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Nation und Bewusstsein

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Ein Spannungsfeld, das uns über die Jahrtausende hinweg immer wieder Kriege und Konflikte beschert hat und das sich nie wirklich aufgelöst hat, ist die eigene nationale Identität gegenüber anderen nationalen Identitäten. Und in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten und einer kommunikativ, wirtschaftlich und verkehrsmäßig kleiner werdenden Welt scheint das Konfliktpotenzial eines dumpfen, falsch verstandenen Nationalismus wieder neuen Schwung zu gewinnen. Auf der anderen Seite bergen eine wachsende Bildung und die Möglichkeiten der Bewusstseinsentwicklung durch die stärkere Vernetzung und die einfache Informationsbeschaffung und das Kommunikationspotenzial des Internets neue Chancen, Trennendes zu erkennen und zu überwinden und so zueinander und zu einem neuen, freieren, souveränen, selbstverständlicheren Selbstbewusstsein zu finden und endlich in die verheißungsvolle Zukunft aufzubrechen, die uns durch die Möglichkeiten und Versprechungen unserer Zeit eigentlich offensteht.

Grundlage des Nationalismus und gleichzeitig größte organisatorische Einheit auf dem Planeten ist die Nation. Zwar gibt es mit der UNO eine planetenumspannende Organisation, aber bislang ist sie nur ein Verwaltungsgerüst, das durch den Egoismus der sie konstituierenden Nationen am Aufbau eines eigenen Bewusstseins, einer eigenen Seele gehindert wird, weswegen sie im Bewusstsein der Bürger dieser Welt auch allenfalls am Rande oder nur als Blauhelm-Institution wahrgenommen wird. Andere übernationale Einheiten, etwa die russische Föderation und das jugoslawische Konglomerat, sind nicht durch Fortschrittswillen, Verständnis und dem Wunsch nach besserer Zusammenarbeit entstanden und zusammengehalten worden, sondern durch die eine oder andere Form der Gewalt und mit dem Wegfall dieses Drucks dann auseinandergebrochen.

Die erste Organisation nach den USA vor über 200 Jahren, die beginnt, freiwillige und zaghafte Schritte hin zu einem größeren Organismus zu unternehmen, ist die Europäische Union. Sie ist noch ein zarter, krisengeschüttelter Keimling, dem ein großes Potenzial an Möglichkeiten offensteht. Aber noch agieren viele Staaten in dieser Union mit dem Bewusstsein der Vereinzelung, des Egos und der Konkurrenz oder versuchen, zu Recht oder zu Unrecht, zur dominierenden und oft misstönenden Stimme im Konzert zu werden.

So ist zur Zeit immer noch die Nation der größte Organismus auf der Erde. Dabei ist die Nation ein vergleichsweise junges Konstrukt. Heute ist die ganze Welt in Nationen aufgeteilt, aber noch vor ein paar hundert Jahren waren wirkliche Nationen, also organisierte, stabile, anerkannte und geografisch klar definierte politische Entitäten, eher selten. Da gab es, von heterogenen Imperien wechselnder Zusammensetzung mal abgesehen, Königreiche, Baronien, Grafschaften, Nomadenvölker, Stämme, Volksgruppen, Clans... die teilweise durch ein Netz von Verträgen, Abhängigkeiten, Verflechtungen und Gewaltandrohung miteinander verbunden waren. Und auch heute noch gibt es auf der ganzen Welt Volksgruppen, die zwar nominell einer Nation zugerechnet werden, aber dieser nicht wirklich angehören, beispielsweise die Indianerstämme des Amazonas, die australischen Aborigines oder die Nomadenvölker im Einzugsgebiet der Sahara. Sie alle haben eine Stammesidentität, aber keine Identität als Nation oder Teil einer Nation.

Die Nation ist der bisherige Endpunkt einer Entwicklung. Sie bildete sich aus mehr oder weniger großen Zusammenschlüssen von Stämmen, Städten, feudalen Verwaltungseinheiten und Volksgruppen, die sich individuell aus immer kleineren Lebenseinheiten zusammensetzen, und die kleinste Einheit ist nach der Groß- und Kleinfamilie das Individuum.

Dieses unterliegt in seinem Wirken und seiner Informationsverarbeitung im Wesentlichen zwei Einflüssen: der wie auch immer gearteten Gruppenidentität und dem Wunsch nach individueller Identität, also Selbstverwirklichung. Das Zusammenspiel dieser beiden Dinge formt das Bewusstsein und die Persönlichkeit. Die Wahrnehmung der Welt, die Gruppenidentität und der Einfluss der Gesellschaft wirken dabei von ihrem Charakter her wie eine nach außen ziehende, zentrifugale Kraft; unser inneres Wesen, unsere ureigensten Wünsche und Bedürfnisse wirken dagegen nach innen ziehend, also als zentripetale Kraft. Für eine gesunde Entwicklung müssen sich diese beiden Kräfte einigermaßen die Waage halten. Eine übermäßige Betonung der zentripetalen Kräfte führt zu einem egoistischen, im Extremfall soziopathischen Charakter, für den nur die eigenen Interessen von Bedeutung sind. Musterbeispiele dafür sind die Chefs der großen Finanzinstitute, Konzerne und Industrien, denen ihr Geld und ihre Macht alles, die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerungsmehrheit auf diesem Planeten nichts bedeuten. Bei einem deutlichen Übergewicht der zentrifugalen Kräfte hingegen opfert man die individuelle Persönlichkeitsentwicklung einem größeren Ganzen, einer Gruppenidentität, und das führt dann zu religiösen Fanatikern, Fundamentalisten und Ultraorthodoxen, zu Terroristen für die „gute Sache“ und zu totalitären Politikvorstellungen.


Allerdings ist dieses Ausmaß und Verhältnis der Kräfte keine fixe, unabänderliche Sache. Ganz im Gegenteil ist das Spiel dieser beiden Einflüsse eine Triebkraft der Persönlichkeitsentwicklung. Je mehr man etwa seinen Bewusstseinsfokus nach innen verlagert, desto mehr wandert auch der Kreis des Bewusstseins für die Umgebung nach innen; dieses Bewusstsein und damit die Einbettung in die Gesellschaft wird also kleiner. Wenn man dagegen mehr im Außen lebt, unterwirft man sich den Einflüssen und Strömungen der Gesellschaft und vergrößert so quasi mechanisch seinen inneren Kreis, füllt diesen aber nicht durch ein entsprechendes Bewusstseinswachstum aus und schwächt so seine innere Mitte.

Eine gesunde, ausgeglichene Persönlichkeitsentwicklung läuft aber anders ab. Man könnte sagen, dass unsere Oberflächenpersönlichkeit, also das, was wir für gewöhnlich als unser Selbst betrachten, der Ring oder die Schale ist, welche am Berührungspunkt dieser beiden Kräfte steht. Dieser Ring, die Persönlichkeit, ist die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenleben. Um im Bild zu bleiben, bedeutet das Persönlichkeits- oder auch Bewusstseinswachstum eine Vergrößerung dieses Kontaktkreises, und das gelingt nur dann auf harmonische Weise, wenn die nach innen und nach außen gerichteten Kräfte, also die zentripetalen und zentrifugalen Kräfte, sich einigermaßen im Gleichgewicht befinden und in gleichem Maße wachsen.


Das wird natürlich nur selten synchron und mit gleicher Intensität geschehen, weshalb die meisten Menschen immer irgendwie unausgeglichen sind. Aber andererseits kann diese Unausgeglichenheit auch zu einem Wachstumsmotor werden, wenn man bereit ist, jedem Wachstumsschritt in einer Richtung eine Bemühung um Wachstum in die andere Richtung entgegenzusetzen. Wenn man also einen inneren Fortschritt macht und so den inneren Kreis ausweitet, muss man diesen nach außen tragen, indem man sein Umgebungs- und Gesellschaftsbewusstsein wachsen lässt oder sich um ein entsprechendes Wachstum bemüht, was dann eine Ausweitung des äußeren Kreises bedeutet, oder man versucht, das innere Wachstum im äußeren Leben künstlerisch, literarisch, sozial, kommunikativ... auszudrücken. Und wenn man umgekehrt von der gesellschaftlichen oder politischen Entwicklung oder sonstigen Umständen nach außen gezogen wird, muss man versuchen, in seiner inneren Entwicklung zu wachsen, um Schritt halten und das innere Gleichgewicht wiederherstellen zu können.

Für eine sehr lange Zeit bestand unsere Umgebung aus der Familie, engen Freunden, dem Clan oder Stamm und dem Dorf oder der Grafschaft, in der man lebte. Allenfalls gab es noch ein vages Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Volks- oder Sprachgruppe oder zu einem Land. Von den kleinsten Gesellschaftseinheiten ausgehend pendelten sich Innen und Außen immer aufeinander ein, und dieses Gleichgewicht drückte sich auch in der jeweiligen Kultur aus und wurde zur Grundlage der Bewusstseinsentwicklung der nachfolgenden Generationen. Auf diese Weise hielt der Mensch in seinem Wachstum mit der allmählich komplexer werdenden Welt Schritt.

Und auf diese Weise begann er auch, eine Beziehung zu den politischen, nationalen, kulturellen und sozialen Bedingungen aufzubauen, in denen er lebte. Und die stärksten Beziehungen baut er dorthin auf, wo das Äußere und die Kultur am meisten mit seiner Bewusstseinsentwicklung übereinstimmen. Und viele Konflikte auf dieser Welt resultieren aus dieser banalen und einfachen Tatsache. Wenn die Türkei etwa ein Kurdenproblem hat, dann kommt dies nicht nur daher, dass diese unabhängig sein wollen, sondern dass Kurden und Türken einander nie in ihr kulturelles Wachstum einbezogen und sich eher gegenseitig ausgegrenzt haben. Beide haben sich auf ihre „althergebrachten“ Bewusstseinswurzeln gestützt und Änderungen in Hinblick auf die nationale Identität ausgeschlossen.

Aber wenn man genau hinsieht, dann gibt es so etwas wie eine nationale Identität eigentlich kaum, zumindest keine statische, unveränderliche, historische Identität. Wenn etwa ein Bayer auf seine bayerischen Wurzeln stolz ist, dann ist er auf etwas stolz, das es in dieser Form eigentlich nicht gibt, denn es gab nie einen originären Stamm der Bajuwaren. Die Volksgruppe, die heute gemeinhin als Bajuwaren bezeichnet wird, entwickelte sich aus keltischen Boiern und vermischte sich mit Markomannen, Goten, Langobarden, Alemannen und schließlich mit den multinationalen Römern. Vor allem im groß-europäischen Raum gibt es kaum Volksgruppen, die auf eine Geschichte zurückblicken können, die nicht von Zuwanderungen und Verschmelzungen, vor allem auch aus der Zeit der Völkerwanderungen und diverser Kriege, geprägt ist. Eine nationale Identität hat also wenig bis nichts mit Geschichte und biologischer Abstammung zu tun, und sie ist vor allem nicht statisch, sondern verändert sich kontinuierlich. Die deutsche Identität ändert sich heute durch die türkischen und südeuropäischen Gastarbeiter und die osteuropäischen Flüchtlinge genau so wie sie sich früher durch die Völkerwanderungen geändert hat. Ein Zeitraum von fünfzig Jahren seit Beginn der Gastarbeiterzuwanderung mag, vor allem angesichts der mangelnden Integration mancher Türken, als große Zeitspanne erscheinen, ist geschichtlich aber nur eine Marginalie. Es ist sicher nicht so, dass die Einflüsse zuwandernder Kulturen auf die damalige Bevölkerung schmerzlos und ohne Ressentiments abliefen, und die Integration dauerte sicher hundert bis zweihundert Jahre, aber was die Zuwanderer damals mitgebracht haben, betrachten wir heute als integralen Bestandteil unserer Kultur.

Eine Kultur ist nur dort lebendig, wo sie sich bewegt, wo sie neue Elemente in sich aufnimmt und Dinge neu betrachtet. So gesehen sind Dinge wie kulturelle Reinheit oder etwa Trachtenvereine als Totengräber der lebendigen Kultur Dinge für das Museum. Nationale Kultur und Vitalität braucht ebenso wie ein Mensch und auch jedes andere Lebewesen Wachstum, Veränderung und andauernde Entwicklung, denn in der Stagnation, im ausschließlichen Beharren auf dem Althergebrachten liegt nicht nur der körperliche Tod, sondern auch der Tod von Kultur und Identität, so wie ein Fluss, der nicht mehr fließt, verlandet und stirbt. In diesem Sinne sind die größtenteils unfreiwilligen Völkerwanderungen, die zur Zeit auf der Erde wieder in großem Maßstab stattfinden, auf lange Sicht gesehen eine Chance auf ein Aufbrechen verkrusteter Strukturen und ein kleiner Baustein auf dem Weg zu einer übernationalen, globaleren Kultur, vorausgesetzt man schafft es, nationale und territoriale Egoismen zu überwinden, indem man etwa die ohnehin unausweichliche Veränderung annimmt und es schafft, ein Bewusstsein der Offenheit, des Annehmens, der Zusammenarbeit und des Fortschrittswillens zu erzeugen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Problem der Globalisierung. Diese ist entstanden durch ein rasantes technologisches Wachstum, welches jegliche Art von Kontakten, Reisen, Mobilität und Warenaustausch innerhalb eines für geschichtliche Maßstäbe extrem kurzen Zeitraums ungeheuer erleichtert, dabei aber auch zu solchen Fehlentwicklungen geführt hat, dass Kleidung in China gefertigt wird, Elektronik in Taiwan, Brillengläser in Thailand usw., statt verbrauchernah zu produzieren und bevorzugt die Lebensmittel der unmittelbaren Umgebung zu konsumieren. Allerdings reagieren wir auf diese Entwicklung noch mit allenfalls mittelalterlichen Geschwindigkeiten. Das bedeutet, dass die zentrifugalen Kräfte in der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung und damit im gesellschaftlichen Bewusstsein in kurzer Zeit enorm zugenommen haben, die kulturelle Integration und die Reaktion auf wirtschaftliche und sonstige Auswüchse damit aber nicht Schritt halten konnten. Der innere Kreis sieht sich also, sowohl auf gesellschaftlicher wie auch auf individueller Ebene, starken und zunehmend überhand nehmenden zentrifugalen Kräften ausgesetzt, denen er nichts entgegensetzen kann. Die übliche Folge davon ist, dass der innere Kreis durch eine Art Selbsterhaltungstrieb dicht macht und sich verweigert, was sich individuell in einem Beharren auf Traditionen und der Ablehnung von Neuerungen ausdrückt und gesellschaftlich in Nationalismus und Globalisierungsangst.

Diese Beschleunigung aller Aspekte des äußeren Lebens lässt sich nicht aufhalten oder gar rückgängig machen, und das ist auch nicht wirklich nötig oder empfehlenswert. Wenn man die gesellschaftliche Entwicklung und Bewusstseinsentfaltung mit der menschlichen Entwicklung in Beziehung setzt, dann entspricht sie zum jetzigen Zeitpunkt dem Status eines Kleinkinds, das gerade beginnt, sprechen zu lernen und alle neuen Worte in sich aufzusaugen. Das ist für ein Kind ein enormer Schritt, den wir, die wir diesen Schritt in unserer individuellen Entwicklung schon längst hinter uns gebracht haben, wissend begleiten und fördern können. Dieses Eintreten in die neue Entwicklungsphase stellt für das Kind so etwas wie eine Beschleunigung der Bewusstseinsentwicklung dar.

Und diese Bewusstseinsbeschleunigung findet auch global durch die neuen technologischen Möglichkeiten und Entwicklungen auf äußerer, materieller Ebene statt, und statt uns ihr zu verweigern, sind wir gefragt, in sie einzutauchen und uns ihr zu öffnen. Doch ebenso wie ein kleines Kind müssen wir, individuell wie gesellschaftlich, lernen, genau zuzuhören und die richtigen Muskeln in der richtigen Stärke, Präzision und Abfolge zu bewegen. Statt also angesichts der auf uns einstürmenden Entwicklungen den inneren Kreis dicht zu machen, müssen wir lernen, ihn mit genügend Inhalt zu füllen, um ihn parallel zum äußeren Wachstum ausweiten zu können, so dass wir in der Lage sind, ein neues Gleichgewicht auf höherem Niveau zu finden.

Alles bisherige Wachstum ist sehr gemächlich vor sich gegangen, so dass nie ein so eklatantes Ungleichgewicht zwischen Innen und Außen entstand und es darum auch keine Notwendigkeit gab, ein Wachstumsbewusstsein zu entwickeln. Aber mittlerweile ist angesichts der beschleunigten Entwicklung ein solches Bewusstsein dringend nötig und längst überfällig. Wir sind seit etwas über zweihundert Jahren dabei, in eine neue Phase unserer Entwicklung einzutreten, für die wir noch nicht die nötigen Werkzeuge und Fähigkeiten entwickelt haben. Darum müssen wir uns dringend eine Bewusstseinsbeschleunigung zu eigen machen, welche die globale Technologie- und Kommunikationsbeschleunigung mehr als wettmacht. Genaugenommen wäre sogar eine Umkehrung des bisherigen Procederes notwendig, bei dem es immer zuerst ein äußeres Wachstum gab, auf das dann ein inneres Wachstum und eine kulturelle Integration folgte. Angesichts der vielen technologischen Neuerungen wie etwa der Atomtechnologie, der Nanotechnologie, der Embryonen- und Stammzellenforschung, des stetig wachsenden Energiebedarfs, der zunehmenden Vernetzung der Welt, was Personenverkehr, Kommunikation, Waren- und Finanzgeschäfte betrifft, und nicht zuletzt in Hinblick auf globale medizinische und Ernährungsprobleme und den leichten Zugang zu letztlich völlig überflüssigen Waffen und Massenvernichtungsmitteln ist es eigentlich absolut unumgänglich, dass Wachstumsprozesse nicht mehr von außen aufoktroyiert werden, sondern dass dem äußeren Wachstum ein inneres vorausgeht und Entwicklungen und Entdeckungen auf ein Bewusstsein treffen und am besten auch von diesem gemacht werden, das bereit für sie ist.

Wenn Wissenschaftler Entdeckungen machen, und jegliche Verantwortung für die Folgen ablehnen, so haben sie zwar insofern recht, als sie nicht alles, was sich daraus entwickelt, kontrollieren können, aber sie haben vielfach auch gar kein Interesse daran und haben darum auch noch keine ernsthaften Bemühungen zur Einrichtung eines globalen Wissenschaftszweiges der Technik- und Bewusstseinsfolgenabschätzung gemacht. Und auch wenn die Wissenschaftler eine nicht geringe Mitverantwortung haben, so ist dies doch im Grunde genommen auch ein Problem der globalen Bewusstseinsentwicklung. Letztendlich geht es um die alte Frage, wer der Herr im eigenen Haus ist: Lassen wir uns von den Entwicklungen, Erfindungen und Umständen überrollen und bestimmen, oder lenken wir unsere Entwicklung selbst mit Bewusstsein und Planung?

Und genau darum geht es auch beim Thema Nation und Globalisierung. Die Auswüchse in diesem Zusammenhang hängen mit der Angst vor dem Verlust der nationalen Identität zusammen, die ein Strohhalm von Altbekanntem und Bewährtem ist, an den wir uns klammern, mit der Vogel-Strauß-Mentalität, die sich nicht mit der Realität auseinandersetzen will, aber auch mit der Ohnmacht, die das Individuum gegenüber der Politik spürt, deren Winkelzüge und internationale und wirtschaftliche Verflechtungen längst nicht mehr durchschaubar sind. Dies hinterlässt ein kollektives Unbehagen gegenüber der Politik, der Ehrlichkeit und Motivation der Politiker, ihrem Durchblick bezüglich der zunehmenden Vielfalt von Gesetzen, deren Auswirkungen und Interaktion, sozialer Bedürfnisse und der nationalen und globalen Entwicklung. Dass sich unter solchen Umständen Nationalismus und Globalisierungsangst breit machen, ist zwar nicht gut, aber verständlich. Die Bevölkerung auf der ganzen Welt weiß, dass etwas falsch läuft, dass eine ganze Menge falsch läuft, und kann das auch an einzelnen Symptomen belegen, aber die Probleme in ihrer Gesamtheit sind so komplex, dass eigentlich niemand auf der Welt sie mehr in ihrer Ganzheit verstehen kann. Und statt dass die Dinge einfacher werden, werden sie immer nur komplexer. Jeder Bürokratieabbau scheint zu noch mehr Bürokratie zu führen.

Das Hauptproblem dieses Fragenkomplexes ist der allgemeine Egoismus. Babys brauchen diesen absoluten Egoismus, um überleben und sich gesund entwickeln zu können, aber sobald die Babyphase hinter ihnen liegt, müssen sie lernen, diesen Egoismus abzulegen und zu einem verantwortungsbewussten Teil der Gemeinschaft zu werden. Die Fragen und Probleme der Globalisierung sind Ausdruck der gleichen Entwicklungsphase bei der menschlichen Spezies, und unsere Aufgabe ist es nicht, die Globalisierung abzuschaffen oder rückgängig zu machen, sondern zu lernen, sie richtig und verträglich durchzuführen.

Und dazu wiederum müssen wir im Bewusstsein wachsen. Dieses Wachstum hat drei ineinander verwobene Aspekte, den Aspekt des Volumens, den des Verständnisses und den der Geschwindigkeit.

Wachstum im Volumen bedeutet, das Bewusstsein auszuweiten und fortschreitend immer mehr Dinge zu erfassen und sie miteinander und mit sich selbst in Beziehung zu setzen und zu vernetzen und in der Folge die Welt und ihre Abläufe und Interaktionen untereinander und mit sich selbst besser zu verstehen. Und das ist bei der zunehmenden Komplexität der Welt und der Politik auch bitter nötig – einerseits. Andererseits ist die Komplexität, nicht nur in der Politik, nicht nur eine Folge der uralten Methode zur Machtausübung „Teile und herrsche“, sondern auch die Folge von Abgrenzung und Egoismus. Jeder Mensch, jede Körperschaft, jede Kommune, jeder Staat hat Wünsche und Bedürfnisse, die sich in der Regel ausschließlich auf sich selbst beziehen. In der Folge versucht ein jeder, diese Wünsche und Bedürfnisse durchzusetzen, ohne Rücksicht auf andere und die Gesamtsituation. Der Staat und sonstige übergeordnete Entitäten versuchen zum einen möglichst viel zu regeln und möglichst wenig Freiheiten zu gewähren und von ihrer Macht abzugeben, der Staat ist aber auch gezwungen, sowohl von seiner Aufgabe her, alle Bürger gleich zu behandeln, aber auch durch die Einklagbarkeit verweigerter oder übersehener Rechte, es jedem recht zu machen. Das führt dann zu Paragrafen, die zehnmal oder hundertmal ergänzt oder abgeändert werden und zu einem unnötigen Anschwellen der Gesetzestexte. Ein gutes Beispiel dafür ist die sogenannte Homo-Ehe, deren Einführung überall auf der Welt für Aufruhr in konservativen bis fundamentalistischen und religiösen Kreisen sorgt. Alle möglichen Gruppierungen versuchen hier aus ideologischen Gründen Einfluss zu nehmen, was Kräfte bindet und von dringlicheren Problematiken ablenkt. Und während etwa Spanien einen minimalen Aufwand betrieben hat, indem es die gleichgeschlechtliche Ehe der bisherigen Eheform einfach gleichgestellt hat, hat Deutschland mit der Eingetragenen Partnerschaft ein neues Beziehungsinstitut für eine ausgegrenzte Minorität geschaffen, das die Ausgrenzung weiter festigt und zudem eine große Vielzahl an neuen Gesetzen nötig machte – also keine Spur von Vereinfachung.

Leider hat es sich im Bewusstsein der Menschen festgesetzt, dass jeder gegen den anderen für sich und seine eigenen Interessen arbeiten muss. Dieses Gegeneinander, verbunden mit dem allgegenwärtigen Anspruchsdenken sorgt dafür, dass das Leben, auch auf politischer Ebene, immer komplexer und antisozialer wird. Es gibt keinen wirklichen Zusammenhalt und kein Einheitsgefühl. Das mag etwa in der Gründungsphase der Gewerkschaften anders gewesen sein, aber mittlerweile sind auch diese nur noch ein Machtinstrument.

Bewusstseinswachstum bedeutet hier einmal, die Zusammenhänge des Staatsapparates und der ganzen Machtspiele zu durchschauen, aber auch vor allem, über diesen kleinlichen Ego-Kram hinauszuwachsen und ein größeres Bild vor Augen zu haben, wie die Welt sein könnte und was dafür notwendig ist.

Notwendig ist zuallererst der Abbau des Egos in allen seinen Formen und die Erkenntnis der Notwendigkeit und die daraus folgende Bereitschaft für umfassende Zusammenarbeit. Man kann nicht damit rechnen, dass ein Einzelner oder eine Großmacht die Welt aus dem Sumpf ziehen kann, in dem sie immer schneller versinkt. Die USA, Russland, China, Indien sind alle zu sehr in ihren internen Querelen und ihrem Streben nach Dominanz gefangen, und alle diese und alle übrigen Staaten haben keine Eltern, die ihnen ein wünschenswertes und zukunftsfähiges Sozialverhalten beibringen könnten. Und schon bei Kindern ist es so, dass sie bereitwilliger von Gleichgestellten lernen. Auch unsere Staaten lernen voneinander – wie man den Egoismus auf die Spitze treibt. Wichtig ist es jetzt, einen neuen Wachstumsschritt zu tun und Zusammenarbeit zu lernen und das Wohl der großen Gemeinschaft als Handlungsmaxime in den Vordergrund zu stellen. Als etwa Gorbatschow Glasnost und Perestroika verkündete, hat er ein Beispiel gegeben, einen Impuls an die Welt, dass Wandel möglich ist, und im Moment ist es das Zusammenwachsen der Europäischen Union, das einen kraftvollen neuen Impuls geben könnte, wenn es gelingt, die unterschwelligen Ängste und das Dominanzstreben in den Griff zu bekommen, das die EU nach außen zieht. Ein wachsendes Gefühl des europäischen Gedankens, der europäischen Identität und Einheit, das Wachstum der Seele Europas könnte das notwendige Gegengewicht zu diesen zentrifugalen Kräften bilden und sie in Zaum halten. Das wäre dann die Grundlage für ein weiteres und gesundes Wachstum der EU und gleichzeitig ein enormer Impuls für ein globales Zusammenwachsen und eine gemeinsame Bemühung um Problemlösung.

Wenn der nationale Egoismus nicht ganz so blind wäre, könnte er sich sogar zu der Erkenntnis öffnen, dass Zusammenarbeit eigentlich in seinem eigenen Interesse liegt. Denn es sollte mittlerweile eigentlich klar sein, dass uns die Probleme über den Kopf wachsen, dass durch die unaufhaltsame Globalisierung die Grenzen zunehmend nur noch in unserem Kopf existieren und keinen Schutzwall gegen Finanz-, Klima- und Umweltprobleme bilden, dass schwindende Ressourcen und ungerechte Verteilung immer mehr Kriege entfesseln werden... Diese Probleme kann man alleine nicht lösen oder indem man egoistisch den Kopf in den Sand steckt und die Lösung der Probleme der übernächsten Regierung überlässt, in der Hoffnung, dass man durch die Verweigerung noch eine Legislaturperiode länger regieren kann. Die Welt braucht die richtigen Antworten jetzt und nicht irgendwann in ferner Zukunft. Die Aufgabe eines Politikers ist es nicht, Sympathien zu sammeln, sondern den Menschen die großen Zusammenhänge zu vermitteln und zügig und überlegt im Geiste der Zusammenarbeit und des großen gemeinsamen Nutzens die Aufgaben anzupacken, die für ihn bereit stehen – und das kann, wenn es gut gemacht wird, automatisch Sympathien wecken, denn die Menschen sind nicht dumm und verstehen durchaus die Notwendigkeit für einen Wandel. Nur wenn wir die globalen Krisen, das globale Elend, die globalen Ressourcen in den Griff bekommen und für eine gerechte Verteilung und für die Entwicklung unterentwickelter Strukturen sorgen, können wir das Ganze stabilisieren und zur Blüte kommen lassen, und erst dann sind wir selbst nicht mehr in Gefahr, bei der nächsten Krise unterzugehen. Dann werden auch die gegenwärtigen Völkerwanderungen, die so viele Ängste um die nationale Identität auslösen, nachlassen, denn die Menschen werden keinen Grund mehr haben, sich auf den beschwerlichen und ungeliebten Weg in ein anderes Land zu machen, das ein wenig mehr Sicherheit verspricht. Man kann also ganz egoistisch sagen, dass das Wohlergehen Anderer unser eigenes Wohlergehen fördert, und dass es darum in unserem ureigensten Interesse ist, global und offen zusammenzuarbeiten.

Der andere Aspekt des Bewusstseinswachstums (nach dem Volumen und der Komplexität) ist die Beschleunigung des Bewusstseins. Wenn man Dinge nicht mehr als isoliert und einen nicht betreffend betrachtet und statt dessen beginnt, sich als Teil und Teilhaber von Allem zu sehen und sich entsprechend neuen Welten und neuen Erfahrungen öffnet, hat man die erste Grundlage gelegt. Der nächste Schritt ist die Verknüpfung dieser neuen Elemente untereinander, mit unserem Bild der Welt und mit uns selbst. Das macht unser Bewusstsein weiter, reichhaltiger und verständnisbereiter und öffnet uns für den Aspekt der Beschleunigung.

Unser Bewusstsein ist normalerweise schwerfällig. Es ist auf uns selbst zentriert, auf unsere körperlichen und vitalen Bedürfnisse und Gelüste, darüber hinaus aber nur an Wenigem interessiert. Sich mit etwas Neuem auseinanderzusetzen, das sich außerhalb der ureigenen Sphäre befindet, bedeutet, unsere innere Ruhemasse in Bewegung zu setzen. Das ist ein Vorgang, der dem Start eines Zuges ähnelt. In die Bemühung anzufahren, wird eine Unmenge Energie gesteckt, und es dauert vergleichsweise lange, bis sich der Zug auch nur ein paar Zentimeter bewegt. Aber hat er sich erst einmal in Bewegung gesetzt, benötigt er für die nächsten Zentimeter bereits weniger Energie und Zeit bis man dann schließlich Reisegeschwindigkeit erreicht hat. Diese Beschleunigung geschieht also nicht von selbst, sondern ist mit dem Einsatz von harter Arbeit und Energie verbunden.

Aber was bedeutet Beschleunigung eigentlich? Ein ganz gewöhnliches, durchschnittliches Bewusstsein hat kaum Geschwindigkeit, man könnte fast sagen, dass es ruht; es bewegt sich kaum. Aber Bewegung bedeutet Geschwindigkeit, und eine Beschleunigung bedeutet eine Erhöhung der Geschwindigkeit, eine Erhöhung der Bewegung und Aktivität. Bei einem Kind, das heranwächst, ist das Bewusstsein idealerweise immer in Bewegung. Es nimmt die Umgebung wahr, die Geschehnisse, die Interaktionen – es lernt und passt sich an und wandelt sich und wächst. Bei den meisten Menschen hört dieser Prozess sehr bald auf, meist wenn man die Vorgänge des Daseins durchschaut und sich angepasst und eingerichtet hat. Dann fängt das Bewusstsein an zu stagnieren, was mit einem inneren Tod gleichzusetzen ist. Die rein mentalen Tätigkeiten und mechanischen Lernvorgänge und Denkprozesse bleiben erhalten, aber die Fähigkeit, das Erlebte immer wieder neu zu betrachten und zu verarbeiten und daran zu wachsen und die Welt immer wieder neu zu betrachten und zu erleben, verringert sich zunehmend. Man wird unbeweglich, zuerst im Bewusstsein, und dann im geistigen Wesen, das ja Ausdruck des Bewusstseins ist. Der Vorgang wird Altern genannt, aber das stimmt nicht wirklich. Vielmehr läuft dieser Vorgang meist parallel zum Altern ab, ist aber keine zwangsläufige Alterserscheinung. Oft fängt er schon in sehr jungen Jahren an, aber manchmal setzt er auch bei sehr alten Menschen noch nicht ein, obwohl die kognitiven Fähigkeiten vielleicht durch physische Alterungsprozesse beeinträchtigt werden.

Eine Beschleunigung des Bewusstseins bedeutet also, die allgemeine Paralyse hinter uns zu lassen und schließlich einen Zustand zu erreichen, in dem wir der Entwicklung nicht mehr hinterherhinken, sondern uns immer auf der Höhe der Zeit befinden. Ein beschleunigtes Bewusstsein ist in seiner Basis weit und umfassend und darauf aufbauend ausgesprochen beweglich, offen, unmittelbar und lern- und anpassungsfähig. Es nimmt die Dinge wahr, nicht in Bezug auf etwaige etablierte Schubladensysteme und Formationen oder Mindsets, lebt also nicht in der Vergangenheit, auch wenn diese ein Teilaspekt des Bewusstseins ist, sondern in der Gegenwart. Wenn beispielsweise das alte Stagnationsbewusstsein mit etwas Neuen, etwa einer Idee oder einer Entwicklung konfrontiert wird, dann laufen erst einmal die üblichen Vorgänge ab, also verlachen und nicht ernst nehmen, ehe es dann in Opposition geht. Und erst nach langer Zeit, und bei manchen Menschen auch nie, und auch oft erst, nachdem dieser Impuls kleingemacht und verwässert wurde, öffnet sich das Bewusstsein dann ein wenig dieser Neuerung.

Ein beschleunigtes Bewusstsein dagegen ist immer bereit, über das bereits Bekannte hinauszugehen und einen neuen Standpunkt einzunehmen. Es wird die Idee unvoreingenommen prüfen in Hinblick auf das Wissen und die Erfahrung der Vergangenheit, die Möglichkeiten der Gegenwart und das Potenzial für die zukünftige Entwicklung. Es sieht die Möglichkeiten, den Gesamtkontext, die Gefahren und die Auswüchse und wird entsprechend reagieren. Ein beschleunigtes Bewusstsein reagiert unmittelbar, weil es nicht in der Vergangenheit lebt und aus dieser heraus handelt, sondern in der Gegenwart verankert und zukunftsorientiert ist. Es ist frei beweglich und kann auf jede Entwicklung unmittelbar, spontan und angemessen reagieren. Und darum befindet es sich immer auf der Höhe seiner Zeit.

Wenn immer mehr Menschen zu diesem neuen Bewusstsein, zu dieser Beschleunigung und diesem konstanten Fortschritt übergehen, dann wird das politisch, sozial, kulturell und wissenschaftlich zu einer Blüte führen, die etwa das Erblühen der hellenischen Kultur dagegen verblassen lässt. Mit diesem Bewusstsein, das für eine globale Wahrnehmung und Identifikation offen ist, würden Kriege, Dominanzstreben, Macht- und Verteilungskämpfe und das übliche politische Hickhack, die Revierkämpfe und das prinzipielle und obligatorische Gegeneinander der Vergangenheit angehören und unbedingter Zusammenarbeit und unbegrenztem globalem Fortschritt Platz machen.

Um zu dem Bild des Gleichgewichts zentrifugaler und zentripetaler Kräfte zurückzukehren, bedeutet Bewusstseinsbeschleunigung zuerst einmal die Überwindung des Beharrungswillens, des Konservierungsfaktors, der dafür sorgt, dass man ein erreichtes Gleichgewicht unter allen Umständen beibehalten möchte und uns zu der Annahme verleitet, wir hätten mit der Etablierung im Erwachsenenleben unsere Entwicklung abgeschlossen und bräuchten den Rest unseres Lebens nur noch ernten. Solche Bewusstseinssysteme sind in der Regel klein, inhaltsarm, verschlossen und unbeweglich. Aber jede Ernte ist irgendwann eingebracht, und für eine neue Ernte muss man neu säen. Jedes Mal, wenn man nach innen wächst oder sich nach außen öffnet, legt man einen Samen und erntet dessen Früchte, wenn man ein neues Kräftegleichgewicht etabliert hat, das eine größere Sphäre umfasst. Das ist erst einmal ein Step-and-Go-Ablauf, der zu kleinen oder großen Entwicklungssprüngen führt, und eine gute Voraussetzung für das Einsetzen der Beschleunigungsphase. Diese bedeutet das permanente Ausbringen neuer Samenkörner, so dass immer wieder neue Körner keimen, während gleichzeitig andere wachsen, zur Blüte gelangen und Früchte tragen. Das Bewusstseinswachstum geschieht dann immer weniger sprunghaft, sondern in zunehmend kleineren aber auch einfacheren und schnelleren Schritten. Wenn man so mehr Übung bekommt, die Wachstumsprozesse besser versteht und damit auch effizienter fördern kann, wird aus der Abfolge von Sprüngen eine geschmeidige, kontinuierliche Bewegung, die in ihrer Geschwindigkeit wächst und sich als Bewusstseinsbeschleunigung manifestiert, als ein Bewusstsein, das die Dinge wahrnimmt wie sie sind, und immer bereit ist, ohne weitere Verzögerung die folgerichtigen Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu handeln.

Es gibt sogar noch eine Steigerung, wenn die Geschwindigkeit so hoch ist, dass das Bewusstsein überall gleichzeitig ist, wenn es eins ist mit der Welt, dem Universum und seinen Bewegungen. Dann ist es in der Gegenwart angekommen, überblickt diese und kann wie ein Künstler schöpferisch werden. Es hat dann die Möglichkeit, nicht nur zu reagieren, sondern zu agieren, zu gestalten. Wenn man vorher von der Zukunft geträumt und mühsam versucht hat, die nötigen Weichen zu stellen, so kann man mit einem globalen, simultanen Bewusstsein der Gegenwart die Zukunft bewusst gestalten und statt in die Zukunft hineinzustolpern, in diese hineinwachsen.

Dieses Bewusstseinswachstum ist selbst in seinen grundlegendsten Formen in der Politik kaum zu finden. Und vermutlich werden die vielversprechendsten Talente und Ideen und Entwicklungen vom politischen Leben und dem politischen Alltag mit seinen faulen und machtdominierten Kompromissen bereits im Keimlingsstadium gefressen, um die politische Mittelmäßigkeit und das politische Bewusstseinsgleichgewicht – denn es gibt nicht nur ein persönliches Bewusstseinsgleichgewicht, sondern auch ein politisches – auf niedrigem Niveau stagnieren zu lassen. Das politische Bewusstsein, das im Sein und Wirken der Politiker Ausdruck findet und das auch in den übrigen Menschen existiert, seien sie nun politisch interessiert oder nicht, hat wie ein Mensch auch einen Entitätscharakter und ist darum auch der Dynamik der zentrifugalen und zentripetalen Kräfte unterworfen. Und so wie der einzelne Mensch die Möglichkeit hat, sich zu entwickeln und im Bewusstsein zu wachsen, so steht auch der Wesenheit der Politik diese Möglichkeit offen.

Aber diesen Entitätscharakter hat nicht nur die Politik. Der Mensch und jeder andere biologische Organismus ist nur die kleinste Einheit einer Entität, sozusagen eine Zelle oder ein Organ von etwas Größerem. Die nächst größere Einheit bildet die Familie; das kann die biologische Familie sein, der man sich verbunden fühlt, oder die eigene Familie, die man selbst gründet, sei es nun eine monogame Kleinfamilie, ein Freundeskreis oder eine große polyamore Familie. Solange man sich miteinander verbunden und als Teil von einem größeren Ganzen fühlt, bildet man eine Art gemeinsamen Organismus, in dem jeder eine Aufgabe hat. Das Familienoberhaupt bildet – meist – den Kopf, andere bilden den Körper, die ausführenden Organe, das Herz... Allerdings sollte man diese Analogie nicht zu weit treiben, da jede Untereinheit prinzipiell polyfunktional ist und oft auch so agiert. Je umfangreicher eine solche Familie ist, je mehr sich die einzelnen Mitglieder mit dieser Familie identifizieren und je intensiver die Kommunikation ist, desto stärker und klarer bilden sich auch die beiden nicht-physischen Aspekte eines jeden Organismus aus: Bewusstsein und Seele, wobei man nicht den Fehler machen darf, Bewusstsein mit dem Denkwesen und seinen Vorgängen gleichzusetzen. Bewusstsein ist die vom Denken unabhängige Wahrnehmung seiner selbst, und der Charakter ist zum Teil Ausdruck des Bewusstseins. Ein weiterer – kleiner – Teil des Charakters kommt von der Interaktion mit der Umgebung, vom Versuch, sich selbst zu definieren und sich abzugrenzen, vom Verhalten der Gruppe und den Eigenheiten des Einzelnen, von den Beziehungen innerhalb der Gruppe, von Vorlieben, gemeinsamen Interessen... Den anderen, größeren Anteil an der Charakterbildung hat, neben dem Bewusstsein, die Seele. Diese ist die innere Natur eines Organismus, die Kraft, die ihn zusammenhält und ihm Individualität verleiht, sein wahres inneres Wesen, der Urgrund der Fähigkeit zu Liebe, Freude, Mut, Einheit und Zusammenarbeit.

Nach der Familie gibt es natürlich noch größere Wesenheiten: den Clan oder Stamm, das Viertel, den Ort, die Region, die Volksgruppe, das Land, die Nation. All diese Organisationsformen haben ein Bewusstsein und eine Seele, deren wir uns ganz vage bewusst sind und deren konstituierender Bestandteil wir in gewissem Rahmen auch sind. Je nachdem, wie sehr wir uns dessen bewusst sind und wie sehr wir uns mit diesem einzelnen Organismus identifizieren und vor allem auch in diesen einbringen, bildet sich auch dessen Charakter, dessen Bewusstsein und Seele aus, basierend zum Teil auch auf dessen Vergangenheit und Geschichte, zum Teil auf seiner Gegenwart und viel zu wenig auf seiner Zukunftsorientiertheit. Die Qualität, mit der sich die Mitglieder eines solchen Organismus in diesen einbringen, und die bewusste oder unbewusste Identifikation mit ihm bestimmen seinen Charakter, den Grad seiner Bewusstheit und Individualisierung und die Stärke und Formung seiner Seele.

Das Bewusstsein, vor allem, wenn es nicht sehr weit entwickelt ist und keinen oder nur einen schwachen Kontakt zu seiner Seele hat, neigt dazu, sich abzugrenzen und sich zu etwas Besonderem hochzustilisieren, denn in diesem Stadium ist es verletzlich und seiner selbst nicht sicher. Die Folge ist ein pubertäres Verhalten: ein Hervorheben der eigenen Werte, ein Kleinmachen von anderen und pöbeln und stänkern, und auf der Ebene der Nation entsteht daraus natürlich der Nationalismus mit seinen Auswüchsen.

Dieser ist in gewissem Rahmen durchaus nützlich, wird aber meist völlig überzogen ausgelebt. Nützlich ist er insofern, als er hilft, den Charakter, das Bewusstsein und die Seele einer Nation auszuformen und zu individualisieren – wenn man dabei in der Lage ist, die wahren Werte einer Nation herauszuarbeiten. Aber dies geschieht meist auf sehr harte, ausschließliche, egoistische und konservierende Weise. Das heißt, es wird einmal festgelegt, wie der Charakter zu sein hat, und dann wird alles dafür getan, dass es auch so bleibt oder wird. Doch dabei ist der Wert dieses Bildes eher zweitrangig. Und wenn dann noch versucht wird, dieses Bild mit Gewalt durchzusetzen, dann entsteht daraus blinder, dummer und ausgrenzender Nationalismus.

Aber wie jeder Organismus lebt auch eine Nation, sie verändert sich, sie entwickelt sich, sie reift. Und wie jeder Organismus hat auch jede Nation ihren ureigensten Platz im Gesamtbild, im Zusammenwirken aller Kräfte. Ein gesunder Nationalismus trachtet danach, die edelsten Seiten einer Nation oder Volksgruppe herauszuarbeiten und zu einem reifen, erwachsenen, weisen, wachstums- und wandlungsfähigen Individuum zu werden, statt ihr Dasein als bockiger Teenager zu zementieren. Eine solche gereifte Nation hat auch kein Bedürfnis nach Macht und Dominanz, sondern nimmt stolz und gleichzeitig bescheiden ihren Platz im Konzert der Nationen ein.

Ein solcher Nationalismus und die politische Globalisierung, also das Zusammenwachsen der Nationen zu einem größeren Organismus widersprechen sich dann auch nicht mehr. Wir haben kein Problem, uns mit unserer Familie zu identifizieren, mit dem Viertel oder dem Ort in dem wir leben, mit unserer Region, mit unserer Volksgruppe, mit unserem Land – alles gleichzeitig und ohne Loyalitätskonflikte. Unser Wachstum als globaler Organismus geht, nachdem die Länder einigermaßen erfolgreich, wenn auch in Details nicht ganz zufriedenstellend, etabliert wurden, auf die nächsten beiden Stufen zu: der Gestaltung kontinentaler Organismen, wie es in Nordamerika schon fast gelungen war und woran Europa gerade hart arbeitet, und natürlich dem Aufbau eines globalen, planetaren Organismus, der erst in dem Maße, in dem er zum Leben erweckt wird, in der Lage ist, das unendliche Elend, das weite Teile Terras, unserer Welt, im Griff hat, zu besiegen, denn es liegt in der Natur eines wirklichen Organismus, dafür zu sorgen, dass all seine Bestandteile wohlauf sind, denn geht es einem Teil nicht gut, dann leiden auch die anderen darunter. Das ist eine Erkenntnis und Sichtweise, die sich in der Politik und der Wirtschaft noch nicht durchgesetzt hat.

Die Globalisierung ist wichtig für die Gesundung unseres Planeten und für unsere Zukunft. Richtige Globalisierung bedeutet aber nicht, dass Joghurt hunderte oder tausende Kilometer weit transportiert wird, wenn es in unmittelbarer Umgebung in ausreichender Menge produziert wird. Sie bedeutet auch nicht, dass die Banken übereinander und über die Länder herfallen oder dass einzelne Länder ausgebeutet werden oder dass sich das fehlerhafte Konsumverhalten der jetzigen reichen Länder auf den ganzen Globus ausbreitet oder dass alle Länder politisch und kulturell gleichgeschaltet werden. Wirkliche Globalisierung bedeutet, dass alle gemeinsam auf einen ressourcenschonenden Lebensstil hinarbeiten, alle den gleichen Anspruch auf ein zumindest würdevolles Leben haben, alle in Liebe und Einklang miteinander leben und durch die Vielfalt der Nationen auch eine kulturelle Vielfalt und eine Vielfalt der Sichtweisen gewährleistet ist, die unser zukünftiges Leben und unsere Evolution anregen und sichern können.

Evolution benötigt Vielfalt und führt zu immer komplexeren und subtileren Organismen. Die Entwicklung einer globalen Kultur ist ein solches Ergebnis der Evolution des Menschen. Irgendwann in Jahrhunderten werden die vielen Kulturen natürlich zu einer einzigen verschmelzen, aber wer weiß, vielleicht ist es dann an der Zeit für den nächsten Schritt, ein galaktisches oder gar kosmisches Bewusstsein, sei es durch Gründung von Kolonien auf fernen Planeten oder durch Kontakt zu außerirdischem Leben. Es steht uns frei, wie wir auf der kosmischen Bühne dereinst auftreten wollen: als gewalttätige und zerstrittene Parias mit einem zerstörten Planeten oder als stolze Planetarnation Terra.

Die Nationen der Welt ähneln heute einer Gruppe von Bergsteigern, die durch ein Kletterseil miteinander verbunden sind.

Michail Gorbatschow

Politik – Eine Zukunft für die Zukunft

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