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Angelita war längst gegangen, hinaus in den triefenden gelben Nebel der Londoner Januarnacht. Sie duldete nicht, daß er sie begleitete.

»Wir müssen vorsichtig sein, so lange ich die Herzogin Breton de Los Herreros bin«, lächelte sie traurig zum Abschied. »An der nächsten Ecke finde ich sicher eine Taxi – nein, laß keine holen.«

Sie war gegangen. Die düstere Bibliothek war wieder leer und stumm, wie sie seit Jahren gewesen war. Doch anders – anders. Ihr Odem lebte zwischen den dunklen Wänden. Es war nicht mehr die Verzweiflungsstätte eines vergrämten, verlassenen Mannes, der sich heimlich in Sehnsucht und in spukhafter Erinnerung eines furchtbaren blutigen Tages seiner Vergangenheit aufrieb und zerfleischte. Die Gnade seines Lebens hatte nun dieses Zimmer, dieses Totenhaus geweiht und verklärt. Alles war anders geworden, geheiligt und neu belebt.

Rutland saß wieder an dem Schreibtische vor den Papieren und Akten seines »Werkes«. Sein Gesicht war gelöst, die Schultern zuckten. Der Panzer seiner Züge und seiner Brust war geborsten. Er fühlte und wußte, hatte es voll Ohnmacht in jeder Sekunde ihrer Gegenwart empfunden, wie leblos, kalt, brutal und engstirnig er ihrem großen heißen Frauentume gegenüberstand und ihrer rückhaltlosen freien Menschlichkeit. Er schämte sich seiner schmerzlichen Unzulänglichkeit. Es war ihm unmöglich gewesen, gleich durch die eiserne Schicht – hart wie die Stahlplatten, die sein Werk fabrizierte —, die sein Gefühlsleben umpanzerte, hindurchzudringen. Er bekannte sich, daß er klein gewesen war, ihrer Größe, ihrem großzügigen Allesgewähren gegenüber – damals in Japan und heute wieder.

Alle diese Jahre in diesem Hause hatte er nur dieses Wiedersehen erharrt, nur ihm gelebt, ohne Hoffnung, daß es je Wirklichkeit werden könne —, und als sie gekommen war, hatte die leichenhafte Vergangenheit wieder über die lebensvolle Gegenwart triumphiert.

Er erhob sich und durchmaß den Raum.

Sie hatte den Weg gewiesen. Er wollte ihn gehen.

Er wollte beichten, ihr alles bekennen und erklären.

Es würde für ihn eine Befreiung sein und für sie ein Begreifen. Ein tragisches, vielleicht vernichtendes. Sie würde dann einsehen, daß von allen Menschen dieser Erde er am unfähigsten war, in eine fremde Ehe hineinzugreifen, er am wenigsten dazu berechtigt war, ja, daß er vor sich und seinem Gewissen ein Recht auf Leben nur beanspruchen konnte, wenn ihm die Ehe das unantastbarste Heiligtum unter allem Heiligen dieser Welt war. Das würde sie dann begreifen und erkennen und sein lähmendes, entmannendes Entsetzen vor jedem leidenschaftsbetäubten Tasten an fremde Eherechte verstehen und nachempfinden.

Ja, heute konnte er darüber sprechen. Heute vielleicht doch. Damals, in Tokio, stand er diesem eben erst erlebten Grauen noch zu nahe, damals bluteten noch alle Wunden. Doch jetzt lag das alles weit zurück, vieles war vernarbt. Jetzt wollte er ihr alles erläutern, erklären und bekennen. —

Als Angelita in ihr Haus in Halkin Street, dicht hinter dem Schloßgarten des Buckingham-Palace, zurückkehrte, das sie mit allem Zierat und aller Behaglichkeit von dem Amtsvorgänger des Herzogs übernommen hatten, erwartete Breton sie bereits voller Eifersucht und schäumender Ungeduld.

Sonst vermißten die Eheleute einander nicht, lebten fremd und unbeteiligt Seite an Seite dahin. Doch heute abend hatte der Herzog bei der Rückkehr von dem Chef nach seiner Gattin gefragt. Er hatte seine triftigen Gründe.

Der Botschafter hatte seinem Ersten Rate nahegelegt, seine Besuche in der diplomatischen und gesellschaftlichen Welt möglichst zu beschleunigen, die Gegenvisiten würden sicher umgehend erfolgen, dann sollten er und die Herzogin ihre erste Festlichkeit veranstalten, um rasch in London und der »Society« warm zu werden.

Aber dieser Wunsch des Botschafters, der ein Befehl an seinen Untergebenen bedeutete, hätte nicht unbedingt eine Aussprache der Ehegatten zu dieser Abendstunde erfordert. Im Laufe der politischen Debatte, die, nach diesem gesellschaftlichen Wink, zwischen den beiden spanischen Edelleuten einsetzte, überreichte der Chef dem Herzog ein Schreiben des Außenministers in Madrid, das wichtige diplomatische Anweisungen enthielt.

»Lesen Sie es ruhig«, lächelte Seine Exzellenz, »wenn sich auch einige Bemerkungen über Ihre Gattin und Sie darin finden.«

Breton las das umfangreiche amtliche Schreiben.

Er lächelte geschmeichelt bei dem Passus: »Sie werden an dem Herzog eine vortreffliche Stütze finden. Er dürfte unser bester kommender Mann und Diplomat sein.«

Er las mit Gleichgültigkeit die Worte: »Die reizende, geistvolle und intelligente Herzogin ist sicher ein Gewinn für unsere Vertretung in London. Sie dürfte neben Ihrer hochverehrten Gattin, liebe Exzellenz, die weibliche Anmut und Schönheit Spaniens vorteilhaft vertreten.«

Er stutzte und beherrschte sich, wie er, der hervorragende Diplomat, sich überall beherrschte, außer in seinem Hause, außer seiner Frau gegenüber – ein Gehenlassen, eine Art Ausgleich, den er mit vielen Männern des öffentlichen Lebens teilte, als ihm aus diesem Briefe die Enthüllung einer kleinen politischen Intrigue entgegen sprang.

»Übrigens wird die Duquesa sich in London sicher sehr wohl fühlen. Denn sie ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Mutter der Idee, Breton nach London zu schicken. Wir hatten ihn wegen seines früheren längeren Aufenthaltes in Japan und der dort gesammelten Erfahrungen eigentlich für den ersten Posten in Tokio bestimmt. Aber que femme veut, dieu le veut.

Seine Majestät bestimmte Breton für London – auf eine Anregung der Herzogin hin. Sie hatte auch mir davon gesprochen in ihrer feinen unmerklich verführerischen Art. Ich hatte, wie gesagt, andere Pläne. Auf einem Ball im Stadtschlosse ehrte der König sie durch eine Ansprache.

Sie äußerte den Wunsch, nach London zu gehen. Und Seine Majestät in seiner gütigen Ritterlichkeit sagte zu. Nun, liebe Exzellenz, auch in London können wir tüchtige Leute brauchen.«

Der Herzog verzog keine Linie seines markanten schmalen altaristokratischen Gesichtes.

»Ich wollte gern noch einige Zeit unter Ihrer bewährten Schulung arbeiten, Exzellenz, ehe ich die Verantwortung eines so wichtigen leitenden Postens übernahm«, log er gleisnerisch. »Meine Frau hat nur meinem Wunsche Ausdruck verliehen.« Und ging überlegen zur Erörterung der politischen Anregungen des ministeriellen Schreibens über.

Doch in ihm bohrten und schwärten die verräterischen Worte des Leiters der auswärtigen Angelegenheiten des Königreiches.

Also sie hatte diese überraschende, ihm bisher unverständliche, seine Laufbahn hemmende und verzögernde Mission nach London verursacht! Seine Eifersucht brannte in seinem Gemüte wie Salzsäure im weichen Fleische. Denn das wußte er sofort, daß hinter dieser politischen List ein Mann stand. Ein Mann, der sie nach London lockte.

Er liebte Angelita nicht. Hatte sie nie geliebt. Es war für ihn eine spanische Konvenienzehe gewesen. Weiter nichts.

Die Breton de Los Herreros waren ein uraltes, aber armes Geschlecht. Ein Breton war schon in der Schlacht von Xeres de la Frontera ruhmreich gefallen, jenem Kampfe, der den Arabern die Herrschaft in Spanien sicherte. Es waren Haudegen gewesen und tüchtige Staatsmänner, doch keine guten Kaufleute und Erwerber. Selbst jener Breton, der Pizarro in das Goldland Peru begleitet hatte, kehrte – fast als einziger – arm, wie er hingezogen war, in das Vaterland zurück.

Angelita war die Tochter des Fürsten Olbrich Oybin aus einem alten deutschen, ehemals reichsunmittelbaren Geschlechte, das im Rheinlande wertvolle Kohlengruben und Montanwerke besaß. Da ihm auch reiche Silber- und Erzminen in den Pyrenäen gehörten, waren von alters her die Beziehungen der Oybin zu Spanien eng und gepflegt gewesen.

Fürst Olbrich hatte im Verfolg dieser spanischen Verbindung eine Tochter des andalusischen Hochadels, die Condesa Geronima de la Matanza heimgeführt. Reichtum gesellte sich zu Reichtum. Die Matanza hatten fast zur gleichen Zeit, zu der jener Breton arm wie ein Pilger aus Peru heimgekehrt war, in der Havanna vorsichtiger für sich und ihre Nachkommen gesorgt. Sie gehörten noch heute zu dem begütertsten Adel des Landes.

Doch aus den Tagen der Maurenherrschaft haftete diesem Geschlechte ein Makel an. Don Ruiz de la Matanza hatte aus dem feenhaften Lustschlosse Abdul Raman III., aus Medina-Az-Zahra zu Cordoba, diesem Märchen aus Elfenbein und Ebenholz, eine Tochter des großen und weisen Kalifen entführt. Trotz der dreitausendsiebenhundert Pagen und zwölftausend Eunuchen, die seine sechstausend Lieblingsfrauen bewachten. Seitdem strömte das orientalische Blut der Omajjaden in den altspanischen Adern der Grafen de la Matanza.

Nach der Vertreibung der Araber aus dem Lande im Jahre 1492 war dieser fremde Einschlag ein Schönheitsfehler des Stammbaumes geworden, doch nicht seiner Früchte. Er gab den Frauen dieses Geschlechts die sehnsuchtsvollen heißen Augen, den dunklen Elfenbeinhauch der Haut, die hemmungslose Glut der Sinne und Gefühle. Er verlieh ihnen die Schönheit zweier schöner Stämme. In Angelita, der Tochter dieser schönen Mutter, kreuzte sich die dritte Rasse, die deutsche.

Ramon Breton de Los Herreros heiratete die Prinzessin Angelita Oybin bewußt wegen ihres Geldes. Die diplomatische Laufbahn fordert Reichtum. Er war ein ehrgeiziger, zielbewußter Streber schon als Zwanzigjähriger. Er sah Angelitas bizarre Schönheit. Sie lockte ihn nicht. Ihre Intelligenz war ihm eher peinlich. Seine eigene Klugheit genügte ihm. Mit dieser anspruchsvollen Gabe war er selbst hinlänglich versehen. Durchtränkt von einem durch lange Generationen genährten Familiendünkel und Adelsstolz war er einer der Wenigen, die heute noch das Araberblut in seinem Weibe als Makel kannten und empfanden. Er sah auf sie von Anfang an, ob dieser uralten Rassenmischung, etwa mit jener törichten Verachtung herab, die ein hundertprozentiger Yankee gegen den Abkömmling eines Negers hegt.

Er brachte mit dieser Heirat seinem Ehrgeiz und seiner Karriere ein schweres Opfer. Doch er brachte es, weil sich ihm just keine andere gleich reiche Partie bot.

Angelita liebte den Bewerber, den sie bei einem Besuch ihrer mütterlichen Verwandten in Spanien kennenlernte.

Sie sah nur den Mann mit den bedeutenden Zügen und der schillernden Klugheit. Er war damals sechsundzwanzig und hatte bereits einen gewissen Ruf als junger Attaché in Berlin erworben. Die Liebe blendete sie noch. Sie sah nicht seine Fehler, seine einseitige Beschränktheit, ahnte nichts von der Kühle seines überalterten Blutes.

Den Eltern war die Heirat in jeder Hinsicht willkommen.

Das erste Jahr ihrer Ehe bekehrte Angelita zur erbitterten Feindin ihres Mannes. Bald nach der Hochzeit, die mit vielem Pomp in Mühlheim gefeiert wurde, erhielt der Herzog den Posten des Dritten Sekretärs an der Botschaft in Tokio.

Dort war sie seiner Willkür preisgegeben, fern der deutschen Heimat, den Eltern, ihren Beziehungen. Sehr bald erkannte sie mit Erschütterung seine eisige, egoistische Natur und seine Grausamkeit der lateinischen Rasse. Auch seine leise Verachtung. Ihr stolzes Gemüt empörte sich. Hinzu kam, daß er sie als Weib vernachlässigte. Er war ein Gehirnmensch ohne Sinne —, entartet in jahrhundertlangen Ehen im engsten Kreise verwandten Hochadels. Ein geschlechtlich müder, erloschener Mann.

Als er sie kaum zum Weibe erweckt hatte, erstarb sein matt aufgeflackertes Verlangen. Sie verlor für ihn jede Lockung. Als Mann trennte er sich von ihrem Leben. Sie staunte, begriff nicht, zögerte lange, ehe sie ihn über sein Meiden befragte.

»Ich habe wichtigere Dinge im Kopf als diese Cochonnerien«, entgegnete er verächtlich.

Sie schwieg, litt und entbehrte. Aus ihrer Unzufriedenheit erwuchs Entfremdung, bald Feindschaft und Haß.

Und dann trat John Rutland in ihr Dasein. Da forderte sie von dem Herzoge ihre Befreiung. Er schob ihr Ansinnen auf den Einfluß der entnervenden feuchten Hitze des Landes. Vielleicht aus wahrer Überzeugung, vielleicht aus Diplomatie. Seinem spanischen, stockkatholischen Adelstick dünkte eine Scheidung eine irre Unmöglichkeit des Standes und des Glaubens.

Er hatte indessen auch sehr weltliche Gründe, eine Scheidung seiner Ehe weit von sich zu weisen. Jeder Familienskandal mußte seiner diplomatischen Laufbahn nachteilig werden. Und dann – mit Angelitas Trennung von ihm verlor er ihr reiches eingebrachtes Gut. Was wurde dann aus seiner kostspieligen Karriere? Er hatte diese »Araberin« aber nicht auf seinen erlauchten Stammbaum gepfropft, um nach einem Jahr wieder vermögenslos dazustehen. Caramba!

So tat er ihr Verlangen nach Scheidung als Wahnwitz ab.

Doch ihre Forderung hatte seine Eifersucht aufgestört. Keine Eifersucht auf ihre Liebe und ihre Person. Auf beides legte er minderen Wert. Doch Eifersucht auf seine Ehre und seinen Namen. Diese Idole bedeuteten ihm neben seiner Karriere, mit der sie eng verknüpft und verwoben waren, die höchsten Kostbarkeiten seines Lebens. Aus dieser Anbetung erwuchs auch seine bebende Angst vor dem Skandale.

Seine Eifersucht war mit einem guten Teile Furcht vor Hahnreitum und Schande vermischt. Er war zu klug, nicht zu wissen, daß die treibende Kraft bei dieser Revolte seines Weibes eine Liebe war. Er begriff, daß eine Frau ihre Freiheit nur begehrt, um sie einem anderen zu schenken. Er suchte den Nebenbuhler. Rutland traf sein forschender Argwohn nicht. Ein einfacher Dolmetscher stand für seinen Grandenhochmut viel zu tief, um bemerkt zu werden. Er suchte unter den Kollegen der anderen fremden Missionen. Und suchte vergebens.

Später, in Spanien, ging seine Unrast zur Ruhe. Angelita erschien ergeben und gefügig. Aber heute abend hatte die Bemerkung im Briefe des Ministers die alte Furcht und Eifersucht sehr unsanft aufgerüttelt.

Als er heimkam und Angelita nicht antraf, erhielt sein Verdacht seine Bestätigung. Jetzt war ihm alles klar. Von damals, von Japan her, schlug sich die Brücke herüber nach England. Diese langjährige Ruhe und Ergebenheit war nur schlaues Abwarten und trügerischer Schein gewesen. Brieflich war sie mit dem Halunken in Verbindung geblieben. Wer war es? Natürlich einer, der damals in Tokio gewesen war. Wer von diesen Männern war jetzt in London? Er riß die diplomatischen Jahrbücher aus den Schränken, suchte, prüfte, verglich.

Da klingelte es unten. Er horchte. Sie kam. Ging die Treppe hinauf zu ihren Zimmern. Er öffnete die Tür seines Arbeitsraumes, der im Zwischenstock lag. Er machte nur eine stumme, herrische Bewegung mit dem dunklen Spanierkopfe.

Sie blieb stehen.

»Was wünschst du?« fragte sie kalt.

»Ich habe mit dir zu sprechen«, entgegnete er schroff.

»Jetzt?«

»Jetzt!«

Sie trat in das Arbeitszimmer und lüftete den Pelz von den Schultern.

»Wo warst du?« fuhr er sie grob an und starrte ihr mit seinen harten, undurchsichtigen schwarzen Augen spionierend ins Gesicht.

Da schien es ihm, als sehe er an ihr eine nicht zu deutende, doch ganz unverkennbare Veränderung. In den Augen schimmerte etwas Neues, das er seit Jahren nicht an ihr gesehen hatte. Ein weißer Funke des Glückes, ein Glanz an Stelle der stumpfen Trauer, die immer wie ein Flor die bläulichen Augäpfel umhüllt hatte, funkelte ihm entgegen.

Sie setzte sich und warf den Pelz mit einer harmlos tuenden, graziösen Bewegung in den Nacken.

»Wo warst du?« wiederholte er scharf.

»Spazieren«, erwiderte sie nachlässig.

»Spazieren? Jetzt, um halb elf, läufst du spazieren? In diesem eiskalten Nebel?«

»Gerade das Ungewohnte des Nebels hat mich gelockt.«

»So!«

»Ja. Ich weiß aber wirklich nicht, mit welchem Recht du mich hier verhörst.«

Sie stand auf und ging auf die Tür zu.

Er packte ihr rechtes Handgelenk und riß sie zurück.

»Hiergeblieben!« wetterte er, »wir sind noch lange nicht zu Ende.«

Sie suchte sich zu befreien. Er preßte ihr Gelenk fester in aufschäumender Wut, jenem Gefühlsüberschwang, den er sich in seinen vier Wänden gestattete, als Gegengewicht gegen die Beherrschung, die sein Beruf von ihm heischte.

»Du tust mir weh«, ächzte sie und rang, ihre Hand aus seinem schmerzenden Griffe zu lösen.

»Ich werde dir noch ganz anders weh tun«, keuchte er, »ich werde dich – erwürgen werde ich dich, wenn du mich öffentlich blamierst.«

»Ich blamiere dich nicht öffentlich.«

»So?« Er schwenkte sie um ihre Achse. Sie schrie auf vor Schmerz. Dann erwachte der Stolz ihrer dreifachen Abstammung in ihr.

»Laß mich sofort los!« drohte sie, »oder —«

»Oder?« fragte er verächtlich.

»Ich verlasse noch heute nacht dein Haus.«

»Um zu deinem Galan zu laufen?« höhnte er.

Doch er ließ sie los.

Sie ging wieder auf die Tür zu. Er vertrat ihr den Weg.

»Ich begreife durchaus«, spottete er ruhiger, »daß du dieser Erörterung entgehen möchtest. Leider kann ich deinen Wunsch nicht so rasch erfüllen. Ich ersuche dich um Aufklärung, warum du hinter meinem Rücken intrigiert hast.«

»Ich habe nicht hinter deinem Rücken intrigiert!«

»So?! Und wer hat den Minister des Äußeren und den König um meine Versetzung nach London gebeten?«

Es war in Madrid durchaus nicht üblich, den Missionsmitgliedern Gründe ihrer Verwendung im Auslande anzugeben.

Auch diesmal hatte der Herzog den Anlaß seiner Berufung nach London nur durch die harmlose zufällige Indiskretion des Gesandten erfahren.

Der Schlag traf Angelita daher völlig überraschend und unvorbereitet. Doch sofort faßte sie sich. Wie allen Frauen, gab der Kampf um ihre Liebe auch ihr gesteigerte Fähigkeiten.

»Ich habe nicht um diese Versetzung nach London gebeten«, sagte sie mit einem verächtlichen Ton auf dem letzten Worte. »Ich habe lediglich, als Seine Majestät und der Minister in einem Gespräche andeuteten, wir würden nun wohl bald Madrid verlassen, geäußert, ich würde mich freuen, wenn das Ziel deiner neuen Entsendung England wäre.«

»Weshalb?« hieb Breton ihr entgegen.

»Weil ich England liebe.«

»Auf einmal? Merkwürdig! Von dieser großen Liebe habe ich bisher nie etwas gemerkt.«

»Du hast sehr vieles an mir bisher nicht bemerkt«, entgegnete sie bitter und anzüglich.

Der Herzog überging diesen peinlichen Vorwurf. Er bog ab.

»Du willst mir einreden«, höhnte er, »eine Frau liebe jemals ein Land, ein Volk?«

»Ich habe nicht den Ehrgeiz, dich zu einem Sachverständigen in Dingen der Frauenpsyche zu machen«, antwortete sie und zuckte die Achseln.

»Mag sein. Jedenfalls weiß ich, daß eine Frau ein Land immer nur liebt – wegen eines Mannes, der diesem Lande angehört oder sich dort aufhält.«

»Du überraschst mich durch deine tiefe Frauenkenntnis«, lächelte sie überheblich.

Ihr Lächeln reizte ihn aufs neue. »Ich weiß auch, wer dieser Mann ist, um dessentwillen du England so explosiv liebst«, schrie er.

Sie fühlte, wie sie erblaßte. Bot alle Kraft ihres starken Willens auf, unberührt zu erscheinen. »Ich bin sehr neugierig«, sagte sie, und es gelang ihr, der Stimme ihren natürlichen, gleichgültigen Klang zu geben.

»Es war nicht sehr schwer, das herauszufinden«, bekannte er herablassend. »Ich brauchte nur festzustellen, wer von den Männern, die jetzt in London sind, damals in Tokio waren, als du an mich jene wahnsinnige Forderung wagtest.«

Da schwieg sie. Ihre mühsam errungene Sicherheit war plötzlich entwurzelt. Er wußte alles!

Doch jetzt überkam sie der Trotz der Liebe. Mochte er wissen! Desto besser. Desto rascher die Entscheidung. Sie verlor jede Vorsicht. Kämpfte nun mit offenem Visiere.

»Du hast wahrhaftig keine Ursache, dich zu wundern und den Moralhelden zu spielen, wenn ich dir untreu würde«, rief sie in weißglühender Empörung.

»Ich habe keine Ursache?!«

Ihr halbes Geständnis warf ihn über den Haufen.

»Weiß Gott nicht!«

»Was sagst – du – da?!« stammelte er.

Er hatte in Wahrheit doch nicht an einen Grund seiner Eifersucht geglaubt, trotz aller großen grimmigen Worte.

»Ich sage, daß ich ein Recht habe, dich zu betrügen«, erwiderte sie kühn.

»Ein Recht?!« fauchte er. »Welches Recht?!«

»Soll ich dir das erst erläutern?« rief sie außer sich.

»Bitte!«

Da brach sie aus. »Seit sechs Jahren bin ich nicht mehr dein Weib.«

»Mein Weib nicht«, rief er betont, »aber die Herzogin Breton de Los Herreros bist du.«

»Darauf pfeif ich!«

Vor ihrer Heftigkeit wurde er beherrscht.

»Du ergehst dich in Ausdrücken einer Frau aus der Hefe des Volkes«, tadelte er hochmütig.

»Es scheint eben auch alte Geschlechter zu geben«, spottete sie, »die noch nicht ganz degeneriert und verbraucht sind – deren Mitglieder noch das rote Blut, den Saft und die Kraft einer Frau aus der Hefe des Volkes haben.«

Die Parade entwaffnete ihn. Des Herzogs bewegliches Südländergesicht erstarrte. Es dauerte einige Zeit, bis er das innere Gleichgewicht und die Sprache wiedergewonnen hatte.

»Du suchst deine Schuld hinter Pöbeleien zu verstecken«, verwies er mokant. »Ich nehme das nicht so tragisch. Beleidigen kannst du mich nicht. Es ist die Semitin, die aus dir spricht.«

Sie lachte heiser auf. »Eine temperamentvolle kleine Prinzessin muß sie gewesen sein, diese Omajjadin, daß sie nach sechshundert Jahren noch so lebendig aus mir spricht. Schade, daß ihr Bretons nicht auch eine so ausgiebige Ahnfrau gehabt habt!«

Ohne auf ihren Spott zu achten, fuhr er fort: »Aus dir höhnt nur dein ohnmächtiger Zorn, daß ich hinter deine Schliche gekommen bin. Aber das sage ich dir: merke ich die geringsten Beziehungen zwischen dir und diesem Laffen Lord Hastings —«

Sie horchte auf. Er mißverstand das jähe Heben ihres Kopfes.

»Ja, ja, Lord Hastings! Ich habe wohl gemerkt, wie er sich in Tokio um dich bemüht hat. Jetzt ist er hier im Auswärtigen Amt. Ich durchschaue euch. Aber wehe dir, wenn ich das Geringste zwischen euch merke. Dann töte ich dich und ihn. Wenn meine Karriere zum Teufel gehen soll, zertrete ich sie selbst, ehe du mich der Lächerlichkeit preisgibst und sie mir verdirbst.«

Sie hörte kaum noch seine Worte. In ihr jubelte es, alles andere übertönend.

Er war auf falscher Fährte!

Alles war gerettet. Alles war gut. Verwegen, wie ihr Ahnherr, der Räuber der schönen Kalifentochter, hielt sie ihn auf der unrichtigen Spur.

»Hüte dich!« – warnte er noch einmal ernst und schicksalsschwer.

Sie lächelte ihn keck an. »Lord Hastings ist ein – Mann. Und eine Frau aus der Hefe des Volkes kann man nicht durch leere Drohungen einschüchtern«, warf sie ihm hochfahrend über die Schultern zu und ging hinaus.

Alarm

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