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ОглавлениеStädte als Lebensraum für Flora und Fauna
Löwenzahn, Gänseblümchen, Amseln und Stadttauben gehören zu den prominentesten Pflanzen und Tieren unserer Städte. Sie sind allesamt wahrlich keine Publikumsmagneten. Und trotzdem sind gerade Städte für Naturbeobachtungen besonders geeignet: Haben Sie gewusst, dass viele davon zu den besonders artenreichen Lebensräumen zählen?
Natürlich tragen Tierparks oder Botanische Gärten zur hohen Artenvielfalt bei. Ein bedeutender Teil der städtischen Artenvielfalt ist auch auf die vielen, oft exotischen Arten, die in unseren Häusern und Wohnungen leben, zurückzuführen. Schließlich sollte man auch die zahlreichen durch Handel und Tourismus eingeschleppten Neophyten und Neozoen nicht vergessen. Ein ganz beträchtlicher Anteil des Artenreichtums sind aber auch mitteleuropäische Arten, die sich auf städtischem Gebiet angesiedelt haben oder dieses zumindest temporär nutzen. Untersuchungen haben ergeben, dass dies bei mehreren Hundert Tierarten der Fall ist. Wieso kommen aber Tiere und Pflanzen in die Stadt?
«Problematische Gartenpflanzen»
Städte bestehen nicht nur aus vom Menschen geschaffenen und intensiv genutzten Strukturen (Siedlungen, Industrie, Verkehrswege etc.), sondern umfassen auch Waldgebiete, Gewässer und naturnahe Parkanlagen. Zudem sind Städte durch sehr viele unterschiedlich genutzte Teilflächen geprägt, was zu einer großen Heterogenität städtischer Lebensräume führt. Aus diesem Grunde finden auf kleinem Raum viele Arten eine Nische zum Leben. Entsprechend sind sogar dicht verbaute Innenstädte und Industriezonen manchmal erstaunlich artenreich. Vielerorts sind es vor allem die Spezialisten unter den Tieren und Pflanzen, die Städte zu besiedeln vermögen, weil die durch Beton und Asphalt versiegelten Flächen hohe Anforderungen an sie stellen. Spezialisten sind oftmals sogar in grünen und vordergründig naturnahen Parkanlagen gefragt, weil die intensiv gepflegten «Englischen Rasenflächen» für die meisten Arten wenig wertvoll und aufgrund der intensiven Pflege schwer zu besiedeln sind. Wesentlich leichter ist dies hingegen in «verwilderten» Gärten und gewissen Industriebrachen. Schliesslich müssen Wildtiere auch mit den Störungen durch die vielen Menschen und deren Haustiere zurechtkommen.
«Stadt und Dorf als Ersatzlebensraum»
Alle diese Flächen und Gebiete sind bei Weitem keine natürlichen Lebensräume. Aber unterscheiden sie sich wirklich so grundsätzlich von ländlichen Regionen? Auch Blumenreiche Wiesen, Weiden und Hecken und sogar die meisten Wälder sind in ihrer heutigen Form durch den Menschen geschaffen worden oder sehr stark durch diesen geprägt; auch hier kann die Natur nicht in ihrer ursprünglichen Form beobachtet und erlebt werden.
«Die Hecke»
Vielleicht sollten wir einmal ganz grundsätzlich die Vorstellung hinterfragen, dass die Stadt ein unnatürlicher Lebensraum ist. Es sind ja nicht nur Menschen, die «künstliche» Strukturen schaffen; Vögel, Ameisen und Dachse tun mit ihren Nestern, Haufen und Bauten genau dasselbe. Und da liegt auch ein zentraler Diskussionspunkt: nämlich die Frage, ob wir uns selber als einen Teil der Natur oder davon losgelöst betrachten wollen. Aus Sicht von Tieren und Pflanzen werden unsere Städte hingegen kaum als naturfremd wahrgenommen, sondern als relativ neuer und schnell wachsender Lebensraum. Einige Arten konnten sich an diesen anpassen und sogar von neuen Möglichkeiten profitieren, während viele andere weichen mussten und sich in die verbleibenden ursprünglichen Lebensräume zurückzogen. Dies ist ein Prozess, der nicht nur in städtischen Lebensräumen geschieht, sondern überall da, wo es zu Veränderungen kommt – seien diese nun natürlich oder «künstlich». Mit diesen Gedanken soll aber keinesfalls die oftmals verantwortungslose Zerstörung der ursprünglichen Lebensräume legimitiert werden. Vielmehr gilt es, mit einer angepassten Raumplanung und entsprechenden Maßnahmen auch in Städten wertvolle Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten zu erhalten und zu schaffen.
Das Gänseblümchen (Bellis perennis) ist in Städten häufig zu finden.
Viele Stadtteile weisen eine ausgeprägte horizontale und vertikale Gliederung auf.
Stadt und Dorf als Ersatzlebensraum
Obwohl Städte Tiere und Pflanzen nicht einfach automatisch ausschließen, sind in den sehr intensiv genutzten und dicht überbauten Zonen kaum seltene Arten zu erwarten. Es ist aber die für Städte typische heterogene und kleinräumige Struktur, die zahlreichen Arten eine Nische bietet. Sie gleichen dabei mitunter den früher in Europa vorherrschenden kleinräumigen Landwirtschaftsflächen, die in den vergangenen Jahrzehnten aber zunehmend durch Monokulturen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu außerordentlich artenarmen und schwer zu besiedelnden Flächen geworden sind. Viele der ursprünglich dort heimischen Arten sind daher in die Dörfer und Städte abgewandert, wo sie aufgrund der außerordentlichen Strukturvielfalt auf relativ kleinem Raum einigermaßen geeignete Ersatzlebensräume finden konnten. Viele Pflanzen- und Tierarten, die auf diese Weise in die von Menschen bewohnten Zonen vorgedrungen sind, werden entsprechend als «Kulturfolger» bezeichnet.
Auch auf kleinem Raum lassen sich Lebensräume für Schmetterlinge, Heuschrecken, Käfer und andere Kleintiere schaffen.
«Blauäugiger Kulturfolger»
«Wildtiere in der Stadt – Stadtfüchse»
Parkanlagen und Stadtwälder
Parkanlagen und Stadtwälder sind oft die naturähnlichsten Lebensräume in städtischen Gebieten. Manchmal ist die Abgrenzung zwischen baumreichen Parkanlagen und Stadtwäldern nicht ganz eindeutig zu ziehen. Parkanlagen umfassen meistens sowohl Grünflächen mit Blumenbeeten als auch Baumbestände. Je nach Größe, Architektur, Nutzungs- und Erschließungsgrad können sich die Artenzusammensetzung und die Vielfalt solcher Anlagen stark unterscheiden. Geometrisch angelegte, mit Zierpflanzen und Zierteichen versehene und intensiv gepflegte Pärke sind oft relativ arm an einheimischen Tier- und Pflanzenarten. Für interessante Naturbeobachtungen am erfolgsversprechendsten könnten hier allenfalls vorhandene alte Baumbestände oder Teiche sein. Am anderen Ende des ökologischen Spektrums sind die Stadtwälder anzusiedeln, die sich manchmal kaum von Wäldern auf dem Land unterscheiden. Oft liegen sie auch in peripheren Bereichen der Städte und sind daher mit dem Umland vernetzt. Aufgrund ihrer Struktur und Baumzusammensetzung bieten sie vielen typischen Waldarten Lebensraum. Die Nutzung als Naherholungsraum kann aber für störungsempfindlichere Arten oft zu intensiv sein. Es gibt mittlerweile auch immer mehr Stadtverwaltungen, die zumindest gewisse Teile ihrer Parkanlagen bewusst sehr zurückhaltend pflegen lassen und somit auch verschiedenen Tieren und Pflanzen Lebens- und Rückzugsraum bieten. Je nach Zustand und Größe von Parkanlagen können neben den weitverbreiteten und häufigen Siedlungsarten unter Umständen auch seltenere Arten, wie beispielsweise der Wendehals (Jynx torquilla) beobachtet werden. Entscheidend ist auch die Lage solcher Parks: Von intensiv genutzten Siedlungsgebieten umgebene Parkanlagen weisen meistens eine geringere Vielfalt auf als Anlagen mit einer Vernetzung zu anderen naturnahen Lebensräumen. Sehr mobile Arten wie Vögel oder Fluginsekten können aber natürlich auch isolierte Standorte erreichen. Daher lassen sich zum Beispiel der Kleiber (Sitta europaea), aber auch Grünspecht (Picus viridis), Dohle (Corvus monedula) und der Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros) vielerorts beobachten. Über blumenreichen Wiesen gaukeln an schönen Tagen oft auch zahlreiche Schmetterlingsarten wie der Hauhechelbläuling (Polyommatus icarus) oder der Schwalbenschwanz (Papilio machaon). Wo es naturnahe Gewässer gibt, die möglichst auch mit dem Umland vernetzt sind, können auch verschiedene Libellen- und Amphibienarten oder gar die Ringelnatter (Natrix natrix) leben.
«An städtischen Gewässern»
Stadtwälder sind oft von einem dichten Wegnetz durchzogen.
Kleiber (Sittia europaea) sind typische Bewohner von Eichen und Buchen, wie sie oft in Parkanlagen und Stadtwäldern vorkommen. Anders als andere Vogelarten, läuft der Kleiber auch kopfüber den Stamm hinunter.
Der Vierfleck (Libellula quadrimaculata) ist eine häufige und verbreitete Großlibelle, benannt nach den schwarzen Flecken auf den Flügeln (am Nodus). Sie ist eine Charakterart pflanzenreicher Stillgewässer.
«Sonnenhungrige Kletterer und andere Reptilien»
Naturgärten können auch auf kleinem Raum eine große Artenvielfalt aufweisen.
Gärten
Unter dem Sammelbegriff «Garten» werden ganz unterschiedliche Lebensräume zusammengefasst. Das Spektrum reicht vom Englischen Rasen mit Zierrosenbeet und exotischen Sträuchern über den produktiven Gemüsegarten bis zum alten und oft verwildert wirkenden Naturgarten. Entsprechend sieht es auch mit der zu erwartenden Artenvielfalt aus : In weitgehend unterschlupffreien Ziergärten werden sich nur wenige Generalisten unter den Tieren verirren. Zudem sind die hier zu beobachtenden Tiere meist nur vorübergehend da, weil sie kaum die benötigten Strukturen zur Entwicklung und Überwinterung finden. Solche Flächen mögen zwar nach ästhetischen Gesichtspunkten gefallen, sind aber eigentlich als «ökologische Wüsten» zu bezeichnen.
Thujahecke in «Die Hecke»
Bei den Nutzgärten kann man verallgemeinernd zwei Kategorien bilden: So gibt es die sehr aufgeräumten Gärten mit intensivem Anbau und Einsatz von diversen Hilfsstoffen. Hier werden meistens nur die reinen Nutzpflanzen zugelassen. In permakulturähnlichen Gärten hingegen sind auch Wildpflanzen geduldet, weshalb sie wesentlich artenreicher sind. Wenn vereinzelt Gemüse auch zum Blühen kommt, sind sie gut besuchte Nektar- und Pollenquellen.
Einen besonderen Stellenwert punkto Artenvielfalt nehmen die Naturgärten ein. Sie sind – trotz Eingriffen der Menschen – am «natürlichsten». Entsprechend können hier immer wieder neue und oft überraschende Entdeckungen gemacht werden. Naturgärten sind allerdings der Öffentlichkeit kaum je zugänglich. Vielleicht besitzen Sie aber selber einen naturnahen Garten in urbaner Umgebung oder kennen jemanden, der Zugang zu einem solchen Garten hat.
Entsprechend der oben aufgezeigten Vielfalt an Gartentypen ist auch das Spektrum an möglichen Gartenbewohnern sehr groß. Zu den typischen Gartenbewohnern gehören neben zahlreichen Wirbellosen (Insekten, Spinnentiere, Schnecken) die Amsel (Turdus merula), Kohlmeisen (Parus major) und Haussperlinge (Passer domesticus), aber auch Eidechsen, Blindschleichen, verschiedene Amphibien und kleinere Säugetiere.
Der Siebenpunkt-Marienkäfer (Coccinella septempunctata) ist eine der häufigsten Marienkäferarten und in fast allen Gärten zu finden.
«Konzert oder Nachtruhestörung?»
Vielfalt im Kompost
Eine außerordentliche Dichte und Vielfalt an Lebewesen lässt sich im Kompost entdecken. Da es sich dabei vorwiegend um kleinere Bewohner des Bodens oder der Streuschicht handelt, sieht man viele von ihnen nur bei genauem Hinschauen. Nimmt man sich die Zeit dazu, so kann man die zahllosen Würmer, Asseln, Schnecken, Käferlarven und Tausendfüßer bei der Zersetzung des organischen Materials beobachten. Neben diesen gut sichtbaren Wirbellosen gibt es aber unzählige Kompostlebewesen, die von bloßem Auge kaum oder gar nicht sichtbar sind. Neben Spinnentieren und Springschwänzen gehören vor allem auch Pilze und Bakterien dazu. Nicht alle diese Lebewesen ernähren sich aber direkt von den Gartenabfällen. Gewisse Pilze und Bakterien sind bei den ersten Abbauschritten beteiligt. Viele Wirbellose wie Asseln und Schnecken fressen das unzerkleinerte Grünmaterial. Von den Nährstoffen in deren Ausscheidungen leben wiederum die sogenannten Koprophagen (Kotfresser). Weiter gibt es die räuberisch lebenden Arten und die Parasiten. Der letzte Abbauschritt zu den mineralischen und somit wieder den Pflanzen verfügbaren Nährstoffen erfolgt schließlich durch Bakterien.
Gebäude und Brücken
Grünflächen und andere natürliche Strukturen wie Bäume sind offensichtlich wichtige Elemente für die Artenvielfalt einer Stadt. Es gibt aber noch verschiedene andere Strukturen, die gerne von bestimmten Tier- und Pflanzenarten besiedelt oder genutzt werden. So dienen Gebäudefassaden, aber auch Bauwerke wie Brücken zahlreichen Arten als Lebensraum, Versteck oder Niststandort. Viele dieser Arten lebten oder nisteten früher fast ausschließlich an Felswänden und haben somit an Gebäuden und Brücken geeignete Ersatzlebensräume gefunden. Typische Bewohner solcher «Felswände» sind Felsenbrüter wie Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros), Mauersegler (Apus apus) und Wanderfalke (Falco peregrinus).
An Gebäuden finden aber auch Arten aus verschiedenen anderen Lebensräumen Unterschlupf und Neststandorte. Dazu zählen auch manche Waldarten, die ursprünglich in oder an Bäumen brüten und nun in Dörfern und Städten vergleichbare Strukturen auch an Gebäuden finden. Besonders wertvoll sind in dieser Hinsicht alte Gebäude mit oftmals reich strukturierten Fassaden, Nischen und Dachvorsprüngen. An neuen oder energetisch sanierten Gebäuden fehlen hingegen die wertvollen Nischen und Zugänge oft. Vielerorts wurden aber durch Naturschutzorganisationen oder Einzelpersonen auch wieder künstliche Nisthilfen angebracht. Sind diese fachgerecht ausgeführt und gut positioniert, werden sie in der Regel gerne angenommen.
Alte Bauten bieten verschiedene Verstecke und Unterschlupfmöglichkeiten.
Nest eines Hausrotschwanzes (Phoenicurus ochruros) mit Nestlingen in einer Gebäudenische
Neben den Gebäudefassaden können auch Dächer Ersatzlebensräume bieten. Sie sind der Sonneneinstrahlung, aber auch Wind, Niederschlägen und Kälte stark ausgesetzt. Auf den Dächern kommt es daher zu extremen Schwankungen bezüglich Temperatur und Feuchtigkeit. Mit solchen stark und schnell wechselnden Bedingungen kommen nur besonders angepasste Arten zurecht, insbesondere Flechten, Moose, aber auch einige höhere Pflanzen. Neben der Nutzung durch Vögel als Sing- oder Jagdwarte können besonders alte Dächer mit ihren Nischen auch als Niststandorte dienen. Eine Sonderstellung nehmen die Flachdächer ein: Werden diese nicht von Menschen genutzt, so sind sie oft mit Kies oder einer extensiven Begrünung bedeckt. Derart «unberührte» Standorte können eine erstaunliche Artenvielfalt entwickeln. Auf großen ausgedehnten Flachdächern wurden sogar schon verschiedene bodenbrütende Vogelarten, u.a. der vielerorts seltene Kiebitz (Vanellus vanellus), nachgewiesen.
«Unscheinbares Grün»
Verschiedene Tierarten besiedeln nicht nur die Gebäudehülle, sondern auch das Gebäudeinnere. Während einige nur in selten benutzten Teilen wie Dachstock oder Keller anzutreffen sind, gibt es auch solche, die sogar in unseren Wohnungen leben und mit denen wir das Bett teilen.
«Achtbeinige Untermieter»
Wo gebaut wird, entstehen immer wieder neue Materialdepots und Rohbodenflächen. Diese werden von Pflanzen meist rasch besiedelt.
Baustellen
Es gibt wohl keine Stadt, wo nicht stets irgendwo mindestens eine große und viele kleine Baustellen in Betrieb sind. Besonders auf größeren Baustellen, die längere Zeit bestehen, siedeln sich gerne bestimmte Tiere und Pflanzen an. Charakteristisch für Baustellen sind die offenen und durch den fehlenden Humus auch nährstoffarmen Bodenoberflächen. Dort gibt es trockene und sandige, aber auch schlammige Bereiche oder sogar temporäre Gewässer. Meistens gibt es auch Bereiche, wo längere Zeit nicht gearbeitet wird und daher auch potenzielle Bewohner nicht gestört werden. Arten, die unter den kargen Baustellenbedingungen leben können, werden als Pionierarten bezeichnet. Unter diesem Begriff fasst man Tiere und Pflanzen zusammen, die erst kürzlich entstandene Lebensräume besiedeln. Sie kommen mit dem knappen Nährstoffangebot und den harschen und schnell wechselnden Lebensbedingungen besonders gut zurecht. Ohne neue Störungen des Lebensraumes werden sie aber in der Regel bald einmal durch nachfolgende Arten verdrängt. Pionierarten sind daher auf immer neue Pionierstandorte angewiesen. Sie sind in der Regel auch sehr mobil. Die Pflanzen unter den Pionierarten verfügen hierzu über entsprechend angepasste Ausbreitungsstrategien. Typische Pionierarten sind Klatschmohn (Papaver rhoeas) und gewisse Schmetterlingsblütler. Letztere können durch eine Symbiose mit Bakterien den Luftstickstoff in den Bodenporen zu mineralischem Stickstoff umwandeln. So erhalten die Pflanzen auch auf kargen Böden genügend Nährstoff. Als Gegenleistung erhalten die an den Wurzeln lebenden Knöllchenbakterien von der Pflanze Zuckerstoffe.
«Ausbreitungsstrategien»
Der Klatschmohn (Papaver rhoeas) ist eine Pionierart, die oft auf Baustellengeländen zu finden ist.
Vorteile durch Symbiose
Rohböden, wie sie auf natürlichen Pionierstandorten oder auch auf Baustellen zu finden sind, zeichnen sich meistens durch Nährstoffknappheit aus. Einer dieser knappen, aber wichtigen Pflanzennährstoffe ist Stickstoff. Stickstoff ist mit rund 78 % der Hauptbestandteil unserer Luft und daher auch im trockenen Porenraum des Bodens überall vorhanden. Aber dieser elementare Stickstoff (N2) kann von den Pflanzen nicht genutzt werden. Über die Wurzeln können ihn die Pflanzen nur in mineralischer Form (z.B. Nitrat) aufnehmen. Durch die Symbiose mit bestimmten Bakterien, den sogenannten Knöllchenbakterien, können die Pflanzen aber den Stickstoff in der Bodenluft nutzen. Nach der «Infektion» der Wurzelzellen mit den Bakterien, veranlassen diese eine Teilung und Vergrößerung der Wurzelzellen. Dies führt zu knöllchenartigen Verdickungen der Wurzeln, an denen die Bakterien den elementaren Stickstoff in pflanzenverfügbaren mineralischen Stickstoff umwandeln. Im Gegenzug zu dieser «Dienstleistung» erhalten sie von der Pflanze organische Kohlenstoffverbindungen. Durch den Abbau dieser Verbindungen können die Bakterien die Energie gewinnen, die sie zum Leben benötigen.
Industriebrachen
Nicht mehr genutzte Industrieareale werden erstaunlich schnell von Pflanzen und Tieren besiedelt.
Zu einer Stadt gehört fast immer auch Industrie, und damit Industriebrachen, die zumindest vorübergehend nicht mehr oder nur noch teilweise genutzt werden. Der Verfall und oft auch die problematischen Altlasten aus jahrzehntelanger Produktion und Nutzung bergen oft große ökologische Risiken und Gefahren. Gleichzeitig laufen hier aber auch sehr interessante ökologische Prozesse ab. Auf Industriebrachen kann man beispielsweise sehen, wie sich Tiere und Pflanzen wieder ansiedeln und solche Areale zurückerobern. Dabei ist es oft erstaunlich, wie schnell dieser Prozess vor sich geht: Erste Pflanzen suchen sich Wege durch Mauerwerk, Straßenbeläge und Betonplatten, vom Wind oder Regenwasser angesammeltes mineralisches und organisches Material ermöglichen zusammen mit Mikroorganismen Bodenbildungsprozesse, und verstopfte Abflüsse lassen Stillgewässer entstehen, die rasch von ersten Wassertieren besiedelt werden. Das Artenspektrum in solchen Gebieten ist oft groß und kann je nach vergangener Zeit neben den Pionierarten auch zahlreiche andere Arten umfassen. Abhängig vom Standort und Sukzessionsgrad sind ganz unterschiedliche Arten anzutreffen. In den frühen Stadien sind es oft Moose, Mauerpfefferarten und bestimmte Gräser. Bald einmal folgen auch auffälligere Blütenpflanzen wie der Gewöhnliche Natternkopf (Echium vulgare), Greiskräuter (Seneccio sp.) und Goldruten (Solidago sp.). Schon früh treten die ersten Gehölzarten auf, wie Weiden (Salix sp.), Birken (Betula sp.), aber auch Neophyten wie Sommerflieder (Buddleja davidii) oder die Gewöhnliche Robinie (Robinia pseudoacacia). Unter den Tieren gibt es zahlreiche wirbellose Arten wie Spinnen und Insekten, die sich von den Pflanzen ernähren oder andere Wirbellose jagen. Unter den Wirbeltieren können Arten wie die Mauereidechse (Podarcis muralis) sehr häufig sein. Aber auch zahlreiche Vogelarten, Mäuse und Füchse (Vulpes vulpes) leben gerne in solchen Gebieten.
«Kräftiges Grün»
Zu den Pionierarten gehört auch der Gewöhnliche Natternkopf (Echium vulgare).
«Unscheinbares Grün»
Randbereiche von Verkehrswegen
Straßen, Gehsteige und Plätze nehmen einen sehr großen Teil der Fläche einer Stadt ein. Meistens sind sie mit einem geschlossenen Belag versehen und werden intensiv genutzt. Sie bieten daher kaum Lebensraum für Tiere oder Pflanzen. Dort, wo sich Pflanzen anzusiedeln versuchen, werden diese bekämpft, damit es nicht zu Belagsschäden kommt. Auch in Bereichen mit Pflastersteinen oder Gittersteinen werden höchstens Moose oder sehr niedrig wachsende Pflanzen toleriert. Neben den Straßen gibt es in den meisten Städten auch mehr oder weniger ausgedehnte Gleisanlagen. Da aber auch diese vielerorts pflanzenfrei gehalten werden, sind auch Gleisanlagen oft sehr artenarm. Entlang von Straßen und Bahnlinien gibt es jedoch vielfach unversiegelte oder ungenutzte Randbereiche. Besonders an Bahnhöfen oder südexponierten Bahnböschungen kann man oft Reptilien wie beispielsweise die Mauereidechse antreffen. An Straßenrändern gibt es vielfach ganz unterschiedliche Vegetationstypen zu entdecken. Häufig bestehen diese aus spontan aufkommenden Arten, die ziemlich resistent gegen Trittschäden und gelegentliches Befahren sind. Des Weiteren sind natürlich auch die zahlreichen Bäume zu erwähnen, die sehr häufig entlang von Straßen und Wegen gepflanzt wurden. Oftmals ist um ihren Standort herum aber nur ein kleiner Kreis unversiegelt und natürlich bewachsen. Vermehrt werden aber Randbereiche und Verkehrsinseln auch gezielt mit artenreichen einheimischen Blumenmischungen besät. Diese entwickeln sich dann im Sommerhalbjahr zu sehr farbenprächtigen Flächen. Diese Pflanzenvielfalt zieht wiederum viele Insekten und Vögel an, die dort nach Nahrung suchen. Bei einer entsprechenden extensiven Pflege können solche Flächen auch vielen Tieren Verstecke, Überwinterungsstrukturen und Winternahrung sein.
«Kräftiges Grün»
Straßenränder weisen oft eine erstaunlich große botanische Vielfalt auf.
Aufgegebene Gleisanlagen werden schnell von Pionierarten besiedelt.
Beobachtungstipp
› | Überlegen Sie sich, welche Siedlungsformen, Bauten und naturnahen Lebensräume Ihrer Stadt sich als Ersatzlebensraum für Tiere und Pflanzen am besten eignen könnten. Überprüfen Sie ihre Überlegungen, indem Sie an den jeweiligen Stellen gezielt nach Tieren und Pflanzen suchen. |
Fragen
› | Weshalb ist in klassischen Ziergärten keine große Artenvielfalt zu erwarten? |
› | Für welche Art Lebensräume können Gebäude und Brücken Ersatzlebensräume darstellen? |
› | Wo kann man die Kraft der Natur auch in einer Stadt besonders gut erkennen? |
› | Welche Besonderheiten zeichnen den Lebensraum Dach aus? |
Risse in Mauern werden häufig erstaunlich schnell besiedelt, wie hier durch ein Veilchen (Viola sp.). Seine Samen werden oft durch Ameisen verbreitet.
Die Kraft der Natur – oder die Rückeroberung
Was würde wohl geschehen, wenn sich der Mensch plötzlich aus einem Dorf oder einer Stadt zurückziehen würde? Die verschiedenen massiven Bauten und die dicht versiegelten Böden würden sicher lange an die Anwesenheit und das Wirken des Menschen erinnern – aber ist das wirklich so?
Ein Blick auf das Mauerwerk Ihrer Wohnung oder ihres Balkons zeigt, dass Pflanzen noch an den unwahrscheinlichsten Orten gedeihen können. Nach Moosen, Algen und Flechten folgen oft schnell die ersten krautigen Pflanzen und Gräser. Schließlich ist früher oder später auch mit ersten Bäumen zu rechnen, die man in vielen Städten auch in unmittelbarer Nähe zu viel genutzten Flächen – z. B. an Bahnböschungen – häufig bemerken kann. Im Verlaufe ihres Wachstums entwickeln sie eine schier unvorstellbare Kraft, die es ihnen ermöglicht, über längere Zeit auch dicke Mauern und Straßenbeläge aufzubrechen. Frostschäden und weitere Erosionskräfte verstärken die Wirkung der Pflanzen zusätzlich. Ohne menschliche Störungen würde es bestimmt nicht sehr lange dauern, bis sich das Bild der Städte massiv verändern und neben Pionierarten zahlreichen weiteren Pflanzen und Tieren einen geeigneten Lebensraum bieten würde.
«Ausbreitungsstrategien»
Beobachtungstipps
› | Machen Sie sich in Ihrer Stadt auf die Suche nach den oben erwähnten städtischen Lebensräumen. Versuchen Sie, die typischen Arten dieser Lebensräume zu entdecken. – Eine besondere Herausforderung kann es sein, in dicht bebauten und genutzten Innenstadtbereichen nach wild lebenden Tier- und Pflanzenarten zu suchen. |
› | Sie können sich auch auf die Suche nach den ersten Anzeichen der Rückeroberung machen. Versuchen Sie sich dann vorzustellen, wie sich dieser Standort über mehrere Jahre ohne menschliche Eingriffe entwickeln könnte. |
Frage
› | Welche Artengruppen besiedeln oft als Erste neu entstandene städtische Bauwerke? |
Ein aufgegebener Bahnhof in Frankfurt a.M., der von der Natur zurückerobert wird.
Umweltfaktoren in der Stadt
Städte sind wie alle Lebensräume durch zahlreiche Umweltfaktoren geprägt. Je nach Höhenlage, geografischer Lage und Stadtstruktur können diese unterschiedlich stark wirksam sein. Im Allgemeinen teilt man diese Faktoren in zwei Gruppen ein: die biotischen Faktoren und die abiotischen Faktoren.
Biotische Faktoren
Zu den biotischen Faktoren zählen alle Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Lebewesen eines Ökosystems. Wie in natürlichen Lebensräumen auch, können das zum Beispiel Artgenossen, Konkurrenten oder die Position in der Nahrungskette sein. Der wichtigste und wirksamste biotische Faktor in der Stadt ist naheliegenderweise der Mensch.
Abiotische Faktoren
Als abiotische Faktoren gelten alle Faktoren ohne direkte Beteiligung von Lebewesen. Dazu zählen klimatische Faktoren wie Temperatur, Feuchtigkeit, Sonneneinstrahlung oder Wind, aber auch Bodenstruktur, Exposition und das Vorhandensein und die Konzentration verschiedenster chemischer Stoffe. Anders als in natürlichen Lebensräumen treten in der Stadt verschiedene abiotische Faktoren wesentlich markanter auf. So zeigen Messungen, dass es in Städten wärmer und trockener ist als im Umland und dass meist mit vergleichweise höheren Schadstoff belastungen durch Verkehr, Heizungen und Industrie zu rechnen ist. Auch ist der Lärmpegel in der Regel höher und die Lichtverschmutzung bedeutender als im dünner besiedelten Umland.
«Nacht und trotzdem nie ganz dunkel»
Frage
› | Was ist der Unterschied zwischen biotischen und abiotischen Faktoren? |