Читать книгу Himmel (schon wieder) - Andrea Ross - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1
Traum oder Wirklichkeit?
Stephen saß im Spätherbst am Strand der Costa Blanca, obwohl der Himmel bedeckt war und ihm ein unangenehm kühler Wind um die Nase blies. Es war ihm einerlei, denn er musste dringend nachdenken. Reglos ließ der junge Mann die Ereignisse der gestrigen Nacht vor seinem geistigen Auge vorüberziehen, versuchte, sie zu verstehen und einzuordnen. Im ersten Augenblick seines Erwachens hatte er nur allzu gerne daran glauben mögen, dass er einem Horrortrip aufgesessen war; ausgelöst durch einen Joint, der wohl eine ihm unbekannte Höllenmischung enthalten haben musste. Doch wenn seine nächtlichen Erlebnisse nur Einbildung gewesen wären, wie ließen sich dann die Unstimmigkeiten erklären, die er in den wenigen Minuten, die seither vergangen waren, festgestellt hatte? Er war erst am späten Nachmittag erwacht, Lenas Spott ausgesetzt gewesen und zerstreut losgefahren. Stephens Kopf schmerzte fürchterlich und in diesem Zustand taten selbst die Gedanken körperlich weh. Jedenfalls fühlte sich das für ihn so an.
»Nochmal überlegen. Also. Ich bin aus Deutschland ausgewandert, um hier ein neues Leben anzufangen. Gestern Abend habe ich mich mit Gewalt in meine enge Motorradhose gequetscht, um zu einer Party zu fahren. Und heute Nachmittag bin ich dort mit einem dicken Schädel aufgewacht. Man hat mir erklärt, ich sei in einer Art Delirium gewesen, hätte mit einer hübschen Rothaarigen geschlafen und einen Job an Land gezogen. Soweit klingt das alles noch ganz normal. Jedenfalls für meine Verhältnisse.« Seine Gedanken ordnete man am besten, wenn man alles halblaut vor sich hinmurmelte, diese Feststellung hatte Steve schon vor Jahren gemacht. Hier hörte das zum Glück niemand, denn die anderen Menschen waren anscheinend nicht blöd genug, sich bei diesem ungemütlichen Wetter nach draußen zu begeben.
Jetzt kam doch jemand vorbei. Ein älterer Mann, der vermutlich wegen der unaufschiebbaren Notdurft seines mitgeführten Hundes hierzu verdonnert worden war. In Spanisch redete er auf das Tier ein, und Stephen konnte seltsamerweise jedes Wort verstehen. Noch gestern hatte es ihm äußerste Mühe abverlangt, selbst einfachste Konversation in dieser fremden Sprache zu verstehen. Und nun? Nicht einmal die Umgangssprache verursachte ihm nennenswerte Probleme.
DIESER Umstand sprach nun wieder dafür, dass die Ereignisse, welche so eindrucksvoll in seiner Erinnerung hafteten, doch nicht vollständig halluziniert sein konnten. Genau wie dieser ominöse Lastwagen, der ihn beim Verlassen des Grundstücks fast ins Jenseits befördert hätte. Er kannte dieses Fahrzeug; er wusste sogar, wie es scherzhaft bezeichnet wurde – El Burro, der störrische Esel. Es gehörte einer gewissen Pilar, einer älteren Dame aus der Nähe der Stadt Elche und … nein, das alles konnte nicht wahr sein. Oder doch?
In der hereinbrechenden Abenddämmerung kam Stephen endlich der erlösende Geistesblitz. Moment, warum war ihm das nicht früher eingefallen? Wenn er schon so viele Orte und Begebenheiten aus dem Drogen-Horrortrip kannte, warum fuhr er dann nicht einfach auf dem Weg nach Guardamar an einigen Schauplätzen vorbei und überprüfte sie? Da würde sich dann hoffentlich schnell herausstellen, dass er sich etwas zusammengesponnen hatte. Anschließend konnte er beruhigt nach Hause fahren und das Hotel anrufen, den Inhabern in Aussicht stellen, dass er morgen früh zuverlässig zum Vertragsabschluss erscheinen werde. Die hatten heute schon vergeblich auf ihren neuen SuperProgrammierer gewartet.
Allerdings war sich Stephen nicht ganz sicher, ob die Hotelmanager nur aufgrund seiner gestrigen Ausführungen überzeugt waren, den Richtigen zu engagieren, oder ob dies vielmehr auf den Anruf seines Vaters zurückzuführen war, welcher ein Software-Imperium in Deutschland besaß und in der Branche weithin bekannt war. Bewusst war er sich hingegen, dass seines Vaters Fürsprache nicht aus Liebe zu ihm geschehen war, sondern vermutlich sicherstellen sollte, dass er nur ja nicht nach Deutschland zurückkäme. Die beiden hatten sich vor Stephens Abreise nach Spanien ziemlich heftig in den Haaren gehabt, sehr zum Leidwesen von Stephens Mutter Kirstie.
Stephen rappelte sich auf, eine Idee zu schnell für seinen desolaten Zustand. Nicht nur dass sein Kopf nun fast zu platzen drohte, ihm wurde auch schwarz vor Augen. Egal. Er würde eben später der Sportart »Extrem-Couching« frönen, wie er faule Fernsehabende gerne bezeichnete; oft hatte er für diesen Ausdruck in geselligen Runden Gelächter geerntet, denn Stephen gab gerne den Scherzkeks, sofern er sich nicht gerade in unerfreulichen Grübeleien erging.
Momentan war ihm nicht nach seichten Späßchen zumute. Soeben hatte er anhand eines charakteristischen Schwapp-Geräusches festgestellt, dass das Motorrad aufgetankt werden musste. Na schön! Das wäre dann gleich eine passende Gelegenheit, die Existenz einer gewissen Tankstelle zu überprüfen. Jener Tankstelle, die nicht weit vom Grundstück Pilars entfernt lag. Der Tanke mit dem Besitzer Fernando, die ihm einige Ersatzteile für »El Burro« geliefert hatte. Sehr gut! Vielleicht musste er dann gar nicht mehr weiter nachsehen, wenn schon dieser Ort nur im Traum existent gewesen wäre. Schon von weitem sprang ihm das Flachdach der Tankstelle ins Auge. »Was zum Teufel …!« Es klang dumpf unter dem Helm und Stephen brach der kalte Schweiß aus. Besonders als er Fernando gewahrte, den es somit ebenfalls in Wirklichkeit gab. Der sang unbekümmert in seiner Werkstatt vor sich hin, während er einem Fahrzeug Öl nachfüllte, welches hier zu Lande, wie Stephen neuerdings wusste, »aceite« hieß. Nachdem er geistesabwesend die Tankrechnung beglichen hatte, fuhr er sich nervös durch die blonde Strubbel-Frisur, setzte den Helm wieder auf und fuhr, wie von Teufeln gehetzt, vom Gelände.
»Wenn der Rest dieses Albtraums auch noch in Wirklichkeit
existent ist, dann müsste … jaaaaaaa, JETZT Pilars Grundstück sichtbar sein!«