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Einleitung: Glas – zerbrechliche Schönheit

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Glas ist seit seiner Entdeckung in vorgeschichtlicher Zeit einer der faszinierendsten Werkstoffe der Welt – er bietet beinahe unendliche Variationen der Bearbeitung, von heiß bis kalt, von geformt bis geblasen, von gefleckt bis gewickelt: Myriaden von Verzierungsmöglichkeiten, die auch heute noch angewendet und weiterentwickelt werden. Man denke an die eleganten Jugendstilgläser der Zeit um 1900, die Murano-Gläser der 1940er- und 50er-Jahre, an die internationale Studioglasbewegung der 1960er- und 70er-Jahre oder die modernen Arbeiten des amerikanischen Glaskünstlers Dale Chihuly, der mit seinen riesigen hängenden Objekten auf der ganzen Welt Aufsehen erregt.

War Glas in vorgeschichtlicher Zeit noch ein überaus seltener Werkstoff, der vor allem für Perlen und andere Schmuckstücke oder als Einlage von Möbeln oder Wänden verwendet wurde, begann sein Siegeszug in griechischer, besonders hellenistischer Zeit, als man erste größere, offene Gefäße in bunten Farben zu fertigen verstand. Diese verbreiteten sich vor allem im Ostmittelmeerraum, gelangten aber gelegentlich auch in den Westen – man denke etwa an die Fragmente von Mosaikgläsern, die im keltischen Oppidum von Manching bei Ingolstadt gefunden wurden. Ab der späten Republik und frühen Kaiserzeit schließlich entwickelte sich um die Zeitenwende das Glas im gesamten Römerreich zum Allgemeingut, welches vielfach als Luxusware hohe Preise erzielte, später jedoch dank der Erfindung des Glasblasens zur allgegenwärtigen, nun erschwinglichen Massenware wurde.

Das Material – Quarzsand, Flussmittel und Stabilisator

Glas ist eine Mischung aus Quarz, Natron oder Soda sowie Kalk, die bei Temperaturen ab 800° C Hitze formbar wird. Gießflüssig wird sie allerdings erst bei etwa 1.200° C, einer Temperatur, die mit antiken Mitteln noch nicht zu erreichen war. Mit welcher Temperatur man arbeitete, hing von der chemischen Zusammensetzung der Schmelze ab, den technischen Möglichkeiten des offenen Feuers oder Ofens sowie davon, welche Art von Glasobjekt man daraus zu schaffen gedachte – besonders in der Römerzeit kamen neue, nie zuvor gesehene Verarbeitungs- und Verzierungstechniken auf, die in diesem Band schlaglichtartig besprochen werden sollen.

Der Legende nach (Plin. nat. 36, 190f.) wurde das Glas zufällig „an einem Levantestrand“ entdeckt, dessen Sandzusammensetzung die Glasschmelze begünstigte, und in Verbindung mit dem Lagerfeuer die ersten amorphen Glasbrocken hervorbrachte. Dies fiel auf und so wurde von da an das neue Material mittels Versuch und Irrtum über Jahrhunderte hinweg erprobt. Die erfolgreichen Rezepte gab man an die nächste Generation weiter, hielt sie aber wohl noch nicht schriftlich fest. Wichtigstes Grundelement ist demnach Quarzsand, der, abhängig von seinem natürlichen Vorkommen, so rein sein sollte wie nur möglich. Dazu kommt ein Flussmittel zum Senken des Schmelzpunktes – in der Antike verwendete man hierzu fast immer Natriumkarbonat bzw. Soda –, sowie einen sog. Stabilisator, der verhindert, dass sich das Glas in Wasser auflöst. Dazu wurde normalerweise Kalk verwendet, der idealerweise bereits mit im Sand enthalten war und dementsprechend nicht eigens zugesetzt werden musste.

Farbe und Irisierung

Die natürliche Farbe der Glasschmelze ist das sog. Blaugrün, dessen Schattierung vom natürlichen Eisengehalt des Sandes abhängig ist. Alle anderen, bunteren Farben müssen durch die Zugabe von Mineralien erzeugt werden. Dabei ergibt beispielsweise eine Beimischung von Mangan Rotviolett, die Kombination von Antimon und Blei ein opakes Gelb oder – sicher am bekanntesten – Kobalt, ein leuchtendes Dunkelblau. Rein rote Gläser sind dagegen in der Antike sehr kostbar und selten und werden erst im Mittelalter häufiger. Sie besitzen einen hohen Kupferanteil, der bedingt, dass sich die Glasmasse der Oberfläche unter bestimmten Umständen zu Grün hin verändert: eine noch nicht oft nachzuweisende Reaktion.

Völlig farbloses Glas war lange Zeit sehr selten, da es ebenfalls schwer herzustellen war. Erst in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. wurde es möglich, durch die Zugabe bestimmter Mineralien auch farbloses Glas in größerer Menge zu produzieren. Dabei ist im Nachhinein nur schwer festzustellen, ob ein Glas nun bewusst entfärbt wurde oder nicht. Zwar existieren ganze Gattungen absichtlich entfärbter Gläser (die Facettbecher oder das „bessere“ geformte Tafelgeschirr, s. u.), aber oftmals ist es neutraler, den Terminus „farblos“ zu verwenden, vor allem dann, wenn ein Glas nicht chemisch analysiert wurde.

Ähnlich problematisch ist die Bezeichnung „schwarzes“ Glas, das in der Antike ebenfalls noch nicht herzustellen war. Daher muss man sehr genau hinsehen (am besten durch den Bruch einer Scherbe oder eines Armreifens), um zu erkennen, ob an sich schwarz wirkende Gefäße oder Schmuckstücke eigentlich dunkelst Rotviolett, Braun oder aber Oliv sind. Inzwischen gibt es umfangreiche Studien, die sich mit den „schwarzen“ Gläsern des 1. und des 3. Jhs. befassen, die jeweils eine eigene Gruppe mit charakteristischen Gefäßformen bilden.

Von der eigentlichen Glasfarbe zu unterscheiden ist die sog. Iris, ein Verwitterungsprodukt, das entsteht, wenn ein Glas Umwelteinflüssen, etwa im Boden, unterworfen ist. Dabei kommt die Dichte der Verwitterung zum einen auf die beeinflusste Glasmasse an, zum anderen auf die chemischen Bedingungen, unter denen das Glas im Boden lagert. In den Nordwestprovinzen ist die Irisschicht oft sehr dünn und bei frührömischen Gläsern kaum zu erkennen. Dagegen bildet sich an Gläsern aus dem (östlichen) Mittelmeerraum in der Regel eine dichte, leuchtend regenbogenfarbig schillernde Irisschicht, die es ermöglicht, auch Gläser in Museums- oder Sammlungsbesitz, die keine Fundortangaben mehr besitzen, eindeutig einer östlichen bzw. allgemein mediterranen Provenienz zuzuschreiben.

Chronologie – seit wann gibt es den Werkstoff Glas?

Glas ist seit der Bronzezeit (ca. 2500 v. Chr.) als eigenständiger Werkstoff bekannt, der zunächst nur für geformte Perlen, Schmuckstücke, Geräte und Intarsien verwendet wurde. Erst später wagte man sich an die ersten kleinen Gefäße wie den Kelch mit Königskartusche des Thutmosis III. (um 1450 v. Chr) in der Ägyptischen Staatssammlung München, das älteste sicher datierte Glasgefäß der Welt. Bekannt sind außerdem u. a. die figürlichen ägyptischen Einlagen für Möbel oder Schreine, die mykenischen Colliers aus kleinen gepressten Plättchen, die Gesichts- und Augenperlen oder die zahlreichen Sandkerngefäße des 6.−1. Jhs. v. Chr.

Forschungsgeschichte – das „Who is Who“ der Glaswelt

Im Laufe der Erforschung des antiken Glases haben sich immer wieder WissenschaftlerInnen daran gemacht, das ihnen vorliegende Glasmaterial typologisch zu ordnen und zu untergliedern. Einige dieser meist regionalen Typologien ließen sich jedoch auch allgemeingültig verwenden. In der Regel benennt man einen Gefäßtyp mit dem entsprechenden Familiennamen der Forscherin oder des Forschers (Antikes Glas galt in der Wissenschaft lange Jahre abschätzig als „Frauenthema“, weil sich angeblich besonders gerne Forscherinnen damit beschäftigten) sowie mit einer Ordnungsnummer, also z. B. „Isings 3“ für die Rippenschalen. Im Folgenden sollen einige wichtige ForscherInnen ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt werden, deren Namen der Leserin und dem Leser in diesem Buch wieder begegnen werden, weshalb die Forschungsgeschichte – ungewöhnlicherweise – hier direkt an den Anfang des Textes gerückt wurde. Eine der ersten Glastypologien wurde 1913 von dem Franzosen Jean Morin-Jean erstellt und umfasst vor allem Funde aus Gallien. 1957 folgte dann die holländische Klassische Archäologin Clasina Isings, deren umfassendere Einteilung bis heute weithin verbreitet, akzeptiert und nach wie vor in Benutzung ist. Die Trierer Typologie von Karin Goethert-Polaschek entstand 1977 und deckt weitere Detailunterscheidungen von Gläsern ab, die meist dem rheinisch-moselländischem Spektrum entstammen. Am umfangreichsten ist bislang mit 180 Typen das 1990 erschienene Standardwerk von Beat Rütti über die römischen Gläser in Augst und Kaiseraugst. Die von der Hand der Autorin stammende, 244 Typennummern inklusive der Kleinfunde und Perlen umfassende Vorlage der Gläser aus dem römischen Augsburg wurde 1997 fertiggestellt, ist aber bis heute nicht gedruckt erschienen. So gibt es mittlerweile nur noch wenige Glasformen, die noch nicht typologisch „angesprochen“ werden können.

Im Gegensatz dazu haben andere Forscher wie der in Mainz geborene Fritz Fremersdorf bei der Aufarbeitung der Kölner Gläser ganz auf die Vergabe von Typnummern verzichtet – in Anbetracht der dortigen Materialfülle nicht wirklich nachzuvollziehen. Wie eine solche Kölner Typologie in Ansätzen aussehen könnte, zeigte kürzlich Dela von Boeselager in ihrer Bearbeitung eines vergleichsweise kleinen, aber wichtigen Teils der Kölner Gläser, der Funde aus dem Gräberfeld an der Luxemburger Straße. Ebenfalls zahlreiche Glasfunde aus Grabfunden behandelt Renate Pirling in ihrer mehrbändigen Vorlage des römisch-fränkischen Gräberfeldes von Krefeld-Gellep am Niederrhein. Ihre Typologie ist nicht so einfach erschließbar, da sie Glas- und Keramiktypen von Band zu Band durchzählt. In den letzten Jahren hat sich die Glasforschung allerdings weg von reinen Typochronologien hin zu naturwissenschaftlichen Analysen bewegt, was einerseits sicher richtig und verständlich ist, andererseits aber problematisch, denn das umfangreiche Typenspektrum antiker Gläser ist noch lange nicht aufgearbeitet. Ideal wäre daher eine parallele, ineinandergreifende Weiterentwicklung beider Methoden.

In der zweiten Hälfte des 20. Jhs. Jhs. versuchte man vor allem in Deutschland und der Schweiz, nicht nur die Formen, sondern auch die Farben römischer Gläser einer standardisierten Ansprache zu unterziehen. Da es aber keine hierfür geeigneten Farbtafeln gab, erstellten Forscher wie Ludwig Berger und Beat Rütti ihre eigenen, die jeweils in ihren Publikationen wiedergegeben sind. Viele andere ForscherInnen behalfen sich mit dem Farbenführer für Briefmarkensammler (Michel) oder dem Farbfächer von Pantone®. Dabei ergab sich jedoch immer wieder folgendes schwerwiegende Problem: Die Farbe einer bunten Glasscherbe wirkt je nach Lichteinfall bzw. unter natürlichen oder künstlichen Lichtquellen unterschiedlich gefärbt und ist daher nur schwer von einer zweiten Person eindeutig nachzuvollziehen. Dementsprechend wird heute wieder davon Abstand genommen, standardisierte Farben definieren zu wollen, und man beschreibt nur noch größere Farbgruppen wie „blaugrün“, „grünlich“ oder „gelbbraun“ (bes. Jennifer Price und ihre Schülerinnen).

Doch nicht nur deutsche WissenschaftlerInnen wie die Perlenforscherin Thea Elisabeth Haevernick, Fritz Fremersdorf oder Axel von Saldern, der Autor des Glasbandes der Reihe Handbuch der Archäologie, trugen zur Erforschung des antiken Glases bei, sondern zahlreiche weitere Forscherpersönlichkeiten aus allen Teilen der Welt. Zu erwähnen ist u. a. der Brite Donald B. Harden, der sowohl Gläser aus Britannien als auch aus Ägypten studierte. Seine Schülerin Jennifer Price ist bis heute das hoch verehrte Vorbild aller GlasforscherInnen. David Whitehouse wirkte lange Jahre als Direktor des Corning Museum of Glass im Staat New York; er arbeitete über alle Epochen von der Antike bis ins Mittelalter und die Islamische Zeit. David F. Grose führte wichtige Forschungen zu den frühen geformten Gläsern durch, wurde aber vor der Zeit in seiner Arbeit endgültig unterbrochen. Der Israeli Dan Barag untersuchte Gläser aller Epochen in der Levante und grub u. a. in Masada. Heute gibt es in Israel eine ganze Reihe äußerst aktiver Glasforscherinnen wie Yael Rosen. E. Marianne Stern ist wie Clasina Isings und Sophia Van Lith Holländerin, arbeitete aber sowohl in den USA als auch im gesamten Mittelmeerraum, wo sie u. a. das wissenschaftliche Erbe von Gladys Davidson Weinberg antrat. Aus Italien sind u. a. Maria C. Calvi und Elisabetta Roffia zu nennen. In Frankreich hat sich in den letzten 30 Jahren eine Gruppe von ForscherInnen um Marie-Dominique Nenna und Danièle Foy zusammengetan, die sich speziell auch um das Glas in Nordafrika, Ägypten und der Levante kümmern. Die jüngste deutsche Generation von GlasspezialistInnen erhielt ihre Ausbildung an der Universität Köln. Constanze Höpken, Marion Brüggler und Martin Grünewald veranstalten seit mehreren Jahren die immer wieder an einem anderen Ort abgehaltenen „Glastage“. Der „Glastag“ im Oktober 2015 fand in der Villa Borg im Saarland statt, wo insbesondere praktische Verarbeitungsversuche am rekonstruierten Glasofen Interessenten anzogen. Die vorstehende Aufzählung kann jedoch nur ein grober Überblick über die ständig wachsende Anzahl an Glasforscherinnen und -forschern sein.

Geformt mit göttlichem Atem

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