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DIE FLAMME DER LIEBE – ein Märchen –

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Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann und bei welcher Gelegenheit er von der Flamme der Liebe erfahren hatte, als er eines Nachts in einem Traum daran erinnert wurde. Übermächtig groß war sie vor ihm erschienen, hatte ihn aufgenommen und er hatte sich geborgen und glücklich gefühlt.

Als er aufwachte, war es kalt, dunkel und leer. Die Einsamkeit legte sich auf ihn wie eine starre Decke, die ihm jede Bewegung schwer machte. Sein Leben war öde und sinnlos, seit er die Frau verloren hatte, die er liebte. Sie war tot und er dachte wieder an die Flamme der Liebe, die genährt wurde durch die Liebe der Verstorbenen, die auf Erden zurückblieb, wenn sie selbst gehen mussten und ihnen dadurch Unsterblichkeit sicherte, so hatte er es erfahren.

Er zog die Decke fest um sich. Der Morgen begann zu dämmern, aber er wollte nicht aufstehen, wozu auch. Er wollte nie mehr aufstehen. Er verfiel in einen Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen und wieder sah er sie, diese Flamme und er beschloss, nach ihr zu suchen, um dort seine Geliebte wiederzufinden.

So schnürte er ein paar Habseligkeiten zu einem Bündel und verließ seine kleine Hütte. Er wanderte die Straße entlang, ließ das Dorf, über das er bisher noch nie hinausgekommen war, hinter sich und zog weiter in die ihm völlig unbekannte Welt. Es war ein warmer Tag.

Kurz vor Sonnenuntergang kam er in die Nähe einer großen Stadt. Er sah sie von weitem, die Mauern und Türme leuchtend in den letzten Sonnenstrahlen. Die Größe der Stadt erschreckte ihn. Er wollte heute nicht mehr hingehen und legte sich ins Moos eines kleinen Wäldchens zum Schlafen.

Bei Sonnenaufgang schritt er durch eines der Stadttore. Hohe Häuser standen an schmalen, schmutzigen Straßen; viele Menschen hasteten trotz der frühen Stunde umher.

Hier würde er bestimmt nicht finden, was er suchte. Verwirrt blickte er um sich. Aber fragen konnte er; doch wen er auch fragte, er erntete nur unverständliche oder uninteressierte Blicke. Nein, hier verschwendete er nur seine Zeit. Er durchquerte die Stadt und war erleichtert, als er sie durch ein anderes Tor wieder verlassen hatte.

Er folgte weiter der Landstraße. Nach vielen Wochen kam er an einen breiten Fluss, der tief schien und eine schnelle Strömung hatte. Der Fluss war so breit, dass er kaum die andere Seite sehen konnte. Er ging am Ufer weiter. Nach Tagen kam er zu einer Hütte, in der ein Fährmann wohnte. Dieser war gerade beim Essen und schien nicht die Absicht zu haben, sein Mahl zu unterbrechen; er lud den Fremden dazu ein, der dankend annahm.

Er sagte zu dem Fährmann, dass er noch niemals einen so breiten Fluss gesehen habe und der Fährmann antwortete, dass dies der Fluss der Wahrheit sei. Wem es gelänge, den Fluss zu durchschwimmen, der würde immer die Wahrheit wissen und erkennen. – Nein, soviel er wisse, sei das noch niemandem gelungen, der Fluss sei zu breit und zu reißend. Wer das starke Tau, das die Fähre leite, angebracht habe? Das wisse er nicht, es sei schon immer da gewesen.

Der Fährmann hatte sein Mahl beendet und sagte, dass sie jetzt aufbrechen könnten. Auf der anderen Seite gab er dem Fährmann sein letztes Geld für die Überfahrt und zog weiter.

Der Winter stand vor der Tür und er musste sich jetzt Scheunen, Ställe und Höhlen zum Schlafen suchen. Er hatte kein Geld mehr, doch in den meisten Häusern, an denen er vorüberkam, erhielt er eine Kleinigkeit zu Essen, wenn er darum bat. So lebte er und kam weiter und weiter, er ging durch Felder, Wiesen, Wälder und über Hügel und Berge.

Ein neuer Frühling zog ins Land und im Sommer, ein erfrischender, kurzer Regenschauer ging gerade nieder, kam er an einen Wald, so dicht, dunkel und groß, wie er noch nie einen gesehen hatte. Kein Pfad schien in ihn hineinzuführen.

Eine alte Frau saß auf einer Bank neben der Straße. Als er sie nach dem Weg fragte, erklärte sie ihm, dass dies der Wald der Schönheit und Jugend wäre. Wer ihn durchquere, sei ewig jung und schön. Man habe schon viele hineingehen sehen, aber herauskommen noch niemanden.

Er hatte nicht die Absicht, es zu versuchen, er suchte nach etwas anderem. Er fragte die alte Frau nach der Flamme der Liebe, aber davon hatte sie noch nie gehört.

So ging er weiter durch die Welt, kam durch Städte und Dörfer, aber wen immer er fragte, niemand konnte ihm etwas sagen.

Im nächsten Frühling kam er an ein großes Moor. Eine junge Frau saß vor einer Lehmhütte am Rande des Wassers und sagte ihm, dass dies das Moor der Tugend sein. Wer es durchmesse, habe alle Tugenden, aber bisher sei das noch niemandem gelungen.

Er ging rasch einen anderen Weg weiter, es war wieder nicht das, wonach er suchte.

Ein neues Jahr der vergeblichen Suche ging ins Land – manchmal verlor er fast die Hoffnung. Niemand konnte ihm den kleinsten Hinweis geben; vielleicht existierte sie gar nicht, diese Flamme. Aber er gab nicht auf, streifte weiter durch Hügel und Wiesen, aß, was er im Wald fand und andere Leute ihm gaben, trug alte Kleidungsstücke, die er geschenkt bekam, wenn die alten zu zerrissen waren.

Eines Tages, müde, erschöpft und mutlos saß er am Wegrand, gesellte sich ein junger Mann zu ihm, der sich gleichfalls ausruhte. Befragt, antwortete der junge Mann, dass er zwar von der Flamme der Liebe noch nichts gehört habe, aber es gäbe ein großes Gebirge, das Gebirge der Weisheit, wo ein alter Mann, ein sehr alter und weiser Mann lebe, der könne ihm vielleicht helfen. Wo das Gebirge läge? Das wisse er leider nicht.

Mit dem ersten Hoffnungsschimmer im Herzen setzte er seinen Weg fort. Doch wen er auch nach dem Gebirge fragte, manche hatten zwar davon gehört, aber niemand wusste, wo es lag. Die wenigsten Menschen wussten, was außerhalb ihrer nächsten Umgebung war. So musste er selbst suchen. Er durchzog die Welt, kam in immer neue Landschaften.

So verging ein Jahr ums andere. Seine Schritte wurden immer langsamer, die zurückgelegte Wegstrecke eines Tages wurde immer kürzer. Er wusste nicht mehr, wie viele Jahre er schon unterwegs war, noch wie alt er jetzt war, aber er merkte plötzlich, dass er schon recht alt sein musste. Er wusste auch nicht, wie weit er schon gegangen war; zurückfinden zu seiner vertrauten Hütte, die er einst verlassen hatte, würde er sicher nicht mehr.

Es war wieder einmal Herbst und er hatte sich an einem nebligen Abend in einen kleinen Heuschober am Weg gelegt. Am Morgen war der Nebel verschwunden und die aufgehende Sonne beleuchtete einen gewaltigen Wolkenturm am Horizont. Er ging weiter und da erkannte er, dass es keine Wolken waren dort hinten, sondern ein riesiges Gebirgsmassiv. War es das, hatte er es gefunden?

Er traf zwei Männer, die am Fuße des Gebirges fischten und fragte sie, ob dies das Gebirge der Weisheit sei. Sie bejahten. Nach dem Aufenthalt des weisen Mannes befragt, konnten sie keine genaue Auskunft geben; irgendwo dort oben lebe er. Aber um die Weisheit selbst zu erlangen, müsse man den Gipfel erreichen und das sei bis heute noch niemandem gelungen.

Er sah auf zu dem Gebirge; jetzt, da er unmittelbar davorstand, sah er seinen Gipfel nicht, so hoch war es. Aber nichts konnte ihn jetzt noch zum Aufgeben bewegen, was wäre ihm dann noch geblieben?

So begann er den Aufstieg. Kein Pfad wies ihm einen Weg. Über Geröll und Fels, vorbei an immer niedriger werdenden Gewächsen, tastete er sich nach oben. Er war bald erschöpft und musste sich ständig wieder ausruhen. Es wurde immer kälter, hier oben war bereits Winter. Er zog seine dürftige Kleidung fest um sich, aber sie bot kaum Schutz gegen den Wind, der eisig durch ihn hindurch schnitt.

Er wusste nicht mehr, wie lange er so aufgestiegen war, jedes Zeitgefühl, jede Empfindung überhaupt, war ihm verlorengegangen, als er endgültig nicht mehr weiter konnte. Kein Schutz war um ihn her. Er lag auf dem nackten Fels und wusste, er würde erfrieren, wenn er hier so liegen blieb, aber er hatte keine Kraft mehr, aufzustehen.

So endete es also, nach all den Jahren musste er aufgeben. Und er schloss die Augen und träumte von der Flamme der Liebe, die ihn wärmte.

Irgendwann schlug er die Augen wieder auf und sah die Flamme aus seinem Traum noch immer vor sich, spürte ihre Wärme. Doch bald erkannte er, dass es ein gewöhnliches Feuer war, das neben ihm brannte; er war in eine Decke gehüllt und ein alter Mann flößte ihm aus einer Schale ein heißes Getränk ein. War er tot oder wo war er? Als er sich umsah, erkannte er, dass er noch immer auf dem Berg war, an der gleichen Stelle, an der er erschöpft eingeschlafen war.

Der alte Mann, er war schon sehr alt, blickte ihn freundlich an. War es der weise Alte? Als er ihn fragte, sagte der Alte, ja, man nenne ihn so.

Und so erzählte er dem alten weisen Mann, wonach er suchte, dass er schon seit ungezählten Jahren unterwegs war und dass er seine letzte Hoffnung sei, den Sinn seines Lebens wiederzufinden. Er musste sie finden, die Flamme der Liebe, es gab sie doch wirklich?

»Ja«, sagte der alte weise Mann, »es gibt sie.«

»Und wo, wo ist sie? Hier auf dem Berg? Wo kann ich sie finden?«

»Sie ist überall.«

»Überall?«

»Du kannst sie nicht an einem bestimmten Ort finden«, sagte der alte Mann, »nur in dir selbst.«

»In mir selbst?«

»Ja, in dir selbst. Du suchst die Liebe einer Toten. Du glaubst, ihre Liebe ist auf Erden zurückgeblieben und du willst sie finden?«

»Ja.«

»Dann hast du all die Jahre vergeblich gesucht, deine Suche war überflüssig, weil du immer hattest, was du suchst. Die Liebe eines Menschen bleibt so lange auf Erden, so lange er noch geliebt wird. Solange du die Frau, die du geliebt hast, auch nach ihrem Tod weiter liebst, brennt die Flamme ihrer Liebe in dir. Erst wenn du sie vergessen hast oder ihr nachfolgst, wird ihre Flamme erlöschen.«

Der alte Mann schwieg und der Suchende schloss die Augen. Jahre und Jahre, wie viele mochten es gewesen sein, hatte er mit einer sinnlosen Suche verbracht. Wie lächerlich kam er sich vor, die ganze Welt zu durchstreifen nach etwas, das er nur in seinem eigenen Herzen finden konnte. Und dennoch fühlte er Erleichterung, denn wie auch immer, seine Suche war zu Ende.

Der entschwundene Garten

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