Читать книгу Mit einem Fuss draussen - Anaïs Meier - Страница 10

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Ich atme in den Schilfbast.

Ich atme in den Schilfbast und hoffe, dass sie mich nicht sehen. Haben sie aber.

Hier, im hinteren Bast des Sees. Gleich werden sie mich herausholen, aber vorher werden sie noch ihre Gummihosen anziehen müssen, weil sie ohne nicht Mann genug sind.

Wie ich hierhin gekommen bin, in der nassen Erde liegend, ganz kalt am Bauch – ist alles die Schuld vom Fuss, der im See ist.

Es ist mein Selbstverständnis, ihn herauszuholen und zu untersuchen, woher er kommt und was er will.

Ein Zischen, ich schaue nach links. Da ist die Ente und sie lacht mich aus. Wie ich hier liege, ist die Ente plötzlich grösser als ich. Der Fuss ist nah, aber zu weit weg.

Jetzt kommen sie aus ihrem Vereinshaus.

Ich will nicht, dass sie den Fuss sehen. Die dürfen meine Mission nicht kennen, die verpfuschen mir nur alles, ich mache das alleine.

Sie kommen näher.

Ich robbe weg, durch die Erde und alles, der Bast ist nicht dicht genug, ich bin wohl visuell auszumachen. Angst klopft in den Schlamm.

Jetzt sehe ich ihre Gesichter, ich krieche rückwärts und greife in den Schmutz der Böschung. Ziehe mich am Bast, am Schilf, hoch und renne weg. Die kriegen mich nicht, die nicht.


Wie ich gerannt bin, raus aus dem Park, der Park, in dem der See ist, bin ich hinten über den niedrigen Drahtzaun gehechtet. Zum Baugrund, und habe mich hinter die Büsche gekauert. Eine Position, wie sie eigentlich nicht wünschenswert ist für einen über fünfzigjährigen Mann.

Es hat noch nicht allzu viele Blätter am Gebüsch, es ist ja erst Anfang April. Hinter mir ist ein riesiges Loch im Boden, sie wollen da Mehrfamilienhäuser bauen. Aber sie fangen nie recht damit an, ja nu, umso besser, jetzt habe ich hier ein schönes Versteck. Ich linse durch die spärlichen Blätter und Zweige und sehe, wie die vom AFS, wie die in ihren Gummihosen im See herumstehen und die Köpfe hin und her bewegen, wie sie mich suchen. Die habe ich fürs Erste ausgetrickst, die AFSler. Anglerfischer Schweiz, die haben sich noch nie durch Intelligenz hervorgetan, nur durch Biertrinken und dumme Sprüche, den ganzen Tag.

Von hier überblicke ich den Park doch recht gut, und mich sieht niemand, das ist auch gut. Aber ich sehe mit meinem Fernglas die anderen ganz hervorragend! Ich sehe die Jugendlichen, wie sie auf dem Steg sitzen und die Cannabis-Zigaretten hinter ihre Rücken halten, ich sehe die Ente, wie sie mit gleichgültigem Blick zwischen den Gummihosen vom AFS Slalom schwimmt. Die Ente immer, mit ihrem Etepetete-Gehabe, die denkt wohl, sie sei was Besseres.

Jetzt steigen die ersten wieder aus dem Wasser und gehen zurück zu ihrem Vereinshaus, wo sie immer vornedran sitzen und in die Welt glotzen. Die Vereinshütte ist nicht weit, der Park ist ja klein. Er hat keinen richtigen Namen. Er heisst einfach nach dem See, weil viel mehr ist da nicht: der See, der Egelsee, ein Weg, die Vereinshütte, ein Steg in den See, drei Bänke am Weg und Bäume. Der See hat die Form einer Niere.

Das alles sehe ich von hier. Ich kenne den Park gut, wie auch den See. Ich bin jeden Morgen und jeden Abend hier, um meine Balance- und Atemübungen zu machen. Es ist der Flamingo, den ich immer mache. Dann gehe ich eine symbiotische Beziehung zum See ein und habe Kontakt zum Universum.

So halte ich das alles hier im Gleichgewicht. Aber mir sagt ja nie jemand Danke, nie. Niemals kommt einer und sagt, Danke Gerhard, das hast du jetzt aber gut gemacht, Supergerhard, du. Das bin ich. Ich bin Gerhard.


Seit der Fuss im See ist, kann ich meine Übungen nicht mehr machen. Er stört das Gleichgewicht der Umgebung. Ich verliere die Balance und muss immer wieder abstehen. Was nicht elegant aussieht, den Flamingo mit zwei Beinen machen. Das zeigt, es stört den See, wenn der Fuss da drin ist. Der See wendet sich an mich und fragt mich um Hilfe. Das geht, weil ich ein hypersensibler Mensch bin. Ich habe Kontakt zu den Dingen.

Ich muss den Fuss also aus dem See schaffen. Erstens um dem See zu huldigen, aber auch, weil ich dann herausfinden kann, wem er gehört. Dann bin ich Kommissär und kläre einen Kriminalfall auf, das passt schon lange zu mir. Die zuständige Vertreterin des Gesetzes wäre ja eigentlich die Securitas-Sicherheitsangestellte Blüehler, aber der steht die Faulheit ins Gesicht geschrieben und auf die fetten Hinterbacken. Ich sage der sicher nichts vom Fuss, den hole ich selber und dann heimse ich die ganze Anerkennung ein. Einmal hatte Blüehler sogar den Hosenstall offen und ich habe ihr nichts gesagt!

Blüehler hat einen Hund, einen Collie. Er heisst Grimsel und ist eigentlich ganz in Ordnung. Aber ich verstehe nicht, was er mit der will. Der könnte sich eine viel bessere suchen! Grimsel hat Streit mit der Ente, deshalb verstehen wir uns.

Die Ente regt mich ungemein auf. Ich mache immer so Geräusche, um sie zu nerven, aber so, dass es die Leute nicht merken. Ich weiss auch nicht, vielleicht hat sie den Fuss schon gesehen, aber das würde sie mir nicht sagen. Manchmal habe ich Angst, die schwimmt da raus und stiehlt mir den Fuss oder macht ihn kaputt, am Schluss frisst sie den noch auf!

Ich glaube, noch bin ich der Einzige, der den Fuss gesehen hat. Obwohl der so poppig und farbig leuchtet, er steckt nämlich in einem Turnschuh. Einem für Männer, mit mehrfarbigen Schuhbändeln, die eine gute Stimmung machen, so stelle ich mir die vor. Aber so nahe bin ich ja noch nicht herangekommen, nur fast.

Vor einer Woche war das, als ich den Fuss das erste Mal gesichtet habe. Da war es noch März, jetzt ist es April und es wird wieder wärmer. Dann installieren die vom AFS ihre Liegestühle und stecken Aschenbecher in den Boden, die sie bestimmt im Sommer-Freibad gestohlen haben. Dann liegen sie den ganzen Tag in den Liegestühlen herum, trinken Bier aus Dosen und verhöhnen mich mit Sprüchen. Immer wieder wird es April, jedes Jahr.


Nun bin ich wieder hier, zu Hause in meiner Klause und sinniere bei einem guten Thymiantee. Es ist Thymianwoche, nächste Woche ist wieder Salbei. Ich freue mich auf den Salbei! Aber das nur nebenbei.

Es ist doch so: Mit einem Fuss draussen weiss man nicht, wo man steht! Man muss ihn einholen und genauer untersuchen.

Ich habe es bis jetzt mit einem langen Stockast versucht, mit einer Angelrute und einem Netz, aber er entgleitet immer. Es wäre ja einfach, wenn ich ein Boot wässern könnte, aber die Statuten vom See verbieten das. Also bin ich vor einigen Tagen zu denen vom AFS, um ihre Geräte zu fordern, weil die dürfen ja in den See.

Vor dem Häuschen waren einzig Kevin, der gewalttätige Junior, und Krückenpatrick, der zum Abstützen seines Übergewichts immer eine Krücke dabei hat. Krückenpatrick ist der neue Freund von Blüehler, ich musste also achtgeben. Kevin und Patrick werden höchstwahrscheinlich an Leberinsuffizienz sterben, weil sie hatten schon wieder ein Bier in der Hand. Ich fragte nach Boot und Rechen, ich hätte etwas zu tun, im See.

Die beiden waren kurz ruhig, um die Räder in ihren Oberstübchen ins Getriebe zu bringen. Dann machten sie die Schlünde auf und heulten. Sie nennen das Humor, ich habe das schon mal erlebt. Kevin verschluckte sich und lief rot an. Ich hoffte kurz, dass er erstickt. Dann sagte Krückenpatrick, der See werde irgendwann Mitte, Ende Frühling gesäubert und fertig.

Gestern habe ich die Gummistiefel angezogen, mit dickem Plastikklebestreifen zu den Hosen abgedichtet und weiter hoch, bis über den Bauchnabel, alles wasserdicht verklebt. Dann habe ich einen langen Stockast genommen und bin in den See gewatet, am Ufer entlang nach hinten, bis zum Bast, durch den der Fuss mit dem Schuh grell und farbig leuchtet.

Normalerweise lassen mich die vom AFS, aber siehe da, will ein Bürger etwas Gutes tun, sind sie sofort von ihren Liegestühlen aufgesprungen und haben mir gesagt, ich solle herauskommen. Natürlich bin ich nicht heraus, also sind sie hinein, aber zuerst mussten sie ihre blöden Spezialhosen anziehen, und als sie damit fertig waren, da bin ich schon fast beim Fuss gewesen. Der gewalttätige Kevin hat noch mit Steinen nach mir geworfen, sobald ich den mal alleine erwische, bekommt der mit dem Stockast eine Tracht Prügel, ich bin ja jetzt Kommissär.

Und dann war ich eben hinter den Büschen beim grossen Loch im Bodengrund. Ich muss mir alles genau überlegen, es geht hier schliesslich um einen Fall. Auch geht es darum, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Wenigstens im Park.

Weil hier bei mir zu Hause ist immer Lärm, das Haus ist alt und wie von Rockytocky und wir haben alle nur eine Einzimmerklause. Lange ging es gut, ich wohne seit zwanzig Jahren hier. Viele Süchtige waren es früher, und Punkfrisuren. Die sind mir alle recht, nur nerven sollen sie mich nicht. Aber jetzt sind junge Männer einer kriminellen Schlägergruppierung eingezogen. Als Gruppierung erkennbar machen sie sich durch ihre Uniform. Alle tragen dieselben weissen Turnschuhe und längsgestreiften weissen Trainerhosen, obwohl denen ihre Einstellung ganz und gar nicht sportlich ist. Zuerst war es nur einer, über die letzten Jahre wurden es immer mehr, und ehe man sich versieht, ist das ganze Haus voll mit denen!

Jede Nacht lärmen sie unter meinem Fenster, jede Nacht. Man hört hier alles, was die anderen tun. Das Haus hätte schon längst abgerissen werden sollen, aber die Herren Architekten haben wohl Angst, hierherzukommen und alles zu vermessen. Jedenfalls kriege ich jedes Jahr einen Brief, in dem steht, dass das Haus noch ein weiteres Jahr stehen bleibt. Und jedes Jahr wird es schlimmer mit den Bewohnern. Hier kann ich nichts mehr ausrichten, aber der Park, der kann mein Garten Eden sein.

Wie ich das alles denke, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Was, wenn der Krückenpatrick gelogen hat mit dem Datum der Seereinigung? Unbedingt muss ich den Fuss selber einholen, bevor die möchtegernischen Angelfischer mit ihren Rechen zwischen die Tiere steigen und ihre Sprüche in den See streuen. Ich muss herausfinden, wann sie dieses Jahr rechen werden, um ihnen zuvorzukommen. Dazu muss ich ins Internet surfen, dort haben die vom AFS einen Fotoklick-Kalender.


Ich bin auf dem Weg. Wieder zum Park, zum See. Ich muss ja in das Internet hineingehen, als Nächstes. Das Internet, finde ich, ist eine tolle Sache, das hätte ich mir erfinderisch ausdenken sollen, wie ich mir vieles ausgedacht habe. Aber das Internet, nein, das habe ich nicht geschafft, dass das meiner Hirnstruktur entsprang. Was in mir grosse Ehrfurcht auslöst.

Jedenfalls weiss ich, dass die Jugendlichen solche Smartphones haben, und es entstand in mir das Gedankengut, dass ich mich mal zu denen geselligen werde. Zwar rufen sie mir manchmal Blödheiten zu, wenn mir der Flamingo nicht recht gelingen will, aber das ist selten und ansonsten lassen sie mich in Ruhe. Ausserdem sind sie wegen ihren Cannabis-Zigarettenstummeln in ewigem Zwist mit dem AFS. Ich habe anno dazumal auch noch solche geraucht, da nannte ich sie Jazz-Zigaretten. Wie Kerouac on the Road, sozusagen. Aber das war damals. Heute ist das Internet.

Überhaupt bin ich derjenige, der denen immer die Stummel aufsammelt und in die Tonne wirft, die können sich auch mal dankbar zeigen. Dass die den Fuss noch nicht gesehen haben. Vielleicht haben sie ihn schon gesehen.

Ich schlurfe also zu den Jugendlichen, extra langsam, ich weiss genau, wie was cool wirkt. Ich denke mir so eine Dungdedungdedung-Musik, wie in den Krimis, oder wenn jemand Cooles zum Beispiel über ein Stück Rasen geht. Dann muss man so gehen, als wären die Beine ein bisschen wie aus Gummi, und das Gesicht muss man gleichgültig halten.

Die Jugendlichen blicken mich an. Ich blicke zurück und sage nichts. Das habe ich gut gemacht. Dann frage ich sie, wer der Anführer sei. Sie lachen, aber dann schauen alle zu einem grossgewachsenen Buben mit einer Kreiselbrille, wie sie früher die Hippies hatten, es sind gute Brillen, finde ich. Sie machen lustig. Der Anführer hat alte Rollschuhe an und liegt irgendwie unbequem auf dem Steg, irgendwie weil er zu gross ist für alles. Ich wende mich also an ihn, Corsin heisst er. Ich sage: „Corsin, es ist Krieg. Es ist Krieg, hier im Park.” Corsin sagt, er möge Spinner, die seien nicht so wie seine Eltern. Ich sage: „Corsin, ich erlaube euch, mir bei meinen Ermittlungen zu helfen, unter meinem Kommando.” Er sagt, seine Eltern seien beide total konservativ. „Corsin”, sage ich. Ich sage: „Corsin, im See liegt eine Leiche.”


Ich weiss nicht, warum ich Leiche gesagt habe. Corsin sagt jedenfalls nichts mehr. Ein Mädchen mit pinkfarbenem Haar beginnt, vom Kraut benebelt, zu kichern. Ich korrigiere mich umgehend: „Also keine ganze Leiche in dem Sinn, aber ein Fuss.“ Ich sage: „Die Leiche muss aber auch irgendwo sein.“ Das wird mir da grad wie klar, in diesem Moment, dass hier ja auch irgendwo eine Leiche sein muss!

„Wo“, sagen die Jugendlichen.

„Dort hinten, im hinteren Bast“, sage ich. Und sie schauen. Das Mädchen sagt, das sei Schilf. So was mag ich gar nicht und mir fällt auf, dass das Mädchen eigentlich wie ein Giftzwerg aussieht, mit ihrem dummgrell gefärbten Haar. Doch da erinnere ich mich der Frisuren, die ich als junger Gerhard getragen habe, und beschliesse, ruhig zu verbleiben.

Also, die Jugendlichen schauen. Und sie sehen den Fuss. Sie sehen den Fuss und sagen definitiv gar nichts mehr. Das habe ich gut gemacht.

Dann erkläre ich, wie wichtig es eben ist, in das Internet zu surfen, wegen wann die Angelfischer den See sieben. Die Jugendlichen schauen zum Mädchen mit Kaugummihaar. Die öffnet den Rucksack, holt ein Smartphone hervor und schiebt ihren Finger darauf herum. Und dann zeigt sie uns die ungeheuerliche Wahrheit: Der AFS hat das Datum der Seereinigung vorverlagert. Dieses Jahr sieben sie schon Anfang April, in sechs Tagen, um genau zu sein.

Da spüre ich eine Schwäche in mir aufsteigen, die sich wie Gallensaft anfühlt und mir die Augen zuschleiert, dass ich die Scheibenwischer einschalten muss. Ich mich hinsetze und wohl etwas desolat den Eindruck mache. Die Jugendlichen schauen mich mit grossen Augen an, dann schiebt sich Corsin zu mir und nimmt mich in seine Arme. Zuerst will ich ihn wegstossen, aber wie ich ihn anschaue und er einfach nur nett aus seiner lustigen Kreiselbrille zurückblickt, lasse ich es sein. Wie ich mich etwas beruhige, hören mir die Jugendlichen genau und gut zu. Ich erzähle vom Fuss, vom AFS, von meinem Plan. Sie nicken und schauen einander und mich an und sagen, dass sie mir helfen würden. Und dann sagen sie auch noch, sie seien jetzt meine Freunde. Wir verabreden uns für morgen, selbe Zeit, Steg.

Das euphorisiert mich ganz erstaunlich, wie ich von den Jugendlichen davonschreite. Zu wissen, in ihnen nun eine treue Helferschaft hinter meinem alten Rücken zu haben. Ich falle wieder in den Gummibeinschritt und gehe cool am Häuschen vom AFS vorbei. Vor dem Parkausgang treffe ich die Ente. Normalerweise würde ich ihr eine Beleidigung zischen, aber so, so frohgemut, grüsse ich die Ente nur höflich.


Es ist Nebel über dem See und es nieselt. Jetzt, da ich die Ente mal brauchen könnte, glotzt die mich natürlich nur wieder blöd an. Ich sollte dieses Vieh im See ertränken, aber ich reisse mich zusammen und tue nett, denn ich habe Gefallen gefunden am Gedanken, Gehilfen und Kameraden zu haben. Auch spüre ich, die Ente weiss etwas oder gar viel, sie ist ja immer im Park und beobachtet alle. Das vermute ich stark, obwohl sie immer tut, als würde sie sich nur um sich selbst kümmern. Ich versuche mich also ein bisschen in Entenschmeichelei und buttere ihr den Honig gleich pfundweise an den Bürzel. Ein kleiner Knicks für ihre Majestät Ente hier, eine kleine Verbeugung da, ich übertreffe mich geradezu selbst.

Der Grund für meine übertrieben verzweifelte Verhaltensweise: Der Fuss ist weg. Jedenfalls ist er nicht mehr dort, wo er vorher war, ich habe schon den gesamten hinteren Bast durchkämmt. Ich war der Kamm, und zwar ein feinsteckiger, und der Bast war das Haar des Rätsels, das mysteriöse Haar. Man müsste jedes einzeln rausziehen, bis es dem Park so weh tut, dass der mir endlich sagt, was das für eine Sache ist mit dem Fuss.

Jetzt bin ich also bei den Büschen, es ist Nachmittag. Das sagt die Sonnenuhr, die ich um den Hals trage. Ich habe die Sonnenuhr selber gefertigt, als ich vor zehn Jahren bei den Ureinwohnern in Nordamerika war. Ich habe mir fast alles selber beigebracht und ich werde auch herausfinden, was das für kriminelle Machenschaften sind, die in diesem Park walten, und die werde ich dann stellen, ein Bein werde ich diesen Machenschaften stellen, dann fallen sie um und ich halte sie fest und sie haben Ehrfurcht vor mir und sagen, Gerhard, Herr Kommissär, Sie haben gewonnen, Sie schlauer Fuchs. Das ist nämlich, was ich bin.

Der schlaue Fuchs durchkämmt also den ganzen Park und die Ente watschelt nebenher.

Jetzt beginnt es richtig zu regnen. Der Schirm ist mir kaputtgegangen, normalerweise bleibe ich dann zu Hause und löte und flicke, ich hatte noch nie einen anderen. Aber jetzt ist das anders. Ohne Deckel muss ich mich dem versauerten Regen aussetzen, er hat mir schon drei Haare weggeätzt, ich habe es genau gespürt. Ich gehe kurz in den Laden, der exotisches Gemüsekraut feilbietet, und nehme mir einen der hellblauen Plastiksäcke. Den skulpturiere ich auf dem Kopf zu einem Helmschutz. Der Verkäufer lacht und macht ein Handzeichen, das den Daumen nach oben betont. Ich hebe den Fuss und mache mich vom Feld.

Zurück zum Tatort. Ich verbringe den Nachmittag einigermassen friedlich, wegen dem Regen bleiben die vom AFS in ihrem Häuschen.

Die Jugendlichen kommen nicht. Ich bin enttäuscht. Ich bin mehr als enttäuscht, es macht mich traurig, so was.

Es heisst ja immer, die Jugend sei zu nichts nutze. Aber ich dachte, das sagen die Leute nur, weil als die, die das sagen, jünger waren, waren sie ja auch mal Jugendliche! Ich zum Beispiel war gar nicht gern jugendlich, immer war der Lehrer mit mir am Schimpfen, trotzdem rufe ich jetzt nicht hinter den Jugendlichen her.

Ausser hinter Kevin. Aber der hat ein bösartiges Wesen. Einmal habe ich gesehen, wie er nach der Ente getreten hat. Die Ente hat mir fast leid getan.

Der Regen macht ständig mein Vergrösserungsglas nass. Im Vereinshäuschen hören die vom AFS Hardrock-Musik. Alle sind in ihren Häusern und tun nichts, allen ist alles egal. Und ich, ich krieche hier mit der Ente durch den Schlamm, alles dreckig, will ein Verbrechen aufklären – und was ist der Dank? Nie dankt mir jemand. Im Auftrag der Welt handle ich, und die Welt macht nichts und lacht mich aus. Ich bin der Affe hier, immer bin ich der Affe.

Mir wird klar, dass ich jetzt niemanden mehr habe ausser der Ente. Davon und überhaupt wird mir ganz elend.


Es hat mir die Ente dann aber doch noch ein spannendes Geschichtlein erzählt. So wie ich das sehe, stinkt der Mist beträchtlich in den Wind, und zwar aus dem Vereinshaus vom AFS, so viel ist klar. Gegenwärtig gehe ich heute und morgen nicht in den Park, die Herrschaften veranstalten dort nämlich ihr Theater, wenn sie mit den Rechen in den See steigen und sich als unglaublich wichtig betrachten.

Nein, die Tage bleibe ich zu Hause in meiner Klause und bereite meinen Coup vor. Weil das Fass ist voll, mit dem, was mir die Ente erzählt hat. Um mich vorzubereiten, intensiviere ich meinen Tagesrhythmus. Ich bin vom Thymian- auf den Salbeitee umgestiegen. Er wird mir die nötige Kraft verleihen.

Morgens bin ich jetzt immer schon vor dem Wecker wach, dann muss ich den Oberkörper wieder zurückschlagen und die Augen zukneifen, damit es der Wecker nicht merkt. Egal wie es um den See und den Fuss und alles steht, mit seinem Wecker will man sich nicht anlegen. Dann höre ich dem Radio zu und nehme den Tee, die letzten zwei Schlucke gurgle ich und spucke sie aus dem Fenster. Wer weiss, vielleicht treffe ich einen der kriminellen Schlägergruppierung.

Und das ist, was mir die Ente erzählt hat: Die Jugendlichen wurden mir gar nicht abtrünnig, sie wurden stummgeschaltet. Und zwar von Blüehler. Es ist alles sinn- und stichhaltig. Man könnte sagen, jeder Weg führt zu Blüehler.

Die Jugendlichen haben mir gesagt, sie würden mir helfen. Damit meinten sie sofort. Es wird mir traurig, wenn ich daran denke, hätten sie doch auf meine Befehle gewartet.

Noch in derselben Nacht versuchten es die Jugendlichen auf eigenes Tun. Sie wollten auf dem Baugrund warten, bis niemand mehr im Park war. Im Vereinshaus brannte aber noch Licht. Das Mädchen ging vor und linste durch das kleine Fenster. Es war Patrick, der betrunken im Sessel vor dem Vereinsfernseher schlief. Im Fernseher sangen die Scorpions „Wind of Change“. Das Mädchen winkte lautlos, sodass die anderen wussten, dass vom AFS gegenwärtig keine Gefahr ausging. Dann kletterten sie im Schwarzdunkel über den Zaun. Corsin blieb mit einem Rad seiner Rollschuhe hängen. Es gibt überall Spuren, die den Tathergang bezeugen, die Ente hat sie mir gezeigt.

Dann versuchte das Mädchen mit dem pinkfarbenen Haar den Fuss mit einem Stockast zu erwischen. Das klappt nicht, ich hätte es ihr doch sagen können. Sie legte sich auf den Bauch und rutschte immer weiter nach vorn, um den Fuss endlich zu erreichen!

Derweil suchten die drei Buben und Corsin in den Büschen nach der Leiche. Weil Corsin mit seinen Rollschuhen auf dem Rasen nicht gut fahren konnte, und auch weil sie alle von den Jazz-Zigaretten sehr benebelt waren, fiel er immer wieder hin und die Buben halfen ihm aufzustehen — und dann fällt das Mädchen in den See. Ach, ich habe es kommen sehen. Sie könnte ja meine Tochter sein, wenn ich Kinder hätte, vom Alter her!

Und wie das Mädchen im See war, konnte sie nicht schwimmen, weil sie an einem Schock litt, und sie konnte auch nicht schreien. Und wie die Buben sie gefischt hatten und sie in Corsins Schoss lag — Corsin weinte, er weinte. Weil das Mädchen redete gar nichts mehr, weil jetzt hatte sie einen noch viel grösseren Schock und die anderen auch. Denn über ihren ganzen Körper, über und unter ihren durchnässten Kleidern, wanden und krümmten sich unzählige von glitzernden, dicken, schleimigen Würmern. Blutegel. Und ihr ganzer kleiner Körper zitterte und die Egel darauf wurden so geschüttelt, dass es aussah, als zitterten sie ein wenig mit, nebst dem Kriechen und Aussaugen.

Da musste die Ente ihren Blick abwenden, es machte sie sehr betroffen. Die Ente stand ja die ganze Zeit da, hinter einem spärlichen Büschel Bast, und ihre Augen sahen das alles im fahlen Mondlicht.

Ich brauche einen Schluck Salbei. Seit der Geschichte mische ich allenthalben etwas Whiksy darunter. Ich sage Whiksy, weil das sagen Kommissäre, das ist wie in Der Chinese vom Friedrich Glauser.

Eben, und dann hörte die Ente aus der Dunkelheit, gottlob, da kommt Grimsel. Die Ente dachte nicht gottlob, weil sie und Grimsel nicht gerade die besten Freunde sind. Aber ich, ich denke es. Jedoch, oh nein, trabte natürlich die dicke Blüehler hintendrein. Blüehler ging zu den Jugendlichen. Und Grimsel vertrieb die Ente, deshalb konnte sie mir nicht weiter berichten.

Ich fasse zusammen: Was wir wissen, ist, seit Blüehler bei den Jugendlichen war, sind die Jugendlichen und auch der Fuss verschwunden. Ich will nicht behaupten, Blüehler sei die gesuchte Person, aber sie hat Verbindungen zum AFS, und das allein macht sie verdächtig. Also. Haben die Ente und ich uns geeinigt, als nächstes müsste eigentlich Grimsel befragt werden, und zwar von mir, weil die Ente und Grimsel, das geht nicht. Das Problem: Grimsel ist Blüehler völlig verfallen. Er würde sie nie verraten. Es bleibt also nur der Frontalangriff.


Sie haben ein Fest, heute Abend, in der Vereinshütte, um die jährliche Seesiebung zu feiern. Ayersrock spielen und danach Gspässig. Krückenpatrick ist bei Gspässig mit dabei, wenn ich mich nicht irre. Veranstaltung Open End bis 4:00 Uhr mit DJ Röbu. Open End spielen also auch noch. Umso besser für mich, umso besser. Ich werde sie dort umfassen und packen, wo sie am verwundlichsten sind, nämlich in ihrem vereinigten, bierseligen Kollegentun.

Es wird noch immer recht schnell dunkel. Ich setze meine Schirmmütze auf, auf der vorne PRESTO draufsteht. Dann ziehe ich den Schirm nach unten, damit es einen Schatten auf dem Gesicht gibt.

Auf dem Weg zum Vereinshaus überkommt mich ein euphoristisches Gefühl. Es ist kühl, das ist gut, das erfrischt den Geist und desinfiziert die Luft. Und der Frühling ist da und man riecht das Pflanzenreich, das wieder Hallo grüsst. Zusammen ist das wunderbar.

Ich bin also frohgemut, wie ich plötzlich die Jugendlichen erblicke. Es sind nun schon einige Tage, seit sie verschwanden, und jetzt sind sie einfach wieder da. Ich weiss nicht, wie ich das finden soll. Zuerst freue ich mich. Die Buben schieben Corsin auf der Strasse den Hang hinauf. Wie ich mich nähere, will ich sie ausfragen, wo sie waren, was passiert ist und so weiter. Aber kaum bin ich nah genug, geben sie Corsin einen Schubs, der flitzt die Strasse runter und weg ist er. Wie ich an den Buben vorbeigehe, schauen die zur Seite. Das Mädchen fehlt.

Ich beginne die Jugendlichen zu verabscheuen. Solche Verbündete brauche ich nicht. Ich tue auch nichts dergleichen und gehe geradeaus auf das Vereinshaus zu.

Aus den Fenstern fetzt laute Musik, das müssen Gspässig sein. Ich habe den Moment genau auskalkuliert. Vor dem Vereinshaus haben sich kleine Herden gruppiert, die laut reden. Behende füge ich mich durch die Menge und schaue in das Haus hinein. Auf der Bühne stehen Krückenpatrick und ein paar andere. Vor der Bühne kreisen vier Frauenbilder mit ihren Hinterbacken. An den Wänden stehen belämmert blickende Angelfischer mit einem Bier in der Hand und schauen den Frauen auf die Extremitäten, wie sie die schwingen.

Die Frauen tragen zu kurze Oberkleider und enge Jeansstoffhosen, die sie oben mit einem Gürtel noch mehr verengt haben, dass kleine Rollen vom Bauch darüber hängen. Sie tun übertrieben begeistert und so, als würden sie sich nur auf das Tanzen konzentrieren. Dabei schielen sie irgendwelchen Angelfischern auf den Hosenladen, beziehungsweise was darunter ist. Bei solchen Tieren muss ich keine Angst haben, die sind viel blöder als die Ente oder auch Grimsel. Und deshalb bin ich ja hier: Ich muss Blüehler finden, mitsamt Grimsel, und die beiden zum Reden bringen.

Ich gehe also nicht in das Vereinshaus, sondern darum herum. Hintendran hat es einen Gartentisch und Stühle und einen kleinen Schuppen, wo die vom AFS ihr vermeintlich supertolles Gerät lagern. Im Dunkel schleiche ich behende um das Haus, wie ein lauer Wind, so leicht.

Und wer sitzt allein am Gartentisch? Blüehler. Ohne Grimsel.

Ich also hin und frage sie, wo Grimsel sei, da wird mir gewahr, dass Blüehler ganz traurig aus dem Gesicht guckt, und sie sagt, Grimsel sei gestorben. Das tut mir sehr leid. Grimsel ist ein feiner Kerl, oder gewesen. Ich frage sie, wo er jetzt sei.

Und sie sagt, es gebe so Tonnen, da könne man die Kadaver hineintun. So was habe ich ja noch nie gehört.

Ich hätte Grimsel feuerzeremoniell auf dem See bestattet! Wie ich das sage, zieht Blüehler die Lippen zur Seite und zeigt die Zähne, also lächelt. Sie hat ganz schöne Zähne, eigentlich. Allerdings raucht sie viel, deshalb sind sie gelb. Auch säuft sie beträchtlich, sie hat ganz für sich alleinig eine Flasche Whiksy, den mit dem laufenden Kerlchen drauf. Ich sage, dass ich Whiksy auch ein bekömmliches Getränk finde, worauf Blüehler sagt, ich könne gern etwas haben. Ich erwäge kurz und will dann zu meiner Klause, um den Salbei zu holen, aber Blüehler findet, Whiksy gehe auch gut ohne.

Also schleiche ich mich noch einmal zurück zum Vereinshaus. Blüehler will nicht aufstehen, sie sei zu besoffen. Völlig inkognito hole ich zwei Plastikbecherchen, wobei solche Plastikbecherchen eine drollige Sache sind, so süss und klein, man kann sie knicken und sie machen Geräusche. Plötzlich denke ich mit ganz viel Gefühl, ich liebe diese Plastikbecher, fast wie meine Kinder. Obwohl ich ja gar keine Kinder habe.

Zurück zu Blüehler. Die kann ziemlich saufen, so als Sicherheitsbeauftragte. Ich halte wacker mit, weil ich mir die Chance nicht entgehen lassen kann, aus ihr wichtige Informationen herauszubekommen. Blüehler ist sozusagen die Nadel im Heuhaufen, obwohl sie eher eine stattliche Nudel ist.

Ich trinke also den Whiksy zusammen mit Blüehler und ohne Salbei, und in mir gärt die Erkenntnis, dass ich Blüehler genug betrunken machen muss, dann werde ich die Wahrheit aus ihr herauskriegen.

Als sie anfängt Edith Piaf zu singen, knuffe ich sie etwas in die Hüfte, damit sie endlich redet. Und Blüehler knufft zurück. Ich tue das alles für den Beruf, ein Komissär muss auch mal mit Agentinnen schlafen, ich kenne ja 007.

Mir wächst allerdings auch langsam ein Karussell über dem Kopf, aber ich bin mir sicher, wenn das vorüber ist, dann erzählt mir Blüehler alles. Das denke ich, als wir schon über den Rasen rollen. Mein Plan wäre auch sehr gut aufgegangen, wenn nicht plötzlich Krückenpatrick vor uns stehen würde. Der öffnet seinen Mund und will wohl etwas sagen, aber es kommt nichts heraus. Dann macht er kehrt und spuckt auf den Boden.

Ich bin froh und will mich wieder in Blüehlers Umschwung senken, da will sie plötzlich nicht mehr. Steht auf und rennt zum See, ich hintendrein, und das in einem erektionalen Zustand!

Jetzt liegt sie auf dem Steg und kotzt fürchterlich ins Wasser. Ich tätschle ihr den Rücken und denke an Grimsel und werde auch ganz traurig.

Die Ente steht da und guckt. Wie Blüehler fertig gekotzt hat, gebe ich der Ente ein Zeichen, dass sie auf Blüehler aufpassen soll, und gehe zurück zum Vereinshaus. Die vom AFS haben im Frühling Decken auf den Liegestühlen. Ich entwende die Decken allesamt und ein Mineralwasser. Das alles bringe ich der Frau Patientin Blüehler. Die freut sich. Morgen werde ich sie fragen. Ganz sicher. Die Ente nickt mir anerkennend zu. „Gut“, sagt die Ente, „das hast du gut gemacht, Gerhard.“

Mit einem Fuss draussen

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