerpunktes „Life Writing“ und die dort erarbeiteten Studien zu allen Formen von Lebensbeschreibungen in verschiedenen Medien zurückgreifen. In diesem Rahmen habe ich für besonders motivierte Studierende des neu eingerichteten Q-Studiengangs eine Lehrveranstaltung über das Schreiben einer Biografie von Al Capone abgehalten und von den Ideen und Überlegungen der TeilnehmerInnen, besonders von Max Dreysse, Philip Knauf und Alessandra Russello, profitiert. Bei den Recherchen konnte ich mich auf die fachkundige Mithilfe von Heather Marie Trosclair, Neslihan Bulut ebenso wie auf Dr. Joy Katzmarzik verlassen, die zudem das gesamte Manuskript editorisch begleitet, zur Auswahl der Illustrationen wesentlich beigetragen und den Index erstellt hat. Bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft hat Frau Jasmine Stern, zeitweise von Frau Sophie Dahmen unterstützt, dieses Projekt von Anfang an betreut und zusammen mit Herrn Johannes Klemm durch die verschiedenen Stadien der Produktion wesentlich gefördert. Das gründliche Lektorat von Dr. Mechthilde Vahsen und die wertvollen Vorschläge haben wesentlich zur Verbesserung der Darstellung beigetragen. Allen diesen hilfreichen Personen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Frau Prof. Dr. Beate Neumeier und unserem Sohn Alexander, ihrer kritischen Lektüre, ihren zahlreichen Ideen und ihrer steten Unterstützung während der Abfassung des Manuskripts, ohne deren Hilfe diese Biografie in der vorliegenden Form nicht erschienen wäre.

Al Capone

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