Читать книгу He - einmal Probeliegen bitte... und 562 Jahre und kein bisschen weise - Alina Frey - Страница 3
He – einmal Probeliegen bitte…
Оглавление„Also Frau Wagner“, begann Dr. Franzen und setzte sich auf das Bett seiner Patientin. „Wir müssen ein ernstes Wörtchen reden!“ Mary Wagner, eine rüstige Neunzigjährige, versuchte sich aufzurichten. „So schlimm Herr Doktor? Wie lange noch?“ Dr. Franzen lachte und sagte beruhigend: „Gar nicht schlimm, nur notwendig! Sehen Sie Frau Wagner, Sie haben Ihre Krankheit gut überstanden. Fast wären Sie auch ausgetrocknet – auch das haben wir in den Griff bekommen. Ich bin daher der Meinung, Sie sollten Ihr Haus verkaufen und in ein Seniorenheim gehen. Dort sind Sie in guten Händen und es ist immer jemand für Sie da.“ Die sonst sehr friedliche, alte Dame ist entrüstet: „Ne, ich lass mich doch nicht abschieben. Komme gut alleine zurecht…glauben Sie mir das, Herr Doktor!“ „Nana, Frau Wagner, niemand will Sie abschieben! Es wäre das Beste für Sie!“ Frau Wagners Gehirnzellen arbeiteten auf Hochtouren: „Ich überlege es mir noch und wenn, nur zur Probe!“ Der Doc nickte einverstanden: „Braves Mädchen“, murmelte er leise. Die alte Dame lehnte sich zurück und dachte angestrengt nach. Wie war das damals, als Lisa noch lebte? Sie beide schmiedeten Pläne fürs Alter, wollten gemeinsam ins Altenheim gehen. „Ja, Lisa“, murmelte sie vor sich hin, „wieso musstest du so früh den Löffel abgeben?“ „Ja Super… war nicht meine Idee - beschwere dich an anderer Stelle“, kam Lisas lakonische Antwort. Die alte Dame seufzte: „OK, mache ich den Test…aber du gehst mit Lisa, einverstanden?“ „Hab ich eine andere Wahl?“ Die alte Dame kicherte los: „Ne, hast du nicht, es war so ausgemacht!“ Zufrieden lehnte sie sich zurück. Wenn es also so sein muss, werden wir den Laden dort eben auf Trab bringen. Nicht umsonst nannte man sie Oma „Gagga“. Auch murmelte man so hinter der Hand, dass sie nicht alle Schrauben im Getriebe habe. Das war natürlich alles nur Tarnung. Ihre Vorliebe für Zigarillos, Whisky und Pornohefte gefiel auch nicht jedem aber darum scherte sie sich einen Dreck. Mit ihrer imaginären Freundin Lisa im Gepäck eckte sie überall an. Ok, sonst war keiner mehr da, alle waren bereits im Jenseits. Nach einer Woche wurde Oma „Gagga“ entlassen und fuhr mit einem Taxi in ihr Häuschen. Wehmütig sah sie sich um, das sollte sie jetzt alles aufgeben? Vorerst würde sie das Häuschen nicht verkaufen. Erben gab es keine, also würde das Haus irgendwann an den Staat fallen. Aber soweit war es noch nicht. Dr. Franzen hatte ihr bereits einen Platz im Seniorenheim besorgt und so blieb ihr nur noch das Packen einiger Habseligkeiten. Erfreulicherweise durfte sie einige Möbel mitnehmen die man gleich abholen würde. Abwartend und stocksteif saß Oma „Gagga“ auf einem Stuhl in der großen Halle des Seniorenheimes. „Irgendjemand sollte mich hier mal abholen und mir meine Gemächer zeigen“, dachte sie unwirsch. „Einen Whisky und eine Zigarillo könnte ich jetzt dringend gebrauchen!“ Sie klemmte den Koffer fest zwischen ihre Knie und rückt an ihrer bunten Strickmütze, schob ihre dicke Hornbrille zurecht und rief ungehalten: „Bedienung…!“ Nix! „Herr Ober…Bedienung…!“ Wieder nix! „Was ein Scheißpersonal“, dachte sie frustriert. „Pst, leise bitte! Sie sind hier in einem Seniorenheim…nicht in einer Kneipe!“ „Neee…Seniorenheim? Ja wie komme ich denn hier hin?“ Oma „Gagga“ drehte sich langsam um
und stellte fest: Noch eine die zum Lachen in den Keller geht! „Sie sind sicher Frau Wagner, Mary Wagner. Kommen Sie ich zeige Ihnen Ihr Zimmer“, meinte die Heimleiterin und griff nach dem Koffer. „Nix da, Finger weg!“ Resolut klammerte Oma „Gagga“ sich an ihren Koffer. Die Heimleiterin zuckte die Schultern und ging den Gang hinunter. „So, das ist Ihr Zimmer. Richten Sie sich etwas ein, später holt Sie jemand ab und zeigt Ihnen die weiteren Räume“, meinte sie, drehte sich um und verließ den Raum. Blitzschnell schnappte Oma „Gagga“ sich ihren Koffer und wühlte so lange, bis eine Flasche Whisky zum Vorschein kam. Großzügig bediente sie sich und meinte: „Siehst du Lisa, ich habe einen Balkon. Komm, wir gehen eine Zigarillo rauchen“, forderte sie Lisa auf. Gemeinsam setzten sie sich in die bequemen Sessel und genossen die frische Luft. „Gut Lisa, die nächsten zehn Jahre werde ich hier schon aushalten, was meinst du?“ „Ja, sieht so aus…wir werden es sehen!“ „Frau Wagner? Ich bin Susanne und soll Ihnen die weiteren Räume zeigen, kommen Sie bitte mit?“ Oma „Gagga“ drückte ihre Zigarillo aus und folgte der netten Dame. Die zeigte Oma „Gagga“ die Waschräume, Aufenthaltsräume und den Speisesaal. „Sie können natürlich auch auf Ihrem Zimmer speisen, ganz wie Sie es wünschen!“ Mann, spricht die geschraubt…! Oma „Gagga“ bedankte sich für den Rundgang und ging zurück auf ihr Zimmer. Heute wollte sie auf alle Fälle ihr Essen im Speisesaal zu sich nehmen. Schließlich musste sie ihre Mitleidenden kennenlernen. Vor dem großen Spiegel in dem kleinen Bad brezelte sie sich auf – Ordnung muss sein, auch wenn man alt ist. Der Saal war schon ziemlich besetzt und sie sah sich nach einem freien Platz um. Sie wurde fündig und setzte sich – genau gegenüber von Nikolaus persönlich. „Sitzt hier schon jemand?“ fragte sie Rauschebart. Der schüttelte sein weißes Haupt: „Ja…Sie!“ Scherzkeks! Gleich neben Oma „Gagga“ ließ sich eine füllige Dame auf den Stuhl plumpsen und stupste sie an: „Bist du meine Schwester?“ „Äh? Schwester…?“ Oma „Gagga“ sah hinüber zu Nikolaus der ihr diskret einen Vogel zeigte und die Schultern zuckte. Aha, plem plem die Gute…! Wieder stupste Madame „Plem plem“ Oma „Gagga“ an: „Da, siehst du die zwei Männer auf dem Fahrrad, die wollen mir meine Haare abschneiden“, rief sie erbost. Männer? Fahrrad? Oha, das schien ernster zu sein als es aussah. Oma „Gagga“ schielte hinüber auf das spärliche Haar ihrer Nachbarin…da gab es nicht viel zu schneiden! Ihr Blick wanderte von einem „Mitesser“ zum anderen. Einige schienen noch ziemlich munter zu sein, andere dösten so vor sich hin. Ja, will mal so sagen: „Scheiße wenn man alt wird!“ Ob sie die nächsten Jahre hier aushalten würde? Werden wir es sehen. Nach dem Essen machte Oma „Gagga“ einen kleinen Spaziergang durch die Gänge. Ob es hier einen Kiosk gab? Irgendwie musste sie ja an Whisky und Zigarillos kommen! Einen Kiosk fand sie nicht, dafür aber Nikolaus. Sofort bombardierte sie ihn mit ihren Fragen nach einem Kiosk. Nikolaus zwirbelte seinen langen, weißen Bart und grinste verschmitzt: „Klar gibt es eine Möglichkeit. Es gibt da einen Mann, der für uns Einkäufe macht, er besorgt alles was wir brauchen. Was brauchst du denn?“ „Och, nur Whisky und Zigarillos“, grinste Oma „Gagga“ verschwörerisch. „Auweia, pass auf, dass sie dich nicht dabei erwischen!“ „Habe einen Balkon, da sieht es keiner“, beschwichtigte sie ihn. „Wie ist es, wenn man mal in den Ort will? Muss man sich abmelden?“
„Und ob, abmelden musst du dich schon. Was glaubst du, wie viele hier schon ausgebüxt sind…!“ Er lachte schallend los. „Ist immer lustig, wenn man sie wieder einfängt!“ „Eher traurig, denke ich“, murmelte Oma „Gagga“ und drehte sich um. Ausgebüxt? Ob es hier so Scheiße ist? Kriegerisch schob sie ihr Kinn vor. Mit mir nicht…werde mich zu wehren wissen. In ihrem Zimmer suchte sie sofort nach der Whiskyflasche als es klopfte. Nikolaus stand vor der Türe: „Kann ich bei dir eine Zigarette rauchen?“ bat er höflich. „Klar, komm rein, wollte gerade auf den Balkon gehen!“ „Morgen kommt unser Hausarzt zu einer Routineuntersuchung. Er ist übrigens ganz nett!“ „Ok, ich bin aber nicht krank“, warf Oma „Gagga“ ein. „Du bist aber neu hier, er will dich sicher kennenlernen!“ Schweigend rauchten sie ihre Zigaretten und tranken dazu Whisky. So kann man es aushalten, dachte Oma „Gagga“.
Dr. Hausmann war sehr nett und fragte Oma „Gagga“ Löcher in den Bauch. „Alkohol, Zigaretten? Wie sieht es damit aus?“ wollte er wissen. „Nö, Doktorchen, nix. In meinem Alter!? Sehe ich so aus als würde ich an der Flasche hängen? Na…?“ „Wie sieht es aus, haben Sie noch Verwandte, Bekannte?“ Oma „Gagga“ zeigte mit dem Daumen nach oben: „Lisa“. Sonst ist niemand mehr da!“ „Oben? In welchem Zimmer wohnt „Lisa“?“ Entrüstet sich Oma „Gagga“: Das weiß ich doch nicht…!“ Ihr Daumen zeigte wieder nach oben…ganz nach oben! „Ach so, Sie meinen im Himmel?“ „Naja, wie man es nimmt…sie ist hier bei mir!“ Dr. Hausmann wurde nicht so ganz schlau aus der alten Dame und verabschiedete sich. „Nächste Woche komme ich zur Blutabnahme“, warf er noch kurz ein bevor er den Raum verließ. „Das glaubst aber auch nur du. Doktorchen! Ich lass mir kein Blut abzapfen…da kannst du mich lange suchen…!“ Leise kicherte sie vor sich hin. Morgen würde sie zuerst einmal in den Ort gehen. Abmelden? Nada!
Der nächste Tag war genauso sonnig wie Oma „Gaggas“ Laune. Leise summend verließ sie das Heim und begab sich in den Garten.