Читать книгу Die Liga der Loser - Andreas Jurca - Страница 2
Kapitel 2: Nur ‘ne Party
ОглавлениеJeden Tag erwartete ich von Richard angesprochen zu werden, aber nichts dergleichen geschah. Am Montag hatte er mich das erste Mal von sich aus gegrüßt, als wir uns sahen, machte aber keine Anstalten eine Unterhaltung zu beginnen. Und es war auch das letzte Mal, dass er mich grüßte. Leonard vertrat noch immer die Meinung einer aus der Elitenclique würde sich niemals mit einem wie mir rumtreiben und ich begann mittlerweile selbst an meinem Plan zu zweifeln. Es war nämlich bereits Donnerstag und es sah nicht aus als ob Richard sich irgendwie dazu veranlasst fühlte, sich mit mir zu unterhalten. Die Schule war aus und ich wartete wie Dutzende anderer Schüler auf die Straßenbahn stadteinwärts. Leonard wohnte am Stadtrand und fuhr in die entgegengesetzte Richtung, weshalb ich meinen Heimweg immer alleine antrat. Bis zur Stadtmitte war die Straßenbahn voller lärmender Schüler, aber ab der Stadtmitte, am Reindehlplatz, war die Straßenbahn wieder leerer. Der Reindehlplatz war das Zentrum des öffentlichen Verkehrsnetzes. Um diese Uhrzeit standen überall Schüler herum und quatschten, spielten Hacky-Sack oder warteten einfach auf ihren Bus oder ihre Straßenbahn. Auf dem Weg in mein Viertel war es wesentlich ruhiger. Ich beobachtete die Leute in der Straßenbahn. Sowas tat ich oft. Ich versuchte mir dabei immer vorzustellen was sie vielleicht dachten. Ein alter Mann starrte mit leerem Blick auf den Boden. Sein Gesicht wirkte müde. Es war nicht die typische Müdigkeit nach einer körperlichen Anstrengung, es war mehr eine permanente Müdigkeit die aus seinen Augen sprach. Sein Rücken war leicht nach vorn gebeugt, als ob ihn eine unsichtbare Last nach unten drückte. In einer seiner Hände baumelte lose eine weiße Plastiktüte. Das Bild machte mich traurig. Ich hatte das Gefühl er fühle sich einsam. Und es war mir, als ob ich mich selbst sah. Beinahe hätte ich es versäumt an meiner Haltestelle auszusteigen, aber das penetrante Piepsen der Tür erinnerte mich noch rechtzeitig daran. Ich stieg eilig aus und ging mit den Händen in den Hosentaschen über die Straße. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne schien grell herab, weshalb ich nur durch zusammengezwickte Augen sehen konnte. Obwohl die Sonne schien, war es nicht wirklich heiß. Eigentlich war es sogar ziemlich kühl; ich schwitzte nicht obwohl ich einen Pullover an hatte. Einige Menschen schien die Kälte aber nicht zu stören. Ein beleibter Mann, der eine stattliche Wampe vor sich hertrug, hatte nur eine kurze Hose und ein T-Shirt an. Beide Kleidungsstücke hatten bunte helle Farben und Muster, die eher zu einem Kind passten als zum ernsten Gesicht des Mannes. Ich musste wieder an den alten Mann in der Straßenbahn denken, als mich bekannte Stimmen aufmerksam werden ließen. Vor mir bogen gerade Murat und seine Truppe um die Ecke. Die Zeit schien stehenzubleiben als sich unsere Blicke trafen. Mir ging nur ein Gedanke durch den Kopf 'Ich bin geliefert'. Ich hätte ihnen schon vor Tagen die 50 Euro geben müssen. Natürlich hatte ich das nie vorgehabt, aber genau so wenig hatte ich vor ihnen jemals wieder über den Weg zu laufen. Ein naiver Gedanke. Lange überlegte ich nicht, ich machte auf dem Absatz kehrt, eilte zurück zur Hauptstraße und rannte in die entgegengesetzte Richtung zu meinem Block. Plumpes Fußgetrampel und drohende Rufe ließen mich wissen, dass sie mir auf den Fersen waren. Mein Atem raste und panisch dachte ich an einen möglichen Fluchtweg. Ich entschied mich gleich wieder zwischen die Blocks nach rechts einzubiegen. Es hätte früher geschehen müssen, denn sie waren mir bereits auf die Hauptstraße gefolgt und konnten noch sehen wo ich reinlief. Ich rannte mit aller Kraft über den schmalen Weg zwischen den Gebäuden. Das Gefühl verfolgt zu werden, die Angst erwischt zu werden, setzte ungeahnte Kraftreserven frei und ich flog förmlich über das Pflaster. Obwohl ich den Schulranzen auf dem Rücken hatte, welcher mich spürbar behinderte, merkte ich wie ich den Abstand zu ihnen vergrößerte. Aber lange würde ich nicht mehr rennen können. Ich musste sie abhängen bevor mir die Luft ausging. Vor mir war ein grauer Wohnblock, der den Weg versperrte. Ich hatte nur noch die Möglichkeit nach rechts zu laufen, wodurch ich wieder in Richtung meines Blocks laufen würde, oder nach links. Die Entscheidung traf ich sofort und schlug den linken Weg ein. Ungefähr 50 Meter vor mir zeichnete sich eine Seitenstraße ab. Dort gab es eine kleinere Einkaufspassage, in der ich mich hätte verstecken können. In den Augenwinkeln bemerkte ich eine Durchführung auf die andere Seite des Blocks und spontan rannte ich hinein. Als ich die Bäume und den Fluss auf der anderen Seite sah, wusste ich wo ich mich befand; ich musste nach rechts abbiegen und würde von der anderen Seite zu meinem Block kommen. Im vollen Lauf bog ich nach rechts und mit Schrecken nahm ich wahr, dass ich im Begriff war ein Kind auf seinem Dreirad umzurennen. Das Kind war direkt hinter der Ecke und ich hatte zu viel Schwung; notgedrungen zog ich mein rechtes Bein zur Seite, was dem Jungen ansonsten mit dem Knie voran ins Gesicht geflogen wäre und verlor dadurch mein Gleichgewicht. Ich krachte mit der Schulter auf die Motorhaube eines geparkten Autos. Mein Schwung war aber immer noch zu groß und so rollte ich quer über die Haube, die sich geräuschvoll unter meinem Gewicht verbog. Schließlich landete ich mit dem Rücken auf der Straße. Ich hatte Glück mit meinem Schulranzen, er federte meinen Sturz auf den Asphalt ab. Aber dennoch schrie alles in mir liegen zu bleiben. Meine Lunge brannte und jeder Muskel tat mir weh. Ich keuchte nur noch erschöpft und wollte nicht mehr aufstehen und ich wäre auch nicht mehr aufgestanden, hätte ich nicht ihre Stimmen gehört. Sie waren noch auf der anderen Seite des Blocks, aber schon um einiges näher an mir dran als zuvor. Taumelnd stand ich auf und warf einen letzten Blick auf das Kind zurück. Es war immer noch an derselben Stelle und schaute mich mit großen Augen an. Die Frau die sich aus dem Fenster beugte und irgendwelche Sachen in meine Richtung rief, bemerkte ich zwar, registrierte aber nicht was sie von mir wollte. Ich lief weiter. Jede Kraft war verflogen, ich kämpfte mit jedem Schritt. Und ein verzweifeltes Gefühl breitete sich in mir aus, welches mit der Erkenntnis einherging, dass sie mich kriegen würden. Ich konnte sie hinter mir sehen. Sie waren mir gefolgt und waren gerade auf der Höhe des Kindes, ungefähr 30 Meter von mir entfernt. Ich war absolut erschöpft und joggte nur noch verzweifelt voran. Sie schlossen kaum auf, sie waren offensichtlich selbst erschöpft und so konnte ich den Abstand einigermaßen halten. Aber ich würde bald zusammenbrechen, wenn das so weiterginge. Auf der rechten Seite war eine Öffnung in der Mauer und ich trottete hindurch. Nun war ich wieder dort, wo die ganze Verfolgungsjagd begonnen hatte. Nur dass ich auf der anderen Seite stand. Etwas weiter vorne, auf der linken Seite war ein Gehweg zwischen den Wohnhäusern, der zu mir Nachhause führte. An der rechten Seite führte ein Weg entlang und geradeaus ging es wieder auf die Hauptstraße zu. Plötzlich kam mir ein übler Geruch in die Nase. Als ich zur Seite schaute, verstand ich auch warum. Das Müllhäuschen der Blocks war da. Mir kam der Gedanke mich darin zu verstecken. Die Tür war eigentlich immer abgeschlossen. Ich hatte zwar den Schlüssel dafür, aber es würde zu lange dauern, sie wären hier bis ich den Schlüssel aus dem Rucksack nahm und sie öffnete. Aber ich konnte und wollte nicht mehr laufen. Mit einem letzten verzweifelten Versuch griff ich nach der Klinke und hoffte auf ein Wunder. Und es geschah, die Tür war offen. Diese glückliche Fügung gab mir wieder Kraft und ich beeilte mich die Tür hinter mir wieder zu schließen. Danach kauerte ich mich schnell zwischen die Tonnen. Der Gestank war fürchterlich und mir wurde auch leicht übel, da ich, nach Luft japsend wegen der erschöpfenden Verfolgungsjagd, schwer atmete. Als ich ihre Schritte außerhalb des Müllhäuschens hörte, presste ich mir beide Hände vor den Mund, um mein lautes Schnaufen zu verbergen. Ich vernahm wie sie sich kurz berieten in welche Richtung sie gehen sollten und nahm erleichtert meine Hände vom Mund als ich hörte wie sie sich entfernten. Einige Zeit blieb ich noch im Müllhäuschen, doch der eklige Gestank machte es mir unmöglich länger als nötig zu bleiben. Mir wurde übel und bevor ich mich übergeben musste, ging ich schließlich raus. Ich schaute in Richtung Hauptstraße. Nichts war von ihnen zu sehen oder zu hören, aber irgendwie hatte ich ein merkwürdiges Gefühl, als ob jemand da war. Ich drehte mich um und sah Achmed. Der dicke Türke verlor keine Zeit und packte mich am Pullover, so dass ich nicht mehr weglaufen konnte. Ich konnte es nicht fassen. Nach der ganzen Jagd, in welcher ich ihnen knapp entkommen war und mich schon in Sicherheit wähnte, laufe ich einem Nachzügler in die Arme, der wegen seiner Masse den anderen nicht hinterhergekommen war. Er zog ein triumphierendes dümmliches Lächeln und schrie aus vollem Hals etwas auf Türkisch. Es war nicht schwer zu erraten, dass er die anderen rief. Indessen bettelte ich ihn an mich laufen zu lassen. Aber nichts half, er ließ sich nicht erweichen und sprach mit sichtlicher Vorfreude: "Jetzt bist du gefickt." Und als die anderen auftauchten, fühlte ich wie mir die Knie weich wurden. Als Murats gehässiges Grinsen vor mir auftauchte, wusste ich, dass ich diesmal nicht so glimpflich davonkäme. "Wolltest abhauen, Opfer? Hä? Dachtest du entkommst mir?" Ich zuckte zusammen als er plötzlich mit der Hand ausholte. Der Schlag kam nicht. Ich öffnete die Augen und sah, dass er innehielt. Er senkte langsam die Hand und schaute mich mit einem Blick an, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. "Ich weiß was Besseres." sagte er. Nachdem sie einige Worte auf Türkisch gewechselt hatten, schleiften sie mich auf die Uferstraße raus und gingen mit mir am Fluss entlang. Uns liefen sogar einige Leute entgegen, aber keiner sagte etwas, nicht einer. Obwohl es offensichtlich war, dass die Typen mir etwas antaten, traute sich nicht einer etwas zu sagen. Flehend suchte ich Augenkontakt mit einem Mann, aber der wendete nur seinen Blick ab und ging weiter. Jeder kümmerte sich nur um sich selbst, nicht eine Person interessierte sich dafür. Mittlerweile hatte einer von ihnen wohl das gefunden, was sie alle suchten und winkte die beiden, die mich hielten, freudig zu sich heran. Eine dunkle Vorahnung beschlich mich. Aber ... nein .. das konnte nicht sein. Doch je näher wir der Stelle kamen, desto klarer wurde mir, dass sie es wirklich tun wollten. Die Uferstraße war ein beliebter Gassiweg für Leute mit Hunden und diese Hunde kackten auf den Rasen vor dem Fluss. Und vor genau so einem Haufen zwangen sie mich auf die Knie. "Iss!" forderte Murat von mir. Ich schaute ihn fassungslos an. Aber sein drohendes Gesicht versicherte mir, dass er es ernst meinte. Murat wollte mich einen Scheißhaufen essen lassen. Ich schüttelte den Kopf. "Nein." Sollten sie mich doch so viel schlagen wie sie wollten, ich würde es nie tun. Die beiden, die mich hielten, versuchten mich mit dem Gesicht in die Scheiße zu drücken. Mir wurde wieder übel bei dem Geruch. Es roch undefinierbar widerlich. Sie hätten es auch geschafft mich reinzudrücken, wenn ihnen Murat nicht Einhalt geboten hätte. Ich suchte aus meiner gebeugten Haltung die Gesichter der anderen, konnte aber nur Achmeds erkennen. Er schien beunruhigt. Dann verstand ich warum. Ich konnte die sterile Kühle eines Metalls auf meiner Haut spüren. Murat hielt mir ein Messer an den Hals und ich spürte wie mir die Tränen vor Angst in die Augen schossen. "Bitte nicht." stammelte ich hervor. Mit unerbittlicher Stimme forderte er mich auf: "Friss die Scheiße oder isch schlitz dich auf." Die Angst überwältigte den Ekel in mir und ich beugte mich mit dem Mund dem Haufen entgegen. Ein letzter Funken Stolz ließ mich innehalten, aber ich spürte wie sich das Metall bei meinem Zögern in die Haut ritzte. "Friss!" Auch die letzte Barriere brach und ich öffnete meinen Mund und biss in die Scheiße. Sie war noch warm und verteilte sich cremig in meinem Mund. Meine Zunge sträubte sich und alles in mir zwang mich dazu es wieder herauszuspucken, aber Murat drückte mir das Metall noch tiefer in die Haut, was allen Ekel vergessen ließ. "Und jetzt schluck." Ich kaute unwillkürlich und versuchte zu schlucken, doch als ich es im Hals spürte, gehorchte mir mein Körper nicht länger und ich spürte wie mir alles hochkam. Der Magenhinhalt vermischte sich mit den Hundeexkrementen in meinem Mund und fand schließlich seinen Weg hinaus. Ich kotzte mir die Seele aus dem Leib und ich wollte auch nicht mehr aufhören zu kotzen, ich wollte alles aus mir draußen haben, den ganzen widerlichen Geschmack, den Geruch und den Schmerz. Murat ließ von mir ab und ich hörte wie sie sich lachend von mir entfernten. Erniedrigt ließen sie mich zurück. Nur einer stand noch eine Weile da und betrachtete mich. Es war Achmed. Mitleid sprach aus seinem Gesicht, doch ich hatte nur noch Hass für ihn übrig, für ihn und für alle seine Freunde. Schließlich ging auch er weg. Halb krabbelnd, halb gehend schleifte ich mich zum Fluss und spülte meinen Mund mit dem Wasser aus. Das Wasser war etwas bräunlich und schmeckte nach Fisch, aber das war mir egal, solange es nur den Geschmack der Scheiße übertönte. Ich spürte nur noch Hass in mir. Hass auf die Kerle, die mir das angetan hatten. Hass auf mich selbst, weil ich zu schwach war, es zu verhindern. Hass auf die Menschen, die nicht eingriffen. Hass auf Gott, weil er sowas zuließ. Zuhause wusch ich mir eine halbe Stunde lang den Mund mit Zahnpasta und Seife aus. Es schmeckte bitter. Danach setzte ich mich unter die Dusche und ließ das Wasser laufen. Ich wollte die Erinnerung hinfort waschen, vergessen was geschehen war, aber ich konnte nicht. Der Nachgeschmack blieb.
Es war Freitag. Als ich diesen Morgen aufwachte, dachte ich, der gestrige Tag sei nur ein böser Traum gewesen. Aber mit jeder Sekunde mit der mehr und mehr die Müdigkeit aus meinem Kopf wich, wurde die Erinnerung an alle widerlichen und schmerzhaften Details klarer. Es war kein Traum gewesen, es war Wirklichkeit. Ich schaute an die Decke. Sie war weiß und kahl. Tief in mir fühlte ich einen Schmerz, der kein körperlicher war, aber dennoch vorhanden. Am liebsten wäre ich daheim geblieben, aber dann hätte meine Mutter zu viele unangenehme Fragen gestellt und das wollte ich nicht. Sie sollte nichts darüber erfahren. Niemand sollte je etwas darüber erfahren. Niedergeschlagen und kraftlos machte ich mich auf den Weg zur Schule. In der Straßenbahn sah ich eine Gruppe Jugendlicher. Sie waren ungefähr in meinem Alter; zwei Mädchen und zwei Jungs und sie unterhielten sich über einen witzigen Vorfall an ihrer Schule. Mir ging es nicht darum über was sie sich unterhielten, es war wie sie sich unterhielten. Wie sie lachten und wie sie miteinander umgingen. Sie wirkten glücklich. Es sah so einfach aus, warum war mir so etwas Einfaches vergönnt? Was habe ich denn Falsches getan? Die einzige Antwort die ich auf die mir selbst gestellten Fragen bekam, war dieses Gefühl der Wertlosigkeit. Eine andere Erklärung fand ich nicht. Ich bin es nicht wert.
Meine Niedergeschlagenheit blieb nicht unbemerkt und so fragte mich Leonard in der Schule besorgt: "Stimmt etwas nicht?" Wir teilten viel Persönliches miteinander, aber dass ich gestern dazu gezwungen wurde Hundescheiße zu essen, wollte ich ihm nicht sagen. "Nein." antwortete ich monoton. Er wandte sein rundliches Gesicht von mir ab und schaute zu den Eliten herüber. "Ist es wegen Lea? Hast du Liebeskummer?" Lea, sie war heute schlicht gekleidet, mit einer Jeans und einem Poloshirt. Dennoch war sie alles andere als schlicht. Sie hätte auch in Lumpen daherkommen können, sie wäre immer noch das schönste Mädchen. Sie lachte gerade über etwas. Ihr Lachen entblößte eine Reihe weisser Zähne. Nach jedem Lachen zwickte sie keck ihre Augen zusammen. Bei diesem Anblick fühlte ich mich wie verloren und nichts anderes außer diesem Mädchen ging mir mehr durch den Kopf. Rick legte den Arm um ihre Hüfte und küsste sie auf den Mund. Kein Schauspielerpärchen hätte es besser machen können als diese beiden. Ich beneidete Rick. Ich beneidete jeden in dieser Clique. Sie sahen alle so glücklich aus. "Ich seh' doch, dass etwas nicht mir dir stimmt. Hör mal, wenn es wegen deinem Plan ist. Er ist ja ganz gut gewesen, aber du musst einfach akzeptieren, dass Lea niemals etwas mit dir anfangen wird. Es tut mir leid dir das so direkt ins Gesicht sagen zu müssen, aber du machst dich nur selbst damit fertig." Er hatte recht. Der Traum war zu schön um jemals in Erfüllung gehen zu können. "Ich weiß Leonard, ich weiß." Aber einem anderen Teil in mir war diese Erkenntnis gleichgültig. Dieser Teil kannte kein 'Nein' und kein 'Unmöglich'. Es war ein Teil, der sie haben wollte und dem es gleichgültig war, welche Argumente ich ihm entgegenbrachte. Und dieser Teil ließ mich Lea nicht vergessen. Die restliche Pause schwiegen wir uns an. Mir begann alles gleichgültig zu werden. Der Unterricht interessierte mich nicht, aber es war mir auch gleichgültig ob ich jetzt welchen hatte oder nicht. Irgendwie schien mir alles egal. Wenn nicht bald etwas geschehen würde, wüsste ich nicht weiter. Heute hatte ich auch das erste Mal an Selbstmord gedacht. Warum sollte ich denn noch leben, wenn das Leben nur Schmerz für mich war? Als der Gong schlug und das Unterrichtsende markierte, waren alle darum bemüht so schnell wie möglich aus der Schule hinaus und ins Wochenende hinein zu kommen. Mir war es gleich und so ging ich als Letzter aus dem Klassenzimmer. Alle schienen so lebensfroh, so energiegeladen. Heitere Unterhaltungen drangen in meine Ohren von Schülern, die ihr Wochenende mit Partys verplanten. Ihre Freude verstärkte meine Trostlosigkeit nur noch. Ich würde mein Wochenende alleine vor dem PC verbringen. Langsam bewegte ich mich auf den Ausgang zu, als mich ein Tippen auf meine Schulter innehalten ließ. Ich erwartete Leonard zu sehen, doch als ich meinen Kopf drehte, sah ich stattdessen Richard in Begleitung einer schönen Blondine. Ich kannte ihren Namen nicht, aber ich sah sie immer bei den Eliten. Überrascht schaute ich ihn an und wusste nicht was ich sagen sollte, aber scheinbar erwartete er auch nicht, dass ich etwas sage, denn er fing an: "Heute Abend steigt eine Party bei mir. Du kannst auch kommen. Ich wohne in der Könbergstraße 10. Du weißt wo das ist?" Völlig überrumpelt nickte ich nur. Jeder weiß wo die Könbergstraße ist. Das war die absolute Bonzengegend. "Gut, dann bis heute Abend." Immer noch sprachlos stand ich da und blickte ihm und seiner Freundin hinterher. Richard hatte mich auf eine Party zu sich Nachhause eingeladen. Auf so einer Party waren nur ausgewählte Leute eingeladen, eigentlich nur Leute aus ihrer Clique. Der Plan war also doch aufgegangen, zumindest der Anfang. In diesem Moment jubelte alles in mir und meine Welt schien auf einmal doch nicht mehr so trostlos. Ich durfte hoffen.
Ich konnte es kaum erwarten Leonard anzurufen, um ihm alles zu erzählen. Er würde mir nie im Leben glauben, dass ich Wilhelm, der Loser Wilhelm, von Richard, einem der angesagtesten Leute der Schule auf eine Party eingeladen wurde. Die ganze Straßenbahnfahrt über dachte ich an heute Abend. Von den Sachen die ich anziehen konnte, bis hin zu den gewagtesten Fantasien wie es auf der Party sein würde. Ob Lea auch kommt? Natürlich wird sie kommen. Mein Herz machte einen Sprung bei der Vorstellung ich spräche mit dem Mädchen aus nächster Nähe, welches ich seit Jahren nur aus der Weite beobachten konnte, ohne jemals ein Wort mit ihr zu wechseln. Aber mein Enthusiasmus ging schnell flöten, als mir einfiel, dass sie vermutlich in Begleitung ihres Freundes auftauchen wird. Und bei dem Gedanken, Rick könnte mich vor allen verarschen, bekam ich ernste Ängste überhaupt hinzugehen. Wenn das alles nur eine Verarsche war und sie sich nur über mich lustig machen wollten? So ein hinterlistiger Plan würde mich nicht überraschen. Was wollten sie auch mit mir? Ich hätte mich selbst nicht eingeladen, wenn ich Richard wäre. Ob er überhaupt erwartete, dass ich komme? Ich weiß es nicht. Meine Gefühle machten alle Hochs und Tiefs durch, während ich alle möglichen Szenarien durchging. Letztlich kam ich nur zu dem Ergebnis, dass ich es riskieren musste hinzugehen, wenn ich Lea wirklich wollte, wenn ich wirklich glücklich sein wollte. Sobald ich an meiner Haltestelle ausstieg, überkam mich ein schlechtes Gefühl. Ängstlich schaute ich mich um, darauf gefasst jeden Moment Murat und seine Truppe zu sehen. Der Weg von der Haltestelle bis zu meiner Haustür war wie ein Gang durch die Hölle. Hinter jeder Ecke konnten sie plötzlich auftauchen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen was sie mir wieder antäten. Ich wollte einfach nur so schnell wie möglich Nachhause. Und ohne weiter nachzudenken rannte ich los. Die Leute an denen ich vorbeilief, drehten verwundert ihre Köpfe nach mir um, aber keiner sagte etwas. Es wäre mir auch egal gewesen, ich hielt die Angst einfach nicht mehr aus und so gab ich dem Drang zu Rennen einfach nach. Mir war keiner von ihnen begegnet, als ich aber um die Ecke meines Blocks biegen wollte, erwartete ich sie schon. Ich bremste meinen Lauf ab und zwang mich zu einem flacheren Atmen, damit mich keiner hörte. Als ich um das graue Mauerwerk blickte, sah ich niemanden. Keiner war da. Erleichtert ging ich weiter.
Da es Freitag war, hatte mein Vater früher aus und wir aßen alle zusammen am Küchentisch. Freitags war er nicht ganz so gereizt nach der Arbeit und so sprachen wir miteinander auch mehr als nur das Nötigste. "Heute Abend ist Champions League. Was meinst du wer gewinnt?" fragte mich mein Vater. Fußball war sein Hobby. Eigentlich war es auch das Einzige, das ihn so richtig begeisterte. Wenn Bayern München spielte, dann zählte nichts anderes mehr und er wollte mich auch für Fußball begeistern. Dumm nur, dass ich mit dieser Sportart nichts anfangen konnte. Und so antwortete ich wie jedes Mal: "Keine Ahnung, Bayern?" Er legte sein Besteck auf den Tisch und sah mich empört an. "Natürlich Bayern! Das muss entschlossener kommen!" Er brüllte mich förmlich an, was mich aber unbeeindruckt ließ. Das Brüllen war kein Ausdruck des Zorns, sondern mehr die Zuschaustellung seiner Liebe für den Verein. Mutter verzog das Gesicht. "Wir haben es verstanden. Bayern ist klasse, du musst nicht jedes Mal schreien, um uns das zu klarzumachen." Mit einer wegwischenden Geste warf er ihren Tadel zur Seite und wandte sich wieder mir zu. Ich wusste was jetzt kommt. "Wie schaut's aus, kommst du heute Abend mit in die Bar? Wir machen uns einen richtigen Männerabend und schauen uns mit den Jungs das Spiel an." Mit 'Jungs' meinte er seine 40jährigen Freunde, die sich alle besoffen und über Fußball sprachen. Ein paar Mal war ich mitgegangen, aber ich konnte einfach keine Begeisterung dafür entwickeln. Mich interessierte nicht wie diese überbezahlten Typen spielten. Ich verstand nicht einmal weshalb sich alle so mit ihren Vereinen und deren Spieler identifizierten. Über die Hälfte der Mannschaft stammte meistens nicht einmal aus Deutschland, geschweige denn aus meiner Stadt. Also was verbindet mich mit einem Afrikaner, der ein sechsstelliges Gehalt bezieht, umgeben von Modells ist, einen eigenen Fuhrpark besitzt und schlicht gesagt ein Star ist? Rein gar nichts. "Tut mir leid, aber ich bin heute schon auf einer Party eingeladen." Auch ohne diese Entschuldigung hätte ich abgesagt. Meine Mutter schaute mich erfreut an und hakte nach: "Auf eine Party? Bei Leonard?." Sie fühlte irgendwie, dass ich nicht gerade der beliebteste Junge war. Außerdem gefiel es ihr nicht, wie ich mich in meinem Zimmer mit Computerspielen isolierte. "Nein, Mama. Bei einem anderen Freund." Naja, die Bezeichnung 'Freund' traf es nicht so ganz. Ich hatte zwar vor mich mit Richard anzufreunden, aber davon war ich noch weit entfernt. Sie nickte nur lächelnd und beließ es dabei, da sie wusste, dass ich ungern über solche Sachen mit meinen Eltern sprach. Mein Vater war konzentrationsmäßig schon ausgestiegen als ich ihm absagte, weshalb er nur nachdenklich die Suppe aß. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck wandte er sich Mutter zu. "Wo warst du eigentlich gestern Nachmittag?" Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, da sie sich gerade einen Teller Suppe einschenkte. Vater konnte nicht sehen, wie sie für einen Moment erstarrte. Aber ich konnte es. "Zuhause, wo sollte ich denn sonst sein?" Sie war nicht Zuhause gewesen. Ich war alleine da gewesen, nachdem ich die Hundescheiße fressen musste. Und nun sah sie mich mit so großen Augen an, als ob sie von mir einen Widerspruch erwartete. Ich sagte nichts. Stattdessen führte ich nur still einen weiteren Löffel Suppe in meinen Mund. "Weil ich angerufen habe und niemand rangegangen ist. Wilhelm geht ja nie ans Telefon ran, aber du schon." hakte er nach. "Dann habe ich es vermutlich nicht gehört." antwortete sie. Mein Vater sah mich an, zuckte mit den Schultern und aß weiter. Später warf mir meine Mutter einen dankenden Blick zu, der mich nachdenklich machte.
Ich saß in meinem Zimmer und schaute aus dem Fenster. Meine Augen fixierten das Fenster meiner hübschen Nachbarin. Aber nur ihre weisse Blume war zu sehen, von ihr keine Spur. Ich hielt das Telefon in der Hand und wollte Leonard anrufen, aber mir ließ das mit meiner Mutter keine Ruhe. Warum hatte sie Vater angelogen? Ich verurteilte sie deswegen nicht; wenn es hart auf hart käme, würde ich mich immer für meine Mutter entscheiden. Dennoch fragte ich mich, warum sie so ein Geheimnis daraus machte. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, klingelte plötzlich das Telefon in meiner Hand. Leonards Stimme meldete sich am Apparat: "Heyo Willy. Hast du Lust heute Abend 'ne Konsolensession zu machen?" Im Hintergrund hörte ich Gewehrschüsse und Explosionen; er spielte wieder eines seiner Ego-Shooter-Games. "Hey Leo. Ich wollte dich gerade anrufen und dir was erzählen. Du glaubst es mir nicht, wenn ich es dir sage!" kündigte ich ihm an. "Du hast im Lotto gewonnen?" fragte er rhetorisch. "Nein, nicht ganz so gut." Ich machte eine dramatische Pause, die ihre Wirkung nicht verfehlte. "Na sag schon! ... Ah, verdammt! Jetzt haben die mich abgeknallt. Also komm, sag, jetzt bin ich ganz Ohr." Die Schüsse im Hintergrund verstummten. Er hatte auf Pause gedrückt. "Richard, der Richard aus der Elitenclique, hat mich auf seine Party eingeladen." Mit unverhohlenem Stolz proklamierte ich die Neuigkeit, doch die erwartete Reaktion blieb aus. Leonard sagte nämlich gar nichts. "Hey? Bist du noch dran?" fragte ich ins Telefon. Erst nach wiederholtem Fragen kam die Antwort: "Ja." Er klang nicht sonderlich begeistert. "Was ist denn los?" Ich war verwundert über seine Stille. "Ich halte nicht viel davon Willy. Die Leute in der Clique sind nicht ok, ich will nicht, dass sie dich verarschen." Es ärgerte mich, dass mein bester Freund es nicht für möglich hielt, mich könnten auch beliebte Leute mögen. "Was soll das heißen? Ich bin nicht gut genug für sie?" Ich merkte wie mein Ton schärfer wurde. Ich fühlte mich angegriffen und das auch noch von meinem besten Freund. "Nein, Mann! Im Gegenteil! Du hast richtige Freunde verdient, nicht solche selbstgefälligen Arschlöcher." sprach er beschwichtigend. Seine Worte beruhigten mich wieder, aber wirklich zufrieden war ich nicht. Es war als ob er einen wunden Punkt bei mir getroffen hätte. Ich wollte nicht mehr mit ihm reden. "Ich muss jetzt Schluss machen Leonard." Zögerlich antwortete er: "Ja... ja ist gut. Bis dann." Er klang etwas traurig. Als ich auflegte, tat es mir leid. Leonard war mein bester Freund und meinte es stets gut mit mir. Aber nichtsdestotrotz wollte ich das jetzt durchziehen. Es war für mich der einzige Weg, wie ich noch glücklich werden konnte. Ich wollte beliebt sein. Ich wollte etwas wert sein. Ich wollte geliebt werden. Ich wollte Lea.
Nervös beobachtete ich die Häuserreihen, die im Rot der Abenddämmerung leuchteten. Die untergehende Sonne strahlte mir ins Gesicht und ich zwickte unwillkürlich die Augen zusammen. Der Sonnenuntergang hatte etwas Beruhigendes in seiner stillen Schönheit. Als ich in die Gesichter der anderen Leute im Bus sah, konnte ich nur kalte Teilnahmslosigkeit entdecken. Jeder schien nur seine eigenen Probleme vor Augen zu haben. Bei diesem Gedanken musste ich auch an meine Probleme denken. Bin ich überhaupt willkommen? Wird jemand mit mir reden oder werde ich nur alleine in einer Ecke stehen und den anderen beim Feiern zusehen? Wird Lea da sein? Und wenn ja, wird sie mich überhaupt beachten? Ich griff mir mit beiden Händen in mein Haar und zwang mich zur Ruhe. "Es wird, wie es wird." versuchte ich mich langsam zu beruhigen. Heute war es ein sehr warmer Tag gewesen und auch jetzt konnte man noch ohne Jacke draußen herumlaufen. Der Himmel war auch dementsprechend klar und das letzte Licht umrahmte das Bild vor mir. Das Reichenviertel, in dem Richard wohnte, kündigte sich an. Die Häuser wurden immer nobler und die Gärten immer größer. Die Könbergstraße lag am äußersten Rand der Stadt, was den positiven Nebeneffekt hatte, dass es wenig Verkehr gab und viel Grün. Die Leute in der Könbergstraße hatten sogar ihren eigenen kleinen Wald, deshalb nannte man das Viertel als Ganzes auch Waldviertel. Langsam kam der Bus zum Stehen und die gewohnte Stimmaufnahme, einer mir unbekannten Dame, kündigte mir die Endhaltestelle an: „Nächster Halt, Könbergstraße“. Ich stieg aus und sah dem wegfahrenden Bus hinterher. Hinter mir befand sich eine dünne Hecke, die gerade erst wieder aufblühte und mir verschwommen ein weißes Anwesen offenbarte. Ich versuchte mich daran zu erinnern, welche Hausnummer mir Richard heute früh gesagt hatte. Zehn, es war die Hausnummer zehn. Ich sah mich um. Hinter mir war die Hecke. Zu meiner rechten Seite und vor mir begann der Wald und zu meiner Linken war eine kleine Kreuzung. Nach Orientierung suchend ging ich auf sie zu und versuchte festzustellen wo ich wohl lang musste. Nach rechts geht es in Richtung Stadt, da kam ich her. Geradeaus war die Zollmutstraße und zu meiner Linken war die Könbergstraße ausgeschildert, also ging ich dort entlang. Mein Weg führte mich an riesigen Villen und Anwesen vorbei, die sich an Prunk gegenseitig übertrafen. Jeder kannte die Könbergstraße, aber nicht jeder war schon mal hier gewesen. Und bei mir war es heute auch das erste Mal. Auf der Straße waren keine Leute zu sehen und auch kaum Autos, nur einmal war ein Porsche an mir vorbeigefahren und darauf gleich der neueste 7er BMW. Obwohl Richard ziemlich am Anfang der Straße wohnen musste, dauerte es eine halbe Ewigkeit bis ich bei der Hausnummer zehn war. Die Gärten, falls man diese Felder überhaupt so bezeichnen darf, waren einfach riesig. Es dauerte ewig bis man ein, zwei Häusernummern vorankam. Und um mir gegenüber ehrlich zu sein, hatte ich mich auch nicht beeilt. Ich bestaunte natürlich alles ausgiebig. Dieser Reichtum war beeindruckend und vor allem einschüchternd. So auch Richards Haus. Die Fläche des Grundstücks schien eher bemessen im Vergleich zu den anderen Häusern, doch sein Haus hatte einen einmaligen Baustil. Es schien hauptsächlich aus Glas zu bestehen und eine kleine Brücke führte zur Haustür. Unter der Brücke führte ein kleiner Hang hinab, der bedeckt war von Grün. Erst als ich unsicher über die Brücke schritt, konnte ich das Äußere des Untergeschoßes sehen. Die Scheiben waren leicht verspiegelt. Man konnte nur schwer erkennen, was sich dahinter befand. Alle Scheiben des Hauses waren so. Das ganze Haus strahlte Offenheit aus, doch gleichzeitig machte man es einem neugierigen Spanner unmöglich nach innen zu sehen. Von innen waren bereits Stimmen und Musik zu hören und mit jedem Schritt mit dem ich näher an die Tür kam, wurde ich nervöser. Zögernd stand ich vor der Tür und schaute mich unsicher um. Vor der Garage, die etwas abseits vom Hauseingang lag, war ein Jaguar und Mercedes geparkt. Der Jaguar alleine war vermutlich mehr wert als unsere gesamte Wohnung. Ich stand immer noch unschlüssig vor der Tür und hatte eine Heidenangst. Plötzlich kam ich mir noch hässlicher und wertloser als sonst vor und verfluchte mich überhaupt hergekommen zu sein. Am liebsten hätte ich meiner Angst nachgegeben und den Rückzug angetreten, aber etwas in mir hielt mich zurück. Ich starrte auf die Klingel und versuchte mich dazu zu überwinden sie zu drücken, aber es ging nicht. Dann, als ich an gestern dachte und wie ich dazu gezwungen wurde Hundescheiße zu essen, fragte ich mich: "Was hast du noch zu verlieren?" Ich drückte die Klingel, dann wartete ich. Keiner schien das Läuten mitbekommen zu haben und es kostete mich erneute Überwindung die Klingel ein zweites Mal zu drücken. Kurz darauf öffnete ein blonder Junge, er war um die 18 Jahre alt, die Tür. In der Hand hielt er eine Champagnerflasche und er hatte eine beige Hose und ein weißes Hemd an. Er muss gerade über etwas gelacht haben, denn er sah mich mit einem fröhlichen Ausdruck an, der offensichtlich nicht mir galt. Sein Gesicht verzog sich nämlich abweisend als er mich erblickte: "Ja?" fragte er kurz angebunden. "Ich ... ich bin … mich hat Richard eingeladen." stotterte ich hervor. So viel zum ersten Eindruck. Das war mein erster Kontakt mit einem Menschen auf der Party und es hätte schlechter nicht laufen können. Er sah mich lange an und drehte sich dann ohne ein Wort um und ließ die Tür offen stehen. Ich hatte keine Ahnung was das nun bedeuten sollte. Holte er Richard? Oder sollte ich reinkommen? Schließlich entschied ich mich dafür reinzugehen und bereits im nächsten Moment verschlug es mir die Sprache. Ich weiß nicht ob das ein Wohnzimmer war, ein Aufenthaltsraum oder eine verdammte Aula. Auf jeden Fall war der Eingangsbereich sehr groß, aber dennoch verlor man sich nicht in seiner Größe. Der Raum war in zwei Ebenen aufgeteilt, die nur eine Treppe verband und einige Glasscheiben trennte. Fünf Meter vor mir tanzten drei wunderschöne Mädchen auf Musik, die aus allen Richtungen zu kommen schien. Ihre biegsamen Körper bewegten sich rhythmisch zur Musik und ihr ganzes Auftreten war eine einzige Verführung für Augen und Verstand. Es dauerte einige Zeit bis ich zwei von ihnen aus der Schule wiedererkannte, aber die Mädchen würdigten mich keines Blickes und wie sie sich da in ihrer vollkommenen Schönheit rekelten, fühlte ich mich auch keines Blickes wert. Neben ihnen standen zwei Kerle. Einer davon war der blonde Typ, der mich rein gelassen hatte oder besser gesagt, stehen gelassen hatte. Der andere war mir unbekannt. Beide starrten die Mädchen an, während sie den Champagner tranken, den der Blonde in zwei Gläser eingeschenkt hatte. Die untere Ebene war dominiert von einem großen, kreisförmigen Sofa, auf dem mehrere Leute saßen. Vor dem Sofa tanzten auch einige Mädchen. Die sahen auch umwerfend aus. Jede von ihnen auf ihre Art. Ein Mädchen war etwas kleiner als die anderen, hatte aber große Brüste und einen vollen, attraktiven Arsch. Eine andere war der typische Modelltyp: Groß, lange Beine, blondes Haar, himmelblaue Augen und ein entwaffnendes Lächeln. Auch die Jungs sahen alle gut aus. Eigentlich sahen hier alle, außer mir, gut aus. Ich fühlte mich wie in einem Film, in dem Stars spielten und ich der dämliche Statist war, der zur falschen Zeit durch die Szene läuft. Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass ein jeder weiß angezogen war. Als ob das Motto der Party 'weiß' gewesen wäre. Ich hingegen hatte ein schwarzes Hemd und blaue Jeans an und stach allein schon dadurch heraus und ich wollte alles, außer herausstechen. Ich war kurz davor Kehrt zu machen. Richard, der gerade die Treppe herunterkam, begleitet von zwei schönen Mädchen, sah mich jedoch und das zwang mich stehenzubleiben. Er kam mit einem charmanten Lächeln auf mich zu und ich spürte wie ich rot im Gesicht wurde, als mich die beiden Mädchen in seiner Begleitung ansahen. Eine von ihnen war die hübsche Blondine aus der Schule, die immer neben Richard war. Sie schien wohl seine Freundin zu sein. Die andere kannte ich nicht, aber es war leicht zu erkennen, dass sie Richards Schwester sein musste. Sie hatten sehr ähnliche Gesichter und fast identische grau-grüne Augen. Was sie aber dennoch sehr unterschied, war das rote Haar seiner Schwester. Sie durfte etwas jünger als die anderen Mädchen sein, aber sie hatte ein selbstsicheres Auftreten und sah mich aus distanzierter Arroganz an. "Ah, du bist also gekommen." Er schien nicht sehr begeistert, aber zumindest klang auch kein Bedauern aus seiner Stimme. Jetzt schien er zu registrieren, dass ich als einziger dunkle Sachen anhatte. "Oh, ich dachte ich hätte dir gesagt, dass es eine Mottoparty ist." Es war schwer für mich zu erkennen ob er es absichtlich nicht erwähnt hatte oder es schlichtweg vergessen hatte. "Na, ist jetzt auch egal. Mit der Einladung möchte ich mich bei dir revanchieren, also genieß sie. Wer weiß, wann du das nächste Mal dazu Gelegenheit hast." Er hatte mir soeben klargemacht, dass es das erste und letzte Mal sein würde, dass ich mit ihm zu tun hatte. Ich empfand Scham und Enttäuschung; die Drei kamen aber nicht mehr dazu diese Regungen zu bemerken, denn sie drehten sich um und ließen mich ohne ein weiteres Wort stehen. Unwillkürlich musste ich auflachen. Wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, ich könnte mich mit solchen Menschen anfreunden? Aber jetzt war es auch egal. Ich war da und irgendwie erleichterte mich der Gedanke, dass ich nie wieder mit ihnen zu tun hätte und so entschloss ich mich, mir die Kante zu geben und die Party zu 'genießen', wie es mich Richard gebeten hatte. Ich konnte nicht genau abschätzen wie viele Leute da waren, da sich alle im Haus verteilten. Es konnten um die 50 Leute sein, es konnten aber auch nur 25 sein. Eine größere Gruppe war an der Couch und zwei kleinere auf der oberen Ebene, wo ich auch stand. Eine von den kleinen Gruppen waren die drei Mädchen, die ich zuerst gesehen hatte und die beiden Typen, die nun mit ihnen zusammen tanzten. Die andere Gruppe bestand aus drei Mädchen und einem Jungen. Sie waren neben einem Tisch auf dem mehrere Getränke standen. Es schien als seien mehr Mädchen als Jungs da. Auf den wenigen Partys, auf denen ich bisher gewesen war, waren immer viel mehr Jungs als Mädchen. Gut, aber solche Partys fanden nicht in einer Villa im Bonzenviertel statt. Ich ging schließlich auf den Tisch zu und sah mir die Auswahl an Getränken an. Es gab alles. Vom Wodka, über Bier bis zum Champagner. Und alles nur vom Feinsten. Kein Billigwodka von der Tanke, auch kein Kastenbier. Das Bier war nicht einmal deutsches Bier, sondern italienisches. Ich entschied mich einfach mal eines davon zu nehmen. Während dem ich den Flaschenöffner suchte, bemerkte ich, wie die Vier mich anschauten. Unsicher lächelte ich und wollte mich zu ihnen stellen, aber als ob sie meine Gedanken gelesen hätten, gingen sie sofort vom Tisch weg und ich stand wieder alleine da. Es verletzte mich. Ich kam mir einfach nur dämlich vor. Das Bier kippte ich in drei Zügen weg. Ich wollte mich nur noch betrinken und alles vergessen. Ungefähr 15 Minuten stand ich alleine am Getränketisch. Seit dem ich dort war, hatte sich auch keiner mehr getraut sich hier Nachschub zu besorgen. Es soll mir recht sein, dann betrink ich mich eben allein. Ich war auch schon bei meinem dritten Bier und begann mich auch schon wohler zu fühlen. Die Leute um mich herum feierten, tanzten und die ersten knutschten schon rum. Der blonde Kerl von vorhin machte mit einer von den tanzenden Mädchen herum. Ein riesen Neid baute sich in mir auf. Um mich selbst zu schonen, lenkte ich meinen Blick von den beiden weg und bemerkte neben mir am Tisch einen etwas kleinen, aber breitschultrigen Kerl. Er hatte schwarze, glatte Haare und fummelte konzentriert an einer Wodkaflasche herum. Scheinbar bekam er sie nicht auf. Ohne groß nachzudenken, stellte ich mein Bier ab, ging auf ihn zu und nahm ihm die Flasche aus der Hand. Er schaute mich überrascht an. Vermutlich war es unfreundlich was ich gerade tat, aber der Alkohol unterstützte mich insoweit es mir gleichgültig war. "Bei solchen Verschlüssen dreht die Windung gerne durch. Dann musst du etwas kräftiger ziehen beim Drehen." erklärte ich, während ich es praktisch demonstrierte und den Deckel von der Flasche brachte. Ich reichte sie ihm. Er sah mich lange an und lächelte. Das Lächeln hatte etwas Spitzbübisches, dass man nicht entschlüsseln konnte. So als ob er etwas ausheckt. "Wie heißt du?" Er hatte eine raue Stimme. Ich fand sie interessant. "Willy." antwortete ich. Es überraschte mich selbst, wie locker ich blieb, aber das war vermutlich den schnell getrunkenen Bieren zu verdanken. "Willy? Cooler Name." Ich wusste nicht ob er mich verarschte oder es ernst meinte. "Ich bin Claudius. Aber nenn mich einfach Claudi. Und jetzt komm, trinken wir einen." Er winkte mich mit. Ich folgte ihm freudig überrascht und er führte mich zum Sofa auf der unteren Ebene. Auch angetrunken bemerkte ich die unwillkommenen Blicke der Anderen. Aber Claudius schien es nicht zu interessieren. Er ging auf die große Couch zu und winkte zwei Jungs die darauf saßen zur Seite, so dass wir uns zwischen sie setzen konnten. Die beiden machten Platz ohne zu zögern. Als wir dann saßen und er zwei kurze Gläser vom Tisch vor uns beide herzog, fühlte ich wie meine Wangen rot wurden. Das war aber nicht wegen dem Alkohol, das war weil mich jeder förmlich anstarrte. Und jeder schien sich zu wundern, dass ich zusammen mit Claudius trank. Dieser sprach mit mir, als ob wir uns schon Jahre kannten und schenkte mir nebenher mein Glas voll. "Ich bin ein Wodkatrinker. Das ist etwas für echte Männer. Auf Champagner stehen nur Pseudoreiche." Mit diesen Worten schaute er verächtlich auf unsere beiden Nachbarn, die sich verlegen mit ihren Champagnergläsern verzogen. Es war erstaunlich mit welcher Selbstverständlichkeit er diese Leute beleidigte. Gut, er war selbst einer von ihnen, aber ich merkte gleich, dass er hier wohl mehr zu sagen hatte. "Also, auf Ex!" Instinktiv kippte ich das Glas herunter und musste sofort die Zähne zusammenbeißen und den Atem scharf einziehen, als sich der Alkohol meine Speiseröhre herunterbrannte. "Noch einen?" fragte mich Claudi. Ich nickte nur, weil ich wegen des Wodkas nicht sprechen konnte. Sofort schenkte er nach und beide kippten wir auch das zweite Gläschen herunter. Mir wurde übel von dem starken Alkohol und hastig schaute ich mich auf dem Tisch nach einem Getränk zum Nachspülen um. Ich nahm einen Becher mit Cola, der herrenlos auf dem Tisch stand und trank gierig daraus. Der süße, erfrischende Geschmack vertrieb die Übelkeit und mir ging es wieder besser. Claudi schenkte bereits den dritten Kurzen ein. Mir sollte es recht sein. Wir stießen an und kippten auch diesen herunter. Der Wodka war stark und trieb mir die Tränen in die Augen. Ich musste mir mit dem Handrücken über das Gesicht wischen um wieder einen klaren Blick zu bekommen. Als ich meine Augen wieder öffnete sah ich einen Engel vor mir. Ungläubig blinzelte ich mehrere Male und wischte mir abermals über das Gesicht und erst dann erkannte ich diesen Engel als Lea wieder. Sie hatte ein kurzes weißes Kleid an, welches einen Blick auf ihre schönen braunen Beine gewährte. Ihre Haare wirkten natürlich und doch perfekt. Es schien als ob sie sich diese nicht gemacht hätte, aber dennoch sah sie besser aus als die anderen penibel hergerichteten Mädchen. Unsere Blicke trafen sich für einen Moment und ein Gefühl der Schwäche überkam mich bei ihren Augen. Ein anderes Mädchen tanzte mir in die Sicht und ich verlor den Blickkontakt zu Lea. "Sie sieht aus wie ein Engel." hörte ich Claudi neben mir sagen. Erschrocken schaute ich ihn an. Hatte ich etwa meine Gedanken laut ausgesprochen? "Keine Sorge, du bist nicht der Einzige, der auf sie steht. Schau dich um, jeder starrt sie an, wenn sie in der Nähe ist." Er deutete unauffällig auf die zwei Kerle, die er vom Sofa verscheucht hatte. Und ja, es war offensichtlich wem ihre Blicke galten. "Sogar diese aufgetakelten Möchtegernmodels bestaunen sie." Er zeigte auf die Mädchen, die vor uns tanzten. Und auch diese schauten Lea an; viel unauffälliger als die Jungs, aber sie taten es auch. Ich wusste zwar, dass Lea eine Ausnahmeschönheit war, aber dass sie die gleiche Wirkung auf andere, wie auch auf mich hatte, wollte ich nicht glauben. "Und du, gefällt sie dir nicht?" fragte ich Claudi mit einem Seitenblick. Er zog wieder dieses spitzbübische Lächeln und sah Lea lange an, bevor er sich mir zuwandte. "Sie ist meine Schwester." Erstaunt sah ich ihn an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er hatte aber auch keine Ähnlichkeit mit ihr. Als ob er meine Gedanken lesen konnte, ergänzte er: "Halbschwester, um genau zu sein. Wir haben verschiedene Mütter." Ich bemerkte an seinem Ton, dass er nicht weiter über die Details sprechen wollte, also fragte ich auch nicht weiter nach und nahm stattdessen den Wodka und schenkte uns beiden ein. Nach seinem Grinsen zu urteilen, hatte ich genau das Richtige getan; wir kippten unsere Kurzen in einem Zug weg. Mittlerweile war ich auch schon betrunken. Ich genoss diesen Zustand. Alle Hemmungen, alle Angst war verschwunden. Ich fühlte mich stark, selbstbewusst und mir war die Ablehnung der Anderen gleichgültig. Und vor allem amüsierte ich mich mächtig mit Claudi. Er war sehr gesprächig und kein Stück arrogant, obwohl er eine sehr bestimmende Art an sich hatte, die mir aber gefiel. Die anderen Jungs hingegen schienen großen Respekt, wenn nicht gar Furcht vor ihm zu haben und die Mädchen suchten stetig Blickkontakt zu ihm. Aber er fand weder Interesse für die einen, noch für die anderen. Vor allem wunderte es mich, wie man so wunderschöne Mädchen, wie diese auf der Party, einfach so ignorieren konnte. Sein Interesse galt hauptsächlich unserem Gelage und unseren Gesprächen, die alles andere als oberflächlich waren. "Sag mal, wie groß ist deiner?" fragte er mich unverhohlen. Da ich dank des Alkohols überhaupt keine Scheu mehr empfand, antwortete ich frei heraus. "17 Zentimeter." Gut, ich hatte einen Zentimeter draufgelegt, aber wer tat das nicht? "Nicht schlecht. Ich hab' nur 15 Zentimeter, aber dafür ist er echt dick. Die Fotzen haben richtig Schmerzen wenn ich ihn reinstecke." Mit großer Neugier hörte ich ihm zu. Solche Themen faszinierten mich einfach, zumal ich nicht sonderlich viel Erfahrung in diesem Bereich hatte. "Wenn sie dann vor Schmerzen schreien, geht mir voll einer ab." Diese Vorstellung geilte mich persönlich nicht sonderlich auf, aber dennoch hörte ich ihm interessiert zu. "Wie steht's bei dir?" Das war der Moment der Wahrheit. Ich konnte lügen und so tun als ob ich schon oft Sex gehabt hätte und mich dann in weitere Lügen verstricken oder ich konnte ihm die Wahrheit sagen und ihm erzählen, dass ich nur ein einziges Mal Sex hatte und nach ein paar Sekunden bereits gekommen war, womit ich mich wahrscheinlich blamieren würde. Ich schaute mich um, und keiner war in Hörweite. Dann sagte ich ihm die Wahrheit: "Ich hatte bisher nur einmal Sex. Und es dauerte nicht länger als vier Sekunden." Claudi lachte herzhaft und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter: "Das müssen wir bei Gelegenheit ändern." Ich verstand nicht so recht was er damit meinte, aber ich war auch viel zu besoffen um darüber nachzudenken. Wir unterhielten uns noch eine Weile. Ich erfuhr, dass er auf der FOS war. Einer Schule auf der Realschüler ihr Abitur machen konnten und auch gerne viele Gymnasiasten abgingen, weil das Gerücht herrschte, das Abitur sei dort leichter zu machen. Er erklärte mir, dass es sich wirklich nur um ein Gerücht handelte, da er bereits die 11. Klasse dort einmal wiederholen musste und nun auch die 12. Klasse. Wenigstens war es möglich zwei Klassenstufen nacheinander zu widerholen, meinte er. Bevor wir uns weiter im Thema vertieften, stand er plötzlich auf und winkte mich mit. "Komm, ich stell dir meine Schwester vor." Zwar war ich betrunken, aber bei der Ankündigung ich würde gleich mit Lea sprechen, wurde ich so nervös wie ein Grundschuljunge. Aber großartig Zeit zum Zögern hatte ich nicht, da er mich, ohne mein Einverständnis abzuwarten, mitzog. Lea stand oberhalb der Treppe und sah uns bereits entgegen, während wir die Treppe hinaufstiegen. Total verschüchtert konzentrierte ich mich nur auf die einzelnen Stufen, welche sich gerade sowieso schwerer als sonst besteigen ließen. Was wohl daran lag, dass ich leicht schwankte. 'Gott, bin ich dicht' dachte ich. Erst als wir direkt vor ihr standen, traute ich mich aufzuschauen. Mir stockte das Herz. Es war das erste Mal, dass ich sie aus nächster Nähe sah. Und sie war noch schöner. Sofort vielen mir wieder ihre kleinen Sommersprossen auf, die ihr eine kindliche Unschuld verliehen. Das stand im krassen Kontrast zu ihrem großzügigen Dekolletee, welches einen vollen Busen präsentierte, was mir wiederum alle Willenskraft abverlangte um nicht hinein zu starren. "Willy, das ist Lea. Lea, das ist Willy." stellte er uns locker mit einer Hand gestikulierend vor. Die anderen beiden Mädchen, die neben Lea standen, beachtete er nicht, aber um ehrlich zu sein, ich auch nicht. Ich stand einfach nur wie hin zementiert da und schaute Lea verloren an. Mit einem überlegenen Ausdruck im Gesicht nickte sie. "Ich weiß." Gerade als Claudi ansetzte etwas zu sagen, unterbrach er sich selbst und eilte mit den entschuldigenden Worten "Ich bin gleich zurück." zu einem Mädchen, das gerade auf der Party angekommen war. Mit unterdrückter Panik, die mich nüchterner werden ließ, blickte ich hilflos Lea an. Was sollte ich nur sagen? Sie hingegen wirkte absolut entspannt und hob in einem ruhigen Tonfall an: "Du hast doch die Mathe-Ex verschwinden lassen, richtig?" Beruhigt, dass sie die ersten Worte gefunden hatte, um die Situation nicht peinlich werden zu lassen, antwortete ich ihr: "Ja, das war ich." Normalerweise hätte ich es mit etwas Stolz gesagt, aber in ihrer Gegenwart war ich auch betrunken absolut unsicher. "Wie hast du das angestellt?" fragte sie neugierig. Es war gut, dass sie danach fragte, denn so konnte ich mich in die Erzählung meines kleinen Abenteuers vertiefen ohne mich vor Nervosität übergeben zu müssen. Lea hörte gespannt zu, sogar die anderen beiden Mädchen hörten mir interessiert zu und ich fühlte weder Ablehnung, noch Verachtung und als ich geendet hatte und alle drei beeindruckte Kommentare von sich gaben, fühlte ich mich für einen kurzen Moment sogar beliebt. Aber wie es so mit den schönen Momenten in meinem Leben war, dauerten diese nie lange, denn ein Stoß von der Seite überraschte mich und ich flog hilflos zu Boden. Der harte Marmor breitete sich kühl unter mir aus und klarte meine trunkenen Sinne auf. Über mir sah ich Rick stehen, der mich im aggressiven Ton anmachte: "Was hast du Penner hier verloren? Und was quatscht du mit meiner Freundin?" Normalerweise hätte ich klein bei gegeben und wäre einfach liegen geblieben, aber es machte mich wütend, dass er mich vor Lea so bloßstellte. Der Alkohol tat den Rest und ich stand mutig auf. "Fick dich!" fuhr ich ihn an. Ungläubig verzog er das Gesicht. Scheinbar hatte er genau das, nicht von mir erwartet, aber lange beeindruckte es ihn nicht. Er packte mich mit einer Hand am Hals und ich wollte ihm ins Gesicht schlagen, da er aber viel größer war als ich und längere Arme hatte, kam ich nicht heran. Lea indessen schlug ihm mit den flachen Händen auf die Schulter und schrie ihn an, er solle mich loslassen, was er aber nicht tat. Mit den Händen kam ich zwar nicht an ihn heran, aber mit den Beinen und so trat ich ihm gegen das Schienbein. Als Reaktion darauf holte er mit der Faust aus und verpasste mir einen Schlag auf die Wange. Dadurch ließ er mich zwar los, aber ich war vollkommen benommen und taumelte, nach dem Gleichgewicht suchend, umher. Als ich wieder einen einigermaßen stabilen Stand hatte, wollte er mir schon die zweite Faust verpassen, ich konnte nur noch die Hände schützend vors Gesicht halten. Der Schlag wurde zwar von meinen Armen abgeblockt, doch hatte er so eine Wucht, dass ich wieder zu Boden ging. Betrunken wie ich war, versäumte ich es den Fall richtig abzubremsen und fiel auf den Rücken, was mir die Luft abschnürte. Ich konnte nur noch hilflos nach oben schauen und Rick dabei beobachten wie er auf mich zukam. Er wollte mich treten, aber der Tritt kam nie an. Claudius hatte sich zwischen uns gestellt und Rick davon abgehalten. "Verpiss dich Rick!" befahl er ihm förmlich. Claudius zeigte keinen Deut Angst und obwohl er viel kleiner war als Rick, schien dieser im Gegenteil Angst vor Claudius zu haben. Lea mischte sich wieder ein: "Ja, verschwinde!" Ungläubig schaute er sie an und zeigte mit ausgestreckter Hand auf mich. "Ihr wollt mich wegen diesem Loser wegschicken?" Das traf mich. Claudius zeigte sich aber unbeeindruckt und stieß ihn dann nach hinten. Claudius war zwar klein, aber offensichtlich ziemlich stark, denn Rick, so kräftig er auch war, konnte dem nicht standhalten und taumelte einige Schritte zurück. In seinem Stolz verletzt, wollte er Claudius wieder entgegentreten, aber dieser ging ebenso auf ihn zu und wartete nur darauf, dass Rick den ersten Schlag machte. Sie schauten sich in die Augen und Lea gab schließlich den Ausschlag indem sie ihren Bruder bat ruhig zu bleiben und Rick wegschickte. Dieser drehte sich zornig um und verschwand mit knallender Tür. Alle Leute auf der Party starrten natürlich zu uns herüber, aber Richard gab den perfekten Gastgeber ab und animierte alle zum Weiterfeiern. Mittlerweile war ich aufgestanden, aber ich fühlte mich irgendwie schuldig für den Ärger und so ging ich auf die beiden Geschwister zu und entschuldigte mich: "Tut mir leid, dass ich euch so einen Stress gemacht habe. Ich sollte wohl lieber auch gehen." Claudi tat meine Entschuldigung mit einer wegwischenden Geste ab und legte den Arm um mich. "Scheiß drauf. Du bleibst hier und säufst mit mir einen. Oder Leute? Machen wir Party!" Der Zwist war wie vergessen und wir gingen zu fünft in die Küche. Wir erwischten ein Pärchen beim Rummachen. Wären wir einen Tick später gekommen, hätte es auch peinlicher ausgehen können, aber so war es eher eine lustige Situation und die beiden verschwanden, sich ein anderes Plätzchen suchend. In der Küche war die Musik immer noch laut genug, um darauf tanzen zu können, aber man verstand sich schon wesentlich besser als im Wohnzimmer oder Partyzimmer, oder was auch immer das war. Die Küche war groß und hätte ohne weiteres als eine Hotelküche durchgehen können und so hatten wir reichlich Platz. Lea und ich setzten uns an den Tisch, während Lucy und Tina, wir hatten uns in der Zwischenzeit einander vorgestellt, miteinander tanzten. Claudi sagte, er wolle uns etwas zu trinken besorgen. Und da saß ich nun wieder mit Lea. Sie sah hinreißen aus und ich konnte nicht glauben wie nah ich ihr war und dass ich sogar mit ihr sprach. Sie zeigte sich mir gegenüber sogar sehr freundlich, obwohl ich gerade mit ihrem Freund aneinandergeraten war. "Ich hoffe du bist nicht sauer wegen vorhin." sagte ich. Sie schüttelte matt lächelnd ihren schönen Kopf. "Nein, Rick ist manchmal ein Arsch. Eigentlich müsste ich mich bei dir entschuldigen für sein Verhalten." Ich winkte verschüchtert ab. "Du sitzt in der Pause immer im Rondell. Gegenüber von unserem Platz, stimmt's?" fragte sie mich. Mit einem Nicken bejahte ich. "Und du hast so einen dicken Freund, mit lockigen Haaren." Sie vollführte eine wischende Geste über ihren Kopf. "Ja, Leonard heißt er." antwortete ich ihr. "Ich finde seine Frisur lustig." Sie zwickte kichernd ihre Augen zusammen. Am liebsten hätte ich sie jetzt geküsst. Erst spät bemerkte ich, dass ich sie zu lange angeschaut hatte und sie kräuselte amüsiert den Mund. Es schien ihr nichts auszumachen, im Gegenteil, ich hatte das Gefühl ihr gefiel es wenn ich sie so anschaute. Bestimmt zog ich dabei ein dummes Gesicht. Gerade als die Stille drohte langweilig zu werden, beugte sie sich nachdenklich zur Seite, um durch die Küchentür schauen zu können. "Ist was?" fragte ich sie unsicher. Ihr Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. "Mein Bruder." Ihre Stimme hatte einen besorgten Unterton. "Was soll mit ihm sein?" hakte ich nach. "Nicht mit ihm..." Ich verstand nicht was sie sagen wollte, bot ihr aber dennoch an ihn mit ihr zu suchen. Sie nickte lächelnd und wir gingen zurück in das große Partyzimmer, aber dort war keine Spur von Claudi. Nicht einmal am Getränketisch war er zu sehen. Wir sahen in den anderen Räumen nach. Das Haus war wirklich groß. Es hatte sogar ein eigenes Billardzimmer und sogar eine Art Herrensalon, der mit englischen Cognac und kubanischen Zigarren ausgestattet war. Aber keine Spur von Claudi. Erst als wir auf der Terrasse nachsahen, erblickten wir ihn im Garten. Draußen war es schon dunkel, aber sein weißes Hemd machte es leicht ihn zu erkennen. Er stand mit einem Mädchen an einem Baum und er schien sie zu bedrängen. Lea beschleunigte ihren Schritt und als Claudius uns bemerkte, ließ er das Mädchen wieder los. Erst jetzt konnte ich sie genauer in Augenschein nehmen und etwas an ihr war merkwürdig. Ja, sie war das einzige Mädchen auf der Party, das nicht schön war. Sie war auch nicht hässlich, aber sie machte einen eher unscheinbaren Eindruck. Sie hatte kurze braune Haare, ein nettes Gesicht und war klein und rundlich. Aber da war noch etwas. Sie kam mir bekannt vor, aber ich wusste nicht sofort woher. Nach einigem Nachdenken, wusste ich es wieder. Sie stand in den Pausen bei den Eliten, aber sie passte kein bisschen zu ihnen. Zumindest vom Aussehen nicht. Dann wären wir ja schon mal zwei, dachte ich. "Lass sie in Ruhe Claudi." sagte Lea. Er hob unschuldig die Hände in die Luft und deutete an, dass er ihr nichts antat. Das Mädchen selbst wirkte zwar nicht ängstlich, aber sehr verschlossen. Mir schien, dass sie traurig war. Sie ging dann ohne ein Wort weg. "Warum lässt du sie nicht in Ruhe?" fragte Lea ihren Bruder mit vorwurfsvoller Stimme. "Ich hab doch gar nichts gemacht!" protestierte dieser. Lea seufzte genervt und beließ es dabei. Schließlich gingen wir wieder rein. Ich war neugierig zu erfahren, was es mit den beiden auf sich hatte, aber ich wollte keinen mit Fragen belästigen, die störend aufgenommen werden konnten. Deshalb sah ich mich nach dem Mädchen um, konnte sie aber nirgends sehen. Nachdem ich allerdings mit dem Wodka fortfuhr, interessierte es mich auch nicht mehr. Ich genoss es mit den angesagtesten Leuten der Schule, nein, der Stadt, zu feiern. Keiner sah mich mehr ablehnend an. Claudius und Lea akzeptierten mich und es schien dann auch sonst niemanden mehr zu stören, dass ich mit ihnen trank und tanzte. Aber Augen hatte ich nur für Lea und sie hatte auch Augen für mich. Die Party verlagerte sich nach draußen und nachdem Claudi und ich in voller Kleidung in den Whirlpool sprangen, lösten sich die Hemmungen auch bei den anderen und bald waren auch schon die ersten bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Als ich selbst nur noch in Boxershorts im Whirlpool saß, umringt von schönen Mädchen, wusste ich wie der Himmel aussehen musste. Und als Lea mir, nur mit ihrem Tanga und BH, in den Schoß sprang, wusste ich nicht mehr ob das Traum oder Realität war. Für einen kurzen Moment trafen sich unsere Augen. Dieser intensive Blickkontakt erschütterte mein Innerstes und ließ mich spüren, dass es kein Traum war. Leider dauerte er nur kurz an, da mehr und mehr Leute in den Whirlpool sprangen und wir uns fast schon stapelten. Richard schien das alles nichts auszumachen, er feierte selbst eifrig mit. Die Zeit schien zu verfliegen und ich genoss jede Sekunde. Es war als ob sich alle meine Wünsche erfüllt hatten. Aber schließlich protestierte mein Körper nachdem ich bereits direkt aus der Flasche das Russengesöff trank. Völlig besoffen taumelte ich weiter in den Garten hinein und kotzte in die Hecke. Ich war nur in Boxershorts, halb nackt und fror fürchterlich, aber betrunken nahm man den Schmerz anders wahr. Es macht einem nicht so viel aus. Ich dachte auch es läge am Alkohol als mir plötzlich wärmer um den Rücken wurde. Doch es war etwas Anderes. Ich bemerkte, dass mir jemand ein großes Handtuch über die Schultern gelegt hatte und hinter mir stand. Ich beugte mich auf und erkannte Lea. "Das ist mir jetzt aber peinlich." lallte ich. Sie lachte auf und ich sah sie verwundert an. "Hab ich was Falsches gesagt?" Sie schüttelte lachend den Kopf. "Nein, nein. Ich fand es nur lustig." Benebelt kratzte ich mich am Kopf. "Achso." Wir gingen wieder in das Haus hinein. Erschöpft legte ich mich auf das große Sofa und mir war, als hätte ich ein Streicheln auf meinem Kopf gespürt. Ich war aber zu müde um die Augen zu öffnen und schließlich schlief ich ein.
Als ich wieder die Augen öffnete, war es still um mich herum. Tageslicht schien durch die Fenster. Es war bereits Morgen! Ich schreckte auf und das hatte eine heftige Schmerzwelle zur Folge. Ich hatte einen üblen Kater, der mich wieder nach unten zwang. Dann erst, als ich mich langsamer aufrichtete, ging es. Die Wohnung war ein einziges Schlachtfeld. Überall lagen und standen leere Gläser und Flaschen herum. Auf dem Boden lag sogar ein schlafendes Pärchen. Wenigstens lagen sie auf einer Art Tierfell, das machte die Sache für die beiden zumindest nicht ganz so unbequem. Ansonsten sah ich aber niemanden mehr und ich beschloss meine Sachen zu suchen, da ich nur meine Boxershorts anhatte. Meine Schuhe und das Hemd lagen neben dem Whirlpool. Meine Hose fand ich zunächst nicht, doch als ich mich ratlos am Kopf kratzte und nach oben sah, entdeckte ich sie in einem kleinen Baum. Ich fragte mich wie sie da hingekommen war. Erfolglos versuchte ich mich zu erinnern, aber ich hatte zu viele Filmrisse und so nahm ich es einfach hin. Von meinen Socken war keine Spur, aber ich hatte keine Lust mehr sie zu suchen und ging sockenlos wieder ins Haus zurück. Eine gedämpfte Unterhaltung drang aus der Küche und ich ging hinein, um nachzusehen wer die Quelle der Stimme war. Richard und Claudius standen da, jeweils mit einem Glas Orangensaft in der Hand. Beide sahen mich mit einem müden Lächeln an. "Morgen." grüßte ich sie. "Du hast gestern ganz schön gefeiert." merkte Claudius schmunzelnd an. "Ja, hätte nicht gedacht, dass du so ein Partylöwe bist. Ich sollte dich wohl auch zur nächsten Party einladen. Wird sicher lustig mit dir." ergänzte Richard. Ich nickte nur schüchtern. Die Gelassenheit von gestern Abend war wie verflogen. Mit der Nüchternheit kamen alle Hemmungen und Ängste zurück und ich trug Sorge etwas Falsches zu sagen, aber die beiden schienen deshalb nicht minder freundlich. "Wie kommst du Nachhause?" fragte mich Claudi. "Mit dem Bus." antwortete ich. Er stellte sein Glas ab und sagte: "Ich fahr dich." Überrascht dankte ich ihm, hielt dann aber inne und fragte beide: "Soll ich nicht vorher beim Aufräumen helfen?" Beide begannen zu lachen. Ich hob fragend die Hände. "Was ... was ist?" Claudi beruhigte sich als Erster und antwortete mir: "Richard hat drei Putzfrauen. Die machen das." Ich nickte nur peinlich berührt. Logisch, die Eltern von dem Kerl waren vermutlich Millionäre, warum sollten sie ihre Kinder Zeit mit Putzen verschwenden? Auf dem Weg nach draußen kamen uns drei Frauen entgegen. Es waren die Putzfrauen. Eine Schwarze, die zweite eine Art Türkin und die dritte vermutlich Russin oder Polin. Verwundert schaute ich diesen hinterher als wir über die Brücke gingen. Es war wie in diesen Witzen, in denen drei Nationalitäten vorkamen. Wir gingen auf die Straße hinaus und ich sah mich um. "Wo steht dein Auto?" Er zog den Schlüssel aus der Tasche und drückte die Entriegelung. Ein brandneuer 6er BMW piepste auf; ich stockte. "Da." antwortete er schlicht. "Der gehört dir?" fragte ich ungläubig. Er nickte beiläufig, als ob es nichts Besonderes wäre. "Ja, habe ich zu meinem Achtzehnten geschenkt bekommen." Das war unglaublich. In dem Alter so ein Auto zu fahren, war einfach unglaublich! Als ich drinsaß, hatte ich immer noch Schwierigkeiten zu realisieren, dass Claudi seinen eigenen neuen 6er BMW besaß. "Ich finde das Auto scheiße. Mein Vater hatte mir eigentlich einen 911 Turbo versprochen, aber als ich dann die Klasse wiederholen musste, hat er mir als Strafe nur einen 6er gekauft." 'Nur' einen 6er. Er sprach über das Auto als ob es ein billiges Paar Schuhe war. "911 Turbo Porsche?" hakte ich nach. Er zog die Brauen zusammen. "Natürlich ein Porsche, was denn sonst?" Dieser Reichtum haute mich um. Mir war schon klar, dass die meisten Leute aus der Elitenclique aus reichen Familien kamen, aber dass sie 'so' reich waren, haute mich schlichtweg aus den Socken, die ich nicht einmal mehr hatte. Ich erklärte ihm den Weg zu mir Nachhause und er verzog keine Braue, obwohl ihm klar war, dass es sich im Vergleich zur Könbergstraße, um ein absolutes Asi-Viertel handelte. "Wo ist eigentlich Lea?" fragte ich ihn mit unterdrückter Neugierde. "Ihre Mutter hat sie in der Nacht abgeholt. Du hast, glaube ich, schon geschlafen als sie ging." Ich nickte nur stumm. Die Blicke der Leute an denen wir vorbeifuhren, spiegelten das wider, was ich selbst empfand: Staunen. Staunen über ein so tolles Auto in der Hand eines so jungen Mannes. Wie oft sah man schon 20jährige im eigenen 6er rumfahren? Gut, die meisten Blicke strahlten Neid aus und ehrlich gesagt empfand ich selbst welchen, aber der verflog schnell als ich mir klarmachte, welches Glück ich hatte Claudi kennenlernen zu dürfen. Als wir vor meinem Block anhielten, zog er sein Handy raus. "Gib mir deine Nummer." Besser konnte es nicht laufen. Es war, als ob Gott mich für all das widerfahrene Leid jetzt entlohnte. Natürlich gab ich ihm die Nummer und er verabschiedete sich mit den Worten: "Mit dir kann man gut Spaß haben. Das müssen wir wiederholen. Hau rein." Er fuhr geräuschvoll davon und ich ging zum ersten Mal seit langer Zeit mit einem Lächeln Nachhause.
Den Samstag verbrachte ich mit Ausschlafen und vermutlich hätte ich bis in die Nacht hinein geschlafen, wenn mich nicht mein Handy geweckt hätte. Leonard war dran. "Und, wie war's?" fragte er mit einem lauernden Unterton. Vermutlich dachte er, es sei ein absoluter Reinfall für mich gewesen. "Gut war es." antwortete ich mit einem zufriedenen Lächeln. "Wie meinst du das?" hakte er ungeduldig nach. "So wie ich es sage: Es war gut." Ich rekelte mich im Bett und beobachtete die feinen Staubkörner, welche durch die schlanken Lichtstrahlen der Jalousie tanzten. "Jetzt spann mich nicht auf die Folter, Willy!" Ich ließ mir Zeit mit der Antwort, doch schließlich erzählte ich ihm ausführlich an was ich mich erinnern konnte. Ich betonte vor allem die Teile, in denen Lea vorkam. Wie ich ihm so alles erzählte, kam ein erneutes Glücksgefühl über mich, als ich mir selbst nochmal vor Augen führte mit wem ich da so ausgelassen gefeiert hatte und vor allem, dass ich von einigen wirklich gemocht wurde. Leonard wollte es im ersten Moment nicht glauben, aber als ihm klar wurde, dass ich mir das alles nicht ausdenken konnte, entschuldigte er sich bei mir, weil er daran gezweifelt hatte, dass ich mich mit ihnen anfreunden könnte. Ich war deswegen auch nicht mehr sauer auf ihn, es tat aber dennoch gut seine Entschuldigung zu hören. Wir verabredeten uns bei ihm, um die Nacht mit Konsolenspielen zu verbringen. Nun musste ich also wohl oder übel aus dem Bett, was mir mit der Erkenntnis der aktuellen Uhrzeit wesentlich erleichtert wurde. Es war nämlich schon 17 Uhr. Ich wollte schnell etwas essen, mich duschen, ein paar Sachen zum Übernachten einpacken und losziehen. Als ich ganz verschlafen in die Küche ging, entdeckte ich meine Mutter, die gut gelaunt kochte. "Wie war es gestern?" fragte sie neugierig. Ich erzählte meiner Mutter ungern solche Sachen und so beschränkte ich mich mit kurzen Antworten, bei denen ich verschwieg, dass die Party in der Könbergstraße war. Hätte sie erfahren mit wem ich mich rumtrieb, hätte sie es mit ihrer Begeisterung mal wieder übertrieben. Um der nicht enden wollenden Befragung zu entgehen, verschwand ich unter die Dusche, während mir meine Mutter das Essen zubereitete. Wir hatten keine festen Essenszeiten. Was daran lag, dass mein Vater zu unterschiedlichen Zeiten nachhause kam und meine Mutter ja auch arbeitete. Mich störte das nicht, ich fand es gut dann zu essen, wann ich Hunger hatte und nicht zu einem fixen Termin. Manchmal hatte ich gar keinen Hunger und ich blieb dem Essen fern, außer mein Vater wollte mal wieder den autoritären Erzieher spielen, indem er mich zur Anwesenheit am Essenstisch zwang. Am liebsten hätte ich ihm jedes Mal eine rein gehauen, wenn er das machte. Aber bei einer Auseinandersetzung würde ich eindeutig den Kürzeren ziehen, also verwarf ich diesen Gedanken wieder. Die Dusche tat gut. Sie frischte mich und meine Gedanken etwas auf. Jetzt kam mir auch wieder eine Frage in den Sinn, die ich bisweilen vergessen hatte. Warum hatte Mutter gestern gelogen? Ich entschied mich nachzufragen. Sie hatte Spaghetti mit Fleischsoße gemacht. Ich aß die Nudeln langsam. Zwar hatte ich Appetit, aber mein Magen war immer noch ramponiert von gestern und erst jetzt bemerkte ich, dass ich einen höllischen Durst hatte. Auf jeden Bissen trank ich fast ein ganzes Glas Wasser. Ich wurde auch recht schnell satt und so aß ich nur noch langsam vor mich hin. "Mama." sagte ich. "Ja?" Sie machte gerade den Abwasch. "Wo ist Vater?" Ich wollte mit einer banalen Frage beginnen, bevor ich meine eigene Mutter fragte, weshalb sie log. "Er ist mit seinen Fußballfreunden unterwegs. Kennst ihn ja; kaum ist Wochenende, hat er nur Fußball im Kopf." gab sie mit einem Lächeln von sich. Ich kaute langsam und schluckte noch langsamer, dass mir das Essen fast im Halse steckenblieb. "Mama." sagte ich erneut. "Ja?" sie drehte sich neugierig zu mir um, als ob sie spürte, was jetzt gleich für eine Frage kommt. "Warum hast du gestern gelogen?" fragte ich sie. "Was meinst du?" Sie tat unschuldig, aber ihre Miene verriet, dass sie es wusste.. "Du weißt ganz genau was ich meine. Du hast Vater gesagt, du seist am Donnerstagnachmittag Zuhause gewesen." warf ich ihr vor. Sie drehte sich daraufhin wieder dem Geschirr zu und antwortete mir als ob nichts gewesen sei: "Ach, dann habe ich mich wohl einfach vertan ... Ahja, ich war beim Einkaufen. Stimmt, hatte ich ganz vergessen." Sie war nicht beim Einkaufen gewesen. Ich wusste es, weil sie keine Einkäufe Nachhause gebracht hatte. Aber ich merkte auch, dass ihr meine Fragen sehr unangenehm waren und deshalb beließ ich es dabei. Sie verbarg etwas, das war eindeutig. Mir kam der absurde Gedanke, sie könnte Vater fremdgehen. Aber das verwarf ich schnell wieder. Meine Mutter tat sowas nicht. Damit war die Sache für mich auch vorerst erledigt und ich machte mich daran mein Zeug zusammenzupacken.
Die Fahrt verging schnell. Mir tat immer noch alles weh von gestern, ich hatte auch noch leichte Kopfschmerzen. Gegen 19 Uhr war ich bei Leonard und mit einem freudigen Lächeln winkte er mich rein. Leonard wohnte in einer Reihenhaussiedlung. Es war gemütlich bei ihm und seine Mutter mochte ich sehr. Eli, wie ich sie immer nannte, war eine feiste Dame, die immer dafür sorgte, dass alle in ihrem Haus immer mit Essen und süßen Leckereien versorgt waren. Und sie kochte auch herrlich. Meine Mutter kochte zwar auch gut, aber Leonards Mutter war eine Meisterköchin. Mir lief jedes Mal das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an der Küche vorbeikam. Selbst wenn ich schon etwas gegessen hatte, sagte ich nie nein, wenn mir bei Leo was aufgetischt wurde. Vermutlich waren die Kochkünste seiner Mutter auch an seiner Leibesfülle schuld und vermutlich wäre ich an seiner Stelle genau so ein Dickerchen, aber das Essen war einfach zu gut um nein zu sagen. Nachdem wir einen deftigen Hackbraten serviert bekommen hatten, verzogen wir uns in sein Zimmer. Sein Zimmer lag im Keller und war die reinste Spielhölle. Er hatte drei verschiedene Konsolen, zwei PC's und einen Laptop. Was Spiele und Computer anging, war Leonard der absolute Crack. Man konnte ihn alles fragen. Vom Computervirus, über Programmierung nutzvoller und nutzloser Programme, bis hin zum Lösungsweg bei der Raketenquest in Final Fantasy VII. Das war sein Hobby, seine Leidenschaft, sein Leben. Und er war glücklich damit, bis auf den Umstand, dass er sich mal ein echtes Mädchen wünschte, statt seiner virtuellen 3D-Mädchen. Ich konnte ihn verstehen, mir ging es ähnlich. Wir spielten gerade eine Shooter-Kampagne in HALO im Co-Op, da sagte Leonard etwas, das nichts mit dem Spiel zu tun hatte: "Willy, ich muss dir etwas erzählen, was du nicht glauben wirst." Ohne vom Bildschirm aufzuschauen, antwortete ich lächelnd: "Du hast im Lotto gewonnen." Er lachte daraufhin. "Nein, besser." Ich wollte ihn gerade fragen, was geschehen sei, da klingelte plötzlich mein Handy. Wir sahen uns beide verwundert an, weil sonst nur wir beide uns auf dem Handy anriefen. Vermutlich war es meine Mutter, also ging ich ran. "Hi, was machst du?" Claudius' Stimme ertönte. Ich brauchte erst einige Zeit um meine Überraschung zu verdauen. Ich hatte ja erwartet, dass er anruft, aber nicht so schnell. "Äh... Hi, ich bin gerade bei einem Freund; zocken." antwortete ich. "Ach, das ist doch langweilig. Komm lieber mit uns ins Pi." Das Pi, auch bekannt als Guinea Pig, war die wohl absolut angesagteste Disco der Stadt. Dort kam man nur rein, wenn man Bekanntschaften hatte, viel Geld besaß oder weiblich und gutaussehend war. Aber nicht jedes x-beliebige, gut aussehende Mädchen kam rein. Man musste schon wirklich hammergeil sein, um reinzukommen. "Aber wie willst du da reinkommen?" fragte ich ihn. Ich hörte Lachen am anderen Ende. "Da mach dir mal keine Sorgen. Also, ich hol dich dann in einer Stunde ab." Was sollte ich denn darauf antworten außer "Alles klar, bis dann."? Nachdem ich aufgelegt hatte, stand ich die ersten Sekunden wie benommen da. Dann kam alles auf einmal. Ich brauchte Geld für heute Abend und gute Klamotten hatte ich keine mehr. Ich ging ins verdammte Pi und hatte nichts Passendes zum Anziehen! Und zu allem Übel, würde mich Claudius schon in einer Stunde von Zuhause abholen. Ich musste los. Hastig griff ich nach meinem Rucksack und erklärte Leo beim Zusammenpacken, wo ich heute Abend hinwollte. Mit meiner eigenen Begeisterung beschäftigt, übersah ich vollkommen seinen enttäuschten Gesichtsausdruck. Er protestierte aber auch nicht und erst als er mich zum Ausgang begleitet hatte, wurde mir klar, dass ich ihn sitzen ließ. "Hey, tut mir leid Leo. Aber du weißt wie wichtig mir das ist. Morgen machen wir beide dann was zusammen, versprochen!" Er hob verstehend die Hand und verabschiedete sich. Ich würde heute Abend mit den angesagtesten Leuten der Schule, in die angesagteste Disco der Stadt gehen!
Ich hatte mich im Eiltempo geduscht und umgezogen. In meinem Schrank fand ich schließlich doch noch ein weißes Hemd, das ich anziehen konnte. Aber ich musste dieselbe Jeans, wie auf der Party anziehen. Die anderen Hosen waren unten alle ausgefranzt oder einen Tick zu breit. Gerade als ich fertig wurde, rief Claudi auf dem Handy an und hieß mich runterkommen. Schnell zog ich noch meine Jacke an und nahm Geld mit. 50 €, das Taschengeld für einen ganzen Monat. Er wartete schon unten auf mich und ich stieg eilig ins Auto ein. Im Auto waren noch zwei andere Typen. Einer davon kam mir bekannt vor. Ja, es war der Blonde von der Party. Ich konnte ihn nicht leiden. Er sah mich immer so abwertend an. Der andere wirkte lässig. Er schaute mich weder interessiert, noch unfreundlich an. Claudi stellte mir den Blonden als Matthias und den anderen, er schien ziemlich groß zu sein, da seine Beine kaum Platz im Auto hatten, als Mike vor. Auf dem Weg dorthin unterhielten sich hauptsächlich die Drei untereinander und ich hörte nur still zu. Aus ihren Gesprächen konnte ich erfahren, dass Lea auch kommen sollte, aber mit ihrem Freund. Zwei Himmelscheinwerfer, die schon von weiten zu sehen waren, gaben den Standort des Guinea Pig an. Als wir am Eingang vorbeifuhren, war eine riesen Schlange zu sehen. Mindestens 30 Leute warteten darauf, eingelassen zu werden und jeder war schicker als der andere. Der Parkplatz war genau gegenüber vom Eingang und in der ersten Reihe stand eine Nobelkarosse neben der anderen. Wir parkten in der zweiten Reihe. Als wir ausstiegen und direkt auf den Eingang zugingen, fühlte ich mich beobachtet. Die Leute aus der Schlange schauten uns an und ich verstand nicht, weshalb wir uns nicht hinten anstellten. Claudi ging nämlich direkt auf die Türsteher zu, die stetig etwas in ihr Headset sprachen. Einer der beiden war ein massiger Schwarzer mit rasiertem Kopf, den Claudi vertraut grüßte. Der andere hatte auch einen rasierten Kopf, war zwar kleiner als der Schwarze, aber sein Gesicht sah noch grimmiger aus. Nach den markanten Gesichtszügen zu urteilen, ein Russe. Bevor ich mich versah winkte uns der Schwarze durch und zum ersten Mal in meinem Leben, hatte ich das Gefühl beneidet zu werden. Die Leute aus der Schlange starrten uns ungläubig hinterher. Man musste bedenken, dass dort sogar 30jährige standen. Und ein paar Minderjährige Typen wie wir, durften vor ihnen rein. Housemusik tönte uns entgegen, während wir durch den Vorraum gingen. Hier waren nochmals drei Türsteher und ich wollte eigentlich zum Schalter, um zu zahlen, aber Claudi winkte mich hinterher. Keiner der Türsteher sagte etwas, es schien als ob er sie alle kannte. Ich hingegen war absolut steif. Der Hauptraum war dunkel und wurde nur durch Lichteffekte der Lampen und Scheinwerfer beleuchtet. Überall tanzten Menschen. Wir blieben aber nicht lange im Hauptraum sondern gingen um die Tanzfläche herum, an der langen Bar vorbei, an der sich unzählige Menschen tummelten, auf einen abgesperrten Bereich zu. Ein Securitymann im Anzug stand vor der Absperrung und Claudi schüttelte ihm die Hand, bevor er uns schließlich passieren ließ. Wir stiegen eine breite, sich nach innen windende Treppe empor und befanden uns in einem Raum, der sich über der Tanzfläche des Hauptraums befand. Die ganze Frontseite war eine einzige Glasscheibe. Da erinnerte ich mich an die verspiegelten Fenster, die ich vom Hauptraum aus gesehen hatte. Das war die Innenseite. Man konnte auf die Tanzfläche schauen und alle Leute beobachten, selbst war man aber nicht sichtbar für sie. Dieser VIP-Bereich hatte seine eigene Musik, seine eigene Bar und seine eigenen Gäste. Als wir ankamen hörten wir schon grüßende Rufe aus einer Sofaecke. Dort waren einige Leute, die ich auf der Party gesehen hatte und einige Leute, die auch aus der Schule kannte. Lea war auch da. Sie hatte einen kurzen schwarzen Rock an und hochhackige Schuhe. Heute hatte sie sich einen stechend roten Lippenstift aufgetragen, was sie noch Verführerischer machte. Meine Stimmung ging den Bach herunter, als ich Rick neben ihr erkannte und der sah mich auch nicht gerade erfreut an. Lea hingegen stand auf und umarmte mich sogar. Sie roch herrlich und ihre Haut fühlte sich heiß an. In diesem Moment hatte ich Angst, sie könnte meinen Herzschlag hören, der in meinen Ohren sogar das Bassklopfen der Boxen übertönte. Sie schien aber nichts zu bemerken und lächelte mich fröhlich an. Da es auch hier etwas laut war, musste sie aus nächster Nähe zu mir sprechen und dabei hauchte sie mir jedes Mal gegen die Wange. Ich hatte Angst vor Verlangen einzugehen. Viel sprachen wir nicht. Sie sagte nur, dass sie sich freute mich wieder zu sehen und fragte wie es mir geht, da ich auf der Party ja einiges weggekippt hatte. Dann trat eine lange Gesprächspause ein und bevor es drohte peinlich zu werden, fragte ich sie ob sie etwas trinken wolle. Für einen kurzen Moment schien sie zu zögern, doch schließlich nickte sie lächelnd und wir gingen zur Bar. Sie wollte einen Cocktail und ich bestellte mir ein Bier, obwohl ich gar keine Lust auf Alkohol hatte. Aber ich war immer noch viel zu nervös und mit Alkohol würde ich die ganze Sache etwas entspannter angehen können. Als sich der Barmann zu mir herüber beugte und mir den Preis sagte, dachte ich, ich hätte mich verhört. Er wollte 30 € Euro für einen Cocktail und ein Bier! Aber er hatte es schon ausgeschenkt und vor Lea konnte ich jetzt nicht geizen, also bezahlte ich ohne mir etwas anmerken zu lassen. Als sie dankbar lächelte, vergaß ich meinen Ärger über den Preis wieder. Wir wollten gerade zur Couch zurück, als uns Rick entgegenkam. Ich erwartete schon einen Schlag in die Fresse, aber stattdessen fuhr er Lea an, weshalb sie mit mir sprach. "Er hat mir doch nur was ausgegeben!" protestierte sie. Rick sah mich lange an und nahm Lea den Cocktail aus der Hand. Er roch daran und fragte lauernd: "Du kaufst meiner Freundin Drinks?" Ich antwortete nicht darauf, sondern sah ihn nur stumm an. Was sollte ich schon sagen? Ich hatte jetzt auch keine Lust auf eine Auseinandersetzung. Er führte den Cocktail zum Mund und wollte einen Schluck nehmen, doch dann machte er einen Schritt vor und kippte mir das Cocktailglas über mein weißes Hemd. Mit ausgebreiteten Armen schaute ich nach unten, auf den großen, roten nassen Fleck der nun mein Hemd zierte. Rick sah mich schadenfroh an. "Hoppla." Lea gab ihm eine Ohrfeige mit den Worten "Du bist so ein Arschloch!", und verschwand die Treppe hinunter. Er eilte ihr hinterher und ich stand blamiert da. Ich wandte mich zum Barmann und der deutete mir verstehend zur WC-Tür. Angepisst, wegen Ricks Aktion, ging ich mit gesenktem Kopf auf die Toilette. Die Tür führte in einen kurzen Gang mit zwei weiteren Türen und ich nahm die erste. Im Waschraum war niemand, worüber ich auch froh war. Ich hatte keine Lust angegafft zu werden. Es dauerte etwas bis das Wasser, das aus dem Hahn lief warm wurde. Ich zog mein Hemd aus, um die Stelle besser waschen zu können. Die Farbe ging nur schwer raus, aber zumindest verblasste das Rot ein wenig und so rieb ich den Stoff weiter aneinander unter dem laufenden Wasser. Was hatte dieses blöde Arschloch nur für ein Problem mit mir? "Du musst das Wasser heißer stellen." Eine Frauenstimme erklang hinter mir und riss mich aus den Gedanken. Ich zuckte dabei erschrocken auf und sah nach hinten. Sie musste mein Staunen bemerkt haben, denn sie lächelte kurz. Sie war wunderschön. Es dauerte zwar etwas, aber ich erkannte sie wieder. Sie war ein bekanntes Fotomodel. Ich interessierte mich zwar nicht für solche Sachen, aber sie hatte ich schon mehrere Male im Fernsehen gesehen. Sie hatte ein rassiges Aussehen: Dunkle Haare, dunkle Haut und dunkle Augen. Als sie neben mich trat und mir das Hemd aus den Händen nahm, bemerkte ich, dass sie einen halben Kopf größer war als ich. Sie stellte das Wasser heißer und begann den Stoff zu reiben. "Verschüttet?" frage sie mit einem Seitenblick. "Naja, ja. Jemand hat es über mich geschüttet." antwortete ich. Sie war mir vom ersten Augenblick an sympathisch. Ihre Art war umgänglich und nahm mir die Nervosität, was mich ziemlich verwunderte. "Ist mir oft passiert. Du glaubst nicht was für gemeine Zicken Models sein können." sprach sie mit einem vertraulichen Lächeln, das mich unwillkürlich auch zum Lächeln brachte. "Du hast ein nettes Lächeln." sagte sie mir und sofort wandte ich verschüchtert mein Gesicht ab. "Und wenn du so schüchtern wegschaust, dann bist du noch süßer." sprach sie mit einem Lachen. Peinlich berührt rieb ich mir den Hinterkopf und wusste nicht mehr zu sagen als "Danke". Sie hob das Hemd nach oben und schaute auf den Fleck, der nur noch vage zu erkennen war. Dann hielt sie es unter den Händetrockner und sah über die Schulter. "Nachdem es trocken ist, wird keiner mehr den Fleck sehen." Ich bedankte mich nochmals. Erst jetzt registrierte ich, dass wir ja auf dem Männer-WC waren und so fragte ich mit unschuldiger Neugierde: "Was machst du eigentlich auf dem Männerklo?" Sie runzelte die Stirn auf meine Frage hin und prustete dann aus vor Lachen. "Auf dem Männerklo? Du bist bei den Frauen." antwortete sie, immer noch vor sich hin lachend. Ich musste wirklich dämlich geschaut haben, als ich zu den Toiletten sah und an den fehlenden Pissbecken erkannte, dass ich mich wirklich bei den Frauen befand. Meine Wangen wurden noch röter als sie es ohnehin schon waren und ich entschuldigte mich kleinlaut. Sie winkte belustigt ab und gab mir das Hemd zurück. Darauf ging sie, noch immer leise lachend. Ungläubig schaute ich ihr hinterher. Mir hatte gerade ein Topmodel auf dem Frauenklo das Hemd gewaschen. Als ich mich wieder daran erinnerte, dass ich auf der Frauentoilette war, zog ich mein Hemd hastig wieder an und ging sofort raus. Zurück im VIP-Raum, wollte ich mein Bier holen, das ich auf dem Tresen hatte stehen lassen. Natürlich war es längst verschwunden. Mich überkam das Gefühl, ich hätte doch lieber bei Leonard bleiben sollen, zumal ich nicht einmal in Partystimmung war. Claudi winkte mich an den Tisch heran und ich nahm neben ihm Platz. Von meinem Ärger mit Rick und dem Fleck auf dem Hemd schien er wohl nichts mitbekommen zu haben. "Sieh dir mal das scharfe Teil an." Er deutete auf die kleine Tanzfläche des VIP-Raums. Aber ich wusste nicht wen er meinte, denn es waren mehrere 'scharfe Teile' zu sehen. Im VIP-Raum waren sowieso nur gutaussehende Frauen unterwegs. Jede einzelne war eine Augenweide, aber keine von ihnen interessierte mich. Ich wollte nur Lea. "Und? Was sagst du dazu?" Seine Stimme lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf die Tanzfläche und jetzt konnte ich sehen, wen er meinte. "Das ist doch das Model." sagte Tina, eine von Leas Freundinnen, die ich auf der Party kennengelernt hatte. "Stimmt! Die schaut in Echt ja noch schöner aus!" bestätigte Lucy begeistert. Tina und Lucy hatte ich bisher immer nur gemeinsam gesehen. Die beiden schienen unzertrennlich zu sein. "Ja, sie sieht gut aus." räumte ich mit monotoner Stimme ein. "Sieht gut aus?" äffte mich Claudi ungläubig nach. "Die ist der Wahnsinn!" Ja, sie sah auch sehr gut aus, aber ich konnte seit der Party kein Interesse mehr für andere Mädchen aufbringen. In stillen Momenten kehrten meine Gedanken unwillkürlich zu Lea zurück. Dass ich dieses Model auf der Frauentoilette kennengelernt hatte, verschwieg ich ihnen. Tom und Dennis, die Freunde von Rick, waren auch da. Tom war Lucy's Freund und Dennis war mit Tina zusammen. Die beiden, Tom und Dennis, konnten mich natürlich nicht leiden, aber wenigstens ignorierten sie mich und versuchten mich nicht wie Rick, bei jeder Gelegenheit bloßzustellen. Aber, dass ihnen meine Anwesenheit ein Dorn im Auge war, war unschwer zu erkennen. Tom sprach Claudi provozierend an: "Wetten du traust dich nicht sie anzugraben." Claudi schien sich wirklich herausgefordert zu fühlen, denn er blickte entschlossen zur Tanzfläche. "Ich grab sie an und mach sie sogar klar!" gab er entschlossen zurück. Ich persönlich hätte mich so etwas nicht getraut, aber wenn ich ein gutaussehender Millionärssohn wie Claudius wäre, dann hätte ich es mich vermutlich auch getraut. Das hübsche Model tanzte mit einer Freundin, die ihr vom Aussehen in nichts nachstand, inmitten eines Rings von Männern. Wie ich das mitbekam, suchte die halbe Männerschaft Blickkontakt zu ihr, aber sie ignorierte alle geflissentlich und tanzte nur amüsiert mit ihrer Freundin. Claudius ging alleine auf die Tanzfläche und begann langsam zu tanzen. Man konnte sehen wie er sie anpeilte, sich ihr näherte und sie schließlich antanzte. Mit einer abweisenden Geste, begleitet von einem Kopfschütteln schob sie ihn von sich weg. Er hob entrüstet die Hände und sagte etwas zu ihr. Diesmal wandte sie sich einfach nur von ihm ab und ließ ihn dumm dastehen. Sie hätten sowieso kein gutes Paar abgegeben; Claudius war einen guten Kopf kleiner als sie. Mit einem düsteren Gesicht kam er zurück. Er war es wohl nicht gewohnt Abfuhren zu kassieren und war auch dementsprechend beleidigt als er sich wieder neben mich setzte. Die anderen machten sich lustig über ihn, woraufhin er sie alle anfuhr und schließlich mich anvisierte: "Probier es du doch mal!" Es war mehr eine Forderung als ein Vorschlag. Diese Art kannte ich noch nicht an ihm und ich mochte sie auch nicht. Obwohl ich eingeschüchtert war, war die Vorstellung ein Model, das einen gutaussehenden Kerl nach dem anderen abserviert, gerade mit mir tanzen sollte, absurd. Also fragte ich ungläubig: "Ich soll sie ansprechen?" Unsanft schob er mich an. "Ja! Auf geht's!" Ich blickte in die anderen Gesichter. Die Mädchen sahen mich mitleidig an, wohingegen Tom und Dennis vorfreudig über meine anstehende Blamage grinsten. Ja, gut, ich hatte zwar mit ihr zuvor gesprochen, aber das musste nichts heißen. Ihr würde es sicher peinlich sein mit einem Typen wie mir zu sprechen oder zu tanzen. Aber zurück zur Couch konnte ich nicht, Claudi signalisierte mir durch seinen Gesichtsausdruck, dass ich erst nach einem Versuch wieder zurückkehren könnte. Gerade als ich mich in Richtung Tanzfläche bewegen wollte, ging sie mit ihrer Freundin zur Bar. Ich blickte nach hinten und breitete fragend die Arme aus. Mit ungeduldigen Handbewegungen scheuchte Claudi mich zu ihr hin. Aber direkt zu ihr hin traute ich mich einfach nicht, also stellte ich mich zunächst ans andere Ende der Bar und blickte unauffällig zu den beiden Frauen. Sie waren mindestens fünf Jahre älter als ich. Mir entfuhr ein Seufzer als ich mir alle möglichen peinlichen Szenarien durch den Kopf gehen ließ, welche auf meine Anmache folgen könnten. Ich gehe hin und sie würde mich nur abfällig anschauen. Oder ich spreche sie an und sie lachen mich aus. Oder vielleicht würde sie mich fragen, wie ich hässlicher Kerl mich überhaupt traute sie anzusprechen. Und so weiter. Der Barkeeper kam zu mir und fragte mich, was ich trinken wolle. Ich verneinte nur und blickte wieder unauffällig zu den beiden hinüber. Mittlerweile gesellte sich ein Mann im Anzug zu ihnen und sprach einige Worte, doch das hübsche Model schüttelte nur den Kopf und der Mann ging wieder mit einem bedauernden Lächeln. Wenigstens bin ich nicht der Einzige, der eine Abfuhr kassiert, dachte ich mir. Aber ich konnte einfach nicht los. Ich schaute immer wieder nervös herüber, aber ich brachte nicht einen Schritt in ihre Richtung zustande. Schließlich grub ich halb verzweifelt meinen Kopf in die Hände und starrte auf den Tresen. Ich wollte zurück, aber ich wollte Claudius nicht enttäuschen. Außerdem wollte ich die schadenfrohen Gesichter der anderen Jungs nicht sehen und noch weniger das Mitleid der Mädchen. Es gab nichts Schlimmeres als von einem Mädchen bemitleidet zu werden. Ich konnte nicht vor, ich konnte nicht zurück. Ein erneutes Seufzen entfuhr mir. "Warum so traurig?" Ich blickte auf und sah, dass sie zu mir gekommen war. Ich war zu überrascht um etwas zu sagen und so erhob sie wieder das Wort: "Immer noch traurig wegen dem Hemd?" Ihre freundliche Stimme wirkte beruhigend auf mich und ich fand wieder die Kontrolle über mich. "Nein, nicht deswegen." Sie nickte und hob fragend die Brauen: "Warum dann?" Ich weiß nicht was mich dazu veranlasste die Wahrheit zu sagen. War es ihre vertrauliche Art? Weil sie nett zu mir war? Ich weiß es nicht. "Meine Freunde wollen, dass ich dich anspreche und mit dir tanze. Aber ich will das eigentlich gar nicht." Meine Aussage war missverständlich und so wirkte es, als ob ich sie nicht als ansprechenswert befand. Hastig fügte ich an: "Damit will ich nicht sagen, dass du nicht gut aussiehst! Also ich würde natürlich liebend gern mit dir tanzen, aber ich will dich nicht nerven." Sie sah mich ernst an und ich befürchtete schon, ich hätte sie beleidigt, doch anstatt mich anzufahren, nahm sie meine Hand und sagte: "Tanz mit mir!" Hilflos stammelte ich "aber, aber...!" während sie mich auf die Tanzfläche zog und mich an sich drückte. Ich wusste, dass uns alle beobachteten, was mir total unangenehm war, aber ihr schien es nichts auszumachen. Sie lächelte mich nur auffordernd an und das wiederum beruhigte mich. Schließlich brachte ich Bewegung in meine Hüften und tanzte mit ihr. Ein schnelles Lied wurde gespielt und sie drehte ihren wunderbaren Hintern zur mir und lehnte sich mit ihrem Rück gegen meine Brust. Ihr dunkel gelocktes Haar fiel mir ins Gesicht. Es roch dezent nach Früchten. Wir tanzten ganze zwei Songs durch, bis sie mich schließlich erlöste, indem sie meine Hände nahm und mir einen Kuss auf die Wange gab. Leicht benommen von dieser tollen Frau kehrte ich zur Couch zurück. Die Jungs grölten vor Begeisterung und die Mädchen sahen mich mit großen Augen an. Vor allem Claudi war außer sich. Er legte mir den Arm um die Schulter und fragte wie ich das nur angestellt hätte. Ich antwortete ehrlich auf die ganzen Fragen mit: "Ich habe gar nichts gemacht." Es fühlte sich toll an im Mittelpunkt zu stehen. Aber unter all den anerkennenden und begeisterten Gesichtern, stach eines heraus: Leas Gesicht. Ich konnte Eifersucht herauslesen.
Weder lernte ich am Sonntag, noch traf ich mich wie versprochen mit Leonard. Ich war nämlich erst um 7 Uhr morgens völlig betrunken Zuhause angekommen. Mein Geld war in der Disco innerhalb von nur einer Stunde komplett ausgegeben, danach füllte mich Claudi ab und als ich besoffen war, animierte er mich dazu halbnackt auf dem Tisch zu tanzen. Ich wollte mich gar nicht daran erinnern welcher peinlichen Aktionen ich mich noch schuldig gemacht hatte und dank eines neuerlichen Filmrisses tat ich es auch nicht mehr. Den ganzen Sonntag schlief ich durch, nur einmal wachte ich auf, um mich zu übergeben, mir was zum Trinken zu holen und mir eine Kopfschmerztablette einzuwerfen. Mein Vater gab nur irgendwelche dämlichen Kommentare von sich und Mutter sorgte sich, wie immer. Aber wenigstens ließen sie mich in Ruhe schlafen. Als ich mich am Montagmorgen auf den Weg zur Schule machte, fühlte ich mich wie überfahren, aber zumindest hatte ich keine Kopfschmerzen mehr und musste nicht gleich kotzen, wenn ich was zu essen sah. Vom Unterricht bekam ich nicht viel mit. Mein Kopf war immer noch benebelt und wenn ich an etwas dachte, dann an die vergangenen Tage. Es war so viel passiert, dass ich gar nicht einschätzen konnte, was das nun für mich bedeutete. In der zweiten Schulstunde musste ich in den Mathekurs. Es war das erste Mal, dass mich Richard von sich aus grüßte und das auch gar nicht mal so unfreundlich. Lachend resümierte er meine peinlichsten Aktionen im Pi, um mich daraufhin wieder zu beruhigen und mir zu versichern, dass er es absolut cool fand. Die anderen Leute aus unserem Kurs sahen mich und Richard verwundert an. Natürlich wussten sie wer Richard war und natürlich wussten sie wer ich war, was die immense Verwunderung in allen Gesichtern hervorrief. Den ganzen Mathekurs über schauten Tanja und Isa so gezwungen unauffällig zu mir herüber, dass es schon wieder auffällig war. Und immer wieder tuschelten sie etwas. Aber nicht nur sie sahen mich merkwürdig an, fast die ganze Klasse tat es und ich fragte mich, ob ich irgendetwas Komisches im Gesicht hatte. Der Gong beendete die Stunde und markierte gleichzeitig die Pause. Müde schleifte ich mich in Richtung Pausenhof und überlegte mir, wie ich mich bei Leo entschuldigen sollte. Ich hatte ihn schließlich das zweite Mal versetzt und nicht einmal den Anstand gehabt ihn anzurufen, um abzusagen. Leonard saß bereits an unserem Platz im Rondell und hob die Hand, sachte winkend. Das erleichterte mich. Er war also nicht sauer. Ich wollte gerade die großen Steinstufen heruntergehen, um über die Mitte zu unserem Platz zu kommen, als mich jemand an der Schulter zurückzog. Unwillkürlich zuckte ich zusammen, aus Schreck es könnte Rick sein, der mir eine verpassen will. Aber als ich mich umdrehte, sah ich zwei belustigte Gesichter. Es war Richard mit seiner hübschen Freundin Nicole. Ich hatte sie mittlerweile auch kennengelernt. "Warum bist du so erschrocken?" fragte er. Ich hob die Schultern und winkte ab, als Zeichen dafür, dass es unwichtig sei. Richard deutete zum Elitenplatz. "Komm doch zu uns." Ich sah ihn ungläubig an. "Ich?" fragte ich und deutete mir mit dem Zeigefinger auf die eigene Brust. "Ja, du, wer denn sonst?" lachte er. "Klar, ich komme." Das war unglaublich. All die Jahre habe ich immer nur zu diesen coolen Leuten herüber gestarrt und mich immer gefragt, wie es wohl wäre, beliebt zu sein. Wie es wohl wäre, die hübschesten Mädchen der Schule zu kennen. Wie es wäre mit Lea zusammen zu sein. Lea, sie lächelte mich an. "Hallo Willy." Wieder sagte ich mir, dass alles zu schön war um wahr zu sein. Ich war nun dort, wo ich immer sein wollte, aber etwas stimmte nicht. Ich sah zu dem Platz, wo ich sonst immer saß und erblickte Leonard. Er saß alleine da.