Читать книгу Der unschickliche Antrag - Андреа Камиллери, Andrea Camilleri - Страница 6
Geschriebenes eins
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Seine Hochverehrte Exzellenz
Vittorio Parascianno
Präfekt von
Montelusa
Vigàta, am 12. Juni 1891
Exzellenz,
der Unterzeichnete GENUARDI Filippo, Sohn des hingeschiedenen Giacomo Paolo und der Posacane Edelmira, geboren in Vigàta (Provinz Montelusa), am 3. des Monats September 1860, und daselbst wohnhaft in der Via dell’Unità d’Italia Nr. 75, von Beruf Holzhändler, möchte Kenntnis darüber erhalten, welche Dokumente zur Bewilligung eines Telephonanschlusses zum privaten Gebrauche erforderlich sind.
Zutiefst dankbar für die güthige Aufmerksamkeit, die E. E. meiner Bitte zukommen lassen wollen, verbleibe ich unterthänigst und hochachtungsvoll
Genuardi Filippo
An
Seine Hochverehrte Exzellenz
Vittorio Parascianno
Präfekt von
Montelusa
Vigàta, am 12. Juli 1891
Exzellenz,
der Unterzeichnete GENUARDI Filippo, Sohn des hingeschiedenen Giacomo Paolo und der Posacane Edelmira, geboren in Vigàta (Provinz Montelusa), am 3. des Monats September 1860, und daselbst wohnhaft in der Via dell’Unità d’Italia Nr. 75, von Beruf Holzhändler, suchte, mit Datum des 12.Juni diesen Jahres, will sagen vor nunmehr genau einem Monat, der Großmuth und Güthe Eurer Exzellenz die Bitte vorzutragen, Kenntnis darüber zu erhalten, welche Dokumente unerläßlich nothwendig sind zur amtlichen Bewilligung eines Telephonanschlusses zu privatem Gebrauche.
Da ich, gewiß auf Grund eines ganz einfachen Versehens, keinerlei Antwort seitens des Amtes erhalten habe, dem E.E. in so hervorragender Weise vorstehen, sieht sich der Unterzeichnete leider vor die nicht zu umgehende Nothwendigkeit gestellt, die Bitte noch einmal demüthig vorzutragen.
Zutiefst dankbar für die güthige Aufmerksamkeit, die E.E. meinem Ersuchen zukommen lassen wird, und mich außerordentlich entschuldigend für die Störung, die ich Eueren Hohen Amtswaltungen verursacht habe, verbleibe ich unterthänigst und hochachtungsvoll
Genuardi Filippo
An
Seine Hochverehrte Exzellenz
Vittorio Parascianno
Präfekt von
Montelusa
Vigàta, am 12. August 1891
Hochverehrteste, hochwertheste Exzellenz!
Der Unterzeichnete GENUARDI Filippo, Sohn des hingeschiedenen Giacomo Paolo und der ebenfalls hingeschiedenen Posacane Edelmira, geboren in Vigàta (Provinz Montelusa), am 3. des Monats September 1860, und daselbst wohnhaft in der Via Cavour Nr. 20, Holzhändler, vermaß sich, mit Datum vom 12. Juni diesen Jahres, will sagen vor genau zwei Monaten, der vortrefflichen Großmuth, dem weitblickenden Verständnis und der väterlichen Güthe Eurer Exzellenz ein Bittgesuch zu unterbreiten, um Kenntnis über die nothwendigen Auflagen (Dokumente, Zertifikate, Bescheinigungen, Zeugnisse, beglaubigte Aussagen) hinsichtlich der Antragstellung an die Regierung zur Bewilligung eines Telephonanschlusses zum privaten Gebrauche zu erhalten.
Gewiß auf Grund eines ganz einfachen Versehens, das der Unterzeichnete nicht einmal im Traume der Königlichen Post- und Telegraphenverwaltung anrechnet, hat er keinerlei Antwort erhalten und sah sich daher zu seinem größten Bedauern veranlaßt, Euere Exzellenz noch einmal, mit Datum vom 12. Juli diesen Jahres, zu behelligen.
Doch auch dieses zweite Mal erhielt er nicht die erbetene Antwort.
In der Gewißheit, das stolze Schweigen Eurer Exzellenz nicht verdient zu haben, wirft sich der Unterzeichnete ein drittes Mal vor Euch auf die Knie, um Euer Erlauchtes Wort zu erflehen.
Zutiefst dankbar für die güthige Aufmerksamkeit und mich außerordentlich für die Störung entschuldigend, die ich Eueren Hohen Amtswaltungen verursacht habe, verbleibe ich unterthänigst und hochachtungsvoll
Genuardi Filippo
P.S. Wie Euere Exzellenz durch Vergleich dieses Schreibens mit den beiden vorausgegangenen ersehen können, ist meine gottselige Mamma, wie es der Lauf des Lebens mit sich bringt, vom Allerhöchsten zu sich gerufen worden, und der Unterzeichnete ist daher in die freistehende Wohnung derselben verzogen, die sich, wie bereits gesagt, in der Via Cavour Nr. 20 befindet.
An den
Sehr Geehrten Buchhalter
Signor Rosario La Ferlita
Piazza Dante 42
Palermo
Vigàta, am 30. August 1891
Theuerster Sasà,
erst gestern noch, hier bei uns, als wir im Club waren, sprach Don Lollò Longhitano öffentlich über Dich (genauer gesagt, er sprach schlecht über Dich). Er, Don Calogero, behauptete nämlich, daß Du, nachdem Du beim Spiel mit seinem Bruder Nino satte zweitausend Lire verloren habest, von der Bildfläche verschwunden seist. Don Lollò betonte, es sei allgemein anerkannt, daß Spielschulden innerhalb von vierundzwanzig Stunden beglichen werden müßten, Du Dir aber zweitausendfünfhundertzweiundsiebzig Stunden genommen habest, die Rechnung bis gestern abend um acht offenzuhalten. Da ich den Commendatore Calogero Longhitano gut kenne, mit dem nicht gut Kirschen essen ist, wenn ihm die Eier dampfen (und gestern abend dampften sie ihm), habe ich mir, im Namen unserer alten Freundschaft, erlaubt, ihn zu unterbrechen. Wohl wissend, welchem Risiko ich mich aussetzte, als ich das tat: Don Lollò ist gefährlich widersprüchlich, und mit ihm scherzt man nicht. Doch das Bewußtsein unserer Freundschaft war stärker. Überaus freundlich, aber nicht weniger bestimmt, erinnerte ich ihn daran, daß jeder Dich als Person kenne, die eingegangene Verpflichtungen immer erfüllt. Trotz seiner Antwort (die ich Dir hier nicht wiedergebe, weil ich Dir keinen Schmerz verursachen will), fügte ich noch hinzu, daß Du Dich seit zwei Monaten in Neapel aufhieltest, in einem Krankenhaus, wegen eines schweren Lungenleidens. An diesem Punkt nun wollte Don Lollò die Anschrift des Krankenhauses aus mir herauspressen, aber es war mir irgendwie gelungen, mich um die Antwort zu drücken. Zurück zu Hause, habe ich gleich drei Gläschen französischen Cognacs trinken und mir das verschwitzte Hemd wechseln müssen: sich einer Auseinandersetzung mit dem Commendatore zu stellen, kann, mitunter, einem Selbstmorde gleichkommen. Sicher bin ich mir aber, daß Don Lollò es noch einmal versuchen wird, Deine Anschrift in Erfahrung zu bringen: Er will, daß Du die zweitausend Lire, die Du seinem Bruder schuldest, ausspuckst. Hoffen wir, daß ich, mit festem Herzen, ihm weiterhin Deine richtige Anschrift verhehlen kann, die Du mir als Unterpfand für unsere eisernen Freundschaftsbande hast enthüllen wollen. Mit diesem Briefe bitte ich Dich um einen geringfügigen Gefallen, den Du mir sicher nicht verweigern wirst, wenn Du bedenkst, was ich für Dich gethan habe und auch weiterhin für Dich zu thun beabsichtige. Du müßtest Deinen Bruder Giacomino, oder wie dieser Angestellte bei der Präfektur von Montelusa sonst heißt, bitten, eine Antwort auf drei von mir an das riesengehörnte Rindviech von Präfekten Parascianno gerichtete Briefe zu beschleunigen.
In meinem letzten Brief an ihn fehlte nur wenig, und ich hätte diesem Spermenkanonier von Neapolitaner noch den Arsch abgeleckt. Ich möchte lediglich Auskünfte über die Bewilligung eines Telephonanschlusses erhalten, ich bitte ihn ja nicht um das Loch seiner Schwester.
Tu was.
Dein Pippo Genuardi
An den Buchhalter
Rosario La Ferlita
Piazza Dante 42
Palermo
Vigàta, am 20. September 1891
Mein vielgeliebter Bruder Sasà,
kann ich eigentlich mal erfahren, mit welchen Stricken Du mich fesseln willst? Willst Du meinen völligen Ruin? Du weißt doch, welche Opfer ich auf mich nehme, um unsere Eltern zu versorgen und Deine Schulden in monatlichen Raten abzuzahlen. Ist das der Dank, den Du mir entgegenbringst? Wie ist es bloß möglich, daß Du immer noch Deinen Kopf in die Wolken steckst und einen liederlichen Lebenswandel pflegst?
Nach Erhalt Deines Briefes wandte ich mich an den Commendatore Parrinello, Kabinettschef S.E. des Präfekten, um den Vorgang Deines ehrenwerthen Freundes Genuardi Filippo zu beschleunigen. Mit großer Freundlichkeit sicherte Commendatore Parrinello mir dies zu. Dann aber rief er mich am nächsten Morgen zu sich in sein Arbeitszimmer, ließ mich die Thüre mit dem Schlüssel abschließen und theilte mir mit, daß der Vorgang Genuardi in den Händen Seiner Exzellenz selber liege, weil die Angelegenheit nicht unbedeutend sei. Der Commendatore hat mich auch noch besonders darauf hinweisen wollen, dass S.E. nicht mehr ganz bei Sinnen sei, und riet mir, mich aus dieser ganzen Sache herauszuhalten, die gefährliche Folgen nach sich ziehen könnte.
Zieh Du Dich also aus dieser Angelegenheit zurück, die nur verdächtig sein wird. Sprich mir nie wieder von Filippo Genuardi.
In vier bis fünf Tagen schicke ich Dir eine Geldanweisung über dreihundert Lire. Es umarmt Dich Dein Bruder
Giacomino
Lieber Pippo,
das hier ist der Brief, den Giacomino mir geschickt hat. Alles, was Du erreicht hast, ist, daß ich mir von meinem Bruder einen Vorwurf habe machen lassen müssen. Was immer Du anfaßt, geht schief. Reicht Dir der motorisierte Vierräder noch nicht? Reicht Dir der Phonograph Edison noch nicht? Liebäugelst Du jetzt auch noch mit dem Telephon? Laß es doch gut sein!
Vor drei Tagen habe ich die Wohnung gewechselt, ich wohne nicht mehr an der Piazza Dante, allerdings gebe ich Dir die neue Anschrift nicht, weil ich vermeiden will, daß Du beim Commendatore Longhitano in Verlegenheit kommst.
Addio, du Gehörnter.
Sasà
An den
Hochverehrten Commendatore
Calogero Longhitano
Vicolo Loreto 12
Vigàta
Fela, am 1. Oktober 1891
Hochgeschätzter Commendatore,
Sie haben, bei mehreren Gelegenheiten, immer die Güthe besessen, mich mit Ihrem besonderen Wohlwollen auszuzeichnen, durch Thaten und Worte, die mich aus der Menge der Bittsteller, die sich Tag um Tag an Ihr großes Herz wenden, herausheben. Sie können sich nicht im entferntesten vorstellen, wie sehr diese Ihre Geneigtheit Ansporn und Trost für mich gewesen ist.
Kürzlich abends, im Club von Vigàta, riefen Sie mich zur Seite, um mir zu sagen, Sie hätten von jemandem erfahren, daß Sasà La Ferlita wegen eines Lungenleidens in einem Krankenhaus in Neapel liege. Ich habe, sofern ich mich richtig entsinne, diese Mitteilung sofort dementiert: die Geschichte mit dem Krankenhausaufenthalt sei eine hübsche, von Sasà La Ferlita selbst verbreitete Geschichte, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehen. Und bei der nämlichen Gelegenheit theilte ich Ihnen die wirkliche Anschrift von La Ferlita mit, nämlich Piazza Dante 42, Palermo. In diesem Bruchteil eines Augenblicks erinnerte ich mich an ein lateinisches Sprichwort, das meine gottselige Mutter mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholte: »Amicus Pilato, sed magis amica veritas.«
Da ich mich aus Gründen meiner Arbeit in diesen Tagen in Fela aufhalte, habe ich zufällig einen gemeinsamen Freund von Sasà und mir getroffen, der mir sagte, er habe in Erfahrung gebracht, daß La Ferlita umgezogen sei oder im Begriff stehe umzuziehen. Daher beeile ich mich, Ihnen zu schreiben. Sofern Sie jemanden nach Palermo schicken wollen, um Sasà zu überzeugen, die Schulden zu bezahlen, die er mit Ihrem Bruder Nino eingegangen ist, müssen Sie sich beeilen.
Die neue Wohnanschrift von La Ferlita ist dem gemeinsamen Freunde nicht bekannt.
Seien Sie versichert, ich bin unterthänigst der immer zu Ihren Diensten stehende
Filippo Genuardi
P. S. Ich werde mich noch bis zum Wochenende in Fela aufhalten, danach kehre ich wieder nach Vigàta zurück. Verzeihen Sie mir, wenn ich es wage, Ihnen eine Bitte vorzutragen. Mitte Juni diesen Jahres habe ich ein Gesuch an die Präfektur von Montelusa gerichtet, um Kenntnis über die zur Beantragung eines Telephonanschlusses nothwendigen Papiere und Dokumente zu erhalten.
Könnten Sie, der sich dienlicher Freundschaften erfreut, auf eine Antwort drängen? Von einem Freunde habe ich erfahren, daß S.E. der Präfekt, ohne jeglichen Grund, meinem Bittgesuche gegenüber Argwohn hegt. Sie kennen mich doch gut, würden Sie den Herren von der Präfektur erklären, daß ich lediglich ein Holzhändler bin, der den Telephonanschluß ganz ausschließlich zum privaten Gebrauche zu nutzen beabsichtigt?
Dankbar für Ihr Interesse, das, dessen bin ich gewiß, nicht mangeln wird, versichert Sie erneut unterthänigst
Filippo Genuardi
KÖNIGLICHE PRÄFEKTUR VON MONTELUSA
DER KABINETTSCHEF
An Herrn
Filippo Genuardi
Via Cavour Nr. 20
Vigàta
Montelusa, am 7. Oktober 1891
Wir haben es nicht für nöthig erachtet, Ihre drei Briefe vom 12. Juni, 12. Juli und 12. August des laufenden Jahres beantworten zu sollen, da deutlich ist, daß es sich um einen offenkundigen Irrtum Ihrerseits handelt.
Denn diese Königliche Präfektur ist kein Auskunftsbureau, und dies um so weniger, als dasselbe rein gar nichts mit der Königlichen Post- und Telegraphenverwaltung zu schaffen hat, an welches Sie sich korrekterweise hätten wenden müssen.
Ich nehme die Gelegenheit wahr, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Seine Exzellenz der Präfekt mit Familiennamen Marascianno heißt und nicht Parascianno, wie Sie ihn immer wieder hartnäckig anreden.
Der Kabinettschef S.E. des Präfekten
(Comm. Corrado Parrinello)
(Vertraulich)
An den
Hohen Offizier
Arrigo Monterchi
Königlicher Polizeipräsident von
Montelusa
Montelusa, am 10. Oktober 1891
Hochwerthester Kollege und Freund!
Gestern, als der Tag sich dem Sonnenuntergänge neigte, hatte ich – im Verlaufe des herrlichen Privatempfanges, den Seine Hochgeschätzte Eminenz, Monsignor Gregorio Lacagnìna, neuer Bischof und Oberhirte von Montelusa, für uns gegeben hat –, sicherlich durch den Anblick des Himmels inspiriert, die Kühnheit, Euch, wenngleich nur in allgemeinen und äußerst verkürzten Begriffen, auf den Zustand der Verwirrung hinzuweisen, der sich – teils aus rein familiären Gründen, teils aus solchen, die mit dem mir auferlegten Hohen Amte als Repräsentant des Italienischen Staates in dieser, erlauben Sie mir die Behauptung, so weh sie mir auch tut, in dieser rechtlosen, zutiefst niederträchtigen Provinz unseres Vielgeliebten Italiens – wie ein Zangengriff in diesen letzten Monaten um mich gelegt hat. Soweit es meine Familienangelegenheiten betrifft, könnte ich sie, wenn Ihr kein Bergamaske, sondern Neapolitaner wäret wie ich, auf einen Nenner bringen, indem ich Euch fünf Nummern aufschriebe (59, 17, 66, 37, 89), und schon hättet Ihr ein klares und unmittelbares Bild von dem, was sich ereignet hat.
Meine zweite Gattin Agostina (Eleuteria, meine erste Gattin, verstarb vor nunmehr zehn Jahren an Cholera Morbus), Agostina also, wesentlich jünger als ich, wurde mir bald schon untreu (59) mit einem falschen Freunde (17) und beging hinter meinem Rücken schändlichen Betrug (66). Da ich nun aber von Salerno nach Montelusa versetzt wurde, machte sie sich, die verstockte Wortbrüchige, um ihren Buhler nicht zurückzulassen, auf die Flucht (37) und bleibt unauffindbar (89).
Unter den Wenigen, denen ich mich anvertraut habe, gibt es Niemanden, der in diesem überaus bitteren Vorfall nicht die tiefen Ursachen für ein Unwohlsein und einen Verdruß sähe, welche mir die täglichen Lebens- und Thätigkeitsverrichtungen schwer machen. Aber so ist es nun einmal.
Zu allem Überflusse habe ich, bei meiner Ankunft in der Präfektur von Montelusa, das Amt in den Fängen von Gerüchten, Vorspiegelungen, Ränken, Lügen, Verdächtigungen und Intrigen vorgefunden, die alle nur ein Ziel hatten: mir noch mehr Schaden zuzufügen, unbeirrt.
Zudem kann ich nicht umhin, Erwägungen über die politischen Verhältnisse der Insel (vor allem aber dieser schauerlichen Provinz) anzustellen, die ganz einem mit dicken, bedrohlichen Regenwolken verhangenen Himmel vergleichbar ist, Vorbote heraufziehender Unwetter.
Wie Ihr sehr wohl wißt, stürmen aufrührerische, verstockte Aufwiegler völlig unbehelligt über die Insel, Bakuninanhänger, Malonanhänger, Radikale, Anarchisten, Sozialisten, und säen überall mit vollen Händen die triste Saat von Aufruhr und Haß aus.
Was nun macht der fleißige, wachsame Bauersmann?
Wenn er in einem bis zum Rand mit köstlichen Früchten gefüllten Korb einen faulen Apfel sieht, zögert er nicht, denselben augenblicklich wegzuwerfen, damit dieser die anderen nicht anstecke und die Fäulnis sich nicht weiter ausbreite.
Andererseits denkt mancher höheren Ortes, daß es keiner Vorkehrungen bedürfe, die andere als repressiv auffassen könnten; doch indessen, während man noch redet und diskutiert, treibt der böse Same Wurzeln, die sich stark, aber leider auch unsichtbar entwickeln.
Und so haben sie denn eine ausgeprägte Fähigkeit darin, ihre trüben Absichten oftmals hinter dem Anschein zivilisierten Zusammenlebens zu verbergen.
So schauen Sie sich, zum Beispiel, diese drei Briefe eines gewissen Genuardi Filippo an, die ich Ihnen in Abschrift beifüge.
Seit drei Monaten lassen sie mich kein Auge mehr schließen. Welche Arglist! Wieviel verwegener Hohn!
Wieso, habe ich mich gefragt, versteift er sich darauf, mich Parascianno zu nennen, wo doch mein Zuname Marascianno lautet?
Darüber habe ich lange nachgedacht, zuweilen sogar, das gebe ich zu, die Pflichten meines Amtes vernachlässigend, doch am Ende kam ich der Sache auf den Grund.
Indem dieses unflätige Subjekt das »M« meines Nachnamens mit dem »P« vertauscht, spielt er in Wirklichkeit auf etwas Doppeldeutiges an. Doch, doch, denn in unserer Mundart bedeutet »parascianno« (oder mitunter auch »paparascianno«) das gleiche wie »barbagianni«, und es dürfte auch Ihnen bekannt sein, daß man damit eine Person bespitznamt, die alt ist und einem auf die Nerven geht.
Doch bis hierhin – transeat. Gehen wir darüber hinweg.
In seiner luziferischen Bosheit jedoch begnügt sich dieser Genuardi nicht mit Anspielungen, sondern geht zu ehrenrühriger Beleidigung über.
Im trivialsten Jargon der neapolitanischen Unterwelt beschreibt man mit »parascianno« (oder eben auch »paparascianno«) ein männliches Glied von animalischen Ausmaßen.
Letzten Endes also nennt mich dieses unflätige Subjekt, durch die scheinbar harmlose Vertauschung eines Konsonanten, so etwas wie »Du riesenviechgroßer Schwanz!«.
Und noch etwas: Warum wird mit jedem Briefe sein Servilismus gegenüber meiner Person immer deutlicher?
Worauf will er hinaus? In welchen Hinterhalt schleift er mich?
Ich bin hier, um Euere großzügige Hilfe zu erbitten. Könntet Ihr Informationen über die politische Gesinnung dieses Genuardi bei dem einen oder anderen Euerer Untergebenen in Vigàta erfragen?
Ich meinerseits werde ein Gleiches bei den Carabinieri thun.
Mit Dankbarkeit und aufrichtiger Freundschaft, Ihr allerergebenster
Vittorio Marascianno
P. S. Wie Ihr gewiß bei Eurer hohen Intelligenz und Finesse bemerkt haben werdet, wollte ich absichtlich kein Papier mit Briefkopf der Königlichen Präfektur verwenden. Ich bitte Euch daher, zu dem gleichen Kniffe zu greifen, sofern Ihr eine Antwort für mich habt.
(Vertraulich)
An den
Hochverehrten Commendatore
Corrado Parrinello
Viale Cappuccini 23
Montelusa
Montelusa, am 15. Oktober 1891
Hochwerthester Commendatore,
mein unersetzlicher Vorgänger, der gottselige Grande Ufficiale Emanuele Filiberto Bàrberi-Squarotti, hatte, als er mir das Königliche Polizeipräsidium übergab, ganz privat Ihre Person als jemanden gepriesen, der jeglichen Vertrauens würdig und jederzeit, im allerhöchsten Interesse unseres Landes, zur diskreten Zusammenarbeit mit unserem Amte bereit sei.
Glücklicherweise habe ich bis gestern keinerlei Nothwendigkeit gesehen, mich an Sie zu wenden und Ihre großzügige Bereitwilligkeit in Anspruch zu nehmen. Jetzt aber fühle ich mich verpflichtet, Sie über eine Frage von heikelster Feinfühligkeit in Kenntnis zu setzen, für deren Lösung ich Ihres erleuchtenden Rates bedarf, damit wir, eventuell, im Verbunde verfahren können.
Von Ihrem Vorgesetzten, dem Präfekten von Montelusa, Vittorio Marascianno, habe ich einen vertraulichen Brief erhalten, dem drei weitere an ihn gerichtete Briefe von einem gewissen Genuardi Filippo aus Vigàta beigefügt waren.
In diesen drei Briefen hat Seine Exzellenz Verhöhnung, Beleidigung und unterschwellige Drohung erkennen wollen.
Ganz offen und vollkommen aufrichtig gesagt, habe ich in diesen Schreiben nichts dergleichen entdecken können.
Der Ton des Briefes Seiner Exzellenz dagegen hat mich in Alarm versetzt, weil er, wie soll ich sagen?, eine Erregung seines Gemüthes erkennen läßt, welche dazu führt, nicht vorhandene Schatten zu beschwören.
Sie verstehen, daß in einem so heiklen politischen Augenblicke wie dem derzeitigen eine nicht perfekt ausgeglichene Autorität, die nicht Herr ihrer selbst und ihrer Handlungen ist, ein ernsthaftes Fiasko herbeiführen kann, ganz abgesehen von unvorhersehbaren Entwicklungen.
Ihnen obliegt indessen die Pflicht, mit mir darüber zu sprechen.
Vorsichtshalber habe ich an Ihre Privatanschrift geschrieben.
Besuchen Sie mich so bald wie möglich.
Mit dem Ausdruck höchster Werthschätzung,
Arrigo Monterchi
POLIZEIDIENSTSTELLE VON VIGÀTA
An den
Herrn Polizeipräsidenten
von
Montelusa
Vigàta, am 18. Oktober 1891
Betreff: Genuardi Filippo
GENUARDI FILIPPO (genannt Pippo) – Sohn des verschiedenen Giacomo Paolo und der ebenfalls verschiedenen Posacane Edelmira – geboren in Vigàta, am 3. September des Jahres 1860, und daselbst wohnhaft in der Wohnung der Mutter in der Via Cavour Nr. 20.
Lange Zeit ohne Beruf, auf Kosten der Mutter (einer Witwe) lebend, handelt er seit drei Jahren mit Holz.
Seit fünf Jahren ist er mit Gaetana (genannt Taninè) Schilirò verheiratet, einziger Tochter des Emanuele (genannt Don Nenè) Schilirò, Schwefelhändler, Eigenthümer der Mine Tagliacozzo in der Provinz von Caltanissetta und einer Schwefelveredelungsfabrik in Vigàta, Via Stazione Nuova.
Emanuele Schilirò gilt, zu Recht, als der vermögendste Mann von Vigàta. Witwer geworden, hat er vor nunmehr sechs Jahren wieder geheiratet, und zwar die dreißigjährige Calogera (genannt Lillina) Lo Re, Tochter eines Schwefelhändlers aus Fela. Die Ehe, die offensichtlich auf Grund eigennütziger Interessen zwischen dem alten Schilirò (zweiundsechzig Jahre alt) und der jungen Lo Re zustande gekommen ist, sorgte im Ort für abfällige Bemerkungen, die bald aber schon durch das untadelige Verhalten der jungen Gattin zum Schweigen gebracht wurden. Heftig war der Widerstand Emanuele Schiliròs gegen die Verlobung seiner einzigen Tochter mit einem abgebrannten Subjekt wie dem Genuardi; doch war alles vergebens, jener mußte sich der blinden Starrköpfigkeit seiner Tochter beugen, die sogar einen Selbstmord versuchte, indem sie sich ins Meer stürzte. Mit der Aussteuer seiner Gattin konnte Genuardi, der ein kostspieliges Leben zu führen begann, ein Holzlager eröffnen. Die Beziehungen zwischen dem Schilirò und seinem Schwiegersohne bewegen sich im Rahmen gebührlicher gegenseitiger Besuche. Doch muß hinzugefügt werden, daß Signora Genuardi, auf Grund der wechselhaften Geschäftserfolge ihres Gatten, ziemlich häufig gezwungen ist, bei ihrem Vater vorstellig zu werden.
Mit anderen Worten: Hätte der Genuardi nicht seinen Schwiegervater im Rücken, wäre er längst bankrott.
Genuardi hat sich, in der ersten Zeit seiner Ehe, ganz sicher keine ehebrecherischen Beziehungen von unterschiedlicher Dauer erspart. Unter anderem ist allgemein bekannt, daß der Genuardi noch in der Hochzeitsnacht, nachdem er ein paar Stunden mit seiner ihm frisch angetrauten Gattin verbracht hatte, sich in der Kutsche zum Hotel Gellia von Montelusa aufmachte und mit einer Varietétänzerin in fleischlicher Vereinigung bis zum Morgen beisammen war. Es bleibt jedoch anzumerken daß der Genuardi seit nunmehr mindestens zwei Jahren sich den Kopf zurechtgerückt hat und einen einwandfreien Lebenswandel führt, man weiß von keinen Frauen um ihn, er gibt sich keinen flüchtigen Vergnügungen mehr hin. Derlei Seitensprünge blieben seiner Gattin immer verborgen; diese hat, unter anderem, eine überaus gute Beziehung zur zweiten Gattin ihres Vaters, die sozusagen gleichaltrig ist. Der Genuardi hat auch die Freundschaft mit dem Buchhalter Rosario (genannt Sasà) La Ferlita gelockert, einem wirklich lasterhaften Menschen, der sich jeder Ausschweifung hingibt und das schwarze Schaf einer angesehenen Familie ist. Dessen Bruder Giacomo (genannt Zagaglino, wegen eines leichten Stotterfehlers) ist ein tüchtiger Beamter bei der Königlichen Präfektur von Montelusa.
Genuardis Schwiegervater, der den besseren Einsichten wohl nicht traute, hat in Genuardis Lager einen alten Vertrauensmann einstellen lassen, einen gewissen Calogero Jacono (genannt Caluzzè die Schrumpelfeige), der diesem über alles Bericht erstattet.
Nichts ist zu Lasten des Genuardi im Strafregister eingetragen. Mithin gilt er als nicht vorbestraft.
Hierdurch wird außerdem mitgeteilt, daß der Genuardi am 5. März diesen Jahres im Ortsbann Inficherna den Hirten Lococo Anselmo (genannt Sesè der Bleifuß, wegen seines langsamen Schrittes) angefahren, dessen linken Arm gebrochen und den Verlust zweier Ziegen aus der Herde verursacht hat. Der Lococo wurde jedoch überredet, keine Anzeige zu erstatten, da er ein hohes Schmerzensgeld erhielt, das ihm unverzüglich von Signor Emanuele Schilirò angeboten worden war.
Der Genuardi saß am Steuer eines motorisierten Vierrades der Marke Panard und Levassor, das er in Paris gekauft hat, und zwar für einen außerordentlich hohen Preis, weil es sich dabei praktisch um ein Unikat handelte. Ebenfalls in Paris, wohin er sich mit seiner Gattin angelegentlich der Weltausstellung von 1889 begab, hat er auch einen Phonographen Edison mit Wachsrolle gekauft, von dem Musik zu hören ist, wenn man ein beigefügtes Leitrohr ans Ohr führt.
Dieses alles führe ich nicht aus törichter Geschwätzigkeit auf, sondern um die oftmals eigenthümlichen Handlungen des Genuardi deutlich zu machen.
Politische Vorstellungen gibt es bei Genuardi keine. Er wählt entsprechend den Anweisungen seines Schwiegervaters, der ein Urgestein ist. In der Öffentlichkeit hat er seine Meinung noch nie geäußert.
Hochachtungsvoll
Der Leiter der Polizeidienststelle von Vigàta
(Antonio Spinoso)