Читать книгу Düstere Märchen - Andrea Appelfelder - Страница 3

Hensel & Gretel – Hexenjäger

Оглавление

Andrea Appelfelder

Düstere Märchen nach den Geb. Grimm

Das folgende Werk ist rein fiktionaler Natur und beruht frei auf dem Märchen der Gebrüder Grimm.

Jegliche Ähnlichkeiten zu bereits existierenden Namen, Figuren und Orten sind reiner Zufall und haben nichts mit diesen zu tun.

Es war einmal in einem fernen und unbekannten Land, tief in einem dunklen und furchterregenden Wald. Die Nadelbäume ließen kaum den Sonnenschein auf den Erdboden scheinen und alles wirkte gespenstisch, aber noch viel tiefer in diesem gottverlassenen Stück Erde war ein riesiges herrschaftliches Anwesen, das dem eines Königs schon fast glich.

Dieses ungewöhnliche, aber auch düstere Märchenschloss glänzte weiß im Mondlicht und golden im Schein der Sonne.

In diesem einzigartigen Haus lebte ein alter, von der harten Arbeit geformter Mann, der durch das Holzfällen und den daraus resultierenden Verkauf des Holzes zu etwas Geld gekommen war.

Dieses vermehrte sich sogar noch auf wundersame Weise nachdem er seine Frau, eine Heilerin aus dem Nachbarort, kennen und lieben gelernt hatte. Sie war hoch angesehen für ihre Künste und wurde sogar zu Königen bestellt. Einer dieser hatte ihr und ihrer Familie zum Dank für die Errettung eines Königskindes dieses Schloss geschenkt.

Viele, die neidisch auf den plötzlichen Reichtum waren, erzählten, dass die rothaarige, augenscheinlich ewig junge Frau, die alle Krankheiten heilen konnte, eine Hexe sei. Dies war aber nicht der Fall, sie war lediglich bei der Geburt von Gott mit Glück gesegnet worden.

Das Paar kümmerte sich aber nicht darum und lebte weiter für sich allein im Wald. Was die anderen sagten, interessierte sie nicht. Sie lebten dort viele Jahre glücklich und zufrieden.

Aber eines Tages geschah ein Missgeschick und seine geliebte Frau, die ihm vor einigen Jahren ein wunderhübsches Kind geschenkt hatte, tödlich verunglückte. Niemand konnte genau sagen, ob es ein Unfall gewesen war, sie von einem Tier getötet worden war oder sie auf dem Weg nach Hause überfallen und dann ermordet worden war.

Ihr Mann glaubte an den Groll der Nachbarn und er pflegte stets melancholisch zu sagen, dass das ihr in die Wiege gelegtes Glück nichts gegen einen wütenden und neidischen Mob half, aber er sagte auch, das sie schöne Jahre hatten.

Seit diesen Tagen hielt sich der Holzfäller aus dem Nachbardorf fern und machte seine Geschäfte lieber weiter weg, allerdings erfuhr er, dass es den Leuten aus dem Dorf immer schlechter ging und sah dies als Schuldeingeständnis.

Seit dem Tod seiner Frau lebten also nur noch er, sein Sohn Hensel und der Hausvorstand und Student, der den Namen Gretel trug, im entlegenen Haus. Alle anderen Bediensteten, die bis zum Ableben der Frau das Haus bewohnt hatten und es in Schuss gehalten hatten, hatten sich das Maul über das Schicksal der gefallenen Hausherrin zerrissen und waren entlassen worden. Sie hatten auch darüber gesprochen, dass sie nicht mit Gott, sondern mit dem Teufel im Bunde gewesen war.

Das Leben der drei war glücklich und floss nur so vor sich hin, bis der junge Hensel schließlich siebzehn Jahre alt war.

Der Vater fühlte sich mit fortschreitenden Zeit aber doch zu einsam und so brachte er eine neue Frau, die das Loch in seinem Herzen füllen sollte, in das Haus seiner einstigen glücklichen Familie.

In diesem Moment des Umbruches beginnt unsere Geschichte über ewige Jugend, dunkle Magie und Mord.

Hensel blickte gedankenverloren in die unendlichen Weiten des blauen Himmels und schien über etwas nachzudenken. Er war extrem angespannt und versuchte verzweifelt sich wieder zu beruhigen. Er wünschte sich, dass ihm in diesem Moment alles egal sein könnte, aber es gelang ihm nicht.

Der Junge war so vertieft, in seine Gedanken, dass er nicht einmal bemerkte, dass sich jemand in einem schicken, schwarzen Anzug neben ihn kniete und ihn sanft an der Schulter berührte: „Hensel, was hast du?“

Der junge Mann, der ähnlich gekleidet war, nur dass er ein lavendelfarbenes Hemd statt einem weißen trug, erschrak kaum merklich und drehte sich zu dem Fragenden, der nur einige Jahre älter war, als er selbst. „Gret, ich habe dich gar nicht bemerkt. Tut mir Leid.“

Während sich der blonde Hensel gerade hinsetzte und die Grasreste von seiner Kleidung entfernte, lächelte Gret seinen Schützling mit dem ebenmäßigen und noch jungenhaften Gesicht an: „Das habe ich gemerkt. Du warst so sehr in Gedanken versunken, dass ich mich sorgte. Was ist denn mit dir los?“

Hensel sah Gret mit seinen himmelblauen Augen in dessen smaragdgrüne Augen: „Heute ist der Tag, an dem diese merkwürdige Frau in unser Haus einziehen wird. Ich habe sie nur einmal kurz gesehen und ich hatte nicht den Eindruck, dass sie darüber, dass ich auch hier lebe, glücklich ist. Wenn du mich fragst, ist sie nur hinter dem Vermögen meines Vaters her, so wie sie darauf gedrängt hat, dass er sie heiratet. Das wäre für mich die einzige Erklärung. Was meinst du? Wieso sollte sonst eine alleinstehende, wunderhübsche Frau bei einem verwitweten, schon etwas altersschwachen Mann einziehen, der einen jugendlichen Sohn hat und den sie erst vor einem Monat kennengelernt hatte?“

Gret lachte nur noch mitfühlender, streifte sich durch sein ebenfalls blondes, etwas längeres Haar und setzte sich zu ihm auf den Rasen. „Ach Hensel, wenn sie schon so schnell miteinander leben wollen, ist es glaube ich Liebe. Du kennst das nicht, weil es hier niemanden in deinem Alter gibt. Aber hab keine Angst. Ich bin sicher, dass sie dich auch schon bald lieben wird, wenn sie dich nur besser kennt. Du bist einfach nur liebenswert, schließlich habe ich mich auch in dich verliebt.“

Hensel blickte den jungen Mann, der Mitte zwanzig war und ein wohlgeformtes Gesicht besaß, schüchtern und durchdringend an, hinterfragte aber nichts. „Vielleicht hast du recht, aber ich bin froh, dass du an meiner Seite bist und dass ich immer auf dich bauen kann.“

Nach einer kurzen Pause fand Hensel, der mit seinen fast achtzehn Jahren noch sehr jungenhafte Züge an sich hatte, seine Stimme wieder: „Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“

Der 1.80 m große Mann blickte auf seinen zehn Zentimeter kleineren Freund. „Da ich schon seit so vielen Jahre hier bin, musst du mich doch nicht mehr fragen. Sag es einfach frei heraus.“

Hensel blickte wieder in den Himmel. „Wieso haben deine Eltern dir den Namen Gretel gegeben obwohl du doch ein Junge bist? Außerdem sagtest du doch einmal, dass deine Eltern und älteren Brüder alle Jäger seien, also warum bist du dann als Studierender und dann Hausvorstand hierhergekommen statt ihnen nachzueifern? Bitte versteh mich jetzt nicht falsch, ich bin nur neugierig. Ich habe dich nämlich sehr gern und wünsche mir, dass du für immer hier bleibst bei mir.....äh uns.“

Gret blickte nun auch in den mittlerweile wolkenverhangenen Himmel. „Keine Angst, ich verstehe dich nicht falsch. Der Grund, warum ich nicht zu einem Jäger geworden bin, liegt wohl daran, dass ich durch meine sieben älteren Brüder und meine Eltern bereits mitbekommen habe, dass dieser Job nicht mein Fall ist. Meine Familie begann zwar in den ersten siebzehn Jahren meines Lebens, mich auf diese Arbeit vorzubereiten und mich auszubilden, aber tatsächlich warf ich traumatisiert alles hin, nachdem eine unserer Jagden schiefgegangen ist.

Meine Eltern waren damals sehr enttäuscht als ich meinen eigenen Weg außerhalb der Gemeinschaft wählte, aber mittlerweile haben sie es akzeptiert und freuen sich, dass ich bei euch glücklich bin.“

Gret wirkte bedrückt, zeigte aber sofort wieder durch ein breites Lächeln, dass er mit seinem Leben zufrieden war. „Wie ich dann hierher gekommen bin, weißt du ja. Ich habe dich, als du neun warst, im Wald gefunden, als du dich völlig verlaufen hattest. Damals war ich auch siebzehn, so wie du heute, und irgendwie genauso verloren wie du. Ich war unterwegs um nach einer neuen Berufung zu suchen, nachdem ich damals von zu Hause weggegangen war. Ich habe dich dann nach Hause gebracht und da wir uns so gut verstanden und dein Vater den Haushalt, neben Arbeit und Kind nicht mehr alleine hinbekommen hatte, nach dem frühen Tod seiner Frau und da er alle Dienstboten gefeuert hatte, fragte er mich ob ich nicht dableiben wollte um euch etwas zu helfen und so war das dann auch.“

Einige beschämte, schweigende Minuten später begann er dann endlich weiter zu berichten wie er zu seinem ungewöhnlichen Namen gekommen war. „Zu meinen Namen bin ich gekommen, weil ich nur ältere Brüder habe und meine Mutter sich sehr sicher war, dass ihr letztes Kind ein Mädchen werden würde. Als dem dann nicht so war, war nur ein Mädchenname für mich ausgesucht. Meine Eltern fanden es damals wohl sehr lustig mich dann so zu nennen. Naja, ich habe mich daran gewöhnt und mit dem Rufnamen Gret bin ich doch auch irgendwie ganz glücklich.“

Der Zuhörer saß mit einem leichten Kichern neben ihm und merkte an: „Das haben sie gemacht um dich zu ärgern? Das ist voll gemein.“

Gretel erhob sich. „Naja, das glaube ich irgendwie nicht. Sie waren damals einfach nur enttäuscht, dass ihnen das ersehnte Mädchen nicht beschert wurde. Aber jetzt komm. Es ist schon spät. Lass uns hineingehen und uns etwas Schickeres anziehen, damit wir einen guten Eindruck machen. Ich bin ohnehin schon sehr gespannt wie die Frau, für die dein Vater sein Klosterdasein aufgegeben hat, aussieht.“

Hensel erhob sich nun auch. „Ich bin froh, wenn Vater glücklich ist, aber ich wollte eigentlich nie, dass sich etwas ändert. Ich liebe es, dass nur wir drei...“ Der Blonde überlegte kurz und presste hervor: “...hier sind.“ Zu mehr war er in diesem Moment nicht mehr fähig. Er blickte zu Boden und verstummte.

Gret konnte ihm nur zustimmen. „Ganz ehrlich, ich bin auch deiner Meinung. Ich habe in der Zeit, in der nur wir eine … Familie... waren, nie etwas vermisst, ganz im Gegenteil.“

Die beiden jungen Männer waren in das herrschaftliche Anwesen zurückgekehrt und sie warteten nun umgezogen im grün bewachsenen Garten vor dem Schloss auf den Ehrengast.

Nach einigen Minuten der stummen Zweisamkeit, in der die Beiden sich abwechselnd ansahen ohne dass der jeweils Andere es sah, gesellte sich nun auch der Hausherr zu ihnen. Er reichte Gret freundschaftlich die Hand und umarmte seinen Sohn kurz aber herzlich. „Du brauchst keine Angst zu haben. Sie ist eine gute Frau. Du wirst nach so langer Zeit wieder einmal eine liebe Mutter haben und du Gret, du kannst mit deinen Studien intensiver fortfahren, da sie nun einiges deiner Arbeit übernehmen wird. Ich hoffe aber, dass du auch weiterhin bei uns bleibst und Hensel ein guter Freund bist.“

Gret nickte lächelnd: „Ich will nichts anderes als hierbleiben. Ich liebe euch genauso wie meine eigene Familie.“

Nun mischte sich auch Hensel ein. „Dann sind wir uns ja einig. Alles andere als das wäre auch falsch. Ich liebe Gret wie einen großen Bruder.“

Einen Augenblick später fuhren vier bespannte, düstere Kutschen mit je vier schwarzen Pferden vor. Die erste hielt an und ein schwarz gekleideter, junger Kutscher half einer jungen Dame, die um die dreißig sein musste, in einem feinen dunkelblauen Rüschenkleid, von der Kutsche herab.

Die Frau spannte einen dunklen Sonnenschirm auf, der ihr Schutz vor der kaum scheinenden Sonne bieten sollte, und schritt langsam auf die Wartenden zu.

Sie küsste ihren neuen Mann ganz selbstverständlich auf dem Mund und hinterließ eine rote Spur von ihren geschminkten Lippen auf den seinen und dieser umarmte sie wiederum innig.

Nach dieser herzlichen Begrüßung stellte er die beiden Männer, die an seiner Seite standen und sich eigentlich fehl am Platz fühlten, vor. „Das ist mein geliebter Sohn und Stammhalter Hensel und dieser junge Mann ist unserer Hausvorstand, beziehungsweise großartige Stütze, seit dem Tod meiner ersten Frau. Gret. Er ist ein Studierender der Volksgeschichte.“

Während der stolze Vater von einen auf den anderen wies, musterte die neue Frau beide von Kopf bis Fuß. „Ich dachte, nach deinen Erzählungen, dein Sohn wäre jünger. Ich habe ihn ja nur einmal gesehen, er ist doch eigentlich schon alt genug um das bequeme Leben im Haus seines Vaters aufzugeben. Vielleicht sollten wir ihn zum Militär schicken, dort werden immer Männer benötigt. Außerdem ist ein Angestellter, der noch einen Nebenerwerb hat etwas wenig, der schafft doch die ganze Arbeit gar nicht. Wir sollten...“

Hensels Vater sah seine Frau etwas ungläubig an: „Aber Schatz, mein Sohn ist erst siebzehn und mein ein und alles. Außerdem hat er seine schulische Ausbildung noch lange nicht beendet, schließlich soll er einmal mein Gewerbe leiten und sie für weitere Generationen erhalten. Außerdem ist er nicht an Töten und Krieg interessiert. Ich denke, selbst wenn er es wäre, ich würde ihn auch nicht gehen lassen. Ich will ihn schließlich nicht verlieren. Gretel wiederum ist nicht nur unser Angestellter, er ist unser Freund und du sollst einen Großteil der Hausarbeit für ihn übernehmen. Das hatten wir aber auch besprochen und du warst auch dafür.“

Die Frau an seiner Seite versuchte sich aus der Affäre zu ziehen und blickte nur noch zu ihrem Mann. „Natürlich, du hast recht mit allem. Ich war nur von dem großen Anwesen und der vielen Arbeit erschrocken.“

Sie reichte Hensel kurz die Hand und ignorierte Gret. Hensel schüttelte die Hand seiner neuen Mutter nur widerwillig, hatte er mit seiner Vermutung doch recht gehabt. Immerhin war ihre Reaktion schon mehr als komisch. Warum sollte er am liebsten gehen und warum ignorierte sie Gret? Nach kurzer Überwindung reichte sie nun auch Gret die Hand. Doch dieser war noch misstrauischer als Hensel und als seine Hand die Hand der Frau berührte, durchzuckte ihn ein ungutes Gefühl und er dachte an das, was seine Eltern ihn damals beigebracht hatten.

Die Frau schien auch etwas zu spüren, wirkte unsicher und richtete sich wieder an ihren Mann: „Schatz, zeigst du mir bitte mein Zimmer? Ich möchte mich etwas ausruhen. Dein Sohn und der Diener können sich ja derweil um mein Gepäck kümmern.“

Der Vater nickte nur seinem Sohn und Gret zu und verschwand mit ihr im weitläufigen Haus. Hensel drehte sich noch einmal um und wandte sich dann an seinen besten Freund. „Glaubst du immer noch an die wahre Liebe zwischen den Beiden?“

Gret schüttelte den Kopf. „Sie ist merkwürdig. Ich kann dir aber noch nicht sagen inwiefern. Es ist einfach nur so ein Gefühl, was sich meiner bemächtigt und mich an die Zeit bei meinen Eltern erinnert hat.“

Die Beiden sahen sich noch kurz an und wiesen den Kutschern und deren Helfern den Weg ins Zimmer der neuen Hausherrin. Einige Koffer wurden in ihr Zimmer getragen, wieder andere, darunter die größten wurden in den Keller verbracht. Nachdem die Arbeit der Helfer erledigt war und sie bezahlt worden waren, verließen sie das Haus wieder.

Die drei Männer waren im Esszimmer versammelt und warteten auf das besondere Essen, was ihnen die Herrin am Tag ihrer Ankunft versprochen hatte. Sie war schon über drei Stunden in der Küche, doch als die Männer schon begannen unruhig zu werden, servierte sie ihre zubereiteten Speisen.

Der Tisch füllte sich immer mehr, aber der Vater blickte sich verwundert um. „Es sieht alles sehr lecker aus und du hast dir wirklich mühe gegeben, aber warum gibt es nichts Richtiges zu essen, nur Kuchen, Torten, Lebkuchen und Kekse. Das ist doch alles so ungesund und du weißt doch, dass ich so was nicht mag.“

Es stimmte, was der Mann sagte, alles, was seine Frau auch noch auf den Tisch stellte, waren nur süße Leckereien. Sie ignorante aber die Frage, setzte sich auch an die Tafel und forderte alle zum Essen auf.

Hensel und Gretel weigerten sich, etwas davon zu essen, da es vor Zucker strotzte. Hensels Vater nahm etwas davon zu sich, da er seine Frau nicht kränken wollte. Sie wiederum fühlte sich ungerecht behandelt und weinte darüber, da die beiden jungen Männer nicht einmal ihr Essen probierten.

Hensel hatte nach diesem Vorfall große Probleme mit dieser Frau überhaupt ein Wort zu wechseln, da sie die ganze Zeit nur darüber redete, was sie sich wünschte und dass sein Vater ihr komischerweise sofort alles versprach, als wäre er von ihr wie verhext. Sie beanspruchte sogar den Keller für sich, um sich, wie sie es nannte, dem Heilpflanzenstudium zu widmen. Darüber freute sich Hensels Vater allerdings, da er darin seine verstorbene Frau wiedererkannte.

Aber trotz dieser Tatsache versuchte Hensel sich mit ihr zu verstehen, schon allein wegen seines Vaters. Als er sie noch einige Male im Vorbeigehen musterte, fiel ihm auf, dass die Frau, die gerade noch so jung wirkte, nun einige Falten bekommen hatte, die sie eben noch nicht gehabt hatte.

Er überlegte und begann sie sarkastisch auszufragen. „Oh Stiefmutter, ich weiß, dass man eine Dame so etwas nicht fragt, aber ich möchte schon gerne wissen, wie alt du denn eigentlich bist?“

Die Frau, der die Frage sichtlich unangenehm war, antwortete kurz angebunden: „Dreiundzwanzig Jahre.“

Hensel wunderte sich: „Ah, da bist du doch jünger als Gretel, aber Vater hatte mal erzählt, dass du Mitte dreißig bist. Aber vielleicht hat er das nicht richtig verstanden, du siehst schließlich auch sehr jung aus, aber ich weiß nicht wie ich es sagen soll, irgendwie passt dies nicht überein. Immerhin hast du schon einige tiefe Falten am Hals. Wie kann das sein?“

Die Frau verzog das Gesicht, versuchte aber sichtlich ruhig zu bleiben: „Was redest du da? Ich habe keine Falten. Ich bin makellos und natürlich erst Anfang zwanzig.“

Nun mischte sich der Vater ein, der gerade auch vorbeigelaufen war und das Gespräch gehört hatte. „Aber er hat recht, Schatz, du hast mir erzählt, das du Mitte dreißig bist und du hast wirklich einige Falten am Hals. Aber das ist nicht schlimm, ich bin auch nicht mehr der Jüngste und jeder wird einmal alt. Du musst doch bei deinem Alter nicht schwindeln.“

Die Gesprächspartnerin wurde auf einmal bleich und flüsterte: „Verzeih mir Schatz. Ich weiß, jeder wird einmal alt. Jeder außer mit mir.“

Keiner schien sie richtig zu hören. Kurz darauf verschwand sie, ging aber noch zu ihrem Mann und küsste ihm auf die Stirn. „Ich möchte den Rest meiner Sachen auspacken und gehe hinunter in den Keller.“

Nach diesen Worten war sie auch schon verschwunden. Die beiden verbliebenen Männer konnten sich nur anschweigen über das eigenartige Verhalten der neuen Mutter.

Es war mittlerweile Nacht geworden und Stille ging durch die Gänge des weitläufigen Anwesens, denn alles schien zu schlafen, doch plötzlich durchbrach ein Schrei die Stille.

Hensel schrak auf und stürzte aus dem Bett. Er trat nur im Schlafanzug und Bademantel begleitet aus seinem Zimmer und horchte in die Dunkelheit hinein, aber es blieb still.

Er wanderte zwei Zimmer weiter und klopfte an die Tür. Nach einigen Minuten öffnete Gret, nur in einer leichten Hose bekleidet, die Tür, augenscheinlich hatte er auch geschlafen. „Hensel, was hast du denn? Es ist schon spät und du solltest schlafen.“

Der junge Mann sah etwas eingeschüchtert aus. „Diesen Schrei, hast du den nicht gehört?“ Sein Gegenüber schüttelte mit dem Kopf. „Nein, da war nichts. Das hast du bestimmt nur geträumt. Außerdem weißt du doch, dass das Haus bei Dunkelheit gruselig sein kann. Vielleicht war es das Knarren einer Tür?“

Der Blauäugige wirkte verwirrt. „Nein, nein, es hat ein kleines Kind weit weg, aber trotzdem im Haus, geschrien. Ich meine es schien mir so real.“ Gret umarmte den Verängstigten und streichelte seinen Rücken. „Mein armer, kleiner Bruder, alles ist doch gut. Willst du bei mir schlafen, so wie früher als du auch Alpträume hattest und dein Vater auf Reisen war?“

Hensel nickte etwas schüchtern und ließ sich von seinem Freund in dessen Zimmer führen. „Du hast wirklich nichts gehört?“ Gret lächelte. „Es war bestimmt nur ein böser Traum. Komm, lass uns jetzt schlafen gehen.“

Mittlerweile war eine Woche seit dem Vorfall in der Nacht vergangen. Der Vater hatte sich mit seiner Frau gut eingelebt, auch wenn er irgendwie verändert wirkte und sie fast die gesamte Zeit im Keller verbrachte. Gret und Hensel hatten sich währenddessen im Hintergrund gehalten und hatten sich beide ihren Studien gewidmet und waren nur noch mehr zusammengewachsen. Das ging so lange bis sich der Vater auf Geschäftsreise begab und seine Familie sich selbst überließ.

Die beiden Jungen waren gerade dabei, die angefallenen Hausarbeiten zu erledigen, da die neue Frau im Haus, seit der Vater fort war, nur noch Süßigkeiten herstellte, sich im Keller verbarg und sich um nichts anderes kümmerte. „Gret, was meinst du tut sie dort unten? Ich kann sie oft dort unten schreien hören. Manchmal ist es so als würde sie jemanden anschreien und manchmal kommt es mir so vor als würde sie vor Schmerzen schreien.“

Gret hielt in seiner Tätigkeit inne. „Ich kann es dir auch nicht beantworten. Doch mit diesen Geräuschen muss ich dir zustimmen. Aber irgendwie will ich gar nicht wissen, was sie tun. Vielleicht führt sie ihre Heilpflanzen-Experimente an unschuldigen Tieren durch? Allerdings sollten wir wohl aber definitiv mit deinem Vater reden, wenn er wieder da ist. Sie ist eigenartig und seitdem er nicht mehr da ist, ist es mit ihr schlimmer geworden. Außerdem behandelt sie uns wie ihre Diener, ich bin ja an diese Arbeit gewöhnt, aber du bist der Sohn des Hausherrn. So darf sie mit dir doch nicht umgehen!“

Hensel stellte nun auch den Besen, den er bis eben benutzt hatte, an die Wand. „Das geht schon, aber du hast recht, wir müssen es Vater sagen. Weißt du, ich kann auch ihre Begrüßung nicht mehr vergessen. Vielleicht sollten wir...“

Noch bevor er seinen Satz beenden konnte, kam die Frau, die Gesprächsthema Nummer eins bei den beiden war, hinein. „Hey, ihr Schnatterenten, ihr sollt doch nur die Küche putzen, nicht euch das Maul über unschuldige, zarte Damen zerreißen. Das werde ich alles deinem Vater erzählen. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Aber jetzt gehst du Diener erst einmal in die Stadt auf dem Markt einkaufen. Ich brauche wieder neue Zutaten für meine Tinkturen und Kuchen und du Junge putzt den Flur und die Kellertreppen. Die sind sehr schmutzig und geh bloß nicht in den Keller hinunter. Dort führe ich meine Forschungen mit meinen Heilpflanzen durch. Die Tinkturen, die ich herstelle, sind sehr lichtempfindlich. Sollte ich dich im Inneren erwischen, werde ich deinen Vater überreden, dich und den Diener rauszuwerfen, am Besten geht ihr beide dann zum Militär.“

Die beiden Männer sahen sich nur verständnislos an und dachten nicht daran, ihr zu gehorchen. „Los, haltet nicht Maulauffen feil. Tut, was ich euch sage, sonst schmeiße ich euch schon jetzt raus, schließlich bin ich die Hausherrin und ihr seid die Bettler.“, zeterte sie noch während sie verschwand.

Hensel machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Dann warf sie ihn eben raus, mit so einer Frau wollte er nicht länger unter einem Dach leben. Gretel ermahnte ihn allerdings: „Wir müssen es tun. Auch wenn ich es nicht gerne sage, aber sie hat recht. Sie kann uns vor die Tür setzten und stelle dir ein Leben in der freien Natur nicht zu einfach vor. Außerdem wird sie uns dann vor deinem Vater als die Bösen darstellen. Ich weiß, wie es dir geht, mir geht es genauso, schließlich zeigt sie jetzt ihr wahres Gesicht, aber wir werden das hier noch so lange durchziehen, bis dein Vater wieder da ist und wir müssen versuchen, Beweise für ihr Verhalten zu sammeln. Wir werden uns auch heute Abend mal in ihren geliebten Keller umsehen, wenn sie schläft.“

Die beiden hatten nun einen Plan, setzten sich in Bewegung und machten sich erst einmal daran, ihre Aufgaben zu erledigen.

Hensel begab sich zur Küche um sich neues Putzzeug zu holen. Dabei ging er wie immer an dem großen Ofen vorbei, den sein Vater nur für seine neue Frau hatte einbauen lassen, in dem sie ihren Kuchen und die Kekse backte. Er sah hinein, weil die Klappe nicht offen stand und die Stiefmutter nicht zu sehen war. Das kam sonst nie vor. Wenn seine Stiefmutter etwas zubereitete, entfernte sie sich nicht weit vom Ofen.

Ihm fiel auf, dass der Inhalt keinerlei Ähnlichkeiten mit Backwerk hatte. Er beobachtete wie sich langsam Blasen auf der verbrannten Oberfläche bildeten und er wusste was sich darin befand.

„Fleisch. Sie macht heute also endlich mal Fleisch.“, freute er sich schon, aber war trotzdem skeptisch. Sie sagte doch immer, sie mochte kein Fleisch. Vielleicht will sie uns ja vergiften. Auch wenn es gut roch, war die Form doch ungewöhnlich.

Er kümmerte sich aber nicht weiter darum und ging die Dinge holen, weswegen er gekommen war. Nun ging es für ihn erst darum, den Flur und dann die Kellerstufen zu putzen. Er tauchte seinen Putzlappen ins Wasser, rang ihn aus und wickelte ihm um die Borsten seines Besens. Er war sehr schnell mit dem Putzen des Flurs fertig und ging über zum nächsten Abschnitt.

Hensel wischte einige Male über die erste Stufe und während er mit dem hartnäckigen Schmutz kämpfte ließ er seine Gedanken schweifen. Was tue ich eigentlich hier nur für diese Frau? Verzeih mir Gret, ich kann das nicht und ich kann auch nicht warten.

Er stellte das Wischzeug zur Seite und ging die Stufen weiter nach unten. Er öffnete die Kellertür und sah sich vorsichtig und leise um.

Was er dort sah, ließ ihn die Sprache verschlagen, überall getrocknete Kräuter, ein großer Kessel und getrocknetes Fleisch, was von der Zimmerdecke hing und alles war sehr schmuddelig anzusehen.

Er sah sich weiter um und konnte Augen und weitere diverse Tierteile in Einmachgläsern ausmachen. Als er sich noch weiter umblickte, sprang ihn eine schwarze Katze auf den Kopf, riss ihn um und tapste weiter die Treppe nach oben. „Verdammt, eine schwarze Katze, ist diese Frau etwa eine Hexe? Passen würde es auf jeden Fall.“

Der junge Mann verstummte in seinen Selbstgesprächen als er ein leises, menschliches Wimmern vernahm. Er blickte sich erneut um und ging in den hinteren Teil des Kellers, der komischerweise zugestellt und verborgen war und plötzlich, da war es wieder. Das Geräusch streifte ihn wie ein kurzer Windhauch. Doch etwas Bedrohliches schien es nicht zu sein, es war nur ein leises und etwas entstelltes: „Hilfe!“

Der Hörende ergriff nun auch die Stimme: „Ist da jemand?“

Plötzlich erschallte wieder dieser Laut. Er folgte der zarten Stimme und landete in einem weiteren Hinterzimmer des Kellers. Früher hatte hier das Holz für den Winter gelagert, aber alles hatte für die neue Hausherrin weichen müssen.

Was er dort angekommen dann erblickte ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er sah drei an Beinen und Händen gefesselte, völlig überfütterte Kinder, die nackt in ihrem eigenen Dreck lagen.

Er sah sich die Kinder, die alle samt verwahrlost wirkten, an und lief zuerst zu dem einzigen Mädchen der kleinen Gruppe und versuchte sie zu befreien. „Wie seid ihr hierher gekommen?“

Das Kind antwortete ihm zittrig, sichtlich geschwächt und nicht mehr ans Sprechen gewöhnt: „Sie hat uns gefangen als wir uns im Wald verlaufen haben. Erst war sie nett und gab uns feine Süßigkeiten und ließ uns bei ihr schlafen, aber als wir wieder erwachten, waren wir gefesselt und nackt. Sie zwingt uns seitdem dazu uns fett zu fressen.“

Der junge Mann hielt kurz inne in seiner Aktion und lauschte dem Mädchen. „Sie ist in Wirklichkeit eine hässliche, vernarbte Hexe und frisst Kinder um ihre Jugend zu erhalten. Bis vor kurzem waren wir noch zu zehnt. Allerdings holt sie sich jede Woche einen von uns und nachdem sie uns gegessen hat, sieht sie wieder kalt und wunderschön aus.“

Hensel hatte das Mädchen inzwischen schnell von ihren Fesseln befreit und machte bei dem zweiten Jungen weiter. „Wie lange seit ihr schon hier?“

Wieder antwortete nur das Mädchen: „Wir waren erst woanders, in einem alten, verfallenen Haus im Wald, so an die drei Wochen, aber da waren wir noch weitaus mehr und zu der Zeit hat sich unsere Zahl drastisch dezimiert. Da hat sie fast täglich einen von uns geholt. Nach unserem Umzug sind wir wieder mehr geworden. Ich habe festgestellt, dass sie lieber fette Kinder isst und die, die ihr zu mager sind, behält sie bei sich und füttert sie, bis sie ihr fett genug sind. Sie meinte gestern zu mir, dass ich jetzt soweit bin und morgen an der Reihe bin, geschlachtet zu werden.“

Hensel riss die Augen vor Schock weit auf. Er musste an den Schrei von vor einigen Tagen denken. War da etwa auch ein Kind gestorben?

Er schüttelte den Gedanken ab und befreite nun auch den letzten der zwei Jungen. Er fragte noch eines: „Weißt du, wo sie im Moment ist?“

Das Mädchen antwortete fast schon gefühllos: „Nachschub holen und das kann Stunden dauern.“

Er führte die Kinder aus dem Haus, nachdem er ihnen Kleidung gegeben hatte und auch schließlich raus aus dem dunklen Wald, der auch zu ihrem Grundstück gehörte.

Als er sich vergewisserte, dass die Kinder allein nach Hause finden würden, eilte zu seinem Haus zurück um vor Gret da zu sein und um ihn zu warnen.

All diese Geschehnisse dauerten weniger als eine Stunde. Als er nun sein Haus wieder betrat, hatte sich nichts verändert, keiner war da, nicht mal die Hexe.

Er eilte in die Küche und öffnete die Luke zum Ofen in dem immer noch das Fleisch köchelte. Er packte das Stück, was die Form eines Torsos hatte, trug es mit Tüchern, welche ihn vor der Wärme schützten, mit sich und warf es in den brennenden Kamin des Wohnzimmers.

Auf dem Fleisch, was nun im Feuer lag bildeten sich immer mehr Verbrennungen an der Oberfläche, es löste sich immer schneller auf und zerfiel komischerweise binnen von Minuten zu Asche. „Was hast du getan?“, erschallte es hinter ihm.

Hensel drehte sich um und erblickte seine neue Mutter mit der schwarzen Katze im Arm. Panik stieg nun in dem Jungen auf, wusste er doch durch die Kinder, zu was diese Frau fähig war. Er versuchte aber selbstbewusst zu wirken: „Ich habe die hilflosen Wesen befreit, die du gefangen gehalten hast.“

Er betrachtete sie genau. Diese Frau, die sich für Anfang zwanzig oder Mitte dreißig ausgab, war schon wieder um Jahre gealtert. „Ich brauche diese Kinder, sonst bin ich nur ein Altersschwaches ..?“

Hensel beendete wutgeladen ihren Satz „..Monster. Die Kinder haben mir erklärt, dass du sie essen wolltest um ewige Jugend zu erhalten, aber eine Frage musst mir mir beantworten. Wenn du nur hinter der Jugend her bist und dafür Kinder essen musst, wieso hast du meinen Vater um den Finger gewickelt und bist hier?“

Die Frau, die sich immer weiter in ihre derzeitige Situation hineinsteigerte, schrie: „Ich bin schön und jung und habe ein Leben in Reichtum und Liebe einfach verdient! Aber du willst mich leiden sehen! Du willst nicht das ich bleibe und das werde ich alles deinem Vater sagen!“

Die schwarze Katze sprang wieder blitzschnell auf den Jungen zu und attackierte ihn erneut. Der Junge versuchte, die Katze, die sich in ihm festgekrallt hatte, abzuschütteln, taumelte und fiel auf die Kante des Tisches, der neben dem Kamin stand. Er blutete stark, sein Kopf schmerzte und er blieb bewusstlos am Boden liegen.

Gret war gerade auf den Weg vom Markt wieder zurück nach Hause. Um alles für die schräge Stiefmütter von Hensel zu besorgen, hatte er Stunden gebraucht.

Letztendlich hatte er aber alle Einkäufe erledigt und stand jetzt wieder vor seinem geliebten Zuhause, welches allerdings anders wirkte als noch einige Stunden zuvor. Das Haus schien jegliches Leben verloren zu haben. Es brannte keine Kerze und alles war dunkel und düster.

Nichtsdestotrotz betrat er das Haus, da er sich um Hensel sorgte. Gretel stellte die Einkäufe in der dunklen und unbeheizten Küche ab, wo nur der Ofen brannte.

Er blickte sich unbeirrt um und streifte durch das Untergeschoss, wo er versuchte, seinen Freund zu finden. „Hensel, wo bist du?“

Der Rufende wurde immer panischer und fing an zu schreien, eine Antwort erhielt er schließlich aber nur von einer ihm verhassten Person. Die Hexe stand, wie bei Hensel auch schon, mit ihrer Katze auf dem Arm vor ihm, ihr Gesicht war mit einem Schleier verhüllt und ihr Körper nach vornüber gebeugt. „Schrei nicht so herum, der Junge ist weg.“

Gret ignorierte sie und rannte ins Wohnzimmer, aus dem sie gekommen war und zum erloschenen Kamin. Dort kniete er sich nieder um einige Blutstropfen auf dem Boden zu finden. Die Hexe stand nun auch wieder hinter ihm. Er drehte sich um und fauchte sie an: „Was hast du ihm angetan?! Er ist unschuldig!“

Die Frau antwortete nicht. Er griff sie an, schlug auf sie ein, riss ihr im Handgemenge den Schleier vom Gesicht und sprang zum Kamin zurück. Dort angekommen suchte er nach einer Waffe und griff nach einem der Schürhaken, die immer dort standen. Er blickte die Frau wieder, mit der Waffe in der Hand, an und erschrak beim Anblick, welcher sich ihm bot.

Gret musterte ihr gealtertes, verunstaltetes und vernarbtes Gesicht. „Du bist eine verdammte Hexe! Oh Gott und ich habe es noch nicht mal gemerkt? Ich hatte zwar ein ungutes Gefühl, aber ich dachte, das liegt daran, dass ich eifersüchtig bin, weil du meine Welt, mit deiner Anwesenheit zerstörst.“

Die Hexe kicherte grell. „Du konntest mich auch nicht erkennen. Durch die Kinder, die ich gegessen habe, konnte ich mein Selbst sehr gut verschleiern. Schade ist nur, dass dein Freund mein Essen freigelassen hat. Jetzt muss ich mir wieder neues züchten, aber keine Angst: Er hat dafür bezahlt. Leider war er zum essen zu alt.“

Gret war schockiert und dachte, sich verhört zu haben. Sein Hensel, den er liebte, hatte dafür bezahlt, dass er kleine, unschuldige Kinder gerettet hatte? Er hob zornesbleich den Schürhaken und rannte schreiend auf sie zu. „Du hast ihn doch nicht etwa getötet?! Weißt du, ich bin einmal ein Hexenjäger gewesen. Erlernt habe ich das Handwerk von meiner Familie. Vor so vielen Jahren habe ich dieses Leben schon aufgegeben, weil ich irgendwie Mitleid mit den Kreaturen hatte, aber jetzt verstehe ich endlich den Sinn hinter unserer Arbeit.“

Er stürzte auf sie zu und schlug der Hexe mit dem Eisenhaken ins Gesicht. Die Frau schrie vor Schmerzen auf und ihr Gesicht, mitsamt der Haut und der Augen, begann sich vom Knochen zu schmelzen. Die Hexe floh angsterfüllt vor ihrem Peiniger in Richtung Küche. Sie hätte nicht gedacht, dass er so etwas mit ihr anrichten würde.

Gret ließ aber nicht locker, er war auf Rache aus, weil er seinen Geliebten Hensel für tot hielt und verfolgte sie in einem schnellen Schritttempo. „Weißt du, wieso sich dein Gesicht auflöst? Du bist eine Kreatur von der finsteren Seite der Welt und hast dich dem Teufel verschrieben. Auch wenn es nun vielleicht etwas spät kommt, Eisen ist eine eurer Schwächen. Solche Wunden heilen bei euch niemals. Selbst wenn du überlebst, wird es dich in alle Ewigkeit als Hexe zeichnen.“

Die Hexe versuchte ihr Gesicht durch ihre Hände aufrechtzuerhalten, bevor es komplett schmolz aber vergeblich. Sie war verzweifelt und flehte ihn an: „Bitte, ich will noch nicht sterben. Sei nicht mehr so wütend auf mich. Weißt du, dein kleiner Freund, er lebt noch, ich habe ihn im Keller angebunden. Er blutet zwar, aber er lebt. Bitte geh hinunter, befreie ihn und wenn ihr wieder heraufkommt, bin ich weg. Ihr werdet mich nie wieder sehen.“

Die neue Frau von Hensels Vater hatte sich mittlerweile vor dem geöffneten Ofen geflüchtet. Diesen Ort liebte sie am meisten in diesem Haus, da sie dort ihrer Lieblingsaktivität, dem Backen, nachgehen konnte.

Gret überlegte ob er sie entfliehen lassen sollte. Er dachte an seine Gründe, die Jagd nicht mehr durchzuführen und blickte in die Unendlichkeit der Flammen, die noch im Ofen loderten: „Wie alt bist du nun eigentlich wirklich und komm uns nicht wieder mit Anfang zwanzig oder Mitte dreißig?“

Die Hexe rührte sich nicht von der Wärme des Ofen weg: „Zweihundertachtzig!“

Gret ging auf sie zu. „Du hast dein Leben nur durch unschuldiges, anderes Leben verlängert. Deine Lebenserwartung ist aber eigentlich um mehr als das Vierfache überschritten. Wie viele Kinder mussten für diesen Frevel sterben?“

Sie antwortete nicht, doch natürlich musste sie das auch nicht, er wollte die Antwort auch gar nicht wissen. Er schritt weiter auf sie zu, rammte ihr den Schürhaken in die Brust und stieß sie mit aller Kraft in den Ofen. Noch während sie erbärmlich aufschrie, schloss er die Ofentür.

Die Hexe jaulte erbärmlich auf und jammerte um Hilfe. Gretel, der nicht auf sie hören wollte, schloss die Klappe komplett und die Geräusche verstummten mit dem Schließen.

Der Verursacher beobachtete die Szene noch einige Sekunden und verschwand dann in Windeseile Richtung Keller. Er hoffte inständig, dass diese Frau nicht gelogen hatte.

Er rief verzweifelt nach seinem Freund und hörte wenige Momente später endlich eine Antwort.

Er stürmte zum Ursprung und stand auch schon vor ihm. Hensel war an Armen und Beinen gefesselt und blutete am Kopf, aber sonst schien er unversehrt. Gret rannte zu ihm und berührte sein Gesicht. „Oh mein Hensel, du blutest. Bitte Verzeih mir, dass ich deine Bedenken so lange ignoriert und als Träumereien abgetan habe.“

Hensel lächelte nur gequält: „Das ist alles halb so schlimm, aber könntest du mich bitte losmachen. Ich weiß, was hier unten geschehen ist und bin noch ganz traumatisiert davon.“

Gret reagierte sofort, befreite Hensel und umfasste seinen Oberarm. Er führte seinen Freund aus dem Keller und noch während das passierte, erzählte er erneut von seiner Familie, die nicht nur einfache Jäger sondern Hexenjäger waren.

Als sie aus dem Keller wieder herauskamen, warteten schon Hensels Vater und einige junge Männer, die sich für die Taten ihrer Eltern an der Frau des Holzfällers schämten, aus dem naheliegenden Dorf auf sie. Der Vater trat zu seinem Sohn, der von Gret immer noch gestützt wurde. „Mein armer Junge, ich habe alles von unseren Nachbarn gehört und die haben es von den Kindern. Ich bin Schuld, ich habe mich entwickeln lassen. Wo ist die Hexe jetzt?“

Hensel wusste nichts drauf zu sagen, so sprach Gret für ihn: „Ich habe die Hexe im Ofen verbrannt und Hensel hat die unschuldigen Kinder befreit, die im Keller angebunden waren.“

Der Vater lächelte: „Das Hensel ein Held ist, wissen wir doch schon längst. Die Kinder haben es uns gesagt. Also ist sie jetzt wirklich tot?“ Gret sah den Vater von Hensel an und nickte. „Die Hexe ist tot, kein Kind muss sich mehr vor ihr fürchten.“

Einige Wochen waren mittlerweile seit den Ereignissen vergangen, alles hatte sich wieder zur Normalität gewandelt. Während der Vater weiter seinen beruflichen und privaten Alltag pflegte, trainierten die beiden jungen Männer eifrig im Garten.

Hensel wurde von Gret durch einen gezielten Schlag zu Boden geschickt, richtete sich aber gleich wieder auf um sich auf die Wiese zu setzen: „Gret, du bist immer noch so gut trainiert, wieso hast du eigentlich wirklich aufgehört ein Jäger zu sein?“

Der ehemalige Jäger setzte sich neben ihn und erklärte: „Weißt du, es ist schon schön ein Held zu sein und die Dankbarkeit der Menschen zu genießen, aber ich wollte damals einfach nur normal sein. Ich wurde siebzehn Jahre lang zum Jäger ausgebildet und beneidete die anderen Kinder, dass sie einfach ihren Weg gehen konnten. Außerdem haderte ich mit Gedanken über die Wesen, die wir töteten. Ich glaubte nicht, dass sie alle böse sind. Doch trotz alldem muss ich sagen, dass ich meine Ausbildung nicht bereue. Sie hat uns beiden das Leben gerettet. Wir wären sonst gestorben.“

Hensel blickte ihn mitfühlend an. „Du hast recht, ich weiß ja wie du aufgewachsen bist. Wir machen das hier ja auch nur um uns zu verteidigen, wenn mein Vater sich wieder mal in eine Hexe verlieben sollte.“

Er sah sich um und dann seinem Freund in die Augen. „Alles, was ich mir wünsche, ist für immer mit dir hier in diesem Haus zu Leben.“

Gret lächelte ebenfalls, beugte sich vor und gab Hensel einen langen, zarten Kuss auf die weichen, roten Lippen: „Das wünsche ich mir auch.“

Beide blickten dann in die unendlichen Weiten des blauen Himmels und so lebten sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.

Düstere Märchen

Подняться наверх