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Es war ein Samstagmorgen. Die Sonne schien hell vom zartbewölkten Himmel herab und streichelte die verschiedenen Facetten der Natur liebevoll. Auf den Bäumen tanzten goldene Lichtflecken und Wolkenschatten huschten über die Berge, jagten sich gegenseitig hinaus zum fernen, blauen Horizont des Meeres.

Ein wunderschöner Tag, dachte Jennifer und hätte am liebsten die Arme gen Himmel gestreckt, um das schöne Wetter noch ein bisschen mehr genießen zu können. Sie hatte einen Spaziergang gemacht und war trotz der fortgeschrittenen Zeit, müde, da sie sich wie so oft für eine ausgedehnte Runde entschieden hatte. Ganz um den großen See herum und dann heimwärts auf dem gewundenen Feldweg, der ihr sehr vertraut war.

Doch die Glieder zu strecken war unmöglich, da sie an jeweils einer Hand die Leinen der Familienhunde hielt und diese sich von ihrer guten Laune nur allzu gerne anstecken ließen. Zwar waren weder Charlie noch Pepper besonders groß, aber dafür umso mehr außer Rand und Band. Sie bellten, sprangen herum und ließen sich kaum bändigen. Normalerweise hätte sie sauer sein sollen, aber nicht heute … nicht an diesem herrlichen Tag. Stattdessen kommentierte Jennifer jeden Sprung oder andere Aktivitäten mit einem Lachen. Selbst dann, als Pepper es nicht lassen konnte und übermütig, schwanzwedelnd in den See sprang, der um diese Jahreszeit alles andere als sauber war.

Schlamm und die Überreste von Algen bedeckten das sonst schneeweiße Fell und sie nahm sich im Stillen vor, ihn zu Hause so schnell wie möglich in die Badewanne zu stecken. Ihre älteren und schon leicht betagten Eltern schätzten es nicht, wenn Dreck ins Haus kam. Obwohl man bei zwei Hunden bis zu einem gewissen Grad damit rechnen musste. Lächelnd ging die junge Frau am alten Pfarrhaus vorbei, welches unweit von ihrem Elternhaus lag. Nach Norden hin bot ihm ein Kiefer-Gehölz Schutz, die Fenster nach Süden blitzten im Sonnenschein und schienen jeden Besucher zuzulächeln.

Dabei hat sich seit damals sehr viel verändert. Auch wenn immer für die Renovierung gesorgt wird.

Ein Schatten legte sich über ihre Augen, das Haus war mit vielen Erinnerungen verknüpft, an die sie nicht denken wollte. Bittersüßer Geschmack lag auf ihrer Zunge. Ihr Leben war schön, sorgenfrei, beinahe sorgenfrei gewesen und fast hätte sie geglaubt es konnte ewig so weitergehen. Aber dann …

Jennifer zog die Luft ein, wandte ihren Blick eilig ab und zwang sich, ihre Konzentration auf das baldige Mittagessen zu richten, schließlich war sie nicht nur müde, sondern auch erschöpft, wie oft, wenn sie mit den geliebten Rackern unterwegs war. Außerdem gab es ihres Wissens nach Lammbraten und beim Gedanken daran lief ihr wie bei einem hungrigen Kind das Wasser im Mund zusammen.

Dabei war sie jenes schon lange nicht mehr, im Gegenteil. Vor etwa einem halben Jahr hatte Jennifer ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert und ihr Erscheinungsbild entsprach dem eines großen mageren Mädchens mit rötlichblondem Haar und hellem Teint. Beides hatte sie dem Erbanteil ihrer Großmutter väterlicherseits zu verdanken, welche aus Irland stammte. Hinzu kamen dunkle Augen, eine schmale Stupsnase sowie einen großen und ausdrucksvollen Mund. Wenn sie lächelte, strahlte ihr Gesicht auf, als könnte es die tiefste Nacht erhellen, aber wenn sie böse, mürrisch oder gar niedergeschlagen war, dann wirkte sie wie eine verzogene Göre und keinesfalls hübsch. Was Jennifer sehr wohl wusste und so oft es ging zu vermeiden versuchte.

Was ihn aber nicht halten konnte, dich zu verlassen. Dabei hast du alles für ihn getan.

Der plötzliche Schmerz ließ sie aufseufzen und verharren. Ja, es stimmte, sie hatte oder besser gesagt hätte alles für ihn getan und angenommen, dass es sich bei ihm ebenso verhielt. Ein fataler Irrtum, wie sich im Nachhinein herausstellte. Zwar lagen jetzt schon einige Jahre dazwischen und trotzdem …

Fiep. Pepper holte sie in die Wirklichkeit zurück und rieb seinen großen Kopf an ihrer Hand, als könnte er ihre Traurigkeit spüren.

Jennifer musste lächeln und kraulte das weiche Fell. Tiere gaben unglaublich viel Liebe. In einem Maße, das den meisten Menschen fremd war. Auch wenn der Gedanke an ihn noch lange brennen und manchmal schmerzen würde, war sie entschlossen, nach vorne zu schauen. Und wer weiß, vielleicht kam irgendwann der Richtige. Aktuell hatte sie es jedenfalls nicht eilig damit.

Das Pfarrhaus hinter sich lassend, betrat Jennifer das Grundstück ihrer Eltern. Sofort berührte sie die Harmonie, welche das leicht altmodische Haus ausstrahlte. Wann genau es erbaut worden war, wusste niemand aus der Familie und trotz hatte jede Generation es mit neuem Leben gefüllt. Sie gab den japsenden Hunden auf der hinteren Veranda zu trinken, was diese sich gern gefallen ließen, und sie zog verdreckten Stiefel aus.

Von der Küche aus hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die, so vermutete Jennifer, fröhlich mit jemandem telefonierte. Zumal das Auto ihres Vaters noch nicht wieder in der Garage stand. Vermutlich war er schon früh zum Angeln gefahren und hatte dabei die Zeit vergessen.

Ohne Schuhe betrat sie die Küche und schloss für den Bruchteil einer Sekunde die Augen. Es duftete nach brutzelndem Lammbraten mit der dazugehörigen Rahmsoße.

»… wirklich sehr lieb von dir«, sagte ihre Mutter.

Ein Satz, der Jennifer unwillkürlich aufhorchen ließ. Auch, weil diese sich sofort nach ihr umdrehte und etwas geistesabwesend lächelte.

»Ja« … »Ja. In Ordnung. Gegen halb acht?« … »Wir kommen alle.« … »Gut. Wir freuen uns schon.« … »Bis dann.«

Sie beendete das Gespräch und musterte ihre Tochter, ehe sie fragte:

»Hast du einen schönen Spaziergang gemacht?«

Das hörte sich ein wenig seltsam an, fand Jennifer. So, als würde ihre Mutter diesen Satz vorschieben. Sie runzelte die Stirn.

»Wer war das am Telefon?«

Ihre Mutter Sarah reagierte zunächst nicht, sondern öffnete die Backofentür, um den Braten zu prüfen. Eine duftende Dampfwolke entwich, die Jennifer normalerweise sehr gefallen hätte. Aber nicht hier und nicht jetzt, denn sie hatte das komische Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ein solches Verhalten passte nicht zu ihrer Mutter.

»Ach … das war nur Daniela Groß.«

Die junge Frau hob die Augenbrauen. »Was will sie?«

Ihre Mutter schloss die Backofentür und richtete sich auf. Ihr Gesicht war deutlich röter als zuvor, aber das machte vielleicht nur die Hitze, oder?

»Sie hat uns für heute Abend auf einen Drink zu sich eingeladen.«

»Was wird denn gefeiert?«

Sarah nagte an ihrer Lippe, kein gutes Zeichen.

»Gar nichts. Frank ist zum Wochenende zu Hause, und Daniela hat ein paar Leute auf einen Drink eingeladen. Ihr liegt besonders daran, dass du kommst.«

Jennifer schnaubte. Das war es also gewesen.

»Ich will aber nicht.«

Ihre Mutter schaute sie in einer Mischung aus Mitleid und Autorität an. »Aber Kind, es geht nicht anders.«

»Du kannst doch sagen, dass ich anderweitig verabredet bin.« Ihr Zorn wuchs und sie ballte die Fäuste. Was für ein grausames Spiel war das? Zumal ihre Mutter ganz genau wusste, was …

Plötzlich stand Sarah neben ihr. »Sieh mal. Ich weiß, dass er dir wehgetan hat. Und ja. Ich weiß auch, wie sehr du Frank geliebt hast, aber das ist vorbei. Nächsten Monat heiratet er eine junge Frau namens Regina. Irgendwann musst du für jedermann klarstellen, dass du dich damit abgefunden hast.«

Und was ist, wenn das überhaupt nicht stimmt?

»Das wird schon noch, wenn sie erst verheiratet sind. Aber noch ist es nicht der Fall. Außerdem …«

Jennifer suchte nach Worten, die möglichst wenig von dem Chaos in ihrem Innern offenbarten. Alles in ihr sträubte sich, Franks zukünftiger Frau gegenüberzutreten. Wer war diese Regina eigentlich? Sie durchforstete ihr Gedächtnis, konnte aber niemandem mit diesem Namen entdecken. Wer, um alles in der Welt hieß schon Regina?

Sarah und sie starrten sich an, bis beide ein Auto in die Toreinfahrt einbiegen hörten.

»Dein Vater«, nun lächelte ihre Mutter wieder wie die Morgensonne. »Und mit Sicherheit halb verhungert.«

Aber die junge Frau wusste, dass das Thema noch nicht erledigt war. Sie würde zu dieser abendlichen Veranstaltung gehen und Frank gegenübertreten müssen, ob sie wollte oder nicht. Jennifer stieß die Luft aus, setzte sich an den Tisch und obwohl niemand mehr davon sprach, schmeckte der Braten nicht so gut wie sonst.

Nach dem Mittagessen mit anschließendem Abwasch und Aufräumen der Küche, widmete sich jeder seinem Hobby. Ihr Vater zog seine Gartenkluft an, in der ein Gärtner, der seinen Beruf nachging, sich nie im Leben hätte blicken lassen und machte sich draußen ans Blätterharken. Der Herbst hielt langsam, aber sicher Einzug und es war bitter nötig. Sarah indessen zog sich zurück und nahm sich endlich die neuen Vorhänge für das Wohnzimmer vor, die schon seit mehr als einen Monat auf ihre Fertigstellung warteten. Jennifer hatte ursprünglich geplant, mit dem Auto in die Stadt zu fahren und ein paar Dinge zu besorgen, aber dank der unschönen Einladung heute Abend wurde nichts daraus. So entschied sie sich, einen Spaziergang zu machen. Was sollte man hier draußen auch anderes tun und außerdem war es immer noch besser, als im Zimmer zu hocken und die Zeit totzuschlagen. Die junge Frau wusste, wenn sie dies tat, würden ihre Gedanken sich ohne Erbarmen im Kreise drehen. Was niemandem weiterhalf.

Rufe den Wind

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