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Triple D – Disruption, Daten und Digitalwirtschaft

Beginnen wir mit einer kritischen Bestandsaufnahme. Was hat es mit diesen drei D-Wörtern, mit dem Triple D, wie wir es nennen, auf sich? Welche Veränderungen sind damit verbunden? Wie ist Deutschland darauf vorbereitet? Wie tickt die digitale Gründerelite unseres Landes? Wie kann sie ihre disruptiven Kräfte künftig besser zur Entfaltung bringen? Und welche Sturzwelle rollt da überhaupt auf uns zu?

Das Wort »Disruption« stammt vom lateinischen »disrumpere« ab und bedeutet »zerstören,« »aufbrechen«, im erweiterten Sinn auch stören, unterbrechen, sprengen. Als disruptiv werden grundlegende Innovationen bezeichnet, die traditionelle Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen durch neuartige, meist digitale Konzepte verdrängen. Dabei werden herkömmliche Marktgesetze demontiert und alteingesessene Unternehmen in ihrer Existenz bedroht.

Der amerikanische Harvard-Professor Clayton M. Christensen hat den Begriff für die Ökonomie entwickelt und geprägt. In seinem Buch The Innovator’s Dilemma beschrieb er bereits 1997 die Zwangslage, in die etablierte Konzerne und ihre Führungskräfte durch disruptive Technologien geraten. Hatten die Traditionsunternehmen einst mit eigenen Innovationen den Markt erobert, werden sie plötzlich von datengetriebenen Startups angegriffen, die vorher als Nischenplayer kaum bedrohlich schienen. Im Gegensatz zu den etablierten Unternehmen haben diese Startups wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Ihre Taktik: Sie drängen sich mit intelligenten digitalen Anwendungen zwischen die Konzerne und ihre Endkunden, übernehmen Kontrolle und Analyse der Datenströme und schaffen Angebote, die für die Kunden nutzwertiger als die Produkte und Services der Platzhirsche sind. Sie denken in Lösungen aus der Kundenperspektive und nicht in Produktionsprozessen.

Das Dilemma der Etablierten besteht nun darin, dass sie diesem Angriff hilflos ausgeliefert sind. Sie können sich nicht einfach neu erfinden, weil sie damit ihr Kerngeschäft gefährden und ihre Stammkunden brüskieren würden. Tun sie allerdings nichts und machen weiter wie gewohnt, dann werden sie von den datengetriebenen Angreifern früher oder später zur Strecke gebracht. Das Ende der Traditionalisten ist, wie Christensen seinerzeit folgerte, nicht zu verhindern. Inzwischen hat sich seine beängstigende Prophezeiung für immer mehr Unternehmen bewahrheitet. Zu den Opfern zählen einst erfolgreiche Unternehmen wie Kodak, Polaroid und Sun Microsystems oder hierzulande Quelle und Neckermann. Selbst Technologieriesen wie Sony und Nokia oder HP und Dell straucheln bedrohlich.

Die digitalen Innovationen von heute treiben weniger den kontinuierlichen Wandel als vielmehr den jähen Umbruch. Zudem handelt es sich bei den revolutionären Neuerungen der Digitalwirtschaft meistens nicht um Technologien oder Produkte, sondern um innovative Geschäfts- und Netzwerkmodelle, die ganze Branchen auf den Kopf stellen, neue Marktordnungen hervorbringen und ökonomische Macht umverteilen. Die Innovationen der Digitalwirtschaft erschüttern herkömmliche Wirtschaftsstrukturen also fundamental. Und die größte disruptive Sprengkraft birgt ihr zentrales Geschäftsmodell – die Plattformökonomie.

Die Kraft der virtuellen Marktplätze

»Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert«, hat Carly Fiorina, die frühere Chefin von Hewlett-Packard, schon 2009 vorausgesagt. Noch ist schwer vorstellbar, dass Stahlproduktion, Braunkohleförderung oder die Seeschifffahrt in Algorithmen zerlegt und als Plattformen neu aufgebaut werden. Doch keine Branche sollte sich in Sicherheit wiegen, auch nicht die gute alte Seeschifffahrt. Wie zuvor schon die Medienwelt, der Einzelhandel und das Touristikgewerbe befindet sich auch das Logistik- und Transportwesen im Auge des digitalen Sturms. Flexport etwa ist eine technologiebasierte Containerspedition, die bereits weltweit eine digitale Abwicklung der gesamten Logistik im See-, Luft-, Straßen- und Schienentransport bietet. Was gestern ökonomisch noch undenkbar schien, ist heute Realität. Flexport besitzt weder Schiffe noch Flugzeuge, Güterzüge oder Lastwagen und zählt doch zu den am schnellsten wachsenden globalen Transportunternehmen. Auch Amazon hat Logistik zu einem zentralen Wachstumssegment erklärt und investiert Milliarden. Das gleiche Prinzip gilt für prominente Wachstumsgiganten wie Airbnb, Uber, Alipay, Facebook & Co.: Sie erobern in ihren Branchen den Weltmarkt, obwohl sie die dafür bislang nötigen Wirtschaftsgüter gar nicht besitzen.

Plattformunternehmen definieren die Spielregeln der Wertschöpfung neu. Das klassische Pipeline-Modell mit linearer Wertschöpfungskette vom Hersteller der Produkte oder Dienstleistungen zum Kunden wird abgelöst von netzartigen Geschäftsmodellen, die Angebot und Nachfrage auf einem virtuellen Marktplatz zusammenführen und Interaktionen ermöglichen.

Auf diesen Plattformen sammeln die Betreiber alle verfügbaren Daten über die Nutzer und deren Transaktionen. Damit erhalten sie ein persönliches Bild der Akteure, das detailliert Auskunft über deren Verhalten, Bedürfnisse und Präferenzen gibt. Diese Daten sind der Rohstoff für die Wertschöpfung der Plattformbetreiber. Und natürlich teilen sie ihr Wissen über die Nutzer nur ungerne mit den Anbietern der physischen Produkte. So erringen sie dank ihrer Algorithmen und Datenanalysen einen immer größeren Wettbewerbsvorteil gegenüber den traditionellen Herstellern.

Dabei werden auch die Rollen neu verteilt. Die herkömmlichen Produkthersteller werden vom Markenanbieter zum Lieferanten degradiert. Und ihr wertvollstes Kapital, der direkte Kundenzugang, fällt in die Hände der digitalen Wettbewerber. Diese kontrollieren – sofern austauschbar – auch die Auswahl der Zulieferer. Letztlich können die klassischen Hersteller froh sein, überhaupt noch im Markt mitzuwirken. Denn erst werden sie herabgestuft und dann sogar überflüssig.

Fatal ist auch, dass der Großteil ihres Unternehmenswerts zum Plattformbetreiber wandert. Damit verlieren die traditionellen Anbieter die Kontrolle über die Marge. Für den Aufbau einer eigenen Plattform ist es meistens zu spät. Der Zug ist längst abgefahren, die traditionellen Manager haben den Anschluss verpasst. Selbst gestandene Traditionshäuser geraten in die Bredouille, obwohl sie ihr Angebot schon digitalisiert haben. Was ihnen wenig nützt, da ihr Geschäftsmodell nach wie vor nach dem analogen Pipline-System funktioniert. Spiegel oder FAZ etwa beschäftigen Hunderte Redakteure, recherchieren und verifizieren die Fakten, kaufen Papier, lassen es bedrucken, liefern die Magazine und Zeitungen an ihre Abonnenten aus und buhlen um Werbegelder. Twitter, Facebook, YouTube oder TikTok hingegen programmieren eine Plattform, schaffen eine Umgebung, in die Nutzer eigene Inhalte einstellen und sich mit anderen vernetzen können, werden so ohne eigene Redakteure zu quantitativ führenden Contentkonzernen der Welt und entziehen den traditionellen Medien den größten Teil der Werbegelder. Man mag über Qualitätsfragen streiten und diese Entwicklung ungerecht finden, sie ist aber nicht mehr zu stoppen. Der simple Grund: Es gibt einfach kein besseres Geschäftsmodell – kundengetrieben, beliebig skalierbar, kosteneffizient und hochprofitabel!

Warum Plattformen den Wettbewerb für sich entscheiden

Auf den ersten Blick scheint die Strategie der Plattformbetreiber regelrecht unfair: Sie lassen die klassischen Hersteller mit der kostenintensiven Produktion ins Risiko gehen, streichen selbst aber ohne großen Aufwand den Löwenanteil der Gewinne ein.

Nüchtern betrachtet, wird der Vormarsch dieser neuen Unternehmensgattung aber kaum von ihrer Boshaftigkeit getrieben, als vielmehr von ihrer Überlegenheit gegenüber herkömmlichen Geschäftsmodellen:

•Die finanziellen Werte der Plattformen entstehen nicht durch Produkte, sondern durch intelligente Softwareschnittstellen. Ihr Ziel ist es, die Interaktionen und Beziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern zu verbessern. Plattformbetreiber erkennen also Schwachstellen des Marktes und codieren Angebote, die einen Mehrwert für die Nutzer schaffen. Die Folge sind günstigere Preise, schnellere Lieferung, passgenauere Auswahl, transparentere Services und dergleichen mehr.

•Plattformbetreiber stellen den Kunden radikal ins Zentrum ihrer Unternehmensstrategie. Sie werten die Daten über das Verhalten und die Vorlieben ihrer Kunden konsequent aus, um so viel wie möglich über sie zu erfahren. Traditionelle Hersteller verkaufen ihre Produkte oft über Vertriebsfirmen, sie kennen ihre Kunden deshalb kaum. Plattformen hingegen beobachten mittels Software genau, welche individuellen Wünsche und Bedürfnisse ihre Kunden haben. Die neuen Wettbewerber haben deshalb einen dramatischen Datenvorsprung, den Traditionsunternehmen kaum aufholen können.

•Digitale Plattformen verfügen über wenig materielle Vermögenswerte, deshalb können sie ihr Geschäft kapitaleffizient und mit geringem Risiko skalieren, also beliebig erweitern. In der analogen Wirtschaft hingegen würden beim Ausbau der Produktion hohe Investitionen in Lagerhallen, Büros oder Personal anfallen. Dank ihrer niedrigen Grenzkosten können Plattformen wesentlich schneller wachsen, als es für klassische Unternehmen je möglich wäre.

•Herkömmliche Skalierungseffekte betreffen die Angebotsseite – je mehr Produkte hergestellt werden, desto niedriger die Produktionskosten. Die Skalierungseffekte der Plattformunternehmen entstehen hingegen auf der Nachfrageseite: Je größer das Netzwerk, desto mehr Nutzer zieht es an. Deshalb tendiert die Plattformökonomie zu Geschäftsmodellen, die dem »The winner takes it all«-Prinzip folgen. So können gigantische Digitalunternehmen heranwachsen, die quasi zu Weltmonopolen werden. Die digitale Welt begünstigt die Schnellen, die Einfallsreichen und die Wachstumschampions. Wächst deren Geschäft erst einmal exponentiell, schaffen Wettbewerber den Anschluss nicht mehr.

•Da digitale Plattformen auf internetbasierten IT-Systemen beruhen, funktionieren sie natürlich auch reibungslos mobil. Längst werden Dienstleistungen jeder Art über das Smartphone gesteuert – etwa Medienkonsum, Musikindustrie, Lieferservices, Bankdienstleistungen und natürlich das Shoppen selbst. Inzwischen geht es bei der Heimautomation weiter. Die Heizung im Keller oder das Licht im Haus werden über entsprechende Apps auf dem Smartphone gesteuert. Mit dem mobilen Zugriff spielen digitale Plattformen eine immer wichtigere Rolle im Alltag der Nutzer, und das auch wieder zum Nachteil der klassischen analogen Unternehmen.

•Der Druck auf die Traditionsunternehmen wird außerdem vom veränderten Kundenverhalten verstärkt, besonders bei den sogenannten Millennials. Junge Menschen, die zwischen 1980 und 2000 geboren sind, legen großen Wert auf Unabhängigkeit. Sie wollen sich nicht durch Konsum binden und einschränken lassen, sie lehnen starre Regeln und Zwänge ab und wollen die Welt in jeder Weise so erleben, wie es ihnen passt: selbstbestimmt, zeitlich, räumlich und technisch uneingeschränkt. Deswegen wenden sie sich Dienstleistungen zu, die den Zugang zu Produkten ohne die Last, etwas besitzen zu müssen, ermöglichen. Hier schlägt die Stunde der Sharing Economy und der digitalen Plattformen. Carsharing ist ein gutes Beispiel, wie Traditionsunternehmen ein neues, digitales Geschäftsmodell testen, um den Wünschen der Millennials entgegenzukommen. Gleichzeitig erschüttert dieser Wandel die Welt der Autobauer langsam, aber stetig in ihren Grundfesten. Denn dem Kunden ist der funktionierende Service wichtiger als das Automodell, das er fährt. Der Nutzer taxiert einen Konzern wie Daimler folglich weniger hinsichtlich seiner Fahrzeuge als vielmehr seiner Kundeninteraktion und der Verfügbarkeit der Services. Damit wird das Transportmittel – ein teures Auto – zu einem nebensächlichen Gebrauchsgegenstand degradiert und situationsgerecht unter anderem auch durch Leihfahrräder oder E-Scooter substituiert.

Zwischenfazit: Es gibt eine ganze Reihe von plausiblen Gründen, warum die Plattformökonomie rasant in Märkte vordringt, die seit jeher von alteingesessenen Firmen dominiert wurden. Das Steuer in der Weltwirtschaft haben neue Spieler übernommen. Internetstars wie Netflix, Alibaba, Amazon, Twitter, Facebook oder Google sind bekanntlich die wertvollsten und am schnellsten wachsenden Konzerne der Welt. Erstaunlich ist das große Vertrauen der Nutzer in die digitalen Plattformen. Google Maps etwa trauen mehr als die Hälfte der Deutschen eher zu, sie besser ans Ziel zu bringen als das teure Navigationssystem in ihrem Auto. Das israelische Startup Waze, vor einiger Zeit von Google für mutmaßlich über eine Milliarde US-Dollar übernommen, überlässt es den Nutzern, die Straßeninformationen zu erstellen, aggregiert Verkehrsdaten, verknüpft zusätzliche Datenquellen in Echtzeit und navigiert so die Fahrer durch ein Schneetreiben in den Alpen. Die Nutzer stellen die intuitive Bedienung und die Attraktivität von Services über Gewohnheit und Markenimage. Damit geraten Paradigmen ins Wanken, die bisher als unumstößlich galten. Und die klassische Geschäftswelt muss darauf reagieren, um nicht verdrängt oder vergessen zu werden.

Deutschlands digitale Baustellen

Die disruptiven Geschäftsmodelle der Digitalwirtschaft fordern die Wirtschaft heraus, aber ebenso Politik, Bildungsinstitutionen, Arbeitsmarkt, Finanzwesen, die Gesellschaft als Ganzes und jeden einzelnen Bürger. Zwar sind disruptive Innovationen nicht neu, aber die Geschwindigkeit und die Wucht, mit der die Plattformökonomie die Welt erobert, sind sehr wohl ein geschichtliches Novum. Stellt sich die Frage: Wie gut ist Deutschland auf diesen Siegeszug vorbereitet?

Für die heimische Wirtschaft, die ihre Erfolge vor allem auf ihre legendäre Ingenieurskunst und ihre Exportweltmeisterschaft gegründet hat, bedeutet die digitale Revolution eine der größten Veränderungen der letzten Jahrzehnte, wenn nicht sogar die größte Veränderung überhaupt. Mit diesem radikalen Umbruch kommt unsere Unternehmenswelt noch nicht zurecht. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger schätzt nur ein Drittel der deutschen Unternehmen ihre digitale Reife als hoch oder sehr hoch ein. Außerdem zielen ihre Digitalstrategien oft allein auf Effizienzsteigerung und Kostenreduzierung, nicht aber auf die Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle oder grundlegende Innovationen. So dominieren in Deutschland nach wie vor klassische Pipeline-Unternehmen, die gegenüber den Tech-Riesen in den USA und China wie Kleinunternehmen erscheinen. Amazon allein erreicht dieselbe Marktkapitalisierung wie drei Viertel aller Dax-Firmen zusammen. Und Apple hat ein höheres Forschungsbudget als alle deutschen Maschinenbauer in Summe.

Wenig optimistisch stimmt auch die Investitionsbereitschaft deutscher Großunternehmen in zwingende Maßnahmen zur digitalen Transformation. Nur ein Prozent von ihnen veranschlagt dafür die Hälfte oder mehr ihrer Gesamtinvestitionen, bei zwei Dritteln beträgt der Anteil maximal zehn Prozent, so eine Studie der Digitalberatung EY/etventure von 2019. Spätestens mit der Corona-Krise macht sich diese Zurückhaltung in Sachen Zukunftssicherung schmerzhaft bemerkbar. Hätten Unternehmen eher und üppiger in ihre Digitalstrategien investiert, wären ihre Umsatzeinbrüche im klassischen Geschäft besser zu kompensieren gewesen.

Viele Führungskräfte gehen die digitale Transformation zögerlich an, weil sie dafür vertrautes Fahrwasser verlassen müssen. Die Konsequenzen dieses Umbruchs für die betriebliche Organisation sind gewaltig. Geschäftsmodelle und alle internen Abläufe müssen überdacht und neu definiert werden, neue Wettbewerbsstrategien entwickelt und neue Partnerschaften geknüpft werden. Vor allem aber müssen die Führungskräfte ihre Mitarbeiter auf den Weg des notwendigen Wandels der Unternehmenskultur mitnehmen. Kein leichtes Unterfangen, denn Veränderungen dieses Ausmaßes machen vielen Menschen Angst. Sie zweifeln, ob sie in der neuen Welt mithalten können, und bangen um ihren Arbeitsplatz – oft mit gutem Grund. Denn auch das ergab die erwähnte EY/etventure-Studie: Während 2017 noch fast jedes zweite Großunternehmen seine Mitarbeiter als ausreichend qualifiziert für die digitale Transformation einstufte, war es 2019 nur noch rund ein Viertel.

Womit die zweite große Baustelle der Digitalrevolution benannt ist: das Bildungswesen. Bei der schulischen Vermittlung von Digitalkompetenz liegt Deutschland im internationalen Vergleich nur im hinteren Mittelfeld. Das ergab eine Vergleichsstudie zur digitalen Kompetenz von Achtklässlern sowohl für 2013 als auch für 2019.

Noch schlechter schnitten deutsche Schulen im Ländervergleich ab. Nur drei Prozent ihrer Lehrer bekommen einen Computer gestellt, damit ist Deutschland das Schlusslicht der Studie. Und während in Dänemark fast alle Schüler und Lehrer über digitale Lernplattformen kommunizieren, waren es 2019 hierzulande magere 17 Prozent.

Da grenzt es schon fast an ein Wunder, dass nach den coronabedingten Schulschließungen der Unterricht quasi über Nacht in digitalen Klassenzimmern fortgesetzt wurde. Allerdings mit großen Defiziten und in sehr unterschiedlicher Qualität.

Dieser Crashkurs in Sachen Digitalisierung hat die Versäumnisse des Bildungswesens spürbar offengelegt: ungleiche Bildungschancen, lückenhafte technische Ausstattung, mangelnde Digitalkompetenz bei Lehrern und Schülern, veraltete Lehrpläne und Lernkultur. Statt junge Menschen auf die Spielregeln der Digitalwirtschaft vorzubereiten, trimmt das Bildungssystem sie immer noch auf die Anforderungen der Arbeitswelt von gestern – vorgegebene Aufgaben statt Eigeninitiative, Reproduktion statt Unternehmergeist, Perfektionismus statt Fehlertoleranz. Die Neugestaltung des Bildungswesens ist mehr als überfällig, damit Heranwachsende digitale Angebote künftig nicht nur nutzen, sondern auch die Algorithmen und Geschäftsmodelle dahinter verstehen.

Hier ist die Politik gefordert. Doch das Gesamtbild ihrer Aktivitäten gleicht eher einem Flickenteppich, und die Umsetzungen verliefen meistens schleppend. Was fehlt, ist die Ausrichtung auf ein übergeordnetes Zielbild – eine positive und mutige Vision der digitalen Transformation des Landes, die Lust auf Zukunft macht und mit den Werten der sozialen Marktwirtschaft vereinbar ist. Nicht eine »Politik der ruhigen Hand«, sondern der »Große Wurf« wäre jetzt gefragt.

Offenbar vermissen viele Bürger ein solches Leitbild. Umfragen der Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. ergaben, dass die Angst vor der Digitalisierung bei ihnen zwar existiert, aber ebenso das Bedürfnis, an der Digitalisierung teilzunehmen und nicht den Anschluss zu verlieren. Solange dieses Bedürfnis nicht adressiert wird, ist es nicht verwunderlich, dass weite Teile der Gesellschaft lieber am Altbewährten festhalten, als sich unverdrossen auf einen Weg in die digitale Zukunft machen, dessen Ziel im Nebel liegt.

Mit der Covid-19-Pandemie waren die Menschen erstmals gezwungen, ihre Komfortzonen zu verlassen und sich Hals über Kopf in die Welt der Digitalwirtschaft zu stürzen. Den meisten gelang das überraschend gut, und auch das weist darauf hin, dass unsere Gesellschaft die digitale Transformation eher positiv sieht, wenn sie den Nutzen hautnah miterlebt. Zugleich hat die Öffentlichkeit erstmals ernsthaft wahrgenommen, dass die Gewinne der digitalen Plattformökonomie größtenteils von nicht europäischen Unternehmen abgeschöpft werden. Damit hat die Corona-Krise uns allen schonungslos vor Augen geführt, wie stark Deutschland und Europa von digitalen Infrastrukturen abhängen, die fest in amerikanischer oder asiatischer Hand sind. Gut möglich, dass diese fehlende Souveränität das bedrohlichste digitale Defizit unseres Landes ist.

Deshalb noch einmal ganz unmissverständlich: Wenn Deutschland und Europa die Digitalwirtschaft jetzt nicht mit aller Kraft vorantreiben, stehen wir bald vor unlösbaren Problemen. Zugleich eröffnet sich für uns jetzt die einmalige Chance, digitale Ökosysteme gedeihen zu lassen, die sozialer, demokratischer, transparenter und vielfältiger sind als die der Amerikaner und Asiaten. Dieser positiv konnotierte Aufbruch in die Zukunft wird uns ja längst vorgelebt – von vielen unserer jungen Gründer, die für ihre Ideen brennen und mit ihren Startups einen Unterschied machen wollen. Nicht zuletzt, um Wirtschaft und Gesellschaft auf Basis unseres europäischen Wertesystems digital zu modernisieren.

So tickt die neue Gründergeneration

Wer sind diese Gründer? Wo kommen sie her, was treibt sie an? Wie denken sie? Wollen sie einfach nur schnell reich werden, Millionen machen, eine schicke Villa am Mittelmeer kaufen? Oder wollen sie alte Mauern einreißen, den übermächtigen Konzernen Paroli bieten, alternative Karriere- und Lebenswege erkunden und die Welt verändern?

Der deutsche Startup-Monitor beschäftigt sich regelmäßig mit der Struktur und den Motiven der Gründerszene und kommt zu folgenden Ergebnissen: Die meisten Jungunternehmer sind vom Wunsch getrieben, etwas völlig Neues zu erschaffen. Sie streben mit ihren digitalen Geschäftsmodellen weniger nach fetter monetärer Beute als vielmehr nach sozialen, demokratischen und nachhaltigen Problemlösungen für die Gesellschaft.

Viele gründen ihr Unternehmen, weil sie selbstbestimmt arbeiten wollen, und klemmen sich mit voller Energie hinter ihre Geschäftsidee. Ein Großteil der Gründer war schon als Schüler leistungsstark und innerhalb oder außerhalb der Schule engagiert. Allerdings kassierten nicht wenige auch Klassenbucheinträge und Verweise. Damit entsprachen sie eher dem Bild des aufmüpfigen Rebellen als dem des angepassten Strebers.

Statt auf Einzelgängertum setzen viele Gründer lieber auf Zusammenarbeit und Vernetzung. Drei von vier Startups werden im Team gegründet, und über die Hälfte der Gründer kooperiert häufig mit etablierten Unternehmen oder wissenschaftlichen Einrichtungen. Die meisten Gründer haben keine Angst vor dem Scheitern, ein Drittel von ihnen hat bereits ein Unternehmen in den Sand gesetzt und trotzdem mit neuen Ideen weitergemacht.

Offenbar ticken die Leistungsträger der neuen Grün-dergeneration anders als die Wirtschaftselite der analogen Businesswelt. Dort geht es eher um Abschottung und Eitelkeit, um Machtspiele und den Erhalt eines hierarchischen Kastensystems, das mithilfe von Statussymbolen zur Schau gestellt wird. Im digitalen Ökosystem der Plattformökonomie sind diese Werte überholt und ökonomisch kontraproduktiv. Gefragt sind Offenheit, Mitgestaltung, Flexibilität und Überzeugungskraft.

Die neuen Gründer definieren sich über das, was sie unternehmen, und nicht, aus welcher Familie sie stammen. Ihnen geht es um Inhalte, Relevanz und Sinn. Die Gründer sind nicht Kinder eines mächtigen Dax-Vorstands und sie kommen üblicherweise nicht von Eliteunis oder aus Unternehmensberatungen. Meist stammen sie aus dem Mittelstand, ihre Eltern sind Lehrer oder Polizisten. Dennoch wirkt in ihnen oft schon in jungen Jahren ein Unternehmergen, sie wollen ihr eigenes Geschäft zum Erfolg bringen, selbstständig und frei bleiben und sich keinesfalls alten Strukturen unterordnen.

Herkunft zählt in der digitalen Welt kaum mehr. Viel wichtiger als Bewahren ist der Blick nach vorn. Die neue Gründergeneration fragt nicht: »Was hast du gemacht?«, sondern »Was hast du vor, was sind deine Ziele?« Die jungen Unternehmer gehen die Dinge pragmatisch und ohne Vorurteile an, weil sie gerne testen, verifizieren. Sie wollen keine ausgefeilten Pläne schmieden, sondern experimentieren und aus Fehlern lernen. Die neuen Gründer wollen ausprobieren, ob ihre Idee wirklich funktioniert. Dabei agieren sie gleichermaßen spielerisch wie effizient.

Auf der Suche nach dem passenden Geschäftsmodell beschäftigen sich die jungen Firmen intensiv mit den Wünschen und Vorlieben ihrer potenziellen Kunden. Die Informationen darüber erhalten sie über Websites oder Apps. Diesen Datenstrom werten sie akribisch aus und passen ihre Angebote entsprechend an. Bemerkenswert ist, wie effizient Startups diese komplexen Big-Data-Prozesse managen und die richtigen Rückschlüsse für ihre Strategie ziehen. Auch damit beweist die neue Gründergeneration, dass sie den unternehmerischen Sandkastenspielen entwachsen ist und Geschäftsideen verwirklicht, die substanziell, skalierbar und nicht selten auch in großem Stil marktfähig sind. Geschäftsideen, mit denen die Digitalisierung in Deutschland maßgeblich vorangetrieben wird.

Zu den beliebtesten Geschäftsideen der Gründer zählen die Bereitstellung von Software in der Cloud (Software as a Service), Softwareentwicklung und andere digitale Dienstleistungen. Auch Künstliche Intelligenz, Virtual Reality oder Blockchain spielen bei den Geschäftsmodellen der neuen Gründergeneration eine immer wichtigere Rolle. Gut möglich, dass es Deutschland dank dieser jungen Unternehmer doch noch gelingt, an den Weltmarkt für innovative Schlüsseltechnologien aufzuschließen.

Vielleicht erleben wir gerade eine historische Zeitenwende: Eine neue Gründerzeit, eine Aufbauphase der Wirtschaft, der Unternehmen und des demokratischen Systems – ähnlich der Gründerjahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine neue Welt könnte sich öffnen, in der wachstumsstarke Märkte entstehen, digitale Geschäftsmodelle neue Werte für Millionen Menschen hervorbringen und überkommene Strukturen disruptiert werden.

Diese Zukunft allerdings wird nur dann näher rücken, wenn die Startups hierzulande leichter an jenes Kapital kommen, das sie für ihre ambitionierten Expansionspläne brauchen.

Ohne Moos nix los – die Venture-Kapitalisten

Große Konzerne finanzieren sich über die Börse, der Mittelstand über die Banken. Junge Internetfirmen mit neuen Geschäftsmodellen müssen bei der Finanzierung hingegen andere Wege gehen. Sie verfügen kaum über Assets wie etwa Maschinen oder Bürogebäude, haben also keine Sicherheiten und können daher die traditionellen Finanzierungsvoraussetzungen nicht erfüllen. Deshalb werden Startups in der Regel durch Venture Capital – also Risikokapital – finanziert.

Venture-Capital-Gesellschaften sammeln Geld bei Investoren ein und legen damit Fonds auf, aus denen die Startups finanziert werden. Im Gegenzug erhalten die Kapitalgeber Anteile an den Jungunternehmen. Außerdem unterstützen sie diese mit ihrer Managementerfahrung und helfen mit ihren Netzwerken beim Aufbau von Geschäftsbeziehungen.

Die Finanzierung mit Risikokapital beginnt sich hierzulande allerdings erst zu etablieren – bei relativ schlechten Ausgangsbedingungen. Aus regulatorischen Gründen ist es Banken in Deutschland bisher nicht möglich, entsprechende Finanzierungsinstrumente für innovative Startup-Firmen anzubieten. Auch große Anleger wie Versicherungen, Pensionskassen oder Stiftungen können nicht ohne Weiteres in Startups investieren, weil sie ihr Geld mündelsicher anlegen müssen.

Wie wichtig aber die umfassende Verfügbarkeit von Risikokapital für eine Volkswirtschaft ist, zeigt der Erfolg von Weltkonzernen wie Apple, Google oder Microsoft, die anfangs alle mit Venture Capital finanziert wurden. Die Summen, die weltweit in Startups fließen, sprechen für sich: Während in den USA 2019, also vor der Corona-Krise, insgesamt 100 000 Milliarden US-Dollar Risikokapital investiert wurden und in China knapp 50 Milliarden US-Dollar, waren es in Europa insgesamt 25 Milliarden US-Dollar, davon in Deutschland 6,89 Milliarden US-Dollar. Das war immerhin rund ein Drittel mehr als im Jahr zuvor, aber viel zu wenig, um im globalen Wettstreit der aufstrebenden Gründer vorne mitspielen zu können.

Dass Deutschland in Sachen Risikokapital im internationalen Vergleich noch viel Luft nach oben hat, zeigt besonders die Zahl der sogenannten Unicorns. So werden Startups genannt, die ohne vorherigen Börsengang einen Marktwert von einer Milliarde US-Dollar überschreiten. Weltweit errangen 2019 insgesamt 110 Startups diesen Titel, zwei Drittel davon US-Unternehmen. Deutschland zählte in diesem Jahr insgesamt nur neun Einhörner.

Zwei Gründer, die es dank üppiger Finanzierung mit Risikokapital oder Finanzierung aus der etablierten Industrie in diesen Olymp der Startups geschafft haben, werden wir in diesem Buch vorstellen – Tim Sievers und sein Unternehmen Deposit Solutions sowie Tarek Müller, Gründer der Modeplattform About You. Doch die große Mehrheit der Gründer finanziert das Wachstum ihres Startups nach wie vor mit eigenen Ersparnissen, staatlichen Fördermitteln oder dem Geld ihrer Familien und Freunde (»Fools, Friends and Familiy«).

Wir müssen ehrlich sein: Mitunter hängt dem Begriff Risikokapital immer noch der schlechte Ruf nach, den sich die Branche während des New-Economy-Booms um die Jahrtausendwende eingehandelt hat. Zu Unrecht, auch wenn in der damaligen Euphorie der eine oder andere Venture-Kapitalist etwas leichtfertig investiert hat. Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute fließt Risikokapital nur, nachdem die Zukunftsfähigkeit oder zumindest das Entwicklungspotenzial eines Startups umfangreich geprüft wurde. Dabei setzen die Kapitalgeber weniger auf die Geschäftsidee als vielmehr auf die Menschen. Sie interessiert vor allem die Durchsetzungs- und Innovationskraft der Gründer und die scharfsichtige Umsetzung ihrer Idee. Startups müssen wie Schnellboote agieren, die Klippen umschiffen und ständig den Kurs dem Markt anpassen. Hier haben Teams gegenüber Solo-Gründern den Vorteil, dass unterschiedliche Fähigkeiten aufeinandertreffen und mehr Schlagkraft erzeugen. Die Venture-Kapitalisten sehen daher sehr gerne Gründerteams mit komplementären Fähigkeiten – etwa Betriebswirtschaft, Kommunikationsfertigkeiten und profundem Technologieverständnis.

Doch selbst bei optimalen Ausgangsbedingungen bleiben die Erfolgsaussichten der Gründer schwer kalkulierbar. In einem Startup gibt es unzählige Risikofaktoren. Das Gründerteam kann sich zerstreiten, die Finanzierung platzen, das Produkt zum Ladenhüter werden, ein neuer Konkurrent das eigene Projekt verdrängen oder, wie jüngst, ein Virus komplette Märkte kollabieren lassen. Jedes Startup ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Für die Geldgeber kann sich der Einsatz trotzdem lohnen, denn sie gleichen das große Ausfallrisiko mit hohen Gewinnchancen aus. Die Aussicht auf Rendite ist aber nicht der einzige Grund, warum sich Investoren für Startups interessieren. Durch ihr Investment erhalten sie wichtige Einblicke in die digitale Wirtschaft und Kontakte zu jungen Gründern und Innovatoren. Diesen Weg nutzen etablierte Unternehmen wie die Otto Group, Porsche oder Oetker, um rechtzeitig zu erkennen, was in der digitalen Welt passiert und welche neuen Geschäftsmodelle oder Konkurrenten in ihren Märkten entstehen.

Unterm Strich ist es also zwingend, dem Thema Risikokapital mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Umkehr ausgeschlossen! Die digitale Erneuerung der Wirtschaft wird sich enorm beschleunigen, wenn unsere Gründer genügend finanziellen Treibstoff für die Zündung ihrer Ideen bekommen. Und Venture-Kapitalisten sorgen mit ihrer Professionalität dafür, dass diese Mittel in die aussichtsreichsten Unternehmungen fließen. Sie investieren bevorzugt in Startups, die disruptive Geschäftsmodelle für globale Märkte verfolgen, Geschäftsprozesse oder Produkte optimieren und intelligente Services für den Kunden schaffen. In Gründer also, die das Potenzial haben, die Welt, in der wir leben, positiv zu verändern, von traditionellen Geldgebern aber kein Kapital erhalten.

Für ein gründerfreundlicheres Deutschland

Traurig, aber wahr: Laut einer Untersuchung der Weltbank zu den Bedingungen für Gründer landet Deutschland auf Platz 114 von 190 Volkswirtschaften. Auch bei einer Studie der OECD und der Bertelsmann Stiftung, die weltweit die Anziehungskraft von Ländern für Hochqualifizierte vergleicht, steht Deutschland nur auf Platz 12. Die attraktivsten OECD-Länder für Toptalente sind Australien, Schweden, Schweiz, Neuseeland und Kanada, dicht gefolgt von Irland, USA, Niederlande, Slowenien und Norwegen. Das sind die Top 10. Ein Grund für das schlechte Abschneiden Deutschlands besteht übrigens darin, dass Abschlüsse auf dem Arbeitsmarkt häufig nicht richtig anerkannt werden.

Die Ergebnisse müssen beunruhigen, hängt die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland doch maßgelblich von jungen Gründern ab, die mit ihren Ideen die digitale Transformation des Landes vorantreiben. Ihre Prosperität sichert unseren künftigen Wohlstand und unsere europäischen Werte. Damit verteidigen sie uns gegen amerikanischen Turbokapitalismus und asiatischen Überwachungszentralismus. Wir sollten nicht tatenlos zusehen, wie uns die digitalen Megakonzerne aus Übersee die Spielregeln diktieren, sondern jene Gründer tatkräftig unterstützen, die faire und nachhaltige Geschäftsmodelle aufbauen. Daher sollten Gesellschaft und Politik sagen: Ja, wir verbessern unseren Standort für Gründer und bieten ihnen mehr Möglichkeiten und Ressourcen. Was wir konkret dafür brauchen:

•Die beste digitale Ausbildung an Schulen und Universitäten sowie eine frühzeitige Förderung der Unternehmer- und Gründermentalität, außerdem eine Kultur des lebenslangen Lernens, die fest in der Kultur der Unternehmen und der Gesellschaft verankert ist.

•Mehr Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen etablierten Unternehmen und Startups: inklusive der Etablierung eines leistungsfähigen und branchenübergreifenden Plattformökosystems für Innovation.

•Weniger Kapitalrestriktionen, etwa durch die Möglichkeit für Versicherungen, auch in Venture Capital zu investieren, zudem die Förderung der Aktien- und Beteiligungskultur innerhalb der Bevölkerung.

•Innovative Mitarbeiterbeteiligungsmodelle, die nicht an Steuerhürden scheitern, sondern diejenigen am Erfolg teilhaben lassen, die an der digitalen Transformation mitwirken.

•Gründergeist als gesellschaftliches Leitbild verankern und unternehmerischen Erfolg wohlwollend anerkennen, diesbezüglich müssen wir die gesellschaftliche Wahrnehmung von Scheitern als Erfolgsfaktor fördern.

•Mehr Aufklärung zur digitalen Transformation, damit die Menschen ihre Angst und ihr Misstrauen überwinden.

•Städte bauen, in denen die digitale Elite und die Gründer gerne wohnen wollen, mit Co-Working-Spaces, Fahrradwegen, schnellem WLAN, vielfältigem Kulturangebot und guten Kneipen.

•Mehr Pragmatismus und weniger Verzagtheit in der Politik.

•Bewegungsräume mutig ausnutzen und groß denken.

•Bürokratie abbauen und die Verwaltung digitalisieren.

•Das beste Zuwanderungsgesetz, damit der Standort Deutschland für Toptalente unter den Migranten mit Masterabschluss oder Doktortitel interessanter wird.

Wenn wir nicht fremdbestimmt sein wollen, haben Deutschland und Europa nur eine Option: die neuen, digitalen Gesetzmäßigkeiten begrüßen und ein gründerfreundliches Klima schaffen, das Chancendenken und Tatendrang auf allen Ebenen fördert. Die Corona-Krise spielt uns dabei unerwartet in die Karten. Überall bieten sich neue Chancen, europaweit wieder Anschluss an die digitale Elite zu finden und weltweit vorne mitzuspielen. Noch liegen wir auf dem Spielfeld 2:0 zurück, doch die zweite Halbzeit der digitalen Transformationsweltmeisterschaft hat gerade erst begonnen. Wir schöpfen wieder Hoffnung, Kraft und Kreativität kehren zurück, unsere Spielzüge werden schneller und die Stürmer lauern vor dem Tor auf ihre Chance.

Die wichtigste Ressource für die zweite Phase der digitalen Revolution ist eine Gründergeneration, die nicht vom großen Geld und von schillernden Exit-Fantasien angetrieben ist, sondern vom Drang, etwas Sinnvolles für die Menschen zu bewirken. Mit ihnen können sich Deutschland und Europa als beste Standorte für eine neue, digitale und zugleich soziale Marktordnung etablieren. Unsere europäischen Werte sind ein Alleinstellungsmerkmal, das wir Asien und Amerika voraushaben. Das sollte uns stolz und mutig machen.

In diesem Buch stellen wir Ihnen acht Gründer vor, die mit ihren verschiedenartigen Persönlichkeiten, Werdegängen und Denkweisen die große Bandbreite an Unternehmergeist abbilden, die Deutschland und Europa im internationalen Wettbewerb einzigartig machen. Bei allen Unterschieden eint diese jungen Menschen allerdings ein gemeinsamer Antrieb: Sie alle wollen die Welt mit ihren Geschäftsideen ein Stück weit sozialer, demokratischer und lebenswerter machen.

1.Tarek Müller, das Unternehmergenie mit Dreadlocks und »krassem Willen«, der Onlinehandel und Shopping gewinnbringend für alle neu denkt.

2.Simon Brunke, das Verkaufstalent, der die klassische Immobilienwelt mit seiner Geschäftsidee auch für weniger Vermögende zugänglich macht.

3.Tim Sievers, der stille Analytiker, der den globalen Multi-Billionen-Markt für Spareinlagen sanft und nachhaltig revolutioniert.

4.Chris Bartz, der überzeugte Europäer und engagierte Verfechter einer kooperativen Digitaltransformation, der die traditionelle Bankenwelt mit technischem Hochglanz veredelt und kundenfreundlicher macht.

5.Max Michels, der unermüdliche Kämpfer, der die deutsche Reha-Expertise digitalisiert und medizinische Nachsorge für alle ermöglicht.

6.Mareike Wächter und Michael Dreimann, die Pioniere des digitalen Handwerks, die den Kunden mit ihrem Geschäftsmodell Zeit und Geld bei der Badsanierung sparen.

7.Christian Gaiser, der ehrgeizige Mehrfachgründer, der mit großer Gründlichkeit und Qualitätsliebe eine der größten digitalen Hotelketten der Welt aufbaut.

8.Und schließlich Tobias Lütke, einst Azubi bei Siemens Nixdorf, der Unternehmen mit seiner Software hilft, erfolgreiche Onlinehändler zu werden, und damit zum Shootingstar der internationalen Digitalwirtschaft aufsteigt.

Zu Wort kommen auch die Geldgeber der Gründer und ihre Unterstützer aus der traditionellen Unternehmenswelt, die die digitale Transformation sehr mutig, aber mit Augenmaß gemeinsam mit den Startups vorantreiben. Zudem geben wir Einblicke in das hierzulande wenig bekannte Geschäft der Risikokapitalgeber. Mit ihrer Erfahrung und Expertise gelingt es ihnen, jungen Menschen zu helfen, ihre Ideen in die Welt zu bringen und ihre Unternehmen wachsen zu lassen.

Im Ausblick schließlich zeigen wir mit konkreten Ideen und Forderungen auf, wie Deutschland und Europa die digitale Plattformökonomie nach eigenen Wertmaßstäben auf- und ausbauen können, wie wir die nötigen Ressourcen dafür aktivieren und wie wir alle von einem digitalen Ökosystem profitieren werden, das von Kooperation, Transparenz, sozialen Werten und Menschlichkeit geprägt ist.

Anmerkung: Die Tatsache, dass in diesem Buch überwiegend nur männliche Startup-Helden porträtiert werden, heißt nicht, dass nur sie alleinverantwortlich für Entwicklung und Erfolg sind. Im Gegenteil: Wir hätten die zahlreichen Frauen, die entscheidend mitwirken und federführend mitgestalten, ebenso porträtieren können. Sie sind natürlich stellvertretend miteinbezogen in die Einzigartigkeit der jeweiligen Startups. Es kommt uns aber nicht primär darauf an, Mann oder Frau als entscheidende Antreiber exklusiv auf den Sockel zu heben. Wenn’s ums Ganze gehen soll, spielt das Geschlecht nicht mehr die entscheidende Rolle. Dies ist übrigens auch der Grund, warum wir auf eine genderisierte Sprache im Text verzichtet haben. Wir hoffen, liebe Leser und Leserinnen, auf Ihr Verständnis.

Deutschland, Startup!

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